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Komplette Bearbeitung der Erstübersetzung - Mit 100 Illustrationen "Pinocchio" ist die Geschichte einer lebenden Marionette, die sich nichts sehnsüchtiger wünscht, als ein Mensch, ein Junge zu sein. Doch leider scheitert sie immer wieder an ihrer Unartigkeit und schier grenzenlosen Naivität. Sie wird in die verrücktesten Abenteuer gezogen, landet beim Marionettentheater, fällt unter Räuber, wird von einer schönen Fee gerettet, in einen Esel verwandelt und schließlich sogar von einem Riesenfisch verschluckt. Und dabei will Pinocchio doch nur ein ganz normaler Junge sein und seinen Vater, den Schnitzer Geppetto, wiederfinden. Ein zauberhaftes Märchen, ein Klassiker der Kinderbuchliteratur, der Vorlage war für viele andere Geschichten und Erzählungen. Der Herausgeber hat die ursprüngliche Übersetzung bearbeitet, ohne dabei ihren Charakter zu verändern. Im Gegensatz zur unglücklichen schwäbisch geprägten Erstübersetzung heißt Pinocchio hier auch wirklich Pinocchio und nicht "Bengele". Und es ist nicht von einem Hampelmann die Rede, sondern wirklich von einer Marionette, und Geppetto heißt Geppetto - wie es sich gehört - und nicht Seppel und und und Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 193
Carlo Collodi
Pinocchio
Illustriertes Kindermärchen
Carlo Collodi
Pinocchio
Illustriertes Kindermärchen
Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]: Carlo Chiostri, Enrico MazzantiÜbersetzung: Jürgen Schulze, Anton Grumann 4. Auflage, ISBN 978-3-943466-90-4
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Inhaltsverzeichnis
Pinocchio - Das Kinderbuch
Vorwort
Erstes Stück – Ein Holzscheit, das sprechen, lachen und weinen kann
Zweites Stück – Meister Geppetto erhält das Stück Holz
Drittes Stück – Pinocchio kommt auf die Welt – Seine ersten Spitzbubereien
Viertes Stück – Pinocchio und Heimchen
Fünftes Stück – Ein Eierkuchen, der davonfliegt
Sechstes Stück – Pinocchio geht betteln – Die abgebrannten Füße
Siebtes Stück – Pinocchios Morgenbrot
Achtes Stück – Pinocchio erhält neue Füße – Das ABC-Buch
Neuntes Stück – Pinocchio verkauft das ABC-Buch und geht ins Kasperletheater
Zehntes Stück – Pinocchio und seine hölzernen Brüder
Elftes Stück – Feuerfresser muss niesen
Zwölftes Stück – Pinocchio erhält fünf Goldstücke – Seine Freundschaft mit dem Fuchs und der Katze
Dreizehntes Stück – Im Gasthaus »Zum geleimten Vogel«
Vierzehntes Stück – Pinocchio fällt unter die Räuber
Fünfzehntes Stück – Die »Große Eiche«
Sechzehntes Stück – Das Mägdlein mit dem goldenen Haar
Siebzehntes Stück – Die Totengräber – Das Lügen und die lange Nase
Achtzehntes Stück – Auf dem Wunderfeld
Neunzehntes Stück – Der Richter von Dummersheim
Zwanzigstes Stück – Die Riesenschlange
Einundzwanzigstes Stück – Die Marderfalle – Pinocchio wird Hofhund
Zweiundzwanzigstes Stück – Belohnte Treue
Dreiundzwanzigstes Stück – Vom weißen Marmorstein ans brausende Meer
Vierundzwanzigstes Stück – Fleißigenstadt
Fünfundzwanzigstes Stück – Pinocchio will sich bessern
Sechsundzwanzigstes Stück – Pinocchio in der Schule
Siebenundzwanzigstes Stück – Die Rauferei am Meere
Achtundzwanzigstes Stück – Der grüne Fischer
Neunundzwanzigstes Stück – Bollos Dankbarkeit
Dreißigstes Stück – Nächtliche Heimkehr – Die gemütliche Schnecke
Einunddreißigstes Stück – Freund Lucignolo
Zweiunddreißigstes Stück – Faulenzerland – ein schönes Land
Dreiunddreißigstes Stück – Zwei neue Esel
Vierunddreißigstes Stück – Der Esel Pinocchio im Zirkus
Fünfunddreißigstes Stück – Die Fische fressen den Esel
Sechsunddreißigstes Stück – Der Große Hai
Siebenunddreißigstes Stück – An freudiges Wiedersehen
Achtunddreißigstes Stück – Der gute Delphin – Zwei bestrafte Räuber
Neununddreißigstes Stück – Neues Leben
Vierzigstes Stück – Der Marionette Ende
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Ihr Jürgen Schulze
