Pfade eines Jägers - Heiko von Prittwitz und Gaffron - E-Book

Pfade eines Jägers E-Book

Heiko von Prittwitz und Gaffron

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Beschreibung

Für alle, die die Jagd lieben, gehören die Kurzgeschichten von Heiko von Prittwitz und Gaffron zum Besten, was die Jagdbelletristik zu bieten hat. Jetzt legt der Autor neue Kurzgeschichten aus seinem facettenreichen Jägerleben vor. Gewohnt einfühlsam, humorvoll und spannend entführt er Leserinnen und Leser zu Jagderlebnissen vom Norddeutschen Tiefland bis nach Bayern, aber auch in ausländische Reviere. Wer ein Geschenk für passionierte Jäger sucht, liegt mit diesem Buch richtig..

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Seitenzahl: 286

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HEIKO VON PRITTWITZ UND GAFFRON

Pfade eines

— Jägers

GLÜCKSMOMENTE EINES JÄGERLEBENS

KOSMOS

Widmung und Dank

Für Sabine

Ich widme dieses Buch allen „kritischen“ Jägern und Jägerinnen, denen Wohlergehen allen Wildes und aller Tiere und Waidgerechtigkeit wie Hege am Herzen liegt.

Ich danke Gabriele Haslinger für wunderbare Zeichnungen, Dr. Paul Dahms für viele Anregungen, Meinhard Mengel für jedwede Unterstützung.

Und ich danke dem Franckh-Kosmos-Verlag für den Mut, in Zeiten rückläufiger Belletristik dieses Buch herausgebracht zu haben.

Seckenhausen, im Juli 2021

Inhalt

Bockjagd vor Corona-Zeiten

Der Snook

Pica Pica

Die Alligator-Lady

Der Raubwildjäger

Im Gepardenland

Auf Karpfen am Otjivero-Damm

Das Keilerchen

Der Warzenschwein-Keiler

Der Oryx-Bulle

Jagd mit jungen Wilden

Der Ameisenkeiler

Das Ratz-Fatz-Keilerchen

Waterloo

Überraschung am Luderplatz

Bockjagd in Corona-Zeiten

Waterloo 2.0

Vom Heiligen Geist

Erinnerungen – der lange Pfad zum Jäger

Ein braver Hund, ein zünftiger Bergrucksack mit Bergstutzen und Bergglas unterm grünen Hut mit Gamsbart und Erlegerbruch an blockhölzerner Hüttenwand – Jagerherz, was willst Du mehr?!? „Nichts“, ist die natürliche Antwort…

ROTE BÖCKE

Bockjagd vor Corona-Zeiten

Lieber Leser und liebe Leserin, wie gut, dass du nicht weißt, was die Zukunft dir verheißt. Auch wenn Kohorten von Zukunftsforschern damit beschäftigt sind, eine schöne, neue Welt zu zeichnen. Aber meistens kommt es anders als man denkt. Und nicht immer ist die neue Welt auch schön. Binsenweisheiten.

Während in den vergangenen Jahren ASP, Neozoen und Wolf einerseits, Flüstertüte, Nachtsicht- und Nachtzielgeräte andererseits die Jägerschaft beschäftigten, hatte niemand, wirklich niemand, eine Pandemie im Angebot; dafür aber Klimawandel, Klimakrise, Käferkalamitäten, Waldsterben 2.0 und Wald vor Wild. Hätte ich in den Jahren vor 2020 auch nur eine leiseste Ahnung von Corona gehabt, ich hätte die Jagd auf den roten Bock gebührender gefeiert, ausgiebiger zelebriert. Mehr als gewöhnlich.

So blieb es bei magischen Momenten im Jagdkalender und der Gewissheit ihrer Wiederkehr im kommenden Jahr. Das verlieh den jagdlichen Höhepunkten eine gewisse Regel- und Routinemäßigkeit. Wie schändlich schnöde war und ist diese Unterwertschätzung. Hätte ich gewusst, dass und wie sehr eine Pandemie das Leben, das jagdliche Leben, insbesondere das Leben eines Reisejägers, verändern würde, ich hätte die Bockjagd, die Böcke andächtiger gewürdigt. Von einigen magischen Momenten vor Corona-Zeiten, von roten Böcken auf den Pfaden eines Jägers sei hier erzählt.

Es ist im Niederbayerischen, Ende Juni 2017. Zum Abendansitz hocke ich in Roberts Schafshiller Revier auf der sogenannten Kanzel ohne Dach. Es ist dies die Kanzel, wo sich anno 2004 das Fuchs-Marder-Drama abspielte: „Räuber unter sich“, beschrieben im Buch „In Feldern und Wäldern“. Und wo ich in schwarzdunkler Nacht quasi auf dem schwarzen Bail auf schwarzem Grund saß, geschildert in „Saubande“, ebendort. Vor einigen Tagen haben Freund Tom, meine Söhne Max, Tris und ich die in die Jahre gekommene Kanzel ausgebessert, einen neuen Boden eingezogen, eine neue Leiter montiert sowie Auflage- und Sitzbretter ausgetauscht – die Einrichtung ist wieder brauchbar und hielte nun auch kritischen Augen der Berufsgenossenschaftsvertreter stand.

