Propaganda-Presse - Patrik Baab - E-Book

Propaganda-Presse E-Book

Patrik Baab

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Beschreibung

Die Mainstream-Medien folgen einseitig der Propaganda der NATO. Sie blenden wichtige Informationen über den Stellvertreterkrieg in der Ukraine aus. Sie übergehen die Vorgeschichte, die in den Krieg geführt hat. Friedensbemühungen werden kaum erwähnt, Kriegsgegner diffamiert. Sie betreiben "strategisches Framing", oder zu deutsch: "Lügen durch Weglassen". Patrik Baab geht den Ursachen auf den Grund: prekäre Beschäftigung, Besitzverhältnisse, Übermacht der Public Relations, Digitalisierung, vorauseilender Gehorsam, transatlantische Netzwerke. Er beschreibt die Medien als ideologische Apparate, die postfaktischen Journalismus produzieren. Ein Reporter, der in der Ukraine, Afghanistan und dem Kosovo die Verheerungen des Krieges erlebt hat, hält seiner Branche den Spiegel vor.

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Seitenzahl: 179

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In dieser Reihe bereits erschienen:

Matthias Rude: Die Grünen.

Von der Protestpartei zum Kriegsakteur

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-04-46

Georg Auernheimer: Der Ukrainekonflikt

Wie Russlands Nachbarland zum Kriegsschauplatz wurde

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-03-7

Wolf Wetzel: Der Anti-Antifaschismus

Antifa, angebliche Nazis, rechtsoffener Staat und geheimdienstliche Neonazi-Verbrechen

Berlin, 2023, ISBN 978-3-910568-06-8

Stefan Kreutzberger: NachhaltigkeitsSchwindel

Wie sich mit »Klimaschutz« viel Geld verdienen lässt

Berlin, 2024, ISBN 978-3-910568-10-5

Michael Meyen: Cancel Culture

Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören

Berlin, 2024, ISBN 978-3-910568-08-2

Dieses Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form oder mit irgendwelchen Mitteln, einschließlich der Vervielfältigung, der Übersetzung, der Mikroverfilmung oder der Speicherung und Verarbeitung unter Verwendung elektronischer oder mechanischer Verfahren, ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Herausgebers vervielfältigt, verbreitet oder übertragen werden, mit Ausnahme von kurzen Zitaten in Rezensionen und bestimmten, nichtkommerziellen Verwendungen, die nach dem Urheberrecht zulässig sind.

ISBN 978-3-910568-12-9

© Hintergrund GmbH, Berlin, 2024

www.hintergrund.de

Konzept und Satz: Buchgut, Berlin

Inhalt

Unter Feuer

Medien und Propaganda

Die Dimensionen des Ukraine-Krieges

Der Realitätsverlust der Medien

Medien im Propagandakrieg

Folgerungen

Postscriptum

Anmerkungen

Literatur

Unter Feuer

Wenn die Presse ihre Arbeit gemacht hätte, wäre es wahrscheinlich zum Krieg in der Ukraine nicht gekommen. Statt aber selbstkritisch das eigene Versagen auszuwerten, lesen, hören und sehen wir tagtäglich, dass sie ihre Arbeit nach wie vor nicht macht. In diesem Punkt traue ich mir ein Urteil zu: Mehr als 40 Jahre war ich Redaktions- und Anstaltsinsasse: bei einer Alternativ-Zeitung, Magazinen und Zeitungen, beim öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Hörfunk-, Fernseh- und Online-Redaktionen. Ich kenne meine früheren Kollegen. Der Beruf prägt den Menschen, sein Denken und Fühlen. Ich habe die gleiche »déformation professionnelle«. Ich bin Sie.

Am 25. September 2022 stehe ich am Fenster des Hotels Park Inn in Donezk in meinem Zimmer im 5. Stock. Ich beobachte, wie eine Artilleriegranate ein Wohnhaus trifft. 800 Meter von mir entfernt kracht ein Teil der Fassade herunter. Etwa zur gleichen Zeit erreicht mich eine Textnachricht von T-Online. Der Redakteur Lars Wienand will wissen, ob ich ein Wahlbeobachter bei den Referenden in den von Russland besetzten Gebieten bin. Ich befinde mich auf einer von mehreren Recherche-Reisen in die Ukraine und nach Russland. Ich stelle klar, dass ich als Journalist unterwegs bin. Offenbar hat er aber nur pro forma angefragt. Denn mein Dementi hat ihn nicht weiter interessiert.

