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In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat. Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen. Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Rhodan findet in der kleinen Galaxis Cassiopeia Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat. In der Milchstraße wird währenddessen klar, in welchem Sektor es offensichtlich Aktivitäten der Kosmokraten gibt. Die sogenannte Yodor-Sphäre ist das Ziel einer kleinen Flotte – als Besucher in der galaktischen Eastside sind sie FREMDE AUS DEM HYPERSTURM ...
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Seitenzahl: 153
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Nr. 3135
Fremde aus dem Hypersturm
Von Kastellanen und Spionen – sie stoßen ins Unbekannte vor
Arndt Ellmer
Cover
Vorspann
Die Hauptpersonen des Romans
Prolog
1. Mars – 25. und 26. Juli 2071 NGZ
2. Mars – 26. Juli 2071 NGZ
3. Terra – 27. Juli 2071 NGZ
4. In der Hyperklemme – 2. August 2071 NGZ
5. Opterx – 4. August 2071 NGZ
6. Opterx – 5. August 2071 NGZ
7. WILHELM GLIESE – 6. August 2071 NGZ
8. WILHELM GLIESE – 6. August 2071 NGZ
Epilog
Leserkontaktseite
Glossar
Risszeichnung Superschlachtschiff der LFG – JOSCHANNAN-Klasse
Impressum
In der Milchstraße schreibt man das Jahr 2071 Neuer Galaktischer Zeitrechnung. Dies entspricht dem 6. Jahrtausend nach Christus, genauer dem Jahr 5658. Über dreitausend Jahre sind vergangen, seit Perry Rhodan seiner Menschheit den Weg zu den Sternen geöffnet hat.
Noch vor Kurzem wirkte es, als würde sich der alte Traum von Partnerschaft und Frieden aller Völker der Milchstraße und der umliegenden Galaxien erfüllen. Die Angehörigen der Sternenvölker stehen gemeinsam für Freiheit und Selbstbestimmtheit ein, man arbeitet intensiv zusammen.
Als die Liga Freier Galaktiker durch drei Deserteure erfährt, dass in der Nachbarschaft der Milchstraße ein sogenannter Chaoporter gestrandet sei, entsendet sie unverzüglich ihr größtes Fernraumschiff, die RAS TSCHUBAI, unter dem Kommando von Perry Rhodan. Denn von FENERIK geht wahrscheinlich eine ungeheure Gefahr für die Galaxis aus. Rhodan findet in der kleinen Galaxis Cassiopeia Spuren, die darauf hindeuten, dass dort der Chaoporter havariert ist – weil der Kosmokratenraumer LEUCHTKRAFT ihn gerammt hat.
In der Milchstraße wird währenddessen klar, in welchem Sektor es offensichtlich Aktivitäten der Kosmokraten gibt. Die sogenannte Yodor-Sphäre ist das Ziel einer kleinen Flotte – als Besucher in der galaktischen Eastside sind sie FREMDE AUS DEM HYPERSTURM ...
Alschoran – Der Galaktische Kastellan hat auf dem Mars ein persönliches Treffen.
Idris Ovid – Der Marsgeborene stellt seine Sicht der Dinge dar.
Sichu Dorksteiger – Die Ator bricht im Auftrag der Menschheit zu einer Expedition auf.
Gumar Seshaád – Die ferronische Kommandantin steuert ihr Schiff durch einen Hypersturm.
Irrudec
Prolog
Irrudec lauscht dem Gesang der Gerüste. Vielfältig sirren die Töne. Es wispert jenseits des Schalls. Gerüste singen für Wesen wie ihn, das weiß er. Er zählt zu den Auserwählten.
Und er ahnt, dass nicht alle Graupelze seines Volkes bevorzugt werden. In den hohen Gefilden hören kann jeder von ihnen – aber könnten sie den Liedern der Gerüste lauschen?
Ja.
Sie würden sie allerdings nicht verstehen.
So wie es Irrudec momentan ergeht. Je öfter und länger er lauscht, desto ähnlicher wird er in seinem Fühlen all denen, die es ebenso vergeblich versucht haben. Auf dem Heimweg sucht ihn danach stets die Gewissheit heim, dass er es einst besser konnte. Weil er es wollte. Weil all sein Sehnen daran hing.
