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Während der Krieg zwischen Candiora und Dahana zu entbrennen droht, streckt Crowley seine kalten Finger nach Ewa aus. Da Cassius seiner Tochter keinen Schutz bieten kann, schickt er sie mit Darcon auf die Suche nach der sagenumwobenen Phönixperle. Ihr soll die größte Macht der Welt innewohnen. Zusammen mit Pan machen sie sich auf den Weg in die Stadt des Wissens, einen Ort voller heiliger Schriften. Die Bibliothek von Henera vermag so manche Geheimnisse zu verbergen – oder sie ans Licht zu bringen. Werden die Freunde die Phönixperle finden? Oder hat das Schicksal andere Pläne?
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Seitenzahl: 606
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Prolog
Kapitel 1 Gefährliche Erinnerungen
Kapitel 2 Grab der Vergangenheit
Kapitel 3 Kanes Erwachen
Kapitel 4 Stadt des Sternenlichts
Kapitel 5 Henera
Kapitel 6 Die Bibliothek von Henera
Kapitel 7 Zorn des Animus
Kapitel 8 Vom Tod verfolgt
Kapitel 9 Das Buch Callét
Kapitel 10 Falsche Realität
Kapitel 11 Die Stadt der Hüter
Kapitel 12 Das Tor in den Fluten
Kapitel 13 Feuer und Rauch
Kapitel 14 Das Reich Xynove
Kapitel 15 Der Kerker
Kapitel 16 Die Ruine der Feuerrosen
Kapitel 17 Ein vertrautes Gesicht
Kapitel 18 Die Macht der Phönixperle
Kapitel 19 Der Fluch des Diamantdrachen
Epilog
Stopp, geh noch nicht!
Feuerrose 2 – Phönixperle E-Book-Ausgabe 07/2018 Copyright ©2018 by Eisermann Verlag, Bremen Umschlaggestaltung: Casandra Krammer Illustrationen: Katharina Pilchowski Satz: André Piotrowski Lektorat: Sabrina Schumacher Korrektur: Klaudia Szabo http://www.Eisermann-Verlag.de ISBN: 978-3-96173-100-8
Einst wurde einem Kind geraubt, das Erbe der Welt, das es schon bald wieder in seinen Händen hält.
Geborgen durch Liebe, Treue und Schmerz, umschließt die Macht des Kindes Herz. Glühend wie Feuer ruhte sie da, die Phönixperle, Jahr um Jahr.
Der Wind strich durch Cassius’ Haar und liebkoste seine Wange, wie es vor vielen Jahrhunderten zuletzt seine Frau getan hatte. Er nahm den Gestank des Todes wahr, witterte Angst, Schweiß und Blut. Er wandte seinen Kopf nach Süden, wo er Candiora und in weiter Ferne das Schloss des Königs in Illinius ausmachte. Der Geruch von Rauch setzte sich in seiner Nase fest und er wusste, welche Katastrophe mit diesem einherging. Der König hatte unter Crowleys Kontrolle einen schrecklichen Krieg ins Leben gerufen.
Zwei Wochen waren vergangen, seit Ewa und ihre Freunde bei Cassius Zuflucht gesucht hatten. Sie lebten hinter den sicheren Mauern von Artella, wo sich jeder Bürger und jedes Wesen für einen Krieg wappnete. Einen Krieg, ausgelöst durch den Wahnsinn zweier fehlgeleiteter Männer.
Cassius starrte in die Ferne. Er verharrte seit Stunden an der Spitze des Berges Dorion. Über ihm kreiste Darcon, dessen lange Schwingen in der aufkommenden Brise erzitterten. Die Bestie, die den Königen der letzten Jahrhunderte so viel Angst beigebracht hatte, war lediglich ein Schatten ihrer selbst. Zwar bleckte Darcon gerne die Zähne und demonstrierte die Gaben eines Drachen, doch letzten Endes hatte ihn ausgerechnet Ewa, Cassius’ Tochter, gezähmt.
Aus den Augenwinkeln erkannte Cassius eine Gestalt, die sich ihm langsam näherte. Die erstaunliche Temperaturveränderung war ihm keinesfalls entgangen und so war er wenig überrascht, dass einer von Crowleys Männern auf ihn zukam. Das Wesen, dessen kühle und ausdruckslose Augen ihn musterten, machte keine Anstalten, ihn zu attackieren. Es wartete geduldig. Die Frage war lediglich: Worauf?
Cassius wandte sich dem Geschöpf zu. Er spürte, wie seine Macht von der Mitte seines Körpers aus in die Fingerspitzen schoss. Sie erfüllte ihn, ließ seine Haut brennen. Er wollte ihr nachgeben, doch diese armselige Kreatur hatte keinen so schrecklichen Tod verdient.
Das menschenähnliche Geschöpf kroch auf allen vieren, stellte sich wie ein Erdmännchen auf die Hinterbeine, sobald es seine Beute nicht mehr im Blick hatte. Die Gliedmaßen waren von einer tödlichen Blässe überzogen und an jedem noch so kleinen Härchen klebten funkelnde Eiskristalle, die es kostbar erscheinen ließen. Dabei handelte es sich lediglich um einen Sklaven Crowleys, einen Abkömmling, erschaffen durch dessen Gier nach absoluter Herrschaft. Dieser Eiswandler, dessen Reißzähne und messerscharfe Klauen keineswegs das einzig Gefährliche an ihm waren, agierte ohne Verstand. Getrieben von seinem Meister und angeleint wie ein Hund, war er wohl gekommen, um Cassius zu testen. Um seine Schwachstellen zu ergründen, sofern er welche besaß.
»Du bist es nicht wert, dass ich mich verausgabe.« Cassius vollführte mit seiner rechten Hand eine geschmeidige Bewegung.
Darcon brachte sich derweil in Stellung, kreiste weiterhin über ihnen und stieß ein bedrohliches Knurren aus. Der Drache wartete auf ein Zeichen, auf eine Regung, den ersten Schritt der Kreatur – in ihr Verderben.
»Wirst du nicht müde, Cassius? Seit Jahrhunderten bekämpfen wir uns und doch gibt es keinen Sieger.« Die Laute, die über die rissigen Lippen des Eiswandlers kamen, klangen kratzig und rau. Es waren Crowleys Worte, hervorgebracht von einem Gefäß aus Kälte und Tod.
»Das Volk ist vor dir geflohen. Deine Soldaten haben nichts zu essen und doch sprichst du, als gäbe es einen Krieg, den du jederzeit gewinnen würdest. Dabei hast du schon verloren.« Cassius zuckte mit den Schultern und betrachtete die Marionette aus Eis, die Crowley ihm geschickt hatte. Die Augenhöhlen des Wesens waren schwarz wie die Nacht, als könnte man einen kurzen Blick auf das düstere Jenseits erhaschen.
»Glaubst du wirklich, ich hätte das nicht bedacht?« Ein kehliges Lachen drang an Cassius’ Ohren, sodass ihm ein kalter Schauer über den Rücken jagte.
»Was willst du?«
»Ich suche nach der grenzenlosen Macht, die mir deine Tochter nicht geben konnte. Wochenlang habe ich mir darüber den Kopf zerbrochen, aber mittlerweile kenne ich dein Geheimnis.« Er machte eine Pause, um seine Aussage auf Cassius wirken zu lassen.
»So? Erleuchte mich.« Cassius nickte Darcon zu und der Drache stürzte im nächsten Augenblick zu ihnen herab. Ein jeder von ihnen konnte deutlich verfolgen, wie sich die Brust der Bestie mit Feuer füllte und wie sie glühend ein Unheil androhte.
»Ewalyn hat ihre Kräfte nie besessen, weil du sie ihr gestohlen hast, noch ehe sie Verwendung dafür finden konnte. Ich habe dich beobachtet. Meine Spitzel sind überall. Jeder Fluss trägt meine Augen, jede Schneeflocke belauscht dein erbärmliches Wispern. Ich bin die größte Naturgewalt, die du und deine Götter je gesehen haben.«
Cassius starrte das Wesen an und hob seinen Arm. Darcon hielt inne, knurrte unzufrieden, da er sein Feuer in die Freiheit entlassen wollte, was ihm nun verwehrt wurde.
»Wovon sprichst du? Drück dich klarer aus.« Cassius ließ sich nicht provozieren, obgleich sein Herz, das er lange Zeit für tot gehalten hatte, heftig in seiner Brust schlug. Es rebellierte, kämpfte gegen den Zorn an, der seine Adern erfüllte. Er wollte die Kreatur, den Sklaven Crowleys, ermorden, in Stücke reißen, nur um seine Tochter für einen weiteren Moment in Sicherheit zu wissen.
»Ich spreche von jenem Objekt, das die Macht deiner Tochter in sich vereint, die sie formen wird. Ihr Erbe. Ich rede von nichts Geringerem als der Phönixperle, die laut meiner Quellen nicht länger durch die Hüter geschützt wird. Du solltest dir ein besseres Versteck suchen, wenn du jemanden wie mich zu deinem Feind machst!«
»Ich habe keine Ahnung, was du meinst«, presste Cassius hervor, obwohl er das Gefühl hatte, kaum atmen zu können.
Die Kreatur lachte. Ein schiefes Grinsen lag auf den blauen Lippen. »Du konntest deine Frau nicht retten, was lässt dich also glauben, dass es bei deiner Tochter anders wäre?«
Cassius’ Mundwinkel zuckten. Er stieß die Luft mit einem Zischen aus. Dann entließ er die blauen Funken seiner Magie und zerschmetterte die Kreatur, die nur gekommen war, um ihn aus seiner Deckung zu locken.
