Professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit - Laura Best - E-Book

Professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit E-Book

Laura Best

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Beschreibung

Die Beziehungsgestaltung ist die Basis für die Zusammenarbeit zwischen Adressierten und Fachkräften Sozialer Arbeit. Denn nur eine tragfähige Beziehung erlaubt Sozialarbeitenden, Probleme zu thematisieren und mögliche Lösungen in Kooperation mit den Adressatinnen und Adressaten zu erarbeiten. Das Buch zeigt, wie Beziehungen in einem reflexiven Prozess fachlich begründet eingegangen werden und wie Sozialarbeitende ihre Rolle dabei gezielt ausfüllen können. Zudem wird erklärt, wie sich Kommunikation und Setting so gestalten lassen, dass Sozialarbeitende die Waage halten zwischen Polen wie Nähe und Distanz oder Kontrolle und Unterstützung. Praxisbeispiele aus verschiedenen Handlungsfeldern der Sozialen Arbeit veranschaulichen die Inhalte und verdeutlichen zugleich Unterschiede in der Beziehungsgestaltung in freiwilligen und unfreiwilligen Kontexten.

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Seitenzahl: 138

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort der Reihenherausgeber*innen

Zu diesem Buch

1 Was zeichnet eine professionelle Beziehung aus?

1.1 Beziehung eingehen und gestalten

1.2 Beziehungsförderliche Haltung

1.3 Die professionelle Rolle

2 Kommunikation, Interaktion und Setting in der Beziehungsgestaltung

2.1 Gestaltung der Kommunikation

2.1.1 Verbale Kommunikation

2.1.2 Paraverbale Kommunikation

2.1.3 Nonverbale Kommunikation

2.1.4 Die Bedeutung der Kommunikation für die Beziehungsgestaltung

2.1.5 Metakommunikation

2.2 Gestaltung der Interaktion

2.2.1 Symmetrische und komplementäre Interaktionen

2.2.2 Synchronisation der Interaktion und Herstellen von Rapport

2.2.3 Nähe und Distanz

2.2.4 Affekt- und Emotionsregulation

2.3 Gestaltung des Settings

3 Kontext- und klientelabhängige Spannungsfelder in der Beziehungsgestaltung

3.1 Hilfe und Kontrolle

3.2 Unterstützung und Entmachtung

3.3 Negative Beziehungserfahrungen und destruktive Beziehungsmuster

3.4 Klientelspezifische beziehungshinderliche Faktoren

4 Praxisfall, Zusammenfassung und Ausblick

Literatur

Stichwortverzeichnis

Soziale Arbeit – kompakt & direkt

Herausgegeben von Rudolf Bieker und Heike Niemeyer

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/soziale-arbeit-kompakt-direkt

Die Autorin

Prof. Dr. Laura Best ist Professorin für Beratung und Coaching in der Sozialen Arbeit mit den Lehr- und Forschungsschwerpunkten Beziehungsgestaltung, Trennungs- und Scheidungsberatung, Digitalisierung von Beratung und Coaching sowie Adressat*innenforschung.

Aktuelle Publikationen (Auszug):

Nähe und Distanz in der Beratung. Die Beziehungsgestaltung aus der Perspektive der Adressaten. Wiesbaden: Springer 2020.

Was wir von Adressat_innen für unser beraterisches Handeln lernen können. In: Saskia Erbring & Jörg Fischer (Hrsg.): Zukunft der Beratung. 5. Sonderband Sozialmagazin (S. 187–200). Weinheim & Basel: Beltz Juventa 2021.

Herausforderungen und Gelingensfaktoren in der Trennungs- und Scheidungsberatung. In Sozialmagazin (11/12) 2022, S. 89–97.

Laura Best

Professionelle Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

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1. Auflage 2023

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-042403-6

E-Book-Formate:pdf:ISBN 978-3-17-042404-3epub:ISBN 978-3-17-042405-0

Vorwort der Reihenherausgeber*innen

Ergänzend zu klassischen Lehrbüchern geht es in der neuen Reihe »Soziale Arbeit – kompakt & direkt« um die vertiefende Bearbeitung spezieller Themen- und Fragestellungen aus der Sozialen Arbeit und ihren Bezugsdisziplinen, z. B. theoretische Konzepte, spezifische Methoden, Arbeitsfelder oder soziale Probleme. Kompakt und direkt heißt die neue Reihe, weil sie in der Präsentation der Inhalte auf das konzentriert ist, was Lernende über das ausgewählte Thema wissen und für Studienleistungen und Prüfungen zielgenau aufbereiten können sollten.

