Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
"Ein außergewöhnlich hilfreiches Buch! Alexander Korittko beschreibt einfühlsam, was in Kindern und Jugendlichen vorgeht, die tief in ihrem Inneren verletzt wurden, und er zeigt anhand praktischer Beispiele, wie sie liebevoll begleitet werden können. Denn das ist es, was diese verletzten jungen Menschen mehr als alles andere brauchen." Gerald Hüther "In diesem Buch finden Eltern und Pädagog:innen kurz und bündig aufbereitet, was sie für einen gut informierten, sicheren Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen brauchen. Anschauliche Beispiele und verständliche Erklärungen zum neusten wissenschaftlichen Stand machen das Buch sehr gut lesbar!" Ulrike Borst "Ein Buch für Eltern und andere Angehörige: Der Autor, ein ausgewiesener Fachmann, zeigt eindrucksvoll auf, in welcher Weise sich ein Trauma oder viele wiederholte Traumata auf die Psyche eines Kindes oder Jugendlichen auswirken. Zugleich macht er deutlich, wie die Eltern und sonstigen nahen Angehörigen in das Geschehen immer mit einbezogen sind. Sie sind wichtige Unterstützer bei der Bewältigung des Traumageschehens und ein bedeutsamer Teil der Lösung. Auf welche Weise das möglich ist, wird in diesem Buch ganz konkret und anschaulich dargestellt." Wilhelm Rotthaus "Die Eltern meiner jungen Patienten lesen das Buch sehr interessiert, und selbst meine jugendlichen Patienten sind begeistert von der Verständlichkeit, der eingängigen Sprache und den zahlreichen Hinweisen und Ideen. Ich hoffe, das Buch wird von vielen Eltern, Großeltern, Erzieherinnen und Erziehern etc. gelesen, um Kinder und Jugendliche, die unter einer Traumafolgestörung leiden, gut unterstützen zu können. Das Buch sollte in keinem Wartezimmer von Kinder- und Jugendlichen- Psychotherapeuten, Beratungsstellen und Kinderärzten etc. fehlen." Reinert Hanswille Federn lassen und dennoch schweben – Mit Trauma umgehen lernen Posttraumatische Belastung bei Kindern und Jugendlichen kann verschiedene Ursachen haben und ganz unterschiedliche Symptome zeigen. Aber nicht jede Traumatisierung hat auch Traumastörungen zur Folge. Klient*innen, die chronische Symptome zeigen, benötigen in jedem Fall professionelle Unterstützung. Oft sind tagtägliche Erfahrungen mit traumasensibler Pädagogik äußerst hilfreich. Eine solche Pädagogik kann in allen Kontexten der inneren Sicherheit und Genesung dienen. Alexander Korittko verfügt in diesen Kontexten über umfassende Erfahrungen und höchstes Renommée. Sein Buch füllt eine echte Lücke im Bereich fachlich überzeugender und zugleich verständlicher und gut anwendbarer Unterstützung. Er führt behutsam in die Begrifflichkeit von Traumatisierung und die Dynamik von Trauma und Traumafolgen ein und zeigt eine Vielfalt an Ressourcen, die hilft, Traumata zu lösen. Dieser Ratgeber richtet sich in erster Linie an betroffene Eltern. Der beschriebene Ansatz traumasensibler Pädagogik umfasst aber auch die Aufgaben von Lehrer*innen, Erzieher*innen und Sozialpädagog*innen. Sie alle sind immer wieder damit konfrontiert, Posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS) bei Kindern und Jugendlichen zu erkennen, zu verstehen und auch zu deren Lösung beizutragen. Eine praktische Übersicht möglicher Symptome einer PTBS bei Kindern und Jugendlichen, sortiert nach Altersgruppen, rundet das Buch ab. Der Autor: Alexander Korittko, Dipl.-Soz. Arb.; Paar- und Familientherapeut (DGSF), Systemischer Lehrtherapeut und Lehrsupervisor, 37-jährige Tätigkeit in einer kommunalen Jugend-, Familien- und Erziehungsberatungsstelle, Mitbegründer des Zentrums für Psychotraumatologie und Traumatherapie Niedersachsen (ZPTN), Fort- und Weiterbilder in psychosozialen Berufsfeldern; Arbeitsschwerpunkt: Trauma- und Bindungsstörungen im Kindes- und Jugendalter.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 117
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
Ring the bell
That still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack in everything
That’s how
The light gets in.