Hier will ich es versuchen. Hinter der Kanzel liegt ein Steilhang bestockt mit Buchen, eingestreuten Fichten und einzelnen Kiefern, vor ihr lockt ein abfallender Acker mit Sojabohnen, weiter unten in der Senke bietet ein Rapsfeld gute Deckung und rechts vor der Waldzunge liegt ein Streifen Wildacker feinster Kräuter. Ein Dorado für Rehe – Deckung, Äsung und Grenzlinien zur Genüge. Gestern Abend saß hier Jungjäger Max und beobachtete mehrere Ricken und Kitze, einige Schmalrehe und einen jungen Zukunftsbock. Ganz spät trat dann ein starker Bock aus! Den konnte er bei schwindendem Licht auf 200 Schritt nicht genau ansprechen und ließ ihn aus – Respekt, Max! Aber dass es ein kapitaler Bock war, das konnte er bestätigen. Wir tauften den bis dato Unbekannten Bunkerbock 2.0, denn unweit steht der Bunker von Roberts Bauunternehmung zur sicheren Lagerung von Sprengstoff für den Steinbruch.

Schon einmal gab es hier vor Jahren einen kapitalen Bock, den Bunkerbock 1.0! Ein Traumbock! Gewaltig, unerreicht und unerreichbar. Er blieb ein ewiger Jagdtraum. So stark er war, so war er uns auch über, zeigte uns Jägern schonungslos, wer Herr im Hause, wer Meister im Revier war – er blieb ein Phantom der dunklen Nacht, des frühesten Morgendämmers, des allerletzten Abendlichtes, der stillen Winkel, geizte mit seinen zweifellosen Reizen bei hellem Licht. Bis auf das eine Mal! Da stand ich nach ereignislosem Morgenansitz mit Kameraden im jagdlichen Plausch unweit des Bunkers an der Straße nach Schamhaupten. Drei Rehe kamen im gemütlichen Galopp aus der Ferne über den abgeernteten Acker auf uns zu: in der Reihenfolge Geiß, Gabler, ganz starker Bock. Unbekümmert und unmittelbar, und das am helllichten Tag! Letzterer war tatsächlich der kapitale Bunkerbock 1.0. Wie dem Recken der Lecker zum Äser heraushing, so standen uns die Mäuler weit offen – Kinnladen ausgerenkt, Zeigefinger verrenkt, und der Jagdverstand benebelt. Die Dreierbande sprang ohne Richtungs- und Tempoänderung keine zwanzig Meter neben uns in den Wald, als hätten wir da nie im Weg gestanden. Was für ein despektierliches Verhalten der Capreoli. Weg waren sie. Weg war er. Es war das letzte Mal, dass der Bunkerbock 1.0 in Anblick kam. Danach ward er nie mehr gesehen. In meiner Erinnerung aber blieb er stets präsent als der Unerreichbare, der Bunkerbock 1.0.

Heute Abend möchte ich den Bunkerbock 2.0 taxieren, eventuell mein Jagdglück ausloten. Kaum sitze ich, da wiederholt sich die Vorstellung vom Vorabend, wiederholt sich Maxis Beobachtung: die Rehe raus und rein, der Zukunftsbock, der mit den kurzen, starken Stangen, tritt unten am Raps aus. Allein, er empfiehlt sich sogleich. Er hat wohl Respekt vor dem Haus- und Feldherrn, dem Bunkerbock 2.0.

Erst geschieht weiter nichts, ich lausche den Vogelstimmen und versuche zu erraten, wer oder was da im welken Buchenlaub raschelt: Maus, Igel, Bilch oder Eichhorn? Zu sehen bekomme ich den oder die „Ruhestörer“ nicht. Langsam schwindet das Licht, die ersten Fledermäuse schwirren und schwärmen im schnellen Flug um die Kanzel und erhaschen allerlei Insekten. Mir wird ganz schwindelig beim Zuschauen ihrer akrobatischen Flugkünste. Aber wo bleibt der Starke? Noch so gründliches Abglasen bringt ihn nicht in Anblick. Das Glockenspiel des Schafshiller Kirchturms schlägt zwei Stundenschläge, der Abend ist weit fortgeschritten, 21:30 Uhr ist durch. Die Farben der Flur bekommen einen ersten Graustich, das dunkel-düstere Tuch der Dämmerung legt sich auf Feld und Wald. Sorgenfalten stehen auf meiner Stirne, bald wird es duster sein. Zehn Minuten darauf tritt ein kapitaler Bock aus. Wie hingezaubert steht er im Sojabohnenfeld an der Ecke zwischen Raps und Wildacker. Er sichert anhaltend. Was für ein Recke! Selbst auf die gemessenen 175 Meter erkenne ich den Feldherrn, es ist der Bunkerbock 2.0. Ein reifer, alter, abnorm starker Platzbock ist er. Und sehr begehrenswert. Erinnerungen an seinen Ahnherrn, den Bunkerbock 1.0 werden wach – Déjà-vu! Wo stecktest du all die Jahre?