Der Struwwelpeter oder lustige Geschichten und drollige Bilder (HD)
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Der kleine Lord
Die wunderbare Reise des kleinen Nils Holgersson mit den Wildgänsen
Pinocchio
Das Dschungelbuch
Die Abenteuer des Huckleberry Finn
Der Trotzkopf - Vollständige und illustrierte Fassung
John Workman
Maja
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Das Buch Pinocchio zählt zu den Kinderbuchklassikern. Die naive und freche Holzpuppe wurde von Carlo Lorenzini erfunden, der von 1826 bis 1890 lebte. Ab 1860 nannte der Autor sich Collodi. Unter dem Titel »Storia di un burattino« (deutsch: Geschichte einer Marionette) erschien die erste Folge von Pinocchio 1881 in der Kinderzeitschrift »Giornale per i bambini«, die in Rom von Ferdinando Martini gegründet worden war. Von 1881 bis 1883 erschienen in 36 Fortsetzungen weitere Geschichten von »burratino«.
Im Februar 1883 kam die erste Buchausgabe auf den Markt. Enrico Mazzanti steuerte Federzeichnungen bei. Der Freiburger Verlag Herder veröffentlichte 1913 die erste deutschsprachige Ausgabe, die Anton Grumann übersetzt hatte. Bereits 1911 wurde der Stoff zum ersten Mal erfolgreich verfilmt.
Auch wenn aus heutiger Sicht moralisierende Aspekte in der Geschichte nicht zu übersehen sind, so war das Buch im Kontext der damals gängigen Kinderliteratur ein gewagtes und modernes Werk. Die aus Holz geschnitzte Puppe bereitet ihrem Erfinder Geppetto gleich zu Beginn an Kummer. Wegen dessen gelber Perücke verulkt er ihn als Polendina und nimmt dabei Bezug auf das italienische Maisgericht Polenta.1 Daraus entsteht eine Verwechslung. Geppetto hält seinen Kollegen Ciliegia für den, der ihn verspottet hat, und prügelt sich bald mit ihm.
Collodi orientierte sich beim Schreiben der Geschichten am Volkstheater und der komischen Darstellung der Szenen, die sich nicht nur auf die Erwachsenen beschränkt. Auch die Kinderwelt steckt voller komischer Facetten. Auf diese Weise wird Pinocchio mit Freiheiten ausgestattet, von denen auch heute viele Kinder nur träumen können. Die hölzerne Figur leistet vehement Widerstand, wenn es um Disziplin geht. Pinocchios Arbeitseifer hält sich in Grenzen. Er zeigt eine große Abneigung gegen alle erzieherischen Maßnahmen gegenüber und hält wenig von Schule und Ausbildung. Übermäßig ausgeprägt sind dagegen sein Freiheitsdrang und sein anarchisches Verhalten, die stets Anlass für Verwicklungen geben und zu neuen Abenteuern führen. Am Anfang findet Pinocchio immer etwas besonders begehrenswert. Oder es sind Fuchs und Katze, die ihm einreden, dass er eine bestimmte Sache für sich beanspruchen soll. Pinocchio weiß wohl, dass er falsch handelt. Auch die Erfahrung, dass er für sein Handeln bestraft wird, hält ihn nicht ab. Allerdings bereut er hinterher sein Tun und liefert Schuldbekenntnisse ab. Es sind diese zwei Ebenen, die der Autor verbindet und die zugleich Widersprüchlichkeit der Figur ausmachen.
Pinocchios charakteristischem Freiheitsdrang wird entgegengehalten, wie wichtig es ist, von den Erwachsenen zu lernen, ohne mit ihnen in jeder Weise konform zu gehen. Die komischen Seiten der Geschichten sind es, durch die der pädagogische Ansatz relativiert wird. Pinocchio erfüllt diesen Part, indem Collodi ihn ungeschickt mit der Sprache umgehen lässt. Dieselbe Komik erzielt er, wenn er die damals gebräuchliche Frage- und Antwortform in den Schulbüchern parodiert. Pinocchio bleibt bis heute die wunderbare Figur, die immer wieder einen Weg aus dem »Wald der Verfehlungen« findet. Dem guten Geppetto stehen der böse Feuerfresser und der Tunichgut Lucignolo gegenüber. Zwischen den beiden Polen Gut und Böse muss Pinocchio sich bewähren. Nach vielen negativen Erfahrungen – er wird belogen und betrogen und sogar festgenommen – findet er am Ende auf den Pfad der Tugend.