Cassius richtete den Blick erneut in die Ferne. Dort tobte eine Armee, deren metallische Schritte in den Bergen widerhallten. Hinter ihm wartete ein Volk auf seine Führung. Cassius erkannte, dass er nicht Herrscher und Vater zugleich sein konnte. Um Ewa zu schützen, müsste er seinen größten Fehler bereinigen. Doch das erschien ihm unmöglich.
Damals hatte er seiner geliebten Tochter ihr Erbe entrissen, um sie vor der Welt zu schützen. Er wusste, dass die Menschen grausam sein konnten, und er wollte Ewas Herz nicht mit Ballast, mit Trauer oder Schmerz füllen. Dann hatte er Evangeline verloren, viele Jahre für tot gehalten, jedoch niemals seine Suche nach ihr aufgegeben. Sich an diese qualvolle Zeit zu erinnern, erforderte Mut und Entschlossenheit, die er auch in Zukunft aufbringen musste.
Cassius war geneigt, die Hüter aufzusuchen und somit eine gefährliche Reise anzutreten. Aber er konnte nicht diejenigen im Stich lassen, die im Angesicht des Krieges ihr Leben in seine Hände legten. Ihm blieb keine Wahl. Die Phönixperle verkörperte nicht allein die Stärke, die Ewa erlangen konnte, sondern sie stellte auch ihre Zukunft dar. Die Herrschaft über ganz Dahana würde auf Ewa übergehen, sollte sie zu sich selbst finden. Cassius musste seiner Tochter die Wahrheit offenbaren. Noch heute.
Darcon ließ sich neben ihn gleiten, geschmeidig wie eine Raubkatze. Für einen Drachen keine Leichtigkeit. Seine Schuppen stellten sich in einer kühlen Brise wie ein Kamm auf und veränderten ihre Farbe. Sie funkelten nun schwarz wie die Nacht und kündigten den nächsten Blutmond an, bei dem Darcon seine menschliche Gestalt zurückerhalten würde. Für Stunden. Zu wenig Zeit, um ihn auf eine so gefährliche Reise zu schicken.
Cassius tätschelte sanft die Seite des Drachen. Er spürte die angenehme Wärme der Schuppen auf seiner Haut. In seinem Inneren war das Knistern der Flammen zu vernehmen und vibrierte an Cassius’ Fingerspitzen. »Schon bald wird die Zeit kommen, in der ich deine Blutgier benötigen werde, um unsere Feinde zu töten.«
Darcon hob seinen Kopf und starrte Cassius entschlossen an.
»Wirst du mich dabei unterstützen, Crowley und den fehlgeleiteten König in die Verdammnis zu schicken?«
Darcon grub seine Klauen in das Gestein des Berges. Er richtete sich auf, zu einer stattlichen Größe, mit der er gewiss so manchem Lebewesen Respekt einflößte. Er spreizte seine Flügel, die im aufgehenden Mond silbern erschienen und nun in ein leichtes Rot getaucht wurden. Seine Brust schwoll an, feurig und heiß, sodass Cassius gezwungen war, einige Schritte zurückzuweichen. Dann schrie der Drache so laut und eindringlich, dass sein Ruf selbst Candiora erreichen musste. Er schrie, bis sich seine raue Stimme in die eines Mannes verwandelte und der Drache seine wahre Gestalt annahm. Nichts als ein lautes Ja hallte in Cassius’ Gedanken.
Ein Lächeln schlich sich auf seine Lippen. Mit Darcon an seiner Seite war er dazu in der Lage, alles zu erreichen. Eine Bestie mit einem menschlichen Herzen, gefangen in einem schuppigen Körper und seinen Gefühlen erlegen. Die Liebe zu Ewa würde Darcon zu einem treuen Ergebenen und ihrem Beschützer machen, der sie gewiss niemals hintergehen würde.
Schweißperlen überzogen Darcons Stirn. Seine Haare klebten feucht auf der Haut. Er wischte sie aus seinem Gesicht und starrte unnachgiebig an die Decke seines Zimmers. Holzbalken gaben der oberen Etage genügend Standhaftigkeit. Die Wände waren aus Naturgestein gefertigt, durchzogen von farbigen Adern verschiedener Metalle. Einige Stellen funkelten in demselben goldenen Ton wie seine Augen.
Nie hätte er diesen Umstand bemerkt, wäre nicht Ewa gewesen, die ihn daran zu erinnern pflegte. Wann immer sie ihn ansah, mit ihren grünen Iriden, den Sommersprossen, die auf ihrer Nase tanzten, und den Grübchen, die sich bei jedem Lächeln formten, rebellierte sein Herz wild in seiner Brust. Er liebte es, durch ihre blonden Locken zu fahren, den vertrauten Duft nach Jasmin und Lilien einzuatmen und ihre weiche Haut zu spüren. Jedes Mal dachte er an die Quelle zurück, in der sie sich so nah gekommen waren. Ausgerechnet sie hatte ihn zurückgedrängt und ihn aufgehalten, als er bereit gewesen war, für seine Liebe zu sterben.
Verdammt, Darcon konnte an nichts anderes denken als an Ewalyn. Sein Verlangen stieg ins Unermessliche. Er wollte sie lieben, doch sein Fluch fügte ihm für seine Begierde Schmerzen zu. Eine schreckliche Strafe, die ihm ein trostloses Leben versprach. Sich aber von Ewa fernzuhalten, kam der schlimmsten Folter gleich. Darum fiel Darcon die Entscheidung leicht, seine wenigen Stunden, die er als Mensch genoss, in Artella zu verbringen – an ihrer Seite.
Obwohl Darcon selten schlief, hatte ihm Cassius ein Bett zur Verfügung gestellt. Dabei war dieses Zimmer mehr Staubfänger als Aufenthaltsort. Sieben Tage war es her, dass er das letzte Mal auf den weichen Kissen geruht und über seine Zukunft gegrübelt hatte. Sieben Tage voller Ungewissheit und Sehnsucht nach Liebe und Zuneigung.
Jemand klopfte und Darcon richtete sich auf. »Herein.«
Die Tür öffnete sich. Ewa trat aus dem Schatten des Ganges. Das blonde Haar hatte sie zu einem Zopf geflochten, in welchem blaue Blüten steckten. Sie trug eine schneeweiße, kurze Bluse, sodass man einen winzigen Teil ihres sonnengebräunten Bauches sehen konnte. Ihre Beine steckten in engen schwarzen Hosen, die bis zu ihren Knöcheln reichten, wo weiße Stoffschuhe ihre Erscheinung abrundeten.
Mit einem zarten Lächeln auf den Lippen setzte sie sich neben Darcon und schmiegte sich verträumt an ihn. »Was wollen wir heute unternehmen? Einen Ausritt auf den Accyns? Verschiedene Speisen und deren Geschmäcker ergründen? Die Bibliothek unsicher machen?«
Darcon musterte sie schweigend, verfolgte, wie sich ihr Kiefer anspannte. Nervös zupfte sie eine Strähne aus ihrem Zopf und rieb diese zwischen ihren Fingern.
»Oder …« Sie schnappte nach Luft. »Wir gehen heute Abend zum Wasserfall. Du, ich und der Sternenhimmel. Keine Zeugen. Was hältst du davon?« Sie zwinkerte ihm zu. Versuchte sie, ihn zu verführen? Auf ihre naive, kindische und doch zuckersüße Art?
»Das ist vielleicht keine so gute Idee«, sagte er nachdenklich und stand auf. »Du weißt, dass ich mich nicht kontrollieren kann.«
»Ich werde uns beide schützen«, versicherte sie ihm euphorisch.
»Wir dürfen nicht …« Darcon raufte sich die Haare. »Wir können niemals unseren Gefühlen verfallen. Mein Kuss wird dich nie in meinen Armen versinken lassen und ich werde nie dazu in der Lage sein, mit dir …«
»… zu schlafen?« Ewa sprang auf und streckte ihre Hände nach Darcon aus. Sie wollte ihn an sich drücken, wie sie es immer tat, wenn sie sich wegen dieses Themas stritten.
Er wich vor ihr zurück. »Ewa, nicht!«
»Darcon. All diese Dinge sind mir zwar wichtig, aber nichts davon könnte mich mehr erfüllen, als einfach Zeit mit dir zu verbringen.« Sie lächelte ihre Sorgen fort.
»Das kannst du nicht ernst meinen.«
»Lass uns die Sterne beobachten. Selbst wenn du mich nicht lieben kannst, wärst du dennoch bei mir.« Sie fasste sich an ihre Brust, direkt an die Stelle über ihrem Herzen.
»Du hast ja keine Ahnung, Prinzessin.« Er seufzte. »Du sehnst dich nicht nach körperlicher Zuneigung? Lügnerin! Glaubst du, ich hätte nicht bemerkt, wie du auf mich in der Quelle reagiert hast? Dein Körper ist unter meinen Händen erbebt. Du hast dein Becken in meine Richtung geschoben. Das war eine klare Aufforderung. Dein Verlangen ist genauso unerschöpflich wie das meine.«
»Darcon …«
»Vielleicht denkst du, darauf verzichten zu können, weil du diese Gefühle noch nie zuvor so intensiv spüren konntest.« Er grinste, als in ihm sündige Gedanken aufstiegen, die er mit Ewa zu gern in die Tat umgesetzt hätte. Er erkannte die feinen Züge ihres Gesichtes, den erstaunten Ausdruck, der in ihren Augen lag. Ihre Überraschung wich kurzerhand Neugierde, sodass sie versonnen auf ihrer Unterlippe kaute und ihn musterte. Sowie er bemerkte, welche Wirkung sein Verhalten auf Ewa hatte, zuckten seine Mundwinkel nach unten. Er wollte ihr keinen Anlass bieten, ihm erneut zu verfallen, denn er kannte sie gut genug. Sie hasste und liebte seine abweisende Art gleichermaßen.
