Phallus-Schlächter - Taco Palmer - E-Book

Phallus-Schlächter E-Book

Taco Palmer

0,0
3,99 €

oder
-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

"Dieses Buch müsste verboten werden!" oder "Sie hätten das Buch besser nicht schreiben sollen." oder "So ein rechtsextremer Müll. Null Punkte sind schon zu viel. Darüber hinaus stimmen die Psychologie und die Charaktere nicht. An alle „Gutmenschen“: Ihr seid die Lösung und nicht das Problem."

Aber auch: "Super geschriebenes Buch. Ich fand es sehr spannend zu lesen. Vieles ist sehr aktuell und realitätsnah." und "Aktuelles Thema, Handlung spannend erzählt, ich würde mir mehr davon wünschen, gerne wieder." und "Inzwischen habe ich auf meinem Reader auch wieder ca. 300 Krimis gespeichert und gelesen. Und Ihre Geschichten gehören zu den Guten." und "Die Handlung ist sehr spannend und greift aktuelle Ängste sehr gut auf. Leider ist der Schluss traurig, aber dafür ziehe ich noch keine Sterne ab und hätte gerne 5 Sterne gegeben." und "... sehr sehr realitätsnah, ich hoffe für uns und die neuen Mitbürger, dass es beim Roman bleibt .. Gott mit uns, Amen."

Das sind einige Leser-Stimmen zu dem Anfang März 2018 erschienenden E-Book. Sie zeigen, wie sehr die Story spaltet. Ja, das Thema polarisiert, das war mir von Anfang an bewusst. 'Phallus-Schlächter' ist KEIN normaler Krimi, bei dem man an einem Wochenende mal eben einige Morde konsumiert und dann wieder zum Alltag übergeht. Der Stoff fordert gesellschaftsinteressierte Leser. In den ersten beiden Monaten März und April 2018 wurden mehr als 6.600 Downloads verzeichnet, wobei diese Version tatsächlich einige Vertipper (keine Rechtschreibfehler!) und vergessenne Trennungsstriche enthielt, die Rezensoren zu wütenden und etwas übertriebenen Beurteilungen verleiteten. Durch erneutes Korrektorat sind die Mängel beereinigt. Der Inhalt bleibt! Macht Euch selbst ein Bild! Mehr dazu: tacopalmer.de Die Romanfiguren sprechen ernste Worte zu der aktuellen Zuwanderer- und Flüchtlings-Situation in Europa. Das ist nicht jedermanns Gechmack. Besonders die Leute, die sich zu der Gutmensch-Fraktion zählen, möchten nicht in den Spiegel schauen, den der Autor ihnen vorhält. Auch im Interview spricht Taco Palmer deutliche Worte: "Natürlich lassen sich sexuelle Übergriffe an Frauen und Mädchen keinesfalls an Nationalitäten oder Hautfarben festmachen lassen. Ich erkenne aber, dass sich mit trendigem Toleranzgetänzel, verblendeten Sprüchen von so genannten Gutmenschen und mit Berichten von gesteuerten Medien, die die Realität zu verschleiern suchen, kein friedfertiges Miteinander oder Nebeneinander der Kulturen in Europa einstellen wird." Zur Story: In der Touristenhochburg S‘Arenal häufen sich Vergewaltigungen und Schändungen von Frauen und Mädchen. Mara, die Tochter des Star-Architekten Phillip Neumann, wird überfallen. Auch die Kinder seiner Kollegen werden entführt und brutal missbraucht. Eine befreundete Muslime hilft bei der Integration von Zuwanderern - sie wird von einem 'unbegleiteten minderjährigen Flüchtling' erstochen, weil sie sich seinen Belästigungen widersetzte.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB

Veröffentlichungsjahr: 2020

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Taco Palmer

Phallus-Schlächter

Sexualtäter! Ihr werdet leiden!

BookRix GmbH & Co. KG81371 München

Sexualtäter! Ihr werdet leiden!

 

 

 

 

TACO PALMER

 

"PHALLUS-SCHLÄCHTER"

Sexualtäter! Ihr werdet leiden!

 

 

 

Dieser Roman orientiert sich an wahren Geschehnissen,

dennoch ist die Handlung frei erfunden.

 

 

 

 

*

 

 

Harte Beats hämmerten in wahnsinnigem Tempo aus den Boxen. Achthundert Discobesucher tanzten zum Rhythmus, dicht an dicht hüpften und wippten sie, ihre Beine, Arme und Köpfe zuckten unter der Lasershow, deren Strahlen zerschnitten für Bruchteile von Sekunden immer wieder die Dunstglocke über den schwitzenden Leibern. Eine Masse junger Menschen in Partyextase.

Die Nacht war noch jung. Und heiß war sie unter dem Himmel von Mallorca. Alle waren leicht bekleidet, viele im Strandoutfit, nackte Haut zu zeigen, gehörte zur Szenerie. Was auf Palmas Straßen offiziell verboten war, wurde in der Disco ausgelebt: angesagt war oberkörperfreies Auftreten mit Zurschaustellen der einerseits im Fitness-Studio antrainierten Bizeps und andererseits der wabbernden, an der Biertheke gemästeten Bäuche bei den männlichen Gästen; die weiblichen, egal ob mit sonnengebräunter Modelfigur gesegnet, mit Babyspeck gerundet oder mit zelluliteträchtiger Fettschicht bedacht, tru­gen knappe Bikinis, transparente Blusen oder nur Body-Painting auf der Haut. Barfüßig waren die meisten hier im 'Malle-Parc'.

Drei Mädchen stachen aus der Masse hervor, sie hatten sich in Ballerinas verwandelt, mit superkurzen, rosafarbenen Plisseeröckchen, unter dem bei fast jeder Bewegung ihre knallroten Slips hervorblitzten, leichte Tops trugen sie, bauchnabelfrei. Mara und Moni­que, die beiden deutschen Mädchen, trugen flache Ballerinas; Tahire, die Muslime, hatte sich für Highheels entschieden. Sie waren der Eye­catcher auf der Tanzfläche. Immer wieder näherten sich Männer und suchten Körperkontakt, teils mit eindeutigem Gebahren, mit Hüftbewegungen, die an ihren Absichten keinen Zweifel ließen.

Mara, gerade achtzehn geworden und die jüngste der drei Mädchen, war das erste Mal in dieser Großdisco in S‘Arenal, ihre beiden Freundin­nen Tahire und Monique hatten sie unter ihre Fittiche genommen. Eine Stunde lang hatten sich beim Tanzen ausgelassen.

Tahire schrie Mara ins Ohr "Lass uns was trinken gehen!" und wies auf einer der Theken. Sie drängten sich durch die Masse, kamen nur mit Mühe in die vorderste Reihe. Bei der Wahl der Getränke gab es keine Frage, das hatten sie schon vorher besprochen.

Ein süßer Cocktail "Beachmilk red" Alkohol sollte es sein. Tahire winkte den Barkee­per heran, der ihren Wunsch entgegen nahm um sich dann einem Mann in der hintersten Ecke zuzuwenden. Zwei Minuten später stellte der Barkeeper den drei Mädchen die Drinks hin und zeigte mit beiden Hän­den wie ein Bobby auf einer verkehrsreichen Kreuzung in der Londoner City auf den freundlichen Spender und seinem Nachbarn. Die Männer hoben ihre Gläser und prosteten den Girls zu. Die Geste verdeutlichte ohne Worte, dass sie eingeladen waren. Mara zeigte ihre gute Laune und stieß mehrere Male mit hochgestreckten Armen ein "Huuuh!" aus, das zwar in dem Getöse akustisch unterging, aber dennoch von den Männern verstanden wurde und ihnen ein zufriedenes Grinsen entlock­te. Sie nahm sofort eine großen Schluck, noch bevor ihr Tahire "Warte! Warte!" zugerufen hatte. Mit einem weiteren Schluck leerte sie das Glas. Tahire selber hatte, wie auch Monique, ihren Drink nicht angerührt.

Mara war in ungezügelter Partylaune, sie zog ihre Freundinnen wie­der zur Tanzfläche. Doch die vitalen Tanzbewegungen glichen plötzlich einer müden Slowmotion, sie torkelte, ihre Knie wurden weich, sie muss­te sich an Tahire stützen. "Wir müssen raus! Schnell!", schrie Tahire, griff ihr unter die Arme um sie dann von der Tanzfläche zu steuern. Monique kam ihr zu Hilfe, mit Mara in ihrer Mitte stießen sie sich durch die Menschenmenge, die unbeein­druckt von dem Zwischenfall weiter ihr Show zelebierte, auch die Tabletänzerinnen bewegten sich in stoischer Gelassenheit.

Endlich hatten sie den Ausgang erreicht, sie passierten die beiden Türsteher, die mit betrunkenen Männern in Strandlatschen diskutierten. Ei­ner der Türsteher blickte zu ihnen. Tahire bemerkte, dass er in sein Mikro sprach und mit einem Finger seinen Ohrhörer andrückte.

"Schneller!", drängte sie, auch Monique zerrte an Mara, sie schlepp­ten sich an der Besucherschlange vorbei, dann befahl Tahire "Steck den Finger in den Hals!"

"Was …?"

"Steck den Finger den Hals. Kotz dich aus!"

Mara war zu benommen und registrierte kaum, was um sie herum geschah. "Mach den Mund auf! Mara, hörst du, mach den Mund auf!"

Tahire ergriff Maras Hand und führte ihn zum Rachen. Mara kapierte, beugte sich vor und ergoss den Mageninhalt in einen Pflanzenkübel. Plötzlich war der Türsteher da, schubste Tahire und Monique grob zur Seite, glitt mit der einen Hand unter Maras Kniekehlen und umfass­te mit der anderen ihre Hüfte, er beabsichtigte, sie auf seine Arme zu nehmen.

"Lass sie los!", schrie Tahire ihn an. Er machte keine Anstalten, dies zu tun, sah sie nicht einmal an, sondern hob Mara hoch. In blitzartiger Geschwindigkeit hatte Tahire ihre Stiefelette ausgezogen und damit zugeschlagen, der Hieb mit der Hacke streifte seitlich seinen Kopf und ritzte sein Ohr. Blut rann an seinem Hals herab auf seine Schulter und färbte den Halsausschnitt seines Shirt. Er ließ Mara los, die auf wackligen Beinen hin und her wankte und drehte sich zu Tahire um.