Pazpray behauptet von seinen Bekannten, sie würden sich nicht trauen. Irrudec denkt, sie können es nicht, weil sie unbegabt sind. Aber woran liegt es bei ihm, dass seine Fähigkeit nachlässt?
Er lauscht noch immer dem Gesang, der im Ultraschallbereich durch die dünne Atmosphäre sirrt. Irrudec kann die Luft nicht atmen, er muss einen Schutzanzug tragen.
Die Sonne brennt auf den weit ausladenden Helm und heizt die Atemluft darin auf. Auch wenn die Automatik die Luft herunterkühlt, bleibt die zusätzliche Wärme. Irrudec kann sie spüren, ein Hauch auf seiner Haut, der mal unangenehm ist, den er dann aber wieder ignorieren kann.
Den Gesang ändert es nicht, ebenso wenig sein Unverständnis.
Obwohl all das rätselhaft bleibt, fasziniert es Irrudec. Er kann dem Gesang stunden- und tagelang lauschen.
Manchmal tut Irrudec das tatsächlich. Dann verweilt er ununterbrochen in der Einöde. Mit der Zeit kommt es, denkt er in solchen Fällen immer wieder, und ich werde den Gesang verstehen. Die Botschaft.
Vielleicht wird das eines Tages wertvoller sein als so mancher Kampf, den Irrudec für die 19. Vorsicht ausgefochten hat. Vielleicht wird sich alles ändern, sobald er nur den Gesang versteht. Vielleicht eröffnen sich der Herrlichkeit von Gatas danach völlig neue Möglichkeiten.
Und ihm, dem wichtigsten Forscher auf Opterx.
Ein Signal in seinem Anzug lenkt ihn ab. Pazpray kommt. Etwas muss vorgefallen sein, denn für gewöhnlich würde der Kollege ihn nie stören, solange Irrudec dem Gesang lauscht. Es ist ein ungeschriebenes Gesetz, das den Umgang mit den Gerüsten regelt. Sie halten sich eisern daran, schon aus gegenseitiger Wertschätzung.
Irrudec wendet sich ab und spaziert den Pfad zurück bis zur Abbiegung. Er wartet auf Pazpray, und nach einer Weile sieht er ihn um den Felsenkamm biegen.
Irrudec geht ihm entgegen. Sie treffen sich auf halber Strecke, halten die höfliche Distanz ein, die sie sich angewöhnt haben.
»Wir bekommen Besuch«, sagt Pazpray nach einer kurzen Begrüßung. »Wappnen wir uns. Alles, was in dieser Zeit geschieht, besitzt eine Bedeutung für das Ganze und somit für das Leben unseres Volkes.«
»Wer kommt?«, fragt Irrudec.
»Ich bin nicht sicher. Womöglich sind es Feinde aus der galaktischen Westside. Wir müssen auf der Hut sein und notfalls zu radikalen Mitteln greifen.«
Irrudec versteht. Er spürt dem Gesang der Gerüste nach. Dann gehen sie beide weiter, nebeneinander und schweigend.
1.
Mars
25. und 26. Juli 2071 NGZ
Die meisten Lebewesen kehren irgendwann an den Ort ihrer Geburt zurück, dachte Alschoran. Wie viele Spielarten dieses Vorgangs gibt es?
Bei ihm war es eher eine Laune, geboren aus seiner momentanen Stimmung. Er kehrte nicht an den Ort seiner Geburt zurück, sondern an den Ort, an dem er sich zum ersten Mal den Menschen gezeigt hatte. Und dort nicht exakt an dieselbe Stelle am Grund des Sirenenmeeres. Sein Ziel lag 1500 Kilometer weiter östlich auf den Hochebenen der Tharsis-Region.
Unter seiner Sextadim-Kapsel THANA zogen die Landefelder von Marsport VII dahin, dem wichtigsten Raumhafen des Planeten. Manche Terraner sprachen von Mars immer noch als dem Roten Planeten. Alschoran wusste, woher der Begriff kam, aber er verstand nicht, warum die Terraner ihn immer noch benutzten.
