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DER MILLIONÄR AUS MIAMI Mein Name ist Medici. Rafe Medici.Als der Millionär aus Miami ihr die Hand reicht, spürt Nicole sofort ein elektrisierendes Knistern. Dieser Mann hat eine derart sinnliche Ausstrahlung, aber er ist gefährlich. Ist er gekommen, um ihr den geliebten Neffen zu nehmen? Den Sohn ihrer verstorbenen Schwester, die damals eine heiße Affäre mit Rafe hatte? Während Nicole in Rafes dunkle Augen schaut, wird ihre Ahnung zur Gewissheit. Ein Medici bekommt immer, was er will, auch wenn er manchmal unfair spielt. Auch wenn Verführung der einzige Weg ist… WOVON EIN MILLIONÄR TRÄUMT Leidenschaft, immer! Liebe, nie! Um sentimentale Gefühle macht der millionenschwere Unternehmer Michael Medici grundsätzlich einen Bogen. Daran können auch die Tränen in Bellas hellblauen Augen nichts ändern, als sie ihn anfleht, die Wellnessoase ihrer Tante vor dem Aus zu retten. Allerdings muss Michael zugeben, dass Bella ein paar verführerische Seiten hat, die er vor ein paar Monaten genießen durfte. Jene heiße Nacht kann er einfach nicht vergessen, weshalb er Bella einen unglaublichen Vorschlag macht: Wenn sie seine Geliebte wird, verschont er das Geschäft! EIN MILLIONÄR UND VERFÜHRER Wieso muss ausgerechnet er so sexy aussehen? Calista ist wie elektrisiert. Eigentlich wollte sie sich mit diesem Leonardo Medici, der zu den Reichen und Mächtigen des Landes gehört, zu einem unverfänglichen Gespräch treffen. Denn er ist der Sohn des Mannes, der ihren Vater ruiniert hat! Aber, jetzt hat sie sich schon von seinem erotischen Lächeln aus dem Konzept bringen lassen, muss mit allen Mitteln verhindern, dass sie sich in den Feind verliebt. Immer wieder sagt Calista sich das, ehe sie sich von ihm zu einem romantischen Dinner einladen lässt…
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Seitenzahl: 608
Leanne Banks
Playboys zum Verlieben - die Medici-Brüder
Der Millionär aus Miami
Wovon ein Millionär träumt
Ein Millionär und Verführer
IMPRESSUM
BACCARA erscheint 14-täglich im CORA Verlag GmbH & Co. KG,
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© 2010 by Leanne Banks
Originaltitel: „From Playboy to Papa!“
erschienen bei: Silhouette Books, Toronto
in der Reihe: DESIRE
Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l.
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe: BACCARA
Band 1646 (2/1) 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg
Übersetzung: Sarah Heidelberger
Fotos: Harlequin Books S.A.
Veröffentlicht im ePub Format in 12/2010 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
ISBN-13: 978-3-86349-458-2
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Satz und Druck: GGP Media GmbH, Pößneck
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Leanne Banks
Der Millionär aus Miami
PROLOG
Es war ein Uhr morgens, und die Medici-Brüder läuteten das neue Jahr mit einer Flasche Scotch und einer Partie Poolbillard ein. Ausnahmsweise einmal sah es so aus, als würde Rafe gegen seinen älteren Bruder Damien gewinnen. Sein jüngerer Bruder Michael konnte ihm den Sieg allerdings noch streitig machen.
„Lasst uns so schnell wie möglich fertig werden“, sagte Damien, zielte und stieß hastig, aber die Kugel verfehlte das Loch.
„Hast du es so eilig, deine Braut wiederzusehen?“, fragte Rafe amüsiert.
„Mittlerweile müsste sie mit dem Duschen fertig sein.“ Ein Lächeln umspielte Damiens Mund, was ausgesprochen selten vorkam. „Zeit, das neue Jahr zu begehen.“
„Ich hätte nie gedacht, dass sich jemals eine Frau zwischen dich und deine Billardsiege stellen würde“, erwiderte Rafe, während er die Kugel in einer Ecktasche versenkte.
„Du bist doch nur eifersüchtig, weil auf dich keine Frau wie Emma wartet“, entgegnete Damien.
Bei diesen Worten empfand Rafe leises Bedauern. Seit seiner desaströsen Beziehung mit Tabitha Livingstone hatte er keine Frau mehr wirklich an sich heranlassen können. Er verpatzte den nächsten Stoß und fluchte leise.
„Da hat er allerdings recht“, kommentierte Michael und versenkte seine Kugel. „Treffer!“, jubelte er zufrieden, traf beim zweiten Mal jedoch nicht.
Nach einem Blick auf die Uhr sah Damien seine Brüder an. Dann stellte er den Queue ab und hob sein Glas. „Auf euch beide und darauf, dass ihr dieses Jahr Frauen findet, die auch nur halbwegs mit Emma mithalten können.“ Nachdem er einen Schluck getrunken hatte, verließ er das Zimmer.
Mit ein paar gelungenen Stößen gewann Rafe die Partie.
„Dieser Sieg geht wohl an dich“, murmelte Michael und seufzte.
„Allerdings.“ Doch ein richtiges Triumphgefühl wollte sich nicht einstellen.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte Michael leicht gelangweilt.
„Black Jack“, antwortete Rafe kurz angebunden. „Wir mögen vielleicht Pech in der Liebe haben, aber wenigstens haben wir Glück im Spiel.“
1. KAPITEL
Als Rafe das Foto in der Zeitung auffiel, die auf dem Tisch lag, sah er genauer hin. Diese Frau kannte er doch! Er zog die Zeitung näher an sich heran, bereute seine Neugierde jedoch sofort, als er erkannte, um wen es handelte. Tabitha.
Unvermittelt brach eine ganze Flut von Gefühlen über ihn herein. Wie gut er dieses seidige blonde Haar kannte – auch wenn es jetzt etwas dunkler war. Und dann diese schönen blauen Augen, dieser Körper, der einzig dazu diente, Männer in den Wahnsinn zu treiben! Tabitha wusste ganz genau, wie sie ihre Reize einsetzen musste. Damals hatte sie Rafe sofort um den kleinen Finger gewickelt – nur um ihn anschließend wie eine heiße Kartoffel fallen zu lassen, als sie genug von ihm gehabt hatte.
„Muss ein ganz schön wichtiges Geschäft sein, das dich aus South Beach weggelockt hat.“ Michels indirekte Frage brachte Rafe wieder ins Hier und Jetzt zurück.
