Paul und die Dame Daniel - Erwin Strittmatter - E-Book

Paul und die Dame Daniel E-Book

Erwin Strittmatter

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Beschreibung

Der Frühling ist schuld daran, dass Paul Perla seinen Kopf verliert. Jeden Morgen und jeden Abend schwebt an seiner Baustelle ein Wesen vorbei – elegant, brünett und mandeläugig –, das seine ganze Phantasie beansprucht: Frau Daniel aus dem Uhrmacherladen. Paul ist sich sicher, dass gehende Uhren stehenbleiben, wenn ein Verliebter es will. Und Paul will. Er wird der beste Kunde von Frau Daniel und lässt sich zu wilden Vermutungen über das Schicksal der schönen Frau hinreißen. Bald ist er überzeugt: Sie schwebt in Gefahr und muss von ihm gerettet werden. Ob darüber seine verliebten Frühlingsträume platzen? Mit dieser heiteren Geschichte von Paul Perlas Liebesnöten, seinem Träumen und Flunkereien liefert Strittmatter ein ironisches Kabinettstück über männliche Eitelkeiten und Schwächen.

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Seitenzahl: 165

Veröffentlichungsjahr: 2021

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Über das Buch

Der Frühling ist schuld daran, dass Paul Perla seinen Kopf verliert.

Jeden Morgen und jeden Abend schwebt an seiner Baustelle ein Wesen vorbei – elegant, brünett und mandeläugig –, das seine ganze Phantasie beansprucht: Frau Daniel aus dem Uhrmacherladen. Paul ist sich sicher, dass gehende Uhren stehenbleiben, wenn ein Verliebter es will. Und Paul will. Er wird der beste Kunde von Frau Daniel und lässt sich zu wilden Vermutungen über das Schicksal der schönen Frau hinreißen. Bald ist er überzeugt: Sie schwebt in Gefahr und muss von ihm gerettet werden. Ob darüber seine verliebten Frühlingsträume platzen?

Mit dieser heiteren Geschichte von Paul Perlas Liebesnöten, seinem Träumen und Flunkereien liefert Strittmatter ein ironisches Kabinettstück über männliche Eitelkeiten und Schwächen.

Über Erwin Strittmatter

Erwin Strittmatter wurde 1912 in Spremberg als Sohn eines Bäckers und Kleinbauern geboren. Mit 17 Jahren verließ er das Realgymnasium, begann eine Bäckerlehre und arbeitete danach in verschiedenen Berufen. Von 1941 bis 1945 gehörte er der Ordnungspolizei an. Nach dem Kriegsende arbeitete er als Bäcker, Volkskorrespondent und Amtsvorsteher, später als Zeitungsredakteur in Senftenberg. Seit 1951 lebte er als freier Autor zunächst in Spremberg, später in Berlin, bis er seinen Hauptwohnsitz nach Schulzenhof bei Gransee verlegte. Dort starb er am 31. Januar 1994. Zu seinen bekanntesten Werken zählen sein Debüt »Ochsenkutscher« (1950), der Roman »Tinko« (1954), für den er den Nationalpreis erhielt, sowie die Trilogie »Der Laden« (1983/1987/1992).

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Paul und die Dame Daniel

Eine Liebesgeschichte

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Impressum

Es ist wieder Frühling, und man wird so anders. Alle werden anders. Die Männer, die mit mir die Erde aufwühlen und sehen, dass Berlin auf Röhren und Rohren ruht, sprechen mehr von ihren und anderen Frauen als sonst. Ein älterer Mann, der mit seiner Frau vorbeikommt, schiebt sie fast zärtlich über den Sandhaufen, den wir aufgeworfen haben. Ich wette, im Winter hätte er es nicht getan; er wäre heldisch über den Hügel gestiegen und hätte sich daran geweidet, wie unzulänglich sein Weib das Hindernis nimmt.

Um von mir selbst zu reden: Ich spüre, dass ich seit dem vorigen Frühling weitergekommen bin. Im Winter habe ich nichts davon bemerkt, aber jetzt glaube ich es sicher zu fühlen. Das ist natürlich nicht von selber so gekommen. Bestimmte Ereignisse haben eintreten müssen, die mich weiterbrachten.

