Persephone: Verdammt mächtig - Lucia Herbst - E-Book
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Persephone: Verdammt mächtig E-Book

Lucia Herbst

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Beschreibung

#WhyIStayed: Warum ist es so schwer, einen toxischen Partner zu verlassen? Eine Neuerzählung des Persephone-Mythos in der heutigen Zeit von der Gewinnerin des Phantastikpreises Seraph 2023 für das »Beste Debüt«  »Ich will nicht bei ihm bleiben, aber ich habe Angst zu gehen. Mit mir an seiner Seite bleibt er berechenbar. Doch wenn ich mich trenne, fürchte ich nicht nur um meine Existenz, sondern um die der Welt.«  Ermutigt durch Medusas Prozess versucht die Frühlingsgöttin Persephone, sich aus der Zwangsehe mit dem Herrscher der Unterwelt Hades zu befreien. Sie träumt von einem ruhigen Leben auf der Oberwelt. Allerdings ist sowohl ihr Körper an die Unterwelt gebunden, als auch ihre Seele nach Jahrtausenden im Reich der Toten vergiftet.  Verzweifelt setzt sie für ihre Freiheit die Göttlichkeit aufs Spiel, während Hades im Gegenzug bereit ist, die Welten der Lebenden und der Toten ins Chaos zu stürzen, um sie zurückzubekommen. Erst in seiner Falle begreift Persephone, dass es neben Fügen oder Fliehen noch eine dritte Option gibt: Kämpfen. 

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© Piper Verlag GmbH, München 2024

Konvertierung auf Grundlage eines CSS-Layouts von digital publishing competence (München) mit abavo vlow (Buchloe)

Covergestaltung: Emily Bähr, www.emilybaehr.de

Covermotiv: Shutterstock (belov1409, 80’s child, Lauritta, szmuli); Freepik (rawpixel.com)

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Inhalt

Inhaltsübersicht

Cover & Impressum

Widmung

Prolog

1. Zweifel

2. Ein furchtbares Angebot

3. Ein gefürchtetes Wiedersehen

4. Aussicht auf Freiheit

5. So gleich und so anders

6. Götterspeisen

7. Von Gerechtigkeit und Latrinen

8. Das Ende einer Freundschaft

9. Der Anfang vom Ende

10. Wut und Liebe

11. Das Haus der Nyx

12. Kontrollverlust

13. Dunkle Schwingen

14. Was wäre, wenn?

15. Betrogenes Vertrauen

16. Befreiung

17. Ankunft bei Medusa

18. Erpresserische Bitten

19. Ein orphischer Hymnus

20. Süßigkeiten und Blumen

21. Himmel und Erde

22. Der Preis der Freiheit

23. Eine Falle

24. Tod, Liebe und Wahnsinn

25. Psychoanalyse unter Hypnose

26. Kores Tod

27. Die Stille zwischen den Gedanken

28. Die Auslosung der Welt

29. Der beste Freund einer Göttin

30. Eine Frucht der Unterwelt

31. Ein Kuss für die Ewigkeit

32. Ein Kompromiss

33. Ausgeschlagene Freundschaft

34. Bittere Freiheit

35. Eine verzweifelte Entscheidung

36. Alte Feinde, neue Freunde

37. Hades’ größte Angst

38. Gaias Leib und Blut

39. Ein Wunder

40. Vorbereitung

41. Versöhnung

42. Gaias Erbin

Epilog

Danksagung

Quellen

Content Notes

Glossar

Acheron

Aiakos

Ambrosia

Amphirite

Anput

Anubis

Aphrodite

Apollon

Apophis

Ares

Ariadne

Artemis

Askalaphos

Asklepios

Asphodeloswiesen

Athene

Atlas

Atropos

Charon

Chronos

Chrysaor

Danaiden

Demeter

Dike

Dionysos

Elysion

Enma

Erebos

Ereschkigal

Erinnyen

Eros

Euryale

Eurydike

Fenriswolf

Gaia

Gigantomachie

Gorgone

Graien

Hades: Gott

Hades: Unterwelt

Harmonia

Hekate

Hel

Helheim

Helios

Hemera

Hephaistos

Hera

Hermes

Horus

Hundertarmige

Hypnos

Iris

Isis

Izanagi

Jadekaiser

Jörmungandr: Midgardschlange

Klotho

Kokytos

Koronis

Kronos

Lachesis

Lethe

Leuke

Maat

Marpessa und Idas

Medusa

Melinoe

Metis

Minos

Minthe

Mnemosyne

Moiren

Nektar

Nergal

Nyx

Odin

Olymp

Olympier

Oneiroi

Orpheus

Orphiker

Osiris

Pegasos

Persephone

Perseus

Phlegeton

Phlegyas

Poseidon

Psyche

Ra

Ragnarök

Rhadamanthys

Rhea

Semele

Seth

Sirenen

Sisyphos

Stheno

Styx

Tartarus

Thanatos

Themis

Titanen

Titanomachie

Uranos

Zagreus

Zerberus

Zeus

Zyklopen

Buchnavigation

Inhaltsübersicht

Cover

Textanfang

Impressum

Für Mama, die stärkste Frau, die ich kenne.

Niemand hat so sehr auf Persephones Geschichte gewartet wie du.

Bitte beachtet die Content Notes nach den Quellenangaben

Prolog

Über die Frühlingsgöttin Persephone, einst Kore genannt,

erzählt man sich bestürzende Sagen.

Sie wurde misshandelt, entführt.

Niemand hörte ihr Klagen.

Der allmächtige Zeus war Kores Vater.

Demeter brachte die Frühlingsgöttin zur Welt.

Die Tage der mächtigen Fruchtbarkeitsgöttin

wurden durch die geliebte Tochter erhellt.

Die junge Kore wuchs heran,

schön und sprühend vor Leben.

Verzweifelt versteckte sie ihre Mutter.

Die Frühlingsgöttin war von Schatten umgeben.

Die unbeschwerten Tage endeten,

als Zeus seine Tochter begehrte,

sich an das Mädchen heranschlich

und sie in Form einer Schlange entehrte.

Kore gebar den Sohn Zagreus.

Zeus’ Ehefrau Hera raste vor Wut.

Sie ließ den Jungen ermorden.

Der Gott Dionysos entstand aus dem vergossenen Blut.

Kurze Zeit später, heimlich vor Demeter,

doch mit Zeus’ stillem Einverständnis,

entführte Hades, der Herrscher der Unterwelt,

die Frühlingsgöttin in sein dunkles Gefängnis.

Vergeblich suchte Demeter ihre Tochter.

In ihrer Trauer beschwor sie den Tod.

Pflanzen durften nicht wachsen.

Menschen und Tiere starben in der folgenden Hungersnot.

Hekate, die Göttin der Magie und Schwellen,

rettete schließlich die Welt.

Sie verriet der verzweifelten Mutter,

wer ihre Tochter gefangen hält.

Wütend verlangte Demeter,

dass Zeus das gemeinsame Kind befreie.

Erst da griff er ein, denn unerträglich

wurden der Hungernden Schreie.

Zeus schickte den Götterboten zu Hades mit einem Befehl:

»Lass die Geraubte gehen!«

Der Herrscher der Unterwelt ignorierte es,

genauso wie Kores Flehen.

Hades zwang die junge Göttin,

Granatapfelkerne aus seinem Garten zu essen.

Persephone erhob sich im Zwielicht.

Kore wurde vergessen.

Demeter tobte.

Um Hades und die Mutter zufriedenzustellen,

musste der Göttervater

ein neues Urteil fällen.

Ein halbes Jahr sollte die Frühlingsgöttin

bei Hades verbringen.

Während Demeter trauerte, wurde es Herbst und Winter.

Pflanzen verdorrten, Vögel durften nicht singen.

Im Frühling und Sommer sollte Persephone

das Reich der Schatten verlassen.

Die Erde erblühte.

Hades begann, diese Zeit zu hassen.

Danach hörte man wenig von Persephone,

wie sie ihre Zeit in der Unterwelt verbrachte,

nur dass Hades ihr jeden Wunsch erfüllte,

sie liebte und eifersüchtig über sie wachte.

Die Jahre vergingen.

Die Götter wurden zu Mythen, Legenden.

Man sollte meinen,

hier würde Persephones Geschichte enden.

Bis eines Tages

die Gorgone Medusa sich wagte

und ihren Vergewaltiger Poseidon

samt seiner Gehilfin Athene verklagte.

Persephone ergriff Partei,

erklärte Hades den Krieg,

entfesselte dunkle Kräfte

und verhalf Medusa zum Sieg.

Wir sind die Moiren,

Klotho, Lachesis und Atropos,

drei Göttinnen, die das Schicksal spinnen,

jedoch keinesfalls darüber bestimmen.

Der Schicksalsteppich

liegt in all seinen Farben zu unseren Füßen.

Ängstlich blickt daraus Persephones Abbild.

Wird sie ihren Aufstand büßen?

Wir treten nun einen Schritt zurück.

Lassen Persephone reden,

und sehen zu, wie sich bunte Fäden

neu in ihr Leben verweben.

Noch ist es ein Flüstern.

Wird sie es wagen?

Wir bangen um sie.

Wer wird ihre Stimme ertragen?

1. Zweifel

Eine Stille, bedrückender als die der Toten, lauert vor dem Garten meiner Seele. Hinter den Säulen, da, wo die Schatten beginnen und mit dem Nebel verschmelzen, setzt das lang vergessene Grauen zum Sprung an.

Lass mich raus, Persephone, flüstert die Dunkelheit und versucht über meine Augen auszubrechen.

