Permacrisis - Gordon Brown - E-Book

Permacrisis E-Book

Gordon Brown

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Beschreibung

Drei der international angesehensten und erfahrensten Denker unserer Zeit hielten während der Coronapandemie regelmäßig Zoom-Calls ab. Immer ging es um ernste Themen: stotterndes Wachstum, steigende Inflation, unzureichende politische Reaktionen, eine eskalierende Klimakrise, zunehmende Ungleichheit, wachsender Nationalismus, ein Rückgang der globalen Zusammenarbeit. In "Permacrisis" beschreiben sie ihren innovativen Weg aus dieser Dauerkrise, in die uns die Fehler der Vergangenheit gebracht haben. Brown, El-Erian und Spence zeigen Ansätze auf, um Krisen zu bekämpfen und zu verhindern und um die Zukunft besser zu gestalten – zum Nutzen der vielen und nicht nur der wenigen.

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Permacrisis

Gordon Brown, Mohamed A. El-Erian, Michael Spence mit Reid Lidow

Die Originalausgabe erschien unter dem Titel PERMACRISIS: A Plan to Fix a Fractured World

ISBN 978-1-3985-2561-0

Copyright der Originalausgabe 2023:

Copyright © 2023 by Gordon Brown, Mohamed A. El-Erian and Michael Spence with Reid Lidow

First published in Great Britain by Simon & Schuster UK Ltd, 2023

Copyright der deutschen Ausgabe 2024:

© Börsenmedien AG, Kulmbach

Übersetzung: Sebastian Politz

Coveridee: Craig Fraser, S&S Art Dept.

Covergestaltung: Johanna Wack

Gestaltung, Satz und Herstellung: Timo Boethelt

Illustrationen: Martin Lubikowski

Lektorat: Sabine Runge

Druck: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 978-3-86470-986-9

eISBN 978-3-86470-987-6

Alle Rechte der Verbreitung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Verwertung durch Datenbanken oder ähnliche Einrichtungen vorbehalten.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar.

Postfach 1449 · 95305 Kulmbach

Tel: +4992219051-0 · Fax: +4992219051-4444

E-Mail: [email protected]

www.plassen.de

www.facebook.com/plassenverlag

www.instagram.com/plassen_buchverlage

Für unsere Familien

INHALT

Prolog

Permakrise: Das Wort des Jahres 2022

Abschnitt 1: Wachstum

1 Rückenwind für Wachstum

2 Gegenwind für Wachstum

3 Nachhaltigkeit und Sicherheit

4 Produktivität und Wachstum

5 Änderung der Wachstumsgleichung

Abschnitt 2: Konjunktursteuerung

6 Wie schnell sich die Welt verändern kann

7 Das Gute an der Konjunktursteuerung

8 Das Schlimme und das Bedrohliche an der Konjunktursteuerung

9 Drei Schritte zur Verbesserung der Konjunktursteuerung

10 Ein besserer Weg

Abschnitt 3: Globale Ordnung

11 Die neue Anormalität

12 Globalisierung light: „Toller Geschmack, weniger Fülle“

13 Die Wiedergeburt internationaler Institutionen

14 Die Finanzierung unserer Zukunft

15 Das Erreichen unserer globalen Ziele

Schlussfolgerung

Danksagungen

Anmerkungen

Prolog

Dieses Buch ist nicht als Ersatz für Melatonin gedacht. Ganz im Gegenteil – der Zustand der Welt hielt uns alle nachts wach und führte zu Gesprächen, deren Schlussfolgerungen dann in diesem Buch mündeten.

Wir alle kannten uns schon lange vor der Pandemie. Während der Pandemie haben wir dann unsere Gesprächsfrequenz erhöht und mithilfe von Zoom-Calls kommuniziert, um über die globalen Herausforderungen zu sprechen, die die Schlagzeilen beherrschten.

Je mehr wir über die aktuellen und künftigen Herausforderungen diskutierten, desto mehr suchten – und fanden – wir realistische Möglichkeiten, wie Regierungen etwas bewirken können; wir erkundeten, in welchen Bereichen internationale Organisationen ihrer historischen Rolle als Motor kollektiven Handelns gerecht werden können und auf welchen Gebieten wir durch die Einbindung und Zusammenführung der Zivilgesellschaft und des privaten und öffentlichen Sektors Durchbrüche erzielen können.

Unsere regelmäßigen Gespräche, in denen wir uns mit den immer größer werdenden Problemen auseinandersetzten, waren nicht nur von Sorgen über den Weg geprägt, auf dem sich die Weltwirtschaft befand. Sie machten uns auch bewusst, dass die düstere Gewissheit, die im ökonomischen, finanziellen und sozialen Diskurs vorherrscht, weder vorherbestimmt noch unvermeidlich ist. Auf der Grundlage unserer Erfahrungen brachte jeder von uns unterschiedliche Perspektiven ein. Und doch hatten wir ein gemeinsames Ziel: erreichbare Lösungen. Also schrieben wir unsere Gedanken nieder und dieses Buch ist das Ergebnis unserer Überlegungen.

Mohamed ist seit Jahrzehnten an vorderster Front in den Bereichen Wirtschaft und Finanzen tätig und bringt beträchtliche Erfahrungen und Know-how aus dem privaten Sektor in die Diskussionen ein, wobei er auch auf seine Zeit beim Internationalen Währungsfonds zurückgreifen kann. Derzeit ist er Präsident des Queens’ College, Cambridge, und zudem Chief Economic Advisor der Allianz, der Muttergesellschaft von PIMCO, wo er CEO und Co-CIO war. Neben seiner Tätigkeit als Kolumnist bei Bloomberg News und als freier Redakteur der Financial Times ist Mohamed Professor an der Wharton School of Business der University of Pennsylvania, Vorsitzender von Gramercy Funds Management und Board-Mitglied bei Barclays, Under Armour und dem National Bureau for Economic Research. Zuvor war er Vorsitzender des Global Development Council von Präsident Obama und President der Harvard Management Company.

Michael hat schon alles gemacht, vom Amt des Dekans der Stanford Graduate School of Business bis zur Beratung einiger der weltweit führenden Unternehmen sowie von Regierungen. Derzeit ist er Senior Fellow an der Hoover Institution und emeritierter Philip H. Knight Professor an der Stanford Graduate School of Business. Er war Vorsitzender einer unabhängigen Kommission für Wachstum und Entwicklung, die sich mit Wachstum und Armutsbekämpfung in Entwicklungsländern befasste. Im Jahr 2001 erhielt er den Wirtschaftsnobelpreis für seine Beiträge zur Analyse von Märkten mit asymmetrischen Informationen. Außerdem wurde er mit der John-Bates-Clark-Medaille der American Economic Association ausgezeichnet, die an Wirtschaftswissenschaftler unter 40 Jahren verliehen wird. Seine Theorien über Wirtschaftswachstum und Wettbewerb haben die Art und Weise, wie die Welt Geschäfte macht, verändert und darüber hinaus war er auch im Vorstand einer Reihe von öffentlichen und privaten Unternehmen tätig.

Gordon brachte seine Erfahrungen aus dem Leben im öffentlichen Dienst ein. Als Schatzkanzler, ein Amt, das er mehr als ein Jahrzehnt innehatte, und dann als Premierminister des Vereinigten Königreichs beaufsichtigte er die Unabhängigkeit der Bank of England, die Refinanzierung öffentlicher Dienstleistungen und Programme zur Armutsbekämpfung, den Abzug der britischen Truppen aus dem Irak und das erste Klimawandelgesetz der Welt. Ihm wird das Verdienst zugeschrieben, mit seiner Führungsstärke eine zweite Weltwirtschaftskrise verhindert zu haben, da er 2009 auf dem G20-Gipfel in London die Staats- und Regierungschefs mobilisierte, um die Welt vor dem finanziellen Abgrund zu bewahren. Heute engagiert er sich in der internationalen Entwicklungsarbeit als Sondergesandter der Vereinten Nationen für globale Bildung, der die Bemühungen um eine qualitativ hochwertige und inklusive Bildung für alle Kinder der Welt anführt, und als Botschafter der Weltgesundheitsorganisation für globale Gesundheitsfinanzierung.

Ein echter Gedankenaustausch definiert sich nicht durch eine blinde Zustimmung zu den Ansichten des anderen, sondern durch einen robusten Dialog, der Annahmen infrage stellt, Meinungen verändert und dazu führt, dass sich die Ansichten weiterentwickeln. Genau das geschah immer wieder. Unsere persönlichen und beruflichen Erfahrungen boten zwar natürliche Berührungspunkte, aber wie bei jeder guten Unternehmensfusion gab es kaum Überschneidungen und so gut wie keine überflüssigen Auseinandersetzungen.