Wenn ich vor einem Jahr an die vergangenen Frühlinge dachte, besonders an den, der mich mit Petra zusammenbrachte, so ging’s nicht ohne ein wenig Wehmut. Dieses Jahr denke ich anders, solider gewissermaßen, wenn Ihnen das etwas sagt. Ich kann jeden Tag des vorigen Frühlings betrachten, ohne die Augen träumerisch zu schließen; ich sehe den Tagen und meinen Dummheiten ins Gesicht und frage mich frei: Was hast du dir dabei gedacht, Junge?

Ich erinnere mich des ersten Tages und lächele leise; ohne Wehmut, Sie wissen.

Wir schachteten damals hart hinter den hohen neuen Häusern der Stalinallee einen Graben, der die Leitungsrohre für ein Gemeinschaftswaschhaus aufnehmen sollte. Vor uns gingen drei Männer aus einer anderen Baukolonne und rissen mit Pressluftmeißeln die noch halb gefrorene Asphalthaut der schmalen Nebenstraße auf. Ihnen folgte der Bagger, der sich mit seinem Heuschreckenmaul in das weiche Straßenfleisch fraß und auf den noch passierbaren Teil der Straße große gelbe Sandhaufen warf. Wir hatten Anweisung, einen schmalen Straßenstreifen für Fußgänger frei zu lassen. Nun, Sie wissen, wie das ist: Der Bagger hat ein Maul, das den Sand, den es erst gierig aufnimmt, wieder ausspuckt, aber der Bagger hat keine Augen. Der Baggerführer konnte nicht über alle Sandhaufen hinwegsehen. So kam es, dass oft auch der Gehsteig zugeschüttet wurde. Die Fußgänger mussten über Sandhaufen hinwegturnen. Das zu sehen, hat uns manchmal Freude gemacht. Ich kann das besonders von mir sagen.

Ich schaufelte damals allein am Ende der Grube und planierte den Grund, der mit Beton ausgegossen werden sollte. Meine Kolonne arbeitete etwa fünfzig Meter von mir entfernt hinter dem Bagger. Ich muss gestehen, dass ich gern ab und zu allein arbeite, weil man gut dabei denken kann. Im vorigen Jahre aber kam es mir besonders zustatten; ich hatte viel nachzudenken und musste mit mancherlei Dingen fertig werden.

Es war ein Frühlingstag wie heute. Die Sonne knallte gegen die grauen, sich abpellenden Häuserfassaden. Die Sperlinge schilpten aufgeregt unter den Dachvorsprüngen und vergrämten verwilderten Tauben die Nistplätze. Die kleinen Feuerkiesel im frisch ausgeworfenen Sande glitzerten, und der Sanddamm zog sich wie ein goldener Streifen durch das Straßengrau. Mehr kann man von einem Frühling in unserer Gegend bis jetzt nicht verlangen. Ich hatte an diesem Tage gut geschafft, obwohl ich viel nachgedacht hatte. Ich hatte an Petra gedacht und zu ergründen versucht, weshalb man bei ihr sowenig vom Frühling spürte. In jenem Frühling, als ich sie kennenlernte, hatte sie Augen für alles. Jeden Abend hatte sie eine Überraschung für mich; aber ich erfreute sie auch, das muss ich wohl der Gerechtigkeit wegen sagen. Kurzum, vorigen Frühling ließ Petra mich sehr allein, und ich hatte eigentlich nur mein vierjähriges Töchterchen Paula. Die Kleine wollte jeden Abend bei mir einschlafen. Ich erzählte ihr Geschichten, bis wir zusammen wegschlummerten. Petra schien das recht zu sein. Es kam selten vor, dass sie der Kleinen sagte: »Heute muss der Vater mir eine Geschichte erzählen.« In dieser Hinsicht war es also ein spärlicher Frühling, und es lohnte sich, während der Arbeit darüber nachzudenken.

