Populismus und autoritäre Ideologie - Felix Breuning - kostenlos E-Book

Populismus und autoritäre Ideologie E-Book

Felix Breuning

0,0
0,00 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Populistische Parteien gewinnen seit den 1990er Jahren vermehrt Sitze in westlichen Parlamenten. Vor allem radikal rechter Populismus gilt oft als Sinnbild unserer krisenhaften politischen Gegenwart. Was aber können uns die wichtigsten Theorien zum Populismus darüber sagen? Wie hängen Krisen der Demokratie, die Entwicklung des Kapitalismus und die Konjunktur autoritärer Ideologie heute zusammen? Felix Breuning durchleuchtet die wichtigsten Stränge der Fachdiskussion mithilfe kritischer Theorien in den Traditionen Theodor W. Adornos und Stuart Halls. Dabei macht er deutlich: Wir müssen autoritäre Ideologie und Kämpfe um politische Hegemonie endlich gesellschaftskritisch in den Blick nehmen.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 466

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Die freie Verfügbarkeit der E-Book-Ausgabe dieser Publikation wurde ermöglicht durch Pollux – Informationsdienst Politikwissenschaft

und die Open Library Community Politik 2024 – einem Netzwerk wissenschaftlicher Bibliotheken zur Förderung von Open Access in den Sozial- und Geisteswissenschaften:

Vollsponsoren: Technische Universität Braunschweig | Carl von Ossietzky-Universität Oldenburg | Eberhard-Karls Universität Tübingen | Freie Universität Berlin – Universitätsbibliothek | Niedersächsische Staats- und Universitätsbibliothek Göttingen | Goethe-Universität Frankfurt am Main | Gottfried Wilhelm Leibniz Bibliothek – Niedersächsische Landesbibliothek | TIB – Leibniz-Informationszentrum Technik und Naturwissenschaften und Universitätsbibliothek | Humboldt-Universität zu Berlin | Justus-Liebig-Universität Gießen | Universitätsbibliothek Eichstätt-Ingolstadt | Ludwig-Maximilians-Universität München | Max Planck Digital Library (MPDL) | Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn | Ruhr-Universität Bochum | Staats- und Universitätsbibliothek Carl von Ossietzky, Hamburg | SLUB Dresden | Staatsbibliothek zu Berlin | Bibliothek der Technischen Universität Chemnitz | Universitäts- und Landesbibliothek Darmstadt | Universitätsbibliothek „Georgius Agricola“ der TU Bergakademie Freiberg | Universitätsbibliothek Kiel (CAU) | Universitätsbibliothek Leipzig | Universitäts- und Landesbibliothek Düsseldorf | Universitäts- und Landesbibliothek Münster | Universitäts- und Stadtbibliothek Köln | Universitätsbibliothek Bielefeld | Universitätsbibliothek Erfurt | Universitätsbibliothek der FernUniversität in Hagen | Universitätsbibliothek Kaiserslautern-Landau | Universitätsbibliothek Kassel | Universitätsbibliothek Osnabrück | Universität Potsdam | Universitätsbibliothek St. Gallen | Universitätsbibliothek Vechta | Zentralbibliothek ZürichSponsoring Light: Bundesministerium der Verteidigung | Bibliothek der Hochschule für Technik und Wirtschaft Dresden | Bibliothek der Hochschule für Technik, Wirtschaft und Kultur Leipzig | Bibliothek der Westsächsischen Hochschule Zwickau | Bibliothek der Hochschule Zittau/Görlitz, Hochschulbibliothek | Hochschulbibliothek der Hochschule Mittweida | Institut für Auslandsbeziehungen (IfA) | Landesbibliothek Oldenburg | Österreichische ParlamentsbibliothekMikrosponsoring: Bibliothek der Berufsakademie Sachsen | Bibliothek der Evangelische Hochschule Dresden | Bibliothek der Hochschule für Musik und Theater „Felix Mendelssohn Bartholdy“ Leipzig | Bibliothek der Hochschule für Bildende Künste Dresden | Bibliothek der Hochschule für Musik „Carl Maria von Weber“ Dresden | Bibliothek der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig | Bibliothek der Palucca-Hochschule für Tanz Dresden | Leibniz-Institut für Europäische Geschichte | Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) – Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit

Felix Breuning

Populismus und autoritäre Ideologie

Kämpfe um Hegemonie im demokratischen Kapitalismus

Zugl.: Dissertation, Leuphana Universität, 2023

 

 

 

 

 

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.dnb.de/ abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-NoDerivatives 4.0 Lizenz (BY-ND). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium für beliebige Zwecke, auch kommerziell, gestattet aber keine Bearbeitung.https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/

Um Genehmigungen für Adaptionen, Übersetzungen oder Derivate einzuholen, wenden Sie sich bitte an [email protected]

Die Bedingungen der Creative-Commons-Lizenz gelten nur für Originalmaterial. Die Wiederverwendung von Material aus anderen Quellen (gekennzeichnet mit Quellenangabe) wie z.B. Schaubilder, Abbildungen, Fotos und Textauszüge erfordert ggf. weitere Nutzungsgenehmigungen durch den jeweiligen Rechteinhaber.

 

Erschienen 2024 im transcript Verlag, Bielefeld

© Felix Breuning

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Druck: Elanders Waiblingen GmbH, Waiblingen

https://doi.org/10.14361/9783839474464

Print-ISBN: 978-3-8376-7446-0

PDF-ISBN: 978-3-8394-7446-4

EPUB-ISBN: 978-3-7328-7446-0

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Inhalt

 

Danksagung

1.Einleitung

2.Von der Ideologie zur Wirklichkeit?

Populismus im ideational approach

2.1Autoritarismus und Ideologie

2.1.1Der Begriff der Ideologie

2.1.2Die Elemente populistischer Ideologie

2.1.3Ideologische Elemente populistischer radikal rechter Parteien

2.1.4Zusammenfassung und Arbeitsdefinition Populismus

2.2Demokratie und liberale Entpolitisierung

2.2.1»Demokratischer Extremismus« als ideologischer Kern

2.2.2Funktionsprobleme liberaler Demokratien als Ursache

2.2.3Demokratische Repräsentation als Formprinzip des Populismus

2.2.4Wirkung auf die (liberale) Demokratie

2.2.5Zusammenfassung

2.3Kapitalismus und politische Ökonomie

2.3.1Politisch-ökonomische Bedingungen populistischer Mobilisierung

2.3.2Ökonomische Themen in der Ideologie populistischer radikal rechter Parteien

2.3.3Zusammenfassung

2.4Fazit: Gesellschaftstheoretische Elemente und Probleme

3.Ökonomisierte Kultur oder kulturalisierte Ökonomie?

Populismus in der Cleavage-Theorie

3.1Kapitalismus und ökonomische Ungleichheit

3.1.1Postindustrielle Modernisierung oder Hyperglobalisierung?

3.1.2Ein Konflikt um Werte oder Protest gegen Globalisierungsschocks?

3.1.3Ökonomische oder kulturelle Beschwerden?

3.1.4Zusammenfassung

3.2Demokratie und Repräsentation

3.2.1Wie und was repräsentieren populistische Parteien?

3.2.2Wie steht der Populismus zur (liberalen) Demokratie?

3.2.3Zusammenfassung

3.3Autoritarismus und kulturelle Beschwerden

3.3.1Konservativer Selbstschutz oder kulturalisierte Wirtschaftspolitik?

3.3.2Neokonservativer Kommunitarismus oder traditionalistischer Wohlfahrtsstaatschauvinismus?

3.3.3Zusammenfassung

3.4Fazit: Gesellschaftstheoretische Elemente und Probleme

4.Eine strukturelle Logik der modernen Politik?

Populismus in der Radikaldemokratie

4.1Demokratie und das Politische

4.1.1Populismus als ein Moment der Demokratie

4.1.2Der Volk/Machtblock-Widerspruch als eigenständige Herrschaftsbeziehung

4.1.3Nach dem Marxismus: »Demokratische Revolution« ohne bürgerliche Gesellschaft

4.1.4Das demokratische Paradox und der unauslöschliche Antagonismus

4.1.5Zusammenfassung

4.2Kapitalismus und Klassenkampf

4.2.1Politik und Ökonomie als geschiedene Sphären

4.2.2»Volk« und Klasse als dialektischer Zusammenhang

4.2.3Abschied vom analytischen Kapitalismusbegriff

4.2.4Neoliberalismus als politischer Gegner

4.2.5Zusammenfassung

4.3Autoritarismus und politische Identität

4.3.1Autoritarismus als rationale Strategie

4.3.2Autoritarismus als widerständige Ideologie

4.3.3Affirmation des Neoliberalismus

4.3.4Libidinöse Basis politischer Identitäten

4.3.5Anthropologisches Masse-Bedürfnis

4.3.6Zusammenfassung

4.4Fazit: Gesellschaftstheoretische Elemente und Probleme

5.Populismustheorie in gesellschaftskritischer Perspektive

5.1Modelle gesellschaftskritischer Theorien autoritärer Ideologie

5.1.1Vom positivistischen zu einem kritischen, dreidimensionalen Ideologiebegriff

5.1.2Funktionale Differenzierung von linken und rechten populistischen Parteien

5.1.3Politische Repräsentation als Aspekt gesellschaftlicher Konflikte

5.1.4Reale Vermittlung »kultureller« und ökonomischer Herrschaftsverhältnisse

5.1.5Populismus und autoritär-etatistischer Umbau der Demokratie

5.2Fazit

6.Schlussbetrachtung

Literaturverzeichnis

Danksagung

Dieses Buch wäre ohne vielseitige Unterstützung nicht begonnen oder gar fertiggestellt worden. Ich danke meinen Betreuern Prof. Dr. Thomas Saretzki, Prof. Dr. Lars Rensmann und Prof. Dr. Dirk Jörke für ihre Beratung, für konstruktive Kritik und für Gelegenheiten, meine Ideen zur Diskussion zu stellen. Für frühe Unterstützung und Orientierung möchte ich Ingo Elbe danken.Zahlreichen anderen danke ich für ausgetauschte Argumente und gegebene Widerworte. Ihr wisst, wer ihr seid.Das Promotionskolleg »Demokratie unter Stress« des Instituts für Politikwissenschaft der Leuphana Universität Lüneburg hat mir durch ein Georg-Christoph-Lichtenberg-Stipendium nicht nur eine materielle Grundlage für Schreib- und Sorgearbeit verschafft, sondern zugleich ein lehrreiches Forschungsumfeld geboten, aus dem auch Freundschaften hervorgegangen sind. Besonders möchte ich dabei wiederum Prof. Dr. Thomas Saretzki sowie Prof. Dr. Tonio Oeftering danken, die sich meines Projektes angenommen haben. Birgit und Henry Breuning danke ich für die lebenslange Unterstützung.Vor allem: Danke, Liza, für deine Liebe, und Gregor, für immer wieder gute Gründe, die Arbeit aufzuschieben.