Ich antworte nicht. Kneife die Lider zusammen. Sie zittern vor Anstrengung.

Seit Medusas Prozess spricht dieses Übel zu mir. Neuerdings ist es stärker geworden.

Übel? Ohne mich würdest du wie eine Fliege in Hades’ Netz zappeln. Du hast Glück, dass er noch im Gefängnis sitzt.

Mir fehlt die Kraft, mich gegen die Worte des Schattens zu wehren.

Es klopft an der Tür. Das Geräusch reißt mich in die Realität meiner spärlich erleuchteten Gemächer zurück. Das Kerzenlicht und das Kaminfeuer reichen nicht bis in die Ecken des großen Raums, bringen jedoch auf den Wänden und der Decke das Mosaik aus bunten Edelsteinen zum Funkeln. So wirken der abgebildete Wald aus Smaragden, der Himmel aus Saphiren und Aquamarinen, die Wolken aus Bergkristallen und die Sonne aus gelben Diamanten beinahe lebendig.

»Wer ist da?«

Keine Antwort. Nicht schon wieder. Mit einer unguten Vorahnung eile ich zur goldbeschlagenen Tür und reiße sie auf. Auf dem Boden steht eine zartgelbe Vase mit einem Blumenstrauß aus etwa dreißig weißen Rosen. Daneben liegt ein kleiner Korb mit Honiggebäck. Hastig überprüfe ich den Gang. Es ist niemand da. Nur das Licht der an der Wand befestigten Fackeln flackert über die Wände.

»Hermes?«, rufe ich unsicher. Nichts bewegt sich.

Ich habe den Götterboten seit einer Ewigkeit nicht mehr gesehen. Auch nicht bei Medusas Prozess. Ist er es, der mir seit dreißig Tagen täglich Blumen, Schmuck und Köstlichkeiten im Namen von Hades, der im Gefängnis ist, überbringt? Dass der neue Blumenstrauß wieder vom gleichen Absender ist, erkenne ich an der kleinen Papyrusrolle, die zwischen den faustgroßen Blüten steckt.

Oder ist Hades’ treuer Diener und Gärtner sein Bote?

»Askalaphos?«, frage ich mit dunklerer Stimme.

Wieder Schweigen.

Zum Glück geht mir dieser widerliche Uhu aus dem Weg. Mir hat er seine Vogelgestalt zu verdanken. Ich bin sicher, dass sich Hermes oder Askalaphos in den Schatten zwischen den Lichtkegeln der Fackeln versteckt. Beide beherrschen es, die eigene Präsenz zu verbergen. Mir soll es recht sein. Ich lege keinen Wert auf ihre Gesellschaft.

Nun wende ich meine ganze Aufmerksamkeit den armen Blumen zu, die so gnadenlos zum Sterben verurteilt wurden, als man sie abschnitt. Ich nehme die Vase, drücke sie mit beiden Armen an mich und lege eine Wange auf die Blüten. Zart und kühl schmiegen sie sich an meine Haut. Sie duften verzweifelt nach ihrem nahenden Tod. Ihre Stimmen haben sie bereits verloren.

»Es wird alles gut«, flüstere ich. »Ihr werdet nicht sterben.« Das Honiggebäck schiebe ich mit dem Fuß in mein Zimmer, bevor ich die Tür mit dem anderen hinter mir zuschlage. Zerberus wird sich über die Süßigkeiten freuen.

Die Neuankömmlinge stelle ich zu den dreißig anderen Rosensträußen in verschiedenen Roséschattierungen. Ich kann ihre Angst spüren. Also hauche ich über die Blätter. Ein Funke meiner Kraft genügt ihnen. Nur kann ich gerade nicht einmal diesen entbehren. Macht Hades das mit Absicht?

Ich pflücke die Papyrusrolle aus dem Strauß und öffne sie. Ein kleiner Fetzen von Hades’ Dunkelheit entsteigt ihr und nimmt die Gestalt des Herrschers der Unterwelt an. Die schattenhafte Präsenz meines Mannes wendet sich zu mir und beginnt mit Hades’ Stimme zu sprechen:

»Meine liebste Persephone, ich hoffe inständig, dass es dir gut geht. Ich wage es nicht, dich zu fragen, da ich vermutlich wieder keine Antwort bekommen werde. Wahrscheinlich habe ich es verdient.« Sehnsüchtig streckt Hades’ Schatten die Arme nach mir aus. Ich weiche einen Schritt zurück. »Mein Juwel«, fährt er fort, »ich flehe dich an, rede mit mir. Ich zerbreche mir in meiner Gefängniszelle den Kopf darüber, was ich getan habe. Hast du dich gegen mich gewandt, weil ich Zeus geholfen habe? Ich wollte lediglich die bestehende Ordnung aufrechterhalten. Wie ich befürchtet habe, hat Medusas Sieg zu Chaos unter den Toten und Lebenden geführt. Sieh uns zwei an. Dir fiel es stets so schwer, mit Veränderungen zurechtzukommen. Weißt du noch, wie lange du gebraucht hast, um die Trennung von deiner Mutter zu akzeptieren? Alles, was ich tue, denke oder fühle, gilt allein dir. Ich habe mit Zeus zusammengearbeitet, um dich zu schützen.

Wie furchtbar muss es gerade für dich sein? Du leidest jeden Moment, in dem du die Bürde der Unterwelt auf deinen zarten Schultern trägst. Ich kenne diese Last nur zu gut. Den Druck, die Grenzen zur Oberwelt geschlossen zu halten, die Notwendigkeit, für Gerechtigkeit und Ordnung unter den Seelen zu sorgen. Stets habe ich diese Aufgabe von dir ferngehalten und dich geschont.

Nur um in deiner Nähe zu bleiben, habe ich mich der UGO gestellt. Ich mache mir furchtbare Sorgen um dich. Unsere gemeinsame Zeit verrinnt. Bald wird dich deine Mutter zu sich rufen. Doch der Olymp ist verschlossen. Zeus ist nicht da. Der Zugang zu Nektar und Ambrosia ist dir verwehrt.

Ich beknie dich, wenn du schon nicht um meinet- und unseretwillen mit mir reden willst, so lass mich dir wenigstens helfen, das kommende Sommerhalbjahr unversehrt zu überstehen. Du hast nichts von mir zu befürchten. Ich werde dir verzeihen. Wie ich es immer getan habe. Ich kann dir nicht beschreiben, wie sehr ich dich vermisse. Ohne dich bin ich nichts. Verloren und allein in ewiger Finsternis. Hat für dich denn kein einziger guter Moment zwischen uns existiert? Früher oder später werde ich zurückkommen. Bitte vergiss das nicht. In ewiger Liebe, dein Ehemann Hades.«

Die schattenhafte Gestalt gibt mir einen Luftkuss und löst sich in Rauch auf.

Langsam rolle ich das Pergament wieder zusammen.

»Warum hast du gelogen?«, flüstere ich, um das Zittern meiner Stimme nicht hören zu müssen. Meine Brust ist eng. Ich fürchte seine Rache. Ja, er wird mir verzeihen. Aber nicht ohne Gegenleistung. Werde ich seine Strafe aushalten?

Ich bin am Ende meiner Kräfte. Hades muss es spüren. Er macht sich Sorgen um mich, um die Seelen, um die Ordnung hier.

Nimmst du es ihm wirklich ab? Nicht dein Ernst, oder?

Ich hole scharf Luft. Es ist unwichtig, ob ich ihm glaube oder nicht. Egal was zwischen uns war, er hat mich die Last der Herrschaft nie spüren lassen. Wie sorglos war ich doch vor Medusas Prozess. War es richtig, aufzustehen? Hätte ich seine Lügen nicht ignorieren können? Nur dieses eine Mal?

Ich weiß, dass er mich braucht, wie schlecht es ihm jedes Jahr ging, wenn meine Zeit kam, zu Mutter an die Oberfläche zu steigen. Wie verloren und einsam er bei den Abschieden wirkte.

Ein Blitz bahnt sich einen Weg aus meinen Augen heraus und schlägt in Hades’ Papyrusrolle ein. Erschrocken lasse ich sie fallen. Sie geht in Flammen auf, und die Asche fällt vor meine Füße.

Ich kann das nicht mehr hören! Hades ist der Grund, dass du überhaupt hier bist, dass du ohne Nektar und Ambrosia keinen halben Tag draußen aushältst. Mein Schatten tobt.

Ich schlage mir die Hände vors Gesicht und kneife die Lider zusammen. Er darf nicht ausbrechen.

»Lass mich ihm schreiben«, keuche ich.

Niemals!, brüllt das Übel. Ein weiterer Blitz sammelt sich in mir. Dieses Ding hat jeden schriftlichen Antwortversuch in Flammen aufgehen lassen. Es lähmt mich, hindert mich daran, eine Lösung mit Hades zu finden.

»Es war nicht alles schlecht zwischen uns. Wir alle machen Fehler. Je länger ich mit einer Antwort warte, desto wütender wird Hades.«

Du hättest ihn davonjagen oder vor ihm fliehen sollen. So weit und so schnell du kannst!

»Wie?«, schreie ich. »Und wohin soll ich gehen? Ich bin gebunden an diesen Ort! Wieso bist du wieder da? Wieso bist du ausgerechnet während Medusas Prozess aufgetaucht?«

Du hattest in diesem Gerichtssaal seit Jahrtausenden deinen ersten vernünftigen Moment. Ich dachte, du wachst endlich auf.