„Für den richtigen Kunden nehme ich gerne eine Reise auf mich. Dieser hier hat zwei Luxusjachten gekauft und in Aussicht gestellt, dass einige seiner Freunde neue Kunden werden könnten.“ Außerdem bedeuteten seine neuen Abschlüsse, dass er Livingstone Yachts ein paar Abschlüsse wegschnappen konnte. Rafe bereitete es ein ausgesprochenes Vergnügen, Tabithas Vater eins auszuwischen, aber das behielt er lieber für sich. „Wie läuft es denn bei dir? Sieht so aus, als würde dein Geschäft gedeihen!“ Rafe sah sich anerkennend in der Bar um, die sein Bruder innerhalb weniger Wochen in den gefragtesten Club Atlantas verwandelt hatte, und schüttelte bewundernd den Kopf. „Michael, der Magier.“
Sein Bruder lachte auf. „Du weißt genau, dass ich mir in Wahrheit den Buckel krumm arbeite.“
„Tja, du bist eben ein echter Medici. Obwohl Damien ja bewiesen hat, dass auch wir das Leben genießen können, sobald wir die richtige Frau gefunden haben.“ Sein Blick schweifte wieder zu der Zeitung. Wie hatte er nur jemals so dumm sein können, ernsthaft an eine gemeinsame Zukunft mit Tabitha zu glauben?
„Hey, du hörst mir überhaupt nicht zu, oder?“, fragte Michael plötzlich. „Was guckst du dir da an?“
Rafe kniff die Augen zusammen und betrachtete den kleinen Jungen genauer, der auf dem Foto neben Tabitha stand. Er war vielleicht vier, fünf Jahre alt.
Tabitha, dieses verlogene Luder, hatte ihn damals nach Strich und Faden betrogen. Schließlich hatte er sie sogar dabei erwischt, wie sie versucht hatte, einen seiner Kunden zu verführen.
„Kennst du den Typen im Rollstuhl?“, fragte Michael.
„Wen?“ Erst jetzt entdeckte Rafe den älteren Mann, der ebenfalls auf dem Bild zu sehen war, und überflog den Artikel, in dem es unter anderem um einen Marine-Veteranen ging, der trotz seiner Behinderung ein neues Leben angefangen hatte. Was zur Hölle hatte Tabitha denn mit diesem Mann zu tun? Sie war der Prototyp des verwöhnten Töchterchens aus gutem Hause!
Stirnrunzelnd sah er sich wieder das Foto an. Der kleine Junge hatte braunes lockiges Haar und lugte schüchtern hinter Tabithas Bein hervor … Und die Erkenntnis traf Rafe wie ein Schlag: Der Junge sah aus wie ein waschechter Medici! Er rechnete kurz nach. Keine Frage: Obwohl Tabitha ihn betrogen hatte, war es möglich, dass das hier sein Sohn war!
„Rafe, du benimmst dich verdammt seltsam!“, stellte Michael besorgt fest.
„Ja, äh, ich …“ Kopfschüttelnd deutete er auf den Artikel. „Weißt du, wo dieses Foto aufgenommen worden ist?“
Michael zog eine Augenbraue hoch. „Ja, nicht gerade das beste Viertel der Stadt. Keine Gegend, in der man sich nach Einbruch der Nacht freiwillig herumtreiben würde.“
Rafe warf einen Blick auf seine Uhr. Es war schon elf. Verdammt! Er würde erst morgen herausfinden können, ob er einen Sohn hatte oder nicht.
„Was ist denn los?“, fragte Michael.
„Da bin ich mir noch nicht ganz sicher. Aber morgen früh weiß ich mehr.“
Nicole Livingstone zog den Mantel enger um sich, um sich vor der Januarkälte zu schützen. Obwohl Atlanta im Süden lag, wurde es im Winter manchmal empfindlich kalt. Als sie fast bei ihrem Auto angekommen war, fiel ihr Blick auf einen großen, gut aussehenden Mann, der ihr auf dem Gehweg entgegenkam.
Hätte sie gern geflirtet, wäre er der perfekte Kandidat gewesen: Eine schwarze Lederjacke betonte seine breiten Schultern, mit kraftvollen, entschlossen Schritten ging er direkt auf Nicole zu. Sein dunkles Haar war vom Wind zerzaust, markante Augenbrauen betonten seine dunklen Augen. Nur seine Lippen, die er zu einer Linie zusammenpresste, schmälerten seine Attraktivität ein wenig. Er sah aus, als befände er sich auf einer weniger angenehmen Mission.
Ihre Blicke trafen sich.
„Tabitha“, sagte er kühl und blieb vor ihr stehen. „Tabitha Livingstone.“
Nicole sah zu ihm auf. Woher kannte der Fremde den Namen ihrer Schwester? „Ich bin nicht …“
„Versuch bloß nicht, Spielchen mit mir zu spielen! Dafür kennen wir einander nun wirklich zu gut.“
Nicole rang mühsam nach Atem. Schon oft war sie mit ihrer Schwester verwechselt worden – aber nicht mehr, seit Tabitha gestorben war. Jetzt so unerwartet ihren Namen zu hören tat weh. „Ich heiße Nicole Livingstone und bin Tabithas Zwillingsschwester.“
Sie beobachtete, wie der Fremde die Neuigkeiten verarbeitete und sich erst Unglaube, dann Verwirrung in seinem Blick spiegelte. „Sie hat mir nie erzählt, dass sie eine Zwillingsschwester hat!“
Nicole lachte trocken auf. „Sie hat es gern geheim gehalten, damit sie sich im Notfall damit herausreden kann, dass sie eine böse Zwillingsschwester hat.“
„Aha“, erwiderte er stirnrunzelnd und rieb sich das Kinn. „Und wo kann ich sie finden?“
Nicole biss sich auf die Unterlippe. Erstaunlich, wie schmerzhaft es immer noch war. Sie hatte geglaubt, über den Tod ihrer Schwester hinweg zu sein, doch offenkundig hatte sie sich geirrt. „Sie ist vor drei Jahren gestorben.“
Der Schock stand ihm ins Gesicht geschrieben. „Das … das wusste ich nicht.“
„Sie hatte eine schwere Infektion, und die Ärzte konnten ihr nicht mehr helfen. Ihr Tod war ein großer Schock für uns alle.“
„Mein Beileid“, sagte er, doch sein Blick verriet eine gewisse Härte. Er streckte die Hand aus.
Als Nicole sie ergriff, staunte sie über die Wärme und Kraft, die von ihm ausging. „Danke. Und Sie sind …?“
„Rafe“, erwiderte er. „Rafael Medici.“
Für den Bruchteil einer Sekunde schien sich alles um sie herum zu drehen. Von einem Augenblick zum nächsten begann Nicoles Herz wie verrückt in ihrer Brust zu hämmern. Wie vom Schlag getroffen, entzog sie ihm ihre Hand.
Sie musste weg hier, und zwar so schnell wie möglich! Nicole atmete tief durch und trat einen Schritt zurück. „Nochmals danke. Auf Wiedersehen.“
Sie versuchte, sich an ihm vorbeizudrängen, doch er hielt sie auf. „In der Zeitung habe ich ein Bild von Ihnen und einem kleinen Jungen gesehen. War das Tabithas Sohn?“
„Er ist mein Sohn.“ Sie spürte, wie ihr das Blut in die Wangen stieg. „Joel gehört zu mir.“
„Hat Tabitha vor ihrem Tod ein Kind bekommen?“
„Joel gehört zu mir. Ich muss jetzt gehen“, erklärte Nicole entschlossen und ging auf ihren Wagen zu, den sie am Straßenrand geparkt hatte. Während sie die Fahrertür aufschloss, raste ihr Herz immer noch.