1. Einleitung

»[Der Faschismus] sieht sein Heil darin, die Massen zu ihrem Ausdruck (beileibe nicht zu ihrem Recht) kommen zu lassen. Die Massen haben ein Recht auf Veränderung der Eigentumsverhältnisse; der Faschismus sucht ihnen einen Ausdruck in deren Konservierung zu geben.«

(Walter Benjamin, Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit, Gesammelte Werke 7: 382, Hrvh. i. O.)

Seit den 1990er-Jahren gewinnen populistische Parteien immer mehr Sitze in europäischen Parlamenten. Entfielen 1992 nur knapp 5 Prozent der abgegebenen Stimmen auf sie, stieg ihr Anteil bis 2022 auf beinahe 30 Prozent (vgl. Rooduijn et al. 2020; Rooduijn et al. 2023: 8). Diese Zunahme ist vor allem immer besseren Wahlergebnissen von radikal rechten populistischen Parteien geschuldet. Beginnend mit der Jahrtausendwende fanden sie denn auch ihren Weg von den politischen Rändern in den Mainstream; die Präsenz von populistischen Parteien ist mittlerweile zur Normalität geworden (vgl. Mudde 2021b: 15). Und mehr noch: sie arbeiten sich in immer mehr Ländern in die höchsten Staats- und Regierungsämter vor. Seit 2022 gibt es mit Giorgia Meloni (Fratelli d’Italia) in Italien die erste populistische radikal rechte Ministerpräsidentin Südeuropas, die Schwedendemokraten sind ebenfalls seit 2022 indirekt an der schwedischen Regierung beteiligt, während Die Finnen 2023 erneut in die finnische Regierungskoalition aufgenommen wurden. In den Niederlanden hielt derweil nach der Parlamentswahl 2023 nur der Unwillen der Koalitionspartner den Wahlsieger Geert Wilders (Partij voor de Vrijheid) davon ab, nicht nur mitzuregieren, sondern auch das Amt des Ministerpräsidenten zu bekleiden. Im Wahljahr 2024 sind bereits populistische radikal rechte Zugewinne bei den Europawahlen zu verzeichnen. Möglich erscheinen zudem eine zweite Amtszeit Donald Trumps als US-Präsident, ein Sieg der FPÖ bei den Nationalratswahlen in Österreich und Wahlerfolge der radikal rechten AfD in mehreren ostdeutschen Bundesländern.

Mit dieser Normalisierung wird das politische Handeln populistischer Parteien in den zahlreichen gegenwärtigen Krisen und den sie begleitenden politischen Debatten immer bedeutsamer. Jede Deutung etwa der COVID-19-Pandemie, der Folgen des russischen Krieges gegen die Ukraine oder des Krieges nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel und natürlich der sich weiter zuspitzenden Klimakrise muss heute die Versuche populistischer Parteien in Rechnung stellen, von diesen Krisen zu profitieren.

In der öffentlichen Diskussion in Zeitungen, politischen Foren und sozialen Medien nehmen populistische Parteien – oder das weiter gefasste Phänomen »Populismus« – allerdings schon länger viel Raum ein. Die jüngste Konjunktur lässt sich auf die politischen Auswirkungen der globalen Finanzkrise ab 2008 zurückführen, spätestens aber auf die Europawahlen 2014, die »Flüchtlingskrise« 2015 und das britische Brexit-Referendum sowie die Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten im Jahr 2016. Populismus ist ein Trendthema, in den Reproduktionsschleifen der Massenmedien entwickelte sich teilweise ein regelrechter Hype darum. Nicht nur werden Parteien oder Politiker*innen aus beinahe jedem politischen Spektrum als »populistisch« bezeichnet, sondern Populismus gilt auch als Kennzeichen unserer gegenwärtigen Ära (Sparrow 2022), als zentrales politisches Phänomen der Epoche (Weitzmann 2024) oder gar als Schicksal des gesamten Planeten (Lüscher/Zichy 2021). Populismus wird zur Zukunft Europas (Binhas 2019) erklärt oder gleich zum Gewinner einer weltweiten »Zeitenwende« (Seinitz 2023). Und er gilt als eine Gefahr – für »die Wirtschaft« (Rahmatullah 2024) »die politische Mitte Europas« (Streck 2018), oder »den Westen« (Kister 2017), vor allem aber für »die Demokratie« (Hank 2018; Pohl 2022; Olsen 2023).

Entsprechend spielt er auch in den zahlreichen populärwissenschaftlichen Diagnosen über das vermeintlich anstehende Sterben, Enden oder Sich-Überleben der demokratischen Staatsform eine Rolle (vgl. etwa Levitsky/Ziblatt 2018; Runciman 2019; Crouch 2021). Sie sehen die Gefahr einer demokratischen Regression zumeist aus dem Inneren der Demokratie selbst kommen – unter anderem in Form der Aushöhlung demokratischer Institutionen durch populistische Parteien.

»Populismus« wird also häufig als Konzept verwendet, um die widersprüchliche politische Gegenwart insgesamt zu erschließen. Insbesondere der Erfolg populistischer Parteien gilt als Symptom oder charakteristischer Ausdruck für weitreichendere, grundlegendere gesellschaftliche Krisen und Hegemoniekonflikte. In der öffentlichen Diskussion werden entsprechend sehr unterschiedliche Problemlagen mit diesem Erfolg in Verbindung gebracht. Journalistische Erklärungsansätze rekurrieren häufig auf politisch-ökonomische Verwerfungen (Marin 2023; Karp 2024), zunehmenden autoritären Hass (Krupa et al. 2023; Bittner 2024) oder kulturelle Ängste in der Bevölkerung (Conesa et al. 2023; Coyle 2024) sowie auf Defizite demokratischer Repräsentation und auf Legitimationsprobleme des politischen Systems und der etablierten Parteien (Dahlmann 2024; Boussois 2024). Insgesamt lässt sich in der Debatte über Populismus eine Verdichtung von Krisenwahrnehmungen erkennen, die verschiedene Aspekte des aktuellen Verhältnisses von liberaler Demokratie, autoritärer Politik und globalisiertem Kapitalismus betreffen.

Die Entwicklung der akademischen Populismusforschung folgt der seit 1990 wachsenden Bedeutung ihres Gegenstandes. Im Rahmen einer öffentlichen Auseinandersetzung, in der berechtigte Sorgen zum Ausdruck gebracht werden, die mitunter aber auch alarmistisch anmutet, wurde die Forschung im letzten Jahrzehnt immer häufiger zur Adressatin gesellschaftlicher Selbstverständigung. Sie sollte Antworten liefern auf die Frage, was der Erfolg populistischer Parteien über unsere gegenwärtige Lage aussagt, und insbesondere, wie der Erfolg (radikal) rechter populistischer Parteien zu deuten ist. Erhalten sie trotz oder wegen ihrer autoritären Ideologie Zuspruch? Welche gesellschaftlichen Konflikte stehen hinter ihrem Aufschwung? Die Populismusforschung, die seit den 1990ern bis Anfang der 2010er-Jahre eine wenig beachtete Subdisziplin vor allem im Feld der vergleichenden politikwissenschaftlichen Erforschung radikal rechter Parteien war, wurde sukzessive Teil des wissenschaftlichen Mainstreams (vgl. Kaltwasser et al. 2017a: 17) und erlebt seit 2014 eine Hochzeit. Heute ist sie eines der am schnellsten wachsenden Forschungsgebiete in der Politikwissenschaft. Die wachsende öffentliche Aufmerksamkeit sowie entsprechende Förder- und Publikationsmöglichkeiten führten zudem dazu, dass vermehrt Beiträge aus der Soziologie, den Kommunikationswissenschaften, der Philosophie, der Politischen Ökonomie und anderen Bereichen publiziert wurden. Google Scholar verzeichnet allein für das Jahr 2023 für das Stichwort »populism« 26.200 Treffer. Das wirft die Frage auf, ob die gegenwärtige Populismusforschung die verschiedenen Krisen und Ursachenvermutungen plausibel miteinander ins Verhältnis setzen kann. Bietet sie schlüssige Antworten auf die von der Gesellschaft an sie gerichteten Fragen?

Das Forschungsfeld ist hier auf den ersten Blick heterogen. Die meisten Ansätze bringen eher begrenzte Theorien hervor, die sich – vor allem mit Blick auf die empirische Forschung – einzelnen Teilbereichen des Erfolgs populistischer Parteien widmen. Dabei liegen ihnen unterschiedliche und zumeist nur wenig ausformulierte gesellschaftstheoretische Annahmen zugrunde.

Allerdings lässt sich zumindest theoriegeschichtlich durchaus ein gemeinsamer Ursprung mit umfassendem Erklärungsanspruch ausmachen. Es war die US-amerikanische Soziologie der 1950er-Jahre, die den Ausdruck »Populismus« als sozialwissenschaftlichen Begriff einführte. Wie die Soziologie insgesamt zu dieser Zeit war er daher zu Beginn stark durch das damals dominierende Paradigma der liberalen Modernisierungstheorie geprägt (vgl. Knöbl 2016). Sie verstand Modernisierung als einen von ökonomischem Wachstum getragenen symbiotischen Entwicklungsprozess kapitalistischer Produktion und liberaler demokratischer Systeme hin zu stabilen und fortschrittlichen Gesellschaften. Vor dem Hintergrund der Systemkonkurrenz zwischen der Sowjetunion und den USA wurde so dem historischen Materialismus eine alternative Theorie sozialen Wandels gegenübergestellt. In der Verknüpfung von kapitalistischer Dynamik und politischer Demokratisierung als aufeinander angewiesene Modernisierungsprozesse kam ein historischer Optimismus zum Ausdruck, demzufolge das US-amerikanische und britische Gesellschaftsmodell den zwangsläufigen Endpunkt der weltweiten politischen Entwicklung bilden würde. Allerdings war dieser Optimismus von Beginn an von einer Angst vor Blockaden und Entwicklungshindernissen in den westlichen Gesellschaften selbst begleitet. Unter dem Begriff der »Massengesellschaft« wurden bedrohliche soziale Homogenisierungsprozesse diskutiert, die antidemokratische und rückschrittliche Bewegungen hervorbringen könnten. Zeitgeschichtlich befeuerte in den USA vor allem der McCarthyismus diese Sorge. Die Rolle des Populismusbegriffs im Paradigma der liberalen Modernisierungstheorie bestand nun darin, eben jene Abweichungen bzw. Gegenbewegungen auf dem Weg zum Ideal der differenzierten liberalen Demokratie zu markieren. Damit war, im Sinne der Totalitarismustheorie, sowohl das linksradikale als auch das rechtsextreme Aufbegehren gegen die etablierte Ordnung gemeint (vgl. Knöbl 2016: 10f.).