Michael, der oftmals gerade ein Gespräch mit einem Fortune-500-Unternehmen, das mit Unterbrechungen der Lieferkette oder anderen Herausforderungen konfrontiert war, beendet hatte, klinkte sich in unsere Zoom-Calls ein, um seine Frustration darüber zu teilen, dass manche Länder sich zu sehr von äußerst unergiebigen Wirtschaftszweigen abhängig machen. Wie etwa eine einzelne ungewöhnliche Störung – ein Covid-Lockdown oder ein Brand in einer Produktionsanlage – ganze Volkswirtschaften ins Wanken bringt. Wenn sich die Staats- und Regierungschefs auf langfristige Gewinne statt auf kurzfristige politische Erfolge konzentrieren würden – wenn sie über das Durchschneiden von Bändern hinaus in die Zukunft blickten –, könnten sie ihre Wirtschaft wachsen lassen, die übermäßige Abhängigkeit vom Ausland verringern und Aufstiegschancen vergrößern.

Mohamed, der regelmäßig in der CNBC-Show „Squawk Box“ und in Bloombergs „The Open“ zu Gast ist, machte aus „Fed Speak“ ein echtes Gespräch, in dem er erklärte, wie die Tatsache, dass die Federal Reserve und andere Zentralbanken der Entwicklung hinterherhinken, dazu führt, dass immer mehr Menschen Mühe haben, über die Runden zu kommen, und die Schlangen vor den Essensausgaben länger werden. Wie wir an einen Punkt gelangt sind, an dem wir uns zu sehr auf die Zentralbanken als wesentliche politische Akteure verlassen, die Lösungen anbieten, die außerhalb ihrer Reichweite liegen. Wie die politische Koordinierung den Weg für Schuldzuweisungen frei gemacht hat.

Wenn Gordon nach einem Telefonat mit dem einen oder anderen Regierungschef beklagte, dass es nicht gelungen sei, das Vereinigte Königreich, Europa und die USA dazu zu bewegen, mehr von ihren Covid-Impfstoffreserven für die Entwicklungsländer bereitzustellen, diskutierten wir sehr bald über Impfstoffnationalismus. Dass öffentlichprivate Partnerschaften, die einen Impfstoff in Rekordzeit auf den Markt bringen, nur bis zu einem gewissen Punkt reichen können, bevor sie ins Stocken geraten. Dass es sich um ein globales Problem handelt, das eine globale Zusammenarbeit erfordert.

Bei diesen Anrufen tauschten wir uns über unsere Frustrationen und Ängste aus. Und wir tauschten uns auch über unsere Hoffnungen aus. Wir alle sind Eltern. Und wir alle sind besorgt über die Welt, die wir unseren Kindern hinterlassen. Welches Geschenk hinterlassen wir der nächsten Generation? Keiner von uns ist stolz auf den Zustand der Welt von heute, wenn wir an morgen denken.

Sie müssen nicht jeden Teil der Lösung kennen. Aber wenn Sie sich auf den Weg machen und aufgeschlossen bleiben, werden sich die Antworten von selbst ergeben. Dieses Buch ist als „Starthilfe“ gedacht – als Rahmen für die Gespräche, die hoffentlich zu Antworten und dauerhaften Lösungen führen. An einem bestimmten Punkt unserer Telefonate und Zoom-Calls schien die Entscheidung, das alles zu Papier zu bringen, nur allzu offensichtlich und natürlich.

Wir hoffen, dass dieses Buch nicht als Einschlafhilfe bei Drogerie- und Apothekenketten wie CVS oder Boots Einzug halten wird, sondern dass es ein interessantes Buch ist, das zum Nachdenken anregt und Sie nachts wachhält. Zu viele Bücher, die sich mit dem Zustand der Welt befassen, sind langatmig, was die Probleme angeht, ein bisschen kurzatmig im Hinblick auf Visionen und Details und lassen eine offensichtliche Abneigung gegen Nuancen und Komplexität erkennen. Ein solches Buch ist das vorliegende nicht.

Wir haben versucht, den roten Faden zu finden. Einige Seiten sind leichter zu lesen als andere. Einige Konzepte sind unkomplizierter als andere. Einige Beobachtungen und Beispiele werden für Ihr Leben relevanter erscheinen als andere. Aber um schnell voranzukommen, müssen wir die Kurven langsam nehmen, also bitten wir Sie um etwas Geduld. Schnallen Sie sich an. Und wir hoffen, Sie genießen die Fahrt.

Permakrise:Das Wort des Jahres 2022

Permakrise (Substantiv)

Wortformen: Plural -n

Definition: eine längere Periode der Instabilität

und Unsicherheit, insbesondere als Folge einer

Reihe von katastrophalen Ereignissen

Ende 2022 gab das Collins Dictionary sein Wort des Jahres bekannt. Zu den Anwärtern gehörten „quiet quitting“, „splooting“ und „partygate“.1 Allerdings war schon ein größerer geopolitischer „vibe shift“ (Stimmungswandel) – ebenfalls ein Anwärter auf das Wort des Jahres – im Gange. Auftritt „permacrisis“ (Permakrise).

Russland marschierte in die Ukraine ein. Die Spannungen zwischen den USA und China wuchsen. Die Inflation in den Vereinigten Staaten und in ganz Europa wütete so stark wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die Energiepreise zwangen einige Familien dazu, sich zwischen Benzin und Lebensmitteln zu entscheiden. Covid forderte weiterhin Menschenleben und ruinierte Lebensgrundlagen. Und die endlose Spur der Zerstörung durch den Klimawandel wurde durch Überschwemmungen in Pakistan und Hitzewellen in ganz Europa noch verstärkt. An der Elbe in der Tschechischen Republik enthüllte ein „Hungerstein“, der vor Hunderten von Jahren verwendet wurde, um niedrige Wasserstände zu markieren, die gewöhnlich einer Hungersnot vorausgingen, eine lange Zeit unter Wasser verborgene Botschaft: „Wenn ihr mich seht, dann weint.“2

Diese und viele andere Herausforderungen lassen keine Anzeichen einer Abschwächung erkennen – stattdessen beschleunigen sie sich nur. Genau das passiert in einer Permakrise.

Haben Sie das Gefühl, dass wir uns in einer Permakrise befinden? Denken Sie einen Moment lang über Folgendes nach: Bringen die Push-Benachrichtigungen auf Ihrem Telefon gute Nachrichten oder eher düstere Meldungen über Inflation und Invasionen? Klingen Ihre Freunde und Verwandten am Esstisch zuversichtlich, was die Sicherheit ihrer Arbeitsplätze angeht – oder sind sie besorgt, dass die Musik jeden Moment aufhören könnte und sie ohne einen Stuhl dastehen? Bekanntermaßen fragte Ronald Reagan während seines Wahlkampfs für das Präsidentenamt 1980: „Sind Sie heute besser dran als vor vier Jahren?“ Fragen Sie sich das auch? Und wie war es vor einem Jahr oder vor sechs Monaten? Haben Sie das Gefühl, dass sich die Welt in die richtige Richtung bewegt?

Wahrscheinlich fühlen Sie sich ein wenig unwohl. Es gibt nicht genug grüne Ampeln. Zu viele blinken gelb oder sind durchgehend rot. Wie sind wir also zu dieser gefährlichen Kreuzung gekommen?

Nun, wir verdanken dies einer Kombination aus unvorhergesehenen Schocks, unzureichenden politischen Reaktionen, Schwierigkeiten bei der Koordinierung und Pech. Um es klar zu sagen: Es handelt sich nicht um eine Situation, in der die Welt mit der Zeit wieder auf die Beine kommt. Ganz im Gegenteil – je länger die Welt am Abgrund steht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass noch größere Probleme auftreten. Es ist genau wie im Leben: Je länger ein Problem ungelöst bleibt, desto wahrscheinlicher ist es, dass es sich verschlimmert. Ein platter Autoreifen verlängert nicht nur den Bremsweg, er könnte auch platzen, wenn Sie mit hoher Geschwindigkeit unterwegs sind.

Es gibt eine Generation, vielleicht auch zwei, die glaubt, dass die relative Stabilität der letzten 30 Jahre normal war und diese neue Periode der Instabilität anormal ist. Das ist ein Irrtum. In Wirklichkeit waren die letzten drei Jahrzehnte der anormale Teil der jüngeren Geschichte, der durch ein schnelles Wachstum in den Entwicklungsländern, eine massive Erhöhung der Produktionskapazitäten und der Anzahl der Arbeitskräfte sowie eine entsprechende globale Stabilität mit den USA als einziger Supermacht der Welt gekennzeichnet war. Es reicht also nicht aus, zu sagen, dass sich gerade viel ändert. Unsere Denkweise orientiert sich am Gewohnten und passt sich nicht so schnell an neue Realitäten an. Wir müssen uns jedoch anpassen und diese Veränderungen aufaddieren – die Veränderungen und die zugrunde liegenden Ursachen, die diese Permakrise ausmachen – und dann einen Schritt weitergehen mit Ideen, wie wir uns in dieser zunehmend komplexen Welt zurechtfinden können.

Wenn wir nicht entschlossen handeln, besteht die Gefahr, dass ein Großteil der Anspannungen, die das Leben und die Lebensgrundlagen der Menschen schwächen, über die Belastungsgrenze hinausgeht. Und die Folgen werden weit über den Schaden für diese Generation hinausgehen. Die größte Gefahr besteht darin, dass diese Herausforderungen andauern und in problematischer Weise miteinander interagieren.