Leonard Cohen: Anthem
Alexander Korittko
DAS ELTERN BUCH
ERKENNEN, VERSTEHEN, LÖSEN
Zweite Auflage, 2024
Reihe „Fachbücher für jede:n“
Reihengestaltung und Satz: Nicola Graf, Freinsheim
Umschlaggestaltung und Umschlaggrafik: Nicola Graf, www.nicola-graf.com
Redaktion: Veronika Licher
Printed in Poland
Druck und Bindung: Dimograf Sp.z.o.o.
Zweite Auflage, 2024
ISBN 978-3-8497-0382-0 (Printausgabe)
ISBN 978-3-8497-8271-9 (ePUB)
© 2021, 2024 Carl-Auer-Systeme Verlag und
Verlagsbuchhandlung GmbH, Heidelberg
Alle Rechte vorbehalten
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Informationen zu unserem gesamten Programm, unseren Autoren und zum Verlag finden Sie unter: www.carl-auer.de.
Dort können Sie auch unseren Newsletter abonnieren.
Carl-Auer Verlag GmbH
Vangerowstraße 14 • 69115 Heidelberg
Tel. +49 6221 6438-0 • Fax +49 6221 6438-22
VORWORT
1 POSTTRAUMATISCHE BELASTUNG ERKENNEN
Aus der Geschichte
Die posttraumatische Belastungsstörung
Nicht jedes Symptom ist ein Zeichen von Trauma
Akute Belastungsreaktion
Seelische Verletzungen
Nicht von schlechten Eltern
Resilienz – Gedeihen trotz Belastung
Trauma und Trauer
Bindungstraumata
2 POSTTRAUMATISCHE BELASTUNG VERSTEHEN
Wann zeigen sich Traumafolgestörungen?
Sich verbinden und entdecken
Das Fenster der Toleranz
Das Gehirn in der Hand
Körperliche Stressreaktionen
Der gute Grund im Dort und Damals
Kinder mit traumatisierten Eltern
Langzeitauswirkungen
3 POSTTRAUMATISCHE BELASTUNG LÖSEN
Auftakt
Was brauchen traumatisierte Kinder?
Nach einem Monotrauma
Schatzsuche mit Pippi Langstrumpf
Wertschätzende Gespräche
Traumaorientierte Pädagogik
Stabile Bezugspersonen
Dauerhaft sicherer Platz
Entspannung vermeiden
Auszeiten
Wiederkehrende Tagesstruktur
Dosierte Trauma-Berichte
Körperliche Distanz
Retraumatisierung vermeiden
Dosierte Leistungsanforderung
Erklärungen (Psychoedukation)
Keine Reinszinierungen
Trauer bewältigen
Trauma und Familie
Sexuelle Gewalt: Was können Sie als Eltern tun?
Bei Fremdunterbringung: Kontakt mit den leiblichen Eltern
Trauma-Therapie und Beratung
Tiergestützte Therapie
Trauma-Erzählgeschichten
Kinderbücher zum Trauma-Thema
ANHANG
Mögliche Symptome bei Traumatisierungen von Kindern und Jugendlichen (nach Altersgruppen geordnet)
ÜBER DEN AUTOR
Liebe Eltern,
dieses Buch soll über ein Phänomen informieren, das in aller Munde ist, über das aber vielfach keine Klarheit herrscht: Trauma und Traumafolgen, die sogenannte posttraumatische Belastungsstörung, in diesem Fall bei Kindern und Jugendlichen. An wen richtet sich dieses Buch? Vor allem an Sie, liebe Eltern, die Sie sich um Kinder und Jugendliche 7 Tage in der Woche 24 Stunden lang kümmern. Das schließt auch Pflegeeltern, Adoptiveltern, Pflegestellen-Eltern und Kinderdorf-Eltern mit ein sowie auch diejenigen, die als Lehrerinnen und Lehrer, als Erzieherinnen und Erzieher, als Sozialpädagoginnen und Sozialpädagogen Elternfunktionen wahrnehmen und Unterstützung dabei benötigen, die posttraumatische Belastungsstörung zu erkennen, zu verstehen, und die auch zu einer Lösung im Sinne des Kindes beitragen wollen.