Kernmerkmale populistischer Bewegungen waren für die liberale Modernisierungstheorie »Misstrauen gegenüber Politikern, Bürokratiekritik, Anti-Intellektualismus und Demagogie« (Jörke/Selk 2017: 105). Vor diesem Hintergrund galt ökonomische Prosperität als Grundlage der liberalen Demokratie; entsprechend wurde das Entstehen populistischer Gegenbewegungen ebenfalls sozioökonomisch erklärt. Das wirkmächtigste Erklärungsangebot unterbreitete dabei der US-amerikanische Soziologe und Politikwissenschaftler Seymour Martin Lipset. Mit Blick auf den McCarthyismus vermutete er die Quellen autoritärer und extremistischer Bewegungen allgemein sozialstrukturell in den unteren Schichten der US-amerikanischen Gesellschaft. Seiner Vorstellung nach führt relative Deprivation in Form von niedrigerem Zuwachs an Einkommen und Bildung dort angesichts schnellen gesellschaftlichen Wandels zu Verbitterung und damit zur Unterstützung von »extremist and intolerant movements« (Lipset 1960: 97). Diese allgemeine Formulierung der stratifikationstheoretischen Erklärung eröffnete das Feld für verschiedene daran anknüpfende Ansätze, die die Unterstützung autoritärer Bewegungen als Folge einer ökonomisch beziehungsweise sozial prekären Lage ansehen. Zwar überzeugte dieses liberale modernisierungstheoretische Paradigma schon Ende der 1960er-Jahre nur noch wenige Sozialwissenschaftler*innen. Theoriegeschichtlich wirkt es dennoch in Erklärungsansätzen für den Erfolg heutiger populistischer Parteien und Bewegungen fort, denn nach wie vor wird ihr Entstehen auf einen rapiden sozialen Wandel zurückgeführt (vgl. Jörke/Selk 2017: 105). Den politischen Entwicklungen würden demnach verschiedene »Zustände des allgemeinen Mangels an bzw. des tatsächlichen oder zumindest wahrgenommenen Entzugs von etwas Erwünschtem« (Spier 2010: 50) zugrunde liegen, die unter dem Oberbegriff der Deprivation diskutiert werden. Die frühere starke Betonung ökonomischer Deprivation als Ursache populistischer Bewegungen inspiriert eine bis heute in der öffentlichen Debatte oft vertretene Variante dieser These, derzufolge populistische Bewegungen von ökonomischen »Modernisierungsverlierer*innen« getragen werden. Mit einem Ausdruck Samuel Salzborns – den er mit Blick auf die verwandte Konzeption des Rechtsradikalismus als einer »normalen Pathologie« (Scheuch/Klingemann 1967: 82) westlicher Industriegesellschaften prägte – kann diese implizite Popularität in Politik und Medien als eine »breite Rezeption, allerdings ohne direkte Rezension« (Salzborn 2014: 78) bezeichnet werden. Die modernisierungstheoretische Erklärung wird aufgegriffen, ohne dass ihr historischer Ursprung und ihre begrifflichen Grundlagen zur Kenntnis genommen werden. In den Sozialwissenschaften wird dagegen heute ein auf der Individualebene wirkender ökonomischer Deprivationsmechanismus kaum noch als Erklärung für die Erfolge populistischer (rechter) Parteien akzeptiert (vgl. Rippl/Baier 2005: 644f.). Solche Kritik an einer zu einfachen Fassung der Funktion ökonomischer Deprivation – und im Gegenzug: an einer zu pauschalen Zurückweisung dieses Zusammenhangs – hat auch in der Populismustheorie zu neuen theoretischen Auseinandersetzungen geführt. Auf diese Weise wirkt die liberale Modernisierungstheorie zumindest als Gegenstand von Kritik bis in die heutige Populismusforschung nach, wenngleich das nur selten explizit benannt oder reflektiert wird. In produktiver Auseinandersetzung mit ihrem modernisierungstheoretischen Erbe hat die jüngere Forschung viele methodisch raffinierte und auch theoretisch differenzierte Ansätze zu verschiedenen Teilbereichen und Aspekten des Phänomens »Populismus« hervorgebracht.

Dennoch – oder gerade deshalb – offenbart die Forschung mit Blick auf die von der Öffentlichkeit aufgeworfenen Fragen eine Schwäche. Die vorliegende Arbeit geht von der Beobachtung aus, dass den heute bestimmenden Populismustheorien der gegenwartsdiagnostische Blick auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge (der zurecht eingefordert wird) verstellt ist. Insbesondere scheinen sie kaum dafür geeignet, die Bedeutung und die Funktion autoritärer Ideologie für die Politik populistischer Parteien zu erklären. In der vorliegenden Arbeit werden diese Schwierigkeiten mithilfe einiger Modelle kritischer Theorien, die autoritäre Ideologie dezidiert in den Mittelpunkt ihres Nachdenkens über Gesellschaft stellen, herausgearbeitet und reflektiert. Mit »autoritärer Ideologie« sind hier all jene Formen des Denkens gemeint, die eine homogene soziale Ordnung durch die Etablierung von Ungleichwertigkeit und einer Überlegenheit über bestimmte Gruppen herstellen wollen. Am häufigsten handelt es sich dabei um nationalistisches, klassistisches, rassistisches, antisemitisches oder (hetero)sexistisches Denken.1 Gerade das scheinbar private, bloß irrationale Ressentiment gegen Immigrant*innen, ethnische Minderheiten, jüdische Menschen, von Armut Betroffene, vermeintlich global verschworene Eliten, gegen eine Vielfalt geschlechtlicher und sexueller Lebensweisen, ökonomische Umverteilung, Klimaschutz etc. fordert das sozialwissenschaftliche Verständnis ebenso wie den Alltagsverstand heraus. Welche objektiven, verstehbaren Mechanismen, welche gesellschaftlichen Verhältnisse machen relevante Teile der Wähler*innenschaften für solches Denken empfänglich und warum wird es politisch vorangetrieben? Wie lassen sich die vielen Entwicklungen ordnen, die in Summe den populistischen Parteien offenbar zunehmend Erfolge bescheren? Inwiefern und durch welche Mechanismen kommen etwa politisch-ökonomische Verwerfungen, Krisen demokratischer Repräsentation und autoritäre Ideologien populistischen Parteien zugute? Welche gesellschaftlichen Antagonismen und Herrschaftsverhältnisse prägen diesen Zusammenhang? Kurz: Wie ist der Populismus als ein gesellschaftliches Phänomen zu begreifen?

In den folgenden Kapiteln werden diese Fragen an die gegenwärtige Populismusforschung gerichtet. Die zentrale Forschungsfrage lautet:

Wie konzipieren gegenwärtige Populismustheorien das Zusammenspiel von Kapitalismus, Demokratie und autoritärer Ideologie im Erfolg (linker und rechter) populistischer Parteien?

Wie bereits erwähnt ist die gegenwärtige Populismusforschung außerordentlich umfassend und differenziert. Das gilt auch für ihre theoretischen Zugänge. Die einschlägigen wissenschaftlichen Handbücher weisen drei (la Torre 2019), vier (Kaltwasser et al. 2017b; Heinisch et al. 2017b; Stavrakakis/Katsambekis 2024b) oder gar neun (vgl. Oswald et al. 2022: 5ff.) zentrale theoretische Perspektiven aus. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich auf drei prominente Erklärungsansätze:

Das zweite Kapitel befragt zentrale Texte des ideational approach auf ihre gesellschaftstheoretischen Beiträge. Dieser Zugang, dessen grundlegende Thesen maßgeblich durch die niederländischen beziehungsweise chilenischen Politikwissenschaftler Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser formuliert wurden, gilt heute weithin als ein innovativer und wichtiger oder gar als der vorherrschende Forschungsansatz (vgl. Kaltwasser et al. 2017a: 21ff.; Heinisch et al. 2017a: 31; Jäger 2022: 34). Muddes Verständnis von Populismus als einer »thin-centred ideology« (Mudde 2004: 544) mit nur wenigen ideologischen Elementen wird von Vertreter*innen verschiedener theoretischer Strömungen und vor allem in der empirischen Forschung als gut operationalisierbarer kleinster gemeinsamer Nenner akzeptiert; zumindest wird (ggf. mit Modifikationen) aufgrund pragmatischer Überlegungen oft darauf zurückgegriffen. Mudde formulierte den einflussreichsten theoretischen Vorschlag zur Beantwortung der Frage, inwiefern Populismus spezifisch als eine Ideologie verstanden werden kann, und er hat maßgebliche vergleichende Analysen zu den konkreten Parteiideologien vor allem von populistischen radikal rechten Parteien vorgelegt.

Im dritten Kapitel kommen Cleavage-Theorien des Populismus auf den Prüfstand. Sie erklären den Erfolg populistischer Parteien aus Veränderungen hinsichtlich der zentralen cleavages, also gesellschaftlichen Konfliktlinien, die westeuropäische Parteiensysteme strukturieren. Diese Beiträge aus der Politischen Ökonomie und der politischen Kulturforschung werden nicht immer zu den Standard-Ansätzen der Populismusforschung gezählt. Die Herausgeber*innen des Oxford Handbook of Populism schließen gar (bestimmte) ökonomische Ansätze der Populismusforschung explizit aus ihrem Kanon aus (vgl. Kaltwasser et al. 2017a: 31). Allerdings zählen Beiträge, in denen auf Cleavage-Theorien zurückgegriffen wird, nicht zufällig zu den meistzitierten und meistdiskutierten Veröffentlichungen, da sie sich einer für die Forschung wie für die öffentliche Diskussion zentralen Frage widmen: Spielen ökonomische oder kulturelle Spaltungslinien die zentrale Rolle für die Erfolge populistischer Parteien? Wie wirken sich die Veränderungen des Kapitalismus in den letzten Jahrzehnten auf diese Erfolge aus? Vor allem die Mobilisierung autoritärer Ideologie durch (radikal) rechte populistischen Parteien lässt an der in der Öffentlichkeit nach wie vor verbreiteten – und grundsätzlich plausiblen – Annahme zweifeln, dass die Zustimmung zu solchen Parteien zumindest auch als Reaktion auf ökonomische Abstiegsängste, akute Krisen oder Klassenkämpfe zu verstehen ist. Cleavage-Theorien aus der Politischen Ökonomie, etwa die Beiträge des deutschen Politikwissenschaftlers Philip Manow, und aus der Forschung zum kulturellen Wertewandel, wie sie unter anderem seine britischen und US-amerikanischen Kolleg*innen Pippa Norris und Ronald Inglehart vorgelegt haben, zeichnen bezüglich des Zusammenspiels von ökonomischen und kulturellen Spaltungslinien geradezu diametral entgegengesetzte Bilder. Beide Varianten werden im dritten Kapitel daher als relativ eigenständige Ansätze behandelt und anhand von jeweils zwei Theorien untersucht und gegenübergestellt.