»Lass mich in Ruhe«, sage ich stöhnend. »Verschwinde wieder dahin, wo du hergekommen bist!«

Ich war nie weg. Ich habe geschlafen, mich formiert, Kräfte gesammelt, eine Stimme gesucht, damit du mich verstehst. Diesmal werde ich nicht mehr stillhalten. Es ist genug.

Wieder klopft jemand bei mir an. Hekates Präsenz strömt in meine Gemächer. Stolpernd gehe ich zur Tür, öffne sie. Hekate mustert mich missbilligend. Sie hält nicht viel davon, wie ich mich neuerdings kleide. Als ich Medusa besucht habe, um ihr den Kopf ihrer Schwester zu übergeben, habe ich festgestellt, wie bequem die Kleidung der Menschen ist. Seitdem habe ich das lange dunkelblaue Beinkleid aus festem Stoff und das hüftlange rote Wolloberteil nicht mehr ausgezogen.

Hekates sonst schon blasse Haut zeigt heute einen ungesunden Graustich, und ein Schleier liegt über den scharfen silbernen Augen. Sie wirkt müde. Sogar ihr dunkelblaues, mit Sternenstaub durchwirktes Gewand hat den Glanz verloren.

»Wir müssen reden«, sagt sie.

Ich mache Platz, damit sie eintreten kann.

»Nicht hier.« Hekate dreht sich um und bedeutet mir mit einer Handbewegung, ihr zu folgen.

Schweigend gehe ich mit. Sie führt mich in den Thronsaal des Hades. Mein Magen verkrampft sich, als wir die Halle durchschreiten. Ich starre Hades’ breiten Thron auf dem Podest vor uns an. Aus schwarzem Marmor gemeißelt dominiert er den Raum.

Seit Medusas Prozess vor einem Mondzyklus habe ich den Thronsaal gemieden. Nicht einmal meine Pflanzen habe ich hier besucht und sie verdorren lassen. Anklagend strecken sie ihre vertrockneten Äste nach mir aus, und ich senke beschämt den Kopf.

Hier liegt das Zentrum der Unterwelt und von Hades’ Macht. Erschaffen aus Tränen, Stille und Dunkelheit. Unzählige Porträts von mir in verschiedenen Größen bedecken die Wände bis zur Decke, die so hoch ist, dass sie im Zwielicht kaum erkennbar ist. Alle Bilder hat Hades selbst gemalt.

Hekate bleibt vor dem Thron stehen und dreht sich zu mir um. Ewig jung steht die uralte Göttin vor mir. »Wovor hast du Angst, Persephone? Vor dem Thron oder vor dir selbst?«

Ich antworte nicht.

»Umarme deine dunkle Kraft. Warum sträubst du dich gegen sie?«

»Meine Kraft? Ich würde es als parasitäre, aus Gewalt entstandene Finsternis bezeichnen.«

»Etwa heute vor einem Mondzyklus hat sie dich gerettet. Du konntest Medusa helfen. Hades sitzt deswegen im Gefängnis.«

»Du hast die Tür zu Hades’ Gemach aufgesperrt und mich rausgelassen, Hekate, Wächterin der Übergänge. Es war nicht der Schatten. Und geherrscht habe ich hier nie.«

»Du bist als Unterweltgöttin in Gaias Verzeichnis eingetragen. Zum einen darfst du über die Unterwelt herrschen, zum anderen bist du die Einzige, die es außer Hades vermag.«

Diese Unterhaltung ist ermüdend.

Wie lange willst du noch so tun, als gäbe es mich nicht? Der Schatten drückt wie eine giftige Wolke nach draußen. Meine Sicht verdunkelt sich. Nur unter größter Anstrengung gelingt es mir, ihn zurückzuhalten. Allerdings bricht ein Blitz aus mir heraus. Krachend schlägt er neben Hekate ein. Der Boden vor ihren nackten Füßen raucht. Sie zuckt nicht einmal zusammen.

Ist das der Dank dafür, dass ich dir während Medusas Prozess geholfen habe?

Ein Zug an meiner sowieso kaum vorhandenen Energie lässt mich aufstöhnen. Eine mächtige göttliche Präsenz versucht die Grenzen zur Unterwelt zu passieren. Mutter.

»Warum lässt du sie nicht herein?« Natürlich hat Hekate ihre alte Freundin auch erspürt.

Ich balle die Fäuste. »Und dabei riskieren, dass etwas aus der Unterwelt entweicht?«

Auch Hades hat es gehasst, wenn jemand unerlaubt in sein Reich eingedrungen ist: Es hat für kurze Zeit die Grenzen geschwächt. Fortwährend drängen wütende Seelen nach draußen. Das hier ist kein Ort, an dem man freiwillig bleibt.

»Mutter sollte wissen, wie viel Kraft mich allein ihr Anklopfen kostet.«

»Willst du ihr nicht einmal eine Nachricht schicken? Sie macht sich Sorgen um dich.«

»Dann hätte sie während Medusas Prozess nicht zu Hades halten sollen.«

Hekate seufzt. »Sie hat es aus Furcht vor Zeus’ und Hades’ Rache an dir getan.«

»Hast du mich deswegen hierherbestellt? Um über Mutter zu reden?«

Die Göttin der Magie winkt mit einer Hand, und Aiakos, einer der drei Totenrichter des Hades, eilt mit einem Tablett zu uns. Ich beiße mir auf die Unterlippe. Darauf liegt ein handflächenlanger, glanzloser Schlüssel.

2. Ein furchtbares Angebot

Dieser Schlüssel müsste golden glänzen, um einiges länger sein und Macht ausstrahlen.

»Aiakos, die Flüsse und ich sind am Ende unserer Kräfte und können dir nicht mehr helfen.« Sie nimmt den Schlüssel vom Tablett und bedeutet mir wieder, ihr zu folgen.

Wie ich befürchtet habe, führt sie mich zum Tempel der Flüsse, der von Nebelschwaden umgeben ist. Nichts wächst hier. Das runde Dach des riesigen Monopteros wird von sechs Säulen getragen. Jede ist einem Fluss gewidmet. Wir betreten das Innere. Gegenüber der saphirblauen Säule des eisigen Flusses des Grauens, Styx, steht die rubinrote Säule des flammenden Phlegeton. Der Strom des Leides und Schmerzes, Acheron, dessen Säule mit violetten Amethysten überzogen ist, wird auf der gegenüberliegenden Seite durch die rauchkristallgraue Säule des Kokytos, des Flusses des Wehklagens, gespiegelt. Zuletzt stehen sich die Säulen der Lethe und der Mnemosyne gegenüber. Das Vergessen in Onyxschwarz und die Erkenntnis in hellem Aquamarinblau.

In der Mitte des Monopteros erhebt sich ein breiter runder Sockel, über dem der goldene Kelch der Iris schwebt. Selbst in der Dunkelheit strahlt er in allen Regenbogenfarben. Als einziges existierendes Gefäß kann er die Wasser der Unterwelt halten, insbesondere das der Styx.

Hekate stellt sich neben den Sockel. Flammen steigen aus dem schillernden Kelch hervor, sodass er einer Fackel ähnelt. In einiger Entfernung bleibe ich stehen.

»Tritt näher, Persephone.«

Ich bewege mich nicht.

Hekate streicht mit einem langen schlanken Finger vorsichtig über den Rand des Bechers. »Ist er nicht schön?« Ihr Blick verklärt sich. »Die ersten Unsterblichen dieser Welt haben ihn aus der Essenz des ersten Regenbogens erschaffen. Damals formten sich noch Himmel, Erde, Wasser«, sie deutet mit einer eleganten Bewegung um sich, »die Unterwelt. Die einzige Sphäre, über die niemand herrschen wollte. Verhasst und von den Göttern lieblos vom einen an den anderen weitergereicht. Uranus, Kronos, ich, Hades.« Sie lächelt. »Ich mochte es hier. Die Flüsse hatten genug davon, von Herrscher zu Herrscher geschoben zu werden. So beschlossen sie, in Zukunft nur mit der Gottheit ihre Macht zu teilen, die sie akzeptieren wollte und in der Lage war, aus diesem Kelch zu trinken. So wie die Säulen hier das Dach des Monopteros tragen, schultern die Flüsse die Macht ihrer Herrscher.«

Gespannt lausche ich ihr. Niemand hat je mit mir darüber geredet.

»Ich war die Erste, die aus diesem Becher trinken musste«, fährt Hekate fort. »Kronos übergab mir einst die Herrschaft über die Unterwelt. Dann brauchte Zeus für den einzigen Gott, der ihm gefährlich werden konnte, einen Ort weit weg vom Olymp. Für Hades. Ein Los, das keines sein konnte, entschied über seine Bestimmung hier. Ob Hades die Unterwelt freiwillig annahm, Zeus ihm etwas versprach oder ihn bedrohte, weiß ich nicht. Jedenfalls tauchte Hades während einer ruhigen Nacht hier auf. Er trank als Zweiter aus dem Becher.«

»Wie konnte er eintreten? Hast du ihn reingelassen, oder hat er sich den Zutritt erzwungen?«

»Ich war unaufmerksam und schon lang – wie die Götter vor mir – anderen, interessanteren Aufgaben zugewandt. Als Hades den Thron der Unterwelt von mir forderte, wehrte ich mich nicht. Die Flüsse spürten, dass ich nicht mehr mit vollem Herzen dabei war. Da sich niemand Besseres fand, teilten sie ihre Macht mit Hades. Ich durfte noch den Schlüssel hüten, bis Aiakos hier ankam.«

Hekate ergreift den Kelch, kommt auf mich zu und hält mir in der einen Hand den Schlüssel, in der anderen den Kelch der Iris hin. Die Flüssigkeit darin wirbelt in allen Farben der Flüsse. Sie brennt, und gleichzeitig ist sie so kalt, dass sich Eiskristalle auf der Oberfläche bilden, die sogleich wieder vom Feuer verzehrt werden. Das Getränk ist grün, blau, schwarz, violett und grau. Es ist Eis und Feuer. Ich weiche einen Schritt zurück.