Wenn wir nicht schnell handeln, sind wir durch Untätigkeit zu einer Zukunft mit geringem Wachstum, niedriger Produktivität und größerer Ungleichheit verurteilt. Das Versprechen eines starken Wachstums, das den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten erhöht, wird einer entsetzlichen Kombination aus Stagflation und finanzieller Instabilität weichen, die langwierige Probleme wie den Klimawandel verschlimmern wird – Probleme, die schon seit Langem im Entstehen sind. Die Verschuldung wird zunehmen und Armut und Instabilität verstärken und Finanz-Desaster wie die im März 2023 in den USA zu beobachtende Kaskade regionaler Bankenzusammenbrüche, die zu Notlagen in Übersee führten, werden immer häufiger werden. Dies wird unweigerlich dazu führen, dass sich die sozialen und politischen Spannungen weiter verschärfen. Es wird sich als schwieriger erweisen, das Vertrauen in nationale und multilaterale Institutionen wiederherzustellen. Die besten Lösungen werden immer schwieriger zu finden sein, sodass wir mit dem unangenehmen Risiko von Kollateralschäden und unbeabsichtigten Folgen konfrontiert sind.

Das ist nicht der Weg, den wir gehen wollen – als Haushalte, Unternehmen, Länder und als eine Familie von Nationen. Ein solcher Weg würde unsere Fähigkeit, immer häufiger auftretende Schocks zu bewältigen, einschränken.

Die Ursachen für diese Misserfolge sind überholte Konzepte für Wachstum, Konjunktursteuerung und Unternehmensführung. Es ist alles nachvollziehbar, was daraus resultierte, von hohen Gaspreisen bis zu niedrigen Löhnen. Wie konnte es also so weit kommen?

Die Welt hat sich verändert

Wir erleben den größten geopolitischen Umbruch seit Menschengedenken – neuen Großmachtwettbewerb, Protektionismus und populistischen Nationalismus.

Die immer länger werdende Liste globaler Krisen – und vor allem unsere Unfähigkeit, die Richtung zu ändern – offenbart fatale Fehler in unserem jahrzehntealten Denken darüber, wie die Welt funktioniert. Von Modellen, die erforschen, wie Länder Wachstum erzeugen, bis hin zu der Art und Weise, wie wir unsere Volkswirtschaften und unsere integrierte Welt führen, erfordert die Bewältigung unserer größten Herausforderungen neue Ideen.

Es mangelt nicht an Beweisen dafür, dass veraltete Annahmen aufgegeben werden müssen. Die wirtschaftliche Macht hat sich von West nach Ost verschoben und die Arbeitsplätze haben sich vom verarbeitenden Gewerbe zu den Dienstleistungen verlagert. Die Welt wandelt sich von einer Welt, die in Arbeiter und Angestellte unterteilt ist, zu einer Welt, in der die wirkliche Trennung zwischen den schlecht Ausgebildeten und den gut Ausgebildeten besteht. Staaten, die früher relativ homogen waren, werden – auch dank der zunehmenden Mobilität – heterogener. Jeden Tag werden wir daran erinnert, dass die frühere Auffassung, unsere Umwelt sei uneingeschränkt belastbar, furchtbar falsch war. Und die Zeiten, in denen sich die Staats- und Regierungschefs nicht für Ungleichheit interessierten, sind vorbei, da das Unbehagen über soziale Ungerechtigkeit Fragen der Gleichheit, des Zugangs und der Teilhabe auf die Tagesordnung zwingt. Wir sehen, wie dieses Thema in den Vorstandsetagen Gestalt annimmt, da die Nasdaq neue Standards für die Börsennotierung börsengehandelter Unternehmen festlegt und die Investoren sich auf ökologische, soziale und Governance-Faktoren (ESG) konzentrieren.

Und vergessen wir nicht eine der größten Triebkräfte des Wandels – die Wissenschaft –, wo Durchbrüche in Forschung und Technologie in atemberaubendem Tempo darauf warten, genutzt zu werden. Derzeit gelingt es uns nicht, die unzähligen Vorteile von Innovationen hinreichend zu sichern, was zulasten von Wachstum und Lebensqualität geht. Innovationstalent – vom Quantencomputer bis zur künstlichen Intelligenz – hat die Fähigkeit, zu verändern, was und wie wir produzieren. Doch statt eines Jahrzehnts mit hohen Investitionen, hoher Produktivität und hohem Wachstum, in dem es uns allen durch die Anwendung von Innovationen besser geht, scheinen wir zu einem Jahrzehnt mit niedrigem Wachstum, niedriger Produktivität und geringen Investitionen verdammt zu sein.

Doch es gibt auch Zeichen der Hoffnung. Die jüngste Verabschiedung von drei Gesetzentwürfen in den USA – einer mit dem Schwerpunkt Infrastruktur, ein anderer mit dem Schwerpunkt Halbleiter und Wissenschaft und ein dritter mit dem Schwerpunkt Klimawandel, Inflation und Steuern – ist eine Ausnahme vom allgemeinen Trend. Die Gesetzentwürfe können als Anzahlungen auf Investitionsprogramme für längerfristig ökologisch und politisch nachhaltiges Wachstum betrachtet werden. Aber die Anzahlungen müssen durch wiederkehrende Zahlungen gestützt werden und es bleibt unklar, ob diese in den kommenden Jahren geleistet werden, wenn sich die Welt auf eine neue Machtdynamik einstellt.

All diesen Veränderungen liegt eine einfache, aber aussagekräftige Beobachtung zugrunde: Während jahrzehntelang die Wirtschaft die politische Entscheidungsfindung dominierte, dominiert heute die Politik die wirtschaftliche Entscheidungsfindung. In der Nachkriegszeit war die Wirtschaft der größte Einflussfaktor auf die internationale Politik. Als die Berliner Mauer in Trümmern lag, fragten sich die Länder, was sie tun könnten, um ihren Anteil am wirtschaftlichen Kuchen zu vergrößern – um von den neuen Märkten in einer sich rasch globalisierenden Welt zu profitieren. Heute hat sich das alles geändert, da Nationalismus und nationale Sicherheit zu den dominierenden Gesichtspunkten geworden sind. Die Länder konzentrieren sich zunehmend darauf, was sie tun können, um militärische, verteidigungspolitische und wirtschaftliche Sicherheit sowie Nahrungsmittel- und Energiesicherheit zu gewährleisten. Geben wir genug für unser Militär und unsere Technologie aus, um unseren Gegnern einen Schritt voraus zu sein? Stammen unsere Lebensmittelimporte aus verbündeten Ländern? Sind die Lieferketten für wichtige Rohstoffe wie Lithium und Halbleiter in einem Handelskrieg anfällig?

Doch trotz aller Rückschläge ist die Welt in den letzten 30 Jahren immer verflochtener, vernetzter und wirtschaftlich stärker integriert geworden. Logischerweise würde man erwarten, dass diese Interdependenz zu mehr Zusammenarbeit führt, aber statt Zusammenarbeit erleben wir Konfrontationen – soziale, wirtschaftliche, militärische –, die alle durch Nationalismus angetrieben werden.

Nationalismus ist die Erklärung für den Versuch Russlands, die Ukraine zu beherrschen. Nationalismus ist das Hintergrundgeräusch der zunehmenden Handelsspannungen zwischen China und den Vereinigten Staaten. Nationalismus ist die Erklärung dafür, dass Handelskriege zu Technologiekriegen werden, die durch die Verlagerung von Lieferketten, Reshoring und Allyshoring gekennzeichnet sind, das heißt die Rückverlagerung von Geschäftstätigkeiten in das Heimatland oder die ausschließliche Zusammenarbeit mit vertrauten Partnern und Verbündeten.

Während wir dieses Buch schreiben, sind wir uns des nationalistischen Gegenwinds bewusst, der unsere Welt durchschüttelt. Dieses „Wir gegen sie“-Denken hat nur zu mehr Instabilität und Unsicherheit geführt. Wenn wir diese Fortschrittshindernisse überwinden und diese Permakrise beenden wollen, ist eine Veränderung erforderlich und auch möglich.

Jedes erfolgreiche Wachstumsmodell hängt von der Zusammenarbeit ab und dennoch blüht der Merkantilismus – die Förderung der Interessen eines Landes zum Nachteil der anderen. Erfolgreiche Konjunktursteuerung setzt voraus, dass die gegenseitige Abhängigkeit der Volkswirtschaften anerkannt wird, und dennoch gibt es keine koordinierten Bemühungen, um alles, von der Inflation bis zu nachhaltigen Investitionen, anzugehen. Jeder erfolgreiche Versuch, eine kooperativere globale Ordnung zu schaffen, hängt per definitionem von der Zusammenarbeit ab und dennoch tendiert die Regierungsführung in einer Welt, in der die Unabhängigkeit jedes Landes durch seine Interdependenz eingeschränkt wird, dazu, völlig unkooperativ zu werden.