Gegenstand des vierten Kapitels sind schließlich radikaldemokratische Theorien. Diesen Theorien zufolge ist der Populismus Ausdruck einer strukturellen politischen Logik demokratischer Gesellschaften. Im Unterschied zu den anderen Strömungen beziehen sie sich daher grundsätzlich positiv auf ihn, sehen sie doch in ihm eine, wenn nicht die emanzipatorische politische Strategie schlechthin. Vor allem der argentinische politische Theoretiker Ernesto Laclau und die belgische Politikwissenschaftlerin Chantal Mouffe haben ausgehend von ihrer postmarxistischen Diskurstheorie das Populismusverständnis der Radikaldemokratie geprägt. Im gegenwärtigen Forschungsfeld messen sie dem Demokratiebegriff für das Verständnis des Populismus die größte Bedeutung bei. Die Arbeiten Laclaus werden in der Forschung als gesellschaftstheoretisch avancierteste Populismustheorie anerkannt, sie sind zugleich jedoch wegen ihres hohen Abstraktionsniveaus und ihres vermeintlich besonderen und problematischen normativen Impetus umstritten (vgl. Kaltwasser et al. 2017a: 37; Heinisch et al. 2017a: 31).

In diesen drei Kapiteln befragt die Arbeit die Theorien auf ihre gesellschaftstheoretischen Grundlagen und arbeitet ihren Kern heraus. Welche Zusammenhänge halten sie für essenziell, welchen sozialen Veränderungen schreiben sie die zentrale Bedeutung zu, welche Voraussetzungen und Vereinfachungen müssen sie dafür hinnehmen? Dabei orientiert sich die Untersuchung an drei Grundbegriffen: Kapitalismus, Demokratie und autoritäre Ideologie. Die Arbeit geht der Frage nach, wie diese Begriffe in den Theorien jeweils Anwendung finden und wie sie zueinander in Beziehung gesetzt werden. Welche Bedeutung spielen sie in den verschiedenen Erklärungen des Phänomens Populismus und in welche Beziehung wird Populismus zu ihnen gesetzt? Die Reihenfolge und Gewichtung der jeweils drei entsprechenden Unterkapitel innerhalb jeden Kapitels folgen dabei dem inneren Aufbau der Theorien selbst. Die leicht variierenden Benennungen der Unterkapitel weisen auf die verschiedenen Perspektiven hin, mit denen die untersuchten Theorien auf Demokratie, Kapitalismus und autoritäre Ideologie blicken.

Diese begriffszentrierte Analyse ermöglicht es, die verschiedenen Theorien zu vergleichen. So werden gemeinsame, aber auch jeweils spezifische theoretische Stärken und Schwächen herausgearbeitet und zueinander in Bezug gesetzt. Die Untersuchung entlang dieser drei Begriffe folgt zuvorderst der Annahme, dass sie produktive theoretische Ausgangspunkte zur Klärung der von der Öffentlichkeit aufgeworfenen Frage sind: In welchem gesellschaftlichen Zusammenhang ist der Erfolg populistischer, insbesondere rechter Parteien zu deuten? Sie bürstet das Material dabei insofern gegen den Strich, als »Kapitalismus«, »Demokratie« und »autoritäre Ideologie« in den untersuchten Populismustheorien mitunter nicht im selben Maße wie in der vorliegenden Abhandlung im Fokus stehen.

Diesem Vorgehen liegt die These zugrunde, dass die derzeit vorherrschenden Zugänge der Populismusforschung aus der Perspektive kritischer Theorien nicht vollumfänglich gesellschaftstheoretisch zu überzeugen vermögen und vor allem die Bedeutung und Funktion autoritärer Ideologie für populistische Parteien nicht plausibel erklären. Begleitend zur theoretischen Analyse fragt die Arbeit daher zweitens:

Welche Probleme weisen die gegenwärtigen Populismustheorien aus der Perspektive gesellschaftskritischer Autoritarismustheorien auf?

Mit Letzteren sind hier konkret zwei Theorietraditionen gemeint, die das Phänomen der autoritären Ideologie in demokratischen Systemen untersucht haben: zum einen die hegelmarxistische Frankfurter Kritische Theorie Theodor W. Adornos, Max Horkheimers, Leo Löwenthals etc. und zum anderen die an den hegemonietheoretischen Marxismus Antonio Gramscis anschließenden Überlegungen des jamaikanisch-britischen Kulturwissenschaftlers Stuart Hall und der an ihn anknüpfenden Theoretiker*innen. Sie sollen helfen, Widersprüche, unplausible Annahmen und Leerstellen der gegenwärtigen Populismustheorien zu identifizieren und sie kritisch zu reflektieren. Dazu werden im fünften Kapitel die herausgearbeiteten Stärken und Probleme der drei diskutierten Forschungsansätze zusammengeführt und unter Zuhilfenahme einiger Modelle der gesellschaftskritischen Theorien reflektiert. Das soll vor allem dort weiterhelfen, wo die Ansätze dieselben Probleme aufweisen und sich nicht gegenseitig ergänzen können.

Die Frankfurter und die gramscianische kritische Theorie eignen sich dafür nicht nur, weil sie dem Autoritarismus viel Aufmerksamkeit gewidmet haben, sondern auch, weil beider Theoretisieren ausdrücklich vom Wunsch nach gesellschaftlicher Veränderung angetrieben ist und sie daher Gesellschaft auf ihre herrschaftsförmige Struktur hin in den Blick nehmen. Ihre Beschäftigung mit autoritären Bewegungen in der Demokratie zielt mithin darauf ab, die Irrationalität der Einzelnen als Teil und Ausdruck gesellschaftlicher Widersprüche in modernen kapitalistischen Gesellschaften zu fassen. Zugleich stellen diese Theorien keine abgeschlossenen Lehren dar und bieten keine überzeitlich gültigen Begriffe. Vielmehr sind sie als spezifische, historisch informierte kritische Modelle anzusehen. Die Arbeit legt dar, inwiefern sie dennoch zur Bewältigung einiger aktueller theoretischer Herausforderungen und zu einem gesellschaftstheoretisch reflektierteren Verständnis des Populismus beitragen können.

Einer der notorischen Streitpunkte der Populismusforschung seit ihren modernisierungstheoretischen Anfängen ist die Frage, wie »Populismus« überhaupt definiert werden sollte. Noch immer ist es daher beinahe unumgänglich, zunächst auf das tradierte Problem einer fehlenden allgemeingültigen Definition zu verweisen. Seit mindestens 1969, als sich erstmals eine ganze Konferenz und ein aus ihr resultierender Sammelband diesem Problem widmeten (Ionescu/Gellner 1969), ist die Vagheit und Unbestimmtheit des Begriffs immer wieder hervorgehoben worden. Die heutige Assoziation verschiedener Krisen mit dem Begriff »Populismus« ist wohl auch, wenn nicht dieser Unschärfe geschuldet, so doch zumindest durch sie befördert. Die Abgrenzung oder das Verhältnis zum Faschismus, Rechtsextremismus, (Neo)Konservatismus und Nationalismus, aber auch zu Propaganda, vereinfachender Rhetorik oder schlicht demokratischer Politik ist immer wieder Gegenstand der Diskussion – bis dahin, dass die Brauchbarkeit des Begriffs insgesamt infrage gestellt wird. Die vorliegende Arbeit geht davon aus, dass der Begriff in der Tat etwas in den gegenwärtigen sozialen und politischen Veränderungen erhellen kann, wenn er als Einstiegspunkt in die gesellschaftstheoretische Reflexion dient. Daher ist es geboten, seine vorherrschende akademische Verwendung zu untersuchen und dabei auch seine theoriegeschichtliche Prägung zu berücksichtigen.

Der akademische Dissens über mögliche Definitionen von »Populismus« ist derweil heute gegenüber den 1960er-Jahren vernehmlich kleiner geworden (vgl. Stavrakakis/Katsambekis 2024a: 1f.). Wenngleich nach wie vor kein Konsens besteht, hat sich doch die vom niederländischen Politikwissenschaftler Cas Mudde entwickelte Minimaldefinition als sehr anschlussfähige Grundlage erwiesen. Mudde zufolge ist Populismus »an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, ›the pure people‹ versus ›the corrupt elite‹, and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people« (Mudde 2004: 543). Dieser Definition folgt die Arbeit mit zwei Einschränkungen: Erstens hält sie das Kriterium eines homogenen Volksbegriffs im von Mudde vorgeschlagenen Sinn vor allem für den linken Populismus für unzutreffend, und zweitens fasst sie die populistische Polemik gegen Eliten als vor allem personalisierend statt als moralisierend. Diese Einschränkungen werden im zweiten Kapitel begründet.

Muddes Definition beansprucht unter anderem, das Wesen des Populismus unabhängig von den verschiedenen nationalen Kontexten zu erfassen. Tatsächlich aber hat die Populismusforschung seit den 1990er-Jahren vor allem in Reaktion auf die politischen Erfolge populistischer rechter Parteien in (West)Europa Fahrt aufgenommen. Je nach ihrem Verständnis von Populismus variiert der beanspruchte geografische Geltungsbereich der hier untersuchten Theorien. Fast immer ziehen sie auch südamerikanische und oft osteuropäische Beispiele heran. Trotzdem befassen sie sich nicht zufällig nach wie vor in erster Linie mit den rechtsstaatlich verfassten Demokratien West, Mittel- und Südeuropas und Nordamerikas. Die Arbeit folgt diesem Fokus, denn populistische Ideologie tritt in diesen Ländern in einer spezifischen Situation auf: Während sie stark von den demokratischen Versprechen und Legitimationsmustern der bürgerlichen Revolutionen geprägt sind, sind die Demokratien hier zugleich umfassend liberal-rechtsstaatlich eingehegt. Populismus kann daher zwar immer auf Elemente des begrenzten »demokratischen Imaginären« (Laclau/Mouffe) Bezug nehmen, gerät jedoch unweigerlich mit den rechtsstaatlichen Institutionen in Konflikt.

