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Die Macht der Ewigen Krieger in der Milchstraße ist gebrochen, die Völker der Galaxis sind wieder frei. Auch in der fernen Mächtigkeitsballung Estartu neigt sich die Zeit der Tyrannen ihrem Ende zu. Nach und nach kommen die letzten Geheimnisse der Ewigen Krieger ans Licht. Perry Rhodan und den anderen Gängern des Netzes werden Zusammenhänge von kosmischer Bedeutung bewusst. Doch längst gibt es neue Schwierigkeiten: Das kosmische Gebilde namens DORIFER brütet etwas aus, von dem niemand weiß, was es bedeutet. Es öffnet sich eine Pforte in ein anderes Universum – und Perry Rhodan ist dort auf sich allein gestellt. Der Terraner wird in einen größeren Konflikt hineingezogen, als er erwartet hat …
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Seitenzahl: 542
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Nr. 166
Tarkan
Cover
Klappentext
1. Verschollen
2. Ein Chronist berichtet
3. Vielerlei Informationen
4. Die ESTARTU-Saga
5. Aufklärungsarbeit
6. Chronik der Kartanin
7. Das Buch Hexameron
8. Im sterbenden Universum
9. Gast der Hauri
10. Im Bann der Psionik
11. Das Anklam-Projekt
12. Transmitter ins Unbekannte
13. Ränke auf Gangha
14. Beodu, der Träumer
15. Abstecher nach Ylon
16. Der Sonnensucher
17. Ein blinder Passagier
18. Auf den Spuren ESTARTUS
19. Die Astrologen von Hangay
20. Ein Traum wird wahr
Nachwort
Zeittafel
Impressum
Die Macht der Ewigen Krieger in der Milchstraße ist gebrochen, die Völker der Galaxis sind wieder frei. Auch in der fernen Mächtigkeitsballung Estartu neigt sich die Zeit der Tyrannen ihrem Ende zu.
Nach und nach kommen die letzten Geheimnisse der Ewigen Krieger ans Licht. Perry Rhodan und den anderen Gängern des Netzes werden Zusammenhänge von kosmischer Bedeutung bewusst.
Er erstarrte vor Schreck.
Bis vor Sekunden war das Treiben der Psiqs zwar hektisch, aber ohne jegliche Ordnung gewesen. Dann hatten sie sich formiert und jagten von allen Seiten auf ihn zu: bunte, wahllos geformte Leuchterscheinungen, deren Strahlung umso greller wurde, je näher sie ihm kamen. Es waren Hunderttausende, Millionen. Sie drängten sich so dicht zusammen, dass der grüne Schimmer im Hintergrund des Kosmonukleotids verschwand.
Er spürte, wie sich ein fremder Druck auf sein Bewusstsein legte. Ein metallenes Band schien um seinen Schädel gespannt, und eine feindliche Kraft zog daran und schnürte es immer enger. Das Denken fiel ihm schwer. Er erinnerte sich, wie er in das Kosmonukleotid eingeflogen war. Im Innern DORIFERS war es hektisch zugegangen, wie man es aufgrund der letzten Messungen von DORIFER-Station aus erwartet hatte. Die psionischen Informationsquanten tanzten einen wirren Reigen, verschmolzen miteinander und trennten sich wieder – viel schneller, als es das Auge eines Netzgängers je beobachtet hatte.
Die Bewegung der Psiqs hatte plötzlich aufgehört. Für eine Sekunde war es im Innern DORIFERS völlig ruhig gewesen. Dann hatten sich die bunten Quanten auf ihn gestürzt, von allen Seiten, mit wahnwitziger Geschwindigkeit – als sei er der Mittelpunkt des Universums. Sie kamen von überallher, in unübersehbaren Scharen.
Jemand rief. »Perry Rhodan ...«
Das bin ich, dachte er verwundert. Wer rief?
»LEDA.«
Der Name war ihm vertraut. Aber die Gedanken kämpften sich wie durch zähen Schlamm, um zu der Stelle seines Gedächtnisses zu gelangen, an der er die Information gespeichert hatte.
LEDA! Das war die Kapsel, mit der er den Flug nach DORIFER unternommen hatte.
»Ich bin hier, LEDA«, sagte er mit matter Stimme. Schmerz wühlte in seinem Gehirn. Der Druck war unerträglich.
»Es hat eine Explosion gegeben«, sagte die Kapsel. »Ein Schwall psionischer Energie ist durch DORIFER-Tor eingedrungen. DORIFER wehrt sich. Es kommt zu Verschiebungen in der Struktur des Hyperraums.«
»Umkehren!« Die Zunge war ihm schwer.
»Ich kann nicht umkehren«, erklärte LEDA. »Ich habe die Orientierung verloren.«
»Was ... geschieht jetzt?«
»Wir sind nicht in unmittelbarer Gefahr«, sagte die Kapsel. »Es gibt keine strukturellen Einflüsse. Wir müssen warten, bis DORIFER sich beruhigt.«
»Mein Kopf ...«, ächzte er.
»Ich weiß. Du bist der eigentliche Leidtragende. Ich kann dir helfen; aber ich muss warten ...«
Die sanfte Stimme der Kapsel ertrank in dröhnendem Rauschen. Es trieb ihm die Augen aus den Höhlen. Die Umrisse der unmittelbaren Umgebung verschwanden. Er sah nur noch das bunte, wimmelnde Heer der Psiqs, das ihn unter sich begraben wollte.
In den Augenblicken des schwindenden Bewusstseins hatte er eine Vision. Das Leuchten der psionischen Informationsquanten wurde schwächer. Im Vordergrund erschien eine ungewöhnliche Sternenkonstellation. Sie bestand aus fünf Sonnen, die in hellem Rubinrot leuchteten, einer blauen Sonne und zwei grünen. Das Bild prägte sich ihm ein, obwohl sein Verstand in diesen Sekunden kaum noch funktionierte.
Die Vision verblasste. Ein Stich fuhr ihm durch den Schädel, als hätte ihm jemand eine glühende Lanze ins Gehirn gerammt. Danach war Dunkelheit.
Er fühlte sich merkwürdig leicht, als er wieder zu sich kam. Er hatte keine Schmerzen. Es war ihm ausgesprochen wohl zumute. Er lag in seinem Gliedersessel, der fast horizontal ausgefahren war. Vor ihm schwebte eine große Bildfläche. Darauf war ein Heer von Sternen zu sehen. Im Hintergrund glomm es düsterrot. Wasserstoff-Alpha, dachte er beiläufig: das Leuchten ionisierter interstellarer Gasmassen.
Er spannte die Bauchmuskeln an. Die physiosensiblen Mechanismen des Sessels reagierten sofort. Das Beinpolster sank ab, die Rückenlehne hob sich zu normaler Sitzstellung. Perry Rhodan warf einen Blick in Richtung des Chronometers. 15.43 Uhr. Er stutzte. Es war 20.25 Uhr gewesen, als LEDA DORIFER-Tor passierte. Hatte er fast 20 Stunden bewusstlos gelegen?
»Willkommen daheim in der Welt der Wirklichkeit«, meldete sich die freundliche Stimme der Kapsel. »Ich hoffe, du fühlst dich wohl.«
»Danke der Nachfrage«, antwortete er. »Ich nehme an, mein Wohlbefinden ist nicht zuletzt dir zu verdanken.«
»Ich habe mich um dich gekümmert«, antwortete LEDA. »Der Psi-Sturm im Innern von DORIFER hat dir erheblich zugesetzt.«
»Das muss wohl so sein«, sagte er. »Etwas über neunzehn Stunden bewusstlos ...«
»Einundneunzig Stunden«, korrigierte die Kapsel.
Er fuhr auf. Ein zweites Mal sah er das Chronometer an. Diesmal achtete er auf das Datum: 4. Februar 447! Er war fast vier Tage lang ohne Bewusstsein gewesen.
LEDA war ein Produkt querionischer Technik. Sie verfügte über eine autarke, synthetische Intelligenz. Wer sie für ein Nutzfahrzeug hielt, das dem Gänger des Netzes dazu diente, ins Innere des Kosmonukleotids DORIFER zu gelangen, schätzte sie weit unter Wert ein. Sie war der Partner des Netzgängers, ein Helfer in der Gefahr, jemand, mit dem man sich unterhalten konnte, und im Notfall Sanitäter, Arzt und Psychiater. LEDAS Repertoire an medo- und psychotechnischen Hilfsmitteln war auf die Person und die Beschaffenheit ihres Passagiers abgestimmt. Perry Rhodan versuchte sich auszumalen, wie LEDA ihn behandelt hatte, während er bewusstlos lag. Vermutlich hatte sie ihm Medikamente in gasförmigem Zustand verabreicht. Er hatte sie eingeatmet, und seine Schmerzen waren gewichen, die Schäden, die der Psi-Sturm in seinem Gehirn angerichtet hatte, beseitigt.
»Vier Tage«, staunte er. »Wo sind wir?«
»In einem fremden Universum«, antwortete LEDA. »Die elektrische Elementarladung beträgt null Komma eins fünf acht Attocoulomb. Nicht allzu viel Strangeness, aber immerhin.«
Nicht einmal die Eröffnung, dass er das Standarduniversum verlassen hatte und sich in einem unbekannten Kosmos befand, konnte ihn erschüttern. Es war, als hätte er in den letzten Sekunden der Ohnmacht mit einer solchen Entwicklung gerechnet.
