Philipp II. - Friedrich Edelmayer - E-Book

Philipp II. E-Book

Friedrich Edelmayer

0,0

Beschreibung

King Philipp II of Spain (1527-1598) was the first modern monarch, whose possessions spanned the entire globe. Politically apt and with clear reason he ruled and enlarged the land mass he had inherited from his father king Karl V and turned Spain into the leading global power. This biography gives an account of the life of Philipp II founded on current research. Not only is he the general, tactician and conscious of his power, but also the loving father, collecting patron of arts, the bigoted believer and administering bureaucrat. Edelmayer succeeds impressively in giving a multi-facetted portrait of a ruler who fascinates and polarises up to today.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 494

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Friedrich Edelmayer

Philipp II.

Biographie eines Weltherrschers

2. Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Umschlag: Philipp II. Gemälde von Tizian (Prado Madrid)

2. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN 978-3-17-030697-4

E-Book-Formate:

pdf:      ISBN 978-3-17-030698-1

epub:   ISBN 978-3-17-030699-8

mobi:   ISBN 978-3-17-030700-1

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

 

Inhaltsverzeichnis

 

 

Abbildungsverzeichnis

Vorwort

Vorwort zur ersten Auflage

Vorwort zur zweiten Auflage

1 Die spanische Monarchie

2 Kindheit und Jugend eines Weltherrschers

2.1 Valladolid 1527: Ein König wird geboren

2.2 Ávila 1531: Eine Kindheit ohne Vater

2.3 Salamanca 1543: Ein Jugendlicher wird verheiratet

3 Erste Triumphe und Niederlagen

3.1 Brüssel 1549: Ein Thronfolger wird anerkannt

3.2 Augsburg 1551: Ein spanischer Prinz greift nach dem Heiligen Römischen Reich

3.3 London 1554: Ein König wird verkauft – die englische Heirat

3.4 Brüssel 1556: Ein neuer König für die spanische Monarchie

3.5 Saint-Quentin 1557: Der Triumph über Frankreich

4 Die Herrschaft in der spanischen Monarchie

4.1 Valladolid 1559: Philipp II. und die Inquisition

4.2 Guadalajara 1560: Der König vermählt sich zum dritten Mal

4.3 Madrid 1561: Eine Villa wird Sitz des Hofes

4.4 El Escorial 1577: Philipp II. als Bürokrat, Bauherr und Sammler

4.5 Madrid 1578: Der Hof und seine Intrigen

5 Philipp II. und seine Kinder

5.1 Valladolid 1545: Carlos, Princeps Hispaniarum

5.2 Lissabon 1581: Die Töchter Isabel Clara Eugenia und Catalina Micaela

5.3 Badajoz 1580: Die Kinder der Königin Anna

6 Innere und äußere politische Konfliktfelder

6.1 Granada 1568: Philipp II. und der Mittelmeerraum

6.2 Den Briel 1572: Der Aufstand in den Niederlanden

6.3 Tomar 1581: Philipp II. wird König von Portugal

6.4 England 1588: Ein Königreich soll bestraft werden

6.5 Frankreich 1590: Der Krieg um das Erbe des Hauses Valois

7 El Escorial 1598: Das Ende eines Weltherrschers

8 Anmerkungen

9 Quellen- und Literaturverzeichnis

Gedruckte Quellen

Literatur

10 Personen- und Ortsnamenregister

 

Abbildungsverzeichnis

 

 

Abb. 1:

Maria Tudor.Gemälde von Anthonis Mor (Prado, Madrid) 74

Abb. 2:

Danae und der Goldregen.Gemälde von Tizian (Prado, Madrid) 77

Abb. 3:

Venus und Adonis.Gemälde von Tizian (Prado, Madrid) 79

Abb. 4:

Die Schlacht von Saint-Quentin.Gemälde von Fabrizio Castello (El Escorial) 88

Abb. 5:

Isabel von Valois.Gemälde von Juan Pantoja de la Cruz (Prado, Madrid) 103

Abb. 6:

Ansicht von Madrid.Gemälde von Anton van den Wyngaerde (Österreichische Nationalbibliothek, Wien) 115

Abb. 7:

Das Martyrium des Heiligen Mauritius.Gemälde von El Greco (El Escorial) 133

Abb. 8:

Isabel Clara Eugenia.Gemälde von Sofonisba Anguissola (Prado, Madrid) 161

Abb. 9:

Anna von Österreich.Gemälde von Sofonisba Anguissola (Prado, Madrid) 167

 

Vorwort

 

 

Vorwort zur ersten Auflage

Als ich seitens des Verlags Kohlhammer gefragt wurde, ob ich eine Biographie König Philipps II. (1527–1598) verfassen würde, war meine erste Reaktion nicht eben euphorisch. Denn über diesen spanischen Herrscher gibt es mehrere neuere Biographien, die allesamt lesenswert sind, so jene von Pieter Pierson, Geoffrey Parker, Ivan Cloulas, Henry Kamen, Manuel Fernández Álvarez, Joseph Pérez und Patrick Williams1, um nur einige jüngere Werke zu nennen. Doch schließlich überzeugte mich das Argument, dass seit der Arbeit von Ludwig Pfandl2, die erstmalig vor mehr als siebzig Jahren veröffentlicht worden ist, keine ausführliche, an ein deutschsprachiges Publikum gerichtete Biographie dieses Herrschers erschienen ist.3 In der Zwischenzeit hat sich die historische Forschung zu diesem Monarchen und seiner Zeit beträchtlich fortentwickelt, nicht zuletzt erschienen zahlreiche aktenschwere Spezialuntersuchungen im Zusammenhang mit dem Jahr 19984, in dem sich der Tod des Königs zum 400. Mal jährte. Auch viele Kongresse5 und Ausstellungen wurden veranstaltet und lesenswerte Kataloge publiziert.6 In Spanien wurde zudem eine eigene Gesellschaft gegründet, die die Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Jubiläum koordinierte.7 Zur damaligen Publikationsflut habe ich auch selbst beigetragen.8 Es lag daher nahe, das Unternehmen einer Biographie doch zu wagen. Außerdem habe ich selbst seit meiner Dissertation9 diesem Herrscher und seiner Zeit viele Jahre an Archivarbeit überall in Europa gewidmet.

Mir wurde jedoch rasch klar, dass es nicht möglich sein würde, in einer lesbaren Studie, die sich an ein breiteres Publikum und nicht nur an spezialisierte Fachleute richtet, den Anmerkungsapparat mit Archivquellen zu überfrachten. Dafür hätte der Platz gar nicht gereicht, den mir der Verlag zur Verfügung stellen konnte. Aus diesem Grund wurden ungedruckte Archivalien nur ganz selten zitiert. Auch sonst musste der Anmerkungsapparat möglichst knapp gehalten werden, um mit den Seitenvorgaben zu Recht zu kommen. Meist findet sich dort daher nur ein genereller Hinweis, bei wem zu einem speziellen Thema noch nachgelesen werden kann. Fehlen Seitenangaben, so ist jeweils die gesamte Publikation zu einem konkreten Thema wichtig. Die Übersetzungen von Direktzitaten aus anderen Sprachen wurden von mir selbst angefertigt. Um für die Leserinnen und Leser die vorkommenden Personen besser einordbar zu machen, finden sich bei deren erster Nennung – sofern bekannt – die Geburts- und Sterbejahre.

Trotz der Platzbeschränkungen will ich es nicht unterlassen, noch einmal jenen Freunden aus den Archiven zu danken, die mich auf der Jagd nach Dokumenten in all den Jahren unterstützt haben: Isabel Aguirre Landa, Javier Álvarez Pinedo, José Manuel Calderón Ortega, Mercedes de Noviembre sowie José Luis und Julia Rodríguez de Diego. Alfredo Alvar Ezquerra, Katharina Arnegger, Fernando Bouza Álvarez, Rafael Jiménez Jiménez, Margarete Grandner, Alfred Kohler, Ana Martínez Álvarez, Miguel Valdivieso Rodríguez und Marija Wakounig, die mich alle irgendwann aushalten mussten, wenn mich wieder einmal Philipp II. beschäftigte, seien ebenfalls dankend genannt.

Nicht zuletzt danke ich Frau Monica Wejwar vom Verlag Kohlhammer für ihre Geduld. Wie so viele andere Manuskripte hätte auch dieses viel früher fertig sein müssen. Doch da kamen mir zahlreiche Dinge dazwischen. Nicht nur der normale Lehrbetrieb an der Universität Wien hat den raschen Abschluss der Arbeit verzögert, sondern auch Gastprofessuren in Alcalá de Henares, Innsbruck, Sevilla und Sydney sowie zwei quälend lange und zeitraubende Jahre als Studienprogrammleiter für Geschichte in Wien.

Gewidmet ist das Buch meiner Tochter Kira Almudena Zoé. Sie, die in der Zwischenzeit erwachsen geworden ist, hatte wegen meiner zahlreichen akademischen Verpflichtungen ebenfalls zeitweise eine Kindheit ohne Vater. Dafür bitte ich sie um Entschuldigung.

