Perry Rhodan Neo 7: Flucht aus Terrania - Arndt Ellmer - E-Book

Perry Rhodan Neo 7: Flucht aus Terrania E-Book

Arndt Ellmer

3,0

Beschreibung

Im Hochsommer 2036 ist Terrania ein Zukunftstraum für Millionen von Menschen: Auf diesem öden Fleck mitten in der Wüste Gobi verwirklicht Perry Rhodan mit einer Handvoll Gefährten seine Vision. Roboter erbauen eine Stadt, die einmal das Zentrum der geeinten Menschheit werden soll. Geschützt wird die Stadt durch eine Energiekuppel. Doch dann droht das Inferno: Die chinesische Armee zündet eine Atombombe in direkter Nähe der Stadt. Zehntausende von Menschen, die rings um die Kuppel lagern, weil sie sich Rhodan anschließen wollen, geraten in Panik. Ihr einziges Ziel und ihre Hoffnung ist Terrania, die Stadt unter der strahlenden Kuppel. Perry Rhodan steht vor einer fürchterlichen Entscheidung: Lässt er den Schutzschirm geschlossen, rennen die Flüchtenden gegen die tödliche Energie und sterben. Öffnet er den Schirm, dringt die chinesische Armee ein. Die Stadt Terrania, die unter dem Schutzschirm entstehen soll, wäre damit verloren ...

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Band 7

Flucht aus Terrania

von Arndt Ellmer

Cover

Klappentext

1.

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7.

8.

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Impressum

Im Hochsommer 2036 ist Terrania ein Zukunftstraum für Millionen von Menschen: Auf diesem öden Fleck mitten in der Wüste Gobi verwirklicht Perry Rhodan mit einer Handvoll Gefährten seine Vision. Roboter erbauen eine Stadt, die einmal das Zentrum der geeinten Menschheit werden soll. Geschützt wird die Stadt durch eine Energiekuppel.

Doch dann droht das Inferno: Die chinesische Armee zündet eine Atombombe in direkter Nähe der Stadt. Zehntausende von Menschen, die rings um die Kuppel lagern, weil sie sich Rhodan anschließen wollen, geraten in Panik. Ihr einziges Ziel und ihre Hoffnung ist Terrania, die Stadt unter der strahlenden Kuppel.

Perry Rhodan steht vor einer fürchterlichen Entscheidung: Lässt er den Schutzschirm geschlossen, rennen die Flüchtenden gegen die tödliche Energie und sterben. Öffnet er den Schirm, dringt die chinesische Armee ein. Die Stadt Terrania, die unter dem Schutzschirm entstehen soll, wäre damit verloren ...

1.

11. Juli 2036

Sie kamen. Zehntausende rannten um ihr Leben. Sie sahen die Säule und den Pilz darüber, die sich immer weiter aufbauschten, und erahnten die tödliche Bedrohung durch die Atomexplosion. In blinder Flucht trampelten sie die Zelte nieder, in denen sie bisher kampiert hatten. Andere hetzten zu ihren Fahrzeugen und rasten los.

Die meisten bewegten sich auf die Energiekuppel zu, unter der Terrania entstand.

Hinter ihr erhofften sie sich Schutz vor der tödlichen Strahlung. Sie wussten nicht, dass der Energieschirm ebenso tödlich war wie die radioaktive Strahlung, dass er sie nur viel schneller umbrachte. Wer mit dem Schirm in Berührung kam, verglühte in Sekundenbruchteilen.

Die Druckwelle war längst über die Flüchtlinge hinweggefegt. Nicht jeder, den sie in den Sand geschleudert hatte, erhob sich wieder. Am schlimmsten hatte es die chinesischen Soldaten getroffen, die in der Nähe des Schirms Patrouille gefahren waren. Dutzende waren im Schirm gestorben, Fahrzeuge mit ihren Insassen zu Asche und Staub geworden.

Perry Rhodan konnte die Menschen nicht warnen. Sie waren zu weit weg, und er hatte keine Lautsprecher. Zusammen mit Bull stand er auf dem Flachdach eines Wohnblocks und hörte die Schreie der Menschen, Schreie der Angst und der Panik und der Verzweiflung. Zwar waren sie weit entfernt, aber sie drangen an seine Ohren.

Und es jagte ihm eisige Schauer über den Rücken.