»Vier Tage Ohnmacht, war das der Strangeness-Schock?«
»Ja«, bestätigte die Kapsel. »Es ist mir gelungen, ihn zu mildern. In diesem Zusammenhang muss ich eine Warnung aussprechen. Du bist, was deine Reaktion auf Strangeness anbelangt, auf meinen Schutz angewiesen. Mein Einflussbereich ist gering und erstreckt sich nur wenig über die physikalischen Abmessungen dieser Kapsel hinaus.«
»Keine Angst«, sagte Perry Rhodan. »Ich habe nicht die Absicht, ins Vakuum des interstellaren Raumes hinauszuspringen. Obwohl die Netzkombination mich natürlich schützen würde. Das tut sie doch in diesem fremden Universum, nicht wahr, LEDA?«
»Auf die Kombination ist Verlass«, antwortete LEDA. »Etwas anderes mag dir zu denken geben. Es gibt in diesem Universum kein Psionisches Netz – wenigstens keines, das ich wahrnehmen kann.«
Das überraschte ihn. Er hatte gelernt, dass das Netz, das aus Strängen psionischer Energie bestand, ein natürliches Produkt der Schöpfung war und als solches einen ebenso selbstverständlichen Bestandteil des Kosmos darstellte wie die Sterne, die Galaxien, das Vakuum, die interstellaren Materiewolken und die Hintergrundstrahlung, die letztes Zeugnis von dem vor langer Zeit erfolgten Urknall ablegte. In diesem Zusammenhang spielte keine Rolle, dass das, was die Gänger des Netzes das Psionische Netz nannten, von DORIFER erst vor kurzer Zeit erschaffen worden war. DORIFER hatte vor rund 50.000 Jahren innerhalb seines Einflussbereichs die Psi-Konstante aufgeschaukelt und damit bewirkt, dass die Fäden des Netzes zu Straßen wurden, die Raumschiffe mit Enerpsi-Antrieb und Netzgänger mit dem Abdruck des Einverständnisses als Verkehrswege benutzen konnten.
Schon lange vor DORIFERS Eingreifen waren die Querionen in der Lage gewesen, entlang psionischer Energiebahnen zu reisen. Für sie war das Psionische Netz immer da gewesen – jenes Netz, das natürlicher Bestandteil eines jeden Universums war. LEDA war ein Erzeugnis der querionischen Technik. Aber sie war nicht in der Lage, das Vorhandensein psionischer Feldlinien in diesem Universum zu erkennen?
Er musste eine Zeit lang nachdenken; schließlich hatte er seine Frage formuliert und sprach sie aus.
»In deinen Augen, Perry Rhodan«, antwortete LEDA, »mag ich ein wundersames Gebilde sein. Aber in mir steckt nur ein kleiner Teil des Wissens, das die Querionen besitzen. Ich kann ein Psionisches Netz nur erkennen, wenn es genauso oder ähnlich beschaffen ist wie jenes im Einflussbereich DORIFERS. Ich bin nur ein querionisches Produkt, kein Ersatz für einen Querionen.«
»Das heißt, dass wir hier festsitzen?«, fragte er verblüfft.
»Nein, das heißt es nicht. Ich besitze ein zweites Triebwerk. Ich kann dich überlichtschnell an jeden Ort bringen, nach dem dein Herz verlangt.«
»Wie wär's mit zurück nach Hause?«, fragte er.
»Tut mir leid. Ich wurde ebenso gegen meinen Willen in dieses fremde Universum geschleudert wie du. Ich weiß nicht, wo der Ausgang ist.«
Er dachte darüber nach. Er war in einem fremden Universum gefangen. Er empfand Trauer, wenn er an Gesil dachte. Sie würde sich Sorgen um ihn machen. Es gab keine Möglichkeit, sie darüber zu informieren, dass er körperlich und seelisch wohlauf war.
Um sich hatte er keinerlei Bedenken. Er empfand Wissbegierde. Es war ihm nicht die Gelegenheit gegeben worden, ein fremdes Universum zu sehen, ohne dass er sie bis zur Neige auskosten würde. Er würde das Meer der Sterne erforschen, das sich lockend vor ihm ausbreitete, und mit Kenntnissen nach Hause zurückkehren, wie sie kein Mensch vor ihm erworben hatte.
Dass es eine Heimkehr geben würde, stand für ihn fest. Ungewissheit gab es nur bezüglich des Zeitpunkts. Er fühlte eine Selbstsicherheit wie selten zuvor. Er glaubte zu spüren, dass er nicht durch Zufall in den fremden Kosmos versetzt worden war. Es war seine Bestimmung, der erste Vertreter der Spezies Homo sapiens sapiens terrestris zu sein, der diesem Universum einen Besuch abstattete.
»Ich weiß nicht, wie ich die Frage formulieren soll«, sagte er zu LEDA. »Bei der nahezu unendlichen Zahl von Universen scheint sie sinnlos. Doch gibt es einen Hinweis darauf, in welchem wir uns befinden?«
»Tarkan«, antwortete LEDA sofort.
Seine Gedanken gingen zurück in die Vergangenheit. Am Morgen des 24. Januar 447 war er von Hubei aufgebrochen, nachdem ihn die Nachricht erreicht hatte, dass DORIFER sich in einen Zustand hektischer Aktivität hineingesteigert habe, der das Schlimmste befürchten lasse.
In DORIFER-Station hatte Rhodan sich überzeugen können, dass das Nukleotid tatsächlich in ein kritisches Stadium getreten war. Einer der Spezialisten, die in der Station tätig waren, formulierte es so: »Es sieht aus, als wollte DORIFER verzweifelt einen Messenger anfordern; aber es kommt keiner.«
Messengers waren die Werkzeuge der kosmischen Enzymierung. Auf ein Signal hin kopierten sie Informationen der kosmischen Entwicklung aus einem Kosmogen, das wiederum aus mehreren Kosmonukleotiden bestand, und generierten entwicklungsmechanische Einflüsse, die zur Evolution des Kosmos in der von den kopierten Informationen vorgeschriebenen Weise beitrugen. Die Aktivität des Kosmonukleotids wies tatsächlich darauf hin, dass im Innern psionische Informationsquanten zur Kopierung aufgereiht wurden. Indes war ein Messenger – ein konzentriertes Feld aus ultrahochfrequenter Hyperenergie – nirgendwo in Sicht.
Eine Stunde lang beschäftigte sich Perry Rhodan mit den Daten, die im Lauf der vergangenen Tage aufgezeichnet worden waren. Danach stand für ihn fest, dass nur ein Inspektionsflug ins Innere DORIFERS die gewünschte Klarheit bringen werde. Man riet ihm ab. Man wies ihn auf die Gefahren hin, die ein solcher Flug bei den gegenwärtigen tumultuösen Verhältnissen im Innern des Nukleotids mit sich brachte. Perry Rhodan führte daraufhin eine Unterhaltung mit LEDA.
»Ich errechne achtzig Prozent Wahrscheinlichkeit, dass wir mit heiler Haut davonkommen«, sagte die Kapsel. »Chaotisch ist es in DORIFER des Öfteren zugegangen. Aber es gibt Möglichkeiten, die Gefahr rechtzeitig zu erkennen. Im Notfall bleibt uns die Flucht.«
Damit stand sein Entschluss fest. Am 25. Januar würde er zum Inspektionsflug aufbrechen. Bis dorthin blieben ihm noch 20 Stunden Zeit. Die wollte er auf Sabhal verbringen.
Einen halben Tag verbrachte er zu Hause. Gesil war erst vor zwei Tagen von einem Einsatz auf Al-Makhdub in der Galaxis Urumbar zurückgekehrt. Dort hatte sich ein Streit zwischen dem Ewigen Krieger Shargk und seinem Animateur Griek entsponnen. Es ging um das estartische Wunder von Urumbar, die Heliophilen Goldregenmacher. Die Netzgänger hatten auf Shargks Seite eingegriffen und die Goldregenmacher an die moralische Verpflichtung ihrem Schöpfer gegenüber erinnert. Denn schließlich hatte der Ewige Krieger das Wunder mit eigener Hand erschaffen. Als die Gänger des Netzes sich aus Urumbar absetzten, schien festzustehen, dass Griek in der Auseinandersetzung mit Shargk unterliegen würde.
Gesils Schilderung des Einsatzes war lebendig und farbenfroh. Perry Rhodan hatte die Stunden der Entspannung, des Gesprächs und der Liebe genossen, und als er Gesil in den Armen hielt, kam ihm der wehmütige Gedanke, warum es nicht immer so sein könne.
Er hing der Frage nicht lange nach. Im Lauf von zwei Jahrtausenden hatte er sie sich Hunderte von Malen gestellt. Es gab darauf keine Antwort. Er hatte seine Laufbahn selbst gewählt und dabei bewusst auf Ruhe und Beschaulichkeit verzichtet. Die Rolle des Mannes, der in geregelter Arbeitszeit seiner Beschäftigung nachging und sich im Übrigen seiner Familie widmete, hätte ihm auf Dauer kaum behagt. Wer sich dafür entschied, eine Rolle im Drama der kosmischen Gewalten zu spielen, verlor seinen Anspruch auf Freizeit und Privatleben. Was ihn beruhigte, war, dass niemand dies besser verstand als Gesil.
Am Morgen des Tages, an dem er zu seiner Inspektionsfahrt aufbrechen wollte, suchte er Geoffry Waringer in einem Forschungskomplex am Fuß der Berge im Norden der Stadt Hagon auf. Die Begrüßung war herzlich, und doch spürte Rhodan eine Spur Verdruss in Waringers Verhalten.
»Ich höre, dass du dich in letzter Zeit ziemlich rarmachst«, sagte er leichthin. »Gesil verwendet Ausdrücke wie Einzelgänger, Eigenbrötler, wenn sie über dich spricht.«
Ein mattes Lächeln huschte über Geoffry Waringers schlankes Gesicht. Er sieht älter aus, dachte Perry Rhodan. Er macht sich Sorgen.