Manche sind einfach Traditionalisten, dachte er. Es war gut, dass er und die anderen Kastellane da waren, um die Terraner und ihre Verbündeten zu wappnen. Zu oft wirkten sie wie naive Jugendliche auf ihn.
Auf einem großen Gebäude spiegelte sich das Licht der aufgehenden Sonne. In der feuchten Luft brach es sich zu einem Regenbogen.
Über dem gesamten Areal wimmelte es von Gleitern, die landeten und aufstiegen. Die Zahl der Raumschiffe im Parkorbit lag beim Zehnfachen des üblichen Aufkommens.
Alschoran nahm diese Entwicklungen mit Zufriedenheit zur Kenntnis. Die Anordnungen der Kastellane trugen offensichtlich Früchte. Die Vorgänge am Marsport VII zeugten von den Vorbereitungen für den Ernstfall. Die Evakuierung eines Teils der Marsbevölkerung gehörte zum Sicherheitskonzept der terranischen Regierung.
Der Galaktische Kastellan und momentan mächtigste Mann im Solsystem ließ das Gegenüber seiner Sextadim-Kapsel eine Analyse der zahllosen Funkgespräche vornehmen.
Genau wie erwartet, gingen die Ordnungskräfte sehr professionell mit der Lage um: Neue Unterkünfte standen bereit, der Flugverkehr wurde bestens organisiert, die Logistik lief rund. Das schaffte nicht alle Probleme aus der Welt, aber es sorgte für ein Mindestmaß an Sicherheit.
Dennoch mussten Millionen von Menschen ihr Hab und Gut zurücklassen, wurden vorübergehend von Freunden und Arbeitsplätzen getrennt. Aber so waren sie in Sicherheit, wenn es zu Kämpfen kam.
Ein notwendiges Übel, das Alschoran keineswegs auf die leichte Schulter nahm. Es belastete die Bewohner des Mars und des gesamten Solsystems, aber es war ein geringer Preis im Verhältnis zum möglichen Nutzen. Die Anstrengungen auf Terra verdeutlichten auch die Unterschiede der beiden Planeten, denn auf der Erde betraf es hundertmal so viele Bewohner.
Alschoran kannte die Problematik, denn er hatte im Verlauf seines Lebens als Galaktischer Kastellan genug Erfahrungswerte gesammelt. Je größer die Zahl der Betroffenen, um so ungenauer wurden die Zielvorgaben. Bedrohte eine Katastrophe ein ganzes Sonnensystem, lagen die organisatorischen Probleme weit höher als bei einem einzelnen Planeten.
Eine Milliardenbevölkerung in Sicherheit zu bringen, erwies sich auch im aktuellen Fall als unmöglich – wobei galt, dass es sich bislang nur um eine Probe für den Ernstfall handelte. Nur relativ wenige Bewohner wurden tatsächlich evakuiert, meist solche, die einem Umzug eher positiv gegenüberstanden.
Der Kastellan wischte die Gedanken zur Seite und richtete seine Aufmerksamkeit wieder auf die an manchen Stellen tatsächlich rötlich schimmernde Oberfläche des Mars und die ausgedehnten Wasserflächen. Er wollte den Planeten unter den Schuhen spüren, auf dem er seinen aktuellen Auftrag begonnen hatte, und den Jungen wiedersehen, der ihn in der ersten Zeit nach seinem Erwachen begleitet hatte.
Der Junge hieß Idris. Idris Ovid. Alschoran hatte ihn in guter Erinnerung.
Zwischen dem Jungen und ihm hatte sich schnell ein Vertrauensverhältnis entwickelt. Sie hätten – ging man nach menschlichen Maßstäben – Vater und Sohn sein können. Idris hatte gelegentlich Formulierungen benutzt, die so etwas andeuteten; als hoffe er darauf, dass Alschoran eine Vaterrolle übernehmen könnte. Vielleicht steckte eine Ähnlichkeit im Aussehen dahinter, oder der Junge vermutete eine Art Seelenverwandtschaft ...
Der Kastellan dachte an eine alte Weisheit, die ihm in der Zeit seiner Ausbildung jemand mit auf den Weg gegeben hatte. Es lag zu lange zurück, als dass er sich an den Namen erinnern könnte, aber die Worte dieses Mannes – ja, es war ein Mann gewesen, daran glaubte er sich zu erinnern – hatte er niemals vergessen: Wenn du etwas über Wesen und Intelligenz eines fremden Volkes erfahren willst, dann beobachte die Kinder.