Zielgruppen der Reihe sind jedoch nicht nur Studierende im Bachelor- oder Masterstudium, sondern auch Berufseinsteiger*innen und Praktiker*innen, die autodidaktisch oder in Fortbildungen Anschluss an den aktuellen wissenschaftlichen Diskurs halten wollen.

Der fokussierte Zuschnitt der Bände spiegelt sich in einem innovativen Buchformat, das Leser*innen Überschaubarkeit im Umfang und eine gut strukturierte Textpräsentation bietet. Zentrale Sachverhalte werden anhand von Praxisbeispielen und Abbildungen veranschaulicht. Didaktische Elemente wie Begriffserläuterungen, Textcontainer, Reminder, Essentials, kurze Zusammenfassungen, Piktogramme etc. erleichtern das Erfassen, Speichern und Wiederaufrufen der Inhalte.

Die Autor*innen der Bände sind durch ihre wissenschaftliche Expertise ausgewiesen, schreiberfahren und stehen in der Regel mit Studierenden und Praxisfeldern in engem Kontakt.

Rudolf Bieker und Heike Niemeyer, Köln

Zu diesem Buch

»Ich würde mir wünschen, dass die Fachkraft parteiischer wäre. Es verunsichert mich, dass sie mir und meinem Ex immer neutral zuhört. Ich kann mir dann nie sicher sein, wem sie Recht geben würde«.

Diese Aussage stammt aus einem Interview mit einer Klientin im Rahmen eines Forschungsprojekts zu Trennungs- und Scheidungsberatung (vgl. hierzu Best 2022).

Die meisten Leser*innen würden hier sagen: Die Fachkraft hat hier alles richtig gemacht, indem sie beiden Elternteilen zuhört, Raum gibt, sich neutral verhält, sich nicht auf die Seite einer Person schlägt oder sich instrumentalisieren lässt. Und dennoch: Anhand der Klientinnen-Aussage wird deutlich, wie komplex sich die Beziehungsgestaltung in der Sozialen Arbeit vielfach vollzieht und welch hohe Anforderung an die Fachkräfte gestellt wird, mittels professioneller Beziehungsgestaltung einen Rahmen zu schaffen, in dem Hilfen, Entwicklungen und Klärungsprozesse ermöglicht werden.

Die Soziale Arbeit erfordert über alle Handlungsfelder hinweg die Gestaltung einer Beziehung zwischen den Fachkräften und den Menschen, die aus unterschiedlichen Gründen zu Adressierten Sozialer Arbeit werden. Viele Personen, die sich für den Beruf der Sozialen Arbeit entscheiden, verfügen über eine hohe soziale Kompetenz, zwischenmenschliche Interaktionen zu gestalten. Nicht selten hört man die Aussage »Ich kann gut mit Menschen umgehen« als Motivation angehender Fachkräfte für die Aufnahme des Studiums der Sozialen Arbeit. Man könnte also meinen, dass die Beziehungsgestaltung daher keiner größeren Beachtung mehr bedarf.

Dabei wird im beruflichen Kontext vielfach auf Handlungsmuster und soziale Fähigkeiten zurückgegriffen, die im Privatleben – in der Familie, im Freund*innen- und Bekanntenkreis – erlernt wurden. Viele dieser Fähigkeiten dienen den Fachkräften auch im beruflichen Handeln. Jedoch sind hier ein reflexives Bewusstsein sowie eine fortlaufende Auseinandersetzung mit der eigenen Interaktion und Kommunikation erforderlich, um die professionelle Beziehung konstruktiv zu gestalten. Daher legt dieses Buch den Fokus darauf, Fachkräfte dabei zu unterstützen, handlungsfeldübergreifend und in Bezug auf verschiedene Konstellationen die eigene Beziehungsgestaltung zu reflektieren und zu adaptieren. Weiterhin werden Spannungsfelder der Beziehungsgestaltung aufgezeigt und Möglichkeiten erläutert, wie die bewusste Gestaltung der Beziehung zu Klient*innen einen wichtigen Beitrag dazu leistet, Menschen in ihren individuellen Lebenslagen und Entwicklungsprozessen zu begleiten und dabei die professionelle Beziehung gewinnbringend einzusetzen.