Ich wurde an diesem Tage durch Frau Daniel aus meinen Gedanken gescheucht. Damals wusste ich zwar noch nicht, dass es sich um Frau Daniel handelte, doch ich sage es hier der Ordnung halber. Stellen Sie sich vor, na, sagen wir rundheraus: Eine Dame, brünett und zierlich, mit Mandelaugen im schmalen, leicht angebräunten Gesicht. Von den Beinen und vom Gang der Dame will ich erst gar nicht reden. Sie wissen selbst, welcher Gang zu dieser Figur passt. Ein Gang jedenfalls, der selbst einem Greis ein Kopfnicken ablockt. Dazu kam ein Leberfleck im rechten Augwinkel, über den ich eine ganze Geschichte erzählen könnte, wenn ich nicht fürchten würde, mich noch nachträglich lächerlich zu machen.

Frau Daniel stieg also an diesem Tage über den Sandhaufen an meiner Arbeitsstelle und stieß dabei einen girrenden Laut aus, der mir den ganzen vorigen Frühling nicht aus dem Blut ging. Sie sagte kein Wort, aber dieser Laut genügte. Ich schaute auf, und es traf mich ein langer Blick aus den Mandelaugen. In dem Blick schien mir damals vieles zu liegen. Der Frühling spiegelte sich darin und die Sehnsucht nach einem Männerarm, auf den sich die brünette Frau Daniel beim Übersteigen des Sandberges hätte stützen können. Kurzum, der Blick war wie eine Stichflamme, und ich muss in diesen Tagen wie Zunder gewesen sein. Ich sah der Frau eine Weile nach, bis sie auf der Höhe der Kolonne war, dann machte ich mich wieder an die Arbeit. Ich kann mir nicht denken, dass ihr irgendein Mann anders nachgeschaut hätte, es sei denn ein vertrockneter, und von der Art bin ich wahrhaftig nicht. Der Vorfall beschäftigte mich wohl eine Stunde, vielleicht sogar länger. Ich erinnere mich, dass ich überlegte, wie Frau Daniels Mund aussah und ob er von Natur so rot war, wie ich ihn in Erinnerung hatte.

Am Abend hatte ich die Begegnung mit Frau Daniel jedoch vergessen. Oder hatte ich sie nicht vergessen? Unsere Wohnküche schien mir plötzlich dumpf und klein. Ich verspürte Verlangen, draußen oder in hohen Räumen zu sein. Es fiel mir nicht schwer, meine Frau zu einem Spaziergang durch den Friedrichshain zu überreden. Petra schien darauf gewartet zu haben, dass ich mit ihr hinausgehen würde. Ich weiß nicht, wie es kam, aber wir rannten fast durch den Park. Mir war eine Unruhe in die Füße gekrochen, mit der ich ganze Bezirke hätte durcheilen können. Petra versuchte, mich auf dies und das aufmerksam zu machen, um meine Hast zu hemmen. Sie konnte zum Beispiel sagen: »Alle Knospen öffnen sich jetzt.« Ich nickte nur dazu, und als sie später bemerkte: »Weißt du noch, der Frühling vor sechs Jahren?«, nickte ich wieder. Es war mir recht, als Petra vorschlug, in ein Kino zu gehen. Man spielte einen italienischen Liebesfilm, aber es war mir gar nicht recht, als Petra bei entsprechenden Stellen vorsichtig ihre Hand in die meine schob. Ich gestehe, dass ich mich um diese Zeit leise an Frau Daniel erinnerte. Am nächsten Morgen aber hatte ich die Begegnung mit ihr vergessen wie etwa meine Konfirmation.

Der nächste Tag verging bis zum Nachmittag wie alle anderen Tage. Ich arbeitete gut und gab sicher niemandem Anlass, über mich zu klagen. Ich dachte an meinen Antrag auf eine größere Wohnung, den ich vor einigen Monaten gestellt hatte. Ich ärgerte mich, weil ich vergessen hatte, in dem Antrag zu vermerken, dass ich als Bestarbeiter Wert auf hohe Räume lege.

