Populismus? Frag doch einfach! - Seongcheol Kim - E-Book

Populismus? Frag doch einfach! E-Book

Seongcheol Kim

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Beschreibung

Zahlreiche Parteien und Bewegungen, die als populistisch gelten, sind in Europa auf dem Vormarsch. Seongcheol Kim geht in seinem Buch dem Phänomen Populismus auf den Grund. Er erklärt die verschiedenen Definitionen sowie Anwendungsmöglichkeiten des Begriffs und erläutert die bewegte Geschichte des Populismus. Varianten wie Links- und Rechtspopulismus nimmt der Autor ebenso in den Blick wie zahlreiche Länder Europas und der Welt. In einem abschließenden Kapitel widmet er sich dem Antipopulismus und dessen Folgen.

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Seitenzahl: 194

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Seongcheol Kim

Populismus? Frag doch einfach!

Umschlagabbildung und Kapiteleinstiegsseiten: © bgblue – iStock

Abbildungen im Innenteil: Figur, Lupe, Glühbirne: © Die Illustrationsagentur

ISBN 978-3-8252-6104-7 (Print)

ISBN 978-3-8463-6104-7 (ePub)

Inhalt

VorwortWas die verwendeten Symbole bedeutenZahlen und Fakten zum PopulismusAbkürzungsverzeichnisDer Begriff des PopulismusWoher kommt der Begriff „Populismus“?Inwiefern ist Populismus ein sinnvoller Begriff?Ist Populismus zwangsläufig mit dem Begriff des „Volkes“ verbunden?Welche Begriffsbestimmungen von Populismus gibt es?Was haben heutige Begriffsbestimmungen von Populismus gemeinsam?Unterliegen die Begriffsbestimmungen von Populismus einem historischen Wandel?Inwiefern unterscheiden sich wissenschaftliche Begriffsbestimmungen vom alltäglichen Gebrauch des Populismusbegriffs?Theorien des PopulismusWas macht eine Theorie des Populismus aus?Was besagt der diskursive Theorieansatz?Was besagt der ideelle Theorieansatz?Was besagt der stilistische Theorieansatz?Was besagt der strategische Theorieansatz?Wie ist das Verhältnis von Populismus und Demokratie zu bewerten?Ist Populismus zwangsläufig ‚illiberal‘?Ist Populismus zwangsläufig nationalistisch?Ist Populismus zwangsläufig verschwörungstheoretisch?Methoden der PopulismusforschungWodurch zeichnen sich Methoden der Populismusforschung aus?Wie analysiert man Populismus als Diskurs?Wie analysiert man Populismus als Ideologie?Wie analysiert man Populismus als Stil?Wie analysiert man Populismus als Strategie?Lässt sich Populismus als Einstellungskomplex messen?Inwiefern lassen sich verschiedene Methoden der Populismusforschung miteinander kombinieren?Die Geschichte des PopulismusWann gab es den ersten Populismus?Inwiefern ist Populismus eine rein moderne Erscheinung?Welche Beispiele für Populismus gibt es in der Geschichte des politischen Denkens?Welche Beispiele für populistische Bewegungen oder Parteien im 19. Jahrhundert gibt es?Welche Beispiele für populistische Bewegungen oder Parteien im 20. Jahrhundert gibt es?Welche Beispiele für populistische Bewegungen oder Parteien gibt es im 21. Jahrhundert?Warum entsteht Populismus in modernen Gesellschaften?Wie unterscheiden sich Populismen heute von jenen des 19. oder 20. Jahrhunderts?Varianten des PopulismusWelche Varianten des Populismus gibt es?Was ist der Unterschied zwischen Linkspopulismus und Rechtspopulismus?Gibt es einen Populismus der Mitte?Gibt es einen transnationalen Populismus?Gibt es einen Populismus an der Macht?Gibt es populistische Politiken?Gibt es einen Populismus ohne Führungsfigur?Populismus im LänderkontextWelche populistischen Parteien gibt es heute in Deutschland?Welche populistischen Protestbewegungen gibt es heute in Deutschland?Welche Unterschiede in den Varianten des Populismus gibt es zwischen Nord- und Südeuropa?Welche Unterschiede in den Varianten des Populismus gibt es zwischen West- und Osteuropa?Welche Unterschiede in den Varianten des Populismus gibt es zwischen Europa und Lateinamerika?Welche Unterschiede in den Varianten des Populismus gibt es zwischen dem globalen Norden und dem globalen Süden?AntipopulismusWas bedeutet Antipopulismus?Warum ist Antipopulismus relevant, um Populismus zu verstehen?Inwiefern sind Theorien des Populismus antipopulistisch?Wie analysiert man Antipopulismus in der Forschungspraxis?Warum entsteht Antipopulismus?Inwiefern tragen Medien zu Populismus oder auch Antipopulismus bei?Welche Varianten des Antipopulismus gibt es?Welche Folgen hat Antipopulismus?Glossar – Wichtige Begriffe kurz erklärtVerwendete LiteraturWo sich welches Stichwort befindet