»Entfessle deine Dunkelheit, trinke die Macht der Flüsse, setz dich auf den Thron und ergreife den Schlüssel zur Unterwelt. Handle, Persephone.«

Panisch trete ich zurück, und kalter Schweiß überzieht meine Haut. »Ich kann nicht. Das ist nicht meine Bestimmung. Nach dem, was nur einige Granatapfelkerne mit mir angestellt haben, die lediglich mit diesen Wassern gegossen wurden, was würden die Quellen des Übels aus mir machen? Ich hätte Glück, wenn es mich einfach nur töten würde.«

Hekate versucht nicht einmal, die Enttäuschung in ihrem Gesicht zu verbergen.

»Und die Flüsse … Ich habe sie nie darum gebeten, ihre Macht mit mir zu teilen. Vielleicht gilt das Wasser im Kelch dir! Trink du es. Nimm dir die Unterwelt zurück.«

Hekate führt den Kelch zum Mund. Je weiter sich ihre Lippen der Flüssigkeit nähern, desto kleiner wird die Flamme darin. Hekate lässt mich dabei nicht aus den Augen. Sobald sie das Gefäß wieder vom Gesicht entfernt, lodert das Feuer des Phlegeton erneut auf.

»Siehst du. Sie werden ihre Macht nicht mehr mit mir teilen. Ich habe sie einmal enttäuscht, ihre Macht freiwillig abgegeben und die Unterwelt verraten. Als Dank für meine langen Dienste durfte ich hier unbehelligt bleiben. Mehr habe ich nicht zu erwarten.«

Ich spüre die Anwesenheit der Flüsse hinter den Säulen.

»Sollen sie sich zeigen?«, fragt Hekate.

Ich greife mir an die Brust. Es ist zu viel. »Sie sollen verschwinden«, flüstere ich. »Ich will das nicht.« Mit jedem Wort wird meine Stimme wieder lauter. »Niemand bei Sinnen würde freiwillig aus diesem Kelch trinken. Nicht, wenn man wie ich eine Ahnung davon hat, was es mit einem anrichten wird.« Ich weiche weiter zurück, bis ich mit dem Rücken gegen die eiskalte Säule meiner ehemaligen Jugendfreundin Styx stoße. Sie schweigt mich seit Jahrtausenden an und lässt sich nicht blicken. Das befeuert meinen Hass gegen die Flüsse. Sie haben mir nie geholfen, und jetzt soll ich ihr Wasser trinken? Wütend schlage ich mit einer Faust gegen die kalten Saphire hinter mir. »Haut ab!«

Die Flüsse folgen meinem Befehl. Die Enttäuschung der Styx, die hinter ihrer Säule stand, kann ich fast greifen. Sobald sie weg sind, bekomme ich wieder Luft.

»Dann der andere Weg«, sagt Hekate kalt. »Du weißt, was du tun musst.«

»Kannst du nicht zu ihm gehen?« Meine Stimme bricht.

»Es tut mir leid, dass es für dich keinen leichten Weg gibt. Ein Schluck aus dem Kelch oder ein Besuch bei Hades im Gefängnis. Einen Pfad wirst du gehen müssen.«

Ich sinke an der Säule zu Boden, ziehe die Knie an und lege den Kopf darauf. Mir fehlt die Kraft, um Entscheidungen zu treffen, und noch mehr, um schwere Wege zu gehen.

»Auch wenn ich es dir gern abnehmen würde, sie würden mich nicht zu ihm lassen.« Ein Hauch Mitleid schwingt in Hekates Stimme. »Ich stehe in keinem Verwandtschaftsverhältnis zu Hades. Du als seine Ehefrau wirst ihn dagegen ohne Probleme besuchen können.«

Meine Körpermitte zieht sich zusammen. »Kann das nicht noch ein wenig warten?«

»Der Schlüssel hätte besser gestern als morgen mit Kraft aufgefüllt werden müssen. Außerdem brauchst du diese Begegnung, damit du dich endlich festlegst, in welcher Beziehung zu Hades du leben willst. Es wäre ratsam, dass du diese Frage klärst, bevor er entlassen wird.«

»Ich habe noch Zeit.« Panisch blicke ich hoch.

Der Schatten in mir lacht hämisch.

»Außerdem glaube ich nicht, dass Hades bald …«

Hekate zieht eine Augenbraue hoch und ich verstumme. Sie hat sich in den letzten Wochen zu viele Ausreden anhören müssen. Sobald ich mich damit auseinandersetze, wird mein Kopf leer. So habe ich mich weder entschieden, ob ich mich von Hades trennen will, noch habe ich diesbezüglich etwas unternommen. Hades weiß noch nicht einmal, dass ich über eine Trennung nachdenke.

Hekate deutet mit dem Zeigefinger hinter mich. Ich drehe mich um und schlage erschrocken eine Hand vor den Mund. Zerberus steht in den Nebelschwaden hinter mir. Der Schatten nutzt diesen Moment der Schwäche und versucht erneut auszubrechen. Keuchend kann ich es gerade noch verhindern. Nur ein Blitz schlägt neben mir ein.

Weil ich zu erschöpft war, habe ich Zerberus seit einigen Tagen nicht besucht. Noch nie habe ich ihn so ausgelaugt gesehen. Nicht einmal, als Hades ihn jahrelang bestraft und an die Kette gelegt hat, nachdem Orpheus am Höllenhund vorbei in die Unterwelt eingedrungen war.

Die zwei äußeren Köpfe lässt Zerberus kraftlos herunterhängen. Lediglich den mittleren Schädel hält er halbwegs aufrecht. Ungehindert läuft aus allen drei Mäulern Hundesabber. Statt grün und ätzend tropft der Speichel weiß und harmlos auf den Boden. Die normalerweise aufmerksam hochgestellten Ohren zeigen in undefinierbare Richtungen, die strahlend roten Augen, die sonst wie Kerzen in der Nacht glühen, sind stumpf. Sogar die stets neugierige Schlange, die seine Rute bildet, schwebt nicht über seinen Köpfen, sondern liegt kraftlos und mit geschlossenen Lidern auf seinem mittleren Kopf.

Erst vor drei Tagen hat er nicht annähernd so zerstört gewirkt wie jetzt.

»Was ist passiert?«, frage ich schwach.

»Er wollte dir keine Sorgen machen und hat sich zusammengerissen, wenn du bei ihm warst. Allerdings ist auch er am Ende«, sagt Hekate. »Persephone, bitte. Wir können nicht mehr. Du auch nicht. Wenn du nicht innerhalb der nächsten Stunden die Machtübernahme über die Unterwelt planst, musst du Hades im Gefängnis besuchen.«

Meine Hände beginnen zu zittern.

Hab keine Angst. Wenn du zu ihm gehst, bin ich bei dir.

Die Worte meiner Dunkelheit lösen diesmal statt Abscheu eine trotzige Genugtuung aus. Wenn ich mich Hades stellen muss, darf sich der Herrscher der Unterwelt mit dem Ergebnis seiner eigenen und Zeus’ Taten herumschlagen. Dieser Schatten in mir ist ihr Geschöpf.

Ich rapple mich hoch, gehe zu Hekate und nehme ihr den Schlüssel ab. Entschlossen nähere ich mich Zerberus. Er winselt schwach, was mir das Herz bricht. Ich ziehe seinen mittleren Kopf, der mich um eine Armlänge überragt, zu mir herunter und drücke ihm einen Kuss auf die Nase.

»Es tut mir leid, dass ich es nicht bemerkt habe«, flüstere ich. »Das nächste Mal spielst du nicht den starken Höllenhund. Ich bin diejenige, die auf dich aufpassen muss, nicht umgekehrt.«

Er zittert unter meinen Händen. Mit letzter Kraft hebt er die anderen beiden Köpfe. Mit dem linken schleckt er mir über die Wange, mit dem rechten schmiegt er sich in meine Halsbeuge und schnaubt mit heißem Atem hinein. Sogar der Schlangenkopf seiner Rute erhebt sich und lugt über dem mittleren Kopf hervor. Ich bin dankbar, dass die Schlange es vermeidet, mich zu berühren. Wobei sich meine Abneigung gegen die Reptilien seit der Bekanntschaft mit Medusa deutlich gebessert hat.

Ich sehne mich nach meiner neuen Freundin und frage mich, wie es ihr geht. Vielleicht hat mein Besuch bei Hades auch etwas Gutes. Wenn er den Schlüssel der Unterwelt wieder mit seiner Macht anreichert, dann werde ich wieder mehr Freiraum haben. Möglicherweise kann ich die Unterwelt dann sogar für kurze Zeit verlassen, um Medusa zu besuchen. Diese Aussicht verleiht mir den Mut und die Kraft, die ich dringend brauche, um den Gang zu Hades anzutreten.

Widerstrebend löse ich mich von Zerberus. Ich umklammere den Schlüssel und eile zum Reiseraum mit den Statuen von Hades, Zerberus und mir. Der Höllenhund folgt mir trotz seines Zustandes.

Seit einem Monatszyklus haben wir uns nicht mehr gesehen, und jetzt ist es unausweichlich. Ich muss mich Hades im Gefängnis stellen.