Tatsächlich war ich weder Wahlbeobachter noch bin ich ein Apologet des Kremls. Beides wäre mit geringem Aufwand feststellbar gewesen. Ich habe für mein Buch »Auf beiden Seiten der Front« recherchiert und habe genau das gemacht, was Journalisten tun sollten: mit beiden Seiten reden und nicht nur am Schreibtisch, sondern vor Ort recherchieren.

Während mein Begleiter Sergey Filbert und ich im Donbass Milizen, Scharfschützen, Artilleriegranaten und Minen zu entgehen suchen, blasen Sitzredakteure in Deutschland zum publizistischen Angriff. Ein Wahlbeobachter sei ich gewesen bei Putins Scheinreferenden, ein Apologet des Kremls, ein Journalist auf politischen Abwegen. In der Folge kündigen die Christian-AlbrechtsUniversität zu Kiel und die Hochschule für Medien und Kommunikation in Berlin meine Lehraufträge. Sie fallen auf eine Falschmeldung herein, die fabriziert worden ist, damit jemand darauf hereinfällt. Denn solche Denunziationskampagnen, für die T-Online bekannt ist, wirken nur, wenn andere mitmachen. Geprüft hat niemand.1

Dass ich Ziel einer von T-Online initiierten Pressekampagne wurde, zeigt den Zerfall der öffentlichen Debattenkultur und des journalistischen Handwerks. Dass ich dafür zwei Lehraufträge verloren habe, zeigt die Gleichschaltung der Universitäten und ihre Unterwerfung unter die Propaganda-Narrative der NATO. Die Vorgänge zeigen aber noch mehr: Sie verweisen auf den weitgehenden Realitätsverlust der Mainstream-Medien und der bundesdeutschen Öffentlichkeit. Sie haben sich verrannt in die eigene Propaganda und sind nicht mehr in der Lage, die reale Situation zu begreifen. Mehr noch: Wenn die Tatsachen nicht mit der Realität in Einklang zu bringen sind – umso schlimmer für die Tatsachen. Der Realitätsverlust der Presse mündet in ihre Realitätsverweigerung. In der Komfortzone ihrer Redaktionen verborgen, tun sie alles in ihrer Macht Stehende, den Krieg zu verlängern und andere in den Tod zu schicken. Genau dies ist einer der Hauptgründe der ukrainischen Niederlage.2

Worin sich dieser Realitätsverlust zeigt; was über die tatsächliche Lage im Kriegsgebiet berichtet werden sollte; wie jene Informationskartelle zustande kommen, die eine realitätstaugliche Informationsgebung verhindern; welche Folgen der Realitätsverlust der Medien produziert; die Ursachen der medialen Realitätsverweigerung; das Zusammenwirken von Propaganda, Ressentiment und Russenhass im digitalen Kapitalismus – darum geht es in dieser Schrift. Dabei wird das kommunikative Handeln mit den Produktionsverhältnissen verschränkt.3

Ich nehme auch auf persönliche Erfahrungen Bezug. Ich tue das im Bewusstsein, dass sie subjektiv sind. Meine Recherche-Ergebnisse habe ich deshalb mit dem Forschungsstand abgeglichen. Zunächst gebe ich zehn Beispiele für die Realitätsverweigerung der Presse; dann beschreibe ich ihre Ursachen und präsentiere einige Schlussfolgerungen.

Drei Tage später, am 28. September 2022 wird unser Hotel »Park Inn« in Donezk von ukrainischer Artillerie beschossen. Eine 155-mm-Granate fliegt knapp an unseren Zimmern im 5. Stock vorbei und explodiert auf dem Parkplatz. Die Druckwelle fegt durch die Lobby, zerstört die Glasfront und das Mobiliar. Die Frauen am Empfang überleben, sie standen hinter einem Pfosten. Bis zum vierten Stock bersten alle Scheiben.4 Wir hatten das Gebäude gerade verlassen und kommen mit heiler Haut davon. Dieser Vorfall zeigt in mehrfacher Hinsicht das Versagen der Medien im Krieg. Denn sie präsentieren nicht die Realität, sondern inszenieren sie und formen sie um – mit potentiell tödlichen Folgen.