Der Nachmittag kam heran und mit ihm die Aussicht auf den Feierabend, mit der die Arbeit sich fast von selbst tut. In dieser schönen Zeit des Tages stieg Frau Daniel wieder über den Sandhaufen in meinem Schachtabschnitt. Der Hügel war seit dem Vortage höher geworden. Diesen Umstand betrachtete ich in den nächsten Tagen und Wochen als ein großes Glück, das sage ich frei heraus. Frau Daniel sagte, als sie an diesem Tage über den Sandhaufen stieg: »Widerlich, immer dieser Sand hier!«

Diese Worte waren an mich gerichtet. Jeder Mensch auf der Welt hätte das so empfunden, denn ich war allein im unteren Schachtabschnitt, wie ich schon sagte. Ich glaube, Röte stieg mir ins Gesicht. Ich arbeitete nichtsahnend und wurde von einer Dame angesprochen, die mich am Vortage immerhin einige Zeit beschäftigt hatte. Das war mehr, als ich hätte erwarten können. Ich verhielt mich auch danach, das heißt, ich sagte kein Wort, denn ich gehöre nicht zu den Leuten, die gehobelte Worte zur Verfügung haben, wenn sie unerwartet angesprochen werden. Und dann traf mich wieder dieser Blick, aber er schien mir dieses Mal nicht nur den Frühling, sondern zehn Bitten und mehr zu enthalten. Es kann auch sein, dass Hilflosigkeit in diesem Blick war, so genau weiß ich es nicht mehr; denn ein Mann, dem der Frühling im Blute rumort, findet in einem Frauenblick manchmal mehr, als seine Absenderin darin einpackte.

Als Frau Daniel vorüber war, fiel mir ein, was ich hätte sagen können. Es fielen mir ungeheuer geistreiche Erwiderungen ein, die ich hier nur der Vollständigkeit halber wiederzugeben versuche. Ich hätte zum Beispiel sagen können: Madame, wie Sie aussehen, müsste es ein leichtes sein, über diesen Sandhaufen hinwegzuschweben, oder: Wenn ich ein solcher Sandhaufen wäre, ich würde mich vor Ihnen verbeugen, schöne Dame.

Wie gesagt, ich hätte derlei nette Anzüglichkeiten aussprechen können, hatte aber aus den erwähnten Gründen geschwiegen, und es kam an diesem Tage zu weiter nichts mit mir und Frau Daniel. Ich merkte aber, dass etwas in mir vorging, denn an diesem Tage entfloh mir die Erinnerung an Frau Daniel auch nach einer Stunde nicht. Ich unterbrach zuweilen meine Arbeit, weil mich Gedanken und Vorstellungen überwältigten, die man gleichsam in ruhender Stellung verdauen musste.

Am Abend war Petra nicht daheim. Das kommt vor, denn Petra ist Straßenbahnschaffnerin und geht zuweilen erst am Mittag zur Arbeit. Ich holte wie sonst unsere Paula von der Flurnachbarin, einer alten Rentnerin, ab. Zu dieser Frau wurde unsere Kleine gebracht, wenn der Kindergarten geschlossen wurde und wenn weder Petra noch ich daheim waren. Die Kleine hatte viel zu erzählen. »Nicht, Vater, wenn die Frau kommt und gibt dir einen Apfel mit roten Backen, dann nimmst du ihn nicht. Paula nimmt ihn auch nicht. Paula ist klug.«

Ich stutzte, dann aber wurde mir gewiss, dass unsere Paula an das Märchen von Schneewittchen dachte, wenn sie von einer Frau und einem roten Apfel erzählte.

»Vater, du sagst heute gar nichts.« Die Kleine sah mich forschend an.

»Nein, ich sage heute nichts.«

»Hast du Zahnschmerzen wie Mutti einmal?«

»Ich habe etwas im Kopfe, und nun gut, sei still und spiel!«

»Vater, zeig mir, was du im Kopfe hast.«

Herr des Himmels, bin ich etwa eine Kindergartentante, ein Küchenchef und alles miteinander? tobte es in mir. Ich band Petras Schürze ab, die ich zum Kartoffelschälen umgebunden hatte, und warf sie in eine Ecke. Paula hob sie auf, schob sich einen Küchenstuhl zum Handtuchhalter und hängte die Schürze dort an.

»Jetzt wirst wohl du mir noch Ordnung beibringen wollen?« fuhr ich das Kind an. Ich entriss ihm die Schürze und warf sie wieder in die Ecke. »Nicht genug, dass ich hier Woche um Woche meine Mannesehre in lumpige Familienmittagbrote einkoche, jetzt wirst mir gar du bewindeltes Kind noch zeigen, wo eine Schürze zu hängen hat.«

Das Mädchen begann zu greinen.

»Sei ruhig, Kind!« sagte ich sanfter.