3. Ein gefürchtetes Wiedersehen

Ich reise auf dem schnellen Weg in das Gerichtsgebäude der UGO. Zerberus hat es sich nicht nehmen lassen, mich zu begleiten. Ich habe eine Stunde, um zurückzukommen, wenn ich den Sog der Unterwelt nicht spüren will. Seit ich die Granatapfelkerne gegessen habe, ist das eine unumstößliche Regel, es sei denn, ich habe das Gegengift eingenommen: die Götterspeisen Nektar und Ambrosia.

Nach nur einem Wimpernschlag trete ich aus meiner Statue auf dem Gelände der UGO im Ankunftstempel für potenzielle Richtende. Diesmal ist meine Ankunft nicht so theatralisch wie während Medusas Prozess. Weder lasse ich den Boden in sich zusammenstürzen noch steige ich auf den Schwingen meiner entfesselten Dunkelheit empor, die sich direkt aus dem Tartarus den Zugang mitten in den Gerichtssaal erzwungen hat.

Das war so schön. Mein Schatten schwelgt in der Erinnerung an seinen Triumph, als er von mir Besitz ergriffen und sich der Welt gezeigt hat. Die Luft um mich herum knistert und Funken sprühen.

Neben meiner Statue aus Mondstein steht aus Onyx gemeißelt Hades. Bei seinem Anblick zieht sich meine Brust zusammen. Sein Abbild ist so schmerzlich vertraut. Meine Dunkelheit faucht, und ein Blitz entlädt sich mitten in Hades’ Brust. Die Statue bleibt unversehrt.

Unzählige weitere Abbildungen von Unterweltgottheiten aus aller Welt befinden sich um mich herum. Da sind auch die Statuen von Hel, Nergal und Enma. Sie waren die drei Richtenden während Medusas Prozess. Neben Nergal steht Ereschkigals Abbild. Die Schlangengöttin ist eine beeindruckende Erscheinung. Mächtig und in sich ruhend. Insbesondere führt sie mit Nergal eine Ehe, die so ganz anders ist als meine mit Hades.

Die Statuen der altägyptischen Gottheiten haben im Tempel eine eigene Nische bekommen, weil es so viele sind. Die meisten kenne ich nicht. Zwei stechen allerdings aus der Masse hervor. Der bandagierte Osiris und Anubis mit dem Schakalkopf, dessen Statue aus schwarzem Marmor gehauen ist. Er überragt die übrigen Gottheiten um zwei Köpfe. Breitbeinig und mit nacktem Oberkörper dominiert er die Gruppe. Dennoch wirkt er entspannt. Irgendwie erinnert er mich an Horus.

Anubis’ Augen funkeln in den tiefen Schädelhöhlen. Es müssen Edelsteine in die Statue eingefasst sein. Der Schakalkopf ist fast so niedlich wie die drei Schädel des Zerberus.

Da sind wir mal ausnahmsweise einer Meinung. Der Schatten schmachtet durch mich hindurch Anubis an. Das hat angefangen, als Anubis mir nach Hades’ Angriff während Medusas Prozess auf die Beine geholfen hat. Verärgert wende ich den Kopf ab.

In diesem Moment entsteigt Zerberus seiner Statue, die zu Hades’ Füßen kauert. Der arme Höllenhund ist so erschöpft, dass er viel länger als gewöhnlich für die Reise gebraucht hat. Ich kraule ihn hinter einem Ohr des rechten Schädels.

»Wenn Hades mitspielt, kannst du dich ausruhen, solang du willst.«

Einer von Zerberus’ Schädeln gähnt bei meinen Worten und steckt die anderen beiden an. Man könnte fast meinen, der stets wache Höllenhund würde schlafen können.

Ein Diener der UGO eilt auf uns zu. Diese Geister sind einfache Kreaturen mit begrenzten, jedoch bei Bedarf durchaus beeindruckenden Kräften.

»Dein Anliegen, Persephone, Tochter der Demeter, Ehefrau des Hades und unfreiwillige Göttin der Unterwelt?«

So habe ich mich den Richtenden während Medusas Prozess vorgestellt.

»Ich möchte Hades in seiner Zelle besuchen«, zwinge ich mich zu sagen.

Als wir an den altägyptischen Gottheiten vorbeigehen, habe ich das Gefühl, als würden Anubis’ Augen heller leuchten und sein Blick mir folgen.

Vielleicht wäre es taktisch besser, mich während des Gesprächs mit Hades rauszulassen.

Das hätte dieses Ding wohl gern. Selbst wenn der Schatten recht hat, ich weiß nicht, wie ich ihn danach wieder bändigen soll.

Zerberus und ich folgen dem Gerichtsdiener tief unter die Erde. Fackeln erleuchten nur schwach die Gänge. Ich spüre Hades’ Präsenz. Er weiß, dass ich in der Nähe bin. Seine Dunkelheit ist noch unsichtbar, dennoch greift sie bereits nach mir und schnürt mir die Luft ab.

Ich muss Hades nur dazu bringen, den Schlüssel mit seiner Macht aufzuladen. Dann kann ich sofort wieder gehen. Hier im Gefängnis mit all den Wachen wird er mich bestimmt nicht angreifen, um mich für den Verrat zu bestrafen. Er kann mir nichts tun.

Noch nicht.

Als wir vor Hades’ Zelle ankommen, öffnet der Gerichtsdiener, ohne zu zögern, die Tür. Keine Gnadenfrist für mich zum Sammeln. Vielleicht ist es auch besser so. Je schneller ich drin bin, desto eher bin ich auch wieder draußen. Es ist meine traurige Strategie, die ich mir für meine Eheverpflichtungen zurechtgelegt habe. Niemand kann Hades aus dem Weg gehen. Am wenigsten ich.

Zerberus winselt leise.

»Warte vor der Tür auf mich«, flüstere ich. Der Hund lässt den mittleren Kopf schuldbewusst hängen, die beiden äußeren dagegen stellen dankbar die Ohren auf, während die Schlangenrute erleichtert über seinem Rücken wedelt.

»Insasse Hades, du hast Besuch von deiner Frau, der Göttin des Frühlings und unfreiwillig der Unterwelt, Persephone«, kündigt mich der Gerichtsdiener an.

Ich atme tief durch und betrete angespannt die spärlich eingerichtete, fensterlose Gefängniszelle.

»Sobald ihr fertig seid, klopft an die Tür«, sagt der Gerichtsdiener und schließt die Tür hinter mir.

Ich bin mit Hades allein. Groß und hager steht er mit dem Rücken zu mir vor einer Staffelei. Auf einem kleinen Beistelltisch sind Aquarellfarben ausgebreitet. Er gibt gerade dem linken Auge meines Porträts den letzten Schliff. Den grünen Farbton meiner Iriden hat er gut getroffen, genauso wie das Rot der Haare und den warmen Schimmer meiner Haut. Nur sehe ich gerade nicht so aus. Was er da perfekt auf die Leinwand gebracht hat, ist meine göttliche Gestalt, die der ewig jungen Frühlingsgöttin, die er so sehr begehrt. Die bin ich nicht mehr.

Ich wage es kaum zu atmen, geschweige denn ihn anzureden oder beim Malen zu unterbrechen. Schließlich ist er fertig, legt den Pinsel auf den Beistelltisch und wischt sich die Hände an einem Tuch ab. Er lässt sich Zeit, während mich Angst und Schuldgefühle zerfressen. Bei jeder seiner eleganten Bewegungen schwingen seine hüftlangen schwarzen geraden Haare mit. Wie gewöhnlich trägt er ein hochgeschlossenes Gewand, das bis zum Boden reicht. Wie ein zerschlissener Umhang umgibt ihn seine Dunkelheit, das offensichtliche Zeichen einer jeden Unterweltgottheit. Im Moment ist seine Finsternis nebelhaft, beinahe durchsichtig. Hades ist also entspannt. Noch.

Er tritt einen Schritt zurück und betrachtet andächtig sein Kunstwerk. Über die Jahrtausende sind so viele dieser perfekten Bilder entstanden, dass der Platz an den Wänden seines Palastes nicht mehr reicht. Jedes Mal, wenn ich nach einem halben Jahr bei meiner Mutter wieder in die Unterwelt zurückgekehrt bin, kamen mehrere Dutzend neue dazu.

Was Hades wohl davon halten wird, wenn er meine jetzige Gestalt sieht und versteht, dass seine geliebte Vorlage Patina und Risse bekommen hat? Oder sollte ich mich ihm so präsentieren, wie er mich liebt? Zur Sicherheit. Um ihn nicht noch wütender zu machen. Er nimmt mir die Entscheidung ab.

Schwungvoll dreht er sich um. »Ich habe auf dich gewartet, mein Juwel.« Sanft legt sich seine Stimme um mich wie Spinnenfäden um eine Fliege. »Ich dachte, dass du früher kommst«, er macht eine Pause, »oder kommen musst.« Ein Lächeln umspielt seine vollen, geschwungenen Lippen, die auf seinem leichenblassen Gesicht wie mit Blut gemalt wirken.

»Hades.« Ich senke den Kopf. Natürlich wusste er, dass ich nicht die Macht habe, die Unterwelt ohne ihn zu beherrschen.

»Tu mir einen Gefallen: Sprich meinen Namen richtig aus.«

Ich schweige. Sein Umhang wird dunkler und gerät leicht in Bewegung.

»Aides«, sage ich schnell.

Es ist zu spät. Langsam kommt er auf mich zu, seine Finsternis wird materieller und verliert mit jedem Schritt das Nebelhafte. Ich widerstehe, vor ihm zurückzuweichen. Wohin auch in dieser Zelle.