"Bis du bekiffst oder was, eh?" Eine schallende Ohrfeige folgte. Tahi­re hielt tapfer stand und drohte ihm mit dem Highheel. Die nächste Ohr­feige fetzte ihren fast zehn Zentimeter großen Ohrring ab, der irgendwo zwischen den Pflanzen landete, ihr Ohrläppchen war aufgerissen, aus der Wunde tropfte nun ebenfalls Blut. Auf einmal fing der Schläger an zu lachen, wahrscheinlich fand er die Situation witzig.

Monique war schon zur Promenade gerannt und suchte nach der Poli­cia. Tahire nutzte die Lachsalve um Maras Handgelenk zu fassen. Die Mädchen rannten die Eingangspassage der Disco entlang zur Straße. Der Typ bog sich immer noch vor Lachen, klopfte sich auf die Schenkel.

"Taxi! Taxi!" Es war keines zu sehen. Mara setzte sich auf einen der Betonquader, zog ihre Schuhe aus und neigte sich nach vorne. "Komm, wir gehen ans Wasser ...", schlug Monique vor, auch sie hatte sich, wie Tahire, ihrer Schuhe entledigt. Die beiden Freundinnen nahmen Mara wieder unter die Arme. Mehr stolpernd als gehend überquerten sie die beiden Gehwege der Promenade, stiegen die kleine Treppe zum Strand hinunter und sezten sich auf die letzte Stufe.

Nun war es Tahire, die auf einmal anfing zu kichern. "Dem hab ich's gegeben, dem hab ich's gegeben … yeahh, yeaaah, juhuuu." Tahire igno­rierte ihr aufgerissenes Ohrläppchen und die Ohrfeigen, die sie kassiert hatte und belustigte sich über ihre Attacke. Die Entspannung war ihr an­zusehen, das steckte Monique an, das Kichern steigerte sich zu einem Gackern, beide rissen ihre Arme hoch und jubelten, nur Mara blieb ernst.

"Ach du kleine naive Landgöre ..." Damit war Mara gemeint.

"Ja, sie muss noch viel lernen in Mallorcas Disconächten", ergänzte ihre Freundin.

"Warum?", fragte Mara.

"Hat dich deine Mutter nie gewarnt vor Männern, die dir einen Drink spendieren?"

"Wieso denn?"

"Hihi, sie ist ein kleines naives Provinzgörli, unsere liebe Mara, unse­re kleine Mara ..." Auch die andere setzte mit ein. "Unser naives Gör­li, unser naives ..."

"Hört auf, hab's schon gecheckt."

Als die Ältere von den Dreien hatte Tahire bereits Erfahrungen in der Partyszene sammeln können und als moderne, selbstbewusste Muslime war sie besonders kritisch eingestellt gegenüber Männern. Durch ihre Arbeit bei der Einbürgerung von unbegleiteten jugendlichen Flüchtlin­gen demonstrierte sie aber auch gesellschaftliche Toleranz.

"Mara, hör zu: Männer wollen immer das Gleiche, merk dir das."

"Was denn?" Mara stellte sich nun bewusst naiv. Dass sie ihre Frage ironisch meinte, wurde gleich darauf durch ihr Lachen bestätigt. Natür­lich wusste sie, was Männer oder Jungens üblicherweise von Mädchen wollten, schließlich war sie kein kleines Kind mehr.

Durch den Auftritt der Mädchen wurden Gestalten aufmerksam, die sich im Schatten der Palmen auf der anderen Seite der Promenade seit­lich der Disco aufhielten. Sie spähten zu den Mädels hinüber.

"Lass uns ans Wasser", schlug Tahire vor. Während die drei Girlies durch den warmen Sand stapften, schlichen die Gestalten näher, sie duckten sich hinter der Promenadenmauer.

"Erster!", rief Tahire und startete los, sofort spurteten Mo­nique und Mara hinterher. Ihre Beobachter ließen sich geräuschlos über die flache Mauer rollen, sprangen auf und beschleunigten nun ebenfalls ihre Gangart. Die Mädchen bemerkten sie nicht, sie waren zu beschäf­tigt mit ihrem Wettlauf. Monique und Tahire rannten an dem Wachturm der Rettungsschwimmer vorbei auf das Wasser zu. In Mara stieg wieder eine Welle der Übelkeit hoch, ihre Beine wurden schwammig, sie suchte Halt an einem Pfosten, langsam glitt sie in den Sand und lehnte sich an. Ihre Freundinnen konnte sie nur noch schemenhaft erkennen, als Silhouetten, die vor dem dunkelblauen Nachthimmel auf und ab wippten. Mara schloss die Augen und legte ihren Kopf auf die knie, sie fühlte sich wie ein weitgeflogener Engel, dessen Flügel lahm gewor­den waren und sehnte sich nach ihrem Bett, am liebsten würde sie gleich hier einschlafen.

Dunkle Wolkenberge standen am Himmel. In ihrem entspannten Zustand formte sich das Bild von Flugsauriern mit riesigen Kral­lenfüßen, die aus den Wolken hervorstießen und auf sie herunterflogen. Eine unheilvolle Ahnung veranlasste sie, sich umzudrehen. Sie hob ihren Kopf, riss die Augen auf. Sie er­schrak.

Die Saurier waren hinter ihr auf dem Strand gelandet und verwandelten sich in Gorillas mit Wolfsköpfen, die nun mit erhobenen Armen und langen heraushängenden Zungen auf sie zuhasteten. Sie versuchte, sich aufzurichten, das Schreckensbild lähmte ihre Glieder, in gebückter Haltung machte sie drei Schritte, doch das gefräßige Wolfsrudel hatte den flügellahmen Engel schon eingeholt.

Einer der Typen packte sie an den Schultern und riss sie rücklings zu Boden. Für Mara unverständliche einsilbrige Laute der beiden anderen begleiteten den Angriff, schon legten sich kräftige Arme um ihre Hüften, sie zerrten Mara unter den Wachturm.

"Fass mich nicht an! Fass mich nicht an!" Ihre Schreie gellten über den Strand von El Arenal. Ihre Angstschreie musste doch jemand hören! Sie verloren sich über dem offenen Meer. Wo waren ihre Freundinnen?

Mara wurde gegen einen Holzpfosten gestoßen, die Kante drückte in ihren Rücken, direkt auf dem Rückgrat und ruschte dann seitlich davon zwischen die Schulterblätter, sie registrierte es, aber die Angst überlagerte den Schmerz. Ihre Arme wurden nach hinten gebogen, an den wei­chen Innenseiten ihrer Unterarme kratzte rauhes Holz, ihre Fingernägel krallten sich in den Balken, als ob er ihr einen Halt geben könnte, aber dieser mutierte zum Marterpfahl.

Eine schwarze Hand hielt ihr von hin­ten den Mund zu, eine andere umfasste ihren Hals, der Atem blieb ihr weg, die Nasenflügel bebten, saugten nach Luft, wie die gespreizten Kie­men eines Fisches, der auf einen steinigen Boden geworfen worden war.

Die sexgierige Männerrotte hatte ein junges Mädchen erbeutet. Jetzt wollten sie ihr Fleisch.

Vor den Mond schob sich ein tiefschwarzer Wolkenschleier. Mara riss ihre Augen weit auf. Die Gesichter konnte sie nur vage erkennen. Ohne Gesicht wirkte die Bedrohung noch beängstigender. Ihre Herzschläge hämmerten bis in die Halsschlagader, die Pulsfrequenz hetzte wie der TechHouseRhythmus vor einer halben Stunde in der Disco. Die Hand um ihren Hals drückte fester, die Luft blieb ihr weg, mit ihren zarten Fingern versuchte sie, den Griff zu lösen, doch ihre Kraft reichte nicht, es war wie in einem Albtraum, in dem sich eine wollene Decke über ei­nen ausbreitet und sich die reale Welt immer weiter entfernt, ein Traum, in dem man schreien will, aber die Stimmbänder erschlafft sind.

Wie durch einen Vorhang aus Watte drang die Feierlaune von der Ballermann- und Bierkönig-Szene in Maras Gehörgänge. Fröhliches Stimmengewirr aus der Ferne vermischte sich zu einer Geräuschkulisse, vor dem die Dämonen ihren Foltertanz aufführten. Die Situation war schizo­phren. Nur hundert Meter entfernt vibrierte die volle Lebenslust und hier, unter dem Holzgerüst musste ein zartes Mädchen ihr noch so un­schuldiges Erdenleben verteidigen.

Etwas Warmes sickerte an den Innenseiten ihrer Oberschenkeln her­unter, ihre Blase war dabei, sich zu entleeren, parallel dazu begannen heftige Zuckungen im Bauch, die sich bis in den Enddarm zogen. Soviel ahnte sie: das waren die Reaktionen der Todesangst, ein Akt in der letzten Phase eines Lebenskampfes, der den Körper vor dem Übergang in eine andere Dimension reinigte. Aber sie wollte nicht sterben. Sie hatte noch so viel vor. Sie musste aufwachen!

Ein Reflex der Lebenserhaltungskräfte presste ihre Pobacken zusam­men, sie spürte die Muskeln und dann die Energie in ihren Beinen, stieß immer wieder nach vorne, wollte sich den Typen vom Leib halten, aber der lachte nur, ergötzte sich an ihrer Notwehr, die einem kindlichen Strampeln gleichkam. Er grabschte an ihre Brüste, quetschte sie, riss dann mit einem Ruck ihre dünne Bluse auseinander. Die drei Holzknöpfe, die sie selber mit kleinen bunten Blümchen bemalt hatte, flogen durch die Luft, ihr Oberkörper lag bloß.