Im ersten Kapitel beschreibe ich, was man heutzutage üblicherweise unter einem psychischen Trauma, einer Verletzung der Seele versteht und mit welchen Anzeichen sich eine Traumafolgestörung zeigt. Damit deutlicher wird, dass diese Verhaltensweisen teilweise auch zu ganz normalen Entwicklungen von Kindern gehören, sind hier einige Beispiele dazu nachzulesen. Das ist eben das Schwierige beim Trauma-Thema: Einerseits können Traumata Folgen für das gesamte Leben von Menschen haben; das ist durch ausreichende Forschung nachgewiesen. Andererseits müssen wir uns davor schützen, jede kleine Alltagsbelastung mit dem Traumabegriff zu etikettieren. Deswegen lesen Sie in diesem Kapitel auch etwas über Widerstandskräfte gegen Traumafolgen, über Resilienz. Auch der Gleichzeitigkeit von Trauma und Trauer ist ein Absatz gewidmet. Ganz kommen wir aber nicht darum herum, uns auch mit den Traumatisierungen zu befassen, die die weitreichendsten Folgen haben, mit Bindungstraumatisierungen. Hierbei ist es mir wichtig zu betonen, dass es keine schlechten Eltern gibt, die sich vornehmen, ihre Kinder zu schädigen, sondern dass hinter dem, was wir als problematisches Elternverhalten erleben, in den allermeisten Fällen eine Abfolge von Überforderung, erlittener Gewalt und Vernachlässigung über Generationen steht. Ich schreibe dieses Buch in Zeiten der Corona-Pandemie, in denen davon ausgegangen werden muss, dass nicht alle Familien den Luxus genießen können, in großen Wohnungen mit ausreichend Ausweichmöglichkeiten die ungewohnte Nähe aller Familienmitglieder und den damit verbundenen Stress abzupuffern. Wegen finanzieller Not, geringer emotionaler Reserven und vielerlei anderer Stress- und Risikofaktoren erleben sich manche Familien auch ohne Pandemie in einer permanenten Ausnahmesituation.
Im zweiten Kapitel möchte ich Ihnen helfen, mehr von der Dynamik von Trauma und Traumafolgen zu verstehen. Dazu gehört, dass ein Trauma auf Emotionen, Gedanken, den Körper und das Verhalten von Menschen Einfluss haben kann. Ich lade Sie zu einem Exkurs in die Bindungsforschung und die Neurobiologie ein. Anhand eines anschaulichen Modells erkläre ich, wie unser Gehirn funktioniert und wie es in traumagefährdeten Situationen die Notfall-Reaktionen des Körpers in Gang setzt. Sie werden etwas über das Stammhirn, das limbische System und die Großhirnrinde erfahren, die drei Ebenen des Gehirns, die perfekt darauf abgestimmt sind, auf die wesentlichen Reize, die wir aus der Umwelt wahrnehmen, zu reagieren. Ist die Situation sicher oder unsicher? Entsteht Gefahr? Entsteht Lebensgefahr? Dauert die Gefahr lange an? Sie erfahren auch, wie es kommt, dass ein Mensch, der an eine Gefahr erinnert wird, genau so reagiert, als sei er wieder in Gefahr. Ein anderer Teil dieses Kapitels erklärt den guten Grund von zerstörerischem oder selbstzerstörerischem Verhalten als Folge von Traumatisierungen. Es sind Verhaltensweisen in der Vergangenheit des »Dort und Damals« entstanden, die in Not und Gefahr wirklich sinnvoll waren, die jedoch im »Hier und Jetzt« der Gegenwart äußerst problematisch werden können. Was als Ressource entwickelt wurde, quält später im Alltag. Ein kurzer Absatz schildert Beispiele von Kindern, die mit traumatisierten Eltern zusammenleben. Und am Ende dieses Kapitels mache ich Sie noch mit einigen Forschungsergebnissen bekannt.