»Uns bleibt wenig Zeit, Reg!« Rhodan setzte sich in Bewegung, hastete zur Treppe.

»Perry, überleg es dir gut! Was wird aus unserer Vision?«

»Da gibt es nichts zu überlegen.«

Es waren ihre Anhänger, Zehntausende an der Zahl. Aus allen Teilen der Welt waren sie nach Terrania gekommen, um am Aufbruch zu den Sternen teilzuhaben, von dem Rhodan in seiner Rede gesprochen hatte.

Jetzt strömten sie als verängstigte Flüchtlinge der Stadt entgegen, die unter ihrem Energieschirm in Sicherheit lag.

Rhodan war schon auf der Treppe. »Wir haben Bai Jun unterschätzt, Reg!«

Haben wir das wirklich?, fragte er sich gleichzeitig.

Bai Jun war klug, durchtrieben, mit allen Wassern gewaschen. Er hatte ihnen keine Atempause gegönnt, aber Rhodan hatte immer den Eindruck gehabt, dass er sich auf das Wort des chinesischen Generals verlassen konnte.

»Bist du sicher, dass Bai Jun das veranlasst hat?« Bull keuchte hinter ihm die Stufen hinab.

»Nein!«

In jedem Stockwerk, das sie passierten, sahen sie durch offene Türen und Fenster den sich aufblähenden Pilz, eine weiße Säule vor dem fahlen Blau der ersten Morgendämmerung.

»Ob Bai Jun, der Geheimdienst oder sonst wer«, sagte Rhodan. »Es ist ein Verbrechen gegenüber der Menschheit.«

Der Gedanke an diese Ungeheuerlichkeit, an diesen menschenverachtenden Akt, machte ihm zu schaffen. Er kämpfte gegen die Müdigkeit an, die sich in seinem Körper breitmachen wollte. Für ein paar Augenblicke überwog das Bedürfnis, einfach aufzugeben, sich auf die Treppenstufen zu setzen und alles über sich ergehen zu lassen, was kam.

Dann aber siegte wieder sein Wille, sich nicht unterkriegen zu lassen. Viel konnten sie nicht tun. Nur eines ... Aber das mussten sie so schnell wie möglich tun.

Rhodan fingerte am Funkgerät, brachte eine Verbindung zustande.

»Nyssen«, hörte er einen der Astronauten.

»Wir kommen runter«, sagte Rhodan knapp. »Wir öffnen den Schirm!«

Bull rumpelte gegen das Treppengeländer. »Verdammt, Perry, was spielt dieser Bai Jun mit uns?«

»Später!«

Sie hasteten weiter die Stufen hinab. Das flaue Gefühl in Rhodans Magen wollte nicht weichen. Es wurde stärker.

Mit einem einzigen Blitz und dem Atompilz machten die Chinesen alles rückgängig, was er und seine Kameraden bisher erreicht hatten: die Landung in der Gobi, die Errichtung eines eigenen Machtbereichs namens Terrania als Symbol für eine geeinte Menschheit und auch die Fürsorge für einen menschenähnlichen Außerirdischen namens Crest, der sich von terranischen Ärzten Heilung erhoffte.

Die Zerstörung der STARDUST bei ihrem jüngsten Anflug auf Terrania erschien im Nachhinein wie ein Vorzeichen des Unheils.

»Die Bombe«, stieß Bull plötzlich hervor. »Wieso ist die so weit weg explodiert?«

»Wie weit?«

»Hinter den Hügeln. Schwer zu schätzen, aber über zwanzig Kilometer dürften es sein.«

Rhodan fragte sich, welchen Sinn das ergab. Wer wollte die Menschen nicht sofort töten, sondern dem Siechtum preisgeben? Wer wusste, ob der Energieschirm die Strahlung abhielt oder nicht?

Wir denken zu einfach, erkannte er auf einmal. Zu naiv.

Sie erreichten das Erdgeschoss. Darja Morosowa erwartete sie, die russische Kosmonautin. Bull hatte sie und drei andere Raumfahrer auf dem Mond vor dem Erstickungstod gerettet.