Eine Armlänge vor mir bleibt er stehen. »Sieh mich an.«

Fast schon reflexartig befolge ich seinen Befehl und blicke in sein göttlich perfektes schmales Gesicht mit der hohen Stirn und geraden Nase. Kein Trotz, Wut, nicht einmal Scham hindern mich daran. Die Zeit und er haben mir jeglichen Widerstand abtrainiert. Es ist einfacher, von vornherein zu tun, was er will. So erspare ich mir Kämpfe, die ich nur verlieren kann. Ich bin eine Blume, die man unter Druck getrocknet hat. Schön anzusehen, aber leer. Eine fragile Dekoration, bereit, zu Staub zu zerfallen, sobald der Griff um sie stärker wird. Wann habe ich das letzte Mal so eine klare Sicht auf mich gehabt? War es der Einfluss meines Schattens, oder habe ich es der Tatsache zu verdanken, dass ich seit Jahrtausenden zum ersten Mal einen ganzen Monat lang mit mir allein verbringen durfte? Ohne Mutter, die mich permanent ablenkt, und Hades, der mich in jedem gemeinsamen Augenblick nach seinem Geschmack formt. Dank ihm habe ich das Gefühl für meine Grenzen verloren. Warum schweigt mein Schatten und triumphiert nicht über meine bittere Erkenntnis?

Hades mustert mich eingehend aus rot glühenden Augen.

»Du siehst gut aus.«

Ich presse die Lippen zusammen.

Gierig verschlingt Hades meinen Funken Trotz, seine Augen leuchten auf. Sofort entspanne ich meine Gesichtszüge. Ich sollte ihn nicht provozieren.

»Hast du gedacht, dass mich deine Verkleidung als alte Frau abstoßen würde?« Er beugt sich zu mir vor. »Ich sehe dich, egal hinter wie vielen Falten und Jahren du dich versteckst.«

Unwillkürlich bin ich zurückgewichen. Ich stoße gegen die Tür.

Seufzend richtet sich Hades auf, wendet sich von mir ab und geht zu einem kleinen Tisch an der Wand, vor dem zwei Stühle stehen. Auf einem davon lässt er sich nieder und lädt mich mit einer Handgeste ein, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Wie erstarrt stehe ich da. Das habe ich nicht erwartet. Er hat mich noch nicht einmal berührt.

»Ich kann dir hier leider nichts anbieten, mein Juwel. Und es ist ja nicht so, als würdest du Speisen von mir annehmen.«

Ich bin von der Situation überfordert. Warum benimmt sich Hades so anders? Was hat er vor? Soll ich fliehen oder mich fügen?

Zum Glück und aus mir unerklärlichen Gründen hält wenigstens der Schatten still.

4. Aussicht auf Freiheit

Hades beobachtet lange, wie ich einer Säule gleich gegen die Tür gepresst dastehe. Dann verändern sich seine Gesichtszüge. Sie werden weicher, das Lächeln wirkt ehrlich, vor allem wird sein Schatten komplett durchsichtig. So ähnelt er fast einem sterblichen Mann, der einfach nur ungewöhnlich groß ist, nie die Sonne gesehen hat und als Frisur lange Haare bevorzugt. Jegliche Gier und Macht verschwinden aus seinen Augen, und meine Brust wird vor Erleichterung und Sehnsucht eng. Wie sehr wünschte ich mir, er würde mich öfter so ansehen. Wenn er es tut, kann ich mich darauf verlassen, dass wir einige schöne Momente zusammen erleben werden. So wunderbare, dass ich mich mit ihnen trösten werde, wenn er wieder Besitz von mir ergreift und mich bricht.

»Persephone, ich freue mich ehrlich, dass du mich endlich besuchen kommst«, sagt er mit unendlich viel Zärtlichkeit in der Stimme. »Höchstwahrscheinlich bist du nicht hier, weil du mich vermisst hast. Willst du dich nicht setzen und wir reden über den Schlüssel in deiner Hand, die Grenzen und dich?«

Meine Augen beginnen zu brennen. Hades besitzt auch diese Seite. Die lähmende Angst löst sich in Mitleid und Zuneigung auf. In dieser kleinen Zelle wirkt der mächtige Gott der Unterwelt völlig fehl am Platz. Es ist meine Schuld, dass er hier ist. Trotzdem hat er mich noch nicht bedroht, mir keinen einzigen Vorwurf gemacht, mich nicht einmal angefasst.

Langsam nähere ich mich Hades, setze mich und schiebe mit gesenktem Kopf den Schlüssel in die Mitte des Tisches. Ich warte auf seinen Triumph. Schließlich liegt vor ihm der Beweis dafür, dass er unentbehrlich ist. Bevor ich die Hand wegziehen kann, legt er seine darüber. Angespannt beobachte ich seine Dunkelheit. Zu meiner Erleichterung bleibt sie durchsichtig. Ich wage einen kurzen Blick in sein Gesicht. Statt mit Genugtuung oder Spott mustert er mich mit sorgenvoll gerunzelter Stirn.

»Wie geht es dir?«

Mit dieser Frage bringt er mich aus der Fassung.

Bleib wachsam, flüstert mein Schatten.

Hades seufzt. »Ich habe mir aus tiefstem Herzen Sorgen gemacht. Um die Unterwelt, die Grenzen und vor allem um dich.« Er drückt meine Hand. »Das alles hätte niemals passieren dürfen. Es war nie geplant, dass du dich für die Unterwelt so verausgabst. Das war nie deine Aufgabe, und ich habe es nie für dich gewollt. Warum bist du nicht früher gekommen? Ich habe mich gestellt, weil ich so etwas befürchtet habe und dich damit nicht allein lassen wollte.«

Ich weiß gerade nicht, wie ich reagieren soll.

»Du wolltest nicht zu Medusas Prozess, hast nicht verstanden, wie wichtig das für mich war«, fährt er fort. »Ich hätte auf dich hören sollen. Vor dem Prozess dachte ich, dein Geisteszustand sei stabil. Wie sehr ich mich doch getäuscht habe. War es die Begegnung mit Zeus und Hera? Oder dass ich ihnen geholfen habe? Fühltest du dich von mir verraten und hast dich wieder als meine Gefangene gesehen? Mein Juwel, was hat dich so ausrasten lassen?«

Soll ich ihn fragen? Kann ich es wagen? Nichts an ihm lässt erkennen, dass er wütend ist.

»Bitte sprich zu mir«, fleht er weiter. »Egal was du mir jetzt hier sagst, es wird keine Folgen für dich … uns haben. Nur bitte, sag mir endlich, warum ich hier bin. Warum wir beide leiden.«

»Seit wann bist du vom Schwur auf die Styx befreit?«, frage ich zögernd.

Erleichtert atmet Hades aus, zieht meine Hand zu seinem Mund und gibt mir mit kühlen Lippen einen Kuss auf die Finger. »Nur das. Ist es nur das?«

Verständnislos starre ich ihn an. Vor dem Hintergrund unserer Vergangenheit würde ich nicht von »nur« reden.

»Seit ich mich dazu entschlossen habe, kein Olympier mehr zu sein«, beantwortet er meine Frage.

»War das, bevor du mich zu dir geholt hast?«

Entführt! Nicht geholt, knurrt mein Schatten.

»Ja, schon lange bevor du meine Königin wurdest. Genau genommen, seit ich die Unterwelt übernommen habe.«

»Also damals, nachdem Vater mich in die Unterwelt zurückgeschickt hatte … War dein Schwur auf die Styx, mich nie mehr zu täuschen, eine Lüge?« Meine Stimme ist kaum lauter als ein Flüstern. Zum einen ist es gefährlich, Hades zu hinterfragen, zum anderen will ich nicht, dass sich sein liebevoller und entspannter Gesichtsausdruck ändert.

Hades verschränkt seine Finger mit meinen und lehnt die Stirn dagegen. »Ich kann dir nicht sagen, wie erleichtert ich bin. Du hast dich nicht gegen mich gestellt, weil du uns hinterfragst oder nicht mehr bei mir sein willst. Es war nur dein Zweifel, weil die Sache mit Styx rausgekommen ist.« Er lässt unsere Hände auf den Tisch sinken, genauer gesagt, auf den Schlüssel, den ich mitgebracht habe. »Meine Gefühle für dich, meine Liebe und Sorge waren nie gelogen. Seit dem ersten Moment. Hätte ich damals nicht auf die Styx geschworen, hättest du mir geglaubt? Ich wollte es dir einfacher machen, dich mit der Situation abzufinden, Frieden zu schließen und mir schließlich zu vergeben. Innerlich hat es mich zerstört, dich anzuschwindeln.«

Mutiger geworden durch seine gute Laune, wage ich nachzuhaken. »Wie oft hast du deinen Schwur gebrochen, und ich habe es nicht gemerkt? Hättest du es mir jemals erzählt?«

»Jetzt erzähle ich es dir. Das ist alles, was zählt. Seit damals habe ich dich nie mehr angelogen.«

Es fällt mir schwer, ihm zu glauben, obwohl ich es von ganzem Herzen möchte. Wie sonst auch, erkennt Hades meine Gedanken. Es ist, als würde er in mir wie in einer offenen Pergamentrolle lesen.