Mit beiden Händen zog der Typ das Röckchen über ihre Hüften bis zur Taille, zerrte an ihrem Slip, sie konn­te nicht verhindern, dass er ihn bis zu ihren Fußgelenken hinunterzog. Der Mann packte ihre Füße, drückte sie zur Seite, der Slip zerriss. Sei­ne behaarten Arme hielten ihre zierlichen Teenagerbeine fest wie in ei­nem Schraubstock. Er drückte seinen Körper zwischen ihre Beine. Beide Hände umfassten ihre Pobacken. Maras Kraft reichte nicht für einen Widerstand. Eine aufweichende Lähmung durchfloss ihren Körper, sie hörte sich selber jammern und wimmern, als ob es eine andere Person wäre. An ihrem geistigen Auge zogen Bilder aus ihrer Kitazeit vorüber, von ihrem Lieblingskätzchen Cherí, es hatte ein schwarzes und ein weißes Ohr, damals war es von einem streunenden Köter gepackt und hin und her geschleudert worden. Maras Jammern klang wie das von ihrem Kätzchen. Und mit den Klagetönen gaben die über der Bucht stehenden Wolken wieder den Mond frei, als ob sie das dramati­sche Schauspiel näher beleuchten lassen wollten.

Der dritte, ein Weißhäutiger, filmte mit seinem Smartphone und keuchte dabei. Mara sah, wie ihm die Spucke aus den Mundwinkeln lief. "Fick sie von hinten, mach sie fertig, die weiße Schlampe", forderte er. Das Bild von dem schmachtenden Grinsen in seinem mageren, blassen Gesicht und dem Schleim, der seine Spur über das Kinn bis zum Hals zog, fräste sich in ihr Hirn. Auch die Visage vor ihr brannte sich in ihr Gedächt­nis: dunkle Haut, von vernarbten Pocken übersät, schwarze Bartstop­peln, gierige Augen, in dem die erweiterten Pupillen wie Öffnungen von Abwasserkanälen wirkten. Die Narbe, die sich vom unteren Augenlid bis ans Ohr zog, ließ das schiefe Grinsen noch teuflischer wirken. Sein Bart kratzte an ihrem Hals und auf ihrer Wange. Maras Ge­ruchssinn war aufs Höchste sensibilisiert, seinen Körperdunst nahm sie als eine ekelige Mischung von süßlichem Parfüm und Körperschweiß wahr; erkaltetes, abgestandenes Fett, hinter einer Frittenbude gelagert, stank genauso. Seine linke Hand, schwitzig, kühl und glatt, wie ein nas­ser Gummihandschuh, knetete ihre Brust, abwechselnd links und rechts.

"He, ihre Nippel werden hart, he kuck, he geil, eh! Sie ist geil, die kleine Schlampe!" Der schleimende Handytyp kam näher, filmte von oben, über ihre Schulter hinweg, sein warmfeuchter Atem drang in ihr Ohr, seine Spucke tropfte unter den Rest ihrer Bluse ihren Rücken hin­unter. Alles fühlte sich abwechselnd feucht und eisig an. Mit einer lauen Sommernacht hatte diese Gewaltszene nur die Temperatur gemeinsam, aber die ansonsten wohltuenden vierundzwanzig Grad lagen weit außer­halb von Maras augenblicklicher Wahrnehmung.

Mit seiner rechten Hand fingerte der bärtige Typ an seiner Hose. Das Ratschen des Reißverschlusses vernahm sie überlaut, erzeugte in ihrer Fantasie die Bildfolge von einem Sack mit Kieselsteinen, der über einen Felsenvorsprung geschleift wurde und dann mit tausend Spritzern ins Meer prasselte.

Wie vom Blitz getroffen machte der Typ mit dem Handy eine Rückwärtsdrehung, die beiden anderen stießen wieder einsilbrige Laute aus. Die Hände, die ihre Arme an den Pfosten gepresst hatten, lockerten sich, gaben sie dann spontan frei. Der Bärtige vor ihr wich von ihrem Körper, stieß aber mit einem Wutschrei ihren Hinterkopf gegen den Pfahl. Mara erkannte eine Tätowierung auf seinem Arm, das Tattoo bedeckte den gan­zen Unterarm vom Handgelenk bis zum Ellenbogen und zeigte eine Schlange die einen Frauen­körper umschlang, mit grellen Augen und langen Hörnern,. Dann war der Typ aus ihrem Gesichts- und Geruchskreis verschwunden. Sie sackte in den weichen Sand, die Berührung kam ihr vor, wie wenn sie sanft in ein Himmelbett gelegt wurde.

Maras Kopfkino war keine Einbildung gewesen. Vor dem Wasser durchstachen vier gleißendhelle Augen die Nacht, voller Energie, bereit zum Kampf. Die Scheinwerfer waren viel heller als der Mond.

Mit ihrem Jeep war die Policia von der Strandpromenade auf den trockenen Kiesweg gelan­det, mehr geflogen als gefahren, von diesem auf den Strand geschossen und am Meeressaum, von aufspritzendem Wasser begleitet, auf die Gruppe zugerast. Die Sirene der Guardia Civil klang in Maras Ohren wie eine Befreiungshymne. Ihr fiel ein Wahlspruch der Guardia Civil ein, den sie mal irgendwo aufgeschnappt hatte: "El honor es mi divisa." Ehre ist meine Devise. Er passte zum Sirenensound wie ein gelungener Song­text.

Der Jeep bremste hart neben dem Wachturm, hielt die Richtung der Flüchtenden bei, die im Scheinwerferlicht ihren langen Schatten hinter­her rannten. Zwei Uniformierte sprangen heraus, auf Mara zu, der Mo­tor heulte auf, die Geländereifen drehten durch, wühlten den Sand auf, mit einem gewaltigen Schub jagte der Jeep den Tätern hinterher, einer von denen stolperte und stürzte, die beiden anderen hatten bereits die Strandmauer überwunden und hetzten über die Straße auf die gegen­überliegende Häuserreihe zu. Die Policia war bis auf wenige Meter an den letzten angelangt, der sich wieder aufrappelte, um dann über die Steinmauer zu hechten. Im Normalfall hätte für den Jeep die Verfol­gungsfahrt hier enden können, doch der Fahrer riss das Lenkrad nach links herum, die Räder fegten eine Wolke von feinen Sandkörnern gegen die Mauer, der Jeep raste auf den nahen Fußgängeraufgang zu, auf dem die Mädchen vor wenigen Minuten noch gesessen hatten, hoppelte die acht Stufen hinauf um auf der gepflasterten Carretera Arenal den Tätern den Weg abzuschneiden.

Drei Warnschüsse fielen, kurze knackende Laute, ohne Wi­derhall. Zielschüsse waren zu gefährlich, da sich noch Touristen zwi­schen den Palmen und auf der anderen Straßenseite aufhielten. Zwei Po­lizisten sprangen aus dem Jeep und nahmen die Verfolgung zu Fuß auf, doch vergebens, die Typen waren im Dunkeln irgendwo zwischen dem Beach-Parc und den Wohnblocks mit den vorgelagerten Lokalen ver­schwunden.

Mara wurde inzwischen von den beiden zurückgebliebenen Rettern beruhigt, sie kauerte im Sand, die knie angezogen, das Gesicht in ihren Händen vergraben. Eine der Beamtinnen sprach leise zu ihr "Todo bien, todo bien ... el peligro ha pasado" und dann auf deutsch "Al­les gut ... die Gefahr ist vorbei".

Tahire und Monique näherten sich nun auch, sie hatten die Policia alarmiert.

Mitte August war das, kurz vor drei Uhr morgens.

 

 

 

 

*

 

 

 

München. Fünf Monate zuvor. Sie waren alle im Büro an der Prinzregentenstraße gegenüber des Englischen Gartens versammelt. Phillip Neumann, der Star-Architekt hatte seine sechs Mitarbeiter gebeten, an diesem Freitagnachmittag in den Konferenzraum zu kommen.

"Liebe Kolleginnen und Kollegen. Zum Ausklang einer arbeitsreichen Woche möchte ich euch eine erfreuliche Nachricht mit ins wohlverdiente Wochenende geben, eine, die uns in den nächsten Monaten, ja, für eini­ge von uns wahrscheinlich auch die nächsten Jahren begleiten wird. Ihr wisst, ich bin kein Mann, der lange um den heißen Brei herumredet, doch jetzt will ich eine Ausnahme machen, es soll ein bisschen spannend werden."

Niemand, außer seiner Sekretärin Sidney, wusste, um was es ging. Der Anlass musste schon was Besonderes sein, wenn der Chef zu einem gemeinsamen Meeting bat, ohne vorher die Themenpunkte auszugeben.

"Ich sage euch nichts Neues: Weihnachten ist noch einige Zeit hin, dennoch ist es heute für unsere kleine Firma wie ein vorgezogenes Weihnachtsfest."

Die Titulierung 'kleine Firma' war untertrieben, denn das 'STARTIN - Strategie Team Architektur International Neumann' - hatte sich den Ruf eines der kreativsten Büros in der Architekturszene erworben.

"Ein Fest, ja ..." Er deutete auf den mit einem blendendweißen Tisch­tuch bedeckten Besprechungstisch, der den Umstehenden beim Fin­gerzeig darauf ein Schmunzeln entlockte, denn er war leer, nicht die ge­ringsten Anzeichen von Feierlichkeit waren zu bemerken, keine Gläser, keine Gedecke, keine Blumensträuße, nur das weiße, bis an den Boden reichende Tuch.

"Du hast das Fest wirklich schön vorbereitet, Phil." Robert Vanharten, sein Kompagnon frotzelte. "Willst du uns nun zur Feier des Tages auf eine Hungersperiode einstimmen?" Alle lachten.

"Die Luft ist schon ziemlich trocken ... für eine zweite Weihnachts­zeit", kam der nächste Zuruf.

"Warst du bei meiner Frau in der Lehre, Phil? Sie macht es auch im­mer so, wenn sie von mir eine SSS will, sie macht mir Appetit und dann sagt sie 'schlaf schön Robbie', das will gelernt sein."

Jedem im Raum war bekannt, dass Vanharten und seine Gattin Kris­tin eine überaus glückliche Ehe führten und dies ein Witz war, der Phil dennoch zu einer Frage verleitete. "Was war nochmal SSS? Meine Lehr­jahre haben schon etwas Patina angesetzt."

"Sonder-Shopping-Spende!"