»Gesil kann man nichts vormachen«, antwortete der Wissenschaftler. »Sie schaut glatt durch mich hindurch.«
»Was ist es also?«, fragte Rhodan. »Was bedrückt dich?«
»Die Ungewissheit«, antwortete Waringer. »Die Welt ringsum ist so durcheinander, dass ich mich auf nichts mehr konzentrieren kann. DORIFER spinnt, wenn du die Plattheit des Ausdrucks verzeihst. Drastische Ereignisse, wie sie nur von einem Bestandteil des Moralischen Codes des Universums ausgelöst werden können, stehen unmittelbar bevor. Aber wir haben nicht die geringste Ahnung, was auf uns zukommt. Irgendwie muss ein Sinn hinter dem Ganzen stecken, Perry. Es muss möglich sein, DORIFERS Aktivität zu analysieren und zu verstehen. Alles in der Natur unterliegt gewissen Gesetzmäßigkeiten, und der Moralische Code ist Bestandteil der Natur. Warum gelingt es uns nicht, DORIFER zu begreifen? Warum stehen wir ihm immer noch so hilflos gegenüber wie der Steinzeitmensch dem Blitz, dem Sturm und dem Nordlicht, die er sich auch nicht erklären konnte?«
»Dein Vergleich enthält die Antwort, wie mir scheint«, antwortete Perry Rhodan nachdenklich. »Es gibt Stufen der Erkenntnis, die wir eine nach der anderen erklimmen müssen, bevor wir den Moralischen Code verstehen können. Der Steinzeitmensch wuchs allmählich heran, lernte den Gebrauch von Metallen und entwickelte erst viel später die Theorien der Thermodynamik, des Elektromagnetismus und der Partikelphysik. Als er das getan hatte, waren Blitz, Sturm und Nordlicht keine Rätsel mehr für ihn.«
»Die Querionen«, knirschte Geoffry Waringer. »Sie wissen mehr, als sie zugeben wollen. Aber sie rücken mit ihren Kenntnissen nicht heraus. Sie sitzen auf ihnen wie die Glucke auf dem Ei.«
Der Vergleich entlockte Perry Rhodan ein Grinsen. »Vergiss DORIFER für den Augenblick«, riet er dem Mann, der in ferner Vergangenheit sein Schwiegersohn gewesen war. »Auf anderen Gebieten hast du beachtliche Erfolge erzielt. Denk nur an deine Interuniversalsonden. Was wüssten wir über den KLOTZ, wenn nicht deine Sonden gewesen wären?«
Waringer winkte ab. »Hör mir auf mit den Sonden. Sie waren dazu gedacht, ein fremdes Universum anzusteuern. Was taten sie stattdessen? Sie materialisierten an Bord eines Großraumschiffs ...«
»... das aufgrund seiner Strangeness als Bestandteil eines fremden Universums betrachtet werden musste«, fiel ihm Perry Rhodan ins Wort.
Geoffry Waringer ließ sich nicht überzeugen. »Warum kehrten sie beschädigt zurück, Perry?«, klagte er. »Keine einzige Sonde kam zurück, an der nicht das eine oder andere Gerät ausgefallen war. Wie soll man fremde Universen erforschen, wenn man laufend unvollständige Daten erhält?«
»Hast du darüber nachgedacht«, fragte Perry Rhodan, »dass es sich bei der Beschädigung der Interuniversalsonden um einen natürlichen Vorgang handeln könnte? Dass es ein Gesetz gibt, wonach ein Gegenstand beschädigt werden muss, wenn er in ein anderes Universum vordringt?«
»Strangeness-Schock auf mechanischer Basis, gewiss«, antwortete Waringer. »Er passt in meine Theorie.«
»Eine andere Frage macht mir weitaus mehr zu schaffen«, fuhr Rhodan fort. »Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass wir mit interuniversalen Transitionen zu tun haben. Wir unternahmen Vorstöße ins Universum der Druuf. Wir waren in jenem Parallelkosmos, in dem Anti-Rhodan herrschte. Warum haben wir damals keinen Strangeness-Schock gespürt?«
Geoffry Waringer verzog das Gesicht. »Manchmal wünsche ich mir, du interessiertest dich für weniger komplizierte Dinge«, brummte er verdrießlich. »Ich bin ein bescheidener Mensch; aber auch ich lasse mich nicht gerne zu dem Eingeständnis zwingen, dass ich in Bezug auf gewisse kritische Fragen völlig im Dunkeln tappe.«
»Völlig?«
»Ich habe ein paar Gedanken. Aber bevor ich sie auf ihre Richtigkeit überprüfen kann, muss die Theorie komplett sein. Von den beiden Fällen scheint mir der mit dem Druuf-Universum der einfachere zu sein. Ich glaube nicht, dass es sich damals wirklich um Übergänge von einem Universum in ein anderes handelte. Es war vielmehr so, dass die beiden Universen einander überlappten. Man befand sich im Universum der Druuf, gewiss, aber man hatte ein Stück des Standarduniversums an sich hängen – war mit ihm wie durch eine Nabelschnur verbunden, wenn du so willst. Dass es unter solchen Umständen nicht zur Entwicklung von Strangeness-Schocks kommen kann, erscheint einleuchtend. Wie gesagt, das ist Spekulation.«
»Und im Fall des Paralleluniversums?«
Waringer hob die Schultern. »Erinnere dich daran, wie der Übergang damals zustande kam«, sagte er. »Es gab eine Explosion, die so gewaltig war, dass ihre zerstörerische Kraft sich nicht mehr im Einstein-Raum austoben konnte, sondern das Gefüge der Raum-Zeit selbst angriff. Die Wand der vierdimensionalen Raum-Zeit wurde aufgerissen, und durch das Loch stürzten wir in ein anderes Universum. Der Strangeness-Schock ist ein energetischer Vorgang oder vielmehr das Resultat eines solchen. Es kann sein, dass die Energie des Effekts von der gewaltigen Explosion absorbiert wurde oder neben deren Energieentwicklung nicht mehr zur Wirkung kam. Aber das ist keine Methode für Interuniversalreisen. Nein, es muss anders gehen. Es muss uns gelingen, mit dem Strangeness-Schock fertigzuwerden, wenn wir jemals gezielt zwischen Universen hin und her pendeln wollen. Wie ist der Schirm beschaffen, der den Strangeness-Schock verhindert? Das ist die Frage, auf die wir eine Antwort finden müssen.«
»Eines Tages wirst du es wissen«, tröstete Perry Rhodan den Unzufriedenen. »Rom wurde auch nicht an einem Tag erbaut.«
»Das fehlte mir noch«, seufzte Geoffry Waringer. »Trost per antiquarisches Sprichwort.«
»Im Übrigen besteht die Möglichkeit, dass du bald neue Informationen über die Vorgänge im Innern DORIFERS erhältst.«
Waringer sah auf. »Du machst einen Inspektionsflug, nicht wahr?«
»So ganz von der Welt abgeschlossen scheinst du doch nicht zu sein.«
»Man hört hin und wieder etwas«, gab Waringer zu. »Viele halten dich für einen Narren. DORIFER ist zu gefährlich.«
»Willst du mich vom Flug abhalten?«
»Dich?« Waringer lachte. »Eher brächte ich Gold zum Rosten als dich von einem Entschluss ab. Aber ich habe Angst, das gestehe ich dir ehrlich.«
»Angst, wovor?«
Waringer schüttelte den Kopf. »Das weiß ich nicht. Etwas Ungeheuerliches wird geschehen, und du wirst mittendrin stecken.«
Daraufhin herrschte eine Zeit lang Schweigen. Als Perry Rhodan schließlich wieder sprach, tat er es zögernd und stockend, als wüsste er nicht genau, wie er sich ausdrücken sollte.
»Geoffry, glaubst du ... an eine ... ich meine ... an eine kosmische Bestimmung der Menschheit?«
»Ooh!«, machte Waringer und sah einen Augenblick lang recht erschreckt drein. »Das ist die Frage des Jahrhunderts, nicht wahr? Lass mal sehen.« Er lehnte sich bequem zurück und schlug ein Bein über das andere. »Das, was von den Philosophen als Bestimmung betrachtet wird, interpretiert einer wie ich als die Realisierung von Ereignissen mit geringer A-priori-Wahrscheinlichkeit. Eine Serie von unwahrscheinlichen Zufällen erscheint dem Philosophen als Bestimmung. Für mich ist sie Statistik, im Fall der Menschheit allerdings eine höchst seltsame Statistik, die erstaunlich oft ausgerechnet das unwahrscheinlichste Ereignis produziert.«
»Danke!«, lachte Perry Rhodan. »Ich hätte mir denken können, dass von dir keine vernünftige Antwort zu bekommen ist.«
»Einen Augenblick«, protestierte Geoffry Waringer, scheinbar gekränkt, »ich bin noch nicht fertig. Deine Frage läuft darauf hinaus, ob ich glaube, dass einer von oben an der Menschheitsstatistik dreht.«
»Ja, und?«
»Diese Frage kann ich nicht beantworten. Das wäre Wahrsagerei. Damit befasse ich mich nicht. Eines erscheint mir unvermeidlich. Es wird geschehen, ob du es willst oder nicht. Ob du daraus den Glauben an eine kosmische Bestimmung der Menschheit ableiten willst, bleibt dir überlassen.«
»Was ist das?«, wollte Perry Rhodan wissen.
»Es ist dasselbe, was für meine schlechte Laune verantwortlich ist«, sagte Waringer. Er war außerordentlich ernst. »Weil ich übel gelaunt bin – und nicht nur ich allein, sondern auch andere, die sich mit solchen Dingen befassen –, ebendeswegen weiß ich, dass es uns eines Tages gelingen wird, das Geheimnis des Moralischen Codes zu enträtseln.«
»So«, machte Perry Rhodan, ein wenig überrascht.
»Jawohl! Damit hätten wir die Antwort auf die Frage: Wer hat das GESETZ initiiert und was bewirkt es? Wenn ich mich, nur für den Augenblick, einmal deiner Ausdrucksweise bedienen darf, muss ich sagen: Es ist immer noch Teil der kosmischen Bestimmung der Menschheit, die Antwort auf die dritte Ultimate Frage zu finden.«
Perry Rhodans Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Fand er die kosmische Bestimmung der Menschheit in diesem Universum? In Tarkan lag der Ursprung der jüngsten Ereignisse, das wusste er mittlerweile. Vor seinem Aufbruch hatte er den Bericht gehört, den Fellmer Lloyd und Gucky nach ihrer Rückkehr aus der Galaxis Pinwheel erstatteten. Ihre Informationen stammten von Oogh at Tarkan, dem legendären Attar Panish Panisha, der den Anhängern des Kriegerkodex als heilig gegolten hatte, bis es ihm in den Sinn gekommen war, durch die Münder seiner Statuen zu sprechen und den Kriegerkult als eine verderbliche Irrlehre zu brandmarken.