Vorwort

Was ist PopulismusPopulismus? Ist Populismus überhaupt ein sinnvoller Begriff? Was für einen Sinngehalt kann er denn jenseits seiner weit verbreiteten Verwendung als Kampfbegriff haben? Nicht selten ruft das Reden von Populismus Fragen über Fragen hervor. Der vorliegende Band nimmt sich die etablierte Zielsetzung der utb-Reihe – „Klare Antworten aus erster Hand“ – zu Herzen, um fundierte Antworten aus jahrelanger wissenschaftlicher Forschungspraxis auf diese und viele weitere Fragen zu bieten. Das Ziel besteht nicht zuletzt darin, über die weit verbreiteten Klischees und Vorurteile über Populismus hinwegzuschauen und eine begrifflich differenzierte, theoretisch reflektierte sowie empirisch informierte Einführung in möglichst zugänglicher Form zu präsentieren.

Gegliedert ist das Buch in sieben thematischen Kapiteln: Begriff, Theorien, Methoden, Geschichte, Varianten, Länderkontext und schließlich Antipopulismus. Das Buch ist so geschrieben, damit die Lesenden je nach Interessenschwerpunkt ohne große Voraussetzungen direkt in ein beliebiges Kapitel einsteigen können. Gleichzeitig wurde versucht, die Wiederholungen für jene, die das Buch linear vom Anfang bis zum Ende lesen wollen, auf das notwendige Minimum zu beschränken. Die zahlreichen Querverweise und Literaturtipps helfen dabei, zwischen den verschiedenen Themenkomplexen und Zusammenhängen zu navigieren.

In jedem Kapitel werden Fragestellungen aufgegriffen, die in der wissenschaftlichen Diskussion über Populismus eine Rolle spielen und gleichzeitig für ein allgemeines Publikum interessant sein könnten. Es wird grundsätzlich versucht, eine Balance zwischen fachlicher Tiefe und allgemeinem Interesse, zwischen Detailtreue und Gesamtblick zu finden. Auch forschungserfahrene Lesende werden hoffentlich einiges finden, was nicht nur den etablierten Forschungsstand wiedergibt, sondern auch neu ordnet bzw. mit neuen Erkenntnissen ergänzt.

Hinweis | In diesem Band werden doppelte Anführungszeichen („“) für direkte Zitate und einfache (‚‘) wiederum für generische Zuschreibungen verwendet (z. B.: Im Populismus geht es um ‚das Volk‘ gegen ‚die da oben‘). Dort, wo spezifische Begriffsverwendungen aus einem bestimmten Diskurskontext genannt werden, bekommen doppelte Anführungszeichen den Vorzug (z. B.: Die Partei berief sich auf „das Volk“ gegen „die Elite“).

Was die verwendeten Symbole bedeuten

 

Toni verrät spannende Literaturtipps, Videos und Blogs im World Wide Web.

 

Die Glühbirne zeigt eine Schlüsselfrage an, deren Antwort unbedingt lesenswert ist.

 

Die Lupe weist auf eine Expert:innenfrage hin. Hier geht die Antwort ziemlich in die Tiefe. Sie richtet sich an alle, die es ganz genau wissen wollen.

 

 

Wichtige Begriffe sind mit einem Pfeil gekennzeichnet und werden im Glossar erklärt.

 

 

 

Der Pfeil mit der doppelten Spitze verweist auf weiterführende Fragen zu diesem Thema.