Phillip fuhr fort: "Gestern kam eine Nachricht aus Palma de Mallorca."

Er legte eine rhetorische Pause ein, um seine Worte wirken zu lassen. Er hörte quasi das Ticken der Denkmechanis­men in den Köpfen.

"Ich hatte Sidney gebeten, es bis jetzt geheim zu halten."

"Du spannst uns auf die Folter, Phil, aber so wie wir alle jetzt denken, wird es eine genüssliche Folter."

Phil ging auf den Tisch zu, hob die Arme, wirbelte das riesengroße Tuch durch die Luft, ein Knall folgte und plötzlich standen sie vor einer festlich gedeckten Tafel. Natürlich staunten alle, aber voraussehbar war das schon, denn ihr Boss hatte bei den Betriebsfeiern schon etliche Male mit seinen Zaubertricks für Unterhaltung gesorgt.

"Alles nur Illusion!", warnte jemand.

"Haha, deshalb bitte ich auch um Vorsicht beim Hinsetzen, fühlt erst, ob die Stühle wirklich da sind," ergänzte Phil die Einlage. "Ihr ahnt es nun schon: STARTIN hat den Wettbewerb um die Neugestaltung des Pa­seo Maritimo gewonnen!"

Frenetischer Applaus folgte auf dem Fuße. Sie klopften sich einander auf die Schulter und umarmten sich. In das Klatschen und die Freuden­ausrufe hinein köpfte Phillip Neumann die erste Dom Perignon, die er selbstredend aus dem Hinterhalt auftauchen ließ. Der Korken knallte ge­gen die Decke. Sidney und die Praktikantin Kiumé begannen, die Gläser auf den Tabletts mit Sekt zu füllen und sie umzureichen.

Um lockere Sprüche war die kleine Gesellschaft dabei nicht verlegen.

"Schmeckt wie echt."

"Wozu baucht der Mann noch Geld, wenn er sich alles herbeizaubern kann?"

"Hoffentlich war die Email keine Zauberei der mallorquinischen Re­gierung … morgen hat sie sich in eine Fatamorgana verwandelt ..."

"Das ist das Problem eines Zauberkünstlers, wenn ich mich mit mei­nen Miniaturdarbietungen dazu zählen darf: Wer einmal zaubert, dem glaubt man nicht, auch wenn er mal die Wahrheit spricht."

"Auf welchen Zeitplan müssen wir uns einstellen, Phil?"

"Der erste Schritt ist: eine Woche Urlaub für alle auf Mallorca, selbstverständlich auf Kosten der Firma." Wieder wurde er mit viel Bei­fall bedacht, der erst abebbte, als Neumann sich von seiner Sekretärin ein Schild geben ließ und es hoch hielt. "Das hier ist unser Projekt: Tatort Mallorca!"

Die Headline blieb nicht ohne Kommentare.

"Sind wir die Täter?"

"Ja, wir sind Serientäter!"

"Intergalaktisches Architektenbüro stiehlt anderen die Show!"

"Wird das ein Fall für die Mordkommission?"

"Wer ermittelt gegen wen?"

"Gibt es schon Verdächtige?"

Phil brachte einen Touch Ersthaftigkeit in die Runde. "Ich dachte, die offizielle Bezeichnung 'Projekt zur Um- und Neugestaltung der Avinguda de Gabriel Roca zur Prachtpromenade von Palma' ist für unsere tägliche Arbeit zu umständlich … aber wer andere Vorschläge hat, bitte, nur her damit."

"Phil, Du willst doch nicht tatsächlich 'Tatort Mallorca' auf allen Un­terlagen anbringen!?"Robert Vanharten brachte seine Bedenken ein, als wären sie schon in einem Arbeitsmeeting.

"Robert, du und ihr alle wisst, dass unser Team durch unsere außergewöhnlichen Einfälle bekannt geworden ist … gewöhnlich kann schließlich jeder."

"Tatort, das klingt nach Verbrechen", äußerte sich die Praktikantin.

Doch Phillip Neumann war nicht umsonst der Kopf des Teams, er hatte eine Alternative parat. "Eine ergänzende Idee von mir: Über 'Tatort Mallorca' schreiben wir 'PPP'."

"Was soll das heißen?", wollte Designer Domin wissen.

"Ist doch naheliegend: Projekt Promenade Palma."

"Das klingt gut." Jetzt war auch sein Kompagnon Robert Vanharten einverstanden. Alle anderen hoben die Daumen.

Die Truppe war seit Jahren aufeinander eingespielt, zwar gab es fast immer heiße Diskussionen und jeder konnte sich in ein Thema einbrin­gen, doch meistens war Phillip Neumann derjenige, dem sie fast alles ab­kauften. Er konnte überzeugen. Man wusste nie genau, ob er die Einfälle schon vorproduziert hatte und sie auf den Punkt genau einzu­pflanzen verstand oder ob sie wirklich spontane Funken waren.

Dennoch legte der Boss viel Wert dar­auf, dass sie immer als Team auftraten. Das 'Wir' stand für ihn im Vordergrund. Erstens war ihm der Zusammenhalt der Arbeits­gruppe wichtig, zum andern war das Leitmotto psychologisch begründ­bar: Phillip Neumann wusste, es war für Gegner, so betrachtete er auch alle seine geschäftlichen Diskussionspartner, schwieriger, die Mauer eines WIR einzureißen, als den Zaun einer einzelnen Person, selbst wenn diese Person der Boss war.

'Vergesst das Wort ICH, wenn wir in eine ge­schäftliche Besprechung gehen' schwor er seine Leute ein, 'unser Team muss wie eine Wand stehen'.

Phillip Neumann repräsentierte den Typus eines Gentleman-Play­boys, was seiner äußeren Erscheinung durchaus zuzusprechen wäre.

Einmetervierundachtzig groß, nicht athletisch, aber auch kein Spargeltarzan, Lachfalten um die Augen, angedeutete Senkrechtfalten neben den Nasenflügeln, glatte blonde Haare, blaue Augen, äußerst selbstbewusst, bisweilen auch arrogant, Frauenliebhaber, zur Zeit ohne feste Be­ziehung, zweiundfünfzig Jahre alt. Er konnte Komplimente ebenso gut wie jemand zur Schnecke machen, Letzteres kam allerdings seltener vor. In der Regel spürte man seinen sportlichen Geist und er blieb mit Sinn­sprüchen nicht hinterm Berg: "Du darfst jemand zu Fall bringen, aber dann gib' ihm deine Hand und helfe ihm wieder auf die Beine."

Im Gegensatz zu ihm charakterisierte sein Kompagnon Robert Van­harten den sachlich-seriösen Part. Beide ergänzten sich wunderbar bei ihren geschäftlichen Verhandlungen. Robert ging auf die Sechzig zu und war langjährig verheiratet mit Kristin. Neben ihrer Liebe prägte die ge­meinsame Tochter Brigyda ihr großes Familienglück. Lange Zeit konnten sie keine Kinder bekommen, kein Arzt wusste warum, aber vor vierzehn Jahren kam 'Biggi' zur Welt, sie war wie ein Geschenk des Himmels und wurde stets mit der Wertigkeit einer Gottesgabe behandelt.

"Für Personaldebatten ist es ein wenig früh", warf Phillip Neumann in die fröhliche Runde, "aber ich würde schon gerne wissen, wer seinen Münchener Arbeitsplatz freiwillig mit dem Mittelmeer und der heißen Sonne zu tauschen beabsichtigt."

"Gegen eine entsprechende finanzielle Entschädigung könnte ich mir das durchaus vorstellen", witzelte Robert.

"Also, ich weiß, dass ich euch bedränge, aber für unsere strukturelle Planung sollten wir uns bald entscheiden." Phillip erhob sein Glas und prostete seinem Team zu. "Cheers. Auf unsere Arbeit im schönen Palma. Und jetzt ran ans Büffett. Guten Appetit."

Für Phillip Neumann stand es selbstredend außer Diskussion, dass er von nun an ständig am 'Tatort Mallorca' sein würde.

Robert Vanhartens Anwesenheit am neuen Standort war ebenso unerlässlich und er war gewillt, seinen Wohnsitz nach Mallorca zu verlegen, natürlich mussten seine Frau und seine Tochter zustimmen, denn er würde nur mit seiner Familie dort leben wollen, eine Wochenend-Ehe kam für ihn nicht in Frage.

Endo Klecker, sein Mitarbeiter an dritter Stelle, würde ebenfalls nach Palma ziehen, denn er war an keine privaten Angelegenheiten gebun­den, die ihn von einem Wohnortwechsel abhalten konnten. Vor einem Jahr hatten Phil und Robert ihn eingestellt, er hatte sich mit guten Ideen in den Wettbewerb eingebracht. Endo Klecker war ein stiller Typ, er ließ seine Arbeit und seine Referenzen für sich sprechen, die er sich in diversen internationalen Architekturbüros erworben hatte, zuletzt in den Vereinigten Arabischen Emiraten.

Chefsekretärin Sidney Waken war ein echtes Münchner Kindl, verheiratet, hatte zwei kleine Kinder, sie konnte ihren Wohnort nicht wechseln und würde im Münchener Büro weiter wie bisher arbeiten.

Designer Domin Arend musste sich die Sache noch durch den Kopf gehen lassen, er hoffte im Stillen aber, dass er, wenn seine Chefs für län­gere Zeit München verließen, sich eine Stufe in der Hierarchie hoch­schaukeln konnte, die Chance war durchaus gegeben, denn sie waren sehr zufrieden mit seiner Arbeit.

Praktikantin Kiumé war vorübergehend im Architekturbüro be­schäftigt. Die gebürtige Afrikanerin hatte vor, in München zu studieren und sie wollte bei ihren Adoptiveltern bleiben, so dass sich die Frage nach einem Umzug erübrigte.

Selbstverständlich würden sie alle, je nach Erfordernis, zwischen München und Palma pendeln.

"Dann sind wir uns ja schnell einig geworden", lobte Phillip Neumann sein Team. "So liebe ich es."

Phillip, Robert und Endo war es vergönnt, in Palma zu leben und zu arbeiten. Zu leben. Ja, das 'Projekt Paseo Palma' war keinesfalls in einem halben oder einem Jahr zu packen, die Arbeiten waren auf mindestens drei Jahre definiert. Wenn alles glatt lief.