Wien, im Sommer 2009

Vorwort zur zweiten Auflage

Als Autor freue ich mich natürlich sehr, dass meine Biographie Philipps II. nun eine zweite Auflage erfährt. Die Person dieses Herrschers erweckt offensichtlich ungebrochenes Interesse, nicht nur beim lesenden Publikum, sondern auch bei den Fachleuten. Nicht anders ist es zu erklären, dass große Kenner dieses Herrschers weiter an seiner Biographie gearbeitet haben. Erwähnenswert ist hier vor allem Geoffrey Parker, der 2010 in spanischer Sprache eine neue, beinahe 1400 Seiten umfassendes Version seiner früheren Auflagen herausbrachte, die den programmatischen Untertitel »La biografía definitiva« (Die endgültige Biographie) trägt.10 Aufgrund neuer Aktenfunde in den Sammlungen der Hispanic Society of America in New York verfasste dieser 2014 eine weitere Version der Biographie, die in Abwandlung der ehrenhaften Bezeichnung Philipps II. als »rey prudente« (behutsamer, bedachter König) in der englischen Version den provokanten Titel »imprudent king« (unbedachter, rücksichtsloser König) trägt.11 Parker wollte mit diesem Titel wohl keinen Paradigmenwechsel einläuten, wohl aber sein Bild des spanischen Königs nuancenreicher zeichnen. Hugh Thomas, der erst kürzlich verstorbene britische Altmeister der spanischen Geschichte, brachte dagegen 2014 eine Biographie heraus, deren englischer Titel in deutscher Übersetzung »Endlose Welt. Das globale Imperium Philipps II.« heißen würde. Die kurz davor erschienene spanische Übersetzung dieses Buchs würde im Deutschen den Titel »Der Herr der Welt. Philipp II. und sein Imperium« tragen.12 Thomas hatte also eine durchaus mit meiner übereinstimmende Einschätzung Philipps II., eines Weltherrschers.

Die kurzen Beispiele mögen an dieser Stelle als Nachweis genügen, dass über den spanischen König weiterhin eifrig gearbeitet wird. Dies hat auch in der vorliegenden Version Spuren hinterlassen: Während der Text der Darstellung im Vergleich zur ersten Auflage nur geringfügige Veränderungen erfuhr, wurde die Literatur in den Anmerkungen durch die Einfügung der wichtigsten Neuerscheinungen beträchtlich erweitert.

Abschließend möchte ich noch einmal meinen Dank an all jene Personen bekräftigen, die ich im Vorwort zur ersten Auflage genannt habe. Zu diesen gesellt sich nun noch Daniel Kuhn vom Verlag Kohlhammer, der diese Version umsichtig betreut hat.

Wien, im Frühling 2017

 

1          Die spanische Monarchie

 

 

 

Die spanische Monarchie, in der König Philipp II. in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts herrschte, hatte sich ab dem letzten Viertel des 15. Jahrhunderts relativ rasch formiert.1 1469 heiratete der aragonesische Thronfolger Ferdinand II. (1452–1516) seine Cousine, die kastilische Prinzessin Isabel I. (1451–1504). Diese war erst im Jahr davor von ihrem Halbbruder, König Heinrich IV. von Kastilien-León (1425–1474), als Thronfolgerin in jenem Königreich anerkannt worden. Im Dezember 1474, als Isabel I. in Kastilien-León die Herrschaft antrat, oder auch im Januar 1479, als Ferdinand II. seinem Vater Johann II. (1398–1479) in den Ländern der aragonesischen Krone als König nachfolgte, bestanden auf der Iberischen Halbinsel noch fünf verschiedene Reiche: Kastilien-León, die Länder der Krone von Aragón, Navarra und Portugal sowie das muslimische Königreich von Granada. Die Herrscher der vier christlichen Länder waren allerdings mannigfach miteinander verschwägert. Als Karl I., der spätere Kaiser Karl V. (1500–1558), der Enkel der Herrscher von Kastilien-León und Aragón, nach dem Tod König Ferdinands II. 1516 auf der Iberischen Halbinsel die Herrschaft antrat, gab es dort nur noch zwei Dynastien – das Haus Avis in Portugal und das Haus Habsburg, die »Casa de Austria«, in allen anderen Königreichen. Denn 1492 war es Ferdinand II. und Isabel I. gelungen, das Königreich Granada zu erobern und der kastilischen Krone anzuschließen – als eine der Folgen der Eroberung hatten sie 1496 vom Papst den Ehrentitel »Katholische Könige« erhalten –, und 1512 hatte Ferdinand II. den auf der Südseite der Pyrenäen liegenden Teil des Königreichs Navarra annektiert, der unter Wahrung seiner Sonderrechte 1515 der Krone von Kastilien inkorporiert wurde.

Das waren nicht die einzigen territorialen Veränderungen, die in der Regierungszeit der Katholischen Könige stattfanden. Vielmehr schufen sie die Grundlagen dafür, dass unter ihrem Nachfolger Karl V. die spanische Monarchie zu einer Weltmacht aufsteigen konnte. Doch Spanien war unter den Katholischen Königen kein zentralisierter Einheitsstaat, sondern eine Matrimonialunion. Sowohl die aragonesische Krone als auch jene von Kastilien-León folgten weiterhin eigenen Interessen einer expansiven Territorialpolitik. Die Krone von Aragón bestand aus insgesamt sieben Teilen. Es waren dies im iberischen Raum die Königreiche Aragón, Valencia und Mallorca sowie das Fürstentum von Katalonien. Bereits 1282 hatte der aragonesische König Sizilien okkupiert und 1324 das Königreich Sardinien. 1504 gelang es Ferdinand II., auch das Königreich Neapel gegen die ehrgeizigen Bestrebungen Frankreichs zu erwerben.2 Das westliche Mittelmeer wurde damit endgültig zu einem aragonesischen, oder, zieht man in Betracht, dass unter den Katholischen Königen in Fortführung der Conquista von Granada auch in Nordafrika Territorien erobert wurden – Melilla 1497, Mazalquivir 1505, Oran 1509, Bugia und Tripolis 1510 –, zu einem »spanischen« Meer.

Portugal war nach der Eroberung von Granada und Navarra der einzige Konkurrent der kastilischen und aragonesischen Monarchie auf der Iberischen Halbinsel geblieben. Mit Portugal mussten die Katholischen Könige daher zu einem Ausgleich der Interessen kommen. Dies war umso nötiger, als König Alfons V. von Portugal (1432–1481) – dessen Schwester Leonor (1436–1467) mit Kaiser Friedrich III. (1415–1493) verheiratet war – sich im kastilischen Bürgerkrieg, der nach dem Tod Heinrichs IV. 1474 ausgebrochen war, militärisch auf die Seite einer mächtigen Adelsgruppe gestellt hatte, die Juana (1462–1530), die Tochter des verstorbenen Königs, zur neuen Herrscherin proklamieren wollte. Alfons V., der die Thronprätendentin heiratete – was im Falle der Durchsetzung der so entstehenden Ansprüche anstelle der kastilisch-aragonesischen eine portugiesisch-kastilische Matrimonialunion bedeutet hätte –, schloss nach einigen verlorenen Schlachten 1479 mit Ferdinand II. und Isabel I. den Friedensvertrag von Alcáçovas ab. Dieser legte nicht nur jene Grenzen zwischen Kastilien und Portugal endgültig fest, die mit geringfügigen Ausnahmen auch heute noch gelten, sondern sollte sich noch in anderer Hinsicht als folgenschwer erweisen. Denn Ferdinand II. und Isabel I. mussten darin anerkennen, dass der Seeweg um Afrika nach Indien ausschließlich den Portugiesen vorbehalten sein sollte. An den afrikanischen Küsten bekamen nur diese das Recht, Handelsstützpunkte zu begründen.

Die Kastilier waren durch den Vertrag definitiv davon ausgeschlossen, am reichen indischen Gewürzhandel teilzunehmen. Gleichzeitig machte die Eroberung von Granada 1492 finanzielle Ressourcen frei, so dass Ferdinand II. und Isabel I. den Plänen des Genuesen Cristoforo Colombo (Christoph Kolumbus) (1451?–1506) nicht mehr ablehnend gegenüber standen, die reichen Schätze Indiens auf dem Westweg zu erschließen. Das, was Kolumbus mit seinen drei Schiffen im Oktober 1492 entdeckte, war zwar nicht das Reich eines asiatischen Großkhans, sondern die Inselwelt der Karibik, doch öffnete er mit seinen Entdeckungen das Tor zu einer wahrhaft »Neuen Welt«. Bis zum Ende der Regierungszeit der Katholischen Könige wurden die Inseln der Karibik, vor allem Cuba, Santo Domingo, Puerto Rico und Jamaica, für die kastilische Krone in Besitz genommen, auch Teile der Küsten des kontinentalen Festlandes Süd- und Mittelamerikas befuhr bereits Kolumbus. Und schon 1513 durchquerte Vasco Núñez de Balboa (1475–1519) die Landenge von Panamá und entdeckte den Pazifik.

Der Konflikt, der wegen der neuen Entdeckungen sofort mit Portugal auszubrechen drohte, das seine Handelsinteressen erheblich gefährdet sah, wurde durch den Papst entschärft. Alexander VI. (1431–1503), als Mitglied der Familie Borja (Borgia) aus Aragón stammend, teilte 1493 mit einer zu Berühmtheit gelangten Bulle die Interessenzonen zwischen Kastilien und Portugal. Die im Vertrag von Alcáçovas entlang einer Ost-West-Linie geregelten Einflusszonen wurden fortan entlang einer Nord-Süd-Linie geteilt. 1494, im Vertrag von Tordesillas zwischen Kastilien und Portugal, wurde diese Linie mit 370 Leguas (Meilen) westlich der Kapverdischen Inseln fixiert. Westlich dieser Linie sollten die Kastilier das ausschließliche Entdeckungs-, Navigations- und Kolonisationsrecht haben, östlich davon, mit Ausnahme der Kanarischen Inseln, die Portugiesen. Als nach der Entdeckung der Philippinen 1521 der Streit zwischen den beiden iberischen Mächten neuerlich aufflammte, dieses Mal um die Einflusszonen in Ostasien, wurde die Tordesillas-Linie im Vertrag von Zaragoza 1529 auf die andere Seite des Globus verlängert.

Das Jahr 1492 stellt noch in anderer Hinsicht eine bedeutende Zäsur in der Geschichte der Iberischen Halbinsel dar. Denn bereits kurz nach der Eroberung von Granada dekretierten Ferdinand II. und Isabel I. die Vertreibung all jener Juden, die sich nicht taufen lassen wollten. Gemeinsam mit den Maßnahmen gegen die Muslime, die trotz gewisser Schutzgarantien bereits zehn Jahre nach der Eroberung von Granada ein ähnliches Schicksal erlitten, zeigt das antijüdische Dekret den Willen der Monarchen, auch in religiöser Hinsicht die Iberische Halbinsel zu vereinheitlichen.