Auch in politischer Hinsicht beanspruchen Muddes Definition sowie die anderen hier untersuchten Theorien Allgemeingültigkeit. Sie nehmen – mal mehr, mal weniger – sowohl den linken als auch rechten Populismus in den Blick. Allerdings ist, entsprechend ihrer politischen Bedeutung, die populistische Rechte nicht nur für den öffentlichen Diskurs, sondern auch für die Forschung deutlich wichtiger als die populistische Linke (vgl. Katsambekis 2022: 66). Daher steht sie auch hier im Fokus. Ob populistische linke und rechte Parteien tatsächlich hinreichend Gemeinsamkeiten aufweisen, um parallel besprochen zu werden, ist selbst Gegenstand der Diskussion. Die Arbeit sieht die Suche nach einer möglichst umfassenden und präzisen Definition dabei durch die Notwendigkeit begrenzt, theoretisch deutlich zwischen linken und rechten Ausprägungen des Populismus und ihren jeweiligen gesellschaftlichen Bedeutungen zu differenzieren. Diese Notwendigkeit wird im fünften Kapitel dargelegt.

Terminologisch folgt die Arbeit den jeweils untersuchten Theorien, in deren Rahmen vor allem zur Benennung populistischer rechter Parteien unterschiedliche Begriffe benutzt werden. Obwohl die Titulierungen als »rechtspopulistische Parteien« (Rodrik/Manow), »Rechtspopulismus« bzw. »right-wing populism« (Müller; Laclau/Mouffe; Canovan) »extreme populist right« (Bornschier/Kriesi), »populistische radikale Rechte« (Mudde/Kaltwasser) »radical right populists« (Burgoon/Rooduijn) oder als »autoritär-populistische Parteien« (Norris/Inglehart) auf jeweils leicht unterschiedliche Fassungen des Gegenstandes verweisen, sind die dahinterstehenden Erklärungsansätze ähnlich und damit vergleichbar. Unumgänglich ist hier lediglich die Unterscheidung zwischen der (populistischen) Rechten oder radikalen Rechten einerseits und dem prinzipiell demokratiefeindlichen (ggf. auch populistischen) Rechtsextremismus andererseits.

Aus den oben vorgestellten Forschungsfragen und dem theoretischen Gegenstand ergibt sich das methodische Vorgehen in dieser Arbeit. Grundsätzlich ist sie verstehend ausgerichtet, das heißt, sie will mit den Mitteln der theoretischen Reflexion zum Verständnis konkreter politischer Verhältnisse und politischer Theorien beitragen. Das ist als Abgrenzung gegenüber dem Anspruch zu verstehen, politische und theoretische Phänomene kausal und mit prognostischem Anspruch zu erklären (vgl. Salzborn 2014: 75f.).

Die Arbeit geht zudem vergleichend vor, da sie die verschiedenen gegenwärtigen Populismustheorien auf ihren ähnlichen oder unterschiedlichen Umgang mit denselben Begrifflichkeiten abklopft. Deren Argumente, aber auch ihre Leerstellen und Widersprüche werden rational rekonstruierend (vgl. Zapf 2013: 77–79) herausgearbeitet, das heißt durch systematischen Nachvollzug theoretischer Entscheidungen und Bezüge. Dabei treten die historischen Umstände ihrer Formulierung und die Traditionen, aus denen sie hervorgingen, in den Hintergrund – ohne jedoch ganz zu verschwinden, denn sie tragen mitunter maßgeblich zum Verständnis der vorgebrachten Argumente bei. Die theoriegeschichtlichen Bezüge zur liberalen Modernisierungstheorie werden dort benannt, sofern sie noch nachwirken und das Verständnis der Struktur der Theorie erweitern. Das Ziel besteht darin, die tragenden Gedankengänge so weit wie möglich schlüssig herauszuarbeiten und dabei Widersprüche zu benennen. Diese Widersprüche sollen als Symptome theoretischer Probleme beleuchtet werden und Ausgangspunkte für Einsprüche und die Weiterentwicklung der Populismusforschung sein. Die wie bei jeder Rekonstruktion auch hier notwendige Aneignung des theoretischen Materials ist indes nicht interesselos oder unschuldig, sondern erfolgt aus der Perspektive der genannten gesellschaftskritischen Autoritarismustheorien. Um zu vermeiden, dass dieser kritische Ausgangspunkt zur Formulierung von Strohmann-Argumenten führt, erfolgt die Rekonstruktion in einer relativen Ausführlichkeit.

In dieser Arbeit wird also sowohl immanente wie auch transzendente Kritik an den gegenwärtigen Populismustheorien geübt. Immanent ist die Kritik insofern, als sie jene Punkte fokussiert, an denen die Populismustheorien ihrem eigenen Erklärungsanspruch nicht gerecht werden. Transzendent argumentiert sie dort, wo sie ihnen Argumente und Modelle der kritischen Theorien entgegenhält. Diese zunächst äußerlich an sie herangetragenen kritischen Modelle werden sich, so die Hoffnung, als ein Schlüssel zu den Problemen der gegenwärtigen Theorien rechtfertigen. Etwa indem sie kritische Impulse aus den gegenwärtigen Populismustheorien selbst aufgreifen, die diese bislang nicht entwickelt haben.

1Diese verschiedenen Ideologieelemente hängen oft miteinander zusammen und treten gemeinsam auf. Damit folgt die Arbeit einem breiten Verständnis autoritärer Ideologie, ähnlich dem von Wilhelm Heitmeyer, Andreas Zick und Beate Küpper entwickelten »Syndrom Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit« (Heitmeyer et al. 2011). Über die Abwertung bestimmter Gruppen hinaus verknüpft autoritäre Ideologie aber auch politische, ökonomische und gesellschaftliche Überzeugungen zu einem »Denkmuster« (Adorno et al. 1973: 1). Für den parteipolitischen Bereich bedeutet das, dass autoritäre Ideologie im hier verwendeten Sinn Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus aufweist, aber weit über ihn hinausgeht. Denn im Rechtsextremismus richtet sich das Autoritäre politisch immer gegen die Volkssouveränität und die Demokratie. Auch die Parteienfamilie der radikalen Rechten ist durch einige spezifische Elemente autoritärer Ideologie charakterisiert (siehe dazu Cas Muddes Definition in Abschnitt 2.1.3).

2. Von der Ideologie zur Wirklichkeit?

Populismus im ideational approach

Unter den verschiedenen Ansätzen der Populismusforschung haben sich in den letzten Jahren diejenigen am erfolgreichsten etabliert, die Populismus als eine Ideologie oder als eine Konstellation von Ideen begreifen. Dieser meist als ideational approach betitelte Zugang ist zwar der jüngste unter den hier untersuchten. Dennoch dient er heute dank seiner systematischen Untersuchungen sowie seiner reduzierten und gut operationalisierbaren Populismusdefinitionen als Grundlage vieler empirischer Studien populistischer Einstellungen, Diskurse und Parteien.

Seine wesentlichen Impulse gehen auf frühe radikaldemokratische Arbeiten vor allem von Margaret Canovan sowie auf die morphologische Ideologieforschung Michael Freedens zurück. Die zentralen Texte, vor allem des niederländischen Parteienforschers Cas Mudde und seines chilenischen Kollegen Cristóbal Rovira Kaltwasser, sind ab 2004 angesichts des Auftriebs populistischer radikal rechter Parteien in Europa zu Beginn der 2000er-Jahre einerseits und des neoliberalen Populismus der 1990er in Lateinamerika andererseits entstanden. In Hinblick auf diese geografische wie ideologische Vielfalt populistischer Parteien stand und steht die Frage nach einem kleinsten gemeinsamen Nenner populistischen Denkens im Mittelpunkt der ideologietheoretischen Texte. Seitdem sind nicht nur die Definitionsvorschläge des ideational approach in der Populismusforschung beinahe konsensfähig geworden, sondern er hat sich auch zu einem eigenständigen Forschungsprogramm verbreitert (vgl. Hawkins/Kaltwasser 2019).

Die liberale Modernisierungstheorie, die eingangs als theoriegeschichtlicher Ursprung der Populismustheorie dargestellt wurde, ist hier schon kein bedeutsamer Bezugspunkt mehr. Weder schließt der ideational approach an sie an, noch steht er in einem polemischen Verhältnis zu ihr. Das große Anliegen etwa der radikaldemokratischen Autor*innen gegenüber der Modernisierungstheorie, Populismus nicht länger als eine bloße Pathologie bestimmter, krisenhafter sozialer Verhältnisse zu begreifen (siehe die Einleitung zu Kapitel 4), ist für den ideational approach selbstverständlicher Ausgangspunkt. Gleichwohl ist er eindeutig liberal ausgerichtet und greift einige Elemente des liberalen Antipopulismus auf, der auch der Modernisierungstheorie der 1950er und 1960er-Jahre eigen war.

Im Fokus steht nicht, wie in den Cleavage-Theorien, die Nachfrageseite des Erfolgs populistischer Parteien – warum stimmen so viele Wähler*innen für populistische Parteien? – sondern vor allem die Angebotsseite: Wie und unter welchen Kontextbedingungen können populistische Parteien diese Nachfrage in politischen Erfolg ummünzen? Den Forschungsansätzen in der Tradition der Modernisierungstheorie halten die Vertreter*innen des ideational approach vor, diese Angebotsseite systematisch zu vernachlässigen – nicht zu Unrecht, wie die Untersuchung zeigen wird (siehe Abschnitt 2.2.3). Ebenso verweigern sie sich der Gegenüberstellung kultureller und ökonomischer Erklärungsansätze, da beide zu sehr auf die Nachfrageseite fokussieren.