Seitdem hatte er mit vielen Völkern gearbeitet, und diese Weisheit hatte sich stets bewahrheitet. Kinder waren die Zukunft eines jeden Volkes.
Gemessen an Idris schnitten die Menschen gut ab. Er kannte inzwischen weit unvernünftigere Erwachsene. Idris hatte oft gesprochen, als sei er älter.
Noch fehlten ihm und den übrigen Kastellanen wichtige Informationen, die sich nicht allein aus den Speicherinhalten der Positroniken zusammensetzen ließen. Er konnte nach wie vor nicht einschätzen, wie die Terraner und die anderen Bewohner dauerhaft auf die aktuellen Veränderungen reagieren würden.
Würden sie den Machtwechsel wirklich akzeptieren? Die Tatsache, dass Reginald Bull als Resident abgedankt und Sichu Dorksteiger das Amt als Kommissarische Residentin übernommen hatte? Und vor allem, dass die Kastellane wichtige Ämter als Liga-Kommissare bekleideten – ja, dass sie an den eigentlichen Schaltstellen der Macht saßen?
Die Lage im Solsystem blieb ruhig. Es gab keine Unruhen, keine Konflikte. Einige Menschen protestierten, doch die Mehrheit schien abzuwarten, was geschehen würde.
Ihm stellten sich viele Fragen, doch momentan schob er sie beiseite. Nun war nicht die Zeit, darüber nachzudenken.
Alschoran hob die Tarnung der Sextadim-Kapsel auf. Im selben Augenblick tauchte das tropfenförmige Gebilde zweifellos auf den Ortern und Tastern der Raumhafenüberwachung auf.
Und wie erwartet, meldete sich sofort die Raumüberwachung. »Sextadim-Kapsel THANA«, sagte eine weibliche Stimme. Sie klang verärgert über das unangemeldete Auftauchen, aber die Sprecherin erinnerte sich wohl daran, mit wem sie sprach, und riss sich zusammen. »Willkommen auf dem Mars, Liga-Kommissar. Wie viele Personen befinden sich an Bord?«
»Ich reise allein.«
»Die Sicherheitskräfte stehen dir zur Verfügung. In Zukunft, das erlaube ich mir zu erwähnen, sind wir für eine Anmeldung deines Besuchs dankbar.«
»Ich verstehe. Und ich komme vielleicht darauf zurück.«
Sie antwortete nicht mehr. Es war alles gesagt, was zu sagen war.
*
Im Nordosten tauchte die Silhouette der Hauptstadt des Mars auf, New Pounder City. Die Stadt erstreckte sich über ein Gebiet, das etwas 50 Kilometer durchmaß. Die geschwungen verlaufende Nevada Fields Avenue konnte Alschoran sogar aus der Entfernung erkennen. Sie teilte die Stadt in Nord-Süd-Richtung in zwei Hälften.
Alschoran flog dorthin und folgte dem gewaltigen Straßenzug. Den Anblick der Bauwerke rundum nahm er eher gelangweilt hin – verglichen mit Terrania empfand er die Gesamtarchitektur als gemäßigt und uninspiriert. New Pounder City war groß und modern, die Häuser waren teilweise wuchtig und hoch, aber sie boten keine »Schauwerte«, wie es die Terraner nannten. Er bekam den Eindruck, als ob die Stadt in aller Eile gebaut worden sei, ohne einen weitergehenden Plan, ohne ein Gespür für die Lebewesen, die sie besiedeln sollten.
Illustration: Swen Papenbrock
Allerdings galt das wohl für die meisten Städte im Universum; es war ein unfairer Maßstab. Im Verlauf der Jahre hatte er genügend Städte gesehen, die ähnlich uninspiriert aussahen.
Bald erkannte er das Segel, wie es die Einheimischen nannten. Es ragte knapp über einen halben Kilometer empor. Das wuchtige Gebäude mit seiner Delta-Form bildete den Sitz der Regierung. Immerhin ist das ein interessantes Gebäude, dachte er. Darüber hinaus lockte es mit seinem berühmten internen Wald über sechs Etagen zahlreiche Besucher an.