Ein Chronist hat eigentlich nichts zu reden, aber ich sage euch: »Missachtet mir die Kosmokraten nicht!«
Mein Wort hat tatsächlich kein besonderes Gewicht. Insofern nämlich nicht, da ich selbst keine Entscheidungen treffe und keine Taten setze, sondern nur notiere, was die Ergebnisse der Entscheidungen und Handlungen anderer sind.
Und ich habe nur ein Fenster in die Vergangenheit. Dagegen stehen mir unzählige Fenster zur Verfügung, durch die ich in die Zukunft blicken kann – in Myriaden mögliche Zukünfte, unter denen ich mir jene mit der größten Probabilität aussuchen kann. Aber da ist Vorsicht geboten, denn Zukünfte mit höchstem Wahrscheinlichkeitsgehalt mussten schon solchen mit vermeintlich geringsten Chancen zur Verwirklichung weichen. Kosmonukleotide wie DORIFER – und neuerdings wieder TRIICLE-9 – haben solche »Fenster«, von denen ich gerade gesprochen habe.
Ich bin also der Chronist der Mächtigkeitsballung von ES. Und während ich dies erzähle, ist alles, worüber zu berichten ist, längst gelaufen. Und es ist sogar genauso gekommen, wie es zu befürchten stand – und dennoch ist andererseits alles anders gekommen, als man hätte voraussagen können. Das Ergebnis ist zwar das gleiche, doch der Teufel steckt im Detail. Und über Details wird in meiner Chronik einiges stehen.
Dies ist ein geschichtsträchtiger Ort, an den ich mich zurückgezogen habe. »Ort« ist eigentlich nicht das richtige Wort, denn ich befinde mich im Nichts. Der Begriff »Nichts« ist natürlich irreführend. Was ich meine, ist: Der Ort ist zeit- und raumlos, einfach nichtdimensional.
Genau hier, wo ich nun bin, hat das kosmische Schachspiel zwischen ES und Anti-ES stattgefunden, dessen Ausgang allgemein bekannt ist. Oder nicht? Nun, Anti-ES hat gegen die Spielregeln verstoßen und wurde von den Kosmokraten für zehn Relativ-Einheiten in die »Namenlose Zone« verbannt. Zehn Relativ-Einheiten, das ist eine so lange Zeit, dass es dafür nicht einmal brauchbare Probabilitäten in den Kosmonukleotiden gibt. Zehn Relativ-Einheiten, das ist auch das ungefähre Alter von ES ... könnte man sich vorstellen, aber man nehme mich nicht beim Wort, weil diese Einheiten eben etwas Relatives sind.
Die »Namenlose Zone« dagegen lässt sich mit jenem Bereich hinter den Materiequellen definieren. Mehr will ich dazu nicht sagen, weil ich von diesem Bereich nichts wissen will – mich zieht es nicht dorthin.
Nicht nur von höherer Warte aus war zu erkennen, wie schlecht es um die Mächtigkeitsballungen der Superintelligenzen ESTARTU und ES bestellt war. ESTARTU, die von ES gerne als »Schwester« bezeichnet wurde, lebte hier nicht mehr.
Der Orden der Ritter der Tiefe befand sich auf dem absteigenden Ast, denn die letzten Ritter rebellierten gegen ihre Auftraggeber, die Kosmokraten, und wollten von diesen keine Befehle mehr entgegennehmen. Es war eine ähnliche Situation wie einst in den letzten Jahren der Porleyter, und es wäre hoch an der Zeit gewesen, dass die Kosmokraten eine Nachfolgerorganisation initiierten. Die Gänger des Netzes hätten sich dafür angeboten, wenn nicht ...
Aber ich will nicht vorgreifen, als Chronist hat man sich an die strenge Abfolge der Ereignisse zu halten. Jedenfalls waren die Gänger des Netzes in den Augen der Kosmokraten eine wilde Organisation, die weder von ihnen noch von anderen höherrangigen Entitäten anerkannt wurde.
In jenen Tagen waren die sieben Mächtigen – Kemoauc, Bardioc, Partoc, Murcon, Ariolc, Lorvorc und Ganerc – nicht mehr. Wir, also ES und andere Superintelligenzen, wussten, dass der Ruf der Kosmokraten längst an andere sieben ergangen war und es Mächtige wie Kemoauc & Co. wieder gab. Nur hatte man bisher nichts von ihnen gehört, nicht einmal ihre Namen waren bekannt.
Genug auch davon.
Ich will damit beginnen, wie ich seinerzeit ebenfalls an diesem Ort war, um mich auf meinen Bericht über die Ereignisse mit den Chaotarchen vorzubereiten, die sich zwar große Mühe gegeben hatten, aber nicht eine derartige Katastrophe herbeiführen konnten wie andere Leute, die, im Gegensatz zu den Chaotarchen, eigentlich nichts Böses im Schilde führten.
Ich war gekommen, um meinen Pflichten nachzugehen, als ich merkte, dass ich nicht allein war. Ich hatte keinen Körper, einen solchen kann man hier nicht tragen, und auch das Unbekannte war körperlos, doch wir konnten einander spüren.
Ich wusste, dass jemand kommen würde, weil ein Besucher für ES angekündigt worden war.
Ich registrierte eine starke Persönlichkeit, selbstbewusst, zielstrebig, sich mächtig und schier unüberwindlich vorkommend, gewiss mit vielen Machtmitteln ausgestattet.
»Zu was für einem Duell treffen wir uns?«, eröffnete ich das Gespräch. »Hoffentlich gehen deine Erwartungen nicht über ein Wortgefecht hinaus, denn weder habe ich die Waffen für eine handfestere Auseinandersetzung, noch besitze ich deine Potenz.«
»Kein Kampf!«, sagte der andere scharf. »Ich bin hier, um von dir Rechenschaft zu fordern über einiges, was sich in deiner Mächtigkeitsballung zugetragen hat, das den Hohen Mächten nicht ins universelle Konzept passt. Und wenn wir Bilanz ziehen, wollen wir auch berücksichtigen, was alles hätte geschehen sollen und doch nicht geschah. Mir will scheinen, du verwaltest deine Mächtigkeitsballung nicht mit der nötigen Sorgfalt.«
»Oho!«, rief ich amüsiert. »Der Gesandte der Kosmokraten denkt, dass ich die Superintelligenz ES höchstpersönlich sei. Dem ist zu meinem größten Bedauern nicht so. Ich bin nur der Chronist von ES, ein völlig unbedeutender Geschichtsschreiber.«
»Erspar mir deine dummen Reden und spiele mir nicht den Narren vor«, herrschte mich der andere an. »Man hat mich gewarnt und darüber aufgeklärt, dass ES eine überaus exzentrische Superintelligenz sei, die sich an obskuren Spielchen erfreut und Schabernack mit allen und jedem treibt. Nicht mit mir! Entweder bist du ES, dann reden wir Fraktur. Bist du aber wirklich nur der Hofnarr dieser Mächtigkeitsballung, schicke mir die Superintelligenz. Es geht um Dinge von existenzieller Bedeutung, die ich nur mit der herrschenden Entität erörtern werde!«
»Ich bin so wenig ES, wie du ein Kosmokrat bist«, erwiderte ich, ohne mich einschüchtern zu lassen. »Ich kann für ES sprechen wie du für die Kosmokraten. Was hast du ES zu sagen?«
»Ich muss protestieren!«, sagte der Gesandte der Kosmokraten, aber schließlich legte er los.
Ich hörte ihm zu, ohne ihn zu unterbrechen. Es ging mir darum, die Anklagepunkte und Vorwürfe gegen ES anzuhören und mir ein Bild von dem Gesandten zu machen, herauszufinden, wer er war und in welche Kategorie er einzuordnen war. Er war nicht Carfesch, so viel stand fest, denn Carfesch hatte ein viel persönlicheres Verhältnis zu ES und hätte es nicht nötig gehabt, derart zu donnern.
Er war nicht so altgedient wie Carfesch, sondern wesentlich jünger und ohne Erfahrungen. Er wusste einfach nicht, wo's langging, wie man so sagt; er war ungehobelt und, was wohl seine sympathischste Eigenart war, geradeheraus, verzichtete auf jegliche diplomatischen Spitzfindigkeiten.
Er sprach, als sei er mit einer Superintelligenz gleichgestellt, dabei war er an Jahren sehr arm – er hätte ein Neugeborener sein können. So gesehen, war es durchaus möglich, dass er einer der von den Kosmokraten neu bestellten sieben Mächtigen war. Er wollte partout nicht seinen Namen nennen, und irgendwann gab ich es auf, über seine Identität zu grübeln.
Was er sagte, war nicht unwahr, die gegen ES gerichteten Vorwürfe waren, vom Standpunkt der Kosmokraten her, durchaus berechtigt. Aber wenn er dann in einem Atemzug sagte: »Es wird Zeit, dass ein neuer Wind durch diese Mächtigkeitsballung weht!«, gab er sich der Lächerlichkeit preis. Es war die Diskrepanz zwischen dem Wahrheitsgehalt und der Formulierung seiner Worte, die mich reizte. Solche Reden waren für ES geradezu eine Aufforderung zum Widerspruch.
Was soll man andererseits auf einen Vorwurf wie diesen erwidern?