Sie selbst folgen zwar im Prinzip der radikaldemokratischen Deutung von Populismus als Produkt und Symptom demokratischer Legitimationsprobleme, verzichten dabei aber weitgehend auf eine größere demokratietheoretische Herleitung. Stattdessen sind sie einer vergleichend-empirischen Perspektive auf das Phänomen verpflichtet. Populismus ist hier nicht mehr und nicht weniger als eine weitverbreitete Ideologie mit wenigen, genau bestimmbaren Elementen. Diese Elemente möglichst präzise zu erfassen, steht im Fokus. Dabei treten durchaus Differenzen zutage, die auf verschiedene Demokratieverständnisse und Gesellschaftsbilder hindeuten. Gerade weil diese positivistische Bestimmung von Populismus als Ideologie als beinahe voraussetzungslos erscheint, lohnt es, ihre gesellschaftstheoretischen Grundlagen auszuleuchten. Im Folgenden stehen dabei die Bücher und Artikel Cas Muddes und Cristóbal Rovira Kaltwassers im Mittelpunkt. Sie haben sowohl mehrere grundlegende Werke zum Populismus als solchem vorgelegt als auch viele Forschungsarbeiten zu populistischen und nicht-populistischen radikal rechten Parteien. Ergänzend wird die ebenfalls weit rezipierte ideengeschichtliche Annäherung Jan-Werner Müllers untersucht.

2.1 Autoritarismus und Ideologie

Unabhängig davon, ob man die Grenzen eines ideational approach eng oder weit fasst, verstehen alle Vertreter*innen Populismus zunächst als ein geistiges Phänomen. Ob sie als Terminus Diskurs, Idee, Weltanschauung oder Ideologie bevorzugen – gemeinsam ist ihnen, Populismus über bestimmte Inhalte zu bestimmen. Populistische Einstellungen können in dieser Perspektive sowohl auf Massen- als auch auf Partei- und Elitenebene auftreten, als bloße Meinung oder als explizit politischer Diskurs.

Eine so umfassend ideelle Herangehensweise wirft sogleich die Frage auf, inwieweit dieses geistige Phänomen auch eine politische und eine gesellschaftliche Erscheinung ist. Welche gesellschaftlichen Funktionen erfüllt Ideologie? Lässt sich eingrenzen, wer mit welchen Intentionen und Interessen die populistische Ideologie produziert, aufgreift und reproduziert? Kann der ideational approach klären, inwiefern Populismus – insbesondere in Verbindung mit autoritärer Ideologie – bestimmten gesellschaftlichen Verhältnissen und Bedürfnissen entspringt?

2.1.1 Der Begriff der Ideologie

Die heute weithin akzeptierte Standarddefinition populistischer Ideologie hat Cas Mudde bekanntlich bereits 2004 formuliert:

»I define populism as an ideology that considers society to be ultimately separated into two homogeneous and antagonistic groups, ›the pure people‹ versus ›the corrupt elite‹, and which argues that politics should be an expression of the volonté générale (general will) of the people« (Mudde 2004: 543).

Bevor die verschiedenen inhaltlichen Elemente dieser Definition näher untersucht werden, lohnt ein Blick auf den Begriff Ideologie selbst. Selbstverständlich ist er hier im positivistischen, wertfreien Sinne verwendet, sodass er zunächst schlicht jede halbwegs kohärente Vorstellung davon meint, wie die Welt ist oder wie sie sein soll. Insbesondere bezeichnet »Ideologie« hier nicht, wie im marxistischen Verständnis, pejorativ ein falsches, verzerrtes Bewusstsein gesellschaftlicher Verhältnisse. Ideologie wird im ideational approach meist synonym mit »politischem Denken« insgesamt verwendet. So verstehen Cas Mudde und Cristóbal Rovira Kaltwasser Ideologie als »a body of normative ideas about the nature of man and society as well as the organization and purposes of society« (Mudde/Kaltwasser 2017: 6).

Mudde, und in der Folge sämtliche der an ihn anschließenden Vertreter*innen des ideational approach, entlehnen ihr Verständnis von Ideologie dem morphologischen Ansatz des britischen Ideologieforschers Michael Freeden. In seiner Perspektive gibt es kein Außerhalb der Ideologie, da jegliche Kartierung oder Interpretation der politischen und sozialen Welt – und ohne eine solche wäre kein Handeln möglich – Ideologie ist (vgl. Freeden 2003: 2). Dieses zwar konstruktivistische, aber betont wertfreie, deskriptive Ideologieverständnis ist insbesondere für die empirische Populismusforschung attraktiv, da es die Nachfrageseite der Politik und ihre Angebotsseite, das heißt das, was Parteien und Regierungen als politische Alternativen für die Bürger*innen zur Auswahl stellen, miteinander verbindet. Die deskriptiven Kriterien für Populismus als Ideologie können auf subjektive Überzeugungen ebenso wie auf Partei-Manifeste, Reden usw. angewendet werden. Zudem schließt es vereinfachte Vorstellungen aus, die politisches Denken als eine irgendwie unmittelbare Reaktion auf soziale Veränderungen oder als bloßes Ergebnis einer Manipulation durch Eliten verstehen, indem es unterstreicht, dass Ideologie immer eine unhintergehbar normative Interpretation sozialen Wandels ist.

Besonders einschlägig für den ideational approach ist Freedens Unterscheidung zwischen »full« und »thin-centred ideologies« (Freeden 1996: 485). Freeden benutzt sie, um der reduzierten thematischen Breite feministischen und grünen politischen Denkens, aber auch des Nationalismus (vgl. Freeden 1998), Rechnung zu tragen. Gegenüber Liberalismus, Konservatismus und Sozialismus, die jeweils umfassende Antworten auf sämtliche große politische Fragen vorbringen, begnügen sich dünne Ideologien mit einem Kern aus einem oder zwei Themen und nur wenigen politischen Begriffen. Inhaltliche Spannbreite können sie nur gewinnen, indem sie Anleihen bei vollen Ideologien nehmen oder sich gar an sie als »host ideology« (Freeden 1996: 509) anfügen. Der Populismusforschung ermöglicht diese Unterscheidung, in verschiedenen populistischen Diskursen trotz ihrer oft beklagten Unbestimmtheit und politischen Wandlungsfähigkeit eine gemeinsame inhaltliche Substanz zu erkennen, ohne ihre ideologische Vielfalt und Flexibilität zu leugnen. Populismus ist für sich genommen nicht links oder rechts, er hat für sich genommen beinahe kein eigenes Programm. Populismus als Ideologie kann, so Mudde und Kaltwasser, überhaupt nur in Verbindung mit vollen Ideologien existieren, da er selbst keine Antworten auf die politischen Fragen moderner Gesellschaften liefern kann. Er braucht also weitere ideologische Elemente, um eine breitere Öffentlichkeit wirkungsvoll politisch ansprechen zu können (vgl. Mudde/Kaltwasser 2017: 6).

Ist er dann aber überhaupt guten Gewissens als Ideologie zu bezeichnen? Weder gemessen an Muddes und Kaltwassers eigener Rede von »bodies of normative ideas«, noch im Sinne Freedens scheint die außerordentliche Begrenztheit populistischer Themen diesen Namen zu verdienen. Vermag das einzige eigene Thema des Populismus, der Konflikt zwischen dem guten, aber unterdrückten Volk und der korrupten, aber herrschenden Elite, eine eigenständige Mobilisierungswirkung zu entfalten?

Michael Freeden selbst hat der Anwendung seines Konzepts der dünnen Ideologie – das von ihm übrigens nie systematisch entwickelt wurde (vgl. Aslanidis 2016: 90f.) – auf den Populismus widersprochen. Denn anders als feministische und grüne Ideologie hat der Populismus laut Freeden erstens keine positive, selbstbewusst artikulierte inhaltliche Stoßrichtung politischer Veränderung, sondern belebt lediglich »primordial social intuitions« (Freeden 2017: 3) neu. Zweitens ist die Volk-Elite-Entgegensetzung beim Populismus gerade nicht die Basis für eine mögliche inhaltliche Verbreiterung, sondern schon das ganze Programm; der Populismus hat gar kein Interesse daran, seine ideologische Ansprache zu verbreitern. Für Freeden ist er zu dürr, um auch nur dünn genannt zu werden.

Dass Mudde und Kaltwasser dennoch am Genus »Ideologie« festhalten, liegt am genannten Anspruch, Angebots- und Nachfrageseite zu integrieren. Mudde hat für die Erforschung der populistischen radikal rechten Parteien ausdrücklich das Programm ausgegeben, nicht länger der vorherrschenden Fokussierung auf die Nachfrageseite radikal rechter Politik zu folgen. Dieser, von Mudde in Bezug auf eine Formulierung von Erwin K. Scheuch und Hans-Dieter Klingemann (Scheuch/Klingemann 1967) als »normal pathology thesis« bezeichneten Forschungstradition gemäß sind radikal rechte und populistische Einstellungen eine pathologische, randständige Ausnahme gegenüber normalen, Mainstream-Ideologien in westlichen Demokratien. Die modernisierungstheoretischen Pioniere der Erforschung der radikalen Rechten wie Daniel Bell, Richard Hofstadter und Seymour Martin Lipset gingen davon aus, dass dennoch in allen westlichen Gesellschaften ein kleines, strukturell bedingtes Zustimmungspotenzial für sie existiert. Dafür machten sie vor allem psychologische Pathologien wie Paranoia, Verschwörungsdenken sowie tief sitzende Feindseligkeiten gegenüber Minderheiten verantwortlich. Die politische Aktivierung dieser Pathologien und ihr zeitweiliger Erfolg auch jenseits dieses begrenzten Potenzials führen sie auf schnellen sozialen Wandel und damit einhergehende extreme, krisenhafte Umstände zurück (vgl. Mudde 2010: 1170). In dieser Perspektive spielen die konkrete Ideologie und das tatsächliche politische Handeln radikaler und extrem rechter Parteien selbst kaum eine Rolle. Mudde stellt nun infrage, dass die Ideologieelemente populistischer radikal rechter Parteien Randphänomene seien, gar etwas Krankhaftes. Anders als die Ideologien der offen demokratiefeindlichen extrem rechten Parteien seien sie lediglich eine »radical interpretation of mainstream values, or more akin to a pathological normalcy« (ebd.: 1167). Empirisch könne gezeigt werden, dass Kernelemente der populistischen radikal rechten Ideologie vom Mainstream sowohl auf Massen- als auch auf Elitenebene geteilt werden, wenngleich oft in moderaterer Form (vgl. ebd.: 1187). Das hält der Ideologiebegriff hier fest: Populistisches und radikal rechtes politisches Denken ist weit verbreitet und kann weder auf psychische Pathologien noch auf bloße parteipolitische Beeinflussung reduziert werden, wie es etwa die Bezeichnungen »Propaganda«, »Demagogie« oder »Agitation« nahelegen würden. Die politische Nachfrage nach populistischer und radikal rechter Ideologie ist damit für den ideational approach nicht länger ein Rätsel, sondern schlicht eine Voraussetzung. Laut Mudde wird sie ganz von selbst von den »complex multiethnic western democracies« (ebd.: 1179) erzeugt. Seine eigentliche Frage ist, wie und unter welchen Bedingungen welche Arten von Parteien mit populistischer Ideologie den offenbar fruchtbaren gesellschaftlichen Nährboden politisch zu bestellen vermögen. Zur Erklärung der Wahlerfolge populistischer Parteien rücken also die Parteien selbst in den Mittelpunkt und ihre angebotsseitigen Kämpfe um die Salienz bestimmter Themen und die Besetzung bestimmter Positionen.