Mir pocht das Blut in den Schläfen, mein Herz schlägt bis in die Kehle, so laut, dass ich Sorge habe, er könnte es vernehmen, es könnte ihn vergrämen. Der Bockbüchsdrilling liegt auf der Brüstung. Doch dort bleibt er vorerst liegen; denn die nächsten zehn Minuten ziehen sich zäh hin, der Recke steht am Rand des Rapses und äst genüsslich. Glasig grün-schaumiger Saft tropft aus seinem Äser, wenn er aufwirft und sichert, mit den Lauschern nach lästigen Insekten schlägt und dabei unwillig sein schweres Haupt schüttelt. Aber ansonsten die Ruhe selbst, denkt er gar nicht daran, schnurstracks in meine Richtung zu ziehen. Warum sollte er auch? Er hat da unten alles, was er braucht. Und die saugstechenden, nervenden Blutschmarotzer gibt’s hier oben genauso wie da unten. Im letzten Dämmerlicht will ich auf die weite Distanz nicht schießen, auch ist der Kugelfang fragwürdig – entweder zieht der Bock hoch zum Waldrand, zum Jäger, oder es sollte ein andermal sein! Doch nicht umsonst heißt es: stimmt alles und lächelt dir Diana, dann zögere nicht lang …

Die Jagdgöttin errät meine gierigen Gedanken, doch sie scheint dem Jäger hold und wohlgesonnen: denn mit einem Male setzt sich der Bock in Bewegung, zieht zügig in Richtung meines Versteckes. Aber Sapperlot! Sein anfängliches Bravado versiegt, wieder zieht er langsam, elendig langsam, aufreizend lässig zupft er hier vom Kraut und äst da vom saftig-fetten Löwenzahn. Er hat Zeit ohne Ende. Nichts treibt ihn, nichts lockt ihn. Es ist eben noch keine Blattzeit. Diana! Du launische Diva! So wird das heute nichts mit begehrter Beute, das Licht schwindet rapide, der Feldherr ist standhaft und steht immer noch in der Gegend ohne Kugelfang. Wieder und wieder messe ich die Entfernung, mit zittriger Hand und zittriger Seele – unbarmherzig klopft der Jagdschüttler. Endlich steht der Bock vor der Waldzunge, endlich hat es Kugelfang vor gewachsenem Boden. Von „stehen“ kann dann aber keine Rede sein, denn plötzlich wird es dem Alten eilig, er zieht, schnell, immer schneller, zu schnell, kommt spitz geradewegs auf mich zu. Längst messe ich nicht mehr, schon sind es weniger als 70 Meter, permanent führe ich den Drilling nach, bin mit dem Absehen drauf. Aber er kommt spitz und ist bereits rechts vor meinem Lauersitz. Gleich wird er den Waldrand erreicht haben und darin verschwinden … auf Nimmerwiedersehen?! Bitte jetzt kein Déjà-vu! Ich muss ihn anhalten, zum Verhoffen bringen! Diana hilf! Als der Bock schwenkt und für einen kurzen Moment breit zieht, da schrecke ich ihn an, blöke mit aller Macht und Kraft. Ruckartig hält der Alte inne, hoch erhobenes Haupt, steiler Träger, blickt in meine Richtung. Er steht brettelbreit, mit angezogenem rechtem Vorderlauf, so wie ein Hühnerhund im Felde vorsteht und sichert. Indigniert ob der plötzlichen Störung wird er augenblicklich abspringen, zum dusteren, schützenden Wald entkommen. Im dem Moment bricht der Schuss, im Feuer und Knall fällt der Bock in seine letzte Fährte ins hohe Gras. Sein Lebenslicht ist aus, erloschen seine Flamme, im allerletzten erlöschenden Abendlicht. Einen abnormen, alt-reifen und kapitalen Sechserbock habe ich strecken dürfen. Danke dir, Diana! Waidmannsdank! Ich muss mich erst einmal sammeln, beruhigen und den Jagdschüttler loswerden …

Endlich verlasse ich den Sitz, schreite zum Bock. Die Nacht ist da, ohne Licht ist es schwierig, den Bock zu finden. Die Taschenleuchte hilft. Da liegt er ja, fast bin ich über ihn gestolpert. Auf 55 Meter warf ihn die Kugel ins Kraut, hinterm rechten Blatt traf sie sein Leben. Ich ziehe meinen Hut und breche die Brüche, schmücke ihn. Als letzten Akt der Ehre stecke ich den Schweiß benetzten Bruch an meinen grünen Hut. Etwa siebenjährig ist er, sieben lange Jahre … Was er wohl alles erlebt haben mag? Wo mag er all die Jahre gesteckt haben? Jedenfalls entstammt er der altehrwürdigen Linie vom Bunker. Tom und Max rufe ich an und hinzu. Als sie kommen und den Bock sehen, werden ihre Augen groß und größer. Viele Waidmannsheil und Waidmannsdank gehen hin und her. Auch sie staunen über das Schwergewicht – ausgeweidet bringt der Recke knapp 44 Pfund auf die Waage. Zur Trophäenschau wird eine bayerische Bronzemedaille an der Krone des Bunkerbockes 2.0 hängen. Seitdem heißt er nur noch Bronzebock. Und die Kanzel ohne Dach heißt nun Bronzekanzel. Waidmannsdank dir, göttliche Diana! Und dir, lieber Jagdherr Robert! Und lieber Maxi, dir rufe ich einen besonderen Dank zu! Du weißt schon warum …

Einen Monat später, zu Beginn der Blattzeit, logiere ich wieder im Bayerischen. Es gelüstet mich, nach der Wespenkanzel zu ziehen. Dies ist eine gute Adresse für Rehwild. Der Acker vor dem Sitz ist der höchstgelegene in Roberts Revier – von der Kanzel hat man einen weiten Blick in entfernte Ecken des kupierten Geländes. Aber warum in die Ferne schweifen, wenn das Gute liegt so nah? Der Acker ist auf dieser und der gegenüber liegenden Seite von Hainen und rechts von wilder Wiese begrenzt, nach links weitet er sich zum Feldweg, dahinter ein Anger und Hecken und dann der Wald von Schloss Hexenagger. Ein Rehwildparadies! Und die Sauen mögen das Terrain auch – Jägerherz, was willst du Gutes mehr?