»Es ist über die Maßen erschütternd und besorgniserregend, zu sehen, mit welcher Nonchalance ES sich über die elementarsten Pflichten hinwegsetzt und den natürlichen Gesetzmäßigkeiten entgegenarbeitet. Warum trägt ES nichts dazu bei, um so rasch wie möglich zur nächsthöheren Existenzebene aufzusteigen? Aber nein, statt die Entwicklung voranzutreiben, tritt ES auf der Stelle und tut sogar den Schritt zurück, um mit seinen Schützlingen zu kokettieren. Durch diese Einmischung in niedere Belange könnte ES es schaffen, statt zu einer Materiequelle zu einer Materiesenke zu werden. Das ist nicht, was sich die Kosmokraten als Beitrag einer Superintelligenz zur positiven Steuerung der Kosmologie vorstellen.«
Darauf gab es nichts zu sagen, denn der Grundgehalt der Anklage war wahr. Doch im selben Atemzug ES zu bezichtigen, es zuzulassen, sich zu einer Materiesenke zu entwickeln, war zu lächerlich, um darauf einzugehen. Der Gesandte spielte natürlich darauf an, dass Sotho Tyg Ian die technischen Einrichtungen geschaffen hatte, das Black Hole im Zentrum der Milchstraße in eine Materiesenke umzuwandeln – jenes Black Hole, das eigentlich dafür vorgesehen war, ES den Durchgang auf die nächsthöhere Existenzebene zu ermöglichen. Tyg Ians Chancen, seine Absicht durchzuführen, waren nicht besonders hoch – aber zum Zeitpunkt dieses Gesprächs war der Plan noch nicht vereitelt worden. Es war dennoch ein starkes Stück, ES daraus einen Strick drehen zu wollen.
Der Gesandte der Kosmokraten hatte jedoch weiteres Gift zu verspritzen, Gift, das leider mit Partikeln von großem Wahrheitsgehalt durchsetzt war.
ES, so meinte er, trage auch eine Teilschuld daran, dass das Kosmonukleotid DORIFER zu einem unberechenbaren Brüter geworden war und »seinerzeit« durch ESTARTUS unüberlegte Maßnahme die Psi-Konstante in diesem kosmischen Abschnitt unnatürlich hochgeschraubt habe.
Da es bei diesem Anklagepunkt nur sekundär um ES ging, konnte ich es mir leisten, für ESTARTU Partei zu ergreifen, der ja die Primärschuld angelastet wurde. Andere zu verteidigen ist immer edel. Darum fiel es mir nicht schwer, mich auf ESTARTUS Seite zu stellen.
Die Superintelligenz hatte ja nicht um der Sache willen am Moralischen Code gedreht, sondern die Beeinflussung des Kosmonukleotids DORIFER nur vorgenommen – oder zugelassen –, um bedrängten Völkern der unteren Existenzebene zu helfen. Und war es nicht eine der heiligsten Pflichten der Entitäten, das Leben in seiner ursprünglichsten Form zu erhalten? Das war letztlich auch im Sinn der Kosmokraten.
Der Gesandte der Kosmokraten tat die Angelegenheit damit ab, indem er erklärte, der ganze Schlamassel sei einzig und allein darauf zurückzuführen, dass ESTARTU auf dem Dritten Weg beharrte, sich also von den Kosmokraten abgekehrt hatte.
Und das war es wohl, worauf der Gesandte hinauswollte. Jetzt erst wurde mir klar, dass er ES in dem Auftrag aufgesucht hatte, die Superintelligenz zu einer Absage an den Dritten Weg zu veranlassen.
Wiewohl ich seine Absichten erkannte, stellte ich mich weiterhin dumm. »ES wird alles in seiner Macht Stehende tun, um die Dinge wieder ins Lot zu bringen«, versprach ich. »ES hat längst ein Programm zur Rettung der kosmischen Ordnung eingeleitet. DORIFER wird ganz gewiss nicht zu einem zweiten TRIICLE-9 werden, das kann ES garantieren.«
»Die Kosmokraten verlangen umfassendere Garantien«, sagte der Gesandte. »ES muss sich für oder gegen sie entscheiden. Ein halbherziger Kompromiss wird nicht akzeptiert.«
»Lass uns vorübergehend einen Kompromiss schließen«, schlug ich vor, um für ES etwas Zeit zu gewinnen, und wenn es nur einige Standardjahre waren. »Warten wir mit der Entscheidung, bis das laufende Kapitel kosmischer Entwicklung abgeschlossen ist. Das wird sehr bald sein.«
»Steht ES auf der Seite der Kosmokraten?«, fragte er unerbittlich. »Ich brauche eine klare Antwort.«
»Die kannst du haben«, sagte ich in dem Vorsatz, sie ihm nicht zu geben. »ES wird die kosmischen Angelegenheiten im Sinn der Kosmokraten regeln. Aber eines wird ES nicht tun: ES wird keinen Zwang auf seine Schützlinge ausüben, um den Willen der Kosmokraten durchzusetzen.«
Das war eine klare Absage an gewisse Methoden der Kosmokraten, in diesem unserem Universum Schicksal zu spielen. Die Formulierung war unverbindlich genug, um ES genügend Spielraum für individuelles Taktieren zu lassen.
Damit war die erste Verhandlungsrunde abgeschlossen. Wir schieden voneinander, nicht unbedingt im Groll, aber uneinig. Der Gesandte der Kosmokraten ging unzufrieden, ich war etwas besorgt über diese direkte Einmischung in die kosmischen Belange von ES.
Ich war damals kurzzeitig versucht, eine Chronik der Zukunft zu schreiben, um sie später mit den realen Ereignissen zu vergleichen. Ich verzichtete auf diese Eitelkeit.
Es ist ein eigener Nervenkitzel, nicht in die Zukunft zu blinzeln, sondern sich von ihr überraschen zu lassen.
»Alles in Ordnung?«
Gesil tauchte wie ein Geist auf. Sie erschien mir schöner denn je, obwohl sie blass wirkte. Auf den zweiten Blick bemerkte ich die dunklen Ringe unter ihren Augen, als hätte sie eine Ewigkeit nicht geschlafen. Mein Lächeln löste sich auf in einer inneren Unruhe. Ich umarmte sie und erholte mich an der Wärme ihres Körpers.
»Alles in Ordnung«, sagte ich.
»Wo ist Eirene?«, fragte Gesil. Ich spürte die Spannung in ihr und gab sie frei. Der Blick ihrer Augen loderte fast wie damals, als sie in den Gehirnen anderer schwarze Flammen entzündet hatte. Diese Phase war vorbei, und dennoch gemahnte mich etwas in ihrer Haltung an diese Zeit.
»Eirene ist bei den Lao-Sinh zurückgeblieben«, antwortete ich. »Sie wollte es so, und es gab keinen Grund, ihr das nicht zu gestatten.« Ich lächelte. »Du kennst deine Tochter und weißt, wie starrsinnig sie sein kann.«
Gesil wandte sich ab, als wolle sie nicht, dass ich ihr ins Gesicht blicken konnte. »Du hättest sie nicht allein lassen dürfen, Perry«, sagte sie. »Ich bin in Sorge um sie. Ich habe kein Auge zugemacht.«
Wir waren drei Wochen weg gewesen.
»Eirene ist siebzehn Jahre alt und seit über einem Jahr eine Gängerin des Netzes«, erwiderte ich, als sei das Argument genug, alle Sorgen hinwegzuwischen. Es reichte nicht, ich wusste es, aber eigentlich war ich viel zu müde, um Eirenes Eigensinn zum Problem zu machen und darüber zu diskutieren.
Gesil drehte sich wieder zu mir um, und diesmal schienen tatsächlich Flammen aus ihren Augen zu lodern. »Ich habe seit siebzehn Jahren nicht mehr geschlafen, Perry«, sagte sie, und da wusste ich, dass die Sache nicht mit ein paar beruhigenden Worten abgetan war. Aber was konnte ich tun?
»Ich habe nichts davon geahnt, Gesil«, sagte ich. »Was ist los mit dir? Was beunruhigt dich so sehr? Sind es die alten Ängste?«
Sie gab keine Antwort, was einer Bestätigung gleichkam. Ich hätte sagen können, dass ihre Befürchtungen grundlos seien, dass sie eine ganz normale Frau sei und mit Eirene ein überaus normales Menschenkind zur Welt gebracht habe, dass sie, Gesil, längst nicht mehr die Inkarnation der Kosmokratin Vishna sei, sondern ein eigenständiges, unabhängiges Individuum mit freiem Willen ... Das hatten wir x-mal besprochen. Ich hatte keine Ahnung gehabt, dass die Vergangenheit Gesil immer noch bedrückte und sie insgeheim befürchtete, dass auch Eirene erblich belastet sein könnte.
»Wie war es?«, fragte Gesil, unvermittelt das Thema wechselnd. »Was habt ihr auf Phamal entdeckt? Was hält Eirene dort?«
Ich muss sie wohl ziemlich entgeistert angesehen haben, denn sie lachte plötzlich befreit auf und entspannte sich. »Du müsstest dein Gesicht sehen, Perry«, sagte sie glucksend. »An dir ist ein Komiker verloren gegangen. Natürlich habe ich mich über die einlaufenden Meldungen informiert. Aber ich möchte es aus deinem Mund hören.«
Wir hatten uns am 1. Dezember von Phamal-Station aus auf den Weg gemacht. Als wir das Psionische Netz auf Sabhal verließen, war es auf dem Kontinent Malu Nacht, doch der neue Morgen kündigte sich am Horizont bereits an.
Ich hatte mich von Atlan, Fellmer Lloyd und Ras Tschubai getrennt, die das erarbeitete Informationsmaterial auswerten wollten, und war per Persönlichem Sprung direkt nach Hause gegangen. Als ich beim Betreten des Hauses die Beleuchtung aktivierte, hatte ich nicht bedacht, dass ich Gesil wecken könnte. Vermutlich hätte es auch nichts genutzt, wenn ich mich hineingeschlichen hätte.