Mainstream-Elemente populistischer Ideologie sind laut Mudde etwa die Betonung des demokratischen Versprechens einer am besten unbeschränkten Volkssouveränität und ein Misstrauen gegenüber gesellschaftlichen Eliten (vgl. ebd.: 1175). Ob diese Elemente als populistische Ideologie bezeichnet werden können, bleibt indes auch innerhalb des ideational approach eine offene Frage. So stellen Hawkins und Kaltwasser fest, dass auf Individualebene populistische Einstellungen statistisch nicht konsistent mit der Wahl populistischer Partien korrelieren. Sie folgern, dass populistische Ideen möglicherweise keine bewussten Einstellungen sind, wie Wähler*innen sie etwa zu Themen wie Rentenreformen oder Abtreibungsgesetzgebungen haben, sondern »a latent demand or a disposition […] that must be activated through context and framing« (Hawkins/Kaltwasser 2019: 7, Hrvh. i. O.). Wenngleich sie »Disposition« hier nicht im psychoanalytischen Sinne als unbewussten Persönlichkeitszug verstanden wissen wollen, nähern sie sich damit doch wieder der von Mudde zuvor abgelehnten psychischen Charakterisierung populistischer Ideologie. Zugleich halten sie daran fest, dass diese populistische Disposition nicht durch irrationale Agitation oder als verschobene Reaktion auf eigentlich andere Probleme erweckt wird, sondern realitätsgerecht durch »widespread failures of democratic governance that can be attributed to intentional elite behaviour« (Hawkins et al. 2020: 286). Könnten die vermeintlichen populistischen Einstellungen dann aber nicht auch schlicht als angemessene Kritik bezeichnet werden?

Muddes Umkehrung der »normal pathology«-These ist durchaus radikal. Die Trennung zwischen Ideologien des Mainstreams und populistischer radikaler Parteien zu hinterfragen, bringt deren breite gesellschaftliche Verankerung zu Bewusstsein. Auch der Versuch, Elite- und Massenebene als verbunden zu betrachten, nimmt Populismus als gesellschaftliches Phänomen in den Blick. Populistisches politisches Denken tritt in weiten Teilen der Wähler*innenschaft, in der politischen Elite und in verschiedenen ideologischen Schattierungen auf. Nachfrage nach populistischer und radikal rechter Ideologie ist stets gegeben, entscheidend für den politischen Erfolg sind daher das politische Angebot und die konkreten Opportunitätsstrukturen.

Aber der dafür in Anspruch genommene positivistische Ideologiebegriff verstellt zugleich den Blick auf das Gesellschaftliche. In seiner inhaltlichen Begrenztheit und theoretischen Abstraktheit hat Populismus als Ideologie scheinbar keinen Ausgangspunkt mehr, erfüllt keine Funktion und bedient kein Interesse mehr – er ist einfach da. Er ist schlicht eine von vielen subjektiven Mustern zur Interpretation der sozialen Welt. So richtig es ist, populistisches Denken nicht einfach als Ausdruck psychischer Deformationen zu begreifen: Wird es hier nicht zu einer schlichten, ungesellschaftlichen Tatsache?

Jan-Werner Müller umgeht in seiner Variante des ideational approach die Frage nach dem Genus des Populismus weitgehend. In seinem weit rezipierten Essay Was ist Populismus? (Müller 2016a) benutzt er zwar an einigen verstreuten Stellen den Begriff »Ideologie«, erläutert ihn aber nicht.1 Wie Mudde verwendet er »Ideologie« rein deskriptiv und denkt populistische Ideologie als weniger umfangreich im Vergleich zu Sozialismus, Liberalismus und Konservatismus (vgl. Müller 2016a: 129). Stärker als Mudde stellt er dabei den Zusammenhang von Ideologie und Praxis her. Ideologien sind nicht nur Interpretationsmuster, sondern versprechen grade den »gewöhnlichen Männern und Frauen« auch »plausible Lösungen für ihre Probleme« (Müller 2013: 8). Aus diesem Versprechen besser funktionierender politischer Institutionen ist die Attraktivität von Ideologien zumindest in der Rückschau auf das 20. Jahrhundert zu begreifen. Beim gegenwärtigen Populismus greifen Ideologie und Praxis in der Form ineinander, dass einerseits ihre Ideologie es den Populist*innen erlaubt, ihre Herrschaftstechniken in einer demokratisch klingenden Sprache mit einem großen moralischen Gestus zu rechtfertigen. Insbesondere die Vereinnahmung des Staates, Wähler*innenbindung durch Massenklientelismus sowie Repression gegenüber Zivilgesellschaft und Medien lassen sich mit dem moralischen Alleinvertretungsanspruch des Populismus offen rechtfertigen (vgl. Müller 2016a: 90). Andererseits vergegenständlichen sie ihre Ideologie, insbesondere ihre spezifische Vorstellung des »Volkes«, etwa in repräsentativen Bauprojekten (vgl. Müller 2023).

Insgesamt scheint der positivistische Ideologiebegriff des ideational approach in seiner breiten Anwendbarkeit zunächst gut für das gesellschaftliche Phänomen »Populismus« geeignet. Die Verbindung von Angebots- und Nachfrageseite sowie die Unterscheidung eines inhaltlichen Kerns von wechselnden möglichen ideologischen Anbauten bieten der Populismusforschung einen deskriptiven Zugriff ohne Festlegung auf eine bestimmte kausale Erklärung.

Diese deskriptive Breite ist allerdings mit einer geringen begrifflichen Tiefe erkauft. »Ideologie« wird austauschbar mit »Weltanschauung« oder »Idee« verwendet, ohne ihre gesellschaftliche Produktion, Verbreitung und Bedeutung sowie die möglicherweise verschiedenen Funktionen für Wähler*innen, Agitator*innen und Parteien näher zu erläutern.

2.1.2 Die Elemente populistischer Ideologie

Wie wirken sich nun diese Schwächen des deskriptiven Ideologiebegriffs auf die Charakterisierung der inhaltlichen Elemente der populistischen Ideologie aus? Vorab ist hervorzuheben, dass Mudde sehr deutlich zwischen dem Populismus als solchem und der populistischen radikalen Rechten als seiner häufigsten ideologischen Erscheinungsform unterscheidet. Bei populistischen radikal rechten Parteien ist Populismus nur eins von drei ideologischen Elementen, neben Nativismus und Autoritarismus. Deren Verbindung mit dem Populismus ist für Mudde kontingent, wenngleich in der Praxis die häufigste. Explizit differenziert Mudde daher auch die Ursachen populistischer Wahlerfolge je nach Wirtsideologie: Häufig seien spektakuläre Erfolge populistischer Parteien und Bewegungen, etwa bei der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten der USA oder dem Brexit-Referendum im Vereinigten Königreich, gar nicht auf das populistische Ideologieelement zurückzuführen, sondern auf Nativismus oder Autoritarismus. Der Populismus ist, bis auf Ausnahmen, gegenüber der Wirtsideologie sekundär (vgl. Mudde 2021a: 579f.).

Die populistische Ideologie als solche besteht laut Muddes Definition aus drei Begriffen, deren Rolle im Folgenden kurz näher beleuchtet wird: das Volk, die Elite und der Gemeinwille.

Populistische Ideologie idealisiert das Volk als homogenes, moralisch reines und souveränes Subjekt, dem die ebenfalls homogene, aber moralisch verdorbene und korrupte Elite gegenübersteht. Mudde und Kaltwasser bezeichnen die populistische Ideologie daher als monistisch. Sowohl die Interessen des »Volks« als auch der »Elite« dulden keine innere Differenzierung. Dieses Kriterium des »Monismus« ist allerdings weniger tauglich, als es auf den ersten Blick wirkt. Der Vorwurf, populistische Ideologie homogenisiere grundsätzlich die Identität und die Interessen des Volkes lässt sich empirisch nicht halten. Auf der Linken ist diese Diskrepanz besonders deutlich. Mudde und Kaltwasser führen neben Podemos und Syriza die spanische Protestbewegung der Indignados und die US-amerikanische Bewegung Occupy Wall Street als Beispiel linker populistischer Mobilisierung an (vgl. Mudde/Kaltwasser 2017: 48). Die beiden letztgenannten trugen aber mitnichten essentialisierte, homogene Volksbegriffe vor sich her, sondern verstanden sich selbst vielmehr als Verbindungen verschiedener Forderungen und begrüßten ausdrücklich ihre interne Heterogenität. Auch Mudde und Kaltwasser geben das zu: »both movements tried to develop a definition of ›the people‹ that was inclusive to most marginalized minorities – including ethnic, religious, and sexual« (ebd.). Derselbe Widerspruch fällt in ihrer Charakterisierung des bolivianischen Präsidenten Evo Morales und seiner Partei MAS auf. Er ist einerseits der »protypical case of ethnopopulism« (ebd.: 72f.). Zugleich aber erkannte er neben der eigenen auch andere indigene Gruppen, Menschen mit sowohl weißen als auch indigenen Vorfahren sowie die Weißen als Teil des bolivianischen Volkes an. Muddes und Kaltwassers Definition, der zufolge populistische Parteien notwendig einen antipluralistischen, homogenen Volksbegriff verwenden, schließt also einige der linken Bewegungen und Parteien aus, die sie selbst als populistisch einordnen.

Aber auch rechte populistische Parteien, die natürlich eine stärkere ideologische Affinität dazu haben, können nicht ohne Weiteres auf einen homogenen Volksbegriff pochen. Wollen sie elektoral erfolgreich sein, müssen sie soziale Heterogenität zumindest teilweise anerkennen und versuchen, die Bedürfnisse verschiedener Gruppen ideologisch miteinander zu verbinden. Giorgos Katsambekis und Yves Surel weisen etwa auf entsprechende Entwicklungen innerhalb des französischen Rassemblement National hin, die am ehesten als Bewegung zu einem »catch-all populism« (Surel 2019) gedeutet werden können. Verschiedene soziale und ökonomische (wohlgemerkt nicht: ethnische) Gruppen werden in ihrer Unterschiedlichkeit auf Marine Le Pen als starke und patriotische Anführerin vereinigt (vgl. Katsambekis 2022: 65).