Dieses Buch bietet Leser*innen die Möglichkeit, sich zunächst mit der professionellen Beziehung auseinanderzusetzen, um deren Gestaltung gezielt vornehmen zu können (▸ Kap. 1). Kapitel 2 beschäftigt sich mit der Kommunikation und Interaktion zwischen Fachkräften und Klient*innen sowie deren Auswirkung auf die professionelle Beziehung (▸ Kap. 2). Hierzu gehören bspw. die verbale und nonverbale Kommunikation, die Gestaltung von Nähe und Distanz zur Klientel sowie die Beachtung individueller Beziehungsbedürfnisse und Affekte. Außerdem wird das Setting als wichtiger Einflussfaktor auf Beziehung erläutert. Im dritten Kapitel richtet sich der Blick auf unterschiedliche Kontext- und klientelspezifische Besonderheiten und Herausforderungen in der Beziehungsgestaltung, die sich aus der Tätigkeit als Sozialarbeiter*in in professionellen Beziehungen ergeben können (▸ Kap. 3). Spannungsfelder wie Hilfe und Kontrolle, Unterstützung und Entmachtung sowie der Umgang mit destruktiven Beziehungsmustern und den Auswirkungen psychischer Erkrankung und Verhaltensauffälligkeiten werden in Bezug auf die Beziehungsgestaltung ausgeführt. Für die genannten Themen werden unterschiedliche ›Stellschrauben‹ der Beziehungsgestaltung vorgestellt, damit Fachkräfte in die Lage versetzt werden, bewusst und reflektiert an einzelnen ›Schräubchen‹ situationsgerecht und fachlich fundiert drehen zu können. Anhand von Praxisbeispielen aus unterschiedlichen Handlungsfeldern werden Besonderheiten und Herausforderungen jeweils herausgearbeitet und Strategien für einen adäquaten Umgang mit den jeweiligen Herausforderungen aufgezeigt. Die Gestaltung der gemeinsamen Arbeitsbeziehung soll als Aushandlungsprozess zwischen den interagierenden Partner*innen verstanden werden, daher wird immer wieder auch die Perspektive der Adressat*innen Sozialer Arbeit in den Blick genommen, um eine Sensibilisierung für unterschiedliche Beziehungsbedürfnisse und Hindernisse in der professionellen Beziehungsgestaltung zu ermöglichen. Im letzten Kapitel werden die wichtigsten Gedanken in Bezug auf die professionelle Beziehungsgestaltung zusammengefasst und ein Ausblick auf künftige Herausforderungen, Fragen und Auseinandersetzungen gegeben (▸ Kap. 4).

1 Was zeichnet eine professionelle Beziehung aus?

T Überblick

Im ersten Kapitel richtet sich der Blick auf die professionelle Beziehung. Beziehung wird in diesem Kontext grundlegend als eine Reihe aufeinander bezogener Interaktionen zwischen Sozialarbeitenden und ihren Klient*innen verstanden. Die professionelle Beziehungsgestaltung umfasst somit ein reflektiertes und bewusstes Vorgehen seitens der Fachkräfte in der (Aus-)‌Gestaltung dieser Interaktionen. Hierzu gehören bspw. die Haltung, mit der Fachkräfte ihrer Klientel begegnen, sowie die professionelle‍(n) Rolle‍(n), die sie einnehmen.

1.1 Beziehung eingehen und gestalten

Von Beginn des Lebens an lernen Menschen, miteinander Beziehungen zu gestalten und somit den gegenseitigen Umgang auszuhandeln. Beziehung als »interaktionales Prozessgeschehen« (Gahleitner 2020, 327) wird durch Vorerfahrungen der Beteiligten beeinflusst und steuert Erwartungen an künftige Interaktionen (vgl. ebd.). Beziehung beinhaltet folglich eine Abfolge von Interaktionen zwischen mindestens zwei beteiligten Personen, die beobachtbar sind. Beziehungen dienen der Befriedigung von Bedürfnissen oder bringen einen Zugewinn für die Beteiligten mit sich und sorgen für gegenseitige Bedeutsamkeit (vgl. Sachse 2016, 11 f.).