Die Gerste ist bereits geschnitten. Zur vorsorglichen Inspektion von Kanzel und Leiter fahre ich auf die Stoppel. Da überfällt ein Gabler den Gerstenacker und verschwindet hinter mir im Dickicht. Diesen Bock muss ich mal in Ruhe begucken. Die Wespenkanzel ist hoffnungslos mit wildem Hagedorn, Ranken und Nesseln und der Pirschpfad komplett mit Schwarzdorn zugewuchert. Statt die Nase in den Wind zu stecken, gilt es erst einmal, die Ärmel hochzukrempeln und in die Hände zu spucken – Revierarbeit steht an. Jagdherr Robert hilft und schiebt mit dem Radlader die Kanzel und den Pfad frei, ich erledige den Rest. Der Wespenkanzel gebe ich ein neues Dach, ersetze ihr und der Kiefernleiter – sie steht in einer hohen Kiefer rechts gegenüber an der wilden Wiese – die morschen Teile durch neue. Und die Wespen, die Namen gebenden der Kanzel, überzeuge ich, dass ich ungern diesen Platz mit ihnen teile … Endlich sind Wespenkanzel, Kiefernleiter und die Pfade des Jägers wieder gebrauchsfertig – nicht nur für die Jagd auf den roten Bock. Aber für den bin ich hier!

Beim ersten Ansitz am Abend glänzt der Gabler durch Abwesenheit. Dafür kommt, völlig überraschend und unerwartet, ein unbekannter, reifer Sechser. Wo der wohl herkommt? Er tritt neben, fast unter der Kanzel aus. Doch flugs hat er Wind vom ansitzenden Jäger und dessen ruchlosem Begehr. Er springt ab in das rückwärts gelegene Unterholz. Das war’s für diesen Abend, die Schau ist vorbei, bevor sie richtig begonnen hat. Der starke Bock spukt in meinen Gedanken, beflügelt Fantasie und Gier. Um bei der gerade vorherrschenden Windrichtung aus Ost und dem vermutlichen Einstand des Bockes diesen nicht zu verprellen, stelle ich noch am Abend einen Drehstuhl in die Hecke, östlich der Kanzel. Vorteilhaft verblendet das Ganze, soll es den Bock täuschen, den Jäger tarnen und das Ansinnen unterstützen … Doch ist der Wind am folgenden Morgen launisch. Und der alte, erfahrene Bock, der wird ganz andere Vorstellungen als ich haben. Nach vorsichtiger Pirsch über den Pfad, ohne Wild verprellt zu haben, hocke ich mich dennoch auf den Hocker und harre des Bockes. Der erscheint auch wie und wo erwartet, aber ständig dreht und küselt der Wind, meine Strategie bleibt blanke Theorie. Der Bock kommt in meine Düse und springt beleidigt ab – diesmal allerdings über die Gerstenstoppel in das Wäldchen nach gegenüber. Das erscheint mir bei all meiner Entrüstung und Enttäuschung gut wie günstig! Denn ich denke, dass er über den heißen Tag im Wäldchen Siesta halten und am kühleren Abend dort austreten wird. 80 bis 90 Meter sind es zur Waldkante. Und so will ich es am Abend erneut von der Wespenkanzel versuchen. Nur der Wind muss mir in die Karten spielen! Ich bestelle passenden Westwind. Bitte, Aeolos!

Der Gott des Windes hat ein Einsehen mit dem Jäger, denn am Nachmittag weht ein schwaches Lüftchen aus West. Noch ist es heiß, sehr heiß. Doch mache ich eilig auf zur Wespenkanzel, gehe sie gegen den Wind vom Feldweg über die Gerstenstoppel an, anstatt auf dem heimlichen Pirschpfad im kühlen Dickicht zu schleichen und dabei meinen Abwind großzügig zu verbreiten und alles zu vertreiben. Zwar ist es auf der Stoppel trotz aller Vorsicht recht laut anzugehen, es treibt mir mit jedem knackenden Halm einen weiteren Schweißtropfen auf die Stirne, und zu allem Verdruss bin ich weit und breit zu sehen. Aber endlich erklimme ich die Wespenkanzel, anscheinend unerkannt und unerhört. Das Wild ruht ungestört im kühleren Wald und Raps. Die hitzige Luft flimmert über dem leeren Feld. Nach einer Weile wird es mir in dem stickigen Kasten heiß. Und es wird mir schwül; denn links tritt der Gabler aus dem Raps heraus, zieht in die Gerstenstoppel, kreuzt meinen Pfad. Und kommt mittenmang in meine Düse! Ein Ruck geht durch seinen Körper, er hebt das Haupt, sichert kurz, dann retourniert der Gabler schnurstracks in das schützende Meer aus Raps. Ich komme wohl nicht mehr dazu, ihn mir näher anzuschauen. Aber meine Begierde verlangt ja auch nach einem anderen Bock, mein Sinnen und Trachten gilt dem reifen Sechser – das Bessere ist Feind des Guten. Jetzt kauere ich schon zwei Stunden in dem Glutofen und schwitze vor mich hin. Nur langsam wird es leidlich kühler. Es ist 20:45 Uhr. Das Schlagwerk der Schafshiller Kirche schlägt dreimal.