Alschoran kannte diese Sehenswürdigkeit bereits. Er hatte sie gemeinsam mit Idris besucht.
Fast zwei Monate lag das zurück. Er erinnerte sich so deutlich daran, als sei es erst gestern gewesen. Er fand es selbst erstaunlich, wie sehr die Begegnung mit dem Jungen ihn in der sensiblen Zeit nach dem Erwachen geprägt hatte und wie oft er an ihn zurückdachte.
Am höchsten überragte der Twister die Stadt, das Wahrzeichen von New Pounder City. Im 2100 Meter hohen Turm der Tatcher-a-Hainu-Akademie arbeitete Ludmila Ovid, die Mutter von Idris. Als Direktorin der Akademie wohnte sie zusammen mit ihrem Sohn in dem Turm, so konnte sie leicht von der Arbeitsstelle zur Wohnung und zurück wechseln.
Alschoran wollte ihr einen Besuch abstatten, aber der positronisch gesteuerte Koordinator, den er in seinem Rucksack bei sich trug, erinnerte ihn daran, dass ihm nicht viel Zeit blieb.
»Sag mir, wo ich Idris Ovid finde«, verlangte Alschoran von dem Gerät.
Der Koordinator knüpfte Kontakt zu einem der zahlreichen Steuerzentren der Stadt und stellte eine Anfrage mit höchster Priorität. Alschorans Sicherheitsstufe als Liga-Kommissar tat ihr Übriges, dass rasch eine Antwort kam.
»Idris Ovid ist auf einem Tauchausflug im Roten Fluss oberhalb der Einmündung in das Ius Chasma«, sagte die angenehm modulierte Automatenstimme. Alschoran fand sie zu neutral, aber er wollte sie nicht extra anpassen. »Er ist bei der Sicherheitsüberwachung angemeldet, sein ungefährer Standort ist bekannt. Dort gibt es ein speziell präpariertes Schluchtenbett mit einem großen Fischreichtum.«
Also steuerte der Galaktische Kastellan nach Osten. Der Turm der Akademie blieb hinter ihm zurück. Dafür sah er auf einem der ausladenden freien Plätze eine Menschenmenge, über der ein gewaltiges Holo leuchtete – ein Schriftzug mit der wenig innovativen Aussage Wehret den Anfängen – weg mit den Kastellanen!
Alschoran ließ es den Koordinator rasch überprüfen. Es handelte sich um eine genehmigte Demonstration, die von den Sicherheitskräften im Auge behalten wurde. Bislang verlief alles friedlich.
Auch dieser Anblick blieb zurück, und Alschoran vergaß das Thema. Es war irrelevant. Bald tauchte vor ihm der Garlong-Park auf.
Parallel zur Boris-Siankow-Road überflog die Sextadim-Kapsel die Stadt. Einer launigen Eingebung folgend, wählte Alschoran das Zentrum des Parks, jenen Ort, wo er die THANA nach seinem Erwachen erstmals verlassen hatte.
Dort gab es zwar Bäume, Natur und einen See samt einiger Bäche, aber nicht mehr die holografischen Ergänzungen und Bauwerke, die Idris und die anderen Jugendlichen während seines ersten Besuches entworfen hatten. Alschoran holte sich eine Information aus dem Netzwerk der Stadt. Eine Woche lang hatten die Jugendlichen ihre Kreationen der Öffentlichkeit präsentiert und sie danach endgültig abgeschaltet.
»Aus Sicherheitsgründen«, hieß es. Dahinter steckte offensichtlich das Erscheinen seiner THANA. Damals, vor anderthalb Monaten, waren ihm die Sicherheitsvorkehrungen übertrieben vorgekommen.
Alschoran lernte pausenlos Neues und manchmal Verwunderliches über die Terraner und ihre Zivilisation. Ein eigenartiges Volk in mancherlei Hinsicht, aber er vertraute dem Urteilsvermögen der Superintelligenz ES, in deren Auftrag er unterwegs war. Für ES spielten die Terraner eine wichtige Rolle – wer also war Alschoran, über sie zu richten?