Die Bindungstheorie nach Bowlby (s. Exkurs: Bindungstheorie) stellt eine wichtige Grundlage für Bindung als besonderes sozial-emotionales Beziehungssystem dar (vgl. Schmidt-Denter 2005, 12), wobei Bindung und Beziehung nicht gleichgesetzt werden sollten. Bindung kann als Entwicklung enger emotionaler Beziehungen angesehen werden und ist somit eine spezifische Art sozialer Beziehungen mit affektiver Verbindung – zunächst zwischen einem Säugling und seiner wichtigsten Bezugsperson (vgl. Strauß 2014, 129; Stemmer-Lück 2012, 120 f.; Grossmann & Grossmann 2021, 71).

Exkurs: Bindungstheorie

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Die Bindungstheorie (engl. attachment theories) geht auf die Forschung des Psychoanalytikers und Psychiaters John Bowlby (1907 – 1990) zum Bindungsverhalten zwischen Müttern und Kleinkindern zurück (weiterführend Bowlby 2006, 2018). Die Wissenschaftlerinnen Mary Ainsworth, Mary Blehar, Everett Waters und Sally Wall führten diese Forschung weiter und klassifizierten anhand des Fremde-Situations-Tests (strange situation test) (weiterführend Ainsworth & Wittig 1969) Bindungsstile, die sich in der frühen Kindheit entwickeln und Stabilität bis ins Erwachsenenalter haben. Diese Bindungsstile sind: sicher-gebunden, unsicher-vermeidend, unsicher-ambivalent sowie desorganisiert (weiterführend Ainsworth et al. 1978). Je nach Bindungsstil treten im Erwachsenenalter unterschiedliche Verhaltensweisen zutage wie bspw. Abwertung von Bindung bei unsicher-vermeidend gebundenen Menschen, Passivität in der Bindung bei unsicher-ambivalent gebundenen Personen oder Wertschätzung von Bindung bei sicher gebundenen Menschen (vgl. Ahnert 2018, 196). Eine sichere Bindung (Bowlby spricht auch von sicherer Basis) stellt die beste Voraussetzung dar, die Umwelt zu explorieren, neue Erfahrungen zu sammeln und neue Verhaltensweisen zu erproben, da das grundlegende Bedürfnis nach Sicherheit, Geborgenheit und Nähe erfüllt ist. Bowlby beschreibt eine grundlegende Neigung des Menschen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Nähe zu anderen Menschen (vgl. Bowlby 2006, 192) und entwickelt ein Phasenmodell der Bindung (weiterführend Bowlby 2018; Brisch 2014). Im Lebensverlauf entwickeln Menschen sogenannte internale oder innere Arbeitsmodelle (weiterführend Brisch 2018, 38; Bowlby 2006, 86 ff.), die durch die Qualität der Beziehungserfahrungen bestimmt werden und dazu dienen, das Verhalten von Bindungspersonen vorherzusagen (vgl. Julius 2009, 14).

Die Arbeiten von Bowlby und Ainsworth et al. wurden kritisiert für ihren ausschließlichen Fokus auf die Mutter als Bezugsperson und Vernachlässigung der Vaterfigur sowie für die als pauschal empfundene Kategorienbildung (vgl. Heidbrink, Lück & Schmidtmann 2009, 152). In der Literatur findet man häufig eine synonyme Verwendung der Begriffe Bindung und Beziehung, jedoch kann Bindung vielmehr als ein Element des Gesamtsystems Beziehung verstanden werden (weiterführend Brisch 2018).

Im Unterschied zu diesen sehr intuitiv erlernten Formen der Beziehungsgestaltung stellt die professionelle Beziehung in allen psychosozialen Arbeitsfeldern die Herausforderung an die Fachkräfte, einen bewusst gestalteten Aushandlungsprozess für die Arbeitsbeziehung mit Klient*innen zu ermöglichen (weiterführend Best 2021, 188 f.). Hier entsteht somit eine mögliche Diskrepanz zwischen der Intuition einer echten, spontanen und emotionalen Beziehung im Gegensatz zu dem reflektierten, rationalen und geplanten Vorgehen in der professionellen Beziehung (vgl. Heiner 2004, 140).