»Du bist also ein Meister in Sachen Sex?«, hakte sie nach und hob eine Augenbraue.
»Ewa, du hast mir meine Erinnerungen zurückgegeben, schon vergessen? Demnach, ja, ich verfüge über genügend Erfahrungen, um zu wissen, wie man eine Frau zum …«
»Darcon!« Pans Stimme, die durch den Gang hallte, traf ihn wie eine Ohrfeige.
»Ich meine ja nur …«, flüsterte er. Himmel. Vor ihm stand Ewa, die Blüte reiner Unschuld. Ihr zu erzählen, dass er in seinem Leben schon mehrere Frauen verführt hatte, würde ihrer Beziehung ungemein helfen. Pan hatte ihn zum Glück vor diesem Fehler bewahrt. Doch nur weil er es nicht ausgesprochen hatte, bedeutete das nicht, dass Ewa ihn nicht verstanden hatte.
Mit hängenden Schultern beobachtete sie jede seiner Regungen. Ihr Atem ging schnell und unregelmäßig, ganz so, als hätte sie für einen Augenblick die Luft angehalten. Sie verschränkte die Arme vor der Brust. Eine gewisse Röte überzog ihre Wangen.
»Ich hoffe, ich störe nicht«, sagte Pan in die peinliche Stille hinein, kaum dass er den Raum betreten hatte. Wie immer war er in ein lockeres Hemd gehüllt, dessen graue Farbe perfekt zu seinen Augen passte. Das silbrige Haar hing ihm wirr in die Stirn. An seiner rechten Gesichtshälfte waren verblassende Streifen zu erkennen. Anscheinend hatte er den Start in den Tag verschlafen.
»Jetzt sag mir nicht, du hast die Bibliothek wieder nach einem Heilmittel durchforstet?«, fragte Darcon.
Pan ließ seine Hände in die Hosentaschen gleiten. »Vielleicht.«
»Verdammter Gott. Das ist keine Krankheit, sondern ein Fluch.« Darcon rollte genervt mit den Augen. »Wann lernst du es endlich?«
»Was ist denn falsch daran, dass er nicht aufgibt? Du bist ihm wichtig«, rechtfertigte Ewa Pans vergebliche Suche.
»Er sollte sich lieber auf bedeutendere Dinge konzentrieren. Shiva zum Beispiel, die vor knapp zwei Wochen zusammen mit Thor Artella verlassen hat. Sie wollen doch tatsächlich das Schicksal aufspüren und nach Thors toter Schwester suchen. Willst du sie etwa nicht vor einer Dummheit bewahren?«
»Ich billige ihr Verhalten nicht und möchte nichts damit zu tun haben.«
»Fein. Und ich habe etwas gegen deine Zuversicht. Du machst Ewa falsche Hoffnungen.«
»Tue ich das?« Pan schien sich keiner Schuld bewusst.
Darcon nickte. »Ihr solltet endlich aufhören, irgendwelchen Träumen nachzujagen. Einige Menschen kann man nicht retten.«
Ewa gesellte sich zu ihm und streifte vorsichtig seine Seite. Ihre Berührung war kurz. Er roch ihren Duft nach Lilien und leckte sich unabsichtlich über die Lippen. Sie brachte ihn um den Verstand.
Ewa lehnte sich an ihn. »Gut, dass du kein Mensch bist und diese Tatsache somit unmöglich auf dich zutreffen kann.«
Ihre Worte benebelten seine Sinne, machten ihn sprachlos. Woher nahm diese Frau nur die Kraft, an ihren Vorstellungen festzuhalten?
Ewa rückte von ihm ab und trat an Pan heran. Sie hakte sich bei ihm unter und wurde von dem Gott aus Darcons Zimmer geleitet. Ihm blieben nur wenige Stunden, und doch hatte er bereits zu viel Zeit damit verschwendet, Ewa von sich zu stoßen. Er sehnte sich nach ihrem Atem auf seiner Haut, wollte durch ihr Haar fahren, sie küssen. Nichts davon konnte er umsetzen, ohne Schmerzen in Kauf zu nehmen. Doch Darcon war stets bereit, alles für diese Minuten zu riskieren. Seit er sich mit Cassius getroffen hatte, wusste er allerdings, was Ewa erdulden müsste, sollte sie ihn je leiden oder gar sterben sehen.
»Du wirst sie in den Tod reißen«, flüsterte eine Stimme in seinem Kopf. Darcon zuckte zusammen.Er beobachtete, wie Ewa und Pan im Gang verschwanden, und schloss hastig die Tür, um allein zu sein. Sein Herz raste vor Aufregung. Er konnte deutlich spüren, wie das Blut durch seine Adern schoss. Die Bestie in ihm schrie verzweifelt und forderte seine Verwandlung. Es waren diese Stimmen, die ihn seit Wochen verfolgten, ihm den Schlaf raubten, sobald er erschöpft genug war, um sich danach zu sehnen. Das Wispern seiner Feinde hallte in seinen Ohren wider und immer prophezeiten sie ihm Ewas Tod.
Darcon lehnte sich mit dem Rücken an die Tür. Er rutschte daran hinab und massierte seine Schläfen. »Das ist nicht echt«, sagte er zu sich selbst. Je verzweifelter er versuchte, das Flüstern zu verdrängen, desto lauter und eindringlicher wurde es.
»Versuche, dich zu erinnern, Soldat. Was war deine Aufgabe, bevor du zur Bestie wurdest?«Darcon ließ seinen Kopf gegen das Holz der Tür sinken. Es war angenehm kühl und ein guter Kontrast zu der Hitze, die sich in seinem Körper anstaute. »Das ist nicht real!«
»Deine Sünden holen dich ein. Erinnere dich! Erkenne, wer du wirklich bist!«
Darcon schlang seine Arme um die Knie und wiegte sich im Takt seines Herzens. Er schloss die Lider, presste sie so fest zusammen, dass seine Augen schmerzten. Seine Lippen bebten und formten das Wispern der Worte, die er in seinen Gedanken vernahm.
»Erinnere dich, Soldat!«
»Aufhören!«, schrie er und presste die Hände auf seine Ohren. »Hör endlich auf! Ich ertrage das nicht länger!«
»Dann tu, was ich dir befehle …«
»Nein!« Darcon löste sich von der Tür, erhob sich und schlug direkt daneben auf die Steinwände ein. Schmerz explodierte in seinen Fingerknöcheln und kroch seine Arme hinauf.
Mit einem Ruck schwang die Tür auf.
»Darcon! Um Himmels willen, was tust du da?« Entsetzen machte sich auf Pans Gesichtszügen breit, als er Darcon von der Wand wegriss und aufs Bett schubste. Er tat dies mit gerade genug Nachdruck, um Darcon zu helfen, ihn aber nicht zu verletzen. »Was ist nur in dich gefahren?« Pan betrachtete die blutigen Fäuste und schüttelte seinen Kopf.
»Wolltest du nicht Ewa beistehen?« Darcon wischte sich eine Haarsträhne aus der Stirn. Er spürte, dass er durch diese einfache Bewegung etwas von seinem Blut auf der Haut verteilt hatte. Darcon wollte gar nicht wissen, was Pan im Augenblick dachte. Vielmehr war er dankbar, dass der Gott zurückgekommen war und die Stimmen durch seine Anwesenheit vertrieben hatte.
»Ich habe dich schreien gehört. Meine Gaben sind nicht mehr so vollkommen wie früher, dennoch sind meine Sinne geschärft. Ich habe Ewa vorausgeschickt, damit sie dich nicht in diesem Zustand sieht.«
»In was für einem Zustand?«
»Hast du etwa keinen Spiegel?« Pan stemmte seine Hände in die Seiten. »Sprich mit mir. Ich kann dir helfen.«
Darcon seufzte. »Niemand kann das.« Er wollte sich aufrichten, doch Pan hinderte ihn daran.
»Du wirst mir nicht wieder ausweichen. Das ist schon der dritte Anfall in den letzten zwei Wochen. Wie lange noch, bis du nicht mehr nur auf eine Wand, sondern auf Ewa einschlägst?«
»Du wirst sie in den Tod reißen!«
Die Worte hallten in seinen Gedanken wider und Darcon biss vor Wut über seine Schwäche die Zähne zusammen. »Das wird nie passieren«, presste er hervor.
»Was macht dich so sicher?«
»In ihrer Gegenwart kann ich mich kontrollieren.« Darcon umklammerte einen Zipfel von Pans Hemd und zog sich daran hinauf. Er war ein wenig wackelig auf den Beinen, lockerte aber trotzdem seinen Griff. Es gab keine Ausflüchte mehr, er musste endlich einsehen, dass er Probleme hatte, die er unmöglich allein bewältigen konnte.
»Darcon, so habe ich es nicht gemeint. Lass mich dir einfach helfen, um deinetwillen und für Ewa.«
Darcon taumelte auf die Tür zu, schloss sie und lehnte sich keuchend dagegen. Sein Körper rebellierte. Wie lange konnte er die Bestie noch bändigen? Hatte Pan womöglich recht?