Das Übergewicht der kastilischen Länder in der kastilisch-aragonesischen Matrimonialunion der Katholischen Könige wird beim Vergleich der Bevölkerungszahlen der iberischen Königreiche sichtbar. Kastilien mit seinen sämtlichen Provinzen, also auch dem neu eroberten Granada, erstreckte sich über eine Fläche von ungefähr 385 000 Quadratkilometern, auf denen etwas mehr als vier Millionen Menschen wohnten. In den vier iberischen Teilen der aragonesischen Krone lebten auf ungefähr 110 000 Quadratkilometern etwa 800 000 Menschen, das kleine Königreich Navarra (12 000 Quadratkilometer) bevölkerten nur 120 000 Personen.

Die wichtigsten Großstädte Kastiliens lagen im Tal des Duero. Mit mehr als 10 000 Einwohnern waren dies Burgos, Valladolid, Medina del Campo und das leonesische Salamanca. In Neukastilien kann nur Toledo als Großstadt bezeichnet werden. Der Rest der Großstädte mit mehr als 10 000 Einwohnern lag in Andalusien. Zu diesen zählten Sevilla und Córdoba sowie die erst 1487 unter christliche Herrschaft gelangte Hafenstadt Málaga und das 1492 eroberte Granada. In den aragonesischen Reichen können Zaragoza, Barcelona und Palma de Mallorca mit mehr als 10 000 Menschen als Großstädte bezeichnet werden, sowie Valencia, das mit seinen 70 000 Einwohnern eine der größten Städte Europas war.

Während des gesamten 16. Jahrhunderts lässt sich in allen Königreichen der spanischen Monarchie ein kontinuierlicher Bevölkerungsanstieg beobachten. Gegen Ende des Jahrhunderts lebten allein in den kastilischen Ländern ungefähr sechs Millionen Menschen, in den aragonesischen 1,25 Millionen und in Navarra 150 000 Personen. Dieser Bevölkerungsanstieg muss ganz wesentlich mit einem Anstieg der Natalität in Verbindung gebracht werden, die im 16. Jahrhundert zwischen 35 und 45 pro 1000 Einwohnern betrug. Denn die Mortalitätsrate ging keineswegs zurück – ganz im Gegenteil, es kam immer wieder zu starken Pestwellen.

Die Auswanderung in die Neue Welt hatte dagegen eine relativ geringe Bedeutung für die Bevölkerungsentwicklung auf der Iberischen Halbinsel. Während des gesamten 16. Jahrhunderts dürften nicht viel mehr als 200 000 Menschen, hauptsächlich aus Andalusien, der Extremadura und Neukastilien, den Weg über den Ozean gewagt haben. Sehr wohl aber gab es eine wegen der dortigen Religionskriege relativ starke Einwanderung aus Frankreich auf die Iberische Halbinsel, vor allem in die aragonesischen Länder. Die Zuwanderer hatten dort in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts einen Anteil von ungefähr zwanzig Prozent der Bevölkerung und sind mit ungefähr 250 000 Menschen zu beziffern.

Die Bevölkerung auf der Iberischen Halbinsel war sehr ungleichmäßig verteilt. Während in Mallorca 25 Menschen für den Quadratkilometer berechnet werden, lebten in Kastilien nördlich des Tajo oder im Königreich Valencia durchschnittlich zwanzig Personen pro Quadratkilometer. Es gab auch viel dünner besiedelte Regionen wie Katalonien mit elf Bewohnern, das Königreich Aragón mit sieben oder gar die Extremadura oder La Mancha mit nur fünf Menschen pro Quadratkilometer.

Ungefähr achtzig Prozent der Bevölkerung im 16. Jahrhundert waren Bauern, die allerdings unter sehr verschiedenen ökonomischen Bedingungen lebten. Es gab Bauern, die ihr eigenes kleines Stück Land bearbeiteten, doch viele ernährten sich nur als Taglöhner bei den großen weltlichen und kirchlichen Grundherren. Alle gemeinsam stöhnten unter der Vielzahl an Abgaben, die ihnen auferlegt waren: kirchlicher Zehent, königliche Steuern und Rechte der Grundherren.

Die städtische Bevölkerung war im wesentlichen geprägt von drei Gruppen, den niederen Adligen (»caballeros«), die ihre Einkünfte aus Landbesitz, aus der Vermietung von städtischen Häusern und aus städtischen Ämtern bezogen und es schafften, ihre Vorherrschaft in der Stadt aufrecht zu erhalten, den Händlerfamilien, die sich meist durch große Mobilität und durch besondere internationale Vernetzung auszeichneten, ganz abgesehen davon, dass es in dieser Schicht auch sehr viele Ausländer gab, beispielsweise Genuesen, und schließlich den Handwerkern, die auch in den spanischen Ländern in Zünften und Gilden organisiert waren. In den Städten ebenso wie auf dem Land befand sich der Klerus. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts waren es ungefähr 100 000 Personen, die zu diesem Stand, der seine Privilegien erhalten, partiell sogar erweitern konnte, zu zählen waren. Diese hohe Anzahl an Kirchenleuten, von denen ein Viertel Mitglieder weiblicher Orden war, erklärt sich nicht nur aus der Dominanz der Religion in der Gesellschaft, sondern auch deshalb, weil die Kirche noch immer jene Institution war, die einen sozialen Aufstieg ebenso wie die Sicherung des Überlebens ermöglichte.

Schließlich ist noch einmal der Adel zu erwähnen, der in sich heterogen war. Auf der einen Seite gab es in Kastilien ungefähr einhundert, in den aragonesischen Ländern fünfzig hochadlige Titel, auf der anderen Seite allein in Kastilien an die 100 000 niederadlige Familien, die sogenannten Hidalgos. Auffällig ist jedenfalls die große Zahl an Menschen in der spanischen Gesellschaft, die Adelstitel hatten, wobei sich hier der Bogen vom armen Hidalgo, dem Miguel de Cervantes (1547–1616) in seinem »Don Quijote de la Mancha« ein unsterbliches literarisches Denkmal gesetzt hat, hin spannte bis zu jenen Familien mit einer Vielzahl an Adelstiteln, die beispielsweise große Teile von Andalusien kontrollierten und die immer wieder die hohen Ämter in der spanischen Monarchie ausübten.

Am Rand der Gesellschaft schließlich standen die Minderheiten, die in vielfältiger Art und Weise marginalisiert und diskriminiert wurden. Dazu zu zählen sind ethnische Minderheiten wie konvertierte Juden, Morisken und Gitanos, sowie soziale Minderheiten wie die Gruppe der Sklaven, des Strandgutes der Kriege im Mittelmeerraum oder der Unternehmungen des internationalen Sklavenhandels. Gegen Ende des 16. Jahrhunderts gab es ungefähr 50 000 Sklaven, zur einen Hälfte Schwarzafrikaner, zur anderen Muslime.

Ungefähr zwanzig Prozent der Bevölkerung auf der Iberischen Halbinsel waren als arm zu bezeichnen, als so arm, dass sie wirklich täglich um das Überleben kämpften. Die Armut in der spanischen Gesellschaft war so omnipräsent, dass sie mehrfach in der zeitgenössischen Literatur verewigt wurde, so in pikaresken Romanen wie »Lazarillo de Tormes«, dessen Autor unbekannt ist, oder »Guzmán de Alfarache« von Mateo Alemán (1547–1613). Das Problem der Armut konnte die frühneuzeitliche spanische Gesellschaft nicht lösen, sieht man davon ab, dass sich die Betroffenen in Hospitälern, an Klosterpforten oder beim Betteln von Haus zu Haus mühsam das Allernotwendigste zusammenkratzen konnten.

Ein Großteil der Menschen lebte von der Landwirtschaft. In den kastilischen Ländern ist dabei auf drei unterschiedliche Klimazonen zu verweisen, die unterschiedliche landwirtschaftliche Betätigungen hervorriefen. Im feuchten, an den Atlantik grenzenden Norden wurde Getreide angebaut, Obst kultiviert und Viehzucht betrieben. Die trockene, klimatisch betrachtet kontinentale Hochebene der kastilischen Meseta mit ihrem niederschlagsarmen Klima produzierte Getreide, vor allem Weizen, während die Bewohner des etwas feuchteren Andalusien vornehmlich von Getreide und Wein sowie der Olivenölproduktion lebten.

Das Schaf war das wichtigste Nutztier der kastilischen Wirtschaft. In seiner Genügsamkeit war es optimal an die Härten des Klimas angepasst. Die Schafzucht war für eine Besonderheit auf der Iberischen Halbinsel verantwortlich. Denn die Tiere wurden im Sommer auf die grünen, fetten Weiden im Norden getrieben, während sie im Winter hunderte Kilometer weiter im Süden, in La Mancha, in der Extremadura oder in Andalusien weideten, vornehmlich auf den im Sommer verdorrten Territorien der Militärorden. Der Transport, der eine bedeutende Logistik erforderte, wurde durch eine einzigartige Institution kontrolliert, durch den »Ehrenwerten Rat der Mesta« (»Honrado Concejo de la Mesta«), eine Organisation der meist kirchlichen und adligen Schafbesitzer, die die Wege der Schafherden gegen die Interessen der Landeigentümer zu verteidigen hatte und durch zahlreiche königliche Privilegien geschützt war. Das Schaf wurde auf seinem Weg von Süden nach Norden und umgekehrt nicht nur zu einem wichtigen Düngerlieferanten für die kastilischen Böden, sondern ein bedeutender Teil der Wirtschaft hing von der Schafwolle ab. Ganze Städte wie beispielsweise Segovia oder Cuenca lebten von der Verarbeitung der Wolle, die Textilprodukte waren das wichtigste Exportgut Kastiliens und wurden vor allem nach Norden in die Niederlande vertrieben. Dieser Handel ging über Burgos und den Hafen von Bilbao (Bilbo), weshalb in den beiden Städten 1494 bzw. 1511 Konsulate begründet wurden, die die Händler zu kontrollieren, die Interessen der Produzenten zu schützen und als Gerichtsstand bei Streitigkeiten zu fungieren hatten.