»Die Chinesen treiben Zehntausende friedliche Menschen in den Tod!«, rief sie entsetzt. »Und wir können nichts dagegen tun.«

»Wir dürfen da nicht wegsehen. Zum Generator! Wir müssen die Baumaschinen hinausschicken! Sie sollen Gassen bilden, damit die Menschen zu Strukturlücken an den Straßenmündungen gelenkt werden.«

Sie rannten hinaus auf die Straße. Hinter den Gebäuden flimmerte das Schirmfeld. Dahinter lag die Wüste. Nach der Druckwelle erinnerte sie an ein schlecht gefegtes Areal aus Felsboden und Sandkuhlen.

Rod Nyssen, Conrad Deringhouse und Alexander Baturin kamen ihnen entgegen.

»Die Soldaten schießen in die Luft und in den Sand«, rief Deringhouse. »Sie treiben die Menschen vor sich her zur Stadt!«

»Diese Verbrecher!« Reginald Bull lief rot an. »Erst liefern sie den Menschen kein Wasser und keine Nahrung mehr, und jetzt machen sie auch noch Jagd auf sie.«

Rhodan sagte nichts. Er durchschaute die Absicht des Generals. Bai Juns Verhalten der letzten Wochen erschien ihm nun in einem anderen Licht. Er war absichtlich auf alle von Rhodans Forderungen eingegangen, weil er den hinterhältigen Plan kannte. Die Atombombe war die ultimative Waffe der Menschheit. Es gab kein Gegenmittel.

Die ersten Menschen würden in Kürze den Schirm erreichen.

Deshalb also die weite Entfernung des Explosionsorts, kam es Rhodan in den Sinn. Der General will vor der Weltöffentlichkeit nicht als Massenmörder dastehen.

Mit seiner Taktik erreichte er genau das, was er und die chinesische Regierung wollten.

Rhodan rannte los. Ein Stück hinter dem Schirm entdeckte er die Fliehenden. In breiter Front kamen sie auf die Stadt zu. Eine Welle aus Leibern wogte Terrania und dem tödlichen Vorhang entgegen.

Rhodan konnte sich ausmalen, was in ungefähr einer Minute passieren würde. Die Menge würde den Schirm erreichen. Die hinteren würden nachdrängen und die vorderen in den Schirm schieben, unaufhörlich, Reihe um Reihe. Erst wenn die Berge der Toten hoch genug waren, dass gar nichts mehr ging, würde das Anrennen zum Stillstand kommen. Aber die Menschen weiter hinten würden nachdrängen. Die anderen dazwischen würden erdrückt.

Tausende, ja Zehntausende von Toten ... Ihm schwindelte. Spekulierte Bai Jun darauf? Das Gelände um die Stadt übersät von reglosen Leibern – das wäre die moralische Bankrotterklärung für Terrania, die unabhängige Stadt, das Symbol einer besseren Zukunft der Menschheit.

Und für ihn, der durch seine Rede alle diese Menschen hierher gelockt hatte.

Wozu?, dachte Rhodan. Nur damit uns die eine Option erhalten bleibt, der Griff nach den Sternen? Das kann es nicht gewesen sein – eine Macht, die ihre Legitimation aus einem Fundament zahlreicher toter Menschen erhält.

Atemlos erreichte er den Generator. Er hörte die Schreie aus Tausenden Kehlen, sah die Kämpfe der Rennenden untereinander, die sich von ihren Nachbarn behindert fühlten. Er sah Menschen fallen und unter den Schuhen der anderen verschwinden.

Fahrzeuge bahnten sich ihren Weg zwischen den Körpern, walzten lebende Hindernisse nieder, blieben stecken, rollten wieder vorwärts.

Rhodan sah aber auch Uniformen in dem Getümmel und Waffen.

»Wir dürfen die Soldaten nicht hereinlassen«, ächzte Bull atemlos und stützte sich auf den Generator.

Rhodan schüttelte stumm den Kopf. Er war derselben Meinung, aber sie hatten keine Chance, Anhänger und Gegner voneinander zu trennen.

Und die Baumaschinen versuchten vergeblich, vor dem Schirm ein wenig Ordnung in den Ansturm der Verzweifelten zu bringen.

»Wir werden die Einheit der Menschen dieser Welt nie erreichen, solange sie auf Mord und Totschlag gegründet ist«, sagte Rhodan leise und begann mit dem Automaten des Generators zu kommunizieren. »Das Schirmfeld rundherum vom Boden bis zu einer Höhe von drei Metern öffnen. Sofort!«

Das Flimmern in Bodennähe verschwand. Augenblicke später erreichte die Flüchtlingswelle den Schirm.