 

Zahlen und Fakten zum PopulismusPopulismus

Abkürzungsverzeichnis

AfD

Alternative für Deutschland

ALBA

Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América [Bolivarianische Allianz für die Völker unseres Amerikas]

ANEL

Anexártitoi Éllines [Unabhängige Griechen]

ANO

Akce nespokojených občanů [Aktion unzufriedener Bürger (Tschechien)]

ANO

Aliancia nového občana [Allianz des neuen Bürgers (Slowakei)]

BJP

Bharatiya Janata Party [Indische Volkspartei]

CDU

Christlich-Demokratische Union

DiEM25

Democracy in Europe Movement 2025

EFF

Economic Freedom Fighters

ELAM

Ethnikó Laikó Métopo [Nationale Volksfront (Zypern)]

EU

Europäische Union

FvD

Forum voor Democratie [Forum für Demokratie (Niederlande)]

FPÖ

Freiheitliche Partei Österreichs

LGBT

Lesbian, gay, bisexual, and transgender

MIÉP

Magyar Igazság és Élet Pártja [Ungarische Wahrheits- und Lebenspartei]

ND

Néa Dimokratía [Neue Demokratie (Griechenland)]

ODS

Občanská demokratická strana [Bürgerlich-Demokratische Partei (Tschechien)]

OĽaNO

Obyčajní ľudia a nezávislé osobnosti [Gewöhnliche Leute und unabhängige Personen (Slowakei)]

PASOK

Panellínio Sosialistikó Kínima [Panhellenische Sozialistische Bewegung (Griechenland)]

PDS

Partei des Demokratischen Sozialismus

PEGIDA

Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes

PiS

Prawo i Sprawiedliwość [Recht und Gerechtigkeit (Polen)]

PRM

Partidul România Mare [Großrumänien-Partei]

SP

Socialistische Partij [Sozialistische Partei (Niederlande)]

US

United States

USA

United States of America

USR

Uniunea Salvați România [Union Rettet Rumänien]

VV

Věci veřejné [Öffentliche Angelegenheiten (Tschechien)]

WASG

Arbeit & soziale Gerechtigkeit – Die Wahlalternative

Der Begriff des PopulismusPopulismus

Zu Beginn wird erklärt, was es mit dem Begriff „Populismus“ auf sich hat: woher kommt er, was könnte damit gemeint sein und worüber sind sich die meisten Populismusforscher:innen heute einig. Durch die Diskussion verschiedener Begriffsbestimmungen wird bereits eine Brücke zu den Theorien des Populismus geschlagen.

Woher kommt der Begriff „Populismus“?

Der Begriff Populismus stammt aus dem lateinischen populus („Volk“Volk). Im späten 19. Jahrhundert wurde das Prädikat → populists („Populisten“) von Anhänger:innen der → People’s Party in den Vereinigten Staaten als Selbstbezeichnung aufgegriffen. Weitere Phänomene aus der Zeit wie die → Narodnitschestwo-Bewegung („Volkstum“) im russischen Zarenreich oder auch die Theorie der lidovláda („Volksmacht“) des tschechischen Unabhängigkeitsverfechters TomášGarrigue Masaryk, Tomáš Garrigue Masaryk werden in der internationalen Rezeption ebenfalls häufig als „Populismus“ übersetzt (↠ siehe Kapitel zur Geschichte des Populismus). Gemeinsames Merkmal dieser Bewegungen war ihre zentrale Berufung auf ein ‚Volk‘ als Bezeichnung einer breiten, klassenübergreifenden Mehrheit der werktätigen Bevölkerung, insbesondere durch die Vorstellung eines Klassenbündnisses des Bauerntums mit Teilen des Industrieproletariats und der progressiv-urbanen Intelligenz. Somit hatte der Begriff des Populismus im Kontext des späten 19. Jahrhunderts eine nicht zuletzt agrarische Prägung in Abgrenzung von marxistischen und bürgerlichen Politikverständnissen. Dieser Bedeutungshorizont blieb bis in die Anfänge der internationalen Populismusforschung in den 1960er Jahren hinein maßgebend (↠ Unterliegen die Begriffsbestimmungen von Populismus einem historischen Wandel?).