Nun ging es darum, sich auf die gigantische Aufgabe vorzubereiten, neue Mitarbeiter mussten geworben werden, die Struktur des Münche­ner Büros musste sich anpassen und vor allem sollten sie sich bessere spanische Sprachkenntnisse aneignen. Phil und Robert entschieden sich, die Urlaubswoche für einen Crashkurs zu nutzen.

 

 

 

*

 

 

Für die Preisverleihung erkoren die Organisatoren das neue Kongresszentrum 'Palau de Congressos de Palma'. Mit dem Vier-Sterne-Hotel, den Tagungs- und Meetingsräumen und dem Auditorium, groß genug für rund zwei Tausend Personen, war der futuristische Komplex praktisch und auch symbolisch der passende Ort für die Präsentation des Gewinnerprojektes. Die Umgestaltung der Avinguda Gabriel Roca zu einer Pracht-Promenade galt für die Stadt Palma als internationales Prestigeobjekt.

Die Liste der eingeladenen Gäste bestand demzufolge aus Vertretern ausgewählter Unternehmen, aus Regierungen, Berühmtheiten der Öffentlichkeit, aber auch den Zweit- und Drittplatzierten des Wettbewerbs. In den Medien war die Veranstaltung bereits groß aufgemacht worden. Etliche Presse­teams waren anwesend, von Printmagazinen über Nachrichtenredaktion bis zu TV-Sendern. Einem Redakteur der 'Süddeutschen' war es Anlass genug, nach Palma zu reisen, schließlich hatte ein Mün­chener Archtitekturbüro den international ausgeschriebenen Wettbewerb gewonnen.

Auf das sonst übliche plastische und statische Modell des Projektes verzichteten Phillip Neumann und sein Team, stattdessen wurde ein animierter 3D-Film präsentiert, dafür wurden entsprechende Brillen an die Gäste ausgegeben, um sie in den Genuss eines Live-Erlebnisses kom­men zu lassen. Wie erwartet, wurde das Architekturteam auch dafür mit brausendem Applaus bedacht.

Die anschließenden Referate waren obligatorisch, denn über die Be­deutung der Küstenpromeade mochten mehrere Rednerinnen und Red­ner wohlwollende Ansichten und gutmeinende Wünsche von sich geben.

Nach den mediterranen Klängen eines Folklore-Quartetts sammelten sich mehr als zwanzig Personen auf der Bühne. Phillip Neumann und seinem Team wurde der Gewinner-Preis in Form eines mallorquinischen Marés-Steines überreicht, in dem der Titel 'Ganador' und Angaben zum Projekt eingemeißelt waren.

Einheimische wussten, dass Bauten wie die Catedrale la Seu, der Wehrturm auf der Halbinsel Castell de sa Punta de n'Amer und die Stadtkirche von Felanitx mit Marés-Steinen gefertigt waren, ebenso wurden die meisten älteren Häuser Mallorcas mit Marés erbaut.

Selbstredend präsentierten die Veranstalter zum 'get-to-gether' ein Büfett mit typischen Speisen und Getränken Mallorcas.

Um nicht gänzlich den Symbolen der Tradition zu verfallen, hatte sich Phillip Neumann ergänzend eine neuzeitliche Musikpräsentation gewünscht. Die drei spanischen Sängerinnen 'Chicas Del Canto' verführten zu einer musikalischen Reise durch fünf Jahrzehnte des Jazz und Pop. Wechselnde Kostümierung, von Folklore-Trachten über Abendkleider bis zu zerissenen Jeans, untermalte die Per­formance optisch.

Phillip Neumann und seine Mitarbeiter waren gefragte Interview­partner. Die anregende Atmosphäre und die Notwendigkeit, sich mit Ge­schäftspartnern zu arrangieren, ließ jedoch nur kurze Statements zu, so dass die Reporter für ausführlichere Interviews auf die nächsten Tage verwiesen wurden.

Gerne nahmen so die Zweit- und Drittplatzierten die Gelegenheit wahr, sich gegenüber der Presse zu äußern. Besonders der Arquitecto des zweiten Platzes sah die Chance, seine Planungen noch einmal in den Fokus zu rücken.

Die Zeitungen hatten im Vorfeld die unterschiedlichen Konzepte der Bewerber vorgestellt, dabei kamen auch Gerüchte zum Vorschein, die dem Zweitplatzierten Verbindungen zu arabischen Investoren nachsagten.

"Nein, ich bestreite keinesfalls, dass mein Büro mit weltweit agieren­den Investoren kooperiert. Die Idee des Palma-Towers, den ich in den Wettbewerb einbrachte, ist ja bedauerlicher Weise abgelehnt worden. Doch ein Zusammenhang mit Einflüssen aus der arabischen Welt muss ich auch heute wiederholt entschieden bestreiten."

Eine Reporterin versuchte, der harmonischen Feierstimmung eine spektakuläre Nuance aufzudrücken und provozierte.

"Wie wir wissen, ist ein hochrangiges Ministeriumsmitglied wegen des Verdachtes der Korruption bereits in der Vorphase beurlaubt wor­den. Man sagt, Sie hätten ihm persönlich sehr nahe gestanden ..."

"Das ist absoluter Unsinn. Natürlich kenne ich ihn, aber das muss doch nicht heißen, dass er auf die Pläne Einfluss nehmen konnte."

"Und wie sieht es mit den privaten Kontakten des Ministeriumsmitglied zu den Arabischen Emiraten aus? Die wurden ihm nachgewiesen."

"Dazu kann ich nichts sagen. Das kann doch jeder machen wie er will. Gibt es sonst noch Fragen?"

Die Reporterin blieb hartnäckig, sie sah eine Chance, doch noch investigativ tätig zu werden und eine Skandal-Story abzuliefern. Sie beabsichtigte, den Arquitecto zu unüberlegten Äußerungen zu verleiten.

"Die Drähte von ihrem Büro zum Ausland wurde bestätigt. Wie sieht es heute aus? Haben Sie dem Gewinner gratuliert?"

"Natürlich gratuliere ich dem Gewinner, wenngleich ich und unser Team traurig sind, dass unsere Ideen keinen Anklang gefunden haben. Aber warum sollten wir uns heute von unseren Ideen distanzieren? Wir sind nach wie vor überzeugt, dass ein Palma-Tower in der Bucht, mit allen er­denklichen Annehmlichkeiten des Lebens, keinen negativen Einfluss hätte auf die Stadt."

"Aber Ihre Planung sah vor, eine Insel in der Bucht mit einem neuen Wahrzeichen zu etablieren und die Catedral in den Hintergrund zu drän­gen, was ja auch schon aufgrund der Größe von über ein zweihundert Metern passiert wäre."

Zwei bärtige Männer traten heran, einer flüsterte dem Arquitector ins Ohr. Der andere drückte die Reporterin ruppig zur Seite.

"Ich muss mich anderen Angelegenheiten widmen", bekam sie von dem Arquitector zu hören, der ohne einen Abschiedsgruß hastig mit den Männern verschwand.

 

 

 

*

 

 

 

"Suche eine weibliche Dolmetscherin, die mir - Architekt, zur Zeit in Deutschland – für einige Monate bei geschäftlichen Besprechungen auf Mallorca mit ihren Sprachkenntnissen in Spanisch und Deutsch zur Sei­te steht. Honorar als Tagespauschale. Ernstgemeinte Angebote bitte an Chiffre."

Sein Büro hatte die Anzeige auf verschiedene Portale geschaltet. Für Phil musste es natürlich eine weibliche Begleiterin sein. Sie hielten es für besser, zunächst anonym zu bleiben und den Firmennamen erst nach der Einweihung der Geschäftsräume preiszugeben und wenn die Suche nach Fachpersonal startete. Die Bewerbungen zur Position der Dolmetscherin nahm Sidney in München ganz offiziell entgegen und vereinbarte die Termine, es sollte kein Verdacht auftauchen, der das Gesuch in die Nähe einer privaten Kontaktanzeige rücken könnte.

Zwölf Bewerbungen waren eingegangen. Phillip Neumann flog auf die Insel mit sechs Terminen im Kalender. Sidney hatte zwei Tage für die Gespräche mit den potenziellen Begleitpersonen eingeplant.

Phil kannte das 'Es Baluard', das Museum für Moderne Kunst in San­ta Catalina, das in einem gotischen Schloss des 14. Jahrhunderts beheima­tet war. Einige Male war er dort gewesen und fand die Lounge als Treffpunkt passend, weil sich hier eine seriös-geschäftliche mit einer locker-privaten Atmosphäre ungezwungen paarte.

Schon der erste Treff brachte Phil ins Grübeln. Hatten sie sich bei der Formulierung des Anzeigentextes so sehr vertan, dass es Missver­ständnisse geben konnte? Nachdem Phillip Neumann ein paar Worte zu seiner Absicht mitgeteilt hatte, kam die Dame direkt zur Sache. Zu ihrer Sache. Sie schlug ihm vor, auch nachts zur Verfügung zu stehen, gegen ein zusätzliches Honorar. Eine Stunde war jeweils für ein Gespräch ein­geplant, doch dieses Gespräch dauerte knappe zehn Minuten. Bis zum nächsten Vorstellungsgespräch hatte er Zeit, sich über das unverhoffte Angebot zu amüsieren.

Die zweite Interessentin hatte wohl mit ihrem Alter geschummelt oder ihre Tante geschickt. So sehr es ihm um die Sache ging, der Job sollte auch optisch eine gute Figur machen, schließlich war Phillip Neumann auf einem Berufsfeld tätig, das viel von Ästhetik vermitteln sollte.