»Mein Leben war nie einfach, wieso sollte sich das ausgerechnet jetzt ändern?« Er zwang sich zu einem arroganten und selbstsicheren Lächeln. Das rächte sich bereits im nächsten Moment, als eine Welle des Schmerzes durch seine Gliedmaßen jagte. Bevor er überhaupt begreifen konnte, was mit ihm geschah, sank er auf seine Knie. Sämtliche Kontrolle ging binnen Sekunden verloren. Schuppen brannten sich auf seiner Haut wie feurige Tattoos ein. Ein Rauschen vereinnahmte seine Ohren. Nur schwach konnte er vernehmen, wie Pan seinen Namen rief. Der Gott stürzte auf ihn zu, rüttelte an ihm, konnte aber nicht verhindern, dass Darcon von vollkommener Schwärze verschlungen wurde. Ein letztes Mal sah er auf, betrachtete seinen Freund, der ihm treu ergeben war.
Darcon hörte, wie sein Herz verstummte. Das Knacken des Diamanten ließ ihn erstarren. Sein Blick wurde leer. Die Tränen raubten ihm die Sicht. Dann wurde er zu einem Gefangenen seiner Erinnerungen, vor denen er sich mehr fürchtete als vor seiner Zukunft.
Ascheflocken rieselten wie Schnee auf Kane herab. Sie blieben in seinen Wimpern hängen, klebten auf seiner Haut. Er wischte sich den Schmutz von der schweißnassen Stirn, spürte die durchdringende Hitze und griff beherzt an seinem Gürtel nach der Wasserflasche, obgleich er wusste, dass er darin keinen einzigen Tropfen der Erfrischung finden würde. Sein Hals brannte vor Trockenheit. Seine Atmung war flach und schnell, seine Haut schien überzogen von einer einnehmenden Kälte. Unruhe breitete sich in ihm aus. Er wurde das Gefühl nicht los, dass er etwas vergessen hatte. Ein Erlebnis, so schrecklich, dass sein Unterbewusstsein alles tat, um es zu verdrängen, weshalb er für einen Moment orientierungslos die Gegend musterte.
Er blinzelte gegen die Flammen, die bis in den Himmel schlugen und diesen Ort in ein Schlachtfeld verwandelten. Der Anblick des brennenden Hauses ließ seinen Magen rumoren. Seine Kameraden hatten offensichtlich das Heim einer Familie zerstört, ihr alles genommen.
Kane konnte nicht fassen, was geschehen war. Er wollte eingreifen, versuchen, das Feuer zu ersticken, doch sowie er sich bewegte, spürte er das Gewicht einer Person, die auf seinen Oberschenkeln lag. Verwundert sah er hinab, unfähig zu begreifen, was er da erblickte. Seine Kameraden bejubelten ihn und nun kannte er den Grund. Eine sterbende Schönheit schmiegte sich schwer an seine Brust und tat ihre letzten Atemzüge. Das blonde, kurze Haar war blutgetränkt. Sie hatte eine gewiss tödliche Kopfwunde erlitten, die jedoch nicht von ihren anderen Blessuren ablenken konnte. Die hellen Brauen formten eine sanfte Miene. Stöhnend öffnete sie ihre Lider und blickte ihn an. Ihre feurigen Iriden ließen erahnen, dass sie kein Mensch war, trotz allem schien sie sterblicher Natur. Und offenbar wollte sie diese Welt nicht kampflos verlassen. Ihre Glieder zitterten vor Aufregung.
Kane hob sie in seine Arme und legte sie ein Stück entfernt auf einer moosigen Stelle ab. Um sie herum befand sich nur der Schotter des Berges, umrundet von einem kleinen Wäldchen, das wenig Schutz bot.
Er fuhr an ihrer Seite entlang, drückte seine Hände auf ihre Bauchwunde. Blut floss über seine Finger. Ihr schmaler Körper war in mehrere Stofflagen gehüllt, sodass er den Schweregrad ihrer Verletzung lediglich erahnen konnte. Langsam verfiel Kane in Panik, denn er spürte, wie der Frau das Leben entwich. »Tut etwas! Sie stirbt!«, schrie er verzweifelt.
Seine Kameraden musterten ihn eindringlich. »Du hast sie selbst niedergestreckt, Kane.«
»Ich würde so etwas nie tun.« Er zögerte. »Das würde ich doch nicht, oder?«
Die zarten Lippen der Schönheit formten einige stumme Worte. Er verstand nicht, was sie ihm sagen wollte. Selbst als er sein rechtes Ohr über ihr Gesicht hielt, in der Hoffnung, ihren letzten Wunsch zu erfahren, half das nicht.
»Bitte, befreie mich von dieser Bürde. Sag mir, dass meine Klinge deinen Leib nicht durchstoßen hat«, flehte er.
Die blonde Frau hob ihre blutbenetzten Finger an seine Wange. Ein Lächeln schlich sich auf ihren Mund. Schwach, aber dennoch deutlich sichtbar. Wollte sie ihn erlösen oder verdammen?
»Es tut mir so leid«, japste er, den Tränen nah. Nie zuvor hatte Kane ein Leben genommen und nun lag eine Frau sterbend in seinen Armen. Gab es eine schlimmere Folter? Einen grausameren Fluch?
Die Hand der Frau sank in Zeitlupe hinab. Ihr Lächeln verblasste. Sie strahlte weiterhin Wärme aus, aber das Leben hatte ihren Körper verlassen.
Kane wischte sich die Tränen aus den Augen. Er drückte die Frau an seine Brust, wimmerte, schrie. Eine unfassbare Tat, ausgeführt von seinen Händen. Wie gerne hätte er sich selbst in die Klinge seines Schwertes gestürzt, um ihr zu folgen und ihr die trostlose Einsamkeit im Jenseits zu ersparen.
Das Brabbeln eines Kindes holte ihn aus seinen Gedanken. Kane musterte die Frau, betrachtete ihre blutige Kleidung. Unter all den Stoffen bewegte sich etwas. Kane schlug vorsichtig einen Zipfel ihres Mantels um. An der Brust der Frau befand sich ein Bündel, welches er der Toten sanft entriss. Er öffnete es und entblößte ein Neugeborenes, das sich verschlafen die Augen rieb. Die Pausbacken waren gerötet. Es hustete, anscheinend hatte es zu viel Rauch eingeatmet.
Auch wenn es gut verborgen gewesen war, konnte Kane nicht fassen, dass er das winzige Wesen erst jetzt entdeckte. Er wollte das Kind abschirmen, es an sich nehmen und zumindest eine Seele an diesem Tag vor dem Tod bewahren. Doch seine Kameraden lechzten nach Blut. Sie richteten ihre Schwerter auf das Baby, grinsten verachtend und verlangten ein schreckliches Ende.
»Das könnt ihr nicht von mir fordern. Es ist nur ein Kind!«
»Das Kleine wird Rache üben, wenn du es nicht tötest«, sprach einer seiner Kameraden und kam näher.
Instinktiv zog Kane sein Schwert und hielt die silbrige Klinge in die Höhe. Blut lief daran hinab, klebrig und dunkel. Er betrachtete es fassungslos. Fast wäre ihm die Waffe wieder entglitten.
Für einen Moment kamen Zweifel in ihm auf, dann akzeptierte er sein Schicksal. Er hatte die Frau getötet. Im Blutrausch war er seinen Kameraden gefolgt, in die schutzlose Schönheit hineingelaufen und hatte seine Klinge in ihr Fleisch gestoßen. Eine schändliche Tat, die er sich niemals verzeihen würde. Nun wollte Kane zumindest das Kind schützen, wollte sein Unrecht wiedergutmachen.
Er lehnte sich über die Frau, mit dem Schwert in seiner Hand. Jederzeit bereit, seine Kameraden zu bezwingen.
»Myra!«, schrie ein Mann in einiger Ferne.
Kane riss seinen Kopf zur Seite. Dort stand Cassius, der Geliebte der Frau. Es war das Leben seines Kindes, das in Kanes Händen lag. Nur kurz fragte er sich, was Cassius mit ihm anstellen würde.
Er beobachtete, wie der Magier seine Kameraden wegfegte, als wären sie lediglich Spielfiguren und keine richtigen Gegner. Wut kroch seine Glieder empor. Er hasste sich selbst, verachtete seine Treue seinem König gegenüber. Er nahm die Klinge in seine Hände, drückte unerbittlich zu, sodass sein Blut aus ihnen herausquoll. Der Schmerz benebelte seine Sinne und beruhigte sein rasendes Herz. Wie viele Minuten seines Lebens würden ihm noch bleiben, nun da er Cassius hilflos ausgeliefert war?
Kane wollte sterben. Es gab keinen anderen Weg. Er hatte seinen Frieden geschlossen. Das Letzte, was er auf ewig in seinen Erinnerungen behielt, war die Sinnlichkeit der Frau, deren schuldzuweisendes Wispern nie seine Ohren erreicht hatte.
Darcon erwachte zusammengekauert auf dem Boden. Pan beugte sich über ihn. Das silbrige Haar hing schweißnass in seine Stirn. Seine Lippen bebten. Der Gott machte sich eindeutig Sorgen.
Darcon richtete sich auf und lehnte sich gegen die Tür. Sein Atem war flach. Ausgerechnet vor Pan hatte er seine Schwäche offenbart.