Eine auffällige Besonderheit des Populismusbegriffs bildet dessen breit standardisierter Charakter über Sprachräume hinweg. Insbesondere der englische Begriff populism hat sich unter Beibehaltung des lateinischen Stamms „popul-“ als Leihwort auch weit über die indoeuropäische Sprachfamilie hinaus eingebürgert: beispielsweise im Ungarischen („populizmus“), im Koreanischen („popyulijeum“) oder auch im Japanischen („popyurizumu“). Ausnahmen bilden etwa Chinesisch („mín cuì zhǔ yì“) und Griechisch („laikismós“), wo der lateinische Stamm populus in die eigene Sprache semantisch übersetzt und nicht direkt übernommen wird. Die global weit verbreitete Übernahme des Standardbegriffs „Populismus“ hat nicht zuletzt den Effekt, dass Populismus in vielen Ländern weniger mit etwaigen historischen Vorläufern aus der eigenen Geschichte (z. B. → NarodnikiNarodniki in Russland) assoziiert und vielmehr als rein zeitgenössische Erscheinung konnotiert ist.

Im deutschsprachigen Raum kennt der Populismusbegriff außer seiner etablierten Verwendung als Kampfbegriff keine nennenswerte Vorgeschichte. Sein rasanter Aufstieg in der jüngeren Vergangenheit ist zumindest indirekt mit dem im bundesdeutschen Kontext weit verbreiteten Extremismusbegriff verbunden: So argumentiert der Diskursforscher Jürgen Link, dass sich das gerade in der deutschen Öffentlichkeit besonders häufig bemühte Begriffskonstrukt „RechtspopulismusPopulismusRechts-“ in den vergangenen zwei Jahrzehnten faktisch als abgemildertes Etikett für das, was zuvor als „Rechtsextremismus“ gegolten hätte, normalisiert hat. Populismus und Extremismus werden im deutschsprachigen Kontext häufig als graduelle Abstufungen an Radikalität verstanden: Als „rechtspopulistisch“ gelten demnach all jene Parteien, die rechts von den Konservativen stehen und gleichzeitig weniger rechts als offen neofaschistische Gruppierungen anmuten. Hier stellt sich die Frage, welchen Sinn der Populismusbegriff hat, wenn er lediglich als apriorischer Platzhalter für Radikalismus fungiert. Grundsätzlich muss es die Aufgabe einer wissenschaftlich fundierten Populismusforschung sein zu hinterfragen, anhand welcher Definitionsmerkmale sowie analytischen Kriterien von „Populismus“ die Rede sein kann – und empirisch zu prüfen, inwiefern dann die Verwendung des Begriffs in Bezug auf diese oder jene Akteursgruppen im Einzelfall geeignet ist.

Literaturtipp | Zur jüngeren Begriffskarriere des Populismus im deutschsprachigen Raum siehe etwa: Link, J.: Populismus aus normalismus- und antagonismustheoretischer Sicht, in: Kim, S.; Agridopoulos, A. (Hrsg.), Populismus, Diskurs, Staat, Nomos 2020, S. 79–99.

Inwiefern ist Populismus ein sinnvoller Begriff?

Kaum ein Begriff ruft heute so viel Konfusion und inflationäre Verwendung hervor wie jener des Populismus. „Populisten“ sind heute angeblich überall: Kaum eine politische Figur aus der ersten Reihe, von Christian Lindner und Friedrich Merz über Martin Schulz bis hin zu Sahra Wagenknecht – geschweige denn die Alternative für Deutschland (AfD) als Gesamtpartei –, ist in den vergangenen Jahren dem Vorwurf oder auch dem Verdacht entgangen, populistisch zu sein. Sowohl in der medialen Öffentlichkeit als auch in der wissenschaftlichen Literatur sind unscharfe Verwendungen des Populismusbegriffs immer wieder an der Tagesordnung: Häufig dient ‚Populismus‘ als diffuses Synonym für (meistens Rechts-)Radikalismus, Fremdenfeindlichkeit, autoritäre Tendenzen und/oder auch Proteststimmung im Allgemeinen. Manche Beobachter:innen argumentieren deshalb, dass der Populismusbegriff als analytische Kategorie grundsätzlich unbrauchbar (geworden) ist und lieber der Domäne politischer Kampfbegriffe überlassen werden sollte. Dennoch gibt es in der Forschung eine etablierte Geschichte theoretischer Konzeptualisierungs- und analytischer Anwendungsversuche, die zum Nachdenken über den Begriff des Populismus anregen und im Laufe dieses Bandes sukzessiv vorgestellt sowie vertieft werden.