Sie hatte sich gerade gesetzt und wollte die Tür zuziehen, da trat Rafe Medici dazwischen. „Mr. Medici“, brachte sie mühsam hervor. Panik stieg in ihr auf.
„Mein Vater ist gestorben, als ich noch klein war. Der Verlust war grauenhaft, und ich möchte nicht, dass meinem Sohn eines Tages etwas Ähnliches widerfährt.“
Sein plötzlich warmer Gesichtsausdruck ging ihr durch und durch. Tabitha hatte ihn als einen brutalen Mann beschrieben, für den nur sein gigantisches Ego zählte. Nervös sah Nicole auf seine Hand, die er auf die Fahrertür gelegt hatte. „Bitte treten Sie zurück! Ich muss jetzt wirklich los“, sagte sie kühl.
Ihr war allzu bewusst, dass er sie aufmerksam musterte. Dann nahm er langsam die Hand von der Tür. Zweifellos ließ er sich nicht so leicht einschüchtern. Aber hatte sie etwas anderes erwartet? Er war einen halben Kopf größer als sie, und mit seinen breiten Schultern und dem muskulösen Oberkörper, dessen Konturen sich deutlich unter seiner Jacke abzeichneten, hätte er Nicole vermutlich problemlos in die Luft stemmen können.
„Dann reden wir eben später“, erklärte er.
Nicole zog die Tür zu und fuhr los.
Später. Sie schickte ein Stoßgebet gen Himmel, dass es kein Später geben würde. Joel war fast vier Jahre alt, und endlich schien sich alles beruhigt zu haben. Nicht einmal auf Tabithas Beerdigung war Rafe Medici erschienen.
Nicole brach der kalte Schweiß aus, ihre Gedanken rasten. Warum hatte sie Joel damals nur mit zur Arbeit genommen? Einer ihrer Klienten hatte eine Sammlung von Dinosauriermodellen, die er unbedingt hatte sehen wollen. Dann waren sie von diesem Reporter überrascht worden, der einen Artikel über Kriegsversehrte geschrieben und ein Foto von ihnen gemacht hatte, das tatsächlich in der Zeitung erschienen war. Was für ein unglücklicher Zufall …
Sollte sie sich Joel einfach schnappen und mit ihm verschwinden? Nein, das konnte sie ihm nicht antun, dazu war er viel zu unsicher. Außerdem hatte er sich gerade erst im Kindergarten eingewöhnt.
Nicole erinnerte sich an Rafe Medicis entschlossenen Gesichtsausdruck. Unwillkürlich umfasste sie das Lenkrad fester, sodass die Knöchel weiß hervortraten. Sie musste ihre Möglichkeiten abwägen.
Tabitha hätte jetzt einen filmreifen Auftritt vor ihrem Vater hingelegt, um Geld von ihm zu bekommen. Aber Nicole hatte den Kontakt zu ihrem Vater auf das Nötigste reduziert, nach allem, was er getan hatte …
Sie atmete tief durch, um sich zu beruhigen. Schließlich war sie immer schon die Pragmatische in der Familie gewesen. Irgendetwas würde ihr schon einfallen. Was auch immer geschah, sie würde Joel um jeden Preis schützen.
Sie lügt, dachte Rafe, während er beobachtete, wie Nicole Livingstone davonfuhr. Er spürte dieses leichte Pickeln in seiner linken Hand, das ihn immer befiel, wenn sich Schwierigkeiten anbahnten. Diese Frau bedeutete Ärger. Vielleicht sogar mehr Ärger, als Tabitha ihm eingebracht hatte – falls das überhaupt möglich war.
Tabitha war eine fantastische Schauspielerin gewesen. Er hatte ihr tatsächlich geglaubt, dass sie es genossen hatte, mit ihm zusammen zu sein. Dann hatte er herausgefunden, dass es ihr nur um sein Geld gegangen war. Bis heute konnte er ihre Gier nicht verstehen, immerhin stammte sie aus einer sehr wohlhabenden Familie. Er erinnerte sich daran, wie sie ihn angefleht hatte, ein paar seiner Jachten verkaufen zu dürfen. Und dumm, wie er gewesen war, hatte er auch noch nachgegeben. Insgeheim hatte er sich gefreut, dem mächtigen Conrad Livingstone mithilfe seiner eigenen Tochter eins auszuwischen. Aber das Ganze war nach hinten losgegangen. Tabitha hatte ihn angelogen, um ihre Provision einzustreichen. Anschließend hatte sie versucht, einen seiner Kunden zu verführen, einen spanischen Prinzen – wenigstens dabei hatte sie keinen Erfolg gehabt.
Er kämpfte sich durch den peitschenden Wind zu seinem Mietwagen. Die Wahrheit über Tabitha, Nicole und Joel würde sich leicht herausfinden lassen.
Nachdem Rafe in den Wagen gestiegen war, rief er seinen Bruder an.
„Hey, Rafe, was gibt’s?“, fragte Michael.
„Kannst du mir einen schnell, gründlich und diskret arbeitenden Privatdetektiv empfehlen?“
„Na klar. Hat das irgendwas mit deiner schlechten Laune gestern Nacht zu tun?“
„Möglicherweise.“
„Bedeutet das, dass du noch ein paar Wochen oder Monate bei mir wohnen wirst?“
„Ja, aber nur, wenn es dir recht ist“, erwiderte Rafe.
„Aber sicher! Allerdings werde ich nur selten da sein. Ich habe gerade einen neuen Laden gefunden, den ich günstig aufkaufen kann.“ Er schwieg kurz, dann fuhr er fort: „Würdest du mir verraten, was das alles soll?“
„Mach ich, sobald ich es selbst weiß“, antwortete Rafe grimmig. „Schickst du mir die Nummer von dem Privatdetektiv per SMS?“ Er brauchte Antworten, und er würde sie bekommen.
Gleich nachdem er den ersten Bericht vom Privatdetektiv erhalten hatte, konsultierte Rafe einen Anwalt.
„Kann Nicole Livingstone mir das Sorgerecht vorenthalten?“, fragte er geradeheraus.