»Du glaubst mir nicht?« Er lächelt bitter. »Ich kann es dir nicht verübeln. Bin wohl selbst an allem schuld. Wie immer. Seit Jahrtausenden krieche ich vor dir im Staub, weil ich es gewagt habe, dich zu lieben. Nie ist es genug. Beim kleinsten Fehler meinerseits zerrst du die Vergangenheit hervor und zwingst uns, wieder und wieder die unschönen Momente zu durchleben. Geblendet von Liebe zu dir sind mir Fehler unterlaufen. Jetzt würde ich so vieles anders machen. Wie oft willst du mich noch für alles bestrafen?« Er deutet mit dem Kopf auf die Gefängnistür. »Ist das nicht Strafe genug? Und jetzt kommst du hierher, brauchst meine Hilfe und machst mir gleichzeitig Vorwürfe.«

Durch meine Hand hindurch lädt er den Schlüssel mit seiner Macht auf. Die Welle seiner Stärke erwischt mich unvorbereitet. Schmerzhaft strömt sie durch mich hindurch, und ich schnappe nach Luft. Nach einem Atemzug ist es vorbei. Unendliche Leichtigkeit erfüllt meine Glieder, als die Last der Unterwelt von meinen Schultern abfällt. Der Schlüssel unter meiner Hand nimmt an Größe zu und glänzt wieder. Die Leichtigkeit, mit der Hades das bewerkstelligt hat, beschämt mich. Es führt mir meine Schwäche vor, und die Tatsache, wie sehr die Unterwelt ihn braucht. Seit Jahrtausenden erträgt er diese Last, ohne sich zu beklagen.

Hades zieht die Hand weg, lehnt sich auf dem Stuhl zurück und schließt die Augen. »Das ist es doch, was du wolltest. Den Schlüssel. Fühl dich frei zu gehen. Nur hör endlich auf, mich zu quälen.«

Ich lege die Hände in den Schoß. Mein schlechtes Gewissen schnürt mir den Magen zu. Es ging so einfach. Er hat alles gemacht, was ich wollte. Mir nicht gedroht. All die Schuld auf sich genommen und mir nichts vorgeworfen.

Jetzt hör aber auf. Hast du ihm nicht zugehört? Keine Vorwürfe?

»Aides …«, sage ich unsicher.

Er rührt sich nicht.

»Wenn du nicht mal ein Olympier sein wolltest, warum hast du Poseidon, Athene und Vater geholfen?«

»Zeus hat mir etwas versprochen, was uns glücklich gemacht hätte«, antwortet er abweisend.

Ich verkrampfe mich. Vater … Von ihm kommt nichts Gutes. Und Hades’ Glück ist nicht unbedingt meins.

Hades öffnet die Augen. »Wie sehr wünschte ich, bei der Auslosung der Welt den Himmel oder zumindest die See gezogen zu haben. Vielleicht wärst du dann glücklicher geworden. Ich war wohl zu gierig, eine Göttin des Lebens zu mir in das Reich der Toten zu holen.«

Eine Weile sitzen wir uns schweigend gegenüber. Schließlich werden Hades’ Züge wieder weich. Wie vorhin. »Ich hatte viel Zeit, um nachzudenken. Wenn ich hier wieder rauskomme, wird sich einiges ändern. Poseidon sitzt auf unabsehbare Zeit im Gefängnis, und Zeus wird ebenso lang auf der Flucht bleiben. Als letzter verbliebener der drei Herrscherbrüder habe nur ich die Macht, die Tore zum Olymp zu öffnen, um für dich Nektar und Ambrosia zu beschaffen.«

Hades steht auf, umrundet den Tisch und kniet sich vor mir nieder. »Wir heben diese Halbjahresregelung auf. Sobald ich draußen bin, kannst du die Unterwelt verlassen, wann du willst. In Zukunft wirst du mit deinen neuen Freunden mehr Zeit an der Oberfläche brauchen.«

Ich hätte mit allem während meines Besuchs hier gerechnet. Nur nicht damit.

Hades deutet auf die Staffelei mit meinem Porträt. »Und ich werde mich wohl häufiger damit begnügen müssen.«

Wenn Hades das ernst meint, dann würden alle meine Sorgen und Zukunftsängste mit einem Schlag verschwinden. Obwohl ich ihm in den Rücken gefallen bin …

Zu Recht!

… hat er mir gerade vor mir kniend die Freiheit versprochen!

Er lügt!

Hades lächelt zärtlich. »Du solltest das nächste Mal nicht so lang mit dem Schlüssel warten. Quäle dich nicht, mein Juwel.«

Vor Scham über meine Unfähigkeit, die Situation richtig einzuschätzen, sinke ich in mich zusammen. Hades hat mir eben bewiesen, dass er ein wahrer Herrscher und ein guter Ehemann ist. Selbst hier im Gefängnis stellt er mein und das Wohl der Unterwelt über seinen Stolz.

»Zerberus vor der Tür macht auch keinen allzu guten Eindruck«, fügt Hades besorgt hinzu.

Von wegen. Der tritt nur nach. Hast du dich schon wieder einwickeln lassen?

Hades nimmt erneut meine Hand. Vorsichtig umschließt er meine Finger mit beiden Händen und sieht mich von unten an. »Persephone, nach dem Geschehenen wage ich es kaum, dich zu fragen. Wenn du die erdrückende Verantwortung über die Unterwelt wieder abgeben willst, hol mich hier raus. Du kannst eine mündliche Aussage vor Gericht machen oder einen Brief schreiben. Es würde reichen, wenn du versicherst, dass ich nicht fliehen werde. Als Kaution würde ihnen bestimmt mein Zweizack reichen. Du kannst auch etwas anderes aus der Schatzkammer aussuchen. Das Füllhorn, zum Beispiel. Noch besser wäre es, wenn du das Gericht bittest, meinen Prozess zu beschleunigen. Im Moment habe ich das Gefühl, dass ich mit Absicht hier festgehalten werde. Ich weiß nicht, was das Gericht bezweckt oder wer dahintersteckt. Wenn ich sehe, wie es dir gerade geht, werde ich deinetwegen jegliche Strafe ohne Widerspruch annehmen.«

Ich habe mich während seines Monologs zunehmend versteift.

Keine Leistung ohne Gegenleistung. Oder hast du wirklich gedacht, dass er sich grundlegend verändert hat?

»Du musst es nicht tun«, fügt Hades hastig hinzu. »Aber du brauchst dringend eine Pause.« Er zögert. »Bevor du dich entscheidest: Nimm dir eine Auszeit von der Unterwelt. In meinem Schlafgemach steht ein kleiner Schrank neben der roten Liege. Hier ist der Schlüssel zu einem Geheimfach.« Er lässt meine Hand los, macht eine Faust, und als er sie mit der Handfläche nach oben öffnet, liegt darauf eine Münze. Diese legt er auf die Tischplatte vor mich. »Drück die Münze in die dafür vorgesehene Öffnung. Du wirst sie erkennen, wenn du sie siehst. Darin befindet sich ein kleiner Vorrat an Nektar und Ambrosia. Ich habe ihn für alle Fälle für dich angelegt. Nimm es und geh nach oben. Besuche deine Mutter oder Medusa. Genieß das Tageslicht und die frische Luft. Gönn dir eine Pause. Solang der Schlüssel voller Macht ist, werden die Flüsse und Hekate kein Problem mit den Grenzen haben.«

Kann es wirklich sein? Hades ist es heute mehrfach gelungen, mich zu überraschen.

»Warum?«, frage ich mit zitternder Stimme.

»Sieh das als Beweis, dass ich alles heute Gesagte ernst meine. Es wird sich wirklich einiges ändern, wenn ich zurückkomme.«

Für mich klingt das wie eine Drohung. Wach auf!

Ich nehme die Münze und betrachte sie. Auf der einen Seite ist Hades’ Gesicht abgebildet, auf der anderen meins. Hastig, bevor er es sich anders überlegt, schiebe ich die Münze in die enge vordere Tasche meines Beinkleides.

Hades streicht mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht und erhebt sich. »Du bist schon über eine Viertelstunde bei mir in der Zelle. Der Weg hierher ist lang, und du musst noch zurück. Ich habe keinen Nektar und Ambrosia hier, und es würde mich in meinen Albträumen verfolgen, dich in Schmerzen zu sehen.« Er reicht mir die Hand, um mir aufzuhelfen. »Du solltest jetzt gehen.«

Er hat recht. Der Sog … Ich ergreife seine Hand, er zieht mich hoch, lässt mich jedoch nicht los.

»Persephone …«, murmelt Hades mit heiserer Stimme.

In sich zusammengesunken steht er da. Wie eine welke Pflanze, die zu wenig Licht und Wasser abbekommen hat. Er hat heute so viel für mich getan, und ich weiß, was er sich wünscht.

Ohne ihn würdest du gar nicht erst in dieser Lage stecken.

Was geschehen ist, kann niemand von uns beiden wieder rückgängig machen. Aber in der gegebenen Situation hätte er auch anders handeln können. Er hat sich kurz nach dem Prozess freiwillig gestellt, wartet seit einem Monat auf mich. Ich habe ihm keine Gelegenheit gegeben, sich zu erklären. Wäre ich früher zu ihm gekommen, hätte ich die Oberfläche längst besuchen können. Nicht nur für eine Viertelstunde wie bei der Übergabe des Gorgonenhauptes an Medusa. Gerade bin ich ihm dankbar, und ich weiß, was er braucht, um bei Sinnen zu bleiben. Es ist für ihn wie für mich Nektar und Ambrosia. Habe ich nach diesem Treffen das Recht, es ihm zu verweigern?

Jegliches!

Ich stelle mich auf die Zehenspitzen und lege die Hände um seinen Hals. Der vertraute Geruch nach Weihrauch und feuchter Erde steigt mir in die Nase. Er erwidert meine Umarmung, beugt sich zu mir herunter und verbirgt das Gesicht in meiner Halsbeuge.

Du bist so jämmerlich. Ich würde mich totlachen, wenn es nicht so traurig wäre.