»Wir werden ein ernstes Wort mit den Querionen reden müssen«, leitete ich meine Erzählung ein. Atlan und die beiden Mutanten hatten mir versprechen müssen, mit dieser Befragung auf mich zu warten. »Es gibt reichlich Indizien dafür, dass sie uns gewisse Zusammenhänge verschwiegen haben. Die Querionen können nicht so ahnungslos sein, wie sie tun. Die Netzgänger-Station auf Phamal existiert seit über fünfzigtausend Jahren. Jetzt leben dort Feliden, die sich Lao-Sinh nennen. Tatsächlich sind es Emigranten aus der Lokalen Gruppe. Angehörige des Volkes der Kartanin aus der Galaxis Pinwheel, die zur Mächtigkeitsballung ES' gehört. Sie nennen Phamal Hubei, und es ist die Zentralwelt eines Viersonnenreiches, das die Lao-Sinh bislang vor den Ewigen Kriegern geheim gehalten haben. Die Kartanin haben die Lao-Sinh-Kolonien erst vor wenigen Jahrzehnten wiederbelebt, aber es steht fest, dass sie auch vor fünfzigtausend Jahren schon einmal hier waren und damals den Grundstein für diese Kolonien gelegt haben. Und die Querionen müssen das gewusst haben.«
»Und was hat Eirene damit zu tun?«, fragte Gesil.
Ich zuckte leicht zusammen und sagte so unverfänglich wie nur möglich: »Eirene hat sich mit den Lao-Sinh angefreundet. Unsere Tochter war es eigentlich, die mit ihrem Geschick dafür gesorgt hat, dass die Feliden uns vertrauten und uns die Freiheit gaben.«
Ich hütete mich, Gesil zu erzählen, welche Rolle unsere Tochter tatsächlich gespielt hatte. Darüber würde ich mit den Querionen reden, denn ich war sicher, dass sie Eirene jenes Wissen souffliert hatten, das sie über die Lao-Sinh besaß.
Eirene hatte uns alle damit verblüfft, als sie der Protektorin Mia-San-K'yon erklärte, dass diese einem Volk angehörte, das in ferner Vergangenheit in ESTARTU solche Macht besaß, dass es den Völkern dieser Mächtigkeitsballung ein Symbol aufgezwungen hatte. Nämlich das Symbol des durch Pfeile dreigeteilten Dreiecks, das als Sinnbild für den Dritten Weg galt. Tatsächlich handelte es sich dabei ursprünglich jedoch um das Symbol der Lao-Sinh. Dabei bildeten die Welten Bansej, Shallej und Kumai die Spitzen des Dreiecks, den Mittelpunkt stellte die Hauptwelt Hubei dar.
Zumindest hatte es Eirene den Lao-Sinh gegenüber so dargestellt, und es gab keinen Grund, an der Wahrheit ihrer Aussage zu zweifeln. Es fragte sich nur, woher Eirene dieses Wissen hatte. Sie konnte darüber keine Antwort geben, sondern sagte nur, dass es ihr eben zugeflossen sei.
Es wäre sicher nicht gut gewesen, Gesil dies zu erzählen, solang sie sich in einer solchen Verfassung befand.
»Die Lao-Sinh, beziehungsweise die Kartanin, sind ein ungemein faszinierendes Volk«, fuhr ich rasch fort, um Gesils Misstrauen nicht zu wecken. Ich erzählte davon, welche Mühen sie auf sich nahmen, um die weite Reise über 40 Millionen Lichtjahre zu unternehmen, für die sie mit ihren linearbetriebenen Vierstufenraumschiffen zwei Standardjahre benötigten, nur um auf dem gefährlichen Terrain des Kriegerkults eine bescheidene Kolonie zu gründen ... eigentlich eine uralte Kolonie zu revitalisieren.
Und warum das alles? Die Lao-Sinh konnten darauf selbst keine zufriedenstellende Antwort geben. Sie hielten sich für die Pioniere, die den Exodus ihres Volkes in dieses »Gelobte Land« vorbereiteten. Aber an den technischen Möglichkeiten der Kartanin gemessen, war das ein hoffnungsloses Unterfangen. Es war schlecht vorstellbar, dass ihre Mission darauf ausgerichtet war, den Kriegerkult zu unterhöhlen, obwohl ... Die Ferntransporter brachten neben einer bescheidenen Zahl von Siedlern vor allem große Mengen Paratau nach Lao-Sinh, so viel sie davon ohne Paratronschirme eben transportieren konnten. Paratau war ein hochwertiges Psichogon, das den weiblichen Kartanin zu überragenden Esper-Fähigkeiten verhalf.
Im Tarkanium, wie das Viersonnenreich genannt wurde, waren insgesamt vier Milliarden dieser Paratau-Tropfen gelagert – genug, um ein Millionenheer von Espern auf die Beine zu stellen. Wir hatten auf Hubei indes keine Anhaltspunkte dafür gefunden, dass die Lao-Sinh sich auf einen Esper-Krieg vorbereiteten. Sie horteten den Paratau und brachten große Opfer, um die Psichogon-Vorräte zu beschützen, denn die Esperinnen, die nötig waren, um den Paratau psionisch abzuschirmen und an der spontanen Deflagration zu hindern, hatten kein langes Leben.
Die Lao-Sinh hatten in uns Feinde gesehen und geglaubt, ihr kostbarstes Gut vor uns schützen zu müssen – bis eine echte Gefahr in Form der Menetekelnden Ephemeriden von Absantha-Gom auftauchte. Es waren die beiden Körperlosen Ernst Ellert und Testare gewesen, die uns darauf aufmerksam machten, wo die Störquelle lag, die die Ephemeridenschwärme in Aufruhr brachte, nämlich auf den Welten der Lao-Sinh. Und nachdem der Ewige Krieger Granjcar diese Störquelle lokalisierte, schien er entschlossen, die Ephemeridenschwärme dazu zu verwenden, den Paratau zur Deflagration zu bringen. Die ersten Vorboten des beginnenden Untergangs hatten sich bereits bemerkbar gemacht und für eine ungewöhnlich hohe Sterberate unter den Espern gesorgt. Wenn niemand den Ephemeridenschwärmen Einhalt gebot, würde es im Lao-Sinh-Sektor von Absantha-Gom zu einer Katastrophe ungeahnten Ausmaßes kommen.
»Es ist durchaus nicht übertrieben, von einer bevorstehenden kosmischen Katastrophe zu sprechen«, sagte ich, ohne mich zu vergewissern, ob mir Gesil überhaupt zuhörte. »Atlan und die anderen sind dabei, eine Hochrechnung anzustellen. Wie auch immer sie ausfällt, es muss die Pflicht der Gänger des Netzes sein, die Ephemeriden zu eliminieren, bevor es zum Schlimmsten kommt.«
Reginald Bull war mit der EXPLORER unterwegs, um Kontakt mit den rebellischen Elfahdern aufzunehmen und sich ihrer Unterstützung zu vergewissern. Wir wollten von den Querionen die Unterstützung der Netzgänger-Organisation erwirken.
»Ich bin sicher, dass sie uns grünes Licht geben, mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln gegen die Ephemeriden vorzugehen«, schloss ich. »Das ist die Chance, nach den Heraldischen Toren das zweite ESTARTU-Wunder zu eliminieren.«
Gesil schien mir tatsächlich nur halbherzig zugehört zu haben, denn sie sagte: »Aber was hat Eirene noch auf Hubei verloren? Wie konntest du sie an diesem Gefahrenherd zurücklassen?«
Ihre Worte waren in diesem Augenblick für mich wie eine Offenbarung. Mir wurde bewusst, wie zurückgezogen Gesil in den letzten eineinhalb Jahrzehnten gelebt hatte. Nun war mir klar, dass sie das nur getan hatte, um sich Eirene zu widmen. Die Wacht über unsere Tochter war zu ihrem Lebensinhalt geworden. Dass ich nie etwas davon bemerkt hatte, war sicherlich nicht auf meine Unachtsamkeit zurückzuführen gewesen, sondern eher auf Gesils Geschick, ihre Wachsamkeit zu verbergen. Denn nicht einmal Eirene hatte in all den Jahren etwas davon bemerkt, wie gut sie behütet war.
»Eirene droht keinerlei Gefahr«, sagte ich so überzeugend, wie ich konnte. Aber ich wusste, dass ich genauso gut gegen eine Wand hätte sprechen können.
»Mag schon sein«, sagte Gesil. »Sollte es eine Bedrohung für sie geben, werde ich sie von ihr abwenden und auf mich nehmen. Darauf bin ich vorbereitet.«
»Wir müssen uns darüber unterhalten«, sagte ich. »Jetzt sofort!«
Indes kam es nicht dazu. Ich spürte den schwachen Teleportationsdruck, als vor uns eine humanoide Gestalt in einer Netzkombination materialisierte. Es war Ras Tschubai. Er war so aufgeregt, dass er weder Gesil grüßte, noch sich für die Störung entschuldigte.
»Zwei Stimmen haben sich erhoben«, platzte der Teleporter heraus. »Die eine muss den Kriegerkult in den Grundfesten erschüttern. Die andere sorgt für Aufregung in den eigenen Reihen.«
»Du hast deine Pointen vortrefflich gesetzt, Ras«, sagte ich unwirsch, weil ich spürte, wie sich Gesil von mir löste, und ich sah, wie sie sich aus dem Raum entfernte. »Der Reihe nach.«
»Als wir auf Sabhal ankamen, erfuhren wir, dass der KLOTZ am Zwanzigsten Elften Fahrt aufgenommen hatte«, berichtete Ras Tschubai. »Kurz zuvor hat er die Botschaft Wo xing Bao at Tarkan gefunkt, die wir vor Monaten über Ratber Tostan erfuhren – und ist danach in den Linearflug übergegangen.«
»Und die zweite Stimme?«
»Es herrscht darüber Unklarheit«, antwortete Ras Tschubai, »weil die einlaufenden Meldungen einander widersprechen. Atlan, Alaska und einige andere sind im Netz unterwegs, um der Sache nachzugehen. Jedenfalls heißt es, dass der Attar Panish Panisha, der Begründer der Upanishad-Lehre, seine Stimme erhoben hat und die Lehre vom Permanenten Konflikt verteufelt. Das kommt dem Aufruf zur Rebellion gegen den Kriegerkult gleich.«
»Der Attar Panish Panisha?«, fragte ich ungläubig.