Der typische Ausgangspunkt für eine Annäherung an den Begriff besteht in der Feststellung, dass PopulismusPopulismus (aus dem lateinischen populus) augenscheinlich etwas mit dem ‚Volk‘ zu tun hat. Wer ist aber ‚das VolkVolk‘? Ist es nicht der Anspruch jeder Demokratie und letztlich auch einer jeden politischen Kraft im demokratischen Wettbewerb, dass alle Gewalt vom ‚Volk‘ ausgehen soll? Wie lässt sich dann Populismus von anderen politischen Phänomenen sinnvoll abgrenzen? Warum sollten wir am Populismusbegriff überhaupt festhalten?

Auf diese Frage nach dem ‚Warum‘ – und damit einhergehend nach der Brauchbarkeit sowie Abgrenzbarkeit des Populismusbegriffs – gibt es grundsätzlich zwei Antwortmöglichkeiten aus der Geschichte der Populismusforschung. Die erste wäre, Populismus als objektiven Ausdruck einer oder mehrerer sozialstrukturell bestimmbarer Kerngruppen (z. B. das Bauerntum als das ‚wahre Volk‘) zu betrachten; die zweite wäre hingegen, Populismus als eine bestimmte Art und Weise aufzufassen, die offene und mehrdeutige Kategorie des ‚Volkes‘ mit Bedeutung zu füllen. Die erste Variante war in den Anfängen der modernen Populismusforschung in den 1960er Jahren maßgebend: Genauso wie die Arbeiterschaft im Sozialismus oder auch das Bürgertum im Liberalismus wurde die Bauernschaft tendenziell als jene Gruppe ausgemacht, die die soziale Kernbasis des Populismus ausmacht und ihren organisierten politischen Ausdruck in populistischen Parteien und Bewegungen findet. Nach der zweiten Antwortvariante hingegen, die sich spätestens seit Anfang der 2000er Jahre in der internationalen Populismusforschung zunehmend durchgesetzt hat, stellt das ‚Volk‘ im Populismus eine Konstruktion dar, die in Abgrenzung gegen eine wie auch immer ausgemachte → ‚EliteElite‘ verschiedenste Bedeutungen annehmen kann: sei es die unterprivilegierten Massen gegen die Superreichen, die unternehmerischen Individuen gegen einen übermächtigen Staatsapparat oder auch eine ethno-kulturelle Gemeinschaft gegen eine verräterische politische Klasse (↠ siehe auch weitere Fragen in diesem Kapitel).

Aus der Perspektive jener Ansätze, die der zweitgenannten Antwortvariante zuzuordnen sind, bildet gerade die scheinbare Ambivalenz des Populismus ein produktives Definitionsmerkmal: Populismus kann sowohl aus dem linken als auch aus dem rechten Spektrum, sowohl aus ländlichen als auch aus städtischen Milieus und im Dienst verschiedenster politischer Ideologien und Ziele entstehen. Insofern kommt die schiere Allgegenwärtigkeit von Populismusvorwürfen quer durch das politische Spektrum auch nicht von ungefähr. Damit aber der Begriff des Populismus nicht zu einer schwammigen Leerformel verkommt, muss bei jedem Definitionsversuch rigoros gefragt werden, worin das Unterscheidungsmerkmal des Populismus in Abgrenzung von anderen politischen Phänomenen besteht (↠ Welche Begriffsbestimmunen von Populismus gibt es?). Hierzu gibt es in der heutigen Populismusforschung diverse Ansätze, nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, wie eng der Begriff überhaupt zu fassen ist. Die einen verstehen unter Populismus etwa eine tendenziell formelle Diskurslogik zur antagonistischen Grenzziehung zwischen Unten (→ ‚VolkVolk‘) und Oben (→ ‚EliteElite‘), die sich von anderen Grenzziehungsarten (etwa nationales ‚Innen‘ gegen fremdes ‚Außen‘ im → Nationalismus) unterscheiden lässt. Die anderen hingegen fassen Populismus als antidemokratischen Normenkomplex auf, der die zentrale GegenüberstellungVolk-Elite-Gegenüberstellung von ‚Volk‘ und ‚Elite‘ mit einer prinzipiellen Ablehnung legitimer politischer Gegnerschaft und der Erhebung einer Führungsfigur zum einzig legitimen Volksvertreter kombiniert. So gesehen rückt Populismus in die Nähe eines Gegenteils von (liberaler) Demokratie. Bei der Betrachtung all dieser Definitionsansätze in den Folgekapiteln wird die Frage „Warum Populismus?“ (anstatt anderer Begriffe) unsere Überlegungen weiterführend begleiten.