Natürlich waren Wollprodukte nicht die einzigen Exportgüter der kastilischen Wirtschaft. Die Waffen von Toledo, die Seide von Granada oder die Lederwaren von Córdoba konnten aber niemals die wirtschaftliche Bedeutung der Wolle erreichen. Deren Handel begünstigte auch die Entstehung von wichtigen Messezentren wie Medina del Campo, Medina de Rioseco oder Villalón, die unter tatkräftiger Förderung der Katholischen Könige zu bedeutenden europäischen Finanzplätzen wurden, ganz abgesehen davon, dass die baskische Schiffbauindustrie nicht nur wegen des europäischen Handels, sondern auch wegen der Expansion in der Neuen Welt einen wichtigen Aufschwung nahm.

Ist in der Wirtschaft der kastilischen Länder unter den Katholischen Königen eine positive Konjunktur zu bemerken, die nicht zuletzt auf die zunehmende internationale Verflechtung und den Export zurückzuführen ist, muss für die Länder der Krone von Aragón die gegenteilige Entwicklung konstatiert werden. Die katalanische Wirtschaft geriet damals in eine Phase der Depression. Die Ursachen für diese wirtschaftliche Rezession sind mannigfaltig. Zu nennen sind soziale Unruhen auf dem flachen Land, der Niedergang der Textilindustrie sowie die Reduktion des Seehandels auf das westliche Mittelmeer aufgrund der Expansion des Osmanischen Reichs. Einzig das Königreich Valencia erlebte eine gewisse Prosperität wegen der größeren Diversifikation der landwirtschaftlichen Produkte wie Reis, Safran und Zucker und eines intensiven Handels mit Nordafrika, der vor allem Gold und Sklaven einbrachte. Insgesamt betrachtet sollte sich aber die Wirtschaft in den Ländern der aragonesischen Krone erst wieder im 18. Jahrhundert erholen.

In der Feudalgesellschaft der Iberischen Halbinsel war der Adel die dominante Schicht der Gesellschaft, vor allem der hohe Adel, der über die nötigen Titel und das dazugehörige Land verfügte. Gerade dieser hohe Adel, der auch die wichtigsten Bischofsstühle kontrollierte, hatte im kastilischen Bürgerkrieg nach dem Tod Heinrichs IV. das Land polarisiert und war eigenen Interessen gefolgt, ganz abgesehen davon, dass er sich in den letzten Jahren der Regierung Heinrichs IV. immer mehr Rechte angemaßt und die königliche Macht eingeschränkt hatte. Ferdinand II. und Isabel I. versuchten, den Einfluss des hohen Adels auf die Monarchie zurückzudrängen. Das gelang ihnen aufgrund mehrerer Maßnahmen. So mussten sämtliche Privilegien, vor allem jene fiskalischer Natur, zur Bestätigung vorgelegt werden – viele von diesen wurden nicht mehr erneuert. Außerdem gelang es Ferdinand II., als Administrator der Militärorden von Santiago, Alcántara und Calatrava eingesetzt zu werden. Wegen der reichen Ländereien dieser Orden wurde dem Adel damit eine ökonomische Basis entzogen. Die Güter wurden der Monarchie dienstbar gemacht. Gleichzeitig wurde aber auch der Adel, der sich der Herrschaft Isabels I. im Bürgerkrieg widersetzt hatte, gnädig behandelt, was Loyalitäten stärkte. Die Kommenden der Militärorden samt ihren reichen Einkünften übergaben die Monarchen an verdiente Adlige – der 1495 geschaffene »Consejo de Órdenes«, der Ordensrat, widmete sich als zentrale Behörde der Regierung und dem Justizwesen auf den Gebieten der Orden.

Von Bedeutung ist, dass es Ferdinand II. und Isabel I. durch die Schaffung der »Santa Hermandad«, der »heiligen Bruderschaft«, einer Art Polizei, im Jahre 1476 gelang, sukzessive den Landfrieden wieder herzustellen. Außerdem stärkten die Monarchen das städtische Bürgertum, indem sie den Einfluss des Adels auf die städtischen Räte einschränkten. Das erzeugte nicht nur neue Loyalitäten, sondern machte gebildete Schichten der Gesellschaft bereit zum Dienst an der Monarchie. Und der bäuerlichen Landbevölkerung wurde die persönliche Freiheit gegenüber dem Adel bestätigt, was zwar die häufig miserablen Lebensbedingungen nicht änderte, aber potentielle Konflikte minimierte.

Nicht nur die Kontrolle der Ländereien der Militärorden ermöglichte finanzielle Einnahmen, sondern auch die so genannte »Cruzada«, eine Art Kreuzzugsteuer, die die Kirche wegen des Krieges in Granada konzedierte, obwohl sie von der Steuerpflicht eigentlich befreit war. Auch das »königliche Drittel«, zwei Neuntel des Zehents, gab die Kirche an die Könige als Hilfe im granadinischen Krieg ab. Diese Hilfe blieb auch nach der Eroberung Granadas bestehen. Für die Verwaltung dieser kirchlichen Einkünfte wurde ebenfalls ein eigenes Ratsgremium eingerichtet, der 1509 begründete »Consejo de la Cruzada«, der Kreuzzugsrat. Diese kirchlichen Einkünfte, ebenso wie gewisse Geldbewilligungen der Stände (»Cortes«) ermöglichten den Monarchen eine Verbesserung der finanziellen Situation der Königreiche und eine größere Unabhängigkeit gegenüber dem Adel. Außerdem wurden die staatlichen Finanzen durch die Schaffung zweier Finanzbehörden effizienter gemacht. Die »Contaduría Mayor de Cuentas« und die »Contaduría Mayor de Hacienda« kontrollierten die Einnahmen und Ausgaben und überwachten sämtliche finanziellen Angelegenheiten. Die aragonesischen Länder hatten ein eigenes Finanzsystem. Die dortigen Einnahmen waren aber nur für aragonesische Angelegenheiten reserviert, während die kastilischen im Dienste der Gesamtmonarchie eingesetzt werden konnten.

Die bereits erwähnten Ratsgremien waren nicht die einzigen administrativen Neuerungen Ferdinands II. und Isabels I. Der »Consejo Real de Castilla«, der königliche Kastilienrat, der schon im 14. Jahrhundert geschaffen worden war, bekam ab 1480 eine Zuständigkeit für alle Bereiche der Innen- und Außenpolitik, dort wurden die Bestellungen aller wichtigen Ämter vorgenommen, der Rat wurde auch zum Obersten Gerichtshof. Eine ähnliche Institution wurde 1494 auch für die aragonesischen Länder geschaffen, der »Consejo Supremo de Aragón«. In diesen Räten wurden bald hauptsächlich akademisch gebildete Personen installiert, was den Einfluss des hohen Adels und Klerus auf die Politik etwas verringerte. Zwischen den Räten und den Monarchen vermittelten Sekretäre, die ebenfalls meist niederen Standes waren.

Schließlich wurde der Einfluss der Ständeversammlungen, der Cortes, in Kastilien immer mehr reduziert. Ihr Gewicht ging schon deshalb zurück, weil sich der Adel und der Klerus immer mehr aus ihnen zurückzogen. Das größte Gewicht hatten dort damit die Vertreter von 18 Städten mit Stimmrecht. Doch wurden die Cortes immer seltener einberufen, ein Vorgang, der auch in den aragonesischen Ländern, wo jedes Königreich eine eigene Ständeversammlung hatte, zu beobachten ist.

Dem königlichen Willen in den entferntesten Winkeln der Monarchie wurde durch den »Corregidor« Nachdruck verliehen, der die Interessen der Monarchen gegenüber dem Vertreter der lokalen Interessen, dem »Regidor«, wahrnahm. Schließlich wurden auf dem Sektor des Gerichtswesens noch Appellationsgerichtshöfe eingerichtet, die zwischen den lokalen Gerichten und dem Kastilien- bzw. Aragónrat standen, die »Real Audiencia y Chancillería« von Valladolid (1489), jene von Ciudad Real, später transferiert nach Granada (1494 bzw. 1505), die Audiencia von Zaragoza, die von Barcelona (beide 1493) sowie jene von Valencia (1507). Bereits 1511 richtete König Ferdinand II. einen eigenen Appellationsgerichtshof in der Neuen Welt ein, die Audiencia von Santo Domingo.