»Was ist mit dir passiert?« Pan zog an Darcons Händen und drehte deren Innenflächen zu sich. Hastig drückte er einen Stofffetzen auf die frische Wunde, deren Schmerz Darcon kaum spürte. »Die Schnitte sind einfach aufgetaucht. Wie ist so etwas nur möglich?«
Darcon stöhnte auf. Die Erinnerungen verblassten, trotz allem wusste er, woher seine Wunden stammten. »Das Schwert. Ich habe sie mir mit meiner eigenen Klinge zugefügt.«
»Wann?«
Darcon zögerte. Er bedeckte auch die zweite Verletzung und unterdrückte ein Keuchen. »Vor mehr als 700 Jahren. Als ich Ewas Mutter kaltblütig ermordet habe.«
Thor hatte es sieben Tage gekostet, die Grenze nach Candiora zu überqueren und sich bis zum Wald von Dunna vorzuarbeiten. Das Hitani und Shiva verweilten treu an seiner Seite, leisteten ihm in trostlosen Momenten gute Gesellschaft. Doch auch sie vermochten nicht den Schmerz der Schuld zu verdrängen, der sich in ihm ausbreitete wie ein Gift. Thor musste sich davon überzeugen, dass trotz Magie der Tod eines Menschen nicht überwunden werden konnte. Allein die Vorstellung, dass seine geliebte Schwester Narzia irgendwo da draußen existierte, atmete, auf ihn wartete, brachte ihn beinah um den Verstand. Er musste die Wahrheit herausfinden. Selbst wenn er wusste, dass sie sich seit dem Überqueren der Grenze von Candiora auf der Flucht vor ihren Feinden befanden. Sie waren gezwungen, sich vor den Kriegern des Königs zu verstecken. Dabei trieb ihn sein Herz, sein eiserner Wille, möglicherweise genau in ihre Hände.
Thor lugte hinter den verkohlten Trümmern des einstigen Vorortes von Illinius hervor. In Tussoriv war er geboren worden. Hier hatte er wundervolle Stunden mit seiner Familie verbracht, Erinnerungen geteilt, Liebe erfahren. Der König und dessen treueste Untertanen hatten ihm nicht nur die Eltern und Narzia, sondern auch sein früheres Zuhause genommen. Seine Nachbarn waren verkohlte Knochen, Überreste aus einer schrecklichen Zeit. Sie führten ihm vor Augen, dass sein Verrat ihn alles gekostet hatte. Wäre er damals nicht aufgebrochen, um seiner Familie Wohlstand zu bringen und Prinzessin Ewalyn für sich zu gewinnen, könnten all diese Menschen noch leben. Er war blind gewesen für die Liebe und zu stolz, um zu akzeptieren, dass er dieser Herausforderung keinesfalls gewachsen war. Seine Hingabe für eine Frau schien sein Ende gewesen zu sein. Wie gerne hätte er die Menschen begraben, ihnen eine Ruhestätte geliefert, die ihrer würdig war. Aber die Soldaten lauerten an jeder Ecke und machten ein Begräbnis unmöglich.
Hin und wieder fuhr der Wind sanft an den verbrannten Mauern vorbei, wirbelte Asche auf und benetzte Thors Haut damit. Der bittere Geschmack der Reue breitete sich in seinem Mund aus. Er nahm all seinen Mut zusammen und lehnte sich vor. Schatten huschten zwischen den steinernen Mauern umher, wirkten wie furchterregende Feinde, dabei waren sie lediglich Trugbilder seiner Fantasie.
Zierliche Finger umklammerten sein Handgelenk und hielten ihn zurück. Es überraschte ihn wenig, dass seine Begleiterin Einspruch erhob.
»Was hast du vor?« Shivas Lippen bebten. Ihr Blick glitt in die Ferne, um einen eventuellen Hinterhalt vorherzusehen.
»Ich werde zum Grab meiner Schwester gehen, um endlich Gewissheit zu erlangen.«
»Das ist Irrsinn.« Sie seufzte. »Kannst du nicht wenigstens warten, bis meine Winde die Gegend überprüft haben?« Sie zog ihn sanft in die Hocke zurück. Thor spürte ihre innige Berührung, woraufhin seine Kette mit dem dunkelblauen Azurit zu leuchten begann. Das Hitani kuschelte sich verängstigt an ihn. Spürte es dasselbe Unwohlsein wie er? Der Tod herrschte über diesen Ort und ein jeder von ihnen vermochte seine Präsenz zu fühlen.
»Na schön, aber beeil dich«, forderte er von Shiva.
Sie nickte, senkte ihre Lider und konzentrierte sich. Thor dagegen hob das Hitani in seine Arme und fuhr sanft über dessen Rücken. Das sandfarbene Fell erschien ihm stumpfer als sonst. Das Tier war durstig, was ihn wenig überraschte, da es in dieser trostlosen Einöde kaum Wasser zu finden gab.
»Unsere Wasserreserven sind erschöpft, aber ich habe etwas anderes für dich«, versprach Thor und griff in seine Jackentasche. Er fischte die letzten beigen Beeren heraus, die er seit Dahana bei sich trug. Sie waren leicht verschrumpelt und hatten ebenfalls an Flüssigkeit verloren, trotz allem würde deren Süße dem Hitani Kraft spenden. Vorsichtig bot er die Beeren auf seiner flachen Hand an. Das Hitani neigte seinen Kopf, schien unentschlossen, ob es in den Genuss der Leckereien kommen durfte. »Nur zu, meine Kleine, iss.«
Er hatte vor knapp einer Woche festgestellt, dass es sich um ein weibliches Hitani handelte, und sie in sein Herz geschlossen. Sie war ihm nicht eine Sekunde von der Seite gewichen. Nun zögerte sie, doch der Hunger gewann schließlich. Hastig schlang sie die Beeren hinunter. Das Funkeln in ihren dunklen Augen sprach Bände. Sorgfältig leckte sie über seine Haut.
»Kono«, wisperte Thor.
Shiva öffnete ihre Augen. »Kono? Was soll das bedeuten?« Wachsam hielt sie nach einem Feind Ausschau.
»Damit ist kein Soldat gemeint«, sagte Thor und lächelte. Er drückte das Hitani fest an sich. »Die Konobeeren haben denselben sandigen Farbton wie das Fell der Kleinen. Demnach wäre Kono der perfekte Name für sie.«
Shiva hob eine Augenbraue und sah Thor an. »Meinst du das ernst?« Sie atmete tief ein. »Während ich versuche, Feinde auszumachen, denkst du über Namen für die süße Maus nach?« Sie wischte sich etwas Schweiß von der Stirn. »Versteh mich nicht falsch, Kono klingt absolut perfekt, aber ich habe gerade einfach nicht die Zeit dafür.«
Eine sanfte Brise schlich sich an Shiva heran. Thor vermochte den aufgewirbelten Staub zu erkennen und deutete in jene Richtung. Shiva drehte sich um, nahm ihren Wind in Empfang. Er drang in sie ein, verteilte sich in ihrem Körper.
»Sieht so aus, als könnten wir uns ein paar Minuten Ruhe gönnen.« Sie wandte sich abermals um und ein mildes Lächeln schob sich auf ihre Lippen. »Keine Feinde in Sicht. Wir sind allein, wenn man die Toten, die uns umgeben, nicht mitrechnet.«
Thor schob Kono von seinem Schoß. Er runzelte die Stirn, vergewisserte sich, dass sich Shiva nicht irrte, und rannte los. Seine Füße führten ihn zu dem notdürftig angelegten Grab, das ungepflegt vor ihm lag. Da in Candiora keine Pflanzen existierten, war es zumindest nicht zugewachsen und lediglich von Asche und Sand bedeckt. Er schnappte sich einen spitzen Stein von der zerstörten Grundmauer seines einstigen Hauses und begann, die feste Erde zu spalten. Sie war trocken und hart wie Beton.
»Thor, ich kann dir helfen«, bot Shiva an.
Thor ignorierte sie. Er wischte sich den Schweiß von der Stirn, fixierte das Grab und arbeitete sich voran. Es kostete ihn eine gefühlte Ewigkeit und eisernen Willen, der körperlichen Anstrengung standzuhalten. Ein Stechen jagte durch seine Fingerkuppen, ließ ihn aber nicht innehalten. Er spürte sein warmes Blut, das seine Haut benetzte. Shiva schlang ihre Arme um seine Hüften, versuchte, ihn vom Grab seiner Schwester wegzuzerren. Doch Thor grub wie ein Besessener, bis der Drang nach Antworten endete.
»Sie muss hier sein«, flüsterte er außer Atem. Er fegte die Erde hinfort, starrte in das dunkle, leere Loch. Keine Knochen, kein verwesender Leib. Keine verkohlten Gliedmaßen. Nichts. Narzia war verschwunden. Seine eigene Schwester spielte mit seinem Verstand. Oder war es vielmehr die Göttin? Versuchte ihm Shiva Hoffnung zu schenken, obwohl es keine gab?
Thor richtete sich auf, wirbelte herum und packte Shiva an den Schultern. Er schüttelte sie. Tränen brannten in seinen Augen. »Was hat das zu bedeuten?«
Shiva warf einen Blick auf das Grab und senkte ihre Lider. Ihr Atem verlangsamte sich. Dann sah sie Thor eindringlich an. »Thor, es kann viele Gründe dafür geben. Die Soldaten könnten im Auftrag des Königs das Grab deiner Schwester geschändet haben. Vielleicht ist es aber auch nicht die richtige Stelle. Möglicherweise …«
»Stopp! Hör auf, mir diese Behauptungen als Wahrheiten zu verkaufen. Sie sind nichts als Lügen. Ich verlange von dir eine aufrichtige Antwort. Du wolltest mich schließlich begleiten, um zu erfahren, was mit Narzia geschehen ist und wieso ich sie bei unserer Beinahe-Hinrichtung wahrgenommen habe.« Er keuchte, schnappte nach Luft. Seine Muskeln spannten sich an. Wut stieg in ihm auf, pumpte Adrenalin durch seinen Körper.