In der deutschen Übersetzung wird aus der Polenta ein Fink, genauer ein Gelbfink. <<<
Nenne einem italienischen Kinde Pinocchio, und seine dunklen Augen schauen zu dir empor im leuchtenden Glanz der Freude; hast du ihm doch den Namen eines Freundes ausgesprochen. Alle kennen ihn, den allzeit lustigen hölzernen Kleinen. Sie freuen sich immer wieder an seinen lustigen Streichen, trauern mit ihm, wenn es ihm schlecht ergeht, und lernen aus seinen Strafen das Böse meiden im eigenen Leben. »Denke an Pinocchio und seine lange Nase!« mahnst du einen kleinen Lügner; er greift rasch an seine eigene Nase und wird nachdenklich. »Erinnerst du dich des Eselsfiebers, das Pinocchio so große Sorgen machte?« fragst du ein Faulenzerchen, und du hast ihm die beste Strafpredigt gehalten. – Herzensfreude und erzieherischen Nutzen hat das Büchlein allüberall verbreitet, wo es Eingang gefunden. In mehr denn einer halben Million Exemplaren hat es seinen Siegeszug gehalten unter der italienischen Jugend. In Deutschland ist das Schriftchen kaum bekannt geworden. Zwei Bearbeitungen sind vorhanden, haben aber keine nennenswerte Verbreitung gefunden. Der Grund mag darin liegen, dass sie, den tiefen sittlichen Inhalt des Büchleins verkennend, eine leichte Kasperlesgeschichte daraus gemacht oder dass sie in der Übertragung zu eng an das Original sich angeschlossen und dem deutschen Kinde unverständliche Situationen geschaffen haben.
Seit Jahren im engsten Verkehr mit der italienischen und deutschen Jugend, glaubte ich den Versuch wagen zu dürfen, eine neue Bearbeitung herauszugeben, die ohne wesentliche Abweichungen vom italienischen Original deutsch zur deutschen Jugend spricht.
Beim Erscheinen des Büchleins denke ich dankbar zurück an einen großen Freund der Jugend, Herrn Dr. Ernst Geradaus, der einst an linden Frühlingstagen, da uns milde Zephirwinde von den Blütenhügeln der Arnostadt flutende Wellen von Düften entgegentrugen, zuerst den deutschen Pinocchio gehört und sich der Ausgabe mit großer Liebe angenommen hat.
Florenz, Juli 1913.Anton Grumann, Rektor.
Es war einmal …
»Ein König!« – meinen gleich die klugen kleinen Leser.
Aber diesmal, Kinder, habt ihr weit daneben geraten. – Es war einmal: ein Stück Holz, ja, ein ganz gewöhnliches Holzscheit! Draußen lag es im Wald mit vielen anderen Stücken auf der Beige. Ein Fuhrmann kam, lud sie alle auf den Wagen und fuhr damit zur Stadt dem Schreiner-Toni vor das Haus. Das Holz ward gesägt und gespaltet; denn im kalten Winter sollte es im knisternden Ofen die Stube wärmen. – Ein Glück, dass Toni das eine Scheit bemerkte. Es war so hübsch gerade und hatte keinen Ast; drum stellte es der Schreiner in eine Ecke seiner Werkstatt und dachte: »Ein gutes, glattes Stück, ’s wär schade, es zu verbrennen.«
Toni verstand sein Handwerk und war überall bekannt. – Man nannte ihn freilich nur den Meister Pflaum; doch das kam davon, dass seine zierlich runde Nasenspitze so duftig blau erglänzte wie eine reife Pflaume, die unberührt am Baume hängt.