Ist Populismus zwangsläufig mit dem Begriff des „Volkes“ verbunden?

Dass Populismus in etymologischer Hinsicht einen Zusammenhang mit dem → VolkVolksbegriff nahelegt, ist erst einmal ein guter Ausgangspunkt. Es gibt aber keinen lexikalischen Determinismus, der besagt, dass das aus vier Buchstaben bestehende Wort „Volk“ den einzig möglichen Bezugspunkt für Populismus bilden muss. Gerade die Übersetzung des lateinischen populus als „Volk“ kann hier durchaus irreführend wirken, da der deutsche Begriff tendenziell mit der Implikation einer ethno-kulturellen (‚völkischen‘) Essenz konnotiert ist. Im Englischen hingegen bezeichnet people sowohl eine gemeinschaftliche Singularität im Sinne von „Volk“ als auch die Pluralform von „Mensch“, was bereits auf die Möglichkeit hindeutet, dass das Subjekt des Populismus genauso gut „die Menschen“ oder „die Leute“ heißen könnte. In mehreren romanischen Sprachen etwa bezeichnet das Äquivalent von „Volk“ (peuple, popolo, pueblo, etc.) in der Regel zwar eine national abgegrenzte Gemeinschaft, aber seine adjektivierte Form ist tendenziell mit den unteren Schichten der Gesellschaft assoziiert (z. B. classes populaires, clases populares etc. – „populäre Klassen“). Diese Beispiele legen nahe, dass der Bedeutungshorizont um den Begriff des Populismus nicht nur mit Variationen je nach Länderkontext und Sprachraum einhergehen kann, sondern womöglich auch jenseits der engeren Konnotationen des deutschen Volksbegriffs gedacht werden muss.

Folgt man dem Gros der heutigen Populismusforschung, dreht sich Populismus nicht um ein spezifisches Wort, sondern um einen bestimmten Bedeutungszusammenhang: nämlich den Anspruch, die Gesamtheit einer wie auch immer ausgemachten Gemeinschaft aufzurufen, die aber im selben Zuge als blockiert und an der ihr zustehenden Machtausübung gehindert dargestellt wird. Neben dem Begriff „Volk“ kann dieser Bedeutungszusammenhang mit einer ganzen Reihe von Bezeichnungen zum Ausdruck gebracht werden: sei es ‚die Menschen‘, ‚die einfachen Leute‘, ‚die Öffentlichkeit‘ oder auch ‚die 99 Prozent‘ (gegen das obere ‚1 Prozent‘). Dabei sind die Sinnrelationen um die Besetzung dieser Begriffe entscheidend: An sich und auf sich alleine gestellt sind Begriffe wie „Menschen“, „Öffentlichkeit“ oder gar „Volk“ alles andere als zwangsläufig populistisch. Vielmehr werden sie erst dann populistisch, wenn sie antagonistisch zu einem blockierenden Gegenüber ‚da oben‘ in Bezug gesetzt werden und damit zum Namen einer uneingelösten Gesamtheit avancieren. Anders gesagt: Kategorien wie ‚das Volk‘ und ‚die Menschen‘ können von jeder beliebigen politischen Kraft heraufbeschworen werden, aber nur Populisten berufen sich auf ein ‚VolkVolk‘ gegen eine → ‚EliteElite‘.

Somit ergibt sich eine mögliche Antwort auf die vorherige Frage in diesem Kapitel, wie Populismus von anderen Phänomenen sinnvoll abgegrenzt werden kann, wenn er vom Bezug zu einem Volkssubjekt gekennzeichnet ist. Die Berufung auf ein souveränes Volkssubjekt ist an sich gewissermaßen eine demokratiepolitische Banalität; die entscheidende Frage ist dabei, wogegen sie dann gewendet wird. Es ist nicht das auf der Reichstag-Fassade beschriftete Versprechen „Dem deutschen Volke“, das populistisch ist, sondern vielmehr die Behauptung, dass dieses Versprechen gerade aufgrund der in jenem Gebäude vertretenen Kräfte nicht eingelöst wird. Populismus entsteht also aus der wahrgenommenen Kluft zwischen dem Ist- und Soll-Zustand der Demokratie, wie die politischen Theoretiker Dirk Jörke und Veith Selk argumentiert haben: Er aktiviert das demokratische Gründungsversprechen der Volkssouveränität immer wieder aufs Neue gegen etablierte Machtverhältnisse. Dieser demokratieimmanente Charakter des Populismus ist ein weiteres Merkmal, das von zahlreichen Definitionsansätzen aufgegriffen wird (↠ Wie ist das Verhältnis von Populismus und Demokratie zu bewerten?). Aus manchen Theorieperspektiven bildet Populismus eine inhärente Möglichkeit innerhalb jeder Demokratie, sofern diese auf dem nie vollständig einlösbaren Versprechen der Volkssouveränität fußt.