»Erst zeigst du mir nicht, was du in deinem Kopf hast, dann schimpfst du mit mir«, beklagte sich Paula.

Ich warf das Küchenmesser in die Schüssel mit den geschälten Kartoffeln. Das Wasser spritzte auf. Paula gefiel das. »Mach das noch einmal, Vater!«

Versteht sich, dass ich es nicht noch einmal machte. Mein Zorn über die Küchenarbeit war kein Kinderspaß! Wenn hier etwas zu machen war, dann nur eine Steigerung meiner Wut. Und ich steigerte: Ich stülpte die Schüssel mit den geschälten Kartoffeln um. Das Wasser rann vom Tisch auf den Fußboden. Paula versuchte, die Bächlein mit den Händen, die sie zu einer Schale formte, aufzufangen. Ich gab mich geschlagen. Hier konnte man nicht einmal einen anständigen Wutanfall in die Welt setzen. Er wurde zu einem läppischen Kinderspiel herabgewürdigt.

»Wo hast du deinen Mantel?« fragte ich Paula. »Wir essen heute auswärts.«

»Und das schöne Wasser?«

»Mach mich nicht noch verrückter! Das ist dein Mantel? Einen besseren hast du nicht? Wer uns sieht, muss denken, dass ihn schon fünf Kinder vor dir getragen haben.«

Paula verstand nicht, was ich an ihrem Mantel auszusetzen hatte, aber sie wollte wissen, wie auswärts schmeckt.

»Red nicht und komm!«

»Du hast gesagt, dass wir auswärts essen. Sind das die langen Bonbons mit Honig drin?«

»Wenn du nicht puppenstill bist, steck ich dich ins Bett und geh allein weg.«

Paula greinte wieder. Ich riss sie hoch, nahm sie unsanft auf den Arm, schloss die Wohnungstür ab und rannte hastig wie ein Kindesentführer mit dem nörgelnden Mädchen auf die Straße. In einer Bäckerei kaufte ich drei Schaumrollen und eilte dann, immer noch die Kleine auf dem Arm, in den Friedrichshain. Ich setzte mich auf eine Bank, gab Paula das Päckchen mit den Schaumrollen und hatte meine Ruhe. Die Kleine verschwand kauend hinter den Sträuchern.

Ich dachte an dies und das: Was würde Petra sagen, wenn sie die Verwüstungen in der Küche vorfand? Ich dachte aber auch, was geschehen würde, wenn Frau Daniel hier vorüberkäme. Kaum hatte ich das bis in alle Einzelheiten ausgedacht, da kam sie schon. Sie kam den schwarzen Schotterweg herunter, und ich sah ihr brünettes Haar glänzen. Was sollte ich tun? Noch bestand die Möglichkeit, dass sie den Nebenweg benutzen würde, der etwa zehn Schritte vor meiner Bank abzweigte. Eine andere Möglichkeit war, dass sie mich noch gar nicht kannte. Ich rutschte auf der Bank hin und her. Die dritte Möglichkeit war, aufzustehen und schnell den Ausgang des Parks zu erreichen. Dort konnte ich mich in den Verkehr mischen und war vor der unverhofften Begegnung mit Frau Daniel geschützt. Auf keinen Fall sollte sie mich wie eine Amme im Park vorfinden. Da fiel mir Paula ein. Ich konnte nicht wegrennen und das Kind im Park lassen.

Die Dame Daniel kam näher. Sie benutzte den Nebenweg nicht. Sie musste an meiner Bank vorbeikommen. Da fiel mir eine vierte Möglichkeit ein: Musste ich Frau Daniel sehen? Ich konnte ihr den Rücken zuwenden. Das tat ich auch. Ich hielt den Atem an und betrachtete wie ein frühlingsbesessener Biologielehrer unverwandt die Zweige eines Schneebeerenstrauches. Ich fühlte die Schritte in meinem Rücken. Sie waren kaum zu hören, weil mein Herz sie überlärmte. Das leise Knirschen hörte auf. Kein Zweifel, die Dame Daniel war stehengeblieben. Ich erwog, ob ich mich umschauen sollte. Nein, weshalb sollte ich mich umschauen? Jetzt erinnerte sich die Brünette sicher an meinen Rücken. So musste sie mich gesehen haben, wenn sie über den Sandhaufen an meiner Arbeitsstelle stieg. Sie räusperte sich. Mir schien, als läge auch in diesem Räuspern etwas von dem girrenden Ton, der mich am ersten Tage bei ihrem Nahen hatte aufhorchen lassen.