Der Anwalt schüttelte den Kopf. „Natürlich kann sie klagen. Aber solange sie nicht beweisen kann, dass Sie als Erziehungsberechtigter ungeeignet sind, wird sie verlieren. Alles, was Sie brauchen, ist ein positiver Vaterschaftstest. Ein entsprechender Gerichtsbeschluss ist kein Problem.“
Voller Bitterkeit dachte Rafe an all die Jahre, die die Livingstones ihm seinen Sohn vorenthalten hatten. „Diese Leute haben mich aufs Übelste betrogen. Ich möchte Joel so schnell wie möglich bei mir haben.“
Beschwichtigend hob der Anwalt die Hand. „Nicht so schnell.“
„Aber Sie sagten doch, dass es kein Problem ist, das Sorgerecht zu bekommen!“
„Das stimmt auch“, erklärte der Mann ruhig. „Aber bei all dem steht vor allem das Wohl Ihres Sohnes im Vordergrund. Wollen Sie ihn wirklich einfach so aus seinem vertrauten Umfeld reißen? Allem Anschein nach war Nicole Livingstone eine sehr gute Mutter, meinen Sie nicht auch?“
„Doch, schon“, räumte Rafe widerwillig ein.
„Rein rechtlich gesehen könnten Sie dafür sorgen, dass er Mrs. Livingstone nie wieder zu Gesicht bekommt. Allerdings müssen Sie auch daran denken, was das Beste für Ihren Sohn ist. Wie würde er sich wohl fühlen, wenn er einfach so der Frau entrissen wird, die wie eine Mutter für ihn ist?“
Bei dem bloßen Gedanken wurde Rafe flau im Magen. Er hatte Ähnliches erlebt. Er war noch ein Kind gewesen, als er seine Eltern und seine Familie verloren hatte. Und es hatte Jahre gedauert, diese tragischen Ereignisse auch nur ansatzweise zu verarbeiten. Obwohl er die Livingstones verachtete, musste er zugeben, dass Nicole Joel eine gute Mutter war.
Sie schien anders zu sein als Tabitha, doch noch wusste er zu wenig, um sicher sein zu können. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass sie einen so anderen Weg eingeschlagen hatte als seine Exfreundin und ihr Vater – zumal Nicole keine Sekunde lang darüber nachgedacht zu haben schien, Rafe von Joel zu erzählen.
Wieder überkam ihn die vertraute Bitterkeit. Jetzt war sein Moment gekommen, um sich ein für alle Mal an den Livingstones zu rächen. Er könnte ihnen Joel wegnehmen, für immer. Aber so verlockend der Gedanke auch war, es wäre egoistisch gewesen. Er hatte jetzt einen Sohn, an den er denken musste. Der bloße Gedanke machte ihn immer noch fassungslos.
Nicole könnte ihm vielleicht nützlich sein … Sicher, sie war nicht sein Typ, dafür war sie nicht extrovertiert genug. Doch irgendetwas an ihr machte ihn neugierig. So gut sie ihre sinnliche Seite auch verbergen mochte, er war sich sicher, dass unter der zurückhaltenden Oberfläche tiefe Leidenschaft schlummerte. Sie brauchte einfach nur den richtigen Mann, um ihr wahres Ich zu entdecken. Unter anderen Umständen hätte Rafe dieser Neugierde nachgegeben, doch hier ging es um etwas viel Wichtigeres: um seinen Sohn.
Nicole half ihrem Neffen nach dem Abendessen und einem ausgiebigen Bad, seinen Schlafanzug anzuziehen, und setzte sich dann neben ihn aufs Bett. „Was soll ich dir heute vorlesen?“, fragte sie.
Als er mit einem hoffnungsvollen Ausdruck auf dem niedlichen Gesicht vier Bücher auf einmal hochhielt, wurde ihr schwer ums Herz. Er mochte nur ihr Neffe sein, aber in ihrem Herzen war er ihr Sohn. Und sie würde für ihn kämpfen.
„Vier?“ Sie lächelte. „Ich dachte eher an zwei.“
„Aber ich mag sie alle“, erwiderte Joel ernst und blickte betreten auf die Bücher in seiner Hand. Sich entscheiden zu müssen schien ihn vollkommen zu überfordern.
Nicole seufzte. „Na gut, aber nur ausnahmsweise.“ Natürlich wusste sie nur zu gut, dass sie am nächsten Abend wieder nachgeben würde. Manchmal hatte sie den Verdacht, dass sie diese friedlichen Abende noch mehr genoss als Joel.
Er kuschelte sich an sie und schlug das erste Buch auf, das von einer kleinen Maus handelte, die eine riesige Erdbeere fressen wollte.
Im Stillen fragte Nicole sich immer wieder, ob sie wohl noch einmal von Rafe Medici hören würde. Nachdem er sich weder am vergangenen noch an diesem Tag gemeldet hatte, hatte sie sich ein wenig entspannt. Wie konnte eine einzige Begegnung mit ihm sie nur so sehr verängstigen, dass sie ernsthaft darüber nachdachte, mit Joel das Land zu verlassen?
Tabitha war gestorben, als Joel erst sechs Monate alt gewesen war, und seitdem betrachtete er Nicole als seine Mutter. Sie war diejenige, die er bei sich haben wollte, wenn er sich das Knie gestoßen hatte oder krank war. Sie war diejenige, nach der er die Arme ausstreckte, wenn er eine Umarmung brauchte.
Schon am Tag seiner Geburt hatte Nicole ein enges Band zwischen sich und ihrem Neffen gespürt. Die Entbindung war kompliziert gewesen, und Tabitha hatte ihre Schwester an ihrer Seite gebraucht. Noch im Krankenhaus war Tabitha an einer Infektion erkrankt. Die folgenden sechs Monate waren für alle Beteiligten ein fürchterliches Wechselbad der Gefühle gewesen. Nicole hatte schnell entschieden, weniger zu arbeiten, um ganz für ihre Schwester und ihren Neffen da sein zu können.
Tabitha hatte schon nach kurzer Zeit die Geduld mit sich und ihrer Krankheit verloren und ihre Medikamente nicht mehr regelmäßig genommen. Abends war sie manchmal ausgegangen und hatte sich auf Partys herumgetrieben, während sich Nicole um Joel gekümmert hatte.
Eines Nachts war sie dann einfach zusammengebrochen und mit Blaulicht zurück ins Krankenhaus gebracht worden. Die Infektion hatte sich in ihrem ganzen Körper ausgebreitet. Eine Woche später war sie gestorben.
Am Boden zerstört und geschockt, hatte Nicole sich zunächst darum gekümmert, entsprechend Tabithas Wünschen das alleinige Sorgerecht für Joel zu beantragen. Zwar hatte ihr Vater ihr angeboten, dass sie mit seinem Enkel bei ihm leben könne, doch sie hatte abgelehnt. Ein so verletzliches Kind wie Joel ihrem unberechenbaren Vater auszuliefern war ihr einfach nicht richtig erschienen.
Während sie Joel fester an sich drückte und begann ihm das zweite Buch vorzulesen, spukte Rafe Medicis Drohung noch immer durch ihre Gedanken. Als Nicole bei der vierten Geschichte angelangt war, spürte sie, wie ihr Neffe sich in ihren Armen entspannte und sein Atem ruhig und gleichmäßig wurde.