All diese Maßnahmen erklären aber noch nicht, warum Ferdinand II. und Isabel I. den Grundstein legen konnten für eine spanische Monarchie, die Europa und die Welt durch eineinhalb Jahrhunderte dominierte. Dazu gehörte ein professionelles Heer ebenso wie ein funktionierender diplomatischer Dienst. Dieser war wegen der vielfältigen Interessen der kastilisch-aragonesischen Monarchie und wegen der dauernden Rivalität mit Frankreich notwendig geworden. So waren es Ferdinand II. und Isabel I., die mit der Schaffung eines permanenten Botschafterwesens in Rom, Venedig, London, Brüssel und am Kaiserhof begannen, überall dort also, wo potentielle Feinde des französischen Königs saßen.3

Auf dem militärischen Sektor hatte der Krieg um Granada als Exerzierfeld gedient, um die militärischen Strukturen zu modernisieren. Schon damals wurden besonders Fußsoldaten und eine starke Artillerie eingesetzt und neue Belagerungstechniken mit Schanzen und Minen entwickelt. In den italienischen Kriegen, vor allem um Neapel, gelang es dann Gonzalo Fernández de Córdoba (1453–1515), der für seine Erfolge den Ehrentitel eines »Großen Kapitäns« erhielt, das System des »Tercio« zu schaffen. Es waren dies große militärische Einheiten von 6000 Mann Fußsoldaten, die mit Piken, Musketen und Armbrüsten ausgerüstet waren, im Karree marschierten und sich durch große Beweglichkeit auszeichneten. Diesen Fußtruppen wurde leichte Reiterei hinzugefügt. Dieses System war auf fast allen europäischen Schlachtfeldern bis 1643 nahezu unüberwindlich.4

Die schon angedeutete Rivalität mit Frankreich war einer der Gründe dafür, dass die Katholischen Könige ganz Europa mit einem Netz von dynastischen Heiratsallianzen überzogen. Der Verbesserung der Beziehungen zu Portugal diente die Ehe ihrer Tochter Isabel (1470–1498) mit König Manuel I. (1469–1521), der Schaffung einer antifranzösischen Allianz die Verbindung ihrer Tochter Katharina (1485–1536) mit Heinrich VIII. von England (1491–1547). Am folgenschwersten sollte sich aber die Verbindung mit dem Haus Habsburg erweisen. 1496/1497 heirateten Juan (1478–1497) und Juana (1479–1555), Kinder der Katholischen Könige, jene des Römischen Königs Maximilian I. (1459–1519) und Marias von Burgund (1457–1482), nämlich Philipp I. (1478–1506) und Margarete (1480–1530) von Österreich-Burgund. Was ursprünglich nur als starkes antifranzösisches Bündnis gedacht war, sollte nach dem unerwarteten Tod aller anderen Thronkandidaten das Haus Habsburg zur Regierung der spanischen Monarchien führen.

Nach dem Tod Isabels I. 1504 ging die Regierung Kastiliens nach einer kurzen Regentschaft König Ferdinands II. an Philipp I. von Österreich-Burgund und Juana. Philipp I. starb allerdings bereits 1506. Damals war schon klar geworden, dass Juana wegen einer psychischen Krankheit die Regierung nicht würde ausüben können. König Ferdinand II. übernahm daher neuerlich die Regentschaft Kastiliens in Vertretung seiner kranken Tochter, deren beide Söhne, der 1500 geborene Karl V. sowie der 1503 geborene Ferdinand I. († 1564), noch minderjährig waren. Die Union zwischen den aragonesischen und kastilischen Kronen wäre damals beinahe wieder zerbrochen, heiratete doch Ferdinand II. neuerlich. Der Sohn aus dieser Ehe starb aber bereits als Kleinkind, so dass 1516, nach dem Tod König Ferdinands II., Herzog Karl von Burgund, Erzherzog von Österreich, die Nachfolge in den Iberischen Ländern und in der Neuen Welt antreten konnte. Karl, der in den Niederlanden erzogen worden war, fügte das burgundisch-niederländische Erbe seiner Großmutter väterlicherseits den spanischen Territorien hinzu, während sein Bruder Ferdinand I. vorerst mit den österreichischen Ländern der Habsburger vorlieb nehmen musste.

Karl kam im September 1517 auf der Iberischen Halbinsel an. Doch kaum hatten ihn die Cortes von Kastilien (Februar 1518) als neuen König anerkannt, ebenso jene von Aragón (Januar 1519), traf die Nachricht vom Tod seines Großvaters Maximilian I. ein. Karl verließ bereits im Frühling 1520 seine neuen Königreiche, um nach seiner Wahl durch die Kurfürsten zur römischen Königskrönung nach Aachen zu reisen. Schon kurz nach der Abreise des Monarchen kam es in Kastilien zu einer bald revolutionär werdenden Protestbewegung, der sogenannten Rebellion der »Comuneros«. Mittlere und niedere städtische Gruppen opponierten gegen die Einsetzung von Ausländern in den wichtigsten Ämtern und die Verwendung kastilischer Ressourcen für die imperiale Politik Karls V. Wichtige Gründe für den Aufstand sind weiter in der Opposition der kastilischen Städte gegen die Allianz des Herrschers mit dem hohen Adel zu suchen, dem Karl die Übernahme städtischen Grundbesitzes und städtischer Einkünfte ermöglicht und dessen wirtschaftliche Ambitionen auf dem Gebiet der Schafzucht und des Wollhandels er gegen die städtischen Aktivitäten auf dem Sektor des Ackerbaus und der Wollverarbeitung unterstützt hatte. Seine Zentren hatte der Aufstand in Ávila, Segovia, Salamanca, León, Zamora und Toledo, also in den wichtigsten kastilischen »Industriezentren«. Doch bereits im April 1521 wurde der Aufstand nach einer verlorenen Schlacht und einem blutigen Strafgericht gegen die Anführer niedergeworfen, obwohl Toledo noch bis 1522 Widerstand leistete. Der hohe Adel hatte sich in diesem Konflikt eindeutig auf die Seite des Monarchen gestellt und konnte dafür auch seine Privilegien verteidigen. Der monarchische Absolutismus setzte sich damit ebenso durch wie die Allianz der privilegierten Klassen mit der Monarchie. Die kastilischen Städte verloren ab diesem Aufstand ihr politisches Gewicht, auf dem flachen Land wurde die Adelsherrschaft endgültig zementiert.

Auch in den Königreichen von Valencia und Mallorca gab es revolutionäre Aufstände gegen Karl V., die sogenannten »Germanías«. Die Ursachen dafür waren ähnlich gelagert wie in Kastilien, einer der Gründe lag in der Unzufriedenheit über die beständigen Versuche schon seit der Zeit Ferdinands II., in die städtischen Belange hinein zu regieren und die niederen städtischen Schichten aus der Regierungsverantwortung zu drängen. Auch das Unbehagen über den wirtschaftlichen Niedergang der aragonesischen Länder hat viel zu den Aufständen beigetragen, die allerdings wegen eines gewissen programmatischen Defizits nie so gefährlich für die Gesamtmonarchie wurden wie die Rebellion in Kastilien. Auch in Valencia und Mallorca verbündete sich der hohe Adel mit dem Herrscher. Bis 1522 wurden daher die »Germanías« besiegt, die absolute Monarchie in den spanischen Königreichen setzte sich endgültig durch.

Die spanischen Länder blieben unter den Habsburgern eine zusammengesetzte Monarchie (»Monarquía compuesta«), eine Ansammlung von verschiedenen Territorien, die alle ihre eigenen Rechte und Gesetze und ihre eigenen institutionellen Apparate hatten. Als Gesamtbezeichnung begannen sich die Termini »Monarquía hispánica« oder auch »Monarquía católica« durchzusetzen, Begriffe, die alle Länder unter der Regierung der habsburgischen Monarchen zwischen den Niederlanden und Süditalien über die Iberische Halbinsel und Amerika bis auf die fernen Philippinen umfassten. Denn die Krone erweiterte ihre überseeischen Besitzungen sehr rasch. 1519 bis 1522 umfuhren der aus Portugal stammende Kapitän Fernão de Magalhães (Fernando de Magallanes) (1480?–1521) und der Kastilier Juan Sebastián Elcano (1486?–1526) das erste Mal die Welt, was zur Entdeckung der Marianen und Philippinen führte5, 1519 bis 1521 wurde das aztekische México durch Hernán Cortés (1485–1547) erobert, 1532 bis 1535 das Andenreich der Inkas durch Francisco Pizarro (1476?–1541). Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts beherrschten die Spanier bereits grob gesprochen den gesamten amerikanischen Kontinent zwischen den südlichen Bundesstaaten der heutigen Vereinigten Staaten und dem heutigen Argentinien und Chile. Nicht erobert waren damals die Südspitze Südamerikas sowie das Amazonasgebiet. An der brasilianischen Küste begannen ab 1500 die Portugiesen mit ihren Kolonisationsunternehmungen.

Dieses komplizierte Gebilde der spanischen Monarchie entwickelte sich in einem permanenten Zusammen- und auch Gegenspiel seiner einzelnen Teile weiter. Maßnahmen des Monarchen, die nur ein Reich betrafen, mussten sich zwangsläufig auf die anderen Glieder der Monarchie auswirken, vor allem, weil der König und seine Räte permanent versuchten, partikularistische Tendenzen zu unterbinden. Als Mittel des königlichen Absolutismus wurde das unter den Katholischen Königen begründete System der einzelnen Räte noch ausgebaut. 1517 schuf Karl V. den »Consejo de Guerra«, den Kriegsrat, der 1521 dem neu geschaffenen »Consejo de Estado«, dem Staatsrat, untergeordnet wurde.6 Dieser Staatsrat war allein verantwortlich für die Außenpolitik der Monarchie. Hier zeigt sich deutlich, dass die immer häufigeren internationalen Verwicklungen und Aktivitäten der spanischen Monarchie samt den zahlreichen Kriegen schlagkräftiger Instrumentarien bedurften.

Die immer komplexeren Aufgaben der spanischen Monarchie lassen sich deutlich an der weiteren Entwicklung der einzelnen Ratsgremien verfolgen. Denn bereits 1523 schuf Karl V. den »Consejo de Hacienda«, den Finanzrat, in dem sukzessive die unter den Katholischen Königen begründeten Contadurías aufgingen. Die große Bedeutung, die die Neue Welt bereits in den Anfangsjahren Karls V. gewonnen hatte, macht die 1524 erfolgte Gründung des »Consejo de Indias«, des Indien- (= Amerika-)rates deutlich. Auch die Verwaltung der italienischen Reiche wurde immer komplexer, so dass 1555 aus dem Rat von Aragón die italienischen Belange ausgegliedert und einem eigenen »Consejo de Italia« zugeordnet wurden.