Eines Tages war Meister Pflaum daran, einen Tisch zu verfertigen. Eben sah er sich in der Werkstatt nach dem passenden Holze um, erblickte das Scheit in der Ecke, rieb sich freudig die Hände und murmelte zufrieden vor sich hin: »Das Stück da kommt mir wie gerufen, es gibt einen Tischfuß.« Gleich nahm er das scharfe Beil, um die Rinde abzuschlagen. Der erste Hieb fiel auf das Holz, da – »Oje, oje«, wimmerte erbärmlich ein zartes Stimmchen, »nicht so arg schlagen, nicht so arg!« –
Potz Blitz! Was war das? – Kalte Angst kam über den guten Schreiner, die Haare standen ihm zu Berge, er hatte nicht mehr Zeit, die ausgestreckte Hand mit dem Beile sinken zu lassen, und so stand er unbeweglich da wie das Einfahrtszeichen an der Eisenbahn, wenn es dem daherbrausenden Zuge »Halt!« gebietet.
Nach einiger Zeit erholte sich Meister Pflaum von seinem Schrecken, und nun durchsuchte er ängstlich die ganze Werkstatt. – Es war niemand zu sehen. Er guckte unter die Hobelbank, – niemand! In den stets verschlossenen Schrank, – niemand! In den Korb mit den Hobelspänen und dem Sägemehl, – niemand! Er machte die Türe auf und sah auf die Straße, – auch niemand! Nanu? …
Mit erzwungenem Lachen kratzte sich der Schreiner hinter den Ohren und sprach:
»Ganz klar! Ich hab’s.« – Das Stimmchen war eine närrische Einbildung. »Nur wieder mutig an die Arbeit!«
Fest nahm er das Beil in die Hand, kräftiger noch wie das erste Mal führte er den Hieb auf das Holz, tief drang die scharfe Schneide ein: »Au! Wie hat das wehgetan!« klagte laut das gleiche Stimmchen.
Jetzt ward Meister Pflaum wie versteinert: seine Augen traten weit hervor aus den Höhlen, sein Mund stand sperroffen, die Zunge hing ihm über die Unterlippe herab so tief wie den Wasserspeiern am Springbrunnen.
Nach einiger Zeit fand er die Sprache wieder; aber er zitterte immer noch entsetzlich und fragte stotternd:
»Wo mag denn nur dies Jammerstimmchen hergekommen sein? Das Holz da wird doch nicht weinen und klagen können wie ein kleines Kind! – Unmöglich! – Schau mir’s nur einer an: ist es nicht ein Scheit wie jedes andere? Hätte man es gesägt und gespaltet, so wäre es vielleicht längst zu Asche verbrannt. – Nanu!? – Oder … wirklich! Es könnte sein? – Einer versteckt in dem Holze? – Na! Der hätte sich einen ungeschickten Platz gesucht! Wart, dir will ich’s bequemer machen; gleich helf’ ich dir heraus.«
Sprach’s, packte das unschuldige Scheit mit beiden Händen und warf es erbarmungslos an die Wand der Werkstatt.
Nun stand er da ganz still; er horchte, er neigte seinen Kopf gegen das Holz hin und lauschte. Zwei – drei – fünf Minuten waren schon vergangen – alles blieb ruhig, nichts regte sich – gar nichts.
»’s ist doch zum Lachen … haha!« sprach jetzt der mutige Schreiner und fuhr sich durch die struppigen Haare. »Wie man dumm sein kann! – Versteht sich! Das Stimmchen hab’ ich mir eingebildet. – Nein! Schon so viel Zeit verloren! Jetzt geht es in allem Ernst an die Arbeit!«
Und doch hatte er immer noch Angst. Zwar fing er an, ein lustig Liedlein vor sich hin zu singen; aber er tat es nur, um sich Mut zu machen.
Mit dem Beile getraute er sich nicht mehr an das verhexte Holz; ein bisschen besser wollte er es doch behandeln. So spannte er das Scheit auf die Hobelbank, holte von der Wand einen langen Hobel und ließ ihn über das raue Holz hin und her gleiten.
Auf einmal kichert’s und lacht’s in der Werkstatt:
»Hör auf! – Ich bin so kitzelig!« Da war’s mit Meister Pflaums Mute vorbei. Wie vom Blitz getroffen sank er nieder und war wie tot. – Als er wieder zu sich kam und die Augen aufmachte, merkte er, dass er auf dem Boden saß.
Wenn ihr ihn hättet sehen können! Starr glotzten die Augen aus dem verstörten Gesichte, und die runde Nasenspitze saß mitten darin wie eine schwarzglänzende Tollkirsche.
Es klopfte an.
»Nur zu!« rief der Schreiner; er saß noch immer auf dem Boden.