Er landete die Kapsel beim Ostausgang des Parks, neben einer Mauer, die – aus welchen Gründen auch immer – einen Wiesenbereich von einem anderen trennte. Sie war nicht sonderlich hoch. Zwei Terraner saßen darauf, ein Mann und eine Frau, ließen die Beine baumeln und teilten sich eine Mahlzeit im Schatten eines Baumes mit weit ausladender, roter Krone. Gelbe, faustgroße Früchte hingen an den Ästen.
Alschoran entstieg der THANA und setzte den Weg zu Fuß fort. Die Luft schmeckte frisch und ein wenig würzig. Es tat gut, sie zu atmen. Hinter ihm verschwand der marmorweiße Tropfen, seine Sextadim-Kapsel, unter dem Tarnschirm.
Der Kastellan wollte niemanden dadurch verunsichern, dass der Tropfen in der Luft schwebte. Schaulustige könnten sich versammeln, neugierige Journalisten ihre Berichte produzieren – das alles wollte er nicht.
Ein breiter, grasbewachsener Weg führte mit leichtem Gefälle in die Tiefe einer Seitenschlucht der Ius Chasma. In der Ferne dröhnten Maschinen. Alschoran verfeinerte die Instrumente seines Anzugs. Das Dröhnen veränderte sich und wurde zu einem Tosen und Rauschen von Wasser.
Bald stand der Galaktische Kastellan am Ufer des Roten Flusses.
*
Der Aquasuit umgab Idris Ovid wie eine zweite Haut. Er schimmerte hellblau.
Idris träumte vom Abenteuer seines Lebens. Einmal die gesamte Strecke der Valles Marineris durchschwimmen! Einmal Ius Chasma hinter sich lassen und den Anblick genießen, den das sich öffnende Schluchtensystem bot! Unter Wasser weiter vorzudringen, als er es jemals getan hatte.
»Mach es zur Regenzeit«, hatte seine Mutter vorgeschlagen. »Dann füllen sich die Rückhaltebecken der Stadt und die Fluten strömen in die Seitenarme der Ius Chasma. Du schwimmst mit dem Süßwasserstrom bis zum energetischen Damm, wo sich der Fluss in die Borealis Bay ergießt.«
Es hörte sich einfach an, doch es entsprach eher einer Weltreise mit vielen Gefahren. Brüchiges Gestein ... unerwartete Strudel mit tückischem Algenwuchs, der sich um den Körper schlingen konnte ... Geysire aus der Tiefe, deren Wasser unter extremem Druck stand und die sich explosionsartig entluden ... Das klang spannend und gefährlich zugleich. Musste man sich den Gefahren aussetzen?
Idris kam sich vor wie in der Wildnis eines nie entdeckten Planeten. Selbstverständlich hatte er sich beim Sicherheitssystem der Hauptstadt angemeldet, sein Plan war bekannt, und falls er nicht zurückkehrte, würden sich einige Roboter auf die Suche nach ihm machen ... aber unter Wasser, umgeben von den Fluten des Roten Flusses, konnte man das vergessen.
»Das Abenteuer wartet«, sagte er halblaut zu sich selbst.
Er fröstelte in seinem Aquasuit. Die positronische Steuerung regulierte die Temperatur nach oben und forcierte das Tempo, indem sie winzige Aggregate zuschaltete, die in den Flossen eingearbeitet waren.
»Ich will aus eigener Kraft schwimmen«, stellte der Junge klar. Unter der Tauchermaske konnte er sprechen und der Steuerung Befehle erteilen.
»Der Streckenabschnitt ist sehr gefährlich«, warnte die Positronik des Aquasuits. »Möchtest du in die Hauptschlucht wechseln? Sie ist für Individualsportler ohne zusätzliche Schutzvorkehrungen freigegeben. Ich kann dich lotsen.«
»Du willst mich wohl zu den wilden Tieren schicken«, sagte Idris spöttisch.
In der Hauptschlucht gab es exotische Lebewesen, wie er wusste. Man hatte sie im Verlauf der vergangenen Jahre von der Erde hergebracht In den Tiefen der Canyons hatten sie sich ein Refugium geschaffen.
»Die meisten sind menschenscheu«, versicherte die Positronik. »Du kannst ganz beruhigt sein.«