Gut zu merken

Private Beziehungen unterscheiden sich deutlich von professionellen Beziehungen hinsichtlich Intuition und Reflexion in der Gestaltung der Beziehung.

In einem Forschungsprojekt von Klug et al. (2020) wurden Fachkräfte der Sozialen Arbeit zu ihrer Sicht auf Beziehungsgestaltung befragt. Hier wurde insbesondere auf das Verständnis von Beziehungsgestaltung sowie deren Umsetzung in der Praxis fokussiert. In fast allen Interviews stellen Fachkräfte die Beziehung als Grundstock oder Basis der Sozialen Arbeit dar. Gleichzeitig besteht eine gewisse Unsicherheit darüber, wie genau die Ausgestaltung einer professionellen Beziehung aussehen sollte und wie diese umgesetzt werden kann. Herausgestellt wird, dass es handlungsfeld- und einrichtungsspezifische Parameter gibt, die auf die Gestaltung der Beziehung Einfluss nehmen, und dass Respekt, Distanzwahrung und Selbstreflexion wesentliche Grundvoraussetzungen darstellen. Gleichzeitig beschreiben viele der befragten Fachkräfte im Rahmen der Studie den Einsatz der Intuition und des Bauchgefühls sowie der Berufserfahrung zur Gestaltung der Beziehung zur Klientel. Die Autor*innen der Studie sprechen sich zudem für eine zielgruppenspezifische Beziehungsgestaltung aus, um den Bedürfnissen der Klient*innen gerecht werden zu können (vgl. Klug et al. 2020, 378 ff.).

Die professionelle Beziehung muss diverse Anforderungen erfüllen: Alle Beteiligten sollten sich innerhalb der Beziehung im weitesten Sinne wohlfühlen, um sich öffnen und auf die Zusammenarbeit einlassen zu können. Weiterhin ist die Arbeitsbeziehung in aller Regel zeitlich befristet, wodurch deren Ende in den meisten Fällen von Beginn an eingeplant wird. Diese Befristung der Beziehung steht in einem Gegensatz zu der eigentlich förderlichen Langfristigkeit von Beziehungen in Hinblick auf Vertrauensaufbau und Offenheit. In manchen Kontexten kann die zeitliche Begrenzung der Zusammenarbeit eine Entlastung darstellen, denkt man bspw. an Arbeitsbeziehungen innerhalb der Sozialen Arbeit im Zwangskontext.

Praxisbeispiel

Ein Klient wird im Rahmen der Bewährungshilfe nach der Haftentlassung von einem Sozialarbeiter begleitet. Diese Beziehung ist klientenseitig nicht selbstgewählt, sondern eine verpflichtende Auflage zur Resozialisierung des Mannes nach Verbüßung seiner Haftstrafe. Bei einem ersten Kennenlernen geht der Sozialarbeiter offen mit der Unfreiwilligkeit der Teilnahme an der Maßnahme um, indem er sagt: »Sie wissen, dass es sich hierbei um eine Auflage handelt. Und ich kann mir vorstellen, dass Sie sich Besseres vorstellen könnten, als die Termine mit mir wahrzunehmen. Mir ist wichtig, dass wir gemeinsam einen Rahmen schaffen, um die Zeit, in der wir zusammenarbeiten, gut zu gestalten. Was muss aus Ihrer Sicht hier passieren, damit eine gute Zusammenarbeit zwischen uns entsteht?« Der Klient fühlt sich angenommen und verstanden. Nach einem guten Gespräch mit dem Sozialarbeiter sagt er: »Ich wollte eigentlich zu Beginn gar nichts sagen. Jetzt habe ich Ihnen ganz viel von mir erzählt. Ich find es schon ok, hier hinzukommen und mit Ihnen zu sprechen. Ist ja nicht für immer.«

Hier wird deutlich, dass die Kombination aus wertschätzendem und respektvollem Umgang des Sozialarbeiters und – auf Seiten des Klienten – die Akzeptanz fehlender Freiwilligkeit der Maßnahme sowie deren zeitliche Befristung dazu beitragen, dass die Person bereit ist, sich auf die Arbeitsbeziehung einzulassen.