Nicole musterte sein schlafendes Gesicht und musste lächeln. Vorsichtig legte sie ihn aufs Bett und beobachtete, wie er sich mit geschlossenen Augen unter die Decke kuschelte. Sanft küsste Nicole ihn auf die Stirn, schaltete die Dinosaurierlampe aus und schlich aus dem Zimmer.
Im Wohnzimmer legte sich Stille um sie. Nach Tabithas Tod hatte es Augenblicke gegeben, in denen Nicole befürchtet hatte, der Aufgabe, Joel allein großzuziehen, nicht gewachsen zu sein. Dann hatte sie begriffen, dass sie keine andere Wahl hatte, dass sie sich einfach durchbeißen musste.
Und seit Joel die ersten Zähne bekommen und die Windpocken durchgestanden hatte, stellte sie ihre Kompetenz nicht mehr so häufig infrage. Joel war ein glückliches und gesundes Kind.
Doch an diesem Abend erinnerte die Stille Nicole schmerzhaft daran, dass sie abgesehen von Joel allein war. Ihre Mutter lebte in Frankreich, ihre Schwester war tot, und ihrem Vater konnte sie nicht über den Weg trauen.
Um sich abzulenken, hörte sie leise Popmusik. Dann schenkte sie sich ein Glas Wasser ein und konzentrierte sich auf die Arbeitsunterlagen, die sie an diesem Wochenende bearbeiten wollte.
Aber die Gedanken an ihre Einsamkeit beschlichen sie immer wieder. Zum Glück gab es wenigstens ihre Cousine Julia, die häufig schimpfte, weil Nicole niemals ausging. Ihr fiel es jedoch einfach zu schwer, Joel abends allein zu lassen. Tabitha mit ihren ewigen Partys hätte dieses Problem wohl nicht gehabt.
Ihre Schwester war ein wahrer Männermagnet gewesen.
Nicoles letzte Beziehung hatte geendet, als sie so häufig bei Tabitha im Krankenhaus gewesen war – eine Verpflichtung, für die ihr Freund kein sonderlich großes Verständnis aufgebracht hatte. Eines Tages werde ich vielleicht den Richtigen finden, dachte Nicole. Einen ganz normalen Mann, der kein aufgeblasenes Ego hat und sich auch für andere Dinge interessiert als für seinen Erfolg. Eines Tages – aber nicht jetzt.
Sie zwang sich, sich auf ihre Arbeit zu konzentrieren.
Eine halbe Stunde später klopfte es plötzlich an der Tür. Wer um Himmels willen kam unangemeldet um halb neun bei ihr vorbei?
Als sie aufstand, hatte sie ein ungutes Gefühl. Langsam ging sie zur Eingangstür. Noch während sie einen Blick durch den Spion warf, schien sich eine eiserne Faust um ihr Herz zu schließen. Denn vor der Tür stand ihr fleischgewordener Albtraum.
2. KAPITEL
Am liebsten hätte Nicole einfach nicht aufgemacht, aber sie fürchtete, dass Rafe Medici dann klingeln würde, was Joel aufgeweckt hätte. Ihr Atem ging schnell und flach. Im Geiste wappnete sie sich kurz für die Auseinandersetzung, die ihr bevorstand, dann öffnete sie langsam die Tür und sah Medici in die Augen.
„Joel ist mein Sohn“, sagte er ohne Umschweife. Seine Stimme klang eiskalt.
„Joel gehört zu mir, rechtlich und im Herzen“, antwortete sie ohne Zögern.
„Tabitha war seine Mutter.“ Er verzog den Mund zu einem bitteren Lächeln. „Mich wundert nicht, dass sie mir nichts von ihm erzählen wollte, schließlich war ich ihr noch nicht einmal gut genug, um mir treu zu sein.“
„Meine Schwester hat ihre Wünsche bezüglich Joel klar und deutlich in ihrem Testament festgehalten“, erklärte Nicole. „Sie wollte, dass ihr Sohn ein liebevolles und stabiles Zuhause hat.“
„Meinen Sie nicht, dass er ein Recht darauf hat, seinen Vater zu kennen?“, entgegnete er zornig. „Fast vier Jahre lang haben Sie ihm das vorenthalten!“
„Ich kann Ihnen versichern, dass Joel nicht darunter gelitten hat. Er ist mein Lebensmittelpunkt, und ich sorge dafür, dass ihm nichts fehlt.“
„Das ändert doch nichts daran, dass er auch einen Vater braucht!“ Rafe blickte an ihr vorbei in den Flur. „Müssen wir das hier zwischen Tür und Angel diskutieren, oder darf ich hereinkommen?“
Widerwillig trat sie beiseite und war wütend, weil sie seinen schlanken, muskulösen Körper nicht ignorieren konnte, als er an ihr vorbeiging. „Sollten Sie meinen Sohn wecken“, erklärte sie scharf, „werde ich keine Sekunde lang zögern, die Polizei zu rufen.“
Er warf ihr einen seltsamen Blick zu. „Ich habe es selten nötig, laut zu werden.“ Er strahlte reine Macht aus, eine Macht, die umso beunruhigender wirkte, weil sie so selbstverständlich wirkte.
Dieser Mann hatte genau die natürliche Autorität, die einen guten Vater auszeichnete. Mit einem einzigen Blick würde Rafe Medici alles erreichen, was er wollte, ohne ein lautes Wort zu brauchen. Als Nicoles Blick auf seine großen Hände fiel, wurde ihr schwer ums Herz. Außer er benutzt seine Fäuste.
Tabitha hatte niemals behauptet, dass er sie geschlagen hatte, aber sie hatte angedeutet, dass er brutal war, einschüchternd. Ein grober, nur anfangs charmant wirkender Mann, den sie unterschätzt hatte.
„Es ist an der Zeit, dass ich meinen Sohn kennenlerne“, erklärte er.