Mit diesem System thematischer und territorialer Ratsgremien war es der spanischen Monarchie gelungen, ein effizientes Verwaltungssystem zu errichten, das wesentlich zur Modernität des Gesamtsystems und zum Zusammenhalt der »Monarquía compuesta« beitrug. Daneben baute Karl V. das System der Sekretäre, der Mittler zwischen den einzelnen Räten und dem Monarchen, noch weiter aus. Nachdem in der Anfangsphase der Regierung Karls V. diese Sekretariatsämter noch hauptsächlich von den ins Land gebrachten Niederländern gehalten wurden, waren es ab den Dreißigerjahren des 16. Jahrhunderts nur noch Spanier. Ohne den Konsens dieser Sekretäre war keine Politik mehr zu machen, ihr großes Fachwissen trug wesentlich zum reibungslosen Funktionieren der spanischen Monarchie bei.

Quasi systemimmanent in einer zusammengesetzten Monarchie wie der spanischen war die häufige, in vielen Königreichen permanente Abwesenheit des Herrschers. Aus diesem Grund wurde die Gestalt des Vizekönigs geschaffen, der als »alter ego« des Königs den Souverän in den weit entfernten Dominien sichtbar repräsentierte.7 Vizekönige wurden im Laufe des 16. Jahrhunderts nicht nur in allen europäischen Ländern der spanischen Monarchie eingesetzt, also in Valencia, Katalonien, Aragón, Mallorca, Sardinien, Sizilien und Neapel, sondern auch in der Neuen Welt, wo bereits 1535 das Vizekönigreich Neu Spanien (= México und Mesoamerika) und 1543 jenes von Perú (= Südamerika) geschaffen wurden. Die pazifischen und asiatischen Besitzungen wie die Philippinen wurden später dem Vizekönig von Neu Spanien unterstellt. In den zur spanischen Monarchie gehörigen Territorien des Heiligen Römischen Reichs, also in den Niederlanden samt der Freigrafschaft Burgund und im 1535 erworbenen Herzogtum Mailand, konnten keine Vizekönige installiert werden. Das hätte der Verfassung des Heiligen Römischen Reichs widersprochen, weshalb die Vertreter des Königs trotz ihrer den Vizekönigen vergleichbaren Aufgaben dort unter dem Titel eines Gouverneurs residierten.

Die zunehmende Kontrolle aller Lebensbereiche der Menschen in der absolutistischen spanischen Monarchie wird schließlich auch noch daran sichtbar, dass unter Karl V. die Zahl der Appellationsgerichtshöfe, der Audiencias, vermehrt wurde. Besonders in der Neuen Welt kann man an den Daten der Gründungen dieser Gerichtshöfe deutlich die zunehmende Durchdringung des amerikanischen Kontinents mit spanischen Institutionen verfolgen: Nach der schon erwähnten Gründung der Audiencia von Santo Domingo (1511) wurde kurz nach der Eroberung des Aztekenreichs in der Stadt México 1527 ein Appellationsgerichtshof geschaffen, weitere derartige Gerichtshöfe in Neu Spanien entstanden 1542 in Guatemala und 1548 in Guadalajara. Im Bereich des späteren Vizekönigreichs Perú gab es ab 1535 die erste Audiencia in Panamá, 1542 folgte Lima und 1548 Santa Fe de Bogotá.

All die erwähnten Ratsgremien und Gerichtsinstitutionen zeigen eines ganz deutlich: Ab den Katholischen Königen erlebte die spanische Monarchie eine zunehmende Bürokratisierung und Diversifizierung der Aufgaben der Amtsträger der Krone sowie eine Intensivierung der Verwaltung. Damit einher ging eine Steigerung der Effizienz des werdenden Staates, der es immer besser schaffte, durch ein rigoroses Steuerregiment mehr an Einnahmen für die anwachsenden Aufgaben zu beschaffen, die allerdings mit dem Wachstum des Imperiums auch immer zahlreicher und verschiedenartiger wurden. Die spezielle Leistung der spanischen Krone in diesem Modernisierungsprozess ist einerseits darin zu sehen, dass im Vergleich zu anderen europäischen Monarchien diese Vorgänge um fünfzig bis hundert Jahre früher in Gang gesetzt wurden, andererseits darin, dass dieses System, das spätestens ab Karl V. als ein globales, weltumspannendes bezeichnet werden muss, relativ reibungslos und sehr effizient funktionierte, und das zu Zeiten, in denen sich im Vergleich zum Spätmittelalter die Möglichkeiten der Kommunikation nicht wesentlich verbessert hatten. Zwar hatten die Verkehrsmittel zur See durch neue Schiffbau- und Segeltechniken sowie durch neue Navigationsinstrumente an Sicherheit und Schnelligkeit gewonnen – die europäische Expansion über den Mittelmeerraum hinaus wäre sonst gar nicht möglich gewesen –, doch auf dem Land funktionierte die Kommunikation noch immer mit dem Maultier oder dem Pferd auf schlechten, kaum befestigten Straßen, obwohl bereits die Katholischen Könige 1497 die »Cabaña Real de Carreteros« geschaffen hatten, eine privilegierte Vereinigung lokaler Transportunternehmer, die den Waren- und Nachrichtenaustausch auf der Iberischen Halbinsel verbessern sollten. Das straffe Verwaltungs- und Rechtssystem der spanischen Monarchie mit seinen Ratsgremien, Sekretären, Vizekönigen, Corregidores und Richtern in den Appellationsgerichtshöfen war die bürokratische und effiziente Antwort auf ein vielschichtiges und vielgliedriges territoriales System. Dem König an der Spitze ermöglichte es durch seinen stufenweisen Aufbau eine permanente Kontrolle von oben nach unten und gab ihm die Instrumente in die Hand, im Bedarfsfall rasch zu reagieren.

 

2          Kindheit und Jugend eines Weltherrschers

 

 

2.1       Valladolid 1527: Ein König wird geboren

Der Benediktiner Prudencio de Sandoval (1553–1620), berühmter Biograph Karls V., begann das 16. Buch seiner viel gelesenen Biographie des Kaisers aus dem Hause Habsburg mit den Worten:

»1527 [war] viel besprochen und sehr glücklich in Spanien, denn in jenem Jahr wurde der ehrenhafte Fürst, Don Felipe [= Philipp], der allerkatholischste, umsichtigste und weiseste König geboren, den Spanien seit seiner Besiedlung je gehabt hatte.«1

Diese jubelnden Worte galten dem späteren König Philipp II., der am 21. Mai 1527 in Valladolid in Kastilien zur Welt kam. Die Eltern des kleinen Prinzen, Karl V. und Isabel (1503–1539) von Portugal2, hatten sich im März 1526 in Sevilla verehelicht. Die Flitterwochen verbrachten sie im Palast der letzten maurischen Könige Andalusiens auf der Alhambra in Granada3, doch stand die europäische Politik nicht still, auch wenn die jungen Monarchen die Freuden der Ehe genießen wollten. Ganz im Gegenteil, der Frieden mit Frankreich, der König Franz I. (1494–1547) im Vertrag von Madrid im Januar 15264 aufgezwungen worden war, hatte schon kurze Zeit später sein unrühmliches Ende gefunden, Spanien und Frankreich befanden sich neuerlich im Krieg. Karl V. konnte nicht länger im fernen Andalusien verweilen, sondern musste näher hin zum Zentrum Europas, um die Ereignisse besser überschauen zu können. Daher verließ er mit seiner Gemahlin im November 1526 Granada, um nach Valladolid zu reisen, zu jener Zeit häufig Residenzort des kastilischen Hofes. Außerdem benötigte er dringend Geld für den Krieg, weshalb er sich in Valladolid mit den kastilischen Cortes beraten wollte.

Die Reise mitten im Winter ging langsam voran, musste doch Rücksicht auf die Königin genommen werden, deren Schwangerschaft erst kurz vor der Abreise publik geworden war. Auch das Wetter spielte verrückt, es war eisig kalt, es regnete und schneite. Als die Reisegruppe endlich in Peñafiel eintraf, erwartete sie dort eine Abordnung des Rats von Valladolid, die sie bat, den Einzug in die Stadt etwas hinauszuschieben. Denn noch waren nicht alle Vorbereitungen getroffen, um den Monarchen samt seinem Gefolge zu empfangen. Es hatte 1526 arge Missernten in Kastilien gegeben, noch fehlten die nötigen Lebensmittel, um den gesamten Hof zu versorgen.5

Als Karl V. endlich am 14. Januar 1527 in Valladolid einzog, regnete und schneite es neuerlich stark, niemand konnte sich daran erinnern, je so schlechtes Wetter erlebt zu haben. Der Pisuerga, normalerweise ein moderater Fluss, trat über seine Ufer und überschwemmte große Teile der Stadt, zerstörte die Gärten und Mühlen, es ertranken Menschen und eine große Menge an Vieh. Die Ständeversammlung musste daher auf den Februar 1527 verschoben werden.