»Oogh at Tarkan«, bestätigte Ras Tschubai. »Frage mich nicht, wie es möglich ist, dass einer, der vor fünfzigtausend Jahren gelebt haben soll, nach so langer Zeit seine Stimme erheben kann. Vielleicht ist das das dreizehnte Wunder von ESTARTU. Jedenfalls soll der Attar Panish Panisha angeblich in allen Upanishada zu hören sein!«
Ich war des Wartens auf ein Lebenszeichen von Testare müde, darum begab ich mich nach Sabhal. Auch dort wusste man nicht mehr, als aus Testares Nachricht hervorgegangen war.
Alaska, hier ist Testare. Nach Abschluss meiner Mission um die Ephemeriden ist es jetzt so weit. Ich werde mit Ernst Ellert auf Körpersuche gehen. Bis später!
Ich gönnte meinem Psi-Bionten einen Körper, verdammt, es wurde höchste Zeit, dass er einen bekam. Aber hätten wir das Problem nicht gemeinsam lösen können?
Auf Sabhal war niemand, mit dem ich das Thema besprechen wollte. Geoffry Waringer hatte keinen Kopf für die Probleme anderer. Er beschäftigte sich ausschließlich mit seinen drei Lieblingen: dem KLOTZ, den Interuniversalsonden und DORIFER. Und Gesil schien ihre eigenen Sorgen zu haben.
Die anderen waren in der Peripherie von Absantha-Gom, wo sie das Geheimnis der Lao-Sinh-Kolonie zu ergründen versuchten. Sie gaben nur sporadisch Informationen über ihre Tätigkeit in den Netzknotenpunkt ein, und diese waren dürftig.
Ich war nahe daran, mich zum Stützpunkt auf dem Planeten Phamal zu begeben, als Atlan, Fellmer Lloyd und Ras Tschubai auf Sabhal eintrafen. Sie hatten nicht einmal Zeit, über ihre Erlebnisse zu berichten, als die Meldung kam, dass angeblich Oogh at Tarkan wiederauferstanden sei und in allen Upanishada zu seinen Shada sprach.
»Das möchte ich mit eigenen Ohren hören«, erklärte Atlan.
»Gehen wir zusammen?«, bot ich dem Arkoniden an. »Ich kenne einen Ort, wo wir rascher als sonst wo ans Ziel kommen. Er liegt auf Mliron. Seit der Aufhebung der Kalmenzone in Siom Som ist Mliron spielend zu erreichen. Dazu ist Veth Leburian auf seiner Heimatwelt überaus aktiv, um sein Volk von der Herrschaft der Somer zu befreien.«
»Der Stützpunkt der Gänger des Netzes existiert nicht mehr«, erinnerte mich Atlan. »Er wurde vor mehr als eineinhalb Jahrzehnten raumtauglich gemacht und gestartet.«
»Dafür kreuzen drei Präferenzstränge Mliron«, sagte ich. »Und einer führt direkt an der größten Upanishad vorbei. Ich weiß das, denn ich habe Mliron erst vor Kurzem aufgesucht und Veth Guten Tag gesagt.«
»Also nichts wie hin!«
Ich schnappte noch die Bemerkung auf, dass der KLOTZ inzwischen seine Richtung geändert hatte und nicht mehr Kurs auf Absantha-Shad nahm, sondern Absantha-Gom zustrebte – dann fädelten wir uns ins Psionische Netz ein.
Als ich zuletzt auf Mliron gewesen war, belagerten Veth und seine Rebellen die »Gips«-Upanishad – wie ich sie getauft hatte, weil das Bauwerk wie ein riesiger Orthopinakoid aus unzähligen Schwalbenschwanz-Zwillingskristallen aussah, von welcher Form auch Gipskristalle waren. Veth hatte diese Bezeichnung gefallen, aber lachen hatte er darüber nicht können. Er würde erst wieder lachen können, wenn sein Volk frei war, und das würde erst sein, wenn der Kriegerkult der Vergangenheit angehörte.
Auf Mliron hatte der Desotho bereits beachtliche Erfolge erzielen können, seit die Kalmenzone aufgehoben war und es das System der Heraldischen Tore und das des planetaren Teleports nicht mehr gab. Denn damit war Mliron von den anderen Kriegerwelten praktisch abgeschnitten, und als die Mlironer den Aufstand probten und eine Region nach der anderen eroberten, mangelte es den Somern bald an allem, weil der Nachschub von Waffen und Versorgungsgütern mit den Heraldischen Toren stillgelegt war.
Nur diese Upanishad konnte sich dank der überlegenen Waffentechnik der Somer halten. »Ich will sie unbeschadet in die Hände bekommen und sie in eine Lehrstätte umfunktionieren, wo die Philosophie von Frieden und Brüderlichkeit verbreitet wird. Echtes Gedankengut vom Dritten Weg, wenn man so will.« So hatte Veth bei meinem letzten Besuch gesprochen, als der Belagerungsring um die Ceinagh-Upanishad, wie sie tatsächlich hieß, noch geschlossen war. Das lag etwa zwei Wochen zurück.
Als ich mit Atlan aus dem Präferenzstrang trat, war weit und breit nichts von Mlironern zu sehen. In 500 Metern Entfernung erhob sich der trutzige Schwalbenschwanz-Kristall fast einen Kilometer aus dem Dschungel. Das Licht der Sonne Thidda spiegelte sich gleißend in den glatten, fast blütenweißen Flächen der geometrischen Kristallflächen.
»Über dem Dschungel liegt die Stille des Todes«, sagte Atlan. Kein Laut war zu hören, nicht einmal das Summen von Insekten. »Das Umland sieht nicht wie ein Schlachtfeld aus. Ist es möglich, dass die Somer die Belagerer mit einer Überdosis Kodexgas ausgeschaltet haben?«
»Das versuchten sie tatsächlich, doch Veth und seinen Leuten stand ausreichend Anti-KM-Serum zur Verfügung«, antwortete ich. »Nur der Fauna eben nicht. So still war es schon bei meinem ersten Besuch. Aber wo sind Veths Rebellen?«
Wir hatten keine Mühe, den Weg zur Upanishad zu finden. Veths Leute hatten das Unterholz längst ausgetilgt und niedergetrampelt. Nur die uralten Dschungelriesen standen noch.
Die beiden schmalen, gut 20 Meter hohen Torflügel der Upanishad standen offen. Davor bildete eine Batterie von Lasergeschützen, die von Mlironern besetzt waren, einen Halbkreis. Ein Flugpanzer verstellte den Eingang.
Die Mlironer gerieten in Aufruhr, als sie uns entdeckten, doch dann erkannte mich einer von ihnen. An der zu einem Hahnenkamm gestylten Frisur, die wie ein Kriegsschmuck anmutete, identifizierte ich Lano Minal, einen von Veths engsten Vertrauten. In der den Mlironern eigenen melodischen Art befahl er den anderen, die Waffen ruhen zu lassen, und die Rebellen entspannten sich.
»Wie ist es möglich, dass ihr die Gipsburg offenbar kampflos erobern konntet, Lano?«, fragte ich auf Sothalk.
»Hörst du es denn nicht, Alaska?«, fragte Lano Minal heiter. »Hörst du nicht die Stimme der Freiheit? Klingt sie nicht wie Musik? Und wenn du dem Verkünder einer neuen Ordnung nahe genug kommst, kannst du seine Botschaft auch mit den Ohren hören. Tritt ein, mein Freund, und höre, was der Attar Panish Panisha Oogh at Tarkan zu sagen hat.«
Ich lauschte angestrengt, aber außer einem unverständlichen mentalen Hintergrundwispern konnte ich nichts hören. Erst als ich an dem Flugpanzer vorbei durch das Tor trat, wurde das Wispern intensiver. Es blieb weiterhin unverständlich, bis ich in die weitläufige Empfangshalle kam.
»... Die Lehre vom Permanenten Konflikt ist eine Philosophie des Todes. Jeder, der an sie glaubt, ist nicht Auserwählter, sondern Opfer«, drang die Stimme auf mich ein. Der Sprecher bediente sich eines altertümlich wirkenden Sothalk, das ich nur verstehen konnte, weil der Inhalt mich auch auf telepathischem Weg erreichte.
»Es ist unglaublich«, sagte Atlan an meiner Seite. »Wenn ich es nicht selbst hören könnte, würde ich es nicht für möglich halten, dass dieser Aufruf in allen Upanishada zu hören ist. Oogh at Tarkan muss vor fünfzigtausend Jahren oder so gelebt haben.«
»Er ist wiederauferstanden«, sagte eine krächzende Stimme hinter mir. Allein daran erkannte ich Veth Leburian. »Er wurde geweckt, als die Ewigen Krieger den Missbrauch seiner Lehren auf die Spitze trieben. Das ist der zündende Funke, der für ein reinigendes Feuer sorgen und den Völkern von ESTARTU die Freiheit bringen wird.«
»Und trotzdem bist du immer noch ernst, Veth?«, fragte ich den Desotho, dessen blasses Gesicht durch die schwarzen Pigmente und die gekräuselten ockerfarbenen Lippen einen grimmigen Ausdruck bekam.
»Ich kann erst fröhlich sein, wenn wir die Kraftprobe überstanden haben«, sagte Veth Leburian. Er trug sein schäbig wirkendes Wams und seinen Rückentornister, den er bei seiner Flucht aus einem Orphischen Labyrinth mitgebracht hatte. Die grau und violett schimmernde Schneckenfrisur war dagegen so makellos, als käme Veth geradewegs aus einem Frisiersalon.
»... Was man euch in diesen ehrwürdigen Hallen lehrt, das ist nicht die Philosophie vom Dritten Weg. Eure Lehrer sind falsche Panisha, die euch nicht zu höheren Erkenntnissen führen, sondern auf einen Weg in die Tiefe, in die niedrigsten Niederungen des Geistes. Ihre Aufrufe sind keine Appelle an die Vernunft, sondern Kampfbefehle an die Instinkte. Der Permanente Konflikt ist der Weg ins Verderben, ein Weg ohne Wiederkehr. Das sage ich euch, euer Attar Panish Panisha Oogh at Tarkan ...«
»Wie lange geht das schon so?«, fragte Atlan.