Für einen Moment schien ihr das Herz stehen zu bleiben. „Ich möchte nicht, dass Joels Leben durcheinandergerät. Er ist glücklich, und er fühlt sich hier sicher. Sie kennenzulernen würde ihn verstören. Abgesehen davon haben Sie gerade deutlich gezeigt, dass Sie keinen blassen Schimmer von Kindern haben. Joel schläft schon seit einer Stunde.“
„Eines Tages wird er begreifen, dass er einen Vater hat. Je länger ich warte, desto mehr werden er und ich bereuen, dass wir so viel Zeit miteinander verloren haben. Ich habe Rechte. Und wenn ich Sie verklagen muss, um zu bekommen, was mir zusteht, werde ich keine Sekunde lang zögern.“
Nicole sah zu ihm auf. „Wagen Sie es ja nicht, mir zu drohen! Was haben Sie ihm schon zu bieten? Wo leben Sie? Auf einer Playboy-Jacht? Haben Sie sich auch nur ein einziges Mal gefragt, ob das eine geeignete Umgebung für ein Kind ist?“
Rafe presste die Lippen aufeinander. „Ich bin bereit, für mein Kind mein Leben zu ändern. Ich will, dass er bei mir lebt. Wenn es nötig ist, engagiere ich eben ein Kindermädchen.“
Bei dem bloßen Gedanken begann Nicole vor Wut zu schäumen. „Ein Kindermädchen engagieren?! Gott, was wären Sie nur für ein toller Vater! Sie interessieren sich doch kein bisschen für Joel! Alles, was Sie wollen, ist Macht, genau wie Tabitha gesagt hat!“
Als Rafe sie durchdringend musterte, begriff sie, dass sie zu viel verraten hatte. Er stemmte die Fäuste an seine Hüfte und betrachtete Nicole eingehend. „Was genau hat Tabitha Ihnen über mich erzählt?“
Nervös zuckte sie die Schultern und wich einen Schritt zurück. „Dass Sie ihr Angst gemacht haben. Dass sie Sie in einem Club in Miami kennengelernt hat und ihre Affäre nur wenige Monate gedauert hat. Sie hat gesagt, dass sie Sie anfangs charmant und attraktiv gefunden hat, obwohl oder vielleicht auch gerade weil Sie nicht so geschniegelt waren wie ihre bisherigen Freunde. Und dass Sie zum Ende ihrer Affäre hin kontrollsüchtig geworden sind.“ Nicole biss sich auf die Zunge, um nicht zu verraten, dass Rafe Tabitha an ihren Vater erinnert hatte.
Als er tief durchatmete, bebten seine Nasenflügel kaum merklich. Äußerlich wirkte er zwar ruhig, aber seine Augen spiegelten seine Wut. „Dann haben Sie ihre Erzählungen also einfach für bare Münze genommen? Ohne mir jemals begegnet zu sein?“
Nicole blinzelte. „Warum hätte ich ihr nicht glauben sollen? Sie war meine Schwester!“
„Dann weiß ja wohl kaum jemand besser als Sie, dass Tabitha nicht vollkommen gewesen ist.“
„Kein Mensch ist vollkommen.“
„Aber manche sind bessere Lügner als andere.“
„Wollen Sie etwa andeuten, dass Tabitha über so etwas Wichtiges gelogen hätte?!“, entgegnete Nicole.
„Wollen Sie etwa andeuten, dass Tabitha nie in wichtigen Fragen gelogen hat?“
Sie öffnete den Mund, um lautstark zu protestieren, wählte dann jedoch eine vorsichtigere Formulierung. „Nichts so Wichtiges.“
„Fassen wir an dieser Stelle zusammen: Sie sind mir noch nie begegnet und haben mich aufgrund der Meinung einer Frau verurteilt, die nicht gerade für ihre Ehrlichkeit berühmt gewesen ist. Ähneln Sie Tabitha?“
„Nein“, entfuhr es Nicole wie aus der Pistole geschossen. Sie bereute ihre heftige Reaktion sofort. Mit jedem Satz schien Rafe Medici sie weiter in die Enge zu treiben. Und sie musste Joel schützen! „Ich werde nicht zulassen, dass sie schlecht über Tabitha reden. Immerhin ist sie Joels Mutter. Sie hatte Fehler, genauso wie jeder andere auch. Sie hat das Leben geliebt und es verloren, weil sie Joel zur Welt gebracht hat. Und jetzt gehen Sie bitte.“
Sie sah, dass er mühsam versuchte seine Ungeduld zu zügeln. „Ich habe Rechte, Nicole. Ich bin Joels Vater. Was, wenn ich nicht der Mann bin, für den Tabitha mich gehalten hat? Wie wollen Sie Joel all das erklären, wenn er anfängt, nach seinem Vater zu fragen?“
Zum ersten Mal befielen Zweifel Nicole, doch sie versuchte, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. „Ich muss meinen Jungen schützen.“
„Ich gebe Ihnen einen Tag Zeit, um ihm zu erklären, wer ich bin. Übermorgen komme ich zurück, und zwar um Joel kennenzulernen.“
Panik stieg in ihr auf. „Das geht alles zu schnell!“
„Das bezweifle ich.“
Am nächsten Tag besuchte Nicole ihre Cousine Julia und erzählte ihr, was vorgefallen war. Nachdem Julia ihre zwei Monate alte Tochter zum Mittagsschlaf hingelegt hatte, setzte sie sich zu Nicole auf die Ledercouch und drückte aufmunternd ihren Arm.
„Ich denke, du solltest kooperieren.“
Nicole biss sich auf die Lippe. „Aber es muss doch irgendetwas geben, das ich tun kann!“ Julia war nicht nur ihre engste Vertraute, sondern auch Anwältin – zwei gute Gründe, ihren Rat ernst zu nehmen.
„Sicher, dir stehen viele Möglichkeiten offen. Nur wird das alles dich einen Haufen Geld kosten und das Verhältnis zwischen Joels Vater und dir für immer belasten. Hältst du das wirklich für eine gute Idee?“
Nicole seufzte. „Und was, wenn er ein grauenhafter Vater ist? Was, wenn er …“ Es fiel ihr schwer, die Worte auszusprechen. „… ihn schlägt?“, fragte sie im Flüsterton.
Nun war Julia diejenige, die seufzte. „Dann sieht die Sache natürlich anders aus.“ Sie trank einen Schluck Kräutertee und fuhr anschließend fort: „Wie kommst du darauf, dass er gewalttätig sein könnte? Hat Tabitha etwas angedeutet?“
„Ja, dass er sie schikaniert hat und dass er sie an unseren Vater erinnert hat.“
Julia nickte langsam. Sie wusste alles über die dunklen Geheimnisse in Nicoles Familie. „Ich verstehe, dass dich das sehr beunruhigt.“
„Gelinde gesagt.“
Ihre Cousine zögerte kurz, als würde sie nach den richtigen Worten suchen, dann sagte sie: „Ich weiß, dass Tabitha dir sehr nahestand, aber auch dir muss aufgefallen sein, dass sie häufig übertrieben hat.“
„Ja, sicher, aber in Bezug auf etwas so Wichtiges?“
„Ich will mich ja nicht auf die Seite von diesem Medici schlagen. Trotzdem kann ich mir gut vorstellen, dass Tabitha sich schikaniert gefühlt hat, einfach weil er nicht nach ihrer Pfeife getanzt hat.“
„Das kann gut sein“, gab Nicole widerwillig zu.
„Ich hoffe, dir ist klar, dass ich dir niemals dazu raten würde, ihm Joel zu geben, ohne mehr über Medici zu wissen, aber …“
„Ich würde ihm Joel niemals geben!“ Nicoles Stimme überschlug sich fast, und ihre Cousine legte ihr besänftigend den Arm um die Schulter.
„Hast du dich schon mal gefragt, warum dieser Mann unbedingt das Sorgerecht für Joel will? Was seine wahren Motive sind? Er scheint sehr wohlhabend zu sein, ein Playboy. Auf das Geld, das Tabitha Joel hinterlassen hat, wird er also kaum aus sein. Die meisten Männer in seiner Situation würden dir Joel mit Handkuss überlassen.“
Wieder biss Nicole sich auf die Lippe. Was hatte Rafe noch einmal erzählt? Dass er seinen Vater früh verloren hatte? Für einen kurzen Moment empfand sie tiefes Mitgefühl mit ihm. Was, wenn er tatsächlich nicht das Monster war, das Tabitha beschrieben hatte?