Da! Da ist der Sechser! Mit dem letzten Glockenschlag zieht er aus dem Hain, tritt auf die Stoppel aus – genau wie gedacht! Jawoll! Er steht am Ackerrain kurz vor der Waldecke, tut ganz unbekümmert, dreht zur Hecke, markiert, dass die Büsche sich biegen und die Fetzen fliegen. Er steht schräg spitz, zeigt seinen Spiegel. Dann tut er ruhig, als könne er niemandem ein Härchen krümmen und Wässerchen trüben, labt sich am Strauch. Längst habe ich den Drilling in der Schulter. Aber ich muss warten, dass der Bock wendet. Meine Nerven liegen blank und singen, sie sind gespannt wie Drahtsaiten, der Schweiß fließt mir in Strömen. Plötzlich schwenkt der Bock nach links, zeigt seine Flanke, macht ein, zwei Sprünge, zieht dann zügig entlang der Hecke – das Weibervolk hinter der Waldecke lockt ihn wohl. In Sekunden wird er am Eck außer Sicht sein! Ständig führe ich den Drilling nach, ziehe vor, korrigiere. Dann bölke ich laut. Wenig vornehm. Der Bock verhofft dennoch. Aber irgendwie geht es nicht, werde ich nicht fertig. Keine Ahnung warum. Ungerührt zieht der Recke wieder an, nur noch einige Meter zum Eck, wo er verschwinden wird. Ich schrecke ein zweites Mal, diesmal bereit zum Schuss. Erneut verhofft der Bock und sichert. Da trifft ihn die Kugel links hinterm Blatt. Er liegt im Feuer. Jagd vorbei. Waidmannsdank! Einen braven Sechser mit stark geperlten Stangen trage ich später heim, mindestens fünf oder sechs Jahre hat er auf dem Buckel und wiegt knappe 37 Pfund. Und kennen tat den keiner …

24. Juli 2019 – es ist der letzte Sommer vor Corona. Wieder bin ich mit meinen Söhnen zu Gast im Revier Schafshill. Am Abend setze ich mich auf die Glaskanzel, da sich dort im Feld einiges an Rehwild herumtreibt. Gestern Morgen verbrachten wir einen denkwürdigen ersten Ansitz. Ich hatte Tris zur Kanzel am Gogl gebracht, danach wollte ich auf die Glaskanzel. Gerade hatte ich das Auto an der Wasserreserve abgestellt und marschierte los, da klingelte mein Handy: „Papa, ich komme nicht in die Kanzel, der Türhebel ist innen verkeilt!“ Nach mehreren Telefonaten, fruchtlosen Instruktionen wie ergebnislosen Versuchen holte ich Tris kurzerhand ab – auch mir war es in der Dunkelheit nicht gelungen, die Tür der Gogl-Kanzel zu öffnen – und setzte ihn statt meiner auf die Glaskanzel; denn der Morgen war weit fortgeschritten. Was nun? Ich bezog des kurzen Weges und der Dämmerung wegen die in Sichtweite stehende Wespenkanzel. Aber manchmal ist das geschehene Unglück aller Anfang vom Glück, oder um im Bild zu bleiben: Wo sich eine Türe nicht öffnen lässt, geht eine andere auf.

Plötzlich erspähte ich gegenüber am Waldwinkel einen Altfuchs, der zum Weg passte, diesen überquerte und in Richtung Glaskanzel schnürte. Kurze WhatsApp-Nachricht an Trissi. Aber das war gar nicht nötig, denn wie ich durch das Doppelglas sah, hatte er den Freibeuter längst entdeckt. Mit der Mauspiepe lockte er den roten Korsaren aus 250 Meter durch das Sojabohnenfeld an den Feldrain und erlegte ihn mit sauberer Locke und Kugel – Waidmannsheil! Das war aber erst die Ouvertüre zum Hauptakt! Denn an der Glaskanzel trieben vier oder mehr Böcke etwa fünf bis sechs weibliche Stücke. Und viele Hasen tobten wie zur Staffage darum herum. Und insbesondere einer der Böcke war begehrenswert, und reif …

Diesen Bock will ich nun näher „betrachten“, den Tristan gestern als zu stark für einen Jungjäger beschrieben hatte. Und der am heutigen Morgen den anderen Böcken mächtig Feuer gemacht hatte … Wohl bin ich nicht Tristans Meinung, aber es ehrt ihn. Ich sitze auf der Tribüne der Glaskanzel, auf der Sojabohnen-Bühne wird ganz großes Kino geboten: Nach und nach ziehen die Böcke auf und ins Feld – ein Knopfbock, zwei geringe Spießer und ein noch etwas zu junger, aber vielversprechender Sechser. Nur der starke Bock geizt mit seinem Auftritt. Ganz friedlich sucht ein jeder das Glück drinnen in den Sojabohnen, denn die holde Weiblichkeit treibt sich auch umher. Scheinbar unschuldig äsen die Damen von den Bohnen. Nur einer fehlt immer noch, der Starke, der Platzbock. Der, der alle Subalternen in die Walachei zu jagen pflegt, mindestens aber aus seinem wie der Damen Dunstkreis! Wo bleibt er nur? Nach einer Weile erschlafft meine Aufmerksamkeit, obwohl die Schau spannend ist, aber der Hauptakteur, der Hauptattrakteur, glänzt durch Abwesenheit.