Der dritte Anlauf. Das Mädchen war anscheinend frisch aus einem Malkasten gehupft. Overstyled eben. Nein, das wäre für geschäftliche Anlässe zu viel des Dekorativen gewesen. Und auch hier brauchte Phil nicht lange, um zu kapieren, dass es sich um ein Callgirl handelte. Wenn er sie nicht als Assistentin einstellen sollte, würde sie gerne mit ihm in seiner Freizeit was unternehmen, meinte sie. Auch hier war die volle Stunde ungenutzt. Phil hatte unverhofft Zeit, die Sache zu überdenken. Vielleicht hätten sie die Anzeige doch mit ihrem Firmennamen kennzeichnen sollen, dann wären die Missverständnisse ausgeblieben. Nun, es war geschehen. So blieb dem suchenden Architekten Zeit, die er nutzen konnte, sich der Museumsausstellung zu widmen.

Wieder zurückgekehrt, setzte sich Phil an seinem zuvor reservierten Platz, entdeckte jedoch eine frei gewordene Sitzgruppe direkt an der Brüstung der alten Festungsmauer, stand auf und verdeut­lichte dem Ober per Handzeichen, dass er beabsichtigte, diesen Platz einzunehmen. Phil lehnte sich auf den Mauersims. Von hier aus war die Aussicht fantastisch, vor ihm lag sein künftiger Arbeits­mittelpunkt, der Paseo Maritimo. Direkt unterhalb der Mauer zog sich die mit dichten Palmen gesäumte Ronda Migjorn über den Passeig de Sagrera bis zur Catedral La Seu.

Phil war gerade im Begriff, sich zu setzen, als er auf die Frau aufmerksam wurde. Das musste eine Bewerberin sein, denn wie vereinbart erkundigte die sich bei dem Ober nach ihrem Gesprächspartner. Mit forschen Schritten kam sie auf ihn zu, etwas in den Hüften wiegend, wie ein Model auf dem Catwalk. Phil war sofort angetan, ihm war klar, das ihre äußere Erschei­nung daran einen beträchtigen Anteil hatte. Ja, ein Architekt durfte sein äs­thetisches Empfinden auch auf das weibliche Geschlecht übertragen, denn nebenbei war er auch ein ganz normaler Mann.

Sie schaute ihm direkt in die Augen, als sie sich gegenüber standen, sich ihrer Ausstrahlung sehr wohl bewusst. Oder hatte er vielleicht über­reagiert, zu viel Sympathie gezeigt? Ein gewisser Typus Frau be­sitzt für gewisse männliche Reaktionen ein feines Gespür. Er musste sich auf die Sache konzentrieren. Nach einigen Sekunden war er wieder in seinem Businessterminus.

"Lucia Belucci … ein melodischer Name ... könnte man sogar sin­gen!"

Derartige Komplimente wusste Phil, der Geschäftsmann, in fast jeder Situation anzuwenden und hatte sie in etlichen Varianten parat. Zum Beispiel: "Oh, eine sehr schöne Farbe, ist die werksmäßig so oder haben Sie sie gewählt?"Diesen Spruch hatte er schon mehrere Male mit positi­ver Resonanz angebracht, wenn es zum Beispiel um das Lieblingsspiel­zeug fast jeden Mannes ging – das Auto. Oder: "Ein besonders schöner Renoir! Aus welchem Jahr stammt das Werk? "Oder: "Entschuldigung, eine eher private Frage ... verraten Sie mir, wo Sie den Anzug gekauft haben? Oder ist er eine individuelle Anfertigung?"

Besonders bei den Damen konnte er mit Komplimenten großzügig sein. Darauf verstand er sich ebenso gut wie in der Präsentation seiner Entwürfe, respektive Entwürfe seines Teams. Aber er hatte einen Grund­satz: Ehrlichkeit. Kein oberflächliches Gesülze. Und Lucia war für ihn ein Name, den man mit der passenden Vertonung durchaus singen konnte.

Bei seiner heutigen Gesprächspartnerin entdeckte er einige Dinge, die zu loben es wert waren. Ihr Gesicht erinnerte ihn an eine italienische Schauspielerin der sechziger Jahre: an Sophia Loren. Die Augenbrauen waren voluminöser als die des heute üblichen Styles und das Augen­makeup war kräftig aufgetragen, den Lidrand oberhalb ihrer Wimpern kennzeichnete eine dünne hellblaue Linie. Ihr Mund hätte eine Spur vol­ler sein können, dann säße vor ihm ein perfektes Double des ehemaligen Filmstars. Die schwarzen, glatten Haare hatte sie hochgesteckt, einige Fransen fielen seitlich bis zum Kinn herunter.

Für Phils Geschmack et­was zu businesslike war das türkisfarbene, eng anliegende Kostüm, kom­biniert mit dem dunkelblauen Schal, der um ihren Hals und breit über eine Schulter gelegt war. Irgendwie assoziierte er die siebziger Jahre mit diesem Outfit und mit Schauspielerinnen dieser Ära, die sich auf dem roten Teppich präsentierten. Ein ausladender Hut hätte noch gefehlt um das Klischee abzurunden. Aber er war modisch nicht uptodate, um sich ein Urteil bilden zu können.

Unwillkürlich musterte er ihre schlanken Beine, die sie im Sitzen züchtig aneinander hielt, sie waren bis zu den knien durch den Rock bedeckt, aber Phil konnte sich die Fortsetzung, respektive die Verlänge­rung, sehr gut ausmalen.

Lucia Belucci war keine alte Jungfer aus den Sechszigern, sie war noch nicht einmal dreißig. 'Könnte gut sein', dachte Phil, 'dass sie diese Kostümierung absichtlich angelegt hat, um sich sich von den anderen Bewerberinnen abzuheben. Wenn es so wäre, dann müsste ich ihr das als Pluspunkt anrechnen.'

Sie sprach spanisch und deutsch, außerdem englisch und ihre Muttersprache italienisch. Sie betrieb ein Kosmetikstudio mit zugehöriger Health-Massage. Bei diesem Begriff bekam die schöne Fassade für Phil einen leichten Riss, der in Richtung thailändischer Lustmassage verlief. Ihr Studio in S‘Arenal, dem Ort mit dem höchsten Touristenauf­kommen Mallorcas, lebte von der Saisonkundschaft und da der Touristenstrom noch unergiebig floss, suchte sie bis Saisonbe­ginn eine Nebentätigkeit.

Er wandte sich wieder seiner Bewerberin zu. "Kommen wir zu Ihrer Aufgabe. Leider bin ich und mein Geschäftspartner noch nicht der spanischen Sprache mächtig, so dass wir Ihre Unterstützung bei den geschäftlichen Anlässen brauchen."

Sie hatte verstanden, um was es ging und die Umstände, warum sie sich beworben hatte, waren für Phil nachvollziehbar.

Es passte alles. In fachlicher Hinsicht landete Phil bereits einen Fün­fer im Lotto und ihre frauliche Persönlichkeit zählte er als Zusatzzahl. Die Luft hier oben war auf einmal gar nicht mehr so drückend, sie begann zu knistern.

Er hatte sich in diesen Minuten entschieden, die Italienerin Lucia Be­lucci war seine Favoritin.

"Lucia … ich kann Ihnen offen sagen: Sie ste­hen ganz oben auf meiner Liste. Wenn Sie es auch möchten, arbeiten wir die nächsten Monate zusammen."

Spontan sprang sie auf und umarmte ihn. Phil empfand diese Umar­mung etwas zu heftig für ein geschäftliches Dating, doch verzeichne­te er die spontane Freudesgeste unter 'Temperament des Südens'. Sie drückte ihren Po ein wenig nach hinten und hob einen Unterschenkel im Neunzig-Grad-Winkel nach oben, eine Pose, wie sie die Diven in den Filmen der sechziger Jahre auch taten, wenn sie ihre Freude kundtun woll­ten. Phil hatte nur wenige Filme gesehen, diese Pose aber war ihm, ver­bunden mit einer unbeantworteten Frage, im Gedächtnis geblieben: Warum hoben die Frauen immer ein Bein an, wenn sie jemanden umarmten?

"Mein Büro meldet sich dann bei Ihnen mit den Einzelheiten zum Amtsantritt. "Er versuchte die Grätsche zwischen Sachlichkeit und Humor. Sie ließ ihre Arme von seinen Schultern gleiten.

"Amtsantritt ...", wiederholte sie, "sagt man das so in Germany?"

"Haha, nein, nein … das ist ein ziemlich antiquierter Ausdruck … ob­wohl … bei Behörden oder Institutionen spricht man schon in diesem Jargon, da geht es ja auch um Ämter."

Lucia Belucci stand noch dicht vor ihm, schaute ihn mit großen Augen an, sie lächelte ohne ihre Lippen zu öffnen.

"Ich hätte auch sagen können, dass ich mich über eine Zusammenarbeit freue, über eine prosperierende Kooperation, über eine an­genehme Partnerschaft, eine erfolgreiche Arbeit oder einfach Willkom­men im Team … suchen Sie sich was aus."

Ihr Lächeln wurde zu einem offenen Lachen, das zu einem Glucksen anwuchs und die anderen Gäste in der Lounge aufhorchen ließ.

"Ich freue mich über alles! Wooww! Amo todo!", stieß Lucia Belucci hervor und begleitete ihren Ausruf mit einem Lachen, das eher in die Szenerie einer ausgelassenenen Party gepasst hätte, wobei Phil nicht klar war, welche der von ihm gebotenen Alternativen der Auslöser für den emotionalen Ausbruch hätte sein können. Es war wirklich etwas zu laut. Die übrigen Gäste fühlten sich anscheinend mit eingeladen, denn eine reifere Dame mit ausladendem Hut applaudierte. Phil drehte sich zu ihr um, nahm sein Glas und prostete ihr zu, er bemerkte, dass auch einige der Männer schmunzelten. Lucias Art kam gut an. Sie aber hielt sich beide Handflächen an die Wangen, zog die Schultern etwas an, die Zehenspitzen richtete sie in eine leichte Stellung nach innen, so wie es pupertierende Mädchen tun, die sich vor Scham verstecken möchten.

'Sie ist eine Schauspielerin, sie hätte nur noch rot werden müssen', konstatierte Phil nicht ohne Anerkennung, 'doch an meiner Seite kann das nur gut sein, sie muss ja für eine angenehme Atmosphäre sor­gen.'

Lucia Belucci schlug ihre Augenlider nieder und neigte den Kopf. "Oh, sorry, ich wollte nicht ..."