Zusammengefasst brauchen wir ein neues Wachstumsmodell, ein neues Modell für nationale Konjunktursteuerung und einen neuen Rahmen für das Management der Globalisierung und der globalen Ordnung.

Ein neues Wachstumsmodell

Beginnen wir mit dem Wachstum, einem allgegenwärtigen Abstraktum in unserer heutigen Welt. Die Voraussetzungen für Wachstum – Innovationen, Investitionen, keine Vorgaben – sorgen für Schlagzeilen. Aber die Summe der Maßnahmen des Staates und des privaten Sektors, ganz zu schweigen von den Bedingungen vor Ort, prägen das Wachstumsbild, das die wirtschaftlichen Geschicke bestimmt. Man kann die Maßstäbe für das Wachstum leicht aus den Augen verlieren, von Produktivitätskennzahlen bis hin zu Einkommensungleichheit und Bildungsniveau.

Seit den 1980er-Jahren lassen sich die Wachstumsmodelle im Wesentlichen in zwei Lager einteilen. Das Modell der Liberalisierung, Privatisierung und Deregulierung verkörperte die animalischen Instinkte der neoliberalen Ära. Auf der anderen Seite gab es das exportorientierte, auf Produktion und kostengünstige Arbeitskräfte ausgerichtete Industrialisierungsmodell, das in ganz Ostasien zu einem Wirtschaftswunder führte und nicht nur in China, sondern auch in Südkorea, Japan, Singapur und anderen aufstrebenden Ländern einen Wirtschaftsaufschwung hervorbrachte.

Diese Ansätze wiesen entscheidende Mängel auf – Versäumnisse, die heute auf eine erschreckende Art und Weise offensichtlich sind. Diese Modelle der Vergangenheit berücksichtigten weder ökologische Nachhaltigkeit noch Gerechtigkeit oder nationale Sicherheit beziehungsweise räumten sie diesen Aspekten keine Priorität ein. Umweltschäden beim Wachstum von Volkswirtschaften blieben unberücksichtigt. Auf Gerechtigkeit wurde einfach nicht geachtet – ein Vorwurf, der oft gegen die Globalisierung erhoben wird, wenn sie das Versprechen, das Leben und die Lebensgrundlagen überall zu verbessern, nicht einlöste und ihre Auswirkungen tatsächlich viel ungleicher verteilt waren. Und die Lieferketten wurden ohne Rücksicht auf den Boden, auf dem sie sich befinden, und auf die großen Entfernungen, die sie überwinden, aufgebaut, was sie anfällig für Brüche machte.

Heutzutage müssen wir nach anderen Kategorien über Wachstum nachdenken. Unser Verständnis vom Nationaleinkommen muss durch andere Maßstäbe ergänzt werden, die wichtige Dimensionen des Wohlstands erfassen. Aktionäre und Interessengruppen werden neue Definitionen dafür fordern, was „nachhaltiges“ Wachstum oder akzeptable Investitionen ausmacht. Wert wird auf andere Weise gemessen werden, wobei eine nach sozialen Auswirkungen gewichtete Rechnungslegung ihren Platz neben den traditionellen Gewinn-und-Verlust-Rechnungen einnehmen wird – vielleicht sogar als gesetzliche Vorschrift. Dieser Wandel hat das Potenzial, unsere Vorstellung von „Wert“ zu verändern und uns zum ersten Mal die Möglichkeit zu geben, nicht nur Risiken und Erträge, sondern auch Ergebnisse, insbesondere soziale Auswirkungen, zu messen und zu bewerten.

Die Degrowth-Bewegung nähert sich der Frage der Nachhaltigkeit, indem sie die Endlichkeit der Ressourcen anerkennt. Doch die Schlussfolgerung der Bewegung, dass die Wirtschaft schrumpfen sollte, um den Planeten zu retten, kommt der Aussage gleich, dass wir rückwärtsgehen sollten, um vorwärtszukommen. Philosophisch gesehen ist das provokant, in praktischer Hinsicht ist das einfach nur eine schlechte Idee. Sollten wir Anreize für Unternehmen schaffen, sich nachhaltiger zu verhalten? Ohne Frage, denn sie sind Teil der Lösung. Sollten wir einen verantwortungsvolleren Verbrauch von Ressourcen fördern, sowohl von erneuerbaren als auch von nicht erneuerbaren? Auf jeden Fall. Aber falls eine Wachstumspolitik den Planeten mit Krebs infiziert haben sollte, dann würde eine Wachstumsrücknahme bedeuten, dass die Menschheit die Hände in den Schoß legt und die Behandlung ablehnt.

Es muss jedoch zu keinem Konflikt zwischen Wachstum und dem Planeten kommen.

Sie sehen, Wachstum ist Fortschritt. Wachstum hat der Welt das Tablet beschert, auf dem Sie vielleicht dieses Buch lesen, die Medikamente an Ihrem Krankenbett, die wirtschaftlichen Durchbrüche, die Milliarden von Menschen aus der Armut befreit haben. Das Problem ist die Art und Weise, wie das Wachstum erreicht wurde, und dass die alten, nicht nachhaltigen Methoden der Vergangenheit, bei denen der Profit über den Menschen gestellt wurde, sich überlebt haben und heute nicht nur dem Einzelnen und unserer Umwelt schaden, sondern auch den Volkswirtschaften.

Doch bei all dem Guten gab es auch Schlechtes. Für zu viele ist „Wachstum“ ein nichtssagendes Wort und ein gebrochenes Versprechen. Man sagt Ihnen, die Wirtschaft brumme, und doch steigt Ihr Gehalt nur um drei Prozent, während die Inflation fünf Prozent beträgt. Man sagt, Wachstum sei Fortschritt, und doch wurde die Wildnis nur durch eine Betonplatte für Parkplätze ersetzt. Man sagt Ihnen, dass Wachstum die Kosten für die Verbraucher senke, und Sie sehen, wie Maschinen und KI-Software Sie arbeitslos zu machen drohen.

Der Weg, um niedrigem, ausschließendem und nicht nachhaltigem Wachstum entgegenzuwirken, besteht nicht darin, das Streben nach Wachstum aufzugeben, sondern den Weg zu ändern, auf dem wir uns befinden. Eine Verlagerung der Wachstumsziele von einer Expansion um jeden Preis hin zu einer Konzentration auf einen Dreiklang von Idealen, die ein hohes, inklusives und nachhaltiges Wachstum betonen, kann den Volkswirtschaften und dem Einzelnen dienen.

Das 19. und 20. Jahrhundert waren eine Zeit, in der Chemie und Physik im Mittelpunkt der Innovation standen. Die drei vorangegangenen industriellen Revolutionen rund um den Verbrennungsmotor, die Elektrizität und den Computer waren von Fortschritten in Chemie und Physik abhängig. Jetzt sind alle Wissenschaften – von der Biotechnologie bis zur Informationstechnologie – bereit, eine dramatisch andere Zukunft zu ermöglichen. Das wird natürlich nicht alle unsere Probleme lösen und alle unsere Bedürfnisse befriedigen. Aber es birgt ein enormes Potenzial, um die mittel- und längerfristigen Wachstumsherausforderungen zu bewältigen.

Die größten wissenschaftlichen Umwälzungen, die sich derzeit vollziehen – in den Biowissenschaften, im Energiesektor und bei den digitalen Technologien – werden das, was wir produzieren, und die Art und Weise, wie wir produzieren, so radikal verändern, dass die traditionellen Wachstumsmodelle ersetzt werden müssen. Wachstumsmodelle, die zu sehr auf Privatisierung und Deregulierung konzentriert waren, haben ihr Verfallsdatum überschritten, da sie nun nicht mehr in der Lage sind, das nachhaltige Wachstumsniveau zu gewährleisten, das für einen steigenden Lebensstandard oder die Finanzierung öffentlicher Dienstleistungen erforderlich ist.

Die Kosten für die Erstellung eines Entwurfs einer menschlichen Genomsequenz sind von 14 Millionen Dollar im Jahr 2006 auf heute etwa 250 Dollar gesunken, ein Rückgang, der das Moore’sche Gesetz für Halbleiter übertrifft und Hoffnung auf eine Zukunft macht, in der jeder überall zu einem erschwinglichen Preis eine Diagnose erhalten kann, die Aufschluss über die zugrunde liegenden Krankheiten gibt.3 Die Batterietechnologie, am deutlichsten bei Elektroautos, wird immer besser, die Reichweiten werden größer und die Ladezeiten kürzer. Auf den Markt kommen viele neue Fahrzeuge, die eine Reichweite von mehr als 500 Kilometern haben.

Diese positiven Beispiele sollen nicht über die schlechten hinwegtäuschen. Ein übermäßiges Vertrauen in die Technologie gepaart mit einem laxen regulatorischen Rahmen kann in einer Katastrophe enden. Dies war der Fall bei der neuen Flugzeugserie Boeing 737-Max, bei der ein nicht behobener Konstruktionsfehler zu zwei Abstürzen führte, die 346 Menschenleben forderten. Größere Turbinen beim neuen Modell führten dazu, dass sich das Flugzeug anders flog als die Vorgängermodelle. Um Aufträge zu gewinnen und den Fluggesellschaften kostspielige Umschulungsprogramme zu ersparen, setzte Boeing einen Cockpitcomputer ein, der unter bestimmten Umständen Steuerungseingaben machte, um den Flugstil früherer 737-Maschinen zu imitieren. Das Problem war nur, dass weder die Aufsichtsbehörden noch die Piloten von der Existenz dieses Systems wussten. Als das System auf dem Lion-Air-Flug 610 und dem Ethiopian-Airlines-Flug 302 aktiviert wurde, waren die Piloten katastrophal überfordert.