»Schachmatt!«, sagte Bull.

Winzige Insekten waren es, die am Horizont auftauchten und schnell größer wurden. Nach kurzer Zeit entpuppten sie sich als Kameradrohnen – flache Motorsegler mit langen Funkstacheln. Ihr Ziel war eindeutig Terrania.

»Sie werden sich am Schirm kaputte Nasen holen«, meinte Nyssen. »Geschieht ihnen recht.«

»Sei dir da nicht so sicher«, sagte Rhodan. »Schaut mal auf die Soldaten dahinten! Sie sammeln sich. Noch können sie uns nicht sehen, da wir durch die Baucontainer verdeckt sind.«

»Du hast recht!« Bull schlug sich gegen die Stirn. »Die suchen nicht nur nach uns, die wollen vor allem den Schirmgenerator.«

Rhodan vermutete, dass das Hightechgerät tatsächlich an erster Stelle stand. Das Schicksal der Astronauten war den meisten Politikern dieses Landes vermutlich egal. Mit einem solchen Generator verfügte jede Armee der Erde über ein neues Machtmittel.

Die Menschenmenge erreichte die Gruppe der Soldaten und überrollte sie buchstäblich. Entsetzt sah Rhodan zu, wie die Flüchtlinge panisch und schreiend nach Terrania hereinkamen; sie rannten und stolperten.

Einen kleinen Effekt erzielten die Baumaschinen immerhin, die Rhodan vor das Schirmfeld beordert hatte: Die Menschen richteten ihre Aufmerksamkeit auf die Hindernisse, die Gebäude und die Straßen. Die Woge spaltete sich geradezu in einzelne Ströme auf; die Gefahr für die Einzelnen, von anderen Flüchtlingen zu Tode getrampelt zu werden, schwand rapide.

Erste Ankömmlinge stolperten in die Hauseingänge, suchten im Innern der Gebäude Schutz. Es waren lediglich Rohbauten, in den vergangenen Tagen von den autonomen arkonidischen Baumaschinen und Robotern errichtet. In ihnen gab es weder Strom noch fließendes Wasser. Aber es waren Mauern und Dächer, die Schatten gegen die Sonne boten und einen Raum, in dem sich die Flüchtlinge ausruhen konnten.

Weitere Menschen drängten nach. Rhodan erblickte verzerrte Gesichter. Ein weinender Mann mit zwei Kindern auf dem Arm. Eine Frau, die an der Schläfe blutete und deren Haar teilweise herunterhing. Ein Mann starrte in seine Richtung, die Gesichtszüge außer Kontrolle. Schleim rann ihm aus der Nase über die Lippen, er nahm es nicht wahr. Die Angst drückte ihm die Augen aus dem Kopf. Er hielt sich den linken Arm, dessen Hand schlaff herabhing.

In diesen Augenblicken wünschte Perry Rhodan sich, seine Rede nie gehalten zu haben. Schlimmer noch, er wünschte sich einen Augenblick lang, nie geboren worden zu sein. Er unterdrückte den Fluchtinstinkt der Menge, der auf ihn überspringen wollte.

Hastig sprach er in das Funkgerät und rief eine Baumaschine mit Ladefläche herbei. »Wir schaffen den Generator einfach weg.«

»Perry, das ist Wahnsinn, tu das nicht!«, schrie Bull. In dem tosenden Lärm, der Terrania inzwischen erfüllte, verstand Rhodan ihn kaum.

»Der Generator stellt in der Hand der Chinesen eine Gefahr für die gesamte Menschheit dar, natürlich ebenso in der Hand der Amerikaner, Russen oder anderer Staaten«, sagte Rhodan hastig. »Wenn es mir nicht zu gefährlich wäre, würde ich ihn zerstören.«

»Du vergisst die Strahlung!«

»Nein, Reg!«

Rhodan deutete auf den Pilz. Die weiße Säule und der flache, schirmartige Pilz darüber sahen einem herkömmlichen Atompilz zwar ähnlich, aber das fast makellose Weiß des Atompilzes war falsch. Eine herkömmliche Nuklearbombe mit Spaltladung erzeugte sofort bei der Pilzbildung Fallout, der den Pilz verfärbte.

»Jetzt, wo du es sagst ...«, kam es kleinlaut zurück.