»Ich weiß es nicht«, gestand Veth Leburian. »Wir haben Ceinagh vor sieben Stunden genommen, und seitdem spricht Oogh at Tarkan ohne Unterlass. Seine Stimme kommt geradewegs aus seiner Statue.«
»Aus all den Millionen Statuen des Attar Panish Panisha in allen Upanishada- und Dashid-Räumen«, schloss ich an und erklärte Veth, dass wir von Gängern des Netzes aus allen ESTARTU-Galaxien Berichte über dieses Phänomen erhalten hatten.
Atlan deutete auf die beiden Reihen von Statuen, die die Empfangshalle säumten. Sie stellten allesamt Panish Panisha dar, die sich um den Permanenten Konflikt besonders verdient gemacht hatten. Und es waren alles Pterus. Einzig das Standbild des Attar Panish Panisha an der unteren Stirnseite der Halle stellte einen Fremden dar, der kein Vertreter der echsenhaften Pterus war, sondern etwas Raubkatzenartiges an sich hatte.
»Es wird so sein, dass Oogh at Tarkan etwas von sich hinterlassen hat, das in seine Statuen eingearbeitet wurde«, sagte Atlan. »Vielleicht handelt es sich um konservierte Bewusstseinssplitter, um psionische Prints oder etwas Ähnliches – der Möglichkeiten gibt es viele. Das Phänomen an sich versetzt mich weniger in Erstaunen. Ich frage mich, wodurch und von wem es ausgelöst wurde.«
Darauf wusste Veth keine Antwort, er konnte nicht einmal Spekulationen anstellen. Das heißt, eine mögliche Erklärung hatte er parat. »Vielleicht ist ESTARTU in ihre Mächtigkeitsballung zurückgekehrt«, sagte er, jedoch ohne feste Überzeugung.
»Ich nehme an, es war Ooghs Stimme, die euch die Tore zur Upanishad öffnete«, sagte ich.
»Das ist richtig«, bestätigte Veth »Das erfuhren wir bei den Verhören von den Shada. Es muss in der Ceinagh zugegangen sein wie in einem Tollhaus, als Oogh plötzlich zu sprechen begann. In diesen Augenblicken des Hörens bis zum Verstehen und Begreifen des Gesagten müssen Welten zusammengestürzt sein. Die Tore gingen auf, und ein Strom von Somern und anderen, die in der Gipsburg Zuflucht gesucht hatten, ergoss sich ins Freie. Sie liefen uns geradewegs in die Arme. Einige wenige verschanzten sich in den Räumen der Upanishad, ohne nennenswerten Widerstand zu leisten. Wir haben es mit Verwirrten ohne Zahl zu tun, einige Geistesgestörte werden wohl nicht mehr zu retten sein. Im Dashid fanden wir drei Pterus, die an einer Überdosis Kodexgas gestorben sind. So ähnlich verhielt es sich auch mit den Verteidigern der anderen Upanishada auf Mliron. Ich hoffe, dass Ooghs Stimme in allen Upanishada von ESTARTU bei den Anhängern des Permanenten Konflikts die Glut des Wahnsinns entfacht.«
»Das wäre zu schön, um wahr zu sein«, sagte Atlan. »Was immer Oogh at Tarkan zum Sprechen gebracht hat, dieses Ereignis muss den Kriegerkult zutiefst erschüttern. Nach der Stilllegung der Heraldischen Tore und dem Tod von Pelyfor in der Milchstraße ist dies das dritte Ereignis, das den Koloss ins Wanken gebracht hat. Jetzt müssen wir nachsetzen. Ich kann den Galaktikern in der Heimat nur Erfolg im Kampf gegen Sotho Tyg Ian wünschen. Wir in ESTARTU werden als nächstes Kriegerwunder die Ephemeriden von Absantha-Gom aufs Korn nehmen.«
Atlan verabschiedete sich von Veth Leburian mit einem Händedruck. Im Hintergrund wetterte die Stimme von Oogh at Tarkan gegen die Herrschaft der Pterus und gegen die zum Permanenten Konflikt pervertierte Lehre vom Dritten Weg.
»Komm, Alaska!«, sagte Atlan. »Wir haben genug erfahren.«
»Ich komme nicht mit«, sagte ich, ohne lange zu überlegen. Ich hatte mich bereits beim Verlassen Sabhals entschlossen, nicht sogleich wieder zur Basiswelt zurückzukehren.
»Es gibt einiges zu tun«, sagte Atlan ungeduldig. »Die Ephemeriden ...«
»Jedem das Seine«, fiel ich ihm ins Wort. »Auf Sabhal bin ich entbehrlich. Ich denke, dass es auch jemanden geben muss, der sich um die Jäger, Leichenfledderer und Henker des Kriegerkults kümmert. Und ich denke, dass es meine Aufgabe ist, den Höllenhund Lainish zur Strecke zu bringen.«
Und ich hatte insgeheim die winzige Hoffnung, vielleicht doch dem unwahrscheinlichen Zufall Vorschub leisten zu können – wenn ich nur ausdauernd genug unterwegs war –, irgendwann und irgendwo einmal auf Kytoma zu treffen. Zum See Talsamon oder überhaupt auf die namenlose Querionenwelt kam sie nicht mehr.
Atlan versuchte nicht erst, mich umzustimmen. Er erkundigte sich bei Veth noch nach Srimavo und erfuhr, dass sie auf Pailliar war und mit der dortigen Untergrundorganisation Hajasi Amani
Zurück auf Sabhal erfuhr ich, dass der KLOTZ inzwischen in der Northside von Absantha-Gom aufgetaucht war, nur einige Hundert Lichtjahre vom Tarkanium-Sektor entfernt. Wieder funkte der KLOTZ sein »Wo xing Bao at Tarkan ...«
Und diesmal bekam er prompt Antwort – und zwar von der Lao-Sinh-Kolonie. Bald nach Erhalt des Hyperkomsignals ging der KLOTZ neuerlich in den Linearraum. Jemand aus Geoffrys Team trug uns die Wette an, dass der KLOTZ diesmal direkt im Tarkanium herauskommen würde, aber niemand hielt dagegen.
Vor Wochen wäre ich – und jeder andere auch – auf eine solche Wette eingegangen. Mittlerweile konnte uns nichts mehr überraschen. Wir waren auf Hubei gewesen, und uns war klar geworden, dass die Lao-Sinh keine harmlosen Kolonisten aus Pinwheel waren. Welche Rolle sie damals in ESTARTU gespielt hatten, war unklar. Aber wir würden es herausfinden.
Es gab einen Oogh at Tarkan, der als Begründer der Upanishad-Lehre galt. Er hatte vor etwa 50.000 Jahren gelebt. Nun erhob er nach so langer Zeit seine Stimme gegen den Permanenten Konflikt. Er sprach aus jenen Millionen Statuen, die ihn darstellten – und mit etwas gutem Willen konnte man in den Attar-Panish-Panisha-Statuen einen Kartanin erkennen. Und die Lao-Sinh-Kartanin nannten die Sonne von Hubei, der Zentralwelt des Tarkaniums, Oogh. Auf den vier Planeten des Tarkaniums gab es Gebäude, die an die 50.000 Jahre alt waren – darauf hatte uns Bully hingewiesen. Und der KLOTZ funkte eine Botschaft von einem, der sich Bao at Tarkan nannte.
Vor 50.000 Jahren etwa hatten die Querionen die Organisation der Gänger des Netzes gegründet, weil vor 50.000 Jahren etwas das Kosmonukleotid DORIFER dermaßen beeinflusste, dass DORIFER innerhalb einer 50-Millionen-Lichtjahre-Sphäre die Psi-Konstante derart anheben musste, dass dadurch der Moralische Code gefährdet wurde.
Und vor 50.000 Jahren war ESTARTU aus ihrer Mächtigkeitsballung verschwunden ... Und vor circa 50.000 Jahren – genauer: vor etwas mehr als 54.000 Jahren – wurden die Lemurer von Halutern aus der Milchstraße vertrieben, und der Exodus der Lemurer nach Andromeda begann ...
Mein Bericht über die Vorgänge in der Ceinagh-Upanishad war längst nicht mehr aktuell. Inzwischen waren gleiche Vorkommnisse aus allen ESTARTU-Galaxien gemeldet worden, und andere Gänger des Netzes hatten Tonaufzeichnungen mit der Stimme Oogh at Tarkans mitgebracht.
Wie nicht anders zu erwarten, lief Ooghs Aufruf simultan. Wenn er wetterte: »... haben mich die Pterus davongejagt, um die wahren Lehren zu verfälschen und zum Permanenten Konflikt entarten zu lassen ...«, hörte man ihn an Millionen Orten gleichzeitig. Das schien zu beweisen, dass der Wiederauferstandene das psionische Spektrum der Hyperwellen als Trägermedium benutzte.
Als uns solche Berichte bereits zu langweilen begannen, kam die Meldung herein, dass der KLOTZ nach seiner letzten Linearetappe im Tarkanium herausgekommen war, und zwar im Raum von Hubei.
Es wäre sicherlich interessant gewesen, auf Hubei zu sein, um die Dinge zu beobachten, die sich aus dieser Konstellation KLOTZ-Lao-Sinh ergaben. Aber wir Gänger des Netzes – zumindest die kleine Gruppe von Emigranten aus der Mächtigkeitsballung ES' – hatten Wichtigeres zu tun.
Unser Plan war es, die Menetekelnden Ephemeriden von Absantha-Gom auszuschalten, bevor sie weiteres Unheil anrichten konnten. Reginald Bull und seine EXPLORER-Vironauten waren bereits zu den Elfahdern unterwegs, um sie für unser Attentat zu gewinnen, denn ohne die Unterstützung der Elfahder, die seit Jahrtausenden den Status von Waffenträgern der Ewigen Krieger innehatten, lief nichts. Natürlich wollten wir uns auch das Einverständnis der Querionen für diesen Coup holen.
»Vielleicht sollte ich