Literaturtipps | Zur Mehrdeutigkeit des Volksbegriffs in historischer Perspektive siehe das Buch von Margaret Canovan: Canovan, M.: The People, Polity 2005.

Zur These von Dirk Jörke und Veith Selk siehe ihren Einführungsband: Jörke, D.; Selk, V.: Theorien des Populismus zur Einführung, Junius 2017.

Welche Begriffsbestimmungen von Populismus gibt es?

Der gemeinsame Nenner der meisten Populismusdefinitionen in der heutigen Forschung ist soweit bereits angerissen: die Zentralität einer GegenüberstellungVolk-Elite-Gegenüberstellung von Volkssubjekt gegen ‚die da oben‘, der Bezug zum demokratischen Versprechen und die ambivalente Stellung im Links-Rechts-Spektrum sind allesamt Merkmale, die sich in den verschiedensten Ansätzen zum Populismusbegriff wiederfinden. Dabei gibt es teilweise gewaltig unterschiedliche Vorstellungen bei der Frage, was für eine Art von Phänomen Populismus darstellt – sei es ein Diskurs, eine Ideologie, eine Strategie oder ein Stilmittel – und wie eng er definitorisch zu fassen ist.

Der in der heutigen Populismusforschung am weitesten verbreitete Ansatz ist der sog. → ideelleTheorieansatzideeller (engl. ideational approach). Demnach stellt Populismus eine Ideologie bzw. einen Ideen- und Normenkomplex dar, der sich um die Vorstellung eines moralisch reinen → ‚Volkes‘ gegen eine korrupte → ‚EliteElite‘ dreht (↠ siehe nächstes Kapitel zu den einzelnen Theorieansätzen). Ein weiterer etablierter Ansatz ist der → diskursiveTheorieansatzdiskursiver (engl. discursive approach), der Populismus als tendenziell formelle Diskurslogik zur antagonistischen Zweiteilung in ein Volkssubjekt ‚hier unten‘ und einen Machtblock ‚da oben‘ begreift. Neben diesen beiden besonders stark kanonisierten ‚Schulen‘ der heutigen Populismusforschung gibt es etwa den → stilistischen AnsatzTheorieansatzstilistischer, der Populismus als kulturell-performatives Stilmittel der Aufwertung ‚niedriger‘ Verhaltensnormen (‚schlechte Manieren‘) versteht. Hinzu kommt der → strategische AnsatzTheorieansatzstrategischer, der Populismus als führungszentrierte und personalistische Strategie zur Mobilisierung einer unorganisierten Massenanhängerschaft begreift. Diese Ansätze unterscheiden sich nicht nur in Bezug auf den konzeptuellen Status, den sie Populismus zuweisen – Diskurs, Ideologie, Stil oder Strategie –, sondern damit einhergehend auch hinsichtlich des analytisch-methodologischen Zugangs zur Erforschung von Populismus (↠ Kapitel Methoden der Populismusforschung).