»Eine Fusionsbombe«, sagte Rhodan wie zu sich selbst. »Sie erzeugt weniger Strahlung, und sie baut sich zudem schneller ab als bei einer Kernspaltung. Jetzt wissen wir auch, warum sie in dieser Entfernung gezündet wurde.«

»Das leuchtet ein, Perry. China hat in den letzten Jahrzehnten Unsummen in die Rüstung gesteckt. Auch in die Entwicklung neuerer ›sauberer‹ Bomben. Bai Jun will in erster Linie Panik verbreiten.«

»Wir müssen davon ausgehen, dass es durch die Panik Hunderte von Toten gegeben hat. Die Chinesen haben das einkalkuliert, nicht aber den Massenmord an Zehntausenden. Ihre Primärziele sind die Öffnung des Schirms und die Erbeutung des Generators.«

Die Fliehenden kamen immer näher, die Woge schwappte geradezu über Rhodan und seine Kameraden hinweg.

Jetzt hätten sie jede Menge Roboter in der Stadt brauchen können. Die Maschinen hätten die Menschen versorgen können; jetzt war das alles nicht möglich.

Die Kameradrohnen des Nachrichtennetzes kreisten über den Gebäuden. Rhodan zog unwillkürlich den Kopf ein. Bei einer Sensation wie dem auf der Erde gelandeten Außerirdischen Crest würden sich die Medien keinen Atemzug entgehen lassen. Die internationale Zusammenarbeit klappte hier ebenso gut wie auf politischer und geheimdienstlicher Ebene.

»Seht nicht nach oben«, murmelte er. »Die Herrschaften an den Bildschirmen der Sendezentralen versuchen uns noch vor den Soldaten zu finden.«

»Den Schirm, Perry! Du musst den Schirm wieder ...«

Rhodan nickte. Der paar Dutzend Soldaten in der Stadt wurden sie mithilfe der Menschenmassen vielleicht Herr. Eine ganze Armee aber konnten sie nicht besiegen. Er wollte bereits die Anweisung an den Automaten geben, aber sie blieb ihm im Hals stecken.

»Hölle noch mal!«, fluchte Bull. Er sah es auch.

Die Soldaten verteilten sich nach einem Plan, der offensichtlich von einigen Offizieren spontan entwickelt wurde; sie standen in der Stadt, an ihren Rändern und auf dem umliegenden Land. Egal, wo Rhodan den Schirm jetzt aufbauen wollte, weit draußen oder nur im Kern von Terrania, er musste zuerst die Soldaten wegschaffen. Es sei denn, er tötete etliche von ihnen bei der Aktivierung der Energiewand.

Schon jetzt gab es draußen genug Tote, nicht durch sein Handeln oder das seiner Kameraden. Aber das Blut dieser Menschen würde auch an seinen Händen kleben. Die Bilder von den Toten rund um die Stadt wanderten bis in den letzten Winkel des Planeten.

»Habt ihr einen besseren Vorschlag?«, fragte er.

Er erhielt keine Antwort. Die kleine Gruppe aus sechs Astronauten und Kosmonauten drängte sich enger um den Generator zwischen den Containern. Die Flut aus Leibern wogte an ihnen vorbei – in einer Woge aus Staub und nackter Angst.

Rhodan nahm den Gefährten die Entscheidung ab. »Schirm komplett abschalten!«

Die Kuppel über Terrania erlosch vollständig. Wenigstens diesen Triumph gönnte er Bai Jun und dessen Hintermännern nicht.

Jetzt war es besiegelt, dieses moralische und politische Ende der Zukunft. Die Stiefel der Soldaten stampften es in den Boden, während der Westwind die weiße Säule im Osten nach und nach in Fetzen zerriss und davontrieb.

»Helft mir Planen und Säcke suchen!«, sagte Rhodan.

Provisorisch deckten sie den Generator mit leeren Baustoffbehältern ab, dann stürzten sie sich ins Gewühl.

An den Eingängen der Häuser entstanden bereits Tumulte. Alle wollten hinein, viele drängelten und drückten. Aus Püffen und Stößen entstanden erste Prügeleien.

»Geht weiter!«, rief Rhodan einigen Flüchtlingen zu, die er als Amerikanerin oder Europäerin einstufte. »Es gibt genug Platz. In der Stadt hat es noch mehr Häuser.«

Der weinende Mann mit den Kindern auf den Armen tauchte auf, rannte ihn fast um. »Haben Sie meine Frau gesehen?« Der Aussprache nach war er Engländer.