„Ich weiß, dass dir das nicht gefallen wird, aber ich kann dir nur raten, diesen Mann so gut wie möglich kennenzulernen“, fuhr Julia fort. „Er ist nun einmal Joels Vater, und er hat alle Vorteile auf seiner Seite. Wenn er wollte, könnte er dir Joel schon morgen wegnehmen – und zwar für immer. Die einzige Möglichkeit, die dir bleibt, ist, diesen Moment so lange wie irgend möglich hinauszuzögern.“
Um halb sechs Uhr abends lief Rafe den Gehweg vor dem gepflegten zweistöckigen Haus entlang, das Nicole Livingstone gehörte. Er hatte Pizza und ein paar Muffins mitgebracht. Gerüstet mit den Informationen, die ihm sein Anwalt und sein Privatdetektiv besorgt hatten, klopfte er an die Haustür.
Drei Tage lang hatte er darum gerungen, seine Wut und Enttäuschung darüber, dass Tabitha ihm seinen Sohn so lange vorenthalten hatte, in den Griff zu bekommen. Übrig geblieben war ein tiefes Verlustgefühl. Das und seine klare Entscheidung: Rafe wollte seinem Kind ein guter Vater sein, und nichts würde ihm dabei im Weg stehen.
Argwöhnisch sah Nicole ihn an, nachdem sie die Tür geöffnet hatte. Sie atmete hörbar ein, so als würde sie sich für einen Kampf wappnen, dann entdeckte sie die Pizza. Ein trockenes Lächeln umspielte ihre vollen Lippen. „Eine gute Wahl. Joel liebt Pizza.“
„Ist Peperoni okay?“, hakte er nach. Warum war Nicole plötzlich so zugänglich geworden?
„Das hängt ganz von seiner Laune ab. Manchmal isst er sie, manchmal nicht.“
„Ich habe auch ein paar Muffins mitgebracht“, erzählte er und hielt die Papiertüte hoch.
Sie warf ihm einen zweifelnden Blick zu. „So viel Zucker vor dem Schlafengehen könnte uns einen unruhigen Abend bescheren.“
„Er soll sie ja nicht alle essen. Und immerhin habe ich seine ersten vier Geburtstage verpasst!“
Sie sah ihm in die Augen. In ihrem Blick schien ein Hauch von Mitgefühl, ja, fast Bedauern zu liegen. Diese Frau überraschte ihn immer wieder. Sein Privatdetektiv hatte ihm einiges über Nicole berichtet. Ihre Ausbildung: ein Doppelstudium in Gesundheitsverwaltung und Soziologie. Ihr Job: staatliche Gesundheitsberaterin für Kriegsversehrte. Ihre Kreditwürdigkeit: hervorragend. Ihr Liebesleben: nicht existent. Ihre Liebe zu Joel: unermesslich. Auch wenn Nicole eindeutig der zurückhaltende Zwilling zu sein schien, hatte sie offenbar ein großes Herz – was Rafe sehr zugutekommen würde.
„Na gut.“ Sie seufzte. „Kommen Sie rein. Lassen Sie es langsam angehen, und versuchen Sie, nicht über die Zukunft zu sprechen.“
„Warum nicht?“
„Seinem Vater zu begegnen wird für Joel schon mehr als genug sein.“
„Sind Sie sich da sicher?“, fragte Rafe in stichelndem Ton.
„Bilden Sie sich ja nicht ein, dass Sie besser als ich wissen, was gut für Joel ist!“, konterte sie.
„Ich weiß, dass ich sein Vater bin. Das reicht mir.“
Nicole hob kämpferisch das Kinn. „Bitte geben Sie sich einfach Mühe, ihn nicht zu überfordern.“ Ihr Tonfall ließ keinen Zweifel daran, dass es sich keineswegs um eine Bitte handelte.
„Ich möchte ihm einfach nur klarmachen, dass ich von jetzt an immer für ihn da sein werde.“
Sie sah ihn prüfend an. „Ich gehe ihn holen.“
Erst jetzt wurde Rafe bewusst, wie nervös er war. In einigen Sekunden würde sein Sohn in sein Leben treten!
Kurz darauf kam ein kleiner Junge mit kurzem, dunklem Haar und leuchtend blauen Augen auf ihn zu und musterte ihn neugierig. „Mom sagt, dass du mein Vater bist.“
„Das stimmt“, erwiderte Rafe.
Joel blickte auf die Schachtel in seiner Hand. „Und du hast Pizza.“
Rafe lachte leise in sich hinein. „Das stimmt auch.“
„Ich hab Hunger.“
„Na, dann lass uns essen.“
Das Eis war schnell gebrochen. Wenige Minuten später beugten sich Nicole, Joel und Rafe einhellig über ihre Pizzastücke. Erleichtert erkannte Rafe, dass Joel an diesem Tag in Peperonilaune zu sein schien.
„Erzähl mir doch mal, was du alles gerne magst“, forderte er ihn zum Reden auf.
„Wii spielen, Geschichten vorgelesen bekommen und Tiere.“
„Was denn für Geschichten?“, erkundigte sich Rafe. Am liebsten hätte er sofort alles über Joel erfahren.
„Am liebsten mag ich die Erdbeergeschichte“, erwiderte Joel und biss in seine Pizza. „Da kommt eine Maus vor, und ein Bär.“
Rafe nickte. „Die kenne ich noch gar nicht. Muss ich wohl mal lesen.“
„Du kannst meine ausleihen. Aber nur, wenn ich sie wiederbekomme.“
„Okay“, sagte Rafe lächelnd. „Vielen Dank.“
Nach dem Essen spielte er mit Joel Wii. Währendessen spürte Rafe Nicoles neugierige Blicke auf sich. Einerseits war ihm ja egal, was sie von ihm hielt. Andererseits war ihm klar, dass sie großen Einfluss darauf haben würde, wie schnell Joel sich an die neuen Lebensumstände gewöhnte. Er würde zwar in jedem Fall gewinnen, aber mit Nicole auf seiner Seite würde alles viel reibungsloser ablaufen.
Mit Tabitha, wie er sie in Erinnerung hatte, hatte Nicole kaum etwas gemeinsam. Tabitha hatte ununterbrochen geredet und sich, wo sie nur konnte. Nicole hingegen schien nachzudenken, ehe sie etwas sagte. Sie trug eine Jeans, die nicht besonders eng, aber doch schmal genug geschnitten war, um ihre langen Beine und die Hüfte zu betonen. Auch ihr rosafarbener Kaschmirpullover wirkte eher zurückhaltend als aufreizend.
Ob sie sich wohl jemals einfach fallen ließ? Ob statt Misstrauen jemals Leidenschaft und Begehren in ihrem Blick lagen?