Der Erfolg bei der Suche nach einem Covid-Impfstoff ist ein weiteres aktuelles Beispiel dafür, warum wir ein neues Wachstumsmodell brauchen. Ja, wir brauchten Erfinder. Ja, wir brauchten die Privatwirtschaft. Aber wir brauchten auch die Unterstützung und Ermutigung des Staates als Gründungspartner und Käufer, um den neuen Impfstoff in so kurzer Zeit und für ein weltweites Publikum zu finanzieren und auszuliefern und dabei das Risiko zu mindern. Öffentliche Investitionen, die durch eine angemessene finanzielle Risikoverteilung und Anreize sowie gegebenenfalls durch eine flexiblere Regulierung gestützt werden, sind weitaus wichtiger, als jedes neoliberale Modell je anerkannt hat.

Die „Tragik der Allmende“ zeigt, dass wir uns auf dem falschen Wachstumspfad befinden.4 Thematisiert vom Evolutionsbiologen Garrett Hardin im Jahr 1968 widmete sich die „Tragik“ dem Ressourcenverbrauch und dem Eigeninteresse. Mit Blick auf die Vergangenheit stellte Hardin fest, dass die Menschen ihre Schafe und Ziegen auf gemeinsame Flächen trieben, und was dann geschah, war vorhersehbar – der gesamte Viehbestand überfraß sich und erschöpfte die Ressourcen des Landes. Das ist eine Geschichte, die sich ein ums andere Mal wiederholt, von der Fischerei bis zu den Wäldern. Wo nicht-kooperative Rahmenbedingungen herrschen und die Menschen einen Anreiz haben, in ihrem eigenen Interesse zu handeln, werden die Ressourcen erschöpft und entstehen Schäden.

Wachstum muss einer Welt Rechnung tragen, die durch endliche Ressourcen begrenzt ist, von der Welt der Natur bis hin zu den vom Menschen geschaffenen Ressourcen wie Geld. Ein neues Wachstumsmodell erkennt an, dass die Technologie genutzt werden kann, um die Welt besser zu machen und die Produktivität zu steigern. Ein neues Wachstumsmodell berücksichtigt den Menschen bei der künstlichen Intelligenz und legt den Schwerpunkt auf Ergänzung und nicht darauf, die Menschen durch Automatisierung aus ihren Jobs zu verdrängen. Und ein neues Wachstumsmodell geht auf eine neue Welt ein, die durch Angebotsbeschränkungen definiert ist. In dieser Welt der neuen Wachstumsmodelle lautet das Mantra nicht Wachstum um jeden Preis, sondern Wachstum mit Blick auf die Kosten – für die Menschen und den Planeten.

Aber neue Wachstumsmodelle allein werden uns nicht aus einer Permakrise herausführen. Wir brauchen auch eine bessere Wirtschaftspolitik, um das Potenzial dieser neuen Modelle freizusetzen. Und wenn unsere Wachstumsmodelle versagen, dann versagen auch unsere traditionellen Modelle der Konjunktursteuerung, nicht nur weil sie nicht in der Lage waren, die globale Finanzkrise von 2008 und das darauffolgende geringe und ungleiche Wachstum zu verhindern, sondern auch weil sie mangels ausreichender Reformen angesichts komplexer Krisen in den frühen 2020er-Jahren ins Straucheln geraten sind.

Ein neues Modell für nationale Konjunktursteuerung

Später werden wir uns damit befassen, inwiefern die Art und Weise, wie wir unsere Volkswirtschaften führen, einen neuen Ansatz erfordert. Dabei werden wir schnörkellos darlegen, wie sowohl auf nationaler als auch auf multilateraler Ebene bestehende Versäumnisse in der wirtschaftlichen Steuerung die Aussichten auf Wachstum und Wohlstand beeinträchtigt haben, und wie notwendig es ist, den Washingtoner Konsens zu überwinden.

Der Washingtoner Konsens wird weithin mit einem neoliberalen Ansatz für Konjunktursteuerung in Verbindung gebracht, bei dem der Staat zunehmend keine Rolle mehr spielen und das Wachstum ausschließlich durch den privaten Sektor erreicht werden sollte. Tatsächlich hatte John Williamson etwas Umfassenderes und Gravierenderes im Sinn, als er 1989 die den Begriff prägende Abhandlung schrieb. Der Begriff war nie als einheitliche Wachstumsstrategie oder als Leitfaden für minimale Eingriffe eines Staates gedacht, und Williamson wählte den Namen „in völliger Unkenntnis des Gedankens, dass ich entweder ein Oxymoron oder einen Schlachtruf für ideologische Auseinandersetzungen für den nächsten Staatsstreich prägen könnte“.5

Ein neues Modell für die wirtschaftspolitische Steuerung erfordert ein Überdenken des Verhältnisses zwischen Geld- und Fiskalpolitik. Die Geldpolitik befasst sich mit den Bemühungen der Zentralbanken, eine Kombination aus Preisstabilität, Beschäftigungsstabilität, Finanzstabilität und Wachstum zu erreichen. Die Fiskalpolitik befasst sich mit der Steuer- und Ausgabenpolitik der Regierungen und hat auch eine wichtige Umverteilungsdimension. Diese Begriffe haben in letzter Zeit einige Berühmtheit erlangt, da Regierungen und Zentralbanken weltweit daran arbeiten, die steigende Inflation zu dämpfen, um eine „weiche Landung“ zu erreichen, bei der die Preissteigerungen zurückgehen, ohne dass es zu hoher Arbeitslosigkeit und geringem Wachstum kommt.

Vonseiten der US-Notenbank haben wir unzureichende Analysen, schlechte Prognosen, inkonsistente Kommunikation, Versäumnisse bei der Regulierung und Überwachung sowie verspätete politische Reaktionen erlebt.6 In der Realität bedeutet dies schmerzhafte Einschnitte für die Menschen, die mehr für alles bezahlen müssen, von Waren bis hin zu Benzin, und die sich nicht um das Konglomerat der Inflationsindikatoren der Fed kümmern, von Core CPI bis Supercore, Trimmed Mean PCE und ECI. Sie wollen eine Entlastung und bekommen sie nicht schnell genug. Das hat auch dazu geführt, dass man sich Sorgen um die Sicherheit der Ersparnisse der privaten Haushalte bei den Banken und des dort angelegten Betriebskapitals der Unternehmen macht.

Es liegt auf der Hand, dass neue Formen der Zusammenarbeit und Rechenschaftspflicht zwischen Politikern und Zentralbanken – sowie zwischen den Ländern – notwendig sind, um Krisen wie die derzeitige abzuwenden. Die Vorteile der Unabhängigkeit der Zentralbanken sind hinlänglich bekannt. Sie verfügen über das Fachwissen, die technische Kompetenz und die Fähigkeit, die Zinssätze von Monat zu Monat mit Weitblick festzulegen. Und es bedeutet auch, dass sie frei vom täglichen Druck der Parteipolitik sind. Die Regierungen können es sich jedoch nicht leisten, einen so entscheidenden Teil der Wirtschaftspolitik ihres Landes vollständig an eine Gruppe von Bankern zu übertragen, ohne die Mandate der Zentralbanken zu modernisieren, deren Rechenschaftspflicht zu verbessern und die geistige Vielfalt innerhalb dieser Institutionen zu vergrößern.

Die Reformen werden nicht zur Abschaffung der Unabhängigkeit der Zentralbanken oder zu einer Abwertung der Bedeutung des Fachwissens führen, sondern vielmehr die Notwendigkeit einer stärkeren nationalen Führung und Aufsicht bei der Festlegung der geld- und fiskalpolitischen Ziele betonen. Dieser Ansatz kann dazu beitragen, die Ära zu beenden, in der die Zentralbanken als Nonplusultra in den Mittelpunkt des Interesses gedrängt wurden.

Die Geldpolitik kann viel bewirken, aber die Zentralbanken sind nicht die einzigen Akteure – und sollten auch nicht als solche betrachtet werden. In den jüngsten Krisen sind die Fehler des fiskalpolitischen Aktivismus bei dem Versuch, die Wirtschaft anzukurbeln, ebenso deutlich geworden wie die unzureichende Aufmerksamkeit, die der Angebotsseite gewidmet wird.