Es ist schon spät am Abend, das Licht wird schwächer, die Vorstellung scheint dem Ende zuzugehen, da höre ich direkt unter der Kanzel ein Knistern. Es ist ein Reh! Raschelnd zieht es über die apere, trockenen Stellen des Ackers. Ich brauche einen Moment im trügerischen Zwielicht der Dämmerung, um zu erkennen, dass es der Platzbock ist, der da zieht – ein alter, zurückgesetzter Grand Seigneur, ein alt-reifer Geselle. Es ist der, der den anderen Feuer macht. Heute Abend ist alles anders: Als er am Sojabohnenfeldrain anlangt, beachtet wie beobachtet er die anderen Rehe gar nicht, nein, er äst gierig von den Bohnen. Liebeswerben und Liebesleben macht hungrig, nur Luft und Liebe allein ist nix zum Leben. Das Licht schwindet, der Bock steht spitz auf 65 Meter, gleich werde ich kein Haar mehr von dem anderen unterscheiden können. „Bööh, bööh“, schreie ich ihn an, der Grand Seigneur wirft auf und dreht nach rechts, da ist die Kugel schon heraus. Den Schuss vernimmt der alte Haudegen nicht mehr – aufs Blatt hat’s ihn getroffen, und er bricht in seiner letzten Fährte zusammen. Jetzt schüttelt es mich, dass die Kanzel wackelt! Waidmannsdank Hubertus und Robert! Und Dir, lieber Trissi, rufe ich einen besonderen Waidmannsdank zu! Auch du weißt schon warum …

Drei Tage später am Samstagabend: Wir drei sind früh auf Jagd, um Beute zu machen. Wegen der günstigen Windrichtung habe ich auf der Kiefernleiter Platz genommen und will schauen, was sich im Wäldchen gegenüber der Wespenkanzel versteckt hält. Nach einer Weile erklingen die zartesten Versuchungen, ein Kitz fiept nach der Mama! Und tatsächlich, nach wenigen Tönen blatte ich eine Geiß nebst Bock heraus. Aus dem Kiefernwäldchen, auf dem Wechsel erscheint das Paar wie am Schnürchen herangezogen – die Geiß hat den Bock im Schlepptau. Für einen Schleppzug sind die beiden sehr schnell, kommen viel zu geschwind auf mich zu, überqueren eiligst die helle Fläche und entschwinden in die rückwärts gelegene dunkle Dickung. Donnerwetter! Das ist ein reifer, ein alt-reifer, zurückgesetzter Bock! Was sich hier alles so auf engem Raum tummelt … Ob der Kitzfiep nochmal verfängt? Ich blatte die zarte Arie vom Kitz. Und tatsächlich, die Rehe erscheinen wieder, diesmal rechts von der Leiter, aber springen ebenso geschwind in das Wäldchen zurück, wo sie ehedem herauskamen. Die Geiß traut den Blattarien wohl nicht. Gerade überlege ich, wie und was ich weiter machen will, da brummt mein Handy. Robert „beordert“ uns nach Hause zu Renates Brotzeit – es ist ein Missverständnis gewesen, wir wussten nicht, dass wir zum Abendessen kommen sollten, Robert und Renate wussten nicht, dass wir schon auf Jagd gezogen sind. Ich baume ab, sammle meine Jägersöhne ein, und dann dinieren wir erst einmal fürstlich in fröhlicher Runde bei Robert und Renate daheim.

Anschließend geht es wieder auf den unterbrochenen Ansitz. Ich entscheide mich nun für die Wespenkanzel, da es zu regnen droht, und der Himmel tut es dann auch – es regnet Bindfäden. Besser ist es, ein Dach über dem Kopf zu haben, wenn einem der Himmel auf den Kopf zu fallen droht. Obwohl ich meist eine Leiter einer geschlossenen Kanzel vorziehe. Auch die Wespenkanzel steht nahe genug am Versteck des Rehpaares im Kiefernwäldchen. Es müsste doch auch von hier gelingen, Ricke und Bock erfolgreich herauszulocken. Es schnürregnet. Nach einer Weile zieht ein anmutiges Schmalreh auf die Rapsstoppel. Wäre ich ein Rehbock, mir würde es gefallen. Aber der alte Herr hat sein Herz an eine andere Dame vergeben, obwohl … Inzwischen ist es 21:15 Uhr, als Roberts Vater im Auto eine späte Promenade über den Feldweg dreht und unbeabsichtigt das junge Ding vertreibt. Doch durch die Störaktion wird mir ein Jungfuchs zugetrieben, den ich im Rapsstoppelacker gar nicht bemerkt habe. Er flüchtet bis zur Kanzel, verhofft links unterhalb und blickt dem Auto nach. Ich muss mich hinstellen, um ihn noch sehen zu können – der Schrotschuss, steil nach unten verrenkt, gelingt. Keine befriedigende Jagd, aber im Sinne der Niederwildhege ein Muss.