"Das ist OK. Ehrliche Emotionen kommen immer gut an. Sehen Sie, die Sympathien sind auf Ihrer … auf unserer Seite und damit uns diese erhalten bleiben ..."

Er winkte den Ober heran, der sofort grinsend heranspurtete.

"Lassen Sie bitte unserem Fan, ich meine die Dame mit dem Hut, ein Getränk zukommen, sie kann natürlich selber wählen, was sie möchte … auf meine Rechnung."

Er wandte sich wieder seiner Gesprächspartnerin zu. "Also: sind Sie einverstanden, Lucia?"

"Ich freue mich so sehr. Ja, ja. Ich will auf jeden Fall!"

Für Phil klang es wie ein Heiratsversprechen vor dem Pastor.

Beim Abschied achtete er darauf, dass eine innige Umarmung nicht zustande kam. Sie verabschiedeten sich wie zwei Geschäftsleute mit einem Händedruck. Seine künftige Mitarbeiterin sollte keinesfalls auf den Gedanken kommen, sie hätte ihn in ihrer Rolle als Frau eingenommen. Der fachliche Aspekt sollte für beide im Vordergrund bleiben.

Dennoch hätte er den Tag gerne mit ihr in einer Bar ausklingen lassen, doch Ge­schäft ist Geschäft und Privat ist Privat.

'Sie hat eine gute Performance geliefert, vielleicht eine Nuance über­spitzt', dachte Phil. 'Palma sprüht eben lebensfreudiger, darauf muss ich mich einstellen.' Für heute war es ein guter Ausklang.

"Mi nombre Stephano", stellte sich der Ober vor, als Phil die Rech­nung beglich.

"No hablo español", konnte Phil erwidern, "pero estoy aprendiendo. Mi nombre es Phillip."

"Deutsch?", fragte der Ober.

"Ja, aus München, werde aber demnächst ständig hier in Palma sein. Und Sie? Italiener?"

"Si. Bienvenida. Willkommen in Palma, im Es Baluard."

"Vielen Dank. Muchas Gracias, Stephano. Wir sehen uns morgen. Adiós, hasta mañana."

Die Treffen am morgigen Tag musste er fairerweise durchziehen, je­doch würde er sie relativ kurz halten.

 

 

 

*

 

 

Schon um elf Uhr war es heiß. Mallorcas Sonne konnte ungnädig sein und jeden noch so kleinen, Kühle spendenden Windhauch ein­schüchtern, so dass er erst gar nicht aufzutauchen gedachte. Phillip Neumann kam mit dem Klima gut zurecht.

Der Ober hatte einen Tisch reserviert, ohne dass Phillip Neumann es ausdrücklich gewünscht hatte. Ein "Adiós, hasta mañana" war gestern wohl ein ausreichender Hinweis gewesen.

Natürlich beobachtete Phil den Eingangsbereich. Eine Frau im mitt­leren Alter, ungefähr Einmetersiebzig groß, mit einer Haarpracht, wie sie nur echten Spanierinnen zueigen war, mit langen schwarzen Haaren, die bis unterhalb der Schulterblätter reichten, betrat die Terrasse. Wie ihre Vorgängerinnen wandte sie sich an den Ober.

Die erste Begegnung an diesem Vormittag versetzte ihn ins Staunen. Besonders ihre aufrechte Haltung fiel ihm auf. Den Nacken gerade ge­halten, das Kinn einen winzigen Grad zu hoch, so kam sie auf ihn zu, mit stolzem Gang, sie musste eine disziplinierte Frau sein.

"Martinez", sagte sie mit einem hinreizenden Lächeln, das so gar nicht zu ihrer aristokratischen Erscheinung passen wollte, ihre Zähne waren schneeweiß, ihr Händedruck fest.

"Neumann … schön dass Sie hier sind", entgegnete Phil und wies auf den freien Platz ihm gegenüber. Sie lehnte sich nicht an, sondern saß aufrecht und hielt ihre Hände zusammengefaltet auf den Knien. Ihr wei­ßer Hosenanzug mit feinen grauen Nadelstreifen hätte auch bei einem noblen Empfang dem Frack tragenden Gatten neben ihr alle Ehre ge­reicht. Ihre Handtasche mit goldenen Verzierungen beließ sie an ihrer Schulter. Sie vermittelte den Eindruck, als ob sie gleich wieder gehen wollte.

Wann war es das letzte Mal, dass er eine Frau in einem Anzug mit scharf gebügelter Hose gesichtet hatte? Die meisten Frauen in seinem Umfeld trugen Jeans und T-Shirts, manchmal auch Kleider. Abgesehen von den Asiatinnen, die als Dolmetscherinnen oder Assistentinnen der Geschäftsleute in unifarbenen, eine Handbreit über dem Knie endenden Röcken und taillenbetonten Jäckchen auftraten.

"Alles in Ordnung?", fragte er und weil ihm diese Frage in dieser Situa­tion komisch vorkam untermalte er seine Worte mit einem seiner sympathischsten Lächeln.

Martinez äußerte sich zaghaft. "Ich bin etwas unsicher … merken Sie das?"

"Hhm, ich hoffe, dass ich nicht der Grund bin."

"Oh, nein, nein, es ist nur so, es ist schon lange her, seit ich mich für eine Arbeitsstelle vorgestellt habe."

"Sie machen einen sehr selbstsicheren Eindruck, verehrte Mima ...", Phil wusste nicht weiter, er hatte sich nicht die Mühe gemacht, die Namen seiner Gesprächspartnerinnen zu merken.

"Mimagrosa", half sie, "das ist mein erster Vorname, Sie können auch Miranda sagen, wenn das einfacher ist."

"Haha, jetzt bin ich derjenige der auf dem Glatteis hin und her rutscht, haha, ausgeruscht ist, haha, immer noch rutscht ..."

Auch Mimagrosa Miranda lachte nun, die förmliche Distanz war aufgehoben, sie zog sogar ihre Handtasche von der Schulter und legte sie auf den Tisch. Es war eine Geste, die ihn an die Darreichung einer Op­fergabe erinnerte. Phil sah in vielen Dingen irgendwelche Symbolik.

"Hören Sie ..." Er unterbrach sich selber., "Entschuldigen Sie bitte, hmm, dieses 'Hören Sie' ist ein Relikt aus zähen Verhandlungssituatio­nen, volkommen unpassend jetzt ..."

"Keine Ursache, Herr Neumann, ich habe es nicht so aufgefasst."

"Also liebe Mimagrosa Miranda … ich kann Ihnen versichern, sie sind eine äußerst attraktive Frau, Sie haben Stolz und Sie haben Charisma, Sie müssen sich keinesfalls verstecken. Woran liegt es, dass Sie sich un­sicher fühlen?"

Sie schien gedankenverloren zu sein. Phil nahm an, dass seine Frage der Grund für ihre augenblickliche Abwesenheit war. Ihre tiefdunklen Augen waren weit geöffnet, um die Pupillen herum leuchtete ein bern­steinfarbener Hof, aus dem kleine Adern in die Iris flossen. 'Es ist Feuer drin. In dieser Frau glimmen heiße Kohlen', dachte Phil.

"Entschuldigen Sie, wenn ich zu indiskret bin."

"Das ist schon in Ordnung." Sie war wieder in der Gegenwart.

"Erzählen Sie aus ihrem Leben, Miranda ... oder … gut, ich fange an."

"Nein, nein, ich bin ja diejenige, die sich um eine Anstellung be­wirbt."

Sie sagte 'Anstellung', registrierte Phil, sie sagte nicht 'Job'.

Mimagrosa lie­ferte ihm das Image einer Frau, die für den Beruf, für ihren Chef le­ben würde. "Schießen Sie los … aber nicht auf mich, hahaha." Diesen Kalauer hätte ich auch für mich behalten können, dachte er.

Señora Martinez begann zögernd. "Wo soll ich anfangen?" Phil warte­te. "Meine Qualifikation ist ... ich bin ausgebildete Kauffrau, spreche spanisch, natürlich, das ist meine Muttersprache, englisch und arabisch zum Privatgebrauch und auch deutsch, wie Sie ja hören."

"Wo haben Sie deutsch gelernt?"

"Ich war mit einem Deutschen verheiratet."

"Das erklärt natürlich Ihre Distanz mir gegenüber, haha."

Mimagrosa blieb ernst. "Wir wurden vor fünf Jahren geschieden."

"Haben Sie Kinder?"

"Einen Sohn, er wird nächste Woche zehn." Sie machte eine Pau­se. "Ich vermute, Sie denken jetzt, eine Frau in den Vierzigern mit ei­nem Sohn, der zehn Jahre alt ist, die hat spät angefangen."

Phil reagierte schnell. "Sie liegen tatsächlich falsch mit Ihrer Vermu­tung, ich habe keine Sekunde daran gedacht, nicht mal Bruchteile von Sekunden. In welcher Branche haben Sie gearbeitet?"

"In dem Unternehmen meines damaligen Mannes, er handelte mit Baumaterialien. Ich war praktisch seine rechte Hand, habe da alles gemacht ..."

"In Spanien oder Deutschland?"

"Die Firma war in Deutschland gemeldet, wir hatten eine Niederlas­sung in Madrid."

"Warum haben Sie aufgehört?"

"Ich habe mich scheiden lassen."

"Was war der Grund?"

Eine Weile schwieg sie und Phil dachte, dass er nun doch zu sehr in ihre private Sphäre eingedrungen war.

"Er hat mich betrogen."

"Mit Baumaterialien ...", bemerkte Phil, "... passt ja zu unserer Branche. Das gab ihnen sicher auch den Anlass, sich zu bewerben."

"Ja, auch, doch ich will wieder arbeiten, ich will meine Kenntnisse anwenden, ich glaube, dass ich Sie sehr gut unterstützen kann, Mister Neumann."

'Mister Neumann' sagte sie, Phil musste innerlich schmunzeln, hörte sich gut an. Ober Stephano hatte die Cocktailgläser mit vornehmer Zurückhaltung vor ihnen plaziert. Phil hob sein Glas, prostete ihr zu, nahm einen Schluck und kommentierte ihn.

"Sehr schmackhaft, die Mallorca-Orangen."