„Zeit, ins Bett zu gehen“, erklärte Nicole.
„Aber Mom!“, protestierte Joel. „Ich will noch ein bisschen Wii spielen! Er kann das viel besser als du!“
Rafe hustete, um sein Lachen zu überspielen, woraufhin Nicole ihm einen amüsierten Seitenblick zuwarf.
„Ich komme wieder, und dann spielen wir weiter“, versicherte Rafe seinem Sohn.
Joel musterte ihn ernst. „Versprochen?“
Mit einem Mal wurde Rafe unendlich schwer ums Herz. „Versprochen.“
„Okay“, erwiderte Joel und lief die Treppe hoch und in sein Zimmer, während Nicole Rafe zur Tür brachte.
„Danke, dass Sie so umsichtig waren.“
„Für heute war das sicher genug“, erwiderte Rafe und drehte sich zu ihr um. „Ich würde Sie morgen gern wiedersehen. Wir haben einiges zu besprechen.“
Zu seiner maßlosen Überraschung nickte sie einfach. „Da haben Sie recht. Vormittags habe ich ein paar Termine, aber ab halb eins habe ich Zeit.“
„Kennen Sie das ‚Peachtree Grill‘? Das Restaurant gehört meinem Bruder. Vielleicht könnten wir uns ja dort treffen.“
„In Ordnung.“
Ganz die sachliche Geschäftsfrau, dachte Rafe und beschloss, Nicole daran zu erinnern, dass er ein Mann war und sie eine Frau. Behutsam nahm er ihre Hand und strich ihr sanft mit dem Daumen übers Handgelenk. „Danke, dass Sie mir so entgegenkommen.“
Überrascht und befangen sah sie ihn an. „Ja, äh, gern“, erwiderte sie.
Er ließ ihre Hand los, ehe sie sie wegziehen konnte. Nicole strich über die Stelle, die er berührt hatte, als würde sie brennen, und Rafe triumphierte innerlich. Diese Frau war nicht halb so kühl und unnahbar, wie sie sich gab.
Nicole schlug das Herz bis zum Hals, als sie den Wagen vor dem „Peachtree Grill“ parkte und den Motor abstellte. Ehe sie ausstieg, musste sie tief durchatmen.
Sie musste zugeben, dass sich Rafe Medici ausgezeichnet mit Joel verstanden hatte. Aber das hatte kaum etwas zu sagen, schließlich waren es nur ein paar Stunden gewesen. Nachdem sie all ihren Mut zusammengenommen hatte, griff sie nach ihrer Handtasche und stieg aus dem Wagen.
An der Tür des Restaurants wartete eine Tischdame im schwarzen Minikleid.
„Ich bin mit Rafe Medici verabredet“, erklärte Nicole der jungen Frau, die ihr ein freundliches Lächeln zuwarf und sie zu eine ruhige Ecke des Restaurants führte.
„Na, da werden Sie aber den Neid einiger Frauen auf sich ziehen! Schauen Sie nur, wie die Kellnerinnen ihn umschwärmen.“
Und tatsächlich: Um den Tisch, an dem Rafe saß, hatten sich drei junge Frauen in weißen Hemden und kurzen schwarzen Röcken versammelt.
Die Tischdame räusperte sich vernehmlich. „Mr. Medicis Begleitung ist da.“ Die drei Kellnerinnen stoben auseinander, jedoch nicht, ohne Nicole missgünstig zu mustern. Nur eine von ihnen blieb neben dem Tisch stehen, um die Bestellung entgegenzunehmen.
„Guten Appetit“, sagte die Tischdame, dann ging sie Richtung Eingang.
Rafe erhob sich und drückte Nicole einen atemberaubenden Augenblick lang die Hand. „Schön, Sie zu sehen. Was möchten Sie trinken?“
„Kaffee wäre toll“, erwiderte sie. Als sie merkte, wie er sie ansah, schlug ihr Herz schneller. Sie zwang sich, seinem Blick auszuweichen, und setzte sich.
„Mit Milch?“, fragte die Kellnerin, die geblieben war.
„Nein danke, schwarz bitte.“ Nicole versuchte, sich zu sammeln, dann sah sie wieder zu Rafe auf. Warum musste er nur so schrecklich gut aussehen? Wenn Joel allzu sehr nach ihm kam, graute ihr jetzt schon vor seiner Pubertät und all den Mädchen, die er nach Hause bringen würde. Es waren nicht einfach nur Rafes dichtes, dunkles Haar, sein attraktives Gesicht und sein trainierter Körper, die die Frauen anzogen. Da war auch etwas in seinen Augen … eine Form von Aufmerksamkeit, die nur wenige Männer Frauen entgegenbrachten. Nicole wurde in diesem Moment klar, dass sie sich anstrengen musste, um seinem Charme nicht zu erliegen.
„Wie war Ihr Tag bisher?“, fragte er im Plauderton und trank einen Schluck Kaffee.
„Äußerst produktiv“, antwortete sie, überrascht darüber, dass er sich überhaupt so sehr für sie interessierte. „Ich habe drei Kunden besucht und ihnen allen zusätzliche Leistungen zusichern können.“
„Ich habe schon gehört, dass Sie bei Ihren Klienten hoch im Kurs stehen.“
„Und woher wissen Sie das?“, fragte Nicole, während ihr Kaffee serviert wurde.
„Von einem Privatdetektiv.“ Er zuckte die Schultern. „Verschwenden Sie lieber keine Energie darauf, sich aufzuregen. Da Sie nicht mit mir reden wollten, musste ich eben auf anderem Weg mehr über Sie herausfinden.“
Auch wenn Nicole nichts anderes erwartet hatte, gefiel es ihr ganz und gar nicht, dass dieser Mann seine Nase in ihre Privatangelegenheiten steckte. „Und würden Sie sagen, dass er seine Arbeit gut macht?“
„Allerdings. Warum fragen Sie?“
„Vielleicht könnte ich ihn engagieren, damit er ein bisschen über Sie herausfindet.“
Rafe lachte und lehnte sich entspannt zurück. „Ganz wie Sie wollen. Aber Sie können sich das Geld auch sparen. Die nächste Stunde werde ich Ihnen jede Frage beantworten, die Ihnen einfällt.“
3. KAPITEL
Wie viele Frauen sich wohl schon ohne Umschweife die Kleider vom Leib gerissen hatten, nachdem Rafe Medici ihnen sein umwerfendes Lächeln zugeworfen hatte? Nicole fiel es nicht schwer, zu verstehen, warum Tabitha sich anfangs so zu diesem Mann hingezogen gefühlt hatte. Zum ersten Mal in ihrem Leben begriff sie, warum man von magischer Anziehungskraft sprach. Und sie wusste, dass sie extrem aufpassen musste. Denn wenn sie zu einer der Motten wurde, die Rafe Medicis Licht umschwärmten, würde sie sich garantiert verbrennen.
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