Fünf Minuten darauf erbarmt sich der Himmelspförtner Petrus, der Regen hört auf. In dem Moment erscheinen Geiß und Platzbock am Stoppelackerrain nahe der Kiefernleiter. So was! Sie äsen. Für einen Schuss ist es weit, aber das wirkliche Problem ist der fehlende Kugelfang. Das Licht wird matt und matter, Dunst steigt auf. Ich muss etwas unternehmen. Konzertante Stimmung sollte helfen. Verschiedene Blattarien locken die Geiß mit dem Bock im Gefolge heran. Déjà-vu! In Schlängellinie ziehen die Rehe näher. Aber es ist ein Kampf gegen die Zeit und um das verlöschende Licht. Ich muss alle meine Flötenkünste zusammenbringen, um den Zuzug der Rehe zu garantieren. Während zunächst die Geiß die Führung übernimmt, ist es am Ende der Bock, der den Flötengesängen nicht widerstehen kann. Die misstrauische Missis hält sich indessen zurück, der Bock nähert sich alleine. Sollte er am Ende doch Interesse an dem vermeintlichen Schmalreh haben? Jetzt ist er auf halbolympische Sprintdistanz herangezogen, das Licht ist gleich weg, der Bock verhofft, steht breit, hält Ausschau nach der Schmalen. Der Schuss kracht. Der alte Kämpe liegt im Feuer. Es ist 21:30 Uhr. Waidmannsdank! Es ist der letzte Sommer vor Corona …

IM BACKCOUNTRY

Der Snook

Fischen ist nach Jagen meine zweitliebste Leidenschaft. Hätte ich unter Anglerparadiesen zu wählen, Florida stünde ganz oben auf meiner Liste. Und innerhalb Floridas die Everglades. Am weitesten oben fänden sich das Backcountry und die Mangrovenwälder entlang des Golfes von Mexiko, gefolgt von den Flats und Keys der Florida Bay und den Bojen und Riffen in der Offshore Zone.

Die heimlichen Wasserläufe, die gewundenen Creeks, die Ponds und Lakes tief im Inneren des Backcountry – wie auch immer, eines ist ganz gewiss: Mein Lieblingsfisch ist der Snook!

Centropomus undecimalis: der Gemeine oder Gewöhnliche Snook. Mit 13 Arten ein barschähnlicher, langgestreckter Raubfisch, der dem europäischen Zander in Form, Aussehen und Verhalten ähnelt. Centropomus ssp. kommen in den küstennahen Salz- und Brackwasserzonen des tropischen und subtropischen Westatlantiks und Ostpazifiks Amerikas vor. Einige Arten tolerieren auch Süßwasser und tummeln sich dann in Flussläufen. Ein hervorragender Sport- und Speisefisch. So könnte eine Kurzbeschreibung dieses edlen Raubfisches lauten.

Charakteristisch für den Snook ist ein lautes „Plopp“, ein scharfer Laut, der entsteht, wenn er im Flachwasser der Mangrovengürtel jagt. Insbesondere dort. Nach Captain Ned, unserem Guide, entsteht der ploppende Knall, wenn der raubende Snook mit einem Schlag seiner Schwanzflosse kleine Futterfische betäubt. Meines Erachtens aber ertönt der Knall, wenn der wendige Fisch bei blitzschneller Jagd mit einem Körperteil, wahrscheinlich mit der kräftigen Schwanzflosse, die Wasseroberfläche durchbricht. Es klingt so, als schleudere man einen großen Kiesel mit Schwung, mit Schmackes, ins Wasser. Markant ist es allemal, und häufig verrät erst das laute „Plopp“ den Standort des aktiv jagenden Räubers.