Eine zweite bedeutsame Unterscheidungslinie zwischen den verschiedenen Paradigmen der Populismusforschung verdichtet sich hinsichtlich der Frage, wie eng bzw. breit der Populismusbegriff ausgelegt wird. Der Minimalkonsens unter allen genannten Definitionsansätzen besteht erst einmal darin, dass es im Populismus um die Konstruktion eines Volkssubjekts ‚hier unten‘ gegen ‚die da oben‘ geht. Bereits hier machen sich jedoch unterschiedliche Nuancen bemerkbar: Nach dem → stilistischenTheorieansatzstilistischer Ansatz etwa bezieht sich die GegenüberstellungVolk-Elite-Gegenüberstellung von ‚Oben‘ und ‚Unten‘ vor allem auf kulturellen Habitus und Verhaltensnormen, nach dem strategischen hingegen auf Positionierung außerhalb des institutionalisierten Politikbetriebs. Das Gros der ideellen Populismusforschung geht über den genannten Minimalkonsens hinaus, indem Populismus als Konstruktion nicht nur von ‚Volk‘ gegen ‚EliteElite‘, sondern eines als moralisch rein und homogen ausgemachten ‚Volkes‘ gegen eine als moralisch korrupt und ebenfalls homogen empfundene ‚Elite‘ definiert wird. In manchen ideellen Theorien wird noch zusätzlich vorausgesetzt, dass Populismus einen zwangsläufig antidemokratischenPopulismusantidemokratischer Charakter hat, indem die Legitimität politischer Gegner abgelehnt und das ‚Volk‘ als exklusive Domäne einer einzigen Führungsfigur konstruiert wird. In diesen Beispielen zeigt sich, wie die Grenzen des Begriffs unterschiedlich gezogen werden und hieraus wiederum auch normativ gegensätzliche Positionen und Implikationen zu Streitfragen wie dem Verhältnis von Populismus und Demokratie folgen (↠ siehe dazu etwa die Fragen am Ende des nächsten Kapitels).

Was haben heutige Begriffsbestimmungen von Populismus gemeinsam?

Als zentrale Gemeinsamkeit der genannten Populismusdefinitionen bleibt festzuhalten, dass die antagonistische GegenüberstellungVolk-Elite-Gegenüberstellung von → ‚Volk‘ gegen → ‚EliteElite‘ einen zentralen (wenn auch nicht unbedingt den einzigen) Definitionskern des Populismus bildet. Daraus folgen wiederum einige konzeptuelle Implikationen, die zu diesem Minimalkonsens innerhalb der Populismusforschung gehören und heutige Begriffsbestimmungen teilweise von jenen vor einem halben Jahrhundert unterscheiden.

Erstens sind die Kategorien ‚VolkVolk‘ und ‚Elite‘ grundsätzlich eine Frage der Konstruktion: Sie können auf höchst unterschiedliche Art und Weise von unterschiedlichen Akteursgruppen besetzt und mit Bedeutung geprägt werden. Heutige Populismusdefinitionen gehen nicht davon aus, dass das ‚Volk‘ im Populismus mit bestimmten soziostrukturellen Gruppenkategorien korrespondiert – sei es ‚die Arbeiter‘, ‚die Bauer‘ oder gar die ethnische ‚Nation‘ –, sondern dass es von Fall zu Fall unterschiedlich sein kann, wer als dazugehörig aufgerufen wird. Das entscheidende Kriterium dabei ist die antagonistische In-Bezug-Setzung von einem Volkssubjekt ‚hier unten‘ gegen ‚die da oben‘. Diese Oben-Unten-Logik kann in verschiedenste Richtungen gewendet werden: Ein Milliardär wie Donald Trump behauptet etwa, als Unternehmer auf der Seite des hart arbeitenden „Volkes“ gegen „die Politikerklasse“ da oben zu stehen, wohingegen ein Politiker wie Bernie Sanders argumentiert, dass Politiker:innen wie er auf der Seite des ausgebeuteten, werktätigen „Volkes“ gegen die ausbeuterische „Milliardärklasse“ da oben stehen. Migrant:innen, LGBT-Menschen und sonstige Minderheiten können genauso gut als Teil des ‚Volkes‘ aufgerufen oder auch von diesem ausgeschlossen werden. Es wäre falsch anzunehmen, dass rechtsnationalistische oder auch -autoritäre Kräfte automatisch auch populistisch sind, wie in der öffentlichen Wahrnehmung hierzulande oft projiziert wird: In vielen Fällen treten rechte Parteien kaum populistisch auf, während gerade ihre Gegner:innen sich Populismus aneignen können. Man denke an die erste Runde der französischen Präsidentschaftswahlen 2017, als Emmanuel Macron an „das Volk“ gegen „das System“ der etablierten Parteien appellierte und gleichzeitig für liberaldemokratische Werte sowie eine wirtschaftsliberale Agenda eintrat, wohingegen Marine Le Pen mit einer nationalistischen Kulturkampfrhetorik im Namen der „Patrioten“ gegen die „Globalisten“ auftrat.