Wenn wir von der „Angebotsseite“ sprechen, welche durch die Pandemie und die wachsende Lebenshaltungskostenkrise einen Aufschwung erfahren hat, umfasst diese die gesamte Struktur der Produktion und Verteilung von Rohstoffen, Arbeit, natürlichen Ressourcen und Energieströmen. Seit Jahren wird über die relative Bedeutung von Angebot und Nachfrage gestritten. Wir müssen jetzt das Gleichgewicht zwischen angebots- und nachfrageorientierter Wirtschaft neu überdenken und verstehen, dass Investitionen und ein hohes Maß an Innovation ebenso wichtig sind wie das Streben nach niedriger Inflation und offenem Wettbewerb. Und so wie Wachstum im Kontext von Umwelt- und Gesellschaftszielen verstanden werden muss, so muss dies auch für die Steuerung der Wirtschaftspolitik gelten. Wir müssen uns auch viel stärker auf die Entwicklung und den Einsatz von Talenten konzentrieren sowie auf die berufliche Umschulung/Umrüstung und die bessere Nutzung der Wirkmacht spannender Innovationen.

Immer wieder wird für eine stärkere Beteiligung des Staates an der Wirtschaft plädiert – als Investor, Koordinator, Schöpfer von Anreizen und so weiter. Aber wenn der Staat allein handelt, macht er leicht Fehler oder wird von Sonderinteressen vereinnahmt; man denke nur an das 737-Max-Desaster. Infolgedessen sind die Ergebnisse schlechter, wenn die Regierung wenig Interesse daran zeigt, die Wirtschaft zu führen. Dieses Dilemma macht deutlich, wie wichtig ein besseres Management des öffentlichen Sektors ist – ein entscheidender Teil davon betrifft die Anwerbung und Bindung von Spitzenkräften.

Früher wurde die Wirtschaftspolitik eng durch die Brille des Wachstums und – in geringerem Maße – des sozialen Zusammenhalts betrachtet, ohne Faktoren wie die Umwelt zu berücksichtigen. Heute muss die Wirtschaftspolitik an einem Dreiklang von Zielen gemessen werden: Wirtschaftswachstum, soziale Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Dieses stetige Wachstum muss auch inklusiv sein, und das bedeutet, dass wir nicht nur über soziale Gerechtigkeit reden, sondern sich diese auch in den Haushalten widerspiegeln muss. Und die Politik muss auf Nachhaltigkeit ausgerichtet sein. Was nützt ein solides und inklusives Wachstum, wenn es irgendwann aufgrund von Klimakatastrophen keine Wirtschaft mehr gibt, die es zu fördern gilt?

Wie der zweite Abschnitt des Buches zeigen wird, ist ein wesentlicher Bestandteil davon das Überdenken der Beziehung zwischen Finanzen und Industrie. Um die Finanzkrise von 2008 zu verstehen, müssen wir traditionelle Sichtweisen infrage stellen, insbesondere die Annahme, dass die Realwirtschaft immer Vorrang vor den Strukturen des globalen Finanzwesens hat und dass Veränderungen in der Realwirtschaft die Ergebnisse in der Finanzwirtschaft beeinflussen. Trotz unseres Wissens um das Ausmaß und die Bedeutung von Finanzinstituten wird das Finanzwesen naiverweise immer noch als Anhängsel behandelt und nicht als eine Kraft, die sowohl Chancen zur Veränderung als auch katastrophale Schäden für die Lebensgrundlagen mit sich bringen kann.

In den Jahren 2008 und 2009 stellten wir fest, dass das, was gemäß unserer Denkweise einst als zweitrangige Akteure, zweitrangige Praktiken und zweitrangige Dynamiken abgetan wurde, den Kern der globalen Krise bildete. Im Verborgenen gingen die Banken unverantwortliche Risiken ein, während ein bankfremder Schattensektor – weitgehend unregulierte und unbeaufsichtigte Finanzinstitute – rücksichtslos expandierte. Mit anderen Worten: Das neoliberale Modell, das davon ausgeht, dass die wichtigsten Reformen Deregulierung, Liberalisierung und Privatisierung sind, erfasst nicht mehr in ausreichendem Maße, wie eine Wirtschaft wächst und gedeiht.

Eine vernünftige nationale Wirtschaftspolitik erfordert eine Neuausrichtung der Zentralbanken, ein klareres Bild ihrer Rolle, neue Wege der Koordinierung von Geld-, Steuer- und Ordnungspolitik auf nationaler Ebene und die Einbeziehung von Prioritäten der Umwelt und der sozialen Gerechtigkeit in die wirtschaftliche Entscheidungsfindung. Zusammengenommen sind diese Veränderungen nur ein Teil einer umfassenderen Anstrengung, die zu einer Rückkehr zum Wohlstand führen kann. Wir werden weitaus radikalere angebotsseitige Maßnahmen benötigen und wir müssen Wege finden, um den Finanzsektor wieder als wahren Diener der Wirtschaft zu etablieren.

Eine neue globale Ordnung

Neue Wirtschafts- und Wachstumsmodelle bringen uns nur bedingt weiter. Die globale Ordnung und die Frage, wie sie reformiert werden kann, bilden die Grundlage für unseren dritten und letzten Abschnitt. Die Herausforderungen, mit denen wir konfrontiert sind, können nicht von Ökonomen allein gelöst werden, sondern erfordern ein gemeinsames Vorgehen auf nationaler und globaler Ebene.

Nach der globalen Finanzkrise hatte die internationale Gemeinschaft die Chance, einen neuen Weg zu einem nachhaltigeren Wachstum einzuschlagen, ergriff diese Chance jedoch nicht. Als 2020 eine Pandemie ausbrach, traten medizinischer Protektionismus und Impfstoffnationalismus offener zutage als nachhaltige Bemühungen um internationale Zusammenarbeit. Im Jahr 2021 wurde die globale Ordnung auf der COP26-Weltklimakonferenz weiter geschwächt, da sich viele Länder nicht auf eine kohlenstofffreie Zukunft einigen konnten. Und während wir diese Zeilen schreiben, halten sich die globale Koordination und sogar der Geist der Zusammenarbeit nach wie vor in Grenzen, da wir mit den anhaltenden Auswirkungen von Covid, Klimawandel, Inflation, Konflikten in Europa und zunehmenden Spannungen mit China auf den Gebieten des Handels, der Finanzen, der Technologie, der Spionageballons und in Bezug auf Taiwan zu kämpfen haben.

Unsere Herausforderungen können nicht als zusammenhanglose, eng begrenzte nationale Probleme abgetan werden, die die Länder nur isoliert betreffen. Es handelt sich um globale Probleme, die globale Lösungen erfordern. Diese Lösungen müssen jedoch erst noch gefunden werden.

Jahrelang wurde die Frage als binäre Angelegenheit dargestellt: Entweder man war für oder gegen die Globalisierung. Diese Sichtweise ging an der eigentlichen Frage vorbei, die immer darin bestand, ob wir die Globalisierung gut oder schlecht bewältigen und inwieweit wir zusammenarbeiten, damit die Globalisierung funktioniert. Heute sieht die Realität jedoch so aus, dass wir, obwohl wir in einer wirtschaftlich integrierten, sozial vernetzten und voneinander abhängigen Welt leben, die Zusammenarbeit auf eine unkooperative Art und Weise handhaben.

Das war nicht immer der Fall. Als die Welt 2008 am Rande eines Bankenkollapses war, entstand ein neues globales Wirtschaftsforum, das auf den Treffen der G20-Finanzminister aufbaute – eine G20 der Staats- und Regierungschefs, die sich als entscheidend erwies, um eine verheerende globale Depression zu verhindern. Als wir in den 1970er-Jahren mit einem Ölschock konfrontiert waren, wurde eine G7, bestehend aus dem Westen und Japan, mit einem Plan zur Wiederherstellung der Ölüberschüsse und zur Stabilisierung der destabilisierten Währungen gegründet. 1945 wurden aus den Trümmern des Krieges völlig neue Institutionen geschaffen, von der UNO über den IWF bis zur Weltbank, um parallel zum Marshallplan Armut, Hunger, Verzweiflung und Chaos zu beseitigen. Fast 80 Jahre später, angesichts zahlreicher Krisen, die ebenfalls Tod und Zerstörung bedeuten, gibt es weder einen modernen Mr. Marshall noch einen Plan.

Die heutigen Krisen – von der Hungersnot bis zur Inflation – lassen sich nicht als einmalige Ereignisse einordnen, deren Ursachen in Aggressionen, der Ausbreitung von Krankheiten oder den Schwierigkeiten der Energiewende zu suchen sind. Wie wir bereits angedeutet haben, liegen diesen vielfältigen Notlagen seismische wirtschaftliche, soziale und technologische Wandlungen zugrunde, die die Welt aus ihren vertrauten Verankerungen lösen, in denen sie in den letzten 30 Jahren verankert war: eine unipolare Welt, in der Amerika die einzige Supermacht war; eine hyperglobale Welt, in der globale Verbindungen die Menschheit immer näher zusammenbrachten; und eine neoliberale Welt, die durch Deregulierung und Kapitalismus des freien Marktes gekennzeichnet war.