Viele verschiedene Partien auf den Snook sind mir erinnerlich. Da ist das „Pfeffern der Küste“, bei dem der Angler vom Boot aus mit leichter Spinnrute seinen Köder – ein leichter Federjig mit Shrimp garniert oder auch ohne, ein kleiner Köderfisch, ein Blinker, ein Wobbler oder ein Gummifisch – immer wieder entlang der Küstenlinie unter die Mangroven oder an andere vielversprechende Strukturen am Uferrand platziert: auswerfen, einholen, auswerfen, einholen, auswerfen, einholen. Stundenlang. Gekonnte Wurftechnik und präzises Platzieren des Köders sind gefragt! Oder man tuckert entlang des Uferverlaufs und schleppt Köder. Das ist selten einwandfrei möglich ob der vielen Hindernisse unter Wasser – häufige Hänger sind die Folge. Zudem kommt man meist nicht nahe genug an den Standort des Räubers, um diesen erfolgreich aus der Reserve zu locken, heran. Und außerdem ist das Trawlen, das Schleppangeln, eher langweilig. Ja, bis dann ein Fisch beißt. Dann aber geht die Post ab! Bis zum Ruf „fish on“ drängen sich Vergleiche von statischer Ansitzjagd auf … Oder das gezielte Aufsuchen von Flachstellen und Lunkern und das wohldosierte Auswerfen des Köders. Überhaupt heißt die Königsdisziplin: fischen auf Sicht. Da steht der Snook im seichten, klaren Wasser am Kraut, unter gestürzten Bäumen, in den Wurzeln der Mangroven oder an anderen Barrieren und muss nun gezielt angeworfen werden, sonst bleibt er unerreichbar. Hakt man ihn erfolgreich, dann fängt das Problem erst an – der Fisch wird alles daransetzen, ins schützende Kraut, Ast- und Wurzelgewirr oder anders zu entkommen. Er geht ab wie „Schmidts Katze“, die Bremse jault, die Rute biegt sich, die Leine surrt, die Rolle quietscht, und es ist am Fischer, den Fisch von den Unterwasserhindernissen mit geschickter Rutenführung und gekonntem Drill fernzuhalten. Denn sonst ist es um Leine, Köder und Beute geschehen. Leichter geschrieben als getan! Es ist ein Kampf der Giganten, sollte ein ordentlicher Gladiator gehakt sein. An den vielversprechendsten Stellen bezeugen unzählige Knäuel abgerissener Schnüre verschiedenster Art und Herkunft die vergeblichen Bemühungen anderer Angler. Dort wird der Snook besonders groß und kräftig! Und schlau! Aber ist der Snook erfolgreich gehakt, hält der scharfe Haken und biegt auch nicht auf, wie bei minderwertigem Material und Metall, reißt die geflochtene Schnur nicht, denn wir fischen ja mit „light tackle“, also mit leichter Ausrüstung, die dem Fisch eine gewisse Chance lässt, zusätzlich zu den natürlichen Widrigkeiten, die dem Angler zu schaffen machen, und haben wir den Fisch dann im freien Wasser, da zeigt der Snook, warum er ein „gamefish“, ein Sportfisch ersten Ranges ist. Er steigt und springt, zickzackt, versucht, den Haken abzuschütteln, schlägt Haken, gleich einem Hasen vor dem Hunde, gleich einem Springbock vor dem Geparden, dabei reißt und zerrt er mit seinem harten, sandpapierrauen Schlund, der keine Zähne hat, mit wilden Schlägen, Sprüngen und Wendungen derart am monofilen, festen Vorfach, dass dieses oftmals nur durch Reiberei im Kampf der Flucht vollkommen aufgerieben wird, der Fisch letztendlich noch entkommt. Oder man neigt dazu, die Bremse etwas fester zu stellen, um die ablaufende, leichte Leine zu bremsen, denn der kräftige Fisch rast im Freiwasser schnurstracks in Richtung Rettung, in Richtung eines kleinen Mangrovenkanals und droht, dort zu entkommen. Böse Falle! Es wird einen lauten Knall geben – diesmal nicht vom Snook –, und die Leine ist gerissen, der Fisch futsch, die Laune auch, der Köder verloren! Einer kam durch, und deshalb kommen wir ja immer wieder – des einen Starken wegen, der entkam. Nein, es gilt, den Fisch die Rute arbeiten zu lassen, gegen den Widerstand der Rute, und ihn zu ermüden, nicht grün heranzudrillen, nicht stumpf die Bremse anzuziehen, denn wir jagen ja mit leichter, fischwaidgerechter Ausrüstung! Finesse fishing!

Es war eine ganz und gar perfide Angelegenheit, ausgeführt mit lässiger Eleganz, Leichtigkeit und Naivität, dabei eine überlegene Disposition präsentierend, die nicht zu schlagen war. Die totale Niederlage in Perfektion. Für die eine Person. Nicht für die andere. Dort nur Ruhm und Ehre. Und das kam so: Captain Ned hatte meine Frau Cornelia und mich, damals waren wir noch ohne gemeinsame Kinder, von Flamingo entlang der Florida Bay und dem Clubhouse Beach in den East Cape Canal gefahren, genau dorthin, wo der East Cape Canal nach Nordwesten zum Lake Ingraham abbiegt. Wir waren im Außenbereich des Backcountry. Geradeaus führte ein schmaler Stichkanal, der vom großen Kanal mit einem Damm abgesperrt und dahinter nur mit einem Kanu zu erkunden war, tiefer in den Irrgarten des Backcountry. An diesem Damm lagen wir, Ned’s Flatboat daran vertäut. Ich stand, voll motiviert und konzentriert, auf der Absperrung, warf meinen Köder mit präzisem Schwung in den kleinen Kanal aus, denn der wimmelte von Fisch, da selten besucht und befischt. Lediglich eine kleine Mangrove am rechtsseitigen Ufer, die ohne Kanu nicht zu erreichen war, zeugte von vielen erfolglosen Versuchen der Vorfischer, die vom Damm aus den Schlaraffenkanal befischen und ihre Köder unter die Mangrove hatten platzieren wollen – der Busch war behängt mit Kunstködern wie ein Christbaum mit Lametta. Auf einem späteren Ausflug hatten wir ein Kanu dabei, und ich habe für den Gegenwert eines nennenswerten Dollarbetrages allerlei Köder aus der Mangrove gepflückt … Derweil hatte Cornelia es sich bequem gemacht. Sie saß ganz entspannt auf der gepolsterten Bank des vertäuten Bootes und ließ ihren Jig im East Cape Canal ohne weitere Aktion treiben – eine Technik, die Ned und mir bis dato unbekannt war; denn beim Fischen mit dem Jig muss man dem Köder Leben einhauchen: twitsch, twitsch nach links, einholen, twitsch, twitsch nach rechts, einholen. Weder Cornelia noch ich hatten bisher einen Snook gehakt, doch der legendäre Ruf eilte ihm voraus. Besonders ich war auf diesen Fisch heiß.