In der Zwischenzeit war auch die Nachricht eingetroffen, der Schwager Karls V., Ludwig II. von Böhmen und Ungarn (1506–1526), sei in der Schlacht von Mohács Ende August 1526 gegen die Osmanen zu Tode gekommen. Als sich die Wetterlage endlich beruhigt hatte, nahm Karl V. mit versteinertem Gesicht am 10. Februar 1527 an den Leichenfeiern in der Kirche San Pablo in Valladolid teil, während sich sein Bruder, der spätere Kaiser Ferdinand I., gerade um die Nachfolge in den Königreichen Ungarn und Böhmen bemühte. In jenen Monaten trat der Konflikt zwischen den Habsburgern und den Osmanen in eine neue Phase, sollten sich doch die meist kriegerischen Auseinandersetzungen in Ungarn zwischen beiden Mächten bis zum Ende des 17. Jahrhunderts hinziehen. Auch sonst entwickelten sich die Dinge nicht so, wie sie Karl V. gerne gehabt hätte. Die Ständeversammlung in Valladolid verlief weitgehend ergebnislos, weigerten sich doch die Adligen, Karl V. Geld für den Krieg zur Verfügung zu stellen, die Städte betonten, sie könnten nichts zahlen, weil sie noch nicht einmal die 400 000 Dukaten zusammengekratzt hätten, die sie ihm für seine Hochzeitsfeierlichkeiten genehmigt hatten. Und die Geistlichkeit, die sich mehr auf die Vorrangstreitigkeiten zwischen den Erzbischöfen von Sevilla und Santiago de Compostela und zwischen den Bischöfen von Oviedo und Palencia konzentrierte, bot nur Kirchensilber an, kein bares Geld.6

Die politische Großwetterlage stand ebenfalls nicht gerade bestens für Karl V. Der spanisch-französische Krieg tobte vornehmlich in Italien, Papst Clemens VII. (1478–1534) unterstützte nicht den spanischen Monarchen, sondern den französischen König. Zwar waren die karolinischen Truppen erfolgreich und errangen einige Siege in Norditalien, doch da sie ihren Sold nicht erhielten, gerieten sie außer Kontrolle. Ab dem 6. Mai 1527 plünderten die Soldaten Karls V., des Verteidigers der Christenheit, der als spanischer König, wie bereits erwähnt, auch noch den Titel eines »rex catholicus« trug, eines Katholischen Königs, die Ewige Stadt, der Papst wurde im Kastell Sant’Angelo belagert.

Der Papst trotzte noch immer der Belagerung durch die kaiserlichen Landsknechte, als am 21. Mai 1527, einem Dienstag, in Valladolid im Hause des Bernardino Pimentel, gleich neben der Kirche von San Pablo, bei Isabel von Portugal die Wehen einsetzten – gar mancher Zeitgenosse fürchtete, dass die Belagerung des Papstes durch die Truppen seines Vaters kein günstiges Omen für das neugeborene Kind wäre. Die Königin war tapfer und ertrug die Schmerzen der Geburt mit eiserner Selbstkontrolle. Angeblich soll sie einer Hebamme, die ihr geraten hatte, ihre Schmerzen hinauszuschreien, in portugiesischer Sprache geantwortet haben: »Sprecht nicht so zu mir, lieber sterbe ich als zu schreien.«7 Auch soll sie befohlen haben, alle Lampen im Geburtszimmer auszulöschen, damit niemand ihr vom Schmerz verzerrtes Gesicht sehen könne. Um vier Uhr am Nachmittag war es dann endlich so weit: Die Königin gebar einen gesunden Knaben. Als das Kind seinem Vater, frisch gewickelt, in die Hände gelegt wurde, sagte dieser laut Sandoval:

»Gott, unser Herr, mache Dich zu einem guten Christen. Gott, unseren Herrn, bitte ich, Dir seine Gnade zu geben. Ich flehe zu Gott, unserem Herrn, er möge Dich erleuchten, damit Du all die Königreiche zu regieren weißt, die Du erben wirst.«

Danach ging Karl V. angeblich trotz des strömenden Regens in die Kirche von San Pablo, um seinem Gott für die erwiesenen Gnaden zu danken.8

Der Erstgeborene und Thronfolger wurde noch am selben Abend von allen Höflingen besichtigt. Rasch verbreitete sich im gesamten Reich die freudige Nachricht von der Geburt des Prinzen. Der Dynastie war es gelungen, ihre Kontinuität sicher zu stellen. Doch ordnete Karl V. aus Gründen der Sparsamkeit an, keine übertriebenen Feierlichkeiten in seinen Ländern zu veranstalten. Denn der Krieg gegen Frankreich in Italien verschlang Unsummen an Geld.

In der frühen Neuzeit war es durchaus üblich, auch die Kinder von Herrschern gleich nach ihrer Geburt zu taufen. Zu groß war die Gefahr, dass die Säuglinge bald wieder sterben würden, an postnatalen Infektionen, an den Folgen der Beschwerden des Geburtsvorganges oder aufgrund der allgemein mangelhaften Hygiene. Doch der kleine Prinz scheint gesund und kräftig gewesen zu sein. Nicht anders ist es zu erklären, dass mit seiner Taufe mehr als zwei Wochen zugewartet wurde. In dieser Zeit wurde die Kirche von San Pablo feierlich geschmückt. Es wurde ein Gerüstgang mit Triumphbögen hin zum Hochaltar errichtet, reich geziert mit Rosen und anderen Blumen, mit Zitronen, Orangen und weiteren Früchten. In den Bögen wurden Altäre aufgebaut.

Gleich beim ersten Triumphbogen, beim Haus des Don Juan de Mendoza, in dem die Königin wohnte, sollten sich Sänger postieren, einige gekleidet wie Engel, die das »Gloria in excelsis Deo« – »Ehre sei Gott in der Höhe« – beim Erscheinen des Prinzen singen würden. Beim fünften Triumphbogen, auf dem die Taufe des Heiligen Johannes dargestellt war9, schon innerhalb des Hofes der Kirche, fanden sich reich geschmückte Statuen aus Silber, vergoldetem Silber und auch aus Gold, alle von großem Wert. All diese Gegenstände waren aus dem Besitz Karls V., auch zwei große Einhörner, befestigt auf zwei mächtigen Kandelabern. Diesen Stoßzähnen des Narwals haftete nach dem Glauben der Zeit eine magische Schutzwirkung an. Da nur Jungfrauen die Einhörner fangen konnten, galten sie auch als das Symbol der Unbefleckten Empfängnis der Gottesmutter Maria. Rund um die Taufzeremonie des Prinzen wurde somit die Größe der Dynastie demonstriert, die Größe eines Hauses, das Gott liebte wegen seiner Glaubensfestigkeit, wegen seiner Verehrung der Gottesmutter, wegen seines Kampfes gegen »Ungläubige« wie die Osmanen oder »Häretiker« wie die Anhänger Martin Luthers (1483–1546).

Die Kirche von San Pablo war zusätzlich reich ausgestattet mit seidenen, golddurchwirkten Wandteppichen, die Szenen aus dem Leben von Jesus Christus darstellten, so seinen Leidensweg, die Passion. Kurz vor dem Lettner, der schmiedeeisernen Schranke, die den Hochaltarbereich vom übrigen Kirchenraum abtrennte, der auch den Laien zugänglich war, sollte die Taufe stattfinden. Auf der rechten Seite stand ein Bettchen, abgeschirmt mit karmesinrotem Brokat. Auf der anderen Seite war ein Altar errichtet worden, geschmückt mit allen Reliquien, Kreuzen und Heiligenstatuen aus Gold und Silber, die in San Pablo aufbewahrt wurden. Zwischen diesem Altar und dem Bett war ein Himmel aus Brokat gespannt, darunter stand ein silbernes Taufbecken auf einem Teppich aus demselben Stoff.10

Am 5. Juni 1527, einem Mittwoch, wurde endlich die Taufe gefeiert. Nach einem Gottesdienst in San Pablo ging Karl V., prunkvoll gekleidet in schwarzem und weißem Samt, in weißen Schuhen und mit einem schwarzsamtenen Hut, am Nachmittag zum Palast seiner Gemahlin. Der Hochadel Kastiliens nahm an der Taufzeremonie selbstverständlich teil. Beim Verlassen des Hauses von Isabel von Portugal hielt den kleinen Prinzen Íñigo Fernández de Velasco, 2. Duque de Frías und 8. Condestable von Kastilien (1455–1528), zu dessen linker Seite ging Fadrique Álvarez de Toledo y Enríquez de Quiñones, 2. Duque de Alba (1460–1531), der beim Tragen des Kindes behilflich war. Dass diese beiden wichtigen Adligen des Königreichs nur aus zeremoniellen Gründen, um ihren hohen Stand zu demonstrieren und um die Gnade des Herrschers zu zeigen, die sie genossen, den Prinzen in ihren Armen hielten, wird daran sichtbar, dass mit ihnen die Amme des Kindes und die Hebamme Isabels gingen. Hätte der Thronfolger zu weinen begonnen, wäre er an die beiden Frauen übergeben worden. Dieses kleine Detail zeigt noch etwas anderes: Fürstinnen der frühen Neuzeit, so auch die Mutter des Prinzen, stillten ihre Kinder in den seltensten Fällen selbst, sondern überließen diese Aufgabe meist einer oder auch mehreren Ammen. Der hohe Adel kopierte dies nur zu bald, auch im reichen Bürgertum begann sich dieser Brauch durchzusetzen. Eine Amme stillte in manchen Fällen auch mehrere Kinder. Die dadurch entstehende »Milchbruderschaft« konnte durchaus zur sozialen Netzwerkbildung, vor allem beim Adel, beitragen und zum Konfliktausgleich zwischen den einzelnen Familien dienen.

Vor dem Condestable und dem Duque de Alba gingen weitere hohe Adlige. Juan Sarmiento, Conde de Salinas, trug die Wasserbecken, Pedro Fernández de Velasco, 5. Conde de Haro und Sohn des Condestable († 1559), das Chrisam, der zweitgeborene Sohn Albas und spätere Vizekönig von Neapel, Pedro Álvarez de Toledo y Zúñiga, 2. Marqués de Villafranca (1484–1553), die Taufkerze, und Pedro Fajardo Chacón (1478?–1546), 1. Marqués de los Vélez11, das Taufhemd. Dem Prinzen folgten Leonor de Austria (1498–1558), die Schwester Karls V., die von Sandoval bereits als Königin von Frankreich bezeichnet wird12, weil sich Franz I. im schon erwähnten Vertrag von Madrid hatte verpflichten müssen, sie zu heiraten, was er allerdings erst nach dem Frieden von Cambrai (1529)13 dann tatsächlich tat. Leonor war Taufpatin. An ihrer Seite schritt Álvaro de Zúñiga, 2. Duque de Béjar (1488–1531). Danach folgten Mencía de Mendoza, 2. Marquesa de Cenete (1508–1554), und weitere adlige Damen und Herren, alle reich in Samt und Seide gekleidet, ebenso die Hofdamen Isabels.