Die Gefahr besteht nun darin, dass die Weltwirtschaft angesichts dieser Herausforderungen in einzelne Teile zerbricht und Wirtschaftsblöcke entstehen, die auf unterschiedlichen Ideologien und politischen Systemen basieren. Dieser Bruch wiederum wird zu Unterschieden bei „technologischen Standards, grenzüberschreitenden Zahlungs- und Handelssystemen und Reservewährungen“ führen, wie der Chefökonom des IWF, Pierre-Olivier Gourinchas, gewarnt hat.7

In dem Maße, wie die Einhaltung der bestehenden Regeln schwindet, ist das notwendige Gleichgewicht zwischen Wettbewerb und Kooperation verloren gegangen. Das Verständnis der Bedrohung der auf Regeln basierenden internationalen Ordnung und die Anpassung der Regeln an eine neue internationale Realität sind von entscheidender Bedeutung, wenn wir einen katastrophalen Zerfall aufhalten wollen, der unsere Lebensqualität senken und zu einer Zunahme der Bedrohung unserer nationalen Sicherheit führen wird.

Unser Manifest

Lassen Sie sich nicht von der Vorsilbe „Perma-“ täuschen, eine Permakrise ist nicht von Dauer.

Stellen Sie sich eine Welt vor, in der hohes Wachstum und Wohlstand nicht nur dauerhaft, sondern auch inklusiv und umweltverträglich sind. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die Staats- und Regierungschefs genau wissen, wohin sich die Wirtschaft bewegt. Stellen Sie sich eine Welt vor, in der die politischen Entscheidungsträger auf nationaler und globaler Ebene gut miteinander kooperieren.

Das kann unsere Welt sein.

Wir glauben, dass es möglich ist, viele der derzeitigen ungünstigen Bedingungen zu ändern und die nationalen und globalen Volkswirtschaften auf den Weg zu hohem, inklusivem und nachhaltigem Wohlstand zu bringen. Das ist die Wirkmacht von neu belebten Wachstumsmodellen, verbesserten Ansätzen für Konjunktursteuerung und von weiterentwickeltem Regierungshandeln.

Zusammengenommen stellen diese drei Veränderungen eine Abkehr von einem halben Jahrhundert neoliberaler Dominanz dar und bieten eine Grundlage, auf der Kooperation, Wachstum, Verantwortung, Gerechtigkeit und Eigeninteresse stehen können.

Dies sind die drei Strukturreformen, die auf den folgenden Seiten behandelt werden. Wir konzentrieren uns zunächst auf das, was wünschenswert ist. Wir zeigen, wie Maßnahmen in jedem Bereich einen wesentlichen Unterschied für das inklusive Wohlbefinden ausmachen können, und wie gleichzeitige Maßnahmen in allen drei Bereichen zu multiplikativen Effekten führen, die sich schnell summieren. Nachdem wir die Schlüsselvariablen dargelegt haben, erörtern wir, wie sich das Wünschenswerte am besten in das Machbare verwandeln lässt. Wir sind uns bewusst, dass nach praktischen und politischen Erwägungen ein schrittweises Vorgehen einem großen Knall vorzuziehen ist. Wir zeigen auf, wie sich ein schrittweises Vorgehen schnell verstärken und eine Eigendynamik entwickeln kann, die Teufelskreise in Erfolgsspiralen verwandelt und die Zusammenarbeit innerhalb und zwischen den Ländern fördert.

Die Welt verändert sich vor unseren Augen. Und wir müssen die Bedeutung der gegenwärtigen Veränderungen begreifen: erstens von einer unipolaren zu einer multipolaren Welt; zweitens von einer Hyperglobalisierung zu einer gesteuerten Globalisierung light; und drittens von einer neoliberalen Ära, in der die Wirtschaft die politischen Entscheidungen diktierte, zu einer neonationalistischen Ära, in der Politik und nationale Sicherheit nun die wirtschaftlichen Entscheidungen diktieren.

Die Welt ist im Wandel, aber wie dieser Wandel aussieht, liegt an uns.

1Rückenwind für Wachstum

Der 1,50-Dollar-Hotdog

Er ist nicht gesund, aber billig. Bei Costco bekommen Sie für 1,50 Dollar einen Hotdog mit allem Drum und Dran und mehr als einen halben Liter Limonade. Kein schlechtes Geschäft in einer Welt, in der die Inflation steigt und die Unternehmen ihre Kosten senken wollen. Und dieser Preis gilt schon seit 1985. Costco’s Chicken Bake hatte 2022 nicht so viel Glück: Der Preis wurde von 2,99 auf 3,99 Dollar erhöht, während die Preise für Limonaden um zehn Cent stiegen. Aber der Hotdog ist etwas Besonderes.

Man musste kein Wirtschaftsprüfer sein, um zu erkennen, dass Costco bei seinem Hotdog-Geschäft den Kürzeren zog. Deshalb bat Costco-CEO Craig Jelinek seinen Vorgänger, Costco-Mitbegründer Jim Sinegal, um seinen Segen für eine Preiserhöhung beim Hotdog. Jelinek sagte zu Sinegal: „Wir können diesen Hotdog nicht mehr für 1,50 Dollar verkaufen“, woraufhin Sinegal antwortete: „Wenn Sie den Preis für den verdammten Hotdog erhöhen, bringe ich Sie um. Lassen Sie sich was einfallen.“1 Und Costco ließ sich etwas einfallen.

Wie bei vielen anderen Produkten der Marke Kirkland wagte Costco auch bei den Hotdogs den Schritt, die Herstellung selbst zu übernehmen. Jelinek berichtete: „Diszipliniert durch die Aussage ‚Ihr könnt eure Preise nicht erhöhen. Ihr müsst euch etwas einfallen lassen‘, übernahmen wir das Ganze selbst und begannen mit der Herstellung unserer Hotdogs.“2 Das Ergebnis: Die Hotdogs waren nicht länger ein Verlustbringer.

Der Großteil der Costco-Einnahmen stammt aus wiederkehrenden Mitgliedsbeiträgen, nicht aus Produktverkäufen. Der Hotdog mit dem verlockenden Preis von 1,50 Dollar animiert die Leute, den Laden zu betreten. Und wenn sie dann im Laden sind, sehen sie das Messerset, die Gartenmöbel oder den Staubsauger, ohne die sie einfach nicht leben können. Dieses Geschäftsmodell hat sich bewährt und Costco zu einem Unternehmenswert von über 200 Milliarden Dollar verholfen.

Der Hotdog von Costco ist eine wirkungsvolle und schmackhafte Erinnerung daran, dass Wachstum nicht immer durch Innovationen erreicht wird, die in einer Garage im Silicon Valley entwickelt werden. Manchmal ist es so einfach wie den Preis für einen Hotdog und eine Limonade konstant zu halten – eine Entscheidung, die soziale Ziele fördert, indem sie diejenigen ernährt, die einen erschwinglichen Snack suchen, und gleichzeitig das Wachstum eines der größten amerikanischen Unternehmen unterstützt.

Der Finanzchef von Costco wurde Ende 2022 gefragt, wie lange der Preis von 1,50 Dollar noch gelten würde. Seine Antwort? „Für immer.“3

Die vier globalen Rückenwinde

Lassen Sie sich nicht von den Innovationen der Vergangenheit täuschen – wir leben in einer Welt, die von Wachstumszwängen geprägt ist. Schon ein Zehntelprozent Wachstum ist nicht leicht zu erreichen. Wachstum ist ein Kampf. Und Wachstum ist nicht einfach.

Trotz all dem Blut, der Tränen und des Schweißes, die innovative Durchbrüche hervorbringen, wird ein Großteil dieses Wachstumspotenzials durch mangelnde globale Koordinierung und wirtschaftliches Missmanagement schnell zunichtegemacht. Und so ergibt sich das Bild einer Welt, die von langsamem, angebotsbeschränktem Wachstum geprägt ist, wobei das erzielte Wachstum von Maßnahmen zur Eindämmung der Inflation durch Unterdrückung der Gesamtnachfrage sowie von alltäglichen Einflüsse, die das Angebot einschränken und nicht nachlassen werden, behindert wird. Die Inflation wird auch in Zukunft ein Problem bleiben und die Realzinsen werden höher sein als in der jüngsten Vergangenheit.

Glücklicherweise gibt es noch mehr als das Aufkommen von angebotsbeschränktem Wachstum. Jenes ist unser Gegenwind, aber es gibt auch Rückenwind, der das Potenzial hat, das Wachstum wiederherzustellen und den Volkswirtschaften wieder auf die Sprünge zu helfen. Der Rückenwind zeigt sich anhand folgender vier Wandlungen.

Wandlung 1: Schwellenländer holen auf

Erfolgreiche Entwicklungsprogramme haben in den Schwellenländern ein enormes Wachstum ausgelöst. Allein in den letzten vier Jahrzehnten hat sich der Anteil der fortgeschrittenen Volkswirtschaften am globalen BIP von etwa 60 Prozent auf 40 Prozent verringert, während die Schwellenländer eine umgekehrte Entwicklung durchlaufen haben und nun etwa 60 Prozent der Weltwirtschaft ausmachen.4 Aufholen ist schwer, aber ein Großteil der Welt hat es geschafft. Ermöglicht wurde diese Leistung durch die aufeinanderfolgenden Runden der Öffnung der Weltwirtschaft und durch den Transfer und die Anpassung von Technologie aus den fortgeschrittenen Ländern in die Entwicklungsländer. Grenzüberschreitende Wissens- und Technologieströme waren damals wichtig und sind es auch heute noch – sie sind unerlässlich, um alles zu erreichen, von einer sauberen Energiewende bis hin zu umfassenderen Nachhaltigkeitszielen.