Trotzdem drehte ich mich nicht um; aber die Dame begann zu sprechen: »Verzeihung bitte, ist das …«

Ich fuhr herum. Nie und nimmer war das die einschmeichelnde Stimme der Frau Daniel! Ich riss die Augen auf. Ein anderes Weib stand vor mir. Gewiss, es war brünett, aber es waren bereits weiße Haare über seiner Stirn zu sehen. Und die Figur, du lieber Gott, wo hatte ich meine Augen gehabt? War es schon so weit mit mir gekommen, dass ich überall Frau Daniel sah?

»… aber ist das Ihr Töchterchen, das dort auf den Rabatten die Stiefmütterchen ausrupft?«

»Um Gottes willen, ja!« Ich sprang auf, stotterte: »Danke, danke, sehr liebenswürdig«, und suchte unsere Paula auf. Ich fand sie in einem Blumenbeet, beide Hände voll ausgeraufter Stiefmütterchen. Die letzte Cremerolle hatte sie in ein Mauseloch gestopft. –

Daheim traf ich Petra beim Aufwischen. Sie wischte das Kartoffelwasser vom Boden, machte ein gequältes Gesicht und erwiderte meinen Gruß kaum. Vielleicht war mein Gruß auch so, dass man ihn nicht erwidern konnte. Ich muss sagen, dass ich auf eine Auseinandersetzung mit Petra rechnete, ja, ich forderte sie sogar heraus. Ich setzte mich wie ein Klotz an den Küchentisch und starrte in die Zeitung. Petra arbeitete verbissen, stellte die Kartoffeln auf den Herd und bereitete unser gemeinsames Abendbrot vor. Nach einer Weile hielt ich es nicht mehr aus, dass meine innere Wut und Unzufriedenheit nicht anerkannt wurde.

»Musst du auch noch daheim mit diesen dicken Mannshosen umherrennen?« fragte ich Petra. »Du legst wohl keinen Wert mehr darauf, eine Frau zu sein, oder wie?«

»Keine Frau?« erwiderte Petra spitz. »Mache ich nicht das Essen wie deine Hausangestellte?«

»Das verlange ich nicht von dir, werde ich dir sagen.«

»So, du verlangst es nicht, aber was soll werden?«

»Hat der Mensch so etwas gehört? Ich kann bequem im Gasthaus essen, und wenn ich verrückt werde, so nehme ich dich noch mit auf meine Rechnung.«

Hätte sie nicht still sein können nach diesem großartigen Angebot?

Nein, sie blieb nicht still: »Dir scheint es gut zu gehen. Hast du Zulage bekommen, oder denkst du nicht mehr an die Couch, die wir uns ausgesucht haben?«

Sollte ich die Antwort darauf schuldig bleiben? Sollte sie immer das letzte Wort haben bei ihrem geringen Lohn als Straßenbahnschaffnerin? Sie spielte sich auf, als müsste sie mich und die ganze Familie erhalten.

»Eine Couch!« sagte ich aufreizend. »Willst du so ein erhabenes Ding in diesen niedrigen, muffigen Räumen aufstellen? Wozu? Ich werde mich nicht auf so eine Vorrichtung legen, wenn ich fürchten muss, dass mich die Zimmerdecke am Atmen hindert.«

Wir rieben uns mit Worten. Wie ich vor zwei Stunden, warf jetzt Petra die Hausarbeit hin, brachte das schreiende Mädchen zu Bett und war bereit, mit mir in eine Gastwirtschaft zu gehen. Jedes tat mit Ingrimm, was es für nötig hielt, um sich für diesen sonderbaren Ausgang fertig zu machen. Mein Blick fiel auf die verbissene Petra. Sie stand halb nackt vor dem Schrankspiegel im Schlafzimmer. Eine Erinnerung an den Frühling vor sechs Jahren überkam mich. Ich wusste auf einmal wieder, weshalb ich damals so verliebt in dieses etwas mollige Mädchen gewesen war.