Rhodan schüttelte den Kopf. »Kommen Sie, ich nehme Ihnen eines der Kinder ab!«

»Verschwinden Sie!«, schrie ihn der Mann an. Jetzt fingen auch die Kinder an zu weinen.

Rhodan ging weiter, ließ sich mit dem Strom treiben und machte sich klein. Unauffällig musterte er den plumpen Schatten, der auf die Straße fiel. Er gehörte zu einer der ferngelenkten Drohnen. Hunderte oder auch Tausende Kilometer entfernt, sahen Journalisten und wohl auch Geheimdienstler zu, was in Terrania vor sich ging.

Irgendwo in Richtung Zentrum fiel ein Schuss. Der peitschende Knall besiegte für ein paar Augenblicke den höllischen Lärm, der über der Stadt lag. Die Menschen hielten erschrocken den Atem an.

Der erste Soldat, der die Nerven verliert, dachte Rhodan. Es wird nicht der letzte sein.

Bai Jun hatte von Anfang an am längeren Hebel gesessen. Der General hatte ihm viel Zeit gelassen, aber irgendwann war seine Geduld zu Ende gewesen.

Es gelang Rhodan, sich über ein hohes Geländer zu schwingen und zur Kellertreppe des nächsten Gebäudes vorzudringen. Im Treppenschacht fand er graue Plastikbahnen, mehrere Meter lang und fast zwei Meter breit. Sie stammten aus chinesischen Armeebeständen. Ein arkonidischer Roboter hatte sie und weiteres Material bei einem nächtlichen Vorstoß gestohlen. Teilweise waren die Planen zerfetzt, aber sie passten für seine Zwecke. Er faltete sie hastig zusammen, kletterte wieder über das Geländer und schleppte die sechs, acht Kilo mit sich.

Überall waren Flüchtlinge; viele von ihnen sahen aus, als stammten sie aus China und anderen ostasiatischen Ländern. Danach kam eine Gruppe von Männern und Frauen mit schwarzer Hautfarbe; er hörte, dass sie sich auf Englisch unterhielten.

»Es ist alles in Ordnung«, rief er. »Beruhigen Sie sich!«

Es sah nicht danach aus, als habe irgendjemand ihn gehört.

Er eilte weiter. Er schwitzte vor Anstrengung, doch er hatte keine andere Wahl. Für die Menschheit ging es um sehr viel. Nicht auszudenken, wenn die technischen Mittel der Arkoniden einer einzelnen Macht in die Hände fielen.

Begreift ihr denn nicht? Diese Errungenschaften bringen nur dann Frieden, wenn sie der gesamten Menschheit gehören. Nicht einem Einzelnen oder einer Gruppe.

Als er zur Menschheit gesprochen hatte, hatten sie ihm zugehört und ihn verstanden. Und jetzt?

»Wo ist das Raumschiff, verflucht noch mal!«, hörte er eine Stimme grölen. »Ich will in dieses Raumschiff! Und dann nichts wie weg!«

Waren das die friedlichen Pioniere, die ins Weltall aufbrechen wollten? Gewiss nicht.

Rhodan musste stehen bleiben und warten, bis der Strom der Menschen ein wenig nachließ. Er schaute nicht auf die Uhr, aber für den Rückweg brauchte er mindestens dreimal so lang wie für den Hinweg.

Als er den Generator erreichte, sagte Baturin gerade: »Eine perfekte Lösung wäre, wir würden uns selbst erschießen und dem Schicksal freien Lauf lassen.«

Die Baumaschine traf ein. Mit vereinten Kräften und mit dem Schwenkarm der Maschine luden die Astronauten den Generator auf die Ladefläche und deckten ihn anschließend mit Plastikbahnen und Behältern zu.

»Wohin damit?«, fragte Bull.

Rhodan überlegte. »In den Keller von Gebäude Vierunddreißig.« Die vom Mond geretteten Astronauten und Kosmonauten hatten während der Belagerung damit begonnen, die Rohbauten durchzunummerieren. Es hatte ihnen eine Aufgabe gegeben, wenigstens für ein paar Stunden. Sie waren auf 168 gekommen, allesamt im Stadium des Rohbaus. »Dort gibt es ein paar Schächte und Kammern, die noch nicht fertiggestellt sind.«

Darja Morosowa zuckte zurück. Sie stieß gegen Rhodan, der ihr dichtauf folgte.