Ein lustiger Alter kam zur Türe herein; es war der Geppetto. Von seinem Handwerk hatte er den Namen »Schnitzer«, denn er war ein geschickter Holzschnitzer. Die bösen Buben in der Nachbarschaft hießen ihn freilich nur den »Gelbfinken«. Seine gelbe Perücke hatte diesen Übernamen verschuldet.
Der »Schnitzer-Geppetto« war sehr jähzornig. Gnade Gott dem, der ihn »Gelbfink« nannte. Das machte ihn teufelswild, und im Zorne kannte er sich selbst nicht mehr.
»Guten Tag, Meister Toni!« grüßte Geppetto artig, »was schaffst du denn auf dem Boden?«
»Ich will den Ameisen das ABC beibringen.«
»Ein neuer Beruf! – Guten Erfolg!«
»Was bringt dich heute zu mir, Geppetto?«
»Eine kleine Sorge, Toni; ich möchte dich um einen Gefallen bitten. – Heute früh ist mir ein neuer Gedanke in den Kopf gekommen.«
»Lass hören!« sagte der Schreiner und stand vom Boden auf.
»Ich möchte mir eine hölzerne Marionette schnitzen; denn ich habe eine neue Art erfunden, die Zaubermarionette. Fechten und seiltanzen muss sie mir lernen. Dann reise ich mit ihr durch die Welt und verdiene mein Brot. – Was meinst du dazu, Toni?«
»Sehr gut, Gelbfink!« kreischte ein feines Stimmchen.
Geppetto hörte »Gelbfink«, ward vor Zorn rot wie eine Himbeere und fuhr den Schreiner wütend an:
»Warum sagst du mir eine Grobheit?«
»Wer?« –
»Du! – Gelbfink hast du mich geheißen!«
»Aber ich nicht!«
»Wer denn? Vielleicht ich selber? – Lüg nicht! – Du hast’s gesagt!«
»Nein!«
»Doch!«
»Nein!!«
»Doch!!«
Immer hitziger wird der Streit. Mit Worten ist ihr Zorn nicht mehr zufrieden: schon packen sie sich an den Kitteln; der eine schlägt, der andere beißt; jetzt ringen sie miteinander auf dem Boden; jetzt schnellen sie beide auf und lassen einander los. Zwei Siegern gleich stehen sie da, einer stolzer wie der andere. Der Schnitzer zerknittert Tonis Zipfelmütze in seiner Faust; Meister Pflaum aber schwingt als Siegesfahne den künstlichen Haarwuchs des »Gelbfinken«.
Eine Zeit lang schauen sie sich triumphierend an; dann sagt der Schreiner:
»Gib mir meine Mütze her!«
»Wenn du mir meine Perücke gibst.«
Lachend tauschten die beiden Alten ihre Beute aus, gaben einander die Hand und versprachen treu und fest, nie mehr zu raufen, sondern stets gute Freunde zu bleiben.
»Nun denn, lieber Geppetto«, fing der Schreiner an, »womit kann ich dir dienen?« –
»Ich suche ein Stück Holz für meine Marionette; hast du ein passendes?«
Toni nahm das Scheit von der Hobelbank, das ihm so viel Angst eingejagt hatte, und wollte es dem Freunde in die Hand geben.
Wupp!! – Das Scheit schnellt dem guten Meister Pflaum aus der Hand, überschlägt sich und versetzt dem armen Geppetto einen derben Hieb auf die harten Knochen seiner Schienbeine.
»Au!! – au!! – So, Toni! – Ist das die Freundschaft? Die Beine hast du mir halb abgeschlagen! – Au!«
»Ich habe es nicht getan; du kannst es mir glauben.«
»Dann bin ich es wieder selbst gewesen!«
»Das Holzscheit war’s.«
»Rede nicht so einfältig! Du hast es mir an die Beine geschlagen!«
»Es ist nicht wahr!«
»Verlogener Kerl!«
»Geppetto, keine Unarten! – Sonst heiße ich dich Gelbfink.«
»Esel!«
»Gelbfink!«
»Ochs!«
»Gelbfink!«
»Dummer Affe!«
»Gelbfink!«
Dreimal »Gelbfink«, das war für Geppetto zu viel. Es ging ihm Hören und Sehen aus, er stürzte auf den Schreiner los, und der Kampf entbrannte hitziger als zuvor.