Praxistipp!

Im Umgang mit fehlender Freiwilligkeit der Klient*innen innerhalb der professionellen Beziehung ist es wichtig, eine akzeptierende, wertschätzende und interessierte Grundhaltung zu entwickeln und offen mit der Unfreiwilligkeit umzugehen. Diese zu tabuisieren, stellt hingegen eine Barriere innerhalb der Beziehung dar.

Im Folgenden soll der Blick auf eine weitere grundlegende Theorie zur Gestaltung von Beziehungen gelenkt werden: die Theorie der rationalen Entscheidung (engl. rational choice theory). Diese besagt, dass Menschen grundlegend vernünftig handeln und dabei Kosten-Nutzen-Abwägungen vornehmen (vgl. Gigerenzer 2019, 2; Braun 2009, 395 ff.). Sie streben hierbei nach Nutzenmaximierung, wobei die Entscheidungen zum Erreichen des individuell größten Nutzens durchaus unterschiedlich ausfallen können (vgl. Hancken 2020, 72 f.). Es wird hierbei allen Handelnden unterstellt, Entscheidungen je nach Erfordernis der Situation zu treffen, was als Rationalitätsprinzip bezeichnet wird. Grundlegend für Entscheidungen ist das Vorliegen mehrerer Handlungsoptionen mit unterschiedlichen Konsequenzen für die Beteiligten (vgl. Braun 2009, 399 f.). Auf dieser Theorie gründet die Austauschtheorie (nach Blau & Homanns; vgl. Heidbrink, Lück & Schmidtmann 2009, 155), die in diesem Kontext insbesondere auf den Austausch sozialer Güter bezogen ist (s. Exkurs: Austauschtheorie).

Exkurs: Austauschtheorie

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Grundlegend geht die Austauschtheorie (nach Goerge C. Homans & Peter Blau) davon aus, dass Menschen ihr Verhalten und ihre Interaktionen so ausrichten, dass diese für sie vorteilhaft bzw. nutzbringend sind. Dies gilt insbesondere für Beziehungen zu anderen Menschen. Beziehungen werden folglich eingegangen und fortgesetzt, wenn sie den Beteiligten einen Vorteil verschaffen (weiterführend Heidbrink, Lück & Schmidtmann 2009, 157). Im Jahr 1960 beschreibt der Soziologe Alwin Gouldner die Reziprozitätsnorm (engl. norm of reciprocity), die beinhaltet, dass ein Schaden von Schädigenden auszugleichen ist und Hilfe zu einer Verpflichtung zur Wiedergutmachung führt (weiterführend Gouldner 1960). Die Austauschtheorie geht über die Reziprozitätsnorm von Gouldner hinaus, indem nicht nur eine Wiederherstellung oder Wiedergutmachung des ursprünglichen Zustands angestrebt wird, sondern darüber hinaus ein Streben nach Gewinn vorherrscht (vgl. Heidbrink, Lück & Schmidtmann 2009, 158). Die Austauschtheorie wurde später durch die Sozialpsychologen John W. Thibaut und Harold H. Kelley zur Interdependenztheorie weiterentwickelt, die eine differenziertere Sicht auf die subjektive Einschätzung der Personen ermöglicht (weiterführend Thibaut & Kelley 1959).

Personen gehen folglich soziale Beziehungen ein, um einen Nutzen aus ihnen zu ziehen. Dieser besteht innerhalb sozialer Beziehungen insbesondere in der Erfüllung persönlicher Bedürfnisse wie bspw. sozialer Anerkennung (vgl. Keuper 2013, o. S.).

Gut zu merken

Menschen handeln zu ihrem eigenen Nutzen. Innerhalb sozialer Beziehungen ist hiermit häufig eine Bedürfniserfüllung verbunden.

Aus der Perspektive der Adressat*innen Sozialer Arbeit bedeutet dies, dass insbesondere Personen, die bislang vermehrt negative Beziehungserfahrungen