Mudde und Kaltwasser versuchen diesem Widerspruch zwischen ihrer Definition und den tatsächlichen Populismen durch eine begriffliche Differenzierung von »exclusionary« und »inclusionary populism« beizukommen. Doch auch sie kann den Widerspruch letztlich nur verschieben. Wiederum mit Blick auf u.a. Morales schreiben sie, dass sein Volksbegriff zwar tatsächlich vorwiegend inklusiv sei, aber eben nicht völlig, da er in seinem zugleich ja anti-elitären Diskurs schließlich die Anführer und Mitglieder des politischen Establishments implizit vom »Volk« ausschließe. Damit eröffnet er eine Schmitt’sche Freund-Feind-Unterscheidung, die beide Seiten erst zu homogenen Einheiten macht (vgl. Mudde/Kaltwasser 2013: 165).

Wird aber »homogener Volksbegriff« so weit ausgelegt, ist Monismus letztlich bloß ein Aspekt des Volk-Elite-Manichäismus: Wer streng zwischen Volk und Elite trennt, setzt demnach notwendig beide auch als in sich homogene Entitäten voraus, unabhängig von der tatsächlichen positiven Charakterisierung des »Volkes«. Als echten Pluralismus präsentieren Mudde und Kaltwasser demgegenüber unter Bezug auf Robert Dahl eine unterschiedslose Anerkennung der Vielheit gesellschaftlicher Interessen und Ansichten, die im Rahmen einer polyarchischen Demokratie durch Kompromiss und Konsens in Einklang gebracht werden (vgl. ebd.: 152). So fügen sich ihr Ideologie- und ihr Gesellschaftsverständnis zusammen: Der chaotischen Vielheit von sozialen Kräften und Interessen entspricht ein ebenso ungeordnetes Feld von Ansichten und Ideologien. Beide lassen sich nicht auf ihre inneren Strukturen oder ihre Wahrheit hin befragen, sondern lediglich kartieren.

Trotz dieser theoretischen Schwäche beschreiben Mudde und Kaltwasser überzeugend die diskursiven Manöver, mit denen die populistische Ideologie sich die Vieldeutigkeit des Volksbegriffs zunutze macht. Ob mit »Volk« vor allem der demokratische Souverän, die »gewöhnlichen Bürger«, die Nation oder eine Kombination aus allen dreien gemeint sind, variiert je nach den politischen Zielen der populistischen Parteien und den Wähler*innengruppen, die sie ansprechen wollen. Wie auch Ernesto Laclau sehen Mudde und Kaltwasser in der Berufung auf den unbestimmten Begriff »Volk« die zentrale politische Stärke der populistischen Ideologie: Unter dem Dach des »Volkes« kann der Populismus im Erfolgsfall aus scheinbar disparaten gesellschaftlichen Gruppen und Interessen eine geteilte politische Identität erzeugen. Mit dieser Berufung auf das Volk als Souverän steht die populistische Ideologie für Mudde und Kaltwasser eindeutig in der Tradition der Französischen und der Amerikanischen Revolution. Die damals etablierte Legitimitätsgrundlage eines souveränen Volkes, das durch eine demokratisch gewählte Regierung vertreten wird, schafft zugleich auch die Bedingungen der Möglichkeit populistischen Aufbegehrens: Da der Unterschied zwischen Regierung und Volk nie verschwindet, kann »das Volk« sich stets als nicht angemessen repräsentiert sehen und verlangen, sich das politische Establishment wieder »wirklich« unterzuordnen. Die Rede vom »gewöhnlichen Volk« bezieht sich laut Mudde und Kaltwasser dabei implizit oder explizit auf ein »broader class concept« (Mudde/Kaltwasser 2017: 10). In ihr verbinden die Populist*innen meist eine Verteidigung der Würde und Integrität der sozioökonomisch Benachteiligten mit der Anrufung bestimmter kultureller Werte und volkstümlicher Traditionen. Objektiv oder subjektiv, aufgrund ihres sozioökonomischen oder soziokulturellen Status Ausgeschlossene werden als »normale Bürger« gemeinsam angesprochen oder stehen symbolisch füreinander ein. Die Bedeutung von »Volk« als Nation schließlich verbürgt im Populismus den Anspruch, alle »natives« (ebd.: 11) eines Landes vertreten zu können, da diese eine Gemeinschaft mit einem geteilten Leben bilden. Die Mehrdeutigkeit des Begriffs »native« – Inländer, Einheimische und Ureinwohner sind mögliche Übersetzungen – weist dabei bereits darauf hin, dass die Grenzziehung der Nation politisch sehr unterschiedlich ausfallen kann. Überspannt scheint es allerdings, wenn Hawkins und Kaltwasser aus dem Bezug auf die Idee der Volkssouveränität folgern, dass die Anhänger*innen populistischer Parteien hierarchische politische Organisationsformen prinzipiell ablehnen (vgl. Hawkins/Kaltwasser 2019: 10).

Ebenso wie »Volk« ist auch »Elite« laut Mudde und Kaltwasser in der populistischen Ideologie ein flexibles Konzept. Sie kann nicht nur politisch, sondern auch ökonomisch, kulturell, als Medienelite oder als ethnisch verschieden bestimmt sein. In jedem Fall aber ist sie korrupt und moralisch verkommen, arbeitet sie doch absichtlich gegen den »Allgemeinwillen« des Volkes. Mudde und Kaltwasser betonen mehrfach, dass es sich im Populismus vor allem um eine moralische Definition von Elite handelt, ja der Moralismus gar »the essence of the populist division« (Mudde 2017a: 29) sei. Das bedeutet, dass sowohl die mächtigen Unterstützer*innen populistischer Parteien als auch die Populist*innen selbst, auch wenn sie sich in Regierungspositionen befinden, vom Verdikt »Elite« ausgenommen sind. Zur Not behaupten sie, dass die wirkliche Macht eben gar nicht bei den gewählten Vertreter*innen liegt, sondern bei »some shadowy forces« (Mudde/Kaltwasser 2017: 12), die illegitimerweise die Macht des Volkes untergraben. Dabei streuen sie, wo sie nicht die »Elite« ohnehin ökonomisch definieren, Gerüchte darüber wie mächtige ökonomische Interessengruppen mit der »Elite« unter einer Decke stecken und so ihre Sonderinteressen gegen das Allgemeininteresse durchsetzen. Von diesem ideologischen Muster ist der Weg zum (israelfeindlichen) Antisemitismus nicht weit. So stellen etwa in Bulgarien und Ungarn populistische rechte Parteien immer wieder Mitglieder der »Elite« als Agenten israelischer oder jüdischer Interessen dar (vgl. ebd.: 14).

Doch auch »Moralismus« ist als Kriterium zur Bestimmung populistischer Ideologie strittiger als Mudde und Kaltwasser es sich eingestehen. Sie verstehen darunter, dass populistische Diskurse ostentativ mit der Entgegensetzung eines guten, reinen, authentischen Volkes und der bösen, korrupten, unauthentischen Elite operieren. Die Unterscheidung soll für sich genommen weder rechte noch linke politische Inhalte nahelegen (vgl. Mudde 2017a: 29f.).

Diese Formulierung hat Kritik aus verschiedenen Richtungen hervorgerufen. So wendet einerseits etwa Lars Rensmann mit Blick auf den Anti-Universalismus populistischer Bewegungen ein, dass der moralische Bezug auf das »gute Volk« implizit autoritär aufgeladen ist. Von Mudde und Kaltwasser unbemerkt tendiert er – rechts wie links – zu einer »defense of cultural identity, and appeals to cultural discontent with perceived liberal rule« (Rensmann 2017a: 125).

Andererseits heben die radikaldemokratischen Autoren Yannis Stavrakakis und Anton Jäger hervor, dass die Bezeichnung des Kerns des Populismus als »moralistisch« im Gegensatz zum Pluralismus der liberalen Demokratie einen spezifischen, antipopulistischen »cold war pluralism« (Stavrakakis/Jäger 2018: 12) fortschreibt, den zuerst Richard Hofstadter im Rahmen der liberalen Modernisierungstheorie prägte. Hofstadter postulierte schon 1969, dass das populistische Denken im Kern unterscheidet zwischen dem unschuldigen und homogenen Volk, das für seinen Lebensunterhalt arbeiten muss, und den Eliten, die das nicht nötig haben. Dabei kommt etwa dem Farmer oft »a certain moral priority« zu, aufgrund des »›natural‹ character of his labours, his closeness to the soil, and the fundamental character of agricultural production« (Hofstadter 1969, zit. n. ebd.: 13). Laut Stavrakakis und Jäger täuscht die Gegenüberstellung von Moralismus und Pluralismus damals wie heute darüber hinweg, dass moralische Idealisierung und Dämonisierung in allen leidenschaftlichen Identifikationen präsent sind und besonders in politischen Diskursen als »ubiquitos, rather than genre-specific« (ebd.) gelten müssen. So habe auch der politische Liberalismus neben seiner pragmatischen Seite einen messianischen oder, mit Margaret Canovan gesprochen, »erlösenden« Aspekt, etwa in Form einer »great american mission« (Ekbladh 2011) zur technologischen Modernisierung der Welt. Oder er rahmt gar, in Form neoliberaler Konsenspolitik, grundsätzlichen politischen Konflikt zunehmend moralistisch als »struggle between right and wrong« (Mouffe 2010: 5), wie Chantal Mouffe analysiert.

Die Verurteilung des Populismus als »moralistisch« kann also selbst zu einem Instrument der (neo)liberalen moralischen Delegitimierung populistischen Aufbegehrens werden. Zumal »Moralismus« im Sinne einer Kritik korrupter Eliten oft ja empirische Evidenz beanspruchen kann: Vor allem populistische linke Mobilisierungen in Spanien und Griechenland brachten tatsächliche Korruption ans Licht. Statt von einer moralischen könnte beim Populismus also auch allgemeiner von einer politischen Unterscheidung von Volk und Elite gesprochen werden, die stets in unterschiedlichem Ausmaß moralische Aspekte einschließt. Mudde bleibt jedenfalls eine politische Theorie schuldig, mithilfe derer sich moralistische Politik nachvollziehbar von nicht-moralistischer unterscheiden ließe (vgl. Katsambekis 2022: 54; Kim 2021: 81). Das Spezifische der populistischen Ideologie scheint hier eher zu sein, dass sie in ihrer Volk-Elite-Polarisierung stets personalisiert, das heißt, gesellschaftliche Widersprüche als Konflikt zwischen den beiden konstruierten Gruppen »Volk« und »Elite« deutet.