Wenn Sie besonders gespannt darauf sind, welche Interventionen dazu verhelfen können, dass Kinder und Jugendliche trotz Traumatisierung ihren Alltag gut bewältigen können, werden Sie das dritte Kapitel mit wachsendem Optimismus lesen. Dort wird beschrieben, was traumatisierte Kinder und Jugendliche benötigen und wie Sie ihnen jenseits von Therapie dazu verhelfen können, dass neben einer äußeren Sicherheit auch eine innere Sicherheit entsteht, die eine Genesung von traumatischen Erfahrungen ermöglicht. Im ersten Teil geht es um die Unterstützung von Selbsthilfekräften nach einem einzelnen Trauma. Der umfangreichste Teil dieses Kapitels ist der sogenannten traumaorientierten Pädagogik gewidmet. Hier wird eine Vielzahl von Handlungen und zugrundeliegenden Haltungen beschrieben, die Kindern und Jugendlichen dabei helfen können, ihre traumatischen Erfahrungen zu bewältigen. Dies betrifft auch hilfreiche Verhaltensweisen in der Familie. Manchmal benötigen auch Eltern Hilfe bei der Bewältigung des Traumas ihres Kindes, wenn ein Kind beispielsweise sexuelle Gewalt erlitten hat oder wenn ein Trauerfall traumatische Aspekte einschließt. Diesen Bereichen sind zwei Abschnitte gewidmet. Ein vielschichtiges Thema ist das Für und Wider von Elternkontakten, nachdem ein Kind außerhalb der Herkunftsfamilie untergebracht werden musste. Der Stellenwert von Therapie und Beratung ergänzt dieses Kapitel, auch tiergestützte Therapie wird erwähnt. Mit einem Absatz über Trauma-Erzählgeschichten sowie empfehlenswerte Kinderbücher endet dieser Teil. Im Anhang ist noch eine Auflistung über mögliche Symptome von Kindern und Jugendlichen nach Altersgruppen geordnet zu finden.
Dieses Elternbuch wird nicht auf alle Fragen eine Antwort geben können und nicht für jede Situation genau passend sein. Es gibt Ihnen eine Hilfestellung im Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Und vielleicht kann es auch dazu verhelfen, dass Sie mit den Heranwachsenden zusammen ein Team werden, um sich von den »Geistern der Vergangenheit« zu befreien und verschüttete Fähigkeiten wieder neu zu entdecken. Vielleicht kennen Sie die naive Haltung: »Guten Menschen passiert Gutes und schlechten Menschen passiert Schlechtes.« Nach einem Trauma wissen wir, dass das nicht stimmt. Auch guten Menschen passiert Schlechtes. Und dann geht es darum, wie man trotzdem weiterleben kann und dabei den Glauben an ein gutes Leben nicht verliert. Die Dichterin Hilde Domin sagte: »Federn lassen und dennoch schweben, das ist das Geheimnis des Lebens.«
Alexander Korittko
Hannover, im Januar 2021
Das Wort »Trauma« bezeichnet ursprünglich eine Wunde des Körpers. Doch schon seit über hundert Jahren werden Wunden in der Seele »Psychotraumata« genannt. Ende des 19. Jahrhunderts suchten die Ärzte in der berühmten Pariser Klinik Salpêtrière nach der Ursache der sogenannten Hysterie, unter ihnen auch der junge Sigmund Freud und sein Kollege Pierre Janet. In ihren Schriften beschreiben sowohl Freud als auch Janet psychische und körperliche Verletzungen (u. a. durch sexuelle Gewalt) im Zusammenhang mit vielfachen psychischen Störungen. Das damalige Wissen geriet in Vergessenheit und wurde erst in den 1970er-Jahren wieder »entdeckt«, als man feststellte, dass Veteranen des Vietnam-Krieges und Frauen, die in ihrer Kindheit sexuelle Gewalt erlitten hatten, sehr ähnliche Symptome zeigten. 1986 fand die posttraumatische Belastungsstörung Eingang in die Verzeichnisse psychischer Störungen (DMS und ICD). Heute wird der Begriff Psychotrauma auch in der Pädagogik als Grundlage spezieller Konzepte für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen verwendet. Eigentlich müsste man wegen des erheblichen Einflusses auf das soziale Zusammenleben und auf die Kommunikation der Menschen untereinander auch immer mitdenken, dass es sich hier nicht nur um einen Vorgang in der Psyche eines Menschen handelt, sondern unter anderem um ein Beziehungsgeschehen, das dann wiederum Auswirkungen auf die Seele eines Menschen hat.