Mimagrosa antwortete mit einem höflichen Lächeln.

"Sie bringen mich auf eine wunderbare Idee Mimaranda ..."

Nun hatte er sie zu einem offenen Lachen verleitet, es klang klar und jugendlich.

"Ja, ich weiß, ich kann mir einfach keine Namen merken, Mima … egal. Warten Sie … warten Sie bitte ..." Phil zog sein Smartphone aus der Innentasche seines Jacketts und tippte eine Nummer. Kurz darauf meldete sich sein Büro aus München.

"Hey Sidney, Phil hier. Sagen Sie, die Texte der Stellenbeschreibun­gen für Palma … sind die schon fertig für die Anzeigen?"

Er horchte und nickte. "Ja, die meine ich … le­gen Sie sie mir bitte in die Cloud … ja, danke Sidney und …"

Seine Se­kretärin anderen Ende fragte, ob sie das Stellenangebot schon schalten solle. "Nein, wir besprechen das, wenn ich wieder in München bin. Bis bald. "

Philllip Neumann strahlte Señora Martinez an. "Also, die Idee ist … ähm, einen Moment bitte, ich will offen zu Ihnen sein. Den Dolmetscher-Job für die nächsten drei Monate habe ich prak­tisch vergeben, gestern Nachmittag hatte ich mich schon entschieden."

Ihre Mundwinkeln flachten etwas ab, aber sie hielt ihre Contenance.

"Nun zu der Idee: Wie wäre es, wenn Sie bei mir im Büro arbeiten, hier in Palma, in Festanstellung, als meine perönliche Sekretärin? So­bald wir das Büro eröffnet haben … ach was ... Sie können schon gleich anfangen, von zu Hause aus."

Phil war in Hochstimmung. Er winkte den Ober heran, der kam, als ob er darauf gewartet hätte.

"Wir begießen diesen Deal … 'tschuldigung … wir stoßen auf unsere Zusammenarbeit an. Was möchten Sie trinken?"

Immer noch kerzengerade dasitzend drückte sie ihre Frage kleinlaut heraus. "Meinen Sie das im Ernst?"

"Dass ich Sie auf einen Drink einlade? Ja, natürlich."

Und ohne ihre Antwort abzuwarten wandte er sich an Ober Stephano, dem irgendwer ein unverschämtes Grinsen in sein Gesicht geritzt hatte und der oben­drein noch Phil zuzwinkerte. 'Vielleicht steht der auf Männer', dachte Phil und bestellte. "Zweimal Champagner, por favor, ich vertraue ihrem Knowhow, dass Sie den Besten auswählen, Sir."

Der Sir Ober war sichtlich angetan ob dieses Komplimentes und ver­neigte sich hoheitsvoll vor seinen Gästen, bevor er sich mit einem "Sehr wohl" entfernte.

'Ich werde ihm ein nettes Trinkgeld spendieren', erwog Phil im Geiste, er war euphorisch gestimmt. Dieser Tag war gut und der gestrige war gut. Er ritt wieder einmal auf der Erfolgskurve.

"Das ist doch OK?" Phil hatte nicht einmal eine Antwort von seiner Gesprächspartnerin abgewartet, das fiel ihm jetzt auf.

Mimagrosa Miranda Martinez saß immer noch mit durchgedrücktem Rückgrat da und brachte keinen Laut heraus.

"Ich weiß, das geht zu schnell, für die meisten bin ich immer zu flott in meiner Entscheidungsfindung, dabei muss ich sie gar nicht finden, die Entscheidungen finden mich, haha, Sie werden sich daran gewöhnen … liebe Gräfin."

Hatte er Gräfin gesagt? Wieso ließ er sowas los? Er konnte nicht beim ersten Treffen eine solche Nähe demonstrieren. Was sollte sie von ihm denken?

"Oh sorry, Sie fragten, ob ich das ernst meine … ?"

"Ich frage, weil ich oft Männer treffe, besonders hier auf Mal­lorca, die einem das Blaue in den Sternen versprechen ..."

Phil lächelte, sie meinte wohl: das Blaue vom Himmel versprechen.

"… deshalb kann ich noch nicht daran glauben, es kommt so überraschend, damit habe ich nicht gerechnet."

Phil musste sich eingestehen, dass er sie wahrscheinlich überrumpelt hatte, doch er war sich in seiner Entscheidung sicher. Sie sollte sei­ne persönliche Sekretärin in Palma werden.

"Lassen Sie sich Zeit, überlegen Sie, während wir den Champagner genießen." Damit suggerierte er, dass sie sich doch schnell, nämlich innerhalb der nächsten Minuten entscheiden sollte.

Der Ober servierte den perlenden Champus in schalenförmigen Glä­sern mit Goldrand, in die jeweils ein verschnörkeltes 'M' eingeschliffen war, von einem Silbertablett. Vorher hatte er die Espresso, einen Café Bombón und einen Cortado Leche, auf einem der üblichen dunkelbrau­nen Tabletts gebracht.

"Sehr zum Wohle, die Dame, der Herr", säuselte der Ober.

"Das sieht fürstlich aus. Gracias, Stephano", bedankte sich Phil und zu Mimogrosa gewandt: "Sehen Sie dieses Initial: ein M! Ein gutes Zei­chen!"

Sie stießen an. Wie bestellt ertönte parallel zum Klang der Gläser das Horn eines Ozeandampfers.

"Auch der Kapitän da draußen gratuliert uns … hören Sie? Das war natürlich abgesprochen, haha. Auf Ihr Wohl, Señora Martinez."

"Auf ihr Wohl, Herr Neumann. Bitte lassen Sie mir noch Zeit ..."

"Ich verstehe Ihre momentane Zurückhaltung. Schicken Sie mir bitte Ihre Emailadresse ..." Phil zückte seine private Visitenkarte, reichte sie ihr und fügte hinzu: "Ich sende Ihnen sodann die Stellenbeschreibung, die können Sie in Ruhe durchlesen. Ich denke, sie wird Ihnen gefallen."

 

 

 

*

 

 

 

"Hallo, hier Sidney Waker vom STARTIN aus München. Spreche ich mit Lucia Belucci?"

"Si, hola!"

"Ich bin die Sekretärin von Herrn Neumann. Es geht um den Vertrag ..." "

Lucia Belucci hatte natürlich gecheckt, dass es um den Job mit Phillip Neumann ging. "Ja, ich weiß. Was ist damit?"

"Sie haben uns den Vertrag zurückgeschickt, aber leider versäumt, die Zusatzvereinbarung zur Geheimhaltungspflicht zu unterschreiben."

"Oohh, excusa, Entschuldigung."

"Herr Neumann lässt fragen, ob Sie eine andere Formulierung wün­schen."

"No, no, nein, es ist alles in Ordnung, tut mir leid, ich habe es einfach vergessen, sollte nicht vorkommen. Kann ich es nachsenden?"

"Sie können die Unterschrift auch direkt in Mallorca nachholen, denn Herr Neumann hat bereits nächste Woche einen Geschäftstermin in Pal­ma, zu dem er Sie gerne als Übersetzerin dabei hätte."

"Oh ja, gerne, sehr gerne sogar. Wann ist der Termin? Wo muss ich erscheinen?"

"Ich sende Ihnen die Angaben per Email, in der nächsten halben Stunde müssten sie bei Ihnen sein."

"Was soll ich anziehen, hat Herr Neumann besondere Vorstellungen von meiner Kleidung?"

Syidney war amüsiert und dachte: 'So sind wir Frauen, in erster Linie überlegen wir, was wir anziehen sollen.'

"Ich denke, er wird legere Kleidung bevorzugen, Sie müssen nicht in einem Ballkleid erscheinen ... aber auch nicht in zerrissenen Jeans … ich denke, er vertraut ihrem Geschmack und ihrer Intuition."

Lucia gluckste leise, lehnte sich in dem Sessel zurück und schlug ihre Beine auf dem flachen Glastisch übereinander. Die meisten Balkone in den Gassen der Altstadt waren schmal, ihre Füße berührten das verschnörkelte Balkongeländer. Sie wippte mit den Fußspitzen, betrachtete ihre Waden und zog unwillkürlich ein Stück ihres Bademantels über die knie. Phil hatte sich beim ihrem ersten Treffen auf der Terrasse des Es Baluard zwar bemüht, seinen Blick unauffällig zu führen, ihr war den­noch aufgefallen, dass er ihre Beine beäugelt hatte.

"Danke, ich werde ihn sicher nicht enttäuschen. Welche Sprache sprechen die Geschäftspartner?"

"Es sind zwei Gentlemen aus Italien und eine Dame aus der Schweiz zugegen."

"Wooowww, italienisch ist ja meine Muttersprache! Juuuhuuu!"

Sidney Waken in München kam die Reaktion am anderen Ende der Line etwas übertrieben vor. Und um Lucia auf den Boden der Sachlich­keit herunterzuholen, betonte sie noch einmal, dass es sich um ein ge­schäftliches Treffen handelte.

"Die beiden Herren und besonders die Dame aus der Schweiz sind nach Einschätzung von Herrn Neumann sehr sachliche und nüchtern denkende Personen. Ihre Intuition, Frau Belucci, wird Ihnen dies auch sofort vermitteln, wenn Sie sich im Palau de Congressos treffen."

"Oh ja, sí, sí." Sie hatte Sidneys dezenten Hinweis bemerkt. "Ich weiß, ich bin die Übersetzerin … es ist nur jetzt ... wo ich mich sehr freue."

"Von Frau zu Frau, Lucia, Sie wissen, gerade unter uns Frauen ist die Konkurrenzsituation immer latent vorhanden und bei der Dame aus der Schweiz könnte es sich es sich um eine handeln, bei der eine zur Schau gestellte Weiblichkeit in die falsche Richtung laufen könnte. Au­ßerdem ist Herr Neumann bei Geschäftsbeprechungen immer sehr auf die Sache fokussiert."

"Ich habe verstanden, ich nehme ihre Tipps gerne an … Sidney."

"Sie werden die Sache schon gut machen, Lucia."

"Soll ich mir eine Brille aufsetzen und die Haare streng nach hinten legen, was meinen Sie, Sidney?"