»Augenblick …« Shiva überlegte angestrengt. »War da nicht eine Klinge?«
Thor zögerte. »Was für eine Klinge?«
»Erinnerst du dich nicht? Du hast einen Teil deines zerbrochenen Schwertes auf ihr Grab gelegt.« Shiva befreite sich aus seinem Griff, fiel vor dem Loch auf die Knie und wühlte in der aufgeschütteten Erde.
»Wieso sollte das von Belang sein?«
Als sie nichts zwischen Erde und Asche finden konnte, stand sie auf und drehte sich zu Thor. »Weil die Klinge verschwunden ist und mit ihr das Blut des Drachen.« Sie zog Thor zu sich, hielt sich an seiner Jacke fest und grub ihre Nägel in den Stoff. »Wir haben eine Leiche zurückgelassen mit dem mächtigsten verfluchten Blut dieser Welt. Verstehst du es nicht? Deine Hoffnungen könnten sich bewahrheiten. Vielleicht ist es tatsächlich möglich, dass Narzia lebt.«
»Wie?« Thor war wie gelähmt. Zwar hatte er sich nichts sehnlicher gewünscht, als seine Schwester ein letztes Mal in die Arme schließen zu können, andererseits kam er nicht umhin, an einem solchen Wunder zu zweifeln.
Shiva brachte etwas Abstand zwischen sich und Thor. Sie runzelte die Stirn und begann zu lachen. Es war ein bitteres Lachen, vermischt mit Ehrfurcht und Verzweiflung.
»Hast du nun auch deinen Verstand verloren?« Thor näherte sich ihr, wischte ihr Tränen von den Wangen. Ihre Haut war weich und kalt, als wäre sie aus Marmor.
»Keineswegs, ich habe ihn gefunden – für uns beide. Narzia kann nur überlebt haben, wenn sie vom Blut des Drachen gekostet und das Geschenk des Kriegers angenommen hat.« Sie führte seine Hände zu ihrem Herzen, bettete sie auf den Stoff ihres Kleides. Er spürte das wilde Pochen, dem sich sein eigener Herzschlag anpasste. »Der Krieger, der sie zu erwecken vermochte, ist ihr ehrwürdiger Diener.«
»Ihr Diener? Ich verstehe nicht …«
»Erinnerst du dich an die Geschichte von dem Krieger, der nur aus einem Grund zwischen den Ländern wandeln kann? Um seine Liebste zu schützen. Ein Mann, gebunden durch Gefühle wie Zuneigung und Vertrauen. Diese Liebe muss keiner sexuellen Natur sein, sondern wie in diesem Fall kann sie auch familiären Banden entspringen.« Shiva atmete tief ein. »Narzia ist das Geschöpf, nach dem ich seit Jahrtausenden suche. Nur sie kann das Schicksal sein.«
Ewa hatte das Backsteinhaus in der Silbergasse verlassen, um den blauen Himmel zu bewundern. Mal abgesehen von den Wolken, aus welchen leibhaftige Wasserfälle hervorbrachen, gab es kein Anzeichen für schlechtes Wetter.
Die Wolken und ihr wunderliches Erscheinungsbild zeichneten Artella aus, machten diese Stadt zu etwas Besonderem. Ewa liebte das blaue Leuchten bei Nacht und die Mythen, die man sich über die Entstehung dieses Naturschauspiels erzählte.
Kurz träumte sie sich hinfort, unter eine dieser Wolken, zusammen mit Darcon. Sie wünschte sich einen solchen Moment, der nur ihnen gehörte. Wie kostbar so ein Augenblick sein würde! Leider hatte das Schicksal dafür gesorgt, dass ein inniges Treffen zwischen Darcon und ihr unmöglich war. Ewas Herz schmerzte bei der Vorstellung, dass sie ihrer Liebe niemals nachgeben durfte. Darcon machte es ihr aber auch nicht einfach. Manchmal war er abweisend, manchmal sogar gemein und streitlustig. Es steckte zwar in seiner Natur, dennoch hatte sie ihn anders kennengelernt, und sie sehnte sich nach dem alten Darcon, der ihr hin und wieder dieses verträumte und zuckersüße Lächeln geschenkt hatte.
Ewa ließ sich auf den Treppenstufen der Veranda nieder und verfolgte das Treiben der Wesen. Ein jedes Geschöpf wirkte von Weitem so menschlich wie Ewa selbst, erst beim näheren Hinsehen erkannte man die feinen Unterschiede. Seien es winzige Hörner, die zwischen dem roten Haar leuchteten. Oder Wesen, die ihre Emotionen nicht verborgen hielten, sondern in sonderbaren Wettererscheinungen mit ihren Nachbarn teilten. Ewa vermochte Tierschwänze zu erkennen, die unter Kleidern hervorragten, Ohren überzogen mit Pelz und Zähne so spitz wie die eines Drachen. Dann gab es noch Kreaturen, welche die Elemente mit solch einer Leichtigkeit beherrschten, dass Ewa ihren Übungen voller Begeisterung beiwohnte.
In einiger Ferne waren die Rufe eines Marktschreiers zu hören, dessen klare Stimme durch ganz Artella zu hallen schien. Ewa leckte sich unabsichtlich über die Lippen. Ihr Magen rumorte, er verlangte nach einer Köstlichkeit, von der es hier weit mehr gab als in ihrem früheren Zuhause.
Sie fischte sich eine blaue Blüte aus ihrem Haar, die sie am Morgen mit viel Mühe zwischen ihre Strähnen gesteckt hatte. Ewa verband mit diesen zierlichen Pflanzen Erinnerungen an ihre Vergangenheit. In Candiora hatte sie getrocknete Pflanzen studiert, sich über jede noch so winzige Gabe von Arkady gefreut und selbst die Seifen, Badeöle und Düfte im königlichen Schloss voller Neugierde bewundert. Es war ihre Mutter gewesen, die sie diese Detailliebe gelehrt hatte. Jene Frau, die für Ewa in den Flammen gestorben war. Die ihre letzten Atemzüge neben ihr verschwendet hatte, um Ewa ihre mütterliche Liebe zu gestehen.
Der Schock saß in Ewas Gliedern und es gab keinen Tag, an dem sie nicht an das herzliche Lächeln der Königin und ihre unendliche Güte erinnert wurde. Ihre Mutter war so anders als der König gewesen, hätte so viel für ihr Volk tun können. Jetzt, da sie tot war, kam es Ewa so vor, als würde ein Teil von ihr fehlen.
Ewa legte die blaue Blüte auf ihre Handfläche und ließ sie von der nächsten Windböe davontragen. »Möge dich der Wind in der Unendlichkeit finden und dir meine Botschaft überbringen: Ich vermisse dich.« Sie hauchte die Worte mit einem Zittern in der Stimme und unterdrückte ihre aufsteigenden Tränen. Heute gab es keinen Grund zum Weinen. Jeder Tag war ein Schritt in ihr neues Leben und ein solches begann man nicht mit schmerzhaften Erinnerungen, sondern mit einem Lächeln.
Ein Summen erfüllte ihre Ohren. Erst leise und kaum hörbar, dann immer lauter, bis sich eine klare Melodie herauskristallisierte. Ewa sah ein kleines Mädchen mit pechschwarzem Haar, eingehüllt in ein schneeweißes Kleid. Es tanzte im schimmernden Regen, der von den Wolken auf die Erde sank. Die Silbergasse trug nicht ohne Grund einen so sonderbaren Namen, denn selbst bei Tag war der silbrige Regen deutlich zu erkennen.
Die Kleine streckte ihre Hände danach aus, fing die Tropfen mit ihren Fingern und der Zunge und sprang in jede Pfütze, die auf ihrem Weg lag. So sah pures Glück aus. Diese Zufriedenheit wünschte sich Ewa für jedes Geschöpf. Ob Mensch oder Wesen, keiner hatte Geringeres verdient.
Ewa richtete sich auf, zog ihre Schuhe aus und trat ebenfalls in den Regen. Sie spürte die kühle Erfrischung auf ihrer Haut und schloss für einen Moment ihre Lider. Es roch nach Honigkuchen und Zimtschnecken, nach Kräuterbrot und geräuchertem Fisch. Sie atmete tief ein und bewegte sich zu einer lautlosen Melodie. Dann öffnete sie wieder ihre Augen. Das Mädchen hielt neben ihr inne und warf Ewa einen erfreuten Blick zu. Ihre grünen Iriden erinnerten Ewa an eine junge Katze. Sie konnte nicht mit Gewissheit sagen, welches Geschöpf sich hinter der kindlichen Miene verborgen hielt, trotz allem wusste sie, dass das Mädchen kein Mensch war. Ihre Gestalt war umgeben von einem schimmernden Moosgrün. So etwas hatte Ewa nie zuvor gesehen. Konnte es sich dabei um ihre Aura handeln?
Sie streckte der Kleinen eine Hand entgegen und das Mädchen akzeptierte zögerlich Ewas Angebot. Gemeinsam tanzten sie durch den Regen. Es war ein Augenblick voller Freude. Ewas Magen kribbelte wie bei ihrem ersten Ausritt mit einem Accyn. Sie wünschte sich diese Unbeschwertheit eines Kindes zurück. Ein Leben ohne Sorgen und Probleme.
Das Mädchen löste sich mit einem Lächeln von ihr. Es winkte Ewa hinter sich her, kicherte und führte sie fort von der Silbergasse. Ewa folgte der Kleinen, wollte ihren Streit mit Darcon vergessen. Gemeinsam schritten sie an den ersten Marktständen vorbei und landeten auf einem belebten Platz. Kinder spielten auf den Straßen. Familien kauften frische Lebensmittel ein, tauschten Klatsch und Tratsch miteinander aus. Menschen und Wesen in vollkommener Einigkeit.