Seit einiger Zeit hat der Begriff »Trauma« regelrecht Konjunktur. Vieles, was früher zu den ganz normalen Belastungen des Alltags gehörte, wird jetzt Trauma genannt. Eine Klassenarbeit verhauen: ein Trauma. Ein Handy verloren: ein Trauma. Trennung von einer Partnerin: ein Trauma. Eine genauere Unterscheidung ist also vonnöten. Andererseits wissen wir heute, dass unter anderem Erziehungspraktiken, die früher gebräuchlich waren und als ganz normal galten, sehr wohl Verletzungen der Seele darstellen können. Um uns dem Trauma-Begriff noch ein wenig weiter zu nähern, müssen wir in Betracht ziehen, dass nicht jede Verletzung der Seele auch längerfristige Auswirkungen hat. Da gibt es sogenannte Resilienz-Faktoren. Wieder so ein neuer Begriff. Das Phänomen »Resilienz« stammt aus der Physik. Wenn sich ein Baum bei heftigem Sturm zur Seite neigt und sich wieder aufrichtet, dann ist er resilient. Resilienz bezeichnet also das Gedeihen trotz widriger Umstände. Da gibt es Kinder, die sind weniger resilient, andere haben schon einige Widerstandskräfte entwickelt. Es gibt aber auch Ereignisse, die werfen jedes Kind oder jeden Jugendlichen aus der Bahn. Dann braucht es eine lange Zeit, ehe Betroffene sich wieder erholt haben. Und manchmal reichen die Selbsthilfekräfte nicht aus, dann sollte professionelle Hilfe in Anspruch genommen werden. Also zunächst eine erste Definition: Unter einem Trauma verstehe ich die Verletzung der Seele, die Traumafolgen nach sich ziehen kann, z. B. eine posttraumatische Belastungsstörung.
Bei der posttraumatischen Belastungsstörung handelt es sich um eine verzögerte oder verlängerte Reaktion auf eine extreme Bedrohung katastrophalen Ausmaßes. Ein Trauma kann dabei wie eine Wunde in der Seele eines Menschen betrachtet werden. In einer existenziellen Bedrohung stellt der Körper Notfallreaktionen zur Verfügung, die dann später zu einer nicht ausheilenden Narbe führen können. Diese empfindliche Narbe bezieht sich auf den Körper, die Psyche und die Kommunikation der Menschen untereinander. Ein Trauma kann sich längerfristig in allen drei Bereichen auswirken: Der Körper gerät immer wieder in heftige Erregung, die Psyche wird von Angst überflutet, von außen ist ein Angriffs- oder Fluchtverhalten zu beobachten – oder jemand stellt in völliger Erstarrung den Kontakt mit der Umwelt ein. Die Narbe eines vergangenen Ereignisses schmerzt in der Gegenwart.