Schließlich hatte der Schreiner-Toni zwei rote Kratzer mehr auf seiner blauen Pflaumennase; dem Geppetto aber fehlten zwei weitere Knöpfe an der Weste. – Ihre Rechnung war damit ausgeglichen; sie drückten einander die Hand und gelobten sich aufs neue ewige Freundschaft.
Geppetto nahm sein Holzscheit, dankte dem guten Meister Pflaum, und obgleich ihn sein Bein noch schmerzte, hinkte er doch fröhlich nach Hause.
Ein kleines Zimmer zu ebener Erde war Geppettos ganze Wohnung. Es hatte ein einziges Fenster und war nur notdürftig ausgestattet. Ein wackeliger Stuhl, ein wurmstichiger Tisch, ein elendes Bett, das waren die Möbel des armen Schnitzers. – In der Ecke stand ein kleiner eiserner Ofen; er brannte lustig, und das Wasser in dem Topfe, der darauf stand, kochte und dampfte, dass es eine Freude war.
Als Geppetto nach Hause kam, nahm er gleich sein Werkzeug und fing an, die Marionette zu schnitzen.
Es quälte ihn nur noch eine Sorge. Er wackelte mit dem Kopfe hin und her, sann und dachte und fragte sich: »Ein Name!? – Ein Name!? – Was für einen Namen soll ich meiner Marionette geben?« Plötzlich sprang er auf, griff sich an die Stirne und sagte:
»Ja! – ›Pinocchio‹ muss er heißen. Das ist ein schöner Name und er bringt ihm Glück. Ich habe eine ganze Familie Pinocchio gekannt: der brave Vater Pinocchio, die fleißige Mutter Pinocchio, die Pinocchio Buben, alle so tüchtig, und allen ist es in der Welt gut gegangen. Einer von ihnen hat sogar Kienholz in der Stadt verkauft.«
Als Geppetto den Namen gefunden hatte, arbeitete er mit doppeltem Eifer. – Schon konnte man die Haare, die Stirne, die Augen der Marionette erkennen.
Wie zittert da plötzlich die Hand des emsigen Schnitzers! – Die Holzaugen rollen wie Glaskugeln, bleiben stehen und schauen den Meister starr und steif an.
Geppetto wurde stets ärgerlich, wenn ihn jemand fixierte, und sagte jetzt gereizt:
»Stiert mich nicht so blöde an, ihr hölzernen Glotzaugen!«
Allein die Augen kümmerten sich um des Meisters Worte nicht. – Verstimmt arbeitete Geppetto weiter und formte die Nase.
Eine neue Überraschung! – Aus dem Gesichte heraus wächst und wächst das Holz, und in wenigen Minuten steht eine Nase da, so lang und spitz wie eine Gelbrübe.
Alle Mühe, sie kurz und stumpf zu schneiden, ist verloren; je mehr der arme Geppetto schnitzt, desto schneller wächst die Nase. Er musste sie schließlich lassen, wie sie wachsen wollte.
Geduldig fuhr er fort zu arbeiten und bildete den Mund. – Eine andere Ungezogenheit: die Marionette lacht und schneidet Grimassen.
»Lass das dumme Lachen!« gebietet der Meister; aber alles Reden ist umsonst.
»Lass mir das Lachen, ich sag’ es dir zum letzten Male!« Siehe da! Der Kleine lacht nicht mehr, er streckt aber die Zunge weit heraus.
Geppetto wollte sich nicht mehr stören lassen, tat, als merke er nichts, und schaffte ruhig weiter. Das Kinn, der Hals, die Schultern, der Leib, die Arme, die Hände des hölzernen Männleins gelangen dem Künstler tadellos. – Geppetto schnitzte eben die Füße, als er merkte, dass ihm jemand die Perücke vom Kopfe zog. Er schaute auf und sah – nein, diese Buberei! – die Kopfbedeckung in der Hand der Marionette.
»Pinocchio, setze mir gleich die Perücke wieder auf!«
Der Schlingel aber hatte sich die gelbe Mütze schon über den eigenen Kopf gezogen und stak so tief darin, dass er schier erstickte. All diese Unarten der Marionette verdarben dem wackeren Geppetto die gute Laune. Traurig und wehmütig hielt er mit der Arbeit inne und sprach:
»Womit habe ich das verdient? – Wollte ich nicht eine schöne brave Marionette zuwege bringen? – Und nun! – Was soll das noch werden? – Er ist ein Schlingel, noch ehe er fertig ist. Ich fürchte, ach, er wird ein Unglücksbube.«
Tränen glänzten dem guten Alten in den Augen. Er hätte am liebsten aufgehört zu schnitzen; aber nun wollte er doch die Zaubermarionette ganz ausführen.