»Zivilisten in dunklen Anzügen«, zischte sie. »Anzüge vom selben Billigschneider!«

Die Kosmonautin meinte, dass solche Menschen nicht auffallen wollten, wenn sie sich unter die Bevölkerung mischten. Trafen sie an einem Ort zusammen, stach ihre Uniformität dafür umso mehr ins Auge. Sie wies auf eine Gruppe von chinesisch aussehenden Männern, die ganz in der Nähe zwischen einigen Gebäuden standen; sie wirkten nicht in Panik wie die Flüchtlinge, sondern schienen sich in Ruhe abzusprechen.

Derselbe Anzugsstoff, dieselben Krawatten und Schuhe, sogar dieselben Hemden. Auch die Sonnenbrillen unterschieden sich in nichts voneinander.

»Zurück!«, sagte Rhodan leise. »Die Maschine soll weiterfahren. Wir warten und gehen dann einzeln los.«

Wie alle Baumaschinen, die Thora ihnen widerwillig überlassen hatte, operierte sie autonom, hatte man ihr Befehle erteilt.

Thora – einen Augenblick lang dachte Rhodan an die Arkonidin. Sie war stolz, ja arrogant gewesen – und der festen Überzeugung, dass Crest dem Tod geweiht war, begab er sich unter die Barbaren. Jetzt war sie tot, in der Explosion verglüht, die die AETRON auf dem Mond zerfetzt hatte.

In Rhodans Blickfeld tauchte einer der Männer im Anzug auf. Er schaute nicht hin, bewegte sich stattdessen weg von den Containern, die den Astronauten als Sichtschutz dienten. Ob der Mann ihn beobachtete, konnte er nicht sagen. Als er abbog, war kein dunkler Anzug mehr vorhanden.

Noch immer hielt der Strom der Menschen an. Inzwischen erreichten jene die Stadt, die ganz draußen und relativ nahe an der Bombe gewesen waren. Rhodan sah Männer und Frauen, die Kinder und Alte mit sich schleppten. Manche waren halb besinnungslos vor Anstrengung und Furcht, aber auch vor Hunger und Durst. Andere schubsten und drängelten, um möglichst schnell einen Platz in oder an einem der Gebäude zu erreichen. Hinter ihnen versiegte der Strom der Menschen langsam.

Er mischte sich unter sie, ließ sich in die Richtung treiben, in der die Baumaschine rollte. An der ersten Seitenstraße sah er eine Gruppe Soldaten mit Waffen im Anschlag. Es gab offensichtlich verschiedene Suchgruppen. Zivilisten, die er dem Geheimdienst zurechnete, und Soldaten, die den Befehlen des Generals gehorchten.

Vielleicht veranstalteten sie einen Wettlauf, wer als Erster Rhodan und Bull schnappte.

Delikte für eine Anklage gab es genug. Landesverrat, unerlaubtes Vordringen auf fremdes Territorium, Annektierung von Staatsgebiet, Verstoß gegen das Völkerrecht. Auf solche Vergehen stand nach chinesischem Recht vermutlich die Todesstrafe.

Rhodan überlegte, was das kleinere Übel war. Wollte er eher dem Geheimdienst in die Hände fallen oder dem Militär?

Das Groteske in seinem Fall: Die Regierung der Vereinigten Staaten von Amerika unter Präsident Drummond würde keinen Versuch unternehmen, seine Begnadigung oder Freilassung zu erwirken. Nachdem feststand, dass es auf dem Mond tatsächlich ein Schiff mit Außerirdischen gegeben hatte, waren Rhodan und seine Begleiter keine Deserteure mehr, aus denen man die Wahrheit herauspressen wollte. Für das Schicksal von ein paar Irregeleiteten in der Wüste Gobi interessierte sich kein Geheimdienst mehr.

Wieder entdeckte er den Schatten einer Drohne ganz in der Nähe. Der Schatten veränderte sich, als öffnete sich im Rumpf des Miniflugzeugs eine Klappe.

Rhodan hörte ein Sirren. Ein zweiter Schatten löste sich von dem ersten, eiförmig mit einem Gestänge darüber. Viele der Menschen in seiner Nähe sahen den Schatten ebenfalls und rannten schneller.