Wie kann man ein Trauma, also die existenzielle Bedrohung (hier eigentlich Psychotrauma), von anderen Belastungen unterscheiden? Ein Trauma zeichnet sich durch folgende Merkmale aus:
►
eine subjektiv existenzielle Bedrohung, die mit extremer Angst und Hilflosigkeit einhergeht
►
Entweichen oder Gegenwehr sind nicht möglich
►
die Bedrohung geschieht plötzlich und unerwartet (bei wiederholten Traumata mindestens das erste Mal)
►
niemand hilft, man fühlt sich mutterseelenallein
►
wird jemand Zeuge einer existenziellen Bedrohung bei anderen, kann dies auch als seelische Verletzung wirken
Das Ausmaß der Bedrohung hängt bei jedem Einzelnen und in jeder einzelnen Situation von den bisher entwickelten Bewältigungsmöglichkeiten ab. Eine Situation, die für einen Erwachsenen zu bewältigen ist, kann für ein Kind nicht zu bewältigen sein. Beispiel: Im Kaufhaus die Familie verloren zu haben, kann für ein Kind eine extreme Bedrohung darstellen, für die allermeisten Erwachsenen kaum. Hat ein Mensch eine seelische Verletzung erlitten, kann sich eine Störung entwickeln, die in der Fachsprache »Posttraumatische Belastungsstörung« genannt wird, die Belastungsstörung nach einem Trauma. Manchmal kann man die Belastungsstörung zuordnen und den Zusammenhang zu einer Verletzung der Seele herstellen.
ALBTRÄUME
Der 4-jährige OLE musste sich wegen einer Nierenbeckenentzündung zwei Tage im Krankenhaus behandeln lassen. Tagsüber war immer einer von seinen beiden Eltern bei ihm, doch abends mussten dann Mama oder Papa das Krankenhaus verlassen. Nachdem Ole wieder zu Hause war, wollte er nicht mehr allein in seinem Bett schlafen. Auch im Elternbett schlief er ganz unruhig und träumte offensichtlich schreckliche Dinge. Es dauerte einige Zeit, ehe Ole wieder bereit war, in seinem eigenen Bett zu schlafen. Als Ole ein Jahr später ein wenig Bauchschmerzen bekam, die nicht im Entferntesten eine erneute Nierenbeckenentzündung vermuten ließen, entwickelte er erneut am Abend Trennungsängste und wollte nicht in seinem Bett schlafen.
In anderen Fällen sind vermutete Zusammenhänge nicht so eindeutig.
VERMEIDUNG
Der 6-jährige SVEN wurde in einer Pflegefamilie untergebracht, weil es ihm in seiner eigenen Familie sehr schlecht ging. Es war so schlimm, dass die Sozialarbeiterin des Jugendamtes für den Jungen ein anderes Lebensumfeld finden musste. Nach kurzer Eingewöhnungszeit fühlte Sven sich in seiner neuen Familie sehr wohl, doch er wehrte sich »mit Händen und Füßen« dagegen, das Wohnzimmer zu betreten. Alle machten sich darüber Gedanken, was der Junge gegen das Wohnzimmer haben könnte. Eines Tages hatten die Pflegeeltern im Vorgarten des Hauses für kurze Zeit etwas zu tun. Als sie wieder hereinkamen, waren sie sehr erstaunt. Sven hatte die Zeit genutzt, den Bambusstab, der den Gummibaum hielt, kurz und klein zu brechen. Da hatten die Pflegeltern eine Idee: Könnte es sein, dass Sven mit einem solchen Bambusstab geprügelt worden war? Hatte er mit großem Mut gewagt, diesen »Rohrstock« zu zerstören, weil er ihm Angst gemacht hatte?
In diesem Beispiel ist zunächst das Hintergrundgeschehen für dieses intensive Vermeiden völlig unklar. Im Nachherein wurde allerdings deutlich, wie manchmal ein Alltagsgegenstand an traumatische Erfahrungen erinnern kann. Und dann fühlt es sich an, als wenn das Trauma wieder passiert, obwohl man sich in völliger Sicherheit befindet. Dazu noch ein anderes Beispiel:
KÖRPERLICHE REAKTIONEN
Zwölf JUGENDLICHE FLÜCHTLINGE