Unter des tüchtigen Meisters Hand entstanden ein Paar zierliche Beine und Füße.
Geppetto freute sich seiner Kunst, da – erhielt er einen Tritt auf die Nasenspitze.
»Ich habe es nicht besser verdient«, murmelte er, »ich hätte das alles früher erwägen müssen; jetzt ist es zu spät. – Hätte ich doch nie an eine Zaubermarionette gedacht!«
Nun war das Werk vollendet, und der Meister sollte bald Zauber genug erleben.
Geppetto nahm seinen hölzernen Pinocchio und stellte ihn auf den Boden, damit er das Gehen lerne.
Die Marionette hatte steife Glieder und konnte noch nicht marschieren. Vater Geppetto führte sie an der Hand und zeigte ihr, wie man einen Fuß vor den anderen stellt.
Bald waren die Beine gelenkig und Pinocchio konnte allein im Zimmer einhergehen. Auf einmal bemerkte er die Türe, ein Sprung auf die Straße, und er rannte davon. Gleich lief ihm Geppetto nach; aber er konnte ihn nicht mehr einholen. Die Marionette sprang wie ein Hase. Wie klapperten ihre Holzfüße auf dem Straßenpflaster! Hundert Bauernkinder, die mit Holzschuhen zur Kirche kommen, hätten keinen ärgeren Lärm machen können.
»Haltet ihn! – Packt ihn!« schrie Vater Geppetto. Aber die Leute auf der Straße blieben alle höchst verwundert stehen, als sie die hölzerne Marionette wie einen Pudel rennen sahen. Dann fingen sie an zu lachen, und lachten so toll, dass man sich’s gar nicht vorstellen kann.
Zum guten Glück kam ein Schutzmann. Der hatte den Spektakel gehört und dachte, es sei mal wieder ein Pferd durchgebrannt. Drum stellte er sich mit gespreizten Beinen mitten auf die Straße und war fest entschlossen, den Gaul zu halten und größeres Unglück zu verhüten.
Pinocchio hatte schon von weitem das Hindernis erkannt, das ihm die ganze Straße versperrte. Da kam der Marionette ein schlauer Gedanke. Sie rannte im vollen Laufe auf den Schutzmann zu, bückte sich flink und wollte ihm zwischen den weit gespreizten Beinen durchschlüpfen.
Aber Pinocchio hatte sich verrechnet. Der stramme Polizist rührte sich nicht vom Platze. Mit einer geschickten Handbewegung hatte er schon den Durchbrenner gefasst. Ratet mal, wie? – Die Nase war Pinocchios Unglück. Sie war ja viel zu lang; der Schutzmann erwischte sie und hielt ihn daran fest.
Er übergab den Schlingel gleich dem Vater Geppetto. Schon wollte ihm dieser eine kräftige Ohrfeige geben, aber es ging nicht. Ratet mal, warum? – In seiner Eile hatte der Schnitzer der Marionette keine Ohren geschnitzt.
Da fasste der Meister den Kleinen im Genicke und schob ihn fort. Pinocchio sperrte sich, so gut er konnte; aber es half ihm nichts. Geppetto wackelte ganz bedenklich mit dem Kopfe und sprach:
»Marsch, nach Hause! Pass nur auf, daheim wollen wir miteinander abrechnen.«
Da der Wind von dieser Seite pfiff, wollte Pinocchio nicht mehr weiter und legte sich langwegs auf den Boden. Es dauerte nicht lange, so kamen auch schon ein Paar Straßenbummler und stellten sich um die beiden herum. Sie schwatzten hin und her. – »Arme kleine Marionette«, meinte einer, »du hast ganz recht, wenn du nicht nach Hause willst. Der Geppetto ist ein Grobian und wird dich halbtot schlagen.«
Andere spöttelten boshaft und sagten:
»Der Schnitzer-Geppetto! – Ja, ja! – Er hat ein zuckersüßes Gesicht. Aber man kennt ihn. Ein Unmensch ist er, ein Rabenvater. Bei diesem Ungeheuer wird der unschuldige Kleine gut aufgehoben sein! Seht doch mal wieder die kluge Polizei.«