Irgendwo schrie ein Mann, schrill und verzweifelt. Dann tauchten plötzlich zwei Kinder vor Perry auf. Er kannte die Gesichter, griff zu und klemmte sich die beiden unter die Arme.

Das Ei mit dem Gestänge kam. Es handelte sich um einen Gyrocopter mit mehreren Kameras. In wenigen Metern Höhe flog er über den Köpfen der Menschen entlang. Eine zweite Drohne stieß herab, hängte sich an ihr Heck. Rhodan hörte das Rattern eines Maschinengewehrs, Mündungsfeuer blitzte auf. Der Gyrocopter zerplatzte.

Bai Jun wollte offensichtlich, dass die Welt vom Fall Terranias erfuhr – aber nicht von den schmutzigen Details, die beim Sturm der Zivilisten unweigerlich geschahen.

Rhodan sah weg. »Gleich sind wir am Ziel«, sagte er zu den Kindern. »Dann beginnt ein neues Leben.«

Die beiden, ein Mädchen und ein Junge, beruhigten sich ein wenig. Rhodan hielt nach ihrem Vater Ausschau. Er fand ihn an der nächsten Hausecke, ein Häuflein Elend am Boden, ein gebrochener Mann. Als Rhodan ihn ansprach, verstand er ihn erst gar nicht. Er starrte seine Kinder an, als seien sie Fremde.

»Sie sind überfordert, kann ich Ihnen helfen?«

Die Reaktion war ähnlich wie bei der ersten Begegnung. Der Mann spuckte ihn an, packte die Kinder und rannte weg.

Bull tauchte neben Rhodan auf. »Es hat keinen Sinn«, sagte er leise. »Alle sind wie taub. Sie hören dich, aber sie verstehen dich nicht. Vielleicht liegt es an der Druckwelle der Explosion ...«

Sie erreichten die Rückseite von Gebäude Vierunddreißig. Nyssen und Deringhouse luden mit dem Kran der Maschine soeben den Generator ab und senkten ihn in den Treppenschacht bis auf Kellerniveau.

Gemeinsam schoben sie den Generator ins Gebäude, bis sie eine der Kammern erreichten, die sie anschließend mit Bauabfällen und Verpackungsmaterial füllten.

»Die Typen in den Anzügen verteilen inzwischen Flugblätter mit euren Gesichtern«, sagte Darja. »Sie fahnden gezielt nach euch.«

»Erst müssen sie uns kriegen.« Bull hob die Faust und schüttelte sie in Richtung Treppe. »Wir haben noch den zweisitzigen Vogel.«

»Für zwei Personen, nicht mehr.« Rhodan nickte. »Das ist mir nicht effektiv genug. Wir können keinen Pendelverkehr einrichten, um uns alle auszufliegen.«

Er wollte die PHÖNIX in ihrem Versteck lassen, bis ein echter Notfall eintrat.

»Dann gehen wir einfach in den Bunker und schütten den Eingang mit Sand zu«, schlug Bull vor.

Rhodan schüttelte den Kopf. Im Bunker konnten sie sich nicht selbst versorgen, es fehlten die Vorräte und die Klimaanlagen. Und es gab dort keine Waffen, mit denen sie sich verteidigen konnten. Irgendwann hätten sie wieder hervorkriechen müssen.

»Wir gehen wieder hinauf, weg vom Schirmgenerator, und mischen uns unters Volk«, sagte er. »Wir halten uns immer an einer Position auf, wo der Gegner gerade nicht ist. Wir mischen uns unters Volk, da draußen rennen jetzt zigtausend Leute herum.«

Sie machten sich auf den Weg. Auf der Höhe von Gebäude Vierunddreißig näherte sich ein Dutzend Soldaten und kreiste die benachbarten Gebäude ein.

Rhodan und seine Begleiter machten, dass sie wegkamen. Die Ankunft der Baumaschine war doch nicht so unbemerkt geblieben wie gehofft. Jeder ging in eine andere Richtung, sie hielten mithilfe von Mobiltelefonen miteinander Kontakt.

»Ich bin jetzt in der dritten Straße Nord«, sagte Bull kurz darauf. »Biege gerade ab in die zweite Seitenstraße Ost.«

»In der vierten Straße Nord sind Soldaten. Du stößt am Ende der Gasse mit ihnen zusammen«, warnte Rod Nyssen. »Jetzt trennen sie sich und biegen in die dritte West und Ost ein.«