In den letzten vier Jahrzehnten war die Weltwirtschaft einem starken Deflationsdruck ausgesetzt, der durch den Anstieg der Produktionskapazitäten in den Entwicklungsländern mit niedrigem Preisniveau verursacht wurde. China ist die größte Komponente in diesem Prozess, aber keineswegs die einzige. Diese deflationäre Entwicklung begann in Japan in der frühen Nachkriegszeit. Sie breitete sich dann auf Hongkong aus, das damals unabhängig von China war und schon früh in den Textil- und Bekleidungssektor einstieg. Mithilfe des Textilquotensystems breitete sich die Billigproduktion nach Singapur und dann nach Südkorea aus. Als sie dort ankam, ging Japan – das den Zyklus in Gang gesetzt hatte – zu Aktivitäten mit höherer Wertschöpfung über, um mit seinen höheren Einkommen Schritt zu halten. Und der Zyklus wiederholte sich, als die unterentwickelten Länder sich entwickelten und die entwickelten Länder zu fortgeschrittenen Volkswirtschaften wurden.

In Asien wurde diese Weitergabe des Staffelstabs als „Modell der fliegenden Gänse“ bekannt. In den 1980er-Jahren hatte Südkorea den Status eines Landes mit mittlerem Einkommen erreicht und der Staffelstab wurde erneut weitergegeben, diesmal an Indonesien, Thailand und etwas später an Vietnam. Der große Neuankömmling war jedoch China, vor allem in den 1990er-Jahren, nachdem die Reformen im Zusammenhang mit Deng Xiaopings „Südtour“ in Kraft getreten waren und China große Teile des weltweiten verarbeitenden Gewerbes beherrschte. Chinas Anteil am weltweiten verarbeitenden Gewerbe stieg von 3,5 Prozent im Jahr 1990 auf 30,5 Prozent im Jahr 2021.5 Die Wirkung dieses Anstiegs der Produktionskapazitäten lässt nun jedoch nach. Mit einem Pro-Kopf-Einkommen von über 12.000 Dollar ist es unmöglich, die arbeitsintensive Fertigung mit niedrigen Kosten dauerhaft zu beherrschen.6 Der Staffelstab wird also erneut weitergereicht.

Der Gesamteffekt der fliegenden Gänse war die Einspeisung einer massiven Menge an zuvor ungenutzten Kapazitäten in die Weltwirtschaft – Produktionskapazitäten und Arbeitskräfte. Und die Auswirkungen waren dramatisch. Die nachstehende Grafik zeigt die Entwicklung verschiedener Komponenten des Verbraucherpreisindex in den Vereinigten Staaten zwischen 1996 und 2017. In diesem Zeitraum stieg der Verbraucherpreisindex (VPI) um 55 Prozent.7 Nicht gehandelte Dienstleistungen wie Hochschulen und medizinische Versorgung stiegen wesentlich stärker. Währenddessen stieg eine Reihe von Konsumgütern kaum oder sank sogar, von Spielzeug bis zu Fernsehern, wobei Letztere aus Sicht der Herstellung ein arbeitsintensives Gut sind.

Quelle: Mark J. Perry, „Chart des Tages (des Jahrhunderts?): Preisveränderungen 1997 bis 2017“, American Enterprise Institute, 2. Februar 2018

Der Aufstieg der Schwellenländer hat zu einem enormen Rückgang der Preise von Industriegütern geführt. Gehen wir zurück ins Jahr 1954, als der erste Farbfernseher für Verbraucher, der RCA CT-100, für 1.000 Dollar verkauft wurde. (Inflationsbereinigt sind das heute 11.000 Dollar.8) Er bot einen nicht besonders scharfen, etwas verschneiten 15-Zoll-Bildschirm – die neueste Spitzentechnologie. Heute verkauft Ihnen jeder Costco oder Best Buy gern einen hoch auflösenden 40-Zoll-Fernseher für ein paar Hundert Dollar. Diese Methode der Kostenersparnis lässt sich auch bei Computern, Handys und vielen anderen technischen Geräten anwenden.

Quelle: BIP auf Basis von KKP; weltweiter Anteil, IWF, abgerufen am 4. Januar 2023

Die Deflation beschränkte sich jedoch nicht auf das verarbeitende Gewerbe. Die deflationären Tendenzen griffen auch auf die nicht handelbaren Sektoren über – man denke an staatliche Dienstleistungen, Bildung und das Gesundheitswesen. Im nicht handelbaren Teil der Wirtschaft haben wir es mit Waren oder Dienstleistungen zu tun, die an einem Ort produziert und verkauft werden. In den hoch entwickelten Ländern suchten also die aus dem verarbeitenden Gewerbe verdrängten Arbeitskräfte anderswo eine Beschäftigung, vor allem in dem sehr großen nicht handelbaren Teil der Wirtschaft. Durch diese Verlagerung verbesserten sich die Bedingungen für das Arbeitskräfteangebot in der gesamten Wirtschaft, was wiederum zu einer Senkung der Arbeitskosten führte und die deflationären Kräfte weit über ihren Ursprung in den handelbaren Gütern hinaus verbreitete.

Die Verlagerung der Weltwirtschaft in Richtung der Schwellenländer hat in vielerlei Hinsicht tiefgreifende Auswirkungen. Die wirtschaftliche Macht, die durch Technologie, Finanzen und Investitionen ausgeübt wird, ist dadurch stärker verteilt, das Gleiche gilt für den Marktzugang. Die Governance in wichtigen internationalen Institutionen muss sich schneller, umfassender und echter an diese neue Machtstruktur anpassen – ohne eine Erneuerung der Governance wird ein Konsens wahrscheinlich nicht erreicht werden. Angetrieben durch die Verlagerung der Nachfrage des Endverbrauchers und leistungsfähige digitale Automatisierungstechnologien, die die Bedeutung der Arbeit in Produktion und Logistik verringern, verändern sich die Lieferketten. Die Handelsgepflogenheiten folgen diesen Veränderungen schnell. Und, was vielleicht am wichtigsten ist, der Druck auf die Umwelt und die natürlichen Ressourcen nimmt zu – zusammen mit den Risiken, über die ökologischen Grenzen hinaus zu agieren.

Wandlung 2: Die Digitalisierung von allem

Die multidimensionale digitale Transformation aller Aspekte der Wirtschaft, des Finanzsektors und sogar der Gesellschaft bietet zahlreiche Möglichkeiten, die Produktivität und inklusive Wachstumsstrukturen zu fördern. Bei den digitalen Technologien handelt es sich größtenteils um Allzwecktechnologien, die das Potenzial haben, die Produktivität in allen Sektoren zu steigern. Sektorspezifische Technologien können einen sehr großen Einfluss auf den jeweiligen Sektor haben, aber wenn dieser Sektor nur einen kleinen Teil der Wirtschaft ausmacht, wird er allein das makroökonomische Bild nicht verändern. Bei den digitalen Technologien ist das anders. Die große Reichweite digitaler Technologien macht es möglich, weitreichende Wachstums- und Produktivitätssteigerungen zu erzielen.

Heute leben 56 Prozent der Weltbevölkerung, das heißt 4,4 Milliarden Menschen, in Städten oder städtischen Umgebungen.9 Die übrigen 44 Prozent der Menschheit leben in ländlichen Gegenden oder in kleinen Ortschaften. Diese Bevölkerung ist nicht annähernd in der Lage, die Dienstleistungen in Anspruch zu nehmen, die für uns in den fortgeschrittenen Volkswirtschaften in den Städten selbstverständlich sind. Darüber hinaus gibt es viele neue und expandierende Städte, in denen die Entwicklung des gesamten Dienstleistungsangebots noch lange nicht abgeschlossen ist. Die Verstädterung nimmt zu – Schätzungen gehen davon aus, dass bis 205070 Prozent der Weltbevölkerung in Städten leben werden. Dieser Umzug in die Städte und der damit einhergehende Zugang zum modernisierenden Teil der Wirtschaft sind vielversprechende Zeichen für Wachstum und Entwicklung. Digitale Technologien spielen eine entscheidende Rolle, wenn es darum geht, den Zugang zu Dienstleistungen für Bevölkerungsgruppen mit geringem Zugang zu beschleunigen. Das wiederum beschleunigt das Wachstum, indem es die wirtschaftliche Integration in einem Tempo vorantreibt, das das Tempo der Urbanisierung übersteigt. Es ist viel einfacher, jemandem in einem ländlichen Gebiet ein Mobiltelefon zur Verfügung zu stellen, als erschwingliche Wohnungen zu bauen – obwohl beides soziale Güter sind, auf die wir hinarbeiten sollten.