»Du kannst dir nicht vorstellen, wie sehr ich dich vermisst habe«, murmelt Hades gegen mein Schlüsselbein und küsst mich sanft darauf. »Und diese Dunkelheit in dir …« Ich lasse die Arme sinken, doch Hades ist noch nicht bereit, mich freizugeben, und hält mich in einer lockeren Umarmung um die Taille fest. »Es tut mir leid, dass ich ihr Erstarken nicht rechtzeitig bemerkt habe. Ohne sie wäre es nicht so weit gekommen. Ich wäre nach Medusas Prozess nach Hause zu dir zurückgekehrt, und wir hätten weiter glücklich sein können. Du hättest die Sache mit Styx nicht erfahren. Die Zweifel an uns sowie die Last der Unterwelt wären dir erspart geblieben.« Er nimmt sich eine meiner kurzen Haarsträhnen und wickelt sie sich um einen Finger. »Ich kann diese Finsternis in dir zähmen.«

Mit angehaltener Luft warte ich auf den Protest des Schattens. Nichts passiert.

»Nur wenn du willst«, fügt er hinzu. »Zukünftig werde ich noch mehr auf deinen Willen eingehen.«

Hades lässt mich los und streicht mir über die Stelle, wo er mich eben mit den Lippen berührt hat. Mit einem traurig klingenden »Danke« tritt er einen Schritt zurück. Dann drückt er mir den Schlüssel der Unterwelt in die Hand, begleitet mich zur Tür und klopft für mich. Sofort schwingt die Tür auf. Dahinter warten der Gerichtsdiener mit ewig gleichgültiger Miene und Zerberus, der bei Hades’ Anblick dreiköpfig knurrt. Seine Schlangenrute stimmt mit wütendem Zischen ein.

»Gib auf dich acht«, verabschiedet mich Hades, als ich an ihm vorbeigehe. »Auch du, Zerberus. Pass auf unsere Persephone auf.«

Bei diesen freundlichen Worten bleibt Zerberus das Knurren in allen Kehlen stecken. Auch das Zischen der Schlangenrute versiegt. Der mittlere Kopf blinzelt perplex, der rechte und linke sehen sich unsicher an. Dann wenden sich alle drei Köpfe samt Schlange fragend zu mir. Zerberus hat wohl noch nie ein freundliches Wort von Hades gehört. Nun war es sogar ein ganzer Satz.

Auf dem Gang drehe ich mich zu Hades um. »Du auch, und danke für die beiden Schlüssel.«

Ein Glanz, wie er nur aus purem Glück entstanden sein kann, erstrahlt auf Hades’ Gesicht, und seine dunkelroten Augen blitzen auf wie zwei Rubine. »Wenn ich mir eine Gegenleistung wünschen würde, wäre es nur, dich ab jetzt täglich zu sehen. Bitte schenke mir ein winziges Stück deiner neu gewonnenen Freiheit. Ich möchte diese Zeit nutzen, um geradezubiegen, was ich dir angetan habe. Eines Tages werde ich zurückkommen. Es wäre gut, wenn wir bis dahin die Differenzen zwischen uns bis zur Wurzel getilgt hätten.« Er verbeugt sich leicht vor mir, dann fällt die Tür wieder ins Schloss.

Na, das lief ja richtig gut. Glückwunsch zur Rückwärtsrolle. Ach was, wollen mal nicht untertreiben. DAS war ein Dreifachsalto nach hinten, zurück in Aides’ Arme.

5. So gleich und so anders

Den Weg zurück zu meiner Statue im Ankunftstempel bekomme ich nur am Rand mit, auch dass sich der Gerichtsdiener von mir verabschiedet. Zu sehr beschäftigt mich das Treffen mit Hades. Hoffnung, Glück und Zweifel vermischen sich zu einem merkwürdigen Gefühlschaos.

Bevor ich in meine Statue treten kann, überkommt mich ein beunruhigendes Gefühl. Jemand Mächtiges nähert sich uns. Die Präsenz ähnelt der des Hades. Mein Schatten bäumt sich auf, ich fahre herum. Aus seiner Statue löst sich Anubis, und ich atme auf. Kein Wunder, dass ich eine der bedeutendsten Unterweltgottheiten des alten Ägyptens kurz für Hades gehalten habe.

Anubis lenkt seine Schritte in unsere Richtung. Er ist nach der ursprünglichen Art seiner Kultur gekleidet, hat also nicht viel an. Lediglich ein breiter Brustreif und ein knielanges sandfarbenes Beinkleid verdecken einen kleinen Teil seines sehnigen, gebräunten Körpers.

Süß.

Das hat mir noch gefehlt.

Seine Bewegungen sind geschmeidig. Die großen spitzen Ohren auf dem schmalen schwarzen Schakalkopf hat er in unsere Richtung aufgestellt. Damit erinnert er an Zerberus, wenn er neugierig und gleichzeitig aufgeregt ist. Etwas fehlt. Verstohlen blicke ich hinunter zu Anubis’ schlanken Hüften. Nein. Da lugt kein Hundeschwanz hervor. Anubis ist mir zwar schon bei Medusas Prozess begegnet, aber da war ich mit anderen Dingen beschäftigt, sodass meine Erinnerung an den altägyptischen Gott nur vage geblieben ist. Anubis legt den Kopf schief, und ertappt wende ich meine ganze Aufmerksamkeit Zerberus zu. Der wedelt mit der Intensität von zwei Hunden mit seiner Rute.

Noch im Gehen fließt der Schakalkopf an Anubis hinunter wie eine lebendig gewordene Maske aus Schatten und Finsternis. Das ist also seine für Unterweltgottheiten typische Dunkelheit. Die lange Hundeschnauze verschwindet, stattdessen zeigt sich ein Gesicht mit hohen Wangenknochen, einer geraden Nase und vollen Lippen. Das Auffälligste sind die Augen: groß, leicht schräg stehend und faszinierend blau.

Vergissmeinnicht.

Anubis’ Schatten nimmt die Gestalt eines schwarzen Schakals an, der ihm dicht bei Fuß folgt. Am meisten überraschen mich Anubis’ Haare: Die schwarzen Locken mit eingeflochtenen Zöpfen sind zu einem hohen Pferdeschwanz zusammengefasst, der ihm bis zur Taille reicht.

In einer Entfernung von etwa zehn Schritten bleibt er stehen und verbeugt sich vor mir. »Sei gegrüßt, Persephone, Frühlingsgöttin und unfreiwillige Herrscherin der Unterwelt Hades.«

Erstaunt öffne ich die Lippen. Diese tiefe und warme Stimme habe ich bei seinem drahtigen Aussehen nicht erwartet. Sie verursacht bei mir das gleiche Kribbeln auf der Haut wie der Wind eines sehr heißen Sommertages.

Mehr.

Zum Glück reißt mich der Schatten wieder ins Hier und Jetzt. Merkwürdig, wie zahm und entspannt er in Anubis’ Gegenwart ist. So habe ich das Übel noch nie erlebt. Hades darf das nie erfahren.

Auch ich verbeuge mich vor Anubis. »Sei du ebenfalls gegrüßt, Anubis, Gott der Toten.«

Wir schweigen betreten. Kurz wandert sein Blick zum Schlüssel des Hades in meiner Hand, und er runzelt leicht die Stirn. Ich kann seinen Gesichtsausdruck nicht deuten. Anubis wirkt so gar nicht wie der Anführer einer Unterweltarmee und benimmt sich nicht einmal annähernd so selbstbewusst wie Horus. Dafür strahlt er eine faszinierende Art von Ruhe, Verstand und Vernunft aus. Hades’ List und Verschlagenheit fehlen ihm vollkommen. Ich entspanne mich zum ersten Mal an diesem Tag.

Anubis räuspert sich. »Medusa hat mich gebeten, dir das hier bei erster Gelegenheit zu übergeben.« Er zieht aus seinem breiten Gürtel ein handflächengroßes schmales Paket und hält es mir hin.

Mein Blick wandert zwischen seiner Statue und ihm hin und her. Diese Begegnung ist nicht zufällig. Er hat mir hier aufgelauert. Von jemandem aus der Dunkelheit beobachtet zu werden … Diese Erfahrung habe ich vor etwa sechstausend Jahren mit Hades gemacht. Sie endete in einer Entführung.

Anubis senkt den Kopf, und ein paar Zöpfe fallen nach vorn. »Wir konnten dich nicht erreichen. Medusa hat es ausdrücklich gewünscht, dass ich auf dich warte. Ich hätte sonst nie …« Er bricht ab und senkt den Arm mit dem Päckchen. »Ich sollte jetzt gehen. Nie wieder werde ich dich belästigen.«

Er spricht, als wüsste er, was ich gerade fühle. In seiner Form mit dem Schakalkopf würde er bestimmt die Ohren hängen lassen. Zerberus winselt. Auf einmal löst er sich von mir und trottet zu Anubis. Zerberus und der Schattenschakal beschnuppern sich ausgiebig vorn wie hinten. Dabei wedeln sie leicht mit ihren Ruten. Anubis krault meinen Hund hinter einem Ohr. Erstaunt beobachte ich sie. Außer von mir hat sich Zerberus noch nie von jemandem freiwillig anfassen lassen.

Entschlossen überbrücke ich die verbliebene Distanz zwischen uns und nehme ihm das Päckchen ab. »Du belästigst mich nicht.« Zufällig berühren sich unsere Finger. Es knistert hörbar, und ich ziehe schnell die Hand weg. Dieser verdammte Schatten in mir.

Hey, diesmal hat das nichts mit mir zu tun.