Ein Ball kullerte vor Ewas nackte Füße. Sie hob ihn auf, wollte den Kindern ihr begehrtes Spielzeug zurückgeben, doch als sie sich umsah, war die Zeit um sie herum stehen geblieben. Die Kinder waren zu Statuen erstarrt. Ihre dünnen Finger noch immer nach dem Ball ausgestreckt, vermochten sich nur ihre Pupillen nervös zu bewegen. Angst spiegelte sich in ihren steinernen Mienen wieder.
»Was ist mit euch?« Sie berührte eines der Kinder, aber nichts geschah. Das Kind blieb stumm, gefangen in seinem bewegungsunfähigen Körper. Ewa presste den Ball fest an ihre Brust. Sie überlegte, ob sie lediglich ihren Albträumen zum Opfer gefallen oder ob dies tatsächlich ein Teil ihrer Realität war. Sie wollte nach ihren Freunden sehen, zu Darcon und Pan laufen, als sie eine eindringliche Stimme vernahm.
»Prinzessin des Feuers, ich muss dir offenbaren, dass deine Furcht nicht unbegründet ist. Du erzitterst vor verblassenden Schatten, dabei ist dir dein wahrer Feind näher, als du glaubst.«
Ihre Finger wurden taub, sodass ihr der Ball entglitt. Er prallte einige Male auf, bis er ein Stück weit entfernt zum Liegen kam. Ewas Muskeln verkrampften und winzige Schweißperlen liefen über ihre Stirn. Sie beobachtete wachsam die Gegend, doch derjenige, der soeben zu ihr gesprochen hatte, war nirgends zu entdecken.
»Crowley, was willst du von mir?« Natürlich hatte sie seine tiefe, raue Stimme sofort erkannt. Sie musste an ihre Mutter denken, wie sie beide in der Hütte verbrannt waren, während er ihr nur ein zufriedenes Grinsen geschenkt hatte. Ewa hob ihre Fäuste und bedeutete ihm, dass sie keineswegs Furcht empfand. »Komm raus und zeig dich!«
»Obgleich ich dich gewarnt habe, so sprach ich nicht von mir, sondern von einem anderen Feind.«
»Du bist der Einzige, vor dem ich mich in Acht nehmen muss!«
»Ich? Unsinn, Prinzessin. Deine Sinne mögen geschärft sein, dennoch gibt es eine Sache, ein Gefühl, das uns alle blind macht.«
Ewa drehte sich um die eigene Achse, aber keiner der Anwesenden bewegte sich. Es war still, sodass sich Crowleys verächtliche Stimme immer tiefer in ihren Kopf bohrte. Sie wollte ihm widerstehen, nichtsdestotrotz konnte er sie mit nur wenigen Worten manipulieren und bezirzen wie eine Sirene. Das Tattoo in ihrem Nacken brannte wie Feuer, als würde sich der Eiskristall in ihren Körper fressen.
»Liebe. Die Liebe ist sowohl Schutz als auch Fluch, Prinzessin.«
»Sei ruhig.« Ewa taumelte einige Schritte zurück. Sie presste ihre Hände auf die Ohren, versuchte, seinem Zauber zu entkommen.
»Die Liebe macht dich blind. Oder willst du nicht erkennen, wer Darcon wirklich ist?«
»Halt den Mund!«
»Oder sollte ich ihn besser Kane nennen? Was genau weißt du denn über deinen Helden in Feuerrüstung?«
»Bitte, hör auf!« Ewa sank auf ihre Knie. Seine Stimme ließ ihre Glieder erschlaffen. Unfähig, sich zu rühren, war sie ihm ausgeliefert. Erneut!
Sie schluchzte auf, versuchte, seinem Einfluss zu entfliehen. Sie summte eine ihr vertraute Melodie, um ihn zu übertönen. Es half nicht.
»Kane ist ein Mörder, ein Dieb und was wohl am Schlimmsten ist: Er ist dein Feind. Er wird nicht eher ruhen, bis er dich blutbesudelt in seine Arme ziehen und töten kann. Dessen kannst du dir gewiss sein.«
»Bitte …« Ewa schnappte nach Luft. Ihre Glieder verweigerten ihr den Dienst. Schmerz überhäufte jeden Muskel. Sie fühlte, wie etwas Warmes an den Seiten ihrer Wangen hinablief. Ewa fing ein bisschen davon mit einer Fingerkuppe auf und musste entsetzt feststellen, dass es sich um ihr eigenes Blut handelte. Ihre Ohren hatten den Kampf gegen Crowley aufgegeben. Sie nahmen seine Worte auf wie süßen Nektar und ließen sie in ihren Gedanken widerhallen. Nirgends war mehr Platz für ihren eigenen Verstand. Er beherrschte sie, streute Zweifel und Finsternis, wo zuvor Hoffnung eingekehrt war. Ewa war kurz davor, sich seinem Willen zu beugen.
»Genau wie er es mit deiner …«
»Sei endlich ruhig!«, kreischte Ewa. Ein höhnisches Lachen war die Antwort, und obgleich Ewa den Verlauf von Crowleys Geschichte und somit die Vergangenheit Kanes kannte, klammerte sie sich an ihrer eigenen Wahrheit fest. »Er ist kein Mörder. Kane ist ein guter Mann. Er liebt mich. Er würde mich nie verletzen«, wiederholte sie unnachgiebig.
Irgendwann erlosch Crowleys Magie und der Augenblick, welcher für Ewa reiner Folter glich, verblasste. Das Treiben um sie herum erblühte zu neuem Leben. Kinderlachen war zu hören, genau wie das Diskutieren von Frauen, die sich über das Können ihrer Männer austauschten.
Ewa blinzelte. Seufzend wisperte sie erneut die Worte, die ihren Verstand vor Crowleys Einfluss bewahrt hatten. Sie wollte sich erheben und das Mädchen mit den grünen Augen suchen, als ein Schrei ihre Aufmerksamkeit forderte.
»Ewa!«
Es war Darcon, der zusammen mit Pan auf sie zustürzte. Doch ihr blieb nicht viel Zeit, um die beiden zu betrachten. Denn hinter sich machte sie einen Schatten aus, der nun zu einer stattlichen Größe heranwuchs. Sie drehte sich um, erblickte eine wahre Schönheit mit pechschwarzem Haar und einer Haut aus purem Eis. Für einen Moment stockte Ewa der Atem, bevor sie überhaupt begriff, was geschehen war. Crowley hatte sie manipuliert, sie in die Knie gezwungen und so zu einer leichten Beute für ein kleines Mädchen gemacht. War sie denn überhaupt ein Wesen? Verbarg sich hinter diesen toten, traurigen Augen eine Seele?
Ewa krabbelte rückwärts. Das Mädchen war nun mindestens zwei Köpfe größer als sie und öffnete seinen Mund, in welchem spitze Fänge zum Vorschein kamen. Die weiße Haut der Kleinen war von blauen Kristallen überzogen und an ihrem Handgelenk leuchtete Ewa ein vertrautes Tattoo entgegen. Nur kurz griff sie in ihren Nacken, wo sie dasselbe Zeichen seit dem Aufeinandertreffen mit Crowley an ihre Schwäche erinnerte. Dann fand sie endlich auf ihre Füße zurück und rannte los.
Schreie erfüllten den Marktplatz. Menschen und Wesen stürzten gleichermaßen davon. Sie flohen vor dem Feind, der es unbemerkt hinter die sicheren Mauern von Artella geschafft hatte. Ewa sah aus den Augenwinkeln das Mädchen näher kommen. Es bewegte sich wie eine Schlange, kroch über den Boden. Ihre Iriden leuchteten auffordernd und schienen Ewa zu einer Dummheit verleiten zu wollen.
Sie wich der ersten Attacke gekonnt aus. Eisstücke rieselten zu Boden, trafen einige Hausmauern und bohrten sich in Holz und Stein. Ewa wischte sich den Schweiß von der Stirn. Sie wollte zu Darcon und Pan laufen, doch das Monster schnitt ihr den Weg ab.
Panisch sah sie sich nach einer Waffe um, einem Gegenstand, den sie zum Schutz verwenden könnte. Nichts war griffbereit.
Die Kreatur schoss mit spitzen Eisstücken um sich. Obgleich sie Ewa nicht traf, stellte sie eine Gefahr für die Bevölkerung von Artella dar. Vor allem für die Kinder, die von der lieblichen Stimme der Kreatur wie magisch angezogen wurden.
»Sie spielt nur mit dir!«, rief Darcon ihr zu und versuchte, Ewa zu erreichen.
Das Wesen grub beide Klauen in den Boden. Ein Riss zerteilte das unbefleckte Gesicht. Es zerbrach wie weißer Marmor, sodass sich bald darauf zwei dieser Kreaturen ihre Opfer suchen konnten.
»Mama!«
Ewa wandte ihren Blick von Darcon ab und machte einen kleinen Jungen hinter sich aus. Er hatte sich versteckt, weinte und zitterte am ganzen Körper. Neben ihm steckten Eissplitter und anscheinend hatten sie auch sein Bein beim Fluchtversuch getroffen. Nun lag er auf dem Boden, voller Angst, sodass dicke Tränen an seinen Wangen hinabliefen.
Ewa zögerte keine Sekunde. Sie musste als Prinzessin, als Tochter von Cassius, beweisen, dass sie für ihr Volk sorgen konnte. Ob Mensch oder Wesen, jedes Leben war für sie unendlich kostbar.