Das reiche Aufgebot des kastilischen Hochadels zeigt deutlich, wie wichtig die Taufe des Prinzen war. Es fehlten allerdings fast völlig niederländische und portugiesische Adlige. Bei den Portugiesen ist dies verständlich, waren diese doch durch die Hofdamen Isabels repräsentiert. Bei den Niederländern zeigt sich die Lernfähigkeit Karls V.: 1520 und 1521 hatten, wie erwähnt, große Teile Kastiliens gegen ihren Monarchen revoltiert. Einer der Klagepunkte dieser so genannten »Comuneros« war gewesen, dass sich in seinem Gefolge zu viele Niederländer aufgehalten und Macht und Einfluss im Königreich Kastilien errungen hatten. Zwar war der Aufstand blutig niedergeschlagen worden, doch hatte der Herrscher die Forderungen der Rebellen insofern erfüllt, als er den Einfluss seines niederländischen Hofstaats in Kastilien zurückdrängte. Bei der Taufe war daher nur Heinrich III., Graf von Nassau (1483–1538), anwesend, der an der Erziehung Karls V. mitgewirkt hatte und seit 1524 mit der oben erwähnten Marquesa de Cenete verheiratet war, somit also beinahe als kastilischer Adliger bezeichnet werden kann.

Die illustre Taufgesellschaft gelangte schließlich in die Kirche und versammelte sich um das silberne Taufbecken. Dort standen schon, ebenfalls reich gekleidet, Alonso de Fonseca (1475–1534), seit 1523 Erzbischof von Toledo und somit Primas der kastilischen Kirche, außerdem Mitglied des Rates des Monarchen, Juan García Loaysa y Mendoza (1478–1546), Beichtvater Karls V. und seit 1524 Bischof von Osma, sowie Pedro Gómez Sarmiento y de Ulloa (1478–1541), seit 1525 Bischof von Palencia – Valladolid sollte erst 1595, gegen Ende der Regierung Philipps II., einen eigenen Bischofstuhl erhalten. Der Duque de Béjar nahm das Kind aus den Armen des Condestable und überreichte es der Amme, die es entkleidete. Bei der Taufe selbst, die der Erzbischof vornahm, hielten der Duque de Bejar den Körper und der Condestable den Kopf des Kindes. Die Ehre, den künftigen Namen des Kindes nennen zu dürfen, hatte der Duque de Alba. Dabei geschah ein wohl beabsichtigtes Missgeschick. Auf die Frage des Erzbischofs, wie das Kind heißen solle, antwortete Alba mehrmals: »Fernando ist sein Name«. Alba sprach damit vielen Adligen Kastiliens aus der Seele. Das Kind sollte den Namen seines berühmten Urgroßvaters erhalten, jenen von Ferdinand II. von Aragón. Doch Karl V. wollte im Namen seines Sohnes jenen seines eigenen Vaters weiterleben lassen, Philipps I.14 Dieser war in Kastilien nicht sonderlich beliebt gewesen und außerdem im Dauerstreit mit seinem Schwiegervater Ferdinand II. von Aragón gelegen. Man nahm ihm auch übel, dass er die treibende Kraft gewesen war, um seine Ehefrau Juana, die als die Wahnsinnige in die Geschichte eingehen sollte, von den Regierungsgeschäften auszuschließen. Karl V. setzte sich aber durch. Das Kind erhielt den Namen Philipp. So verkündete es auch der Herold mit lauter Stimme, als er nach der Taufe rief: »Hört, hört, hört, Don Felipe ist von der Gnade Gottes Prinz von Kastilien.«15

Noch ein weiteres Missgeschick überschattete die Taufe. Paten waren nicht nur der Condestable, der Duque de Béjar und der Graf von Nassau, sondern auch Alonso Pimentel, 5. Conde de Benavente († 1530), und Antonio Manrique de Lara, 2. Duque de Nájera († 1535). Doch die beiden Letztgenannten konnten nicht rechtzeitig zur Feier erscheinen und kamen einen Tag zu spät. Auch die Mutter des Kindes selbst war bei der Taufe nicht anwesend. Sie war Zeit ihres Lebens von schlechter Gesundheit und durch die Strapazen der Geburt noch so sehr geschwächt, dass sie eine weitere Woche das Bett zu hüten hatte. Zwölf Jahre später, 1539, sollte sie auch tatsächlich an den Folgen der Niederkunft ihres fünften Kindes sterben, des Prinzen Juan, der seinerseits den Tag seiner Geburt nicht überlebte.

Mit der eigentlichen Taufzeremonie waren die Feierlichkeiten anlässlich der Geburt des Thronfolgers noch nicht zu Ende. Denn am nächsten Tag wurden auf der Plaza Mayor, dem zentralen Hauptplatz von Valladolid, so genannte »juegos de cañas« abgehalten, eine iberische Form des Turniers, die maurischen Ursprungs sein dürfte und bei der zwei Gruppen von Reitern, geschützt durch große Schilder, so lange mit hölzernen Speeren gegeneinander anritten, bis eine Gruppe vollständig zu Boden gegangen war oder freiwillig aufgab. Diese Reiterspiele erfreuten sich im frühneuzeitlichen Spanien großer Beliebtheit, auch bei den adligen Damen, die als Zuseherinnen mit Interesse teilnahmen. So war es auch in diesem Fall. Anwesend waren Leonor, die Schwester des Monarchen, die Marquesa de Cenete und alle adligen Damen, nicht aber die kränkelnde Königin.

Karl V. trat selbst in die Arena, auch alle Adligen, die an der Taufzeremonie teilgenommen hatten. Viele nützten die Spiele, um ihren hohen Stand, ihren Reichtum und ihre politische Macht zu demonstrieren. So ritten beispielsweise der Conde de Benavente und der Duque de Nájera, die die Taufe versäumt hatten, mit fünfzig Pferden ein. Insgesamt nahmen an dem Spiel 160 Caballeros teil, eine Zahl, die nicht nur die Beliebtheit des Ereignisses widerspiegelte, sondern auch die Wichtigkeit der Geburt des Thronfolgers manifestierte. Alle Teilnehmer des Turniers waren neuerlich prächtig in Samt, Seide und Damast gekleidet.

Gleichsam zur Auflockerung wurde am Beginn des Spektakels ein Stier gehetzt und schließlich auch mit Lanzen getötet. Nachdem noch elf weitere Stiere ihr Leben gelassen hatten – Karl V. beteiligte sich bei dieser Abschlachtung mit großem Erfolg, wie Sandoval berichtet16 –, kam es endlich zum eigentlichen Lanzenreiten. Damit waren die Tauffeierlichkeiten endgültig abgeschlossen, der Alltag zog wieder ein.

2.2       Ávila 1531: Eine Kindheit ohne Vater

Die frühneuzeitlichen Herrscher sahen sich zweifellos zu anderen Aufgaben als zur persönlichen Erziehung ihrer Kinder verpflichtet. Denn schließlich hatten sie zu regieren, zu entscheiden, ihre Reiche tatkräftig zu lenken. In einer Zeit, in der Konflikte relativ rasch zu Kriegen führten, an denen die Regierenden auch häufig persönlich teilnahmen, war es somit nicht weiter verwunderlich, wenn die Väter die Existenz ihrer Kinder nur über die Berichte von Hofangehörigen wahrnahmen und sie nur selten zu Gesicht bekamen. Wichtig war es, Kinder, vor allem Söhne, zu zeugen, um die dynastische Kontinuität zu wahren, den Rest besorgten andere Personen, nämlich die Angehörigen des Hofes. Diese kümmerten sich um die standesgemäße Erziehung, für die sie natürlich Anweisungen erhielten. Die Mutter der Herrscherkinder war zwar meist in der Nähe ihrer Nachkommen, doch auch sie hatte andere Aufgaben zu erledigen, musste repräsentieren und ihren Ehemann gar manches Mal in seiner Abwesenheit vertreten, zeitweise sogar als dessen beauftragte Regentin. Da dies überall in Europa der Fall war, scheint dies im Zusammenhang mit Philipp II. nicht erwähnenswert, doch unterschied sich die Kindheit und Jugend dieses Prinzen beträchtlich von jener anderer Thronfolger der frühen Neuzeit. Diese bekamen ihre Väter wenigstens manchmal zu Gesicht, während der spanische Infant nahezu vollständig ohne seinen Vater aufwuchs. Denn dieser war nicht nur der König der iberischen Monarchien, sondern auch noch das Oberhaupt des Heiligen Römischen Reichs, dessen Fürsten die Gegenwart ihres Herrschers ebenfalls wünschten, vor allem in einer Zeit, in der sich die religiöse Spaltung immer deutlicher heraus kristallisierte, die Truppen des Sultans die Reichsgrenzen bedrohten und der König von Frankreich mit Karl V. in lange dauernde Kriegen verwickelt war.

Sichtbar wurde dies alles schon bald nach der Geburt Philipps II. Da kurz danach in Valladolid eine Pestwelle grassierte17, verließ der Hof die Stadt und hielt sich für einige Zeit beispielsweise in Burgos auf. Aber der Krieg mit Frankreich und die Verhältnisse im Heiligen Römischen Reich erforderten die Präsenz Karls V. in Mitteleuropa. Er konnte jetzt, da sein Nachfolger geboren war, konkrete Pläne für seine Abreise schmieden, war er doch bei seinem Regierungsantritt mit der Forderung der Stände konfrontiert gewesen, Spanien erst wieder zu verlassen, wenn er verheiratet sei und Nachkommen gezeugt hätte. Diese Bedingung hatte er mehr als erfüllt, denn Isabel von Portugal wurde noch 1527 ein weiteres Mal schwanger und sollte am 21. Juni 1528 ihr zweites Kind gebären, ein Mädchen, das auf den Namen Maria (1528–1603) getauft wurde.18