»Ewa, nicht!«
Sie ignorierte Darcons Ruf, überwand die letzten Meter, zog den Jungen in ihre Arme und hechtete hinter eine Mauer. Das Wesen folgte ihr, die eisigen Lippen zu einem schiefen Lächeln geformt.
Nichts als enge Gassen taten sich vor ihnen auf. Häuser mit Wänden so hoch und unüberbrückbar, dass sie dem Verlauf der Straßen folgen mussten. Irgendwann endete ihre Flucht in einer Sackgasse. Ein Zaun trennte die Stadt von den Feldern, auf denen in einiger Ferne saftiges Gemüse auf die Ernte wartete.
Ewa setzte den Jungen ab. Sie atmete tief ein. »Kannst du unter dem Zaun hindurchkriechen?«
Der Junge deutete auf sein geschundenes Bein und schüttelte schluchzend den Kopf.
»Du musst es versuchen.«
Das Kind brach erneut in Tränen aus und streckte eine Hand in die Lücke unter dem Zaun. Das Holz war zu einem Netz verflochten, höher als die meisten Mauern. Es gab kleinere Löcher, durch welche man einen Blick auf die Felder erhaschen konnte. Rosen erblühten zusammen mit ihren Dornen an den hölzernen Ästen. Was für eine Farbenpracht und zugleich ein bezauberndes Gefängnis.
»Nun mach schon. Ich glaube an dich.« Sie lächelte dem Jungen zu.
Mühsam setzte er sich in Bewegung und folgte Ewas Aufforderung.
»Du hättest in den Flammen sterben sollen«, murmelte das Eismädchen, das mit einem Schnaufen näher kam.
»Vielleicht.«
»Das war keine Entscheidungsfrage, vielmehr ein sehnsüchtiger Wunsch meines Meisters.«
»Crowley kann sich seine Wünsche dahin schieben, wo die Sonne nie scheint.«
»Und wo sollte das sein?« Das Wesen kratzte sich verwirrt am Kopf. Die pechschwarzen Haare hatte es hinter die abstehenden Ohren geschoben.
»Hätte er nicht Wesen erschaffen können, die wenigstens über ein wenig Humor verfügen?« Ewa umklammerte einen dornigen Ast, jederzeit bereit, daran hochzuklettern. Aus den Augenwinkeln heraus erblickte sie den Jungen, der sich ein letztes Mal mit den Füßen abdrückte und bäuchlings in die Freiheit rutschte.
Die Kreatur verstummte, ordnete Ewas Worte neu und dieses Mal offensichtlich zu einer Beleidigung an. Als sie endlich verstand, was Ewa gemeint hatte, griff sie an. Der Eishauch, der dem blauen Rachen des Wesens entkam, traf ihre Schulter, was sie jedoch nicht daran hinderte, den Zaun zu erklimmen. Sie versuchte, den Dornen auszuweichen, doch es waren zu viele. Sie gruben sich in ihre Fußsohlen und Hände, waren allerdings kein Vergleich zu der Magie des Eises, welche Ewa fast zu Fall brachte. Ihre Schulter pochte, zeigte aber keine Zeichen eines Angriffs. Selbst ihre Kleidung war unberührt. Der Schmerz quälte sich durch ihren Körper, machte ihren rechten Arm komplett unbrauchbar.
»Lass los, sodass ich dich zu mir holen kann, Prinzessin«, vernahm sie Crowleys Stimme in ihrem Kopf.Ewa trieb sich weiter an. »Vergiss es.«
Sie zog sich mit ihrer linken Hand nach oben. Mit jedem Zentimeter, den sie hinter sich gelassen hatte, wuchs auch die Kreatur. Durch eines der Löcher konnte sie auf der anderen Seite den Knaben sehen, der es tatsächlich geschafft hatte. Missmutig schaute er zu ihr auf, wischte sich die Tränen aus den Augen und bedankte sich stumm für ihre Hilfe. Mit einem letzten Nicken in ihre Richtung verschwand er in einem Maisfeld.
Ein stechender Schmerz betäubte Ewas Muskeln. Sie zuckte zusammen, klammerte sich mit der freien Hand an den Ästen fest. Eis schlängelte sich an ihrer Haut entlang, als wäre es lebendig. Sie spürte warmes Blut an ihrem Rücken, wie es langsam hinablief und im Bund ihrer Hose verschwand. Getroffen. Etwas hatte ihren Rücken zwischen den Schulterblättern getroffen. Es war kalt und spitz wie ein Dolch. Ewa rang nach Luft. Ihre Kraft ließ nach. Sie drohte, das Gleichgewicht zu verlieren.
»Ergib dich mir«, flüsterte Crowley durch die Eiskreatur.
»Niemals.« Ewas Nägel bohrten sich in das Geäst. Sie wollte sich hochziehen, über den Zaun klettern und auf der anderen Seite fallen lassen, doch ihr Körper gefror. Schwerfällig lösten sich ihre Beine, ihre Hand und schließlich sank sie in die Tiefe. Sie stürzte auf die Kreatur zu, welche gierig die Arme ausstreckte und Ewa mit einem zufriedenen Grinsen begrüßte.
»Dieses Wesen ist aus Eis. Ewa, denk nach, wie du es vernichten kannst.« Es war Darcon, der in ihren Gedanken zu ihr sprach.Während Darcons Worte langsam in ihren Verstand drangen, schloss die Kreatur sie wie einen Säugling in die Arme. Behutsam presste sie Ewa an sich, nicht gewillt, sie je wieder freizugeben.
»Feuer regiert Eis«, wisperte Ewa und blickte das Monster nun geradewegs an.
»Nur besitzt du deine Flamme nicht. Du bist sterblich, ein einfacher Mensch.«
»Jeder Mensch verfügt über seine innere Stärke. In manchen Fällen ist sie wie das Feuer, das in euch Wesen lodert.« Ewa streckte ihre Hand aus, in die die Dornen tiefe Wunden gegraben hatten. Warmes Blut floss zwischen ihren Fingern hindurch. Wärme. Damit konnte sie die Kreatur bezwingen.
Sie presste ihre Handfläche mitten auf das Gesicht des Wesens. Ein furchterregender Schrei entkam dessen Kehle. Bevor sich Ewa versah, wurde sie weggestoßen, stürzte zu Boden und rollte sich ab. Sie war noch etwas unbeholfen, fand aber auf ihre Füße zurück. Taumelnd kam sie am Zaun zum Stehen, wich nach rechts aus und brachte etwas Abstand zwischen sich und die Kreatur. Offenbar konnte sich das Wesen aus Eis nicht länger auf seine Magie konzentrieren, sodass der Schmerz in Ewas Rücken nachließ. Eis schmolz auf ihrer Haut, floss zwischen ihren Schulterblättern hinab.
Ewa atmete auf und wischte ihre Handflächen an ihrer schwarzen Hose ab. Sie wunderte sich über ihren gewonnenen Mut. Sie hatte sich ihrem Feind gestellt, ihn vorerst erfolgreich zurückgedrängt, und das ohne magische Fähigkeiten. Menschen waren demnach nicht so nutzlos, wie die Wesen gerne behaupteten.
Das Geschöpf gab ein Röcheln von sich, gefolgt von einem Knacken. Als würde dessen Haut zerspringen und sich in winzige Eiskristalle teilen. Ewa konnte der Kreatur ansehen, welche Qualen ihr Blut auslöste. Ihr Mitleid hielt sich jedoch in Grenzen.
Ewa spürte abermals die aufkommende Schwäche. Sie musste standhaft bleiben, durfte sich nichts anmerken lassen.
Die Kreatur schrie auf, wand sich, keuchte. »Was für ein Zauber ist das?«
»Kein Zauber.« Vor ihren Augen tanzten schwarze Punkte. Kein Zweifel, sie war kurz davor, das Bewusstsein zu verlieren. »Das war die Stärke eines Menschen. Du solltest die Sterblichen niemals unterschätzen.«
Die Kreatur stieß ein Fauchen aus. »Das ist gewiss kein einfaches Blut«, meinte das Wesen und leckte sich über die blauen Lippen. Es kostete Ewas Lebenselixier, obgleich es seine Haut verbrannte wie Feuer. »Asche, Feuer und Tod. Nur ein Phönix schmeckt danach.« Es hob die dunklen Brauen und sah Ewa fragend an. »Wie kann es sein, dass du deine innere Flamme nicht besitzt, aber trotzdem ein Phönix bist?«
Ewa musterte die Kreatur und fragte sich, ob dieses Wesen die Wahrheit sprach. Nur kurz blickte sie auf ihre Hände, betrachtete das dunkle Blut. Dann schüttelte sie den Kopf. »Mein Schicksal geht nur mich etwas an.«
»Das mag sein, doch dein Erbe bestimmt über das Fortbestehen beider Welten, Prinzessin.« Das Wesen streckte zitternd seine Finger nach ihr aus. Obwohl dessen Körper sichtlich mitgenommen aussah, gab es nicht auf. »Weißt du es denn nicht? Deine Macht liegt verborgen in einer Perle, umschlossen von Lava und Tod. Sie zu erreichen, ist meines Meisters Traum, und trotzdem kann er das nur, wenn du stirbst.«
Ewa öffnete ihren Mund, wollte etwas erwidern. Es verlangte sie nach Antworten. Alles, was sie bekam, waren die kalten Blutspritzer der Kreatur, die ihre Kleidung und ihr Gesicht verfärbten. Das Wesen sank in sich zusammen.
»Finger weg von meiner Tochter!«
Eine tiefe Männerstimme drang an Ewas Ohren heran und für einen Moment vermochte sie die Person hinter dem Eiswesen nicht zu erkennen. Der Schock lähmte sie.