Medien und Propaganda

Journalisten stilisieren sich gerne als Vierte Gewalt. Diese Selbstbeschreibung impliziert, dass sie aus der Position gleichsam neutraler Beobachter die Machteliten kritisch begleiten. Ein genauerer Blick entlarvt das als plumpe Schultzbehauptung. Diese Vorstellung ist erwachsen aus der Arbeitsteilung des Redaktionsbetriebes und zeigt nicht die soziale Funktion des Journalismus, sondern lediglich die eigene Produktionssphäre. Wie jede akademische Berufsgruppe verrichten Journalisten Lohnarbeit und sind damit eingebettet in die herrschenden Machtund Besitzverhältnisse. Die Presse ist Teil der Gesellschaft und damit jener Funktionseliten, die angeblich kritisiert werden, denen sie sich aber dienend unterwirft: »Wes Brot ich ess’, des’ Lied ich sing!« Wer die soziale Welt aus der Perspektive eines abgegrenzten Bereichs begreifen will, bleibt selbst in diesem Handlungsrahmen gefangen und verliert die Logik des gesellschaftlichen Geschehens aus dem Blick. Damit einher geht die Entscheidung für das Mitmachen. Dieser Journalismus gründet auf die Bereitschaft, zur Aufrechterhaltung des Systems beizutragen.

Daneben ist die Presse eingebettet in mediale Produktivkräfte, die selbst wiederum nicht neutral sind, sondern die transportierte Information strukturieren. Dies liegt geradezu in der Natur der Medien. Etymologisch steht der Begriff in Verbindung mit der Vorstellung einer Vermittlung und der Idee eines Trägersystems geistigen Ausdrucks. Dies verweist aber schon auf die technische Gestaltung des Mediums: »Es gibt kein Medium ohne Materialität, ebenso wenig eines ohne formende, d.h. ideelle Komponenten.«5 Medien sind Vermittlungsinstanzen. Sie benötigen zur Vermittlung nicht nur Öffentlichkeit, eine Produktionsstätte für das Mitzuteilende und eine Transportkapazität, sondern auch einen Inhalt. Das transportierte verweist auf eine außermediale Gegebenheit.6

Medien präsentieren nicht die Sache selbst, sondern schaffen Distanz, indem sie sich zwischen das Präsentierte und den Empfänger schalten. Das Vermittelte ist in ein bestimmtes Bedingungsgefüge eingebettet und wird dadurch transformiert. Der Inhalt ist also nur in einer definierten medialen Ordnung gegeben: Jedes mediale Trägersystem präsentiert etwas nur in einer bestimmten Anordnungsoder Reihungsstruktur. Medien unterwerfen ihren Gegenstand ihrer systemischen Logik.

Gleichzeitig stellen Medien Nähe her. Sie heben Raumund Zeitdistanzen auf. Mediale Nähe korrespondiert damit, Übermittlungsgeschwindigkeit zu erhöhen und Abstand aufzuheben. Wenn aber insbesondere elektronische Medien Welterfahrung auf Nah- und Gleichzeitigkeitsverhältnisse reduzieren, verschwindet zunehmend der Orientierung gebende Sinn des Horizontes. »Wo alles gleich nah ist,« so Klaus Wiegerling, »muss um der Orientierung willen der Horizont und damit die Möglichkeit des Fremden künstlich erzeugt werden, was natürlich enorme Manipulationsmöglichkeiten eröffnet.«7

Medien artikulieren ihe Position zum Abwesenden. Der Betrachtungsgegenstand wird immer über ein konkretes Blatt, einen Lautsprecher, einen Bildschirm etc. vermittelt. Daneben sind Medien immer ein ideelles Strukturganzes, das selektiert und damit bewertet. Deshalb betrachtet Günther Anders eine Nachricht, insbesondere die optisch übermittelte Nachricht in audiovisuellen Medien, als ein vom Gegenstand abgelöstes Prädikat und damit als ein Vorurteil.8 Beaudrillard geht noch einen Schritt weiter und macht deutlich, dass der Mensch selbst Teil der medialen Welt geworden ist, die er wie einen Herzschrittmacher benötigt. Er artikuliert sich immer in medialen Bezügen.9

Dabei ist die Information selbst niemals identisch mit dem konkreten Sachverhalt, sondern präpariert eine bestimmte perspektivische Wahrnehmung, die wiederum in ein bestimmtes Trägersystem eingeprägt ist. Damit weist das Medium über seinen Gegenstand hinaus: Es handelt sich um eine technische Einrichtung, die ein Sinngefüge konstruiert, das wiederum bestimmte Sinnbildungen beim Rezipienten ermöglicht. Das Medium inszeniert das Vermittelte und schafft damit neue Bedeutung. Dies gelingt, da Medien den Sachverhalt durch Zuweisung, Ordnung und Einordnung in einen Verweisungsrahmen stellen. In dieser Hierarchie bzw. Form- und Relationsstruktur tritt die vermittelte Sache erst in Erscheinung: »Das durch die genannten Bedingungen bestimmte Medium erweist sich nie als neutrale Gegebenheit, sondern als aus einem konkreten historischen und kulturellen Bedürfnis heraus entstanden und in einer konkreten historischen und kulturellen Situation eingerichtet.«10 Umso wichtiger ist es, diesen Bezugsrahmen im Blick zu behalten. Denn Medien schaffen und transportieren Ideologie und Propaganda, verstanden als zielgerichtete Versuche, Meinungen und Verhalten interessengeleitet zu steuern. Medien vermitteln unabhängig von der Informationsvermittlung eine Weltsicht, die von den Spezifika des Mediums und den medialen Produktionsverhältnissen abhängt:

»Solche Systeme sind nicht nur nicht neutral, sie unterstützen auch eine Ideologie, die im Utilitarismus wurzelt. Ideologie wird hier nicht als selbstbewusster sozialer und politischer Mechanismus verstanden, sondern als ein halbbewußter, halbartikulierter Prozess, der politische, wirtschaftliche und soziale Kräfte bündelt… Nimmt sie eine artikulierte Form an, wird sie in der Regel von den … Visionären der Hochtechnologie und von denen, die am ehesten von einer solchen Vision profitieren können, bereitgestellt. … Die Ideologie verbreitet auch einige Lügen: dass die Technologie Werten dient, aber keine schafft. Technologie verkörpert immer schon eine Reihe von Werten, sowohl in ihrer Praxis als auch in ihrter Natur, und weitere Anwendungen prägen und fördern diese Werte.«11 Dies wird im Zusammenhang mit der Digitalisierung weiter unten aufgegriffen.

Medien, so Klaus Wiegerling, liefern »auch die Wahrheitsmatrize, nach der Informationen zu beurteilen sind«, vermitteln also Weltsicht und Weltordnung: »Jedes Medium impliziert historische Dispositionen, die den Auffassungssinn einer Information nachhaltig verändern. Die mediale Transformation einer Information bedeutet also tatsächlich ihre Umgestaltung.«12 Die Art der Umgestaltung hängt nicht nur von technischen Gegebenheiten, also der Ausgestaltung medialer Produktivkräfte ab, sondern auch von medialen Produktionsverhältnissen. Diese wiederum sind einerseits geprägt vom Privateigentum an den Produktionsmitteln in den Konzermedien oder andererseits durch die Nähe zur Regierung und zum herrschenden Parteien-Kartell in den öffentlich-rechtlichen Medien. Mediale Produktionsverhältnisse prägen den Informationen und der Wahrheitsmatritze ihrer Einordnung Interessen auf. Information ist eine Ware, die unter marktkapitalistischen Bedingungen verkauft werden muss. Sie dient der Profitmaximierung. Gleichzeitig sind Medien eingebettet in die herrschenden Machtverhältnisse und unterliegen politischen Einflüssen, folgen also politischen Interessen.13 Die Einschreibung von Ideologie und Propaganda geschieht über wirtschaftliche Zwänge, soziale und politische Selektion des Personals, das herrschende Meinungsklima, Public Relations oder über direkte Einflussnahme der Machteliten.

Deshalb ist Wahrheit auch in Medien kein neutraler Begriff. Was, wie, wo, wann und warum recherchiert und verbreitet wird, unterliegt gesellschaftlichen Zwängen. »Die Redaktionen entdecken nichts mehr«, schreibt Michael Meyen. »Sie sind zu Sprachrohren der Regierenden geworden.« Aber die Propaganda-Matrix brauche die Idee eines unabhängigen Journalismus, um unsichtbar zu werden. »Solange wir glauben, dass die Medienrealität eine Art Spiegel der Wirklichkeit ist, zusammengestellt von einer neutralen und unabhängigen Instanz, die sich bei der Auswahl und bei der Aufbereitung der Nachrichten ausschließlich an handwerklichen Kriterien orientiert, solange verschwindet diese Matrix gleichsam vor unseren Augen.«14 Dagegen ist Propaganda, also die bewußte und zielgerichtete Manipulation, ein wesentlicher Bestandteil demokratischer Gesellschaften. Die Arbeit der Medien besteht vor diesem Hintergrund in der Herstellung von politischem Konsens.15

Demgegenmüber gibt es nicht nur in Kriegszeiten ein ethisches Erfordernis, die Logik ökonomischer und politischer Entscheidungen in Frage zu stellen und damit den Bruch mit reiner isolierter, aktueller EreignisBereichterstattug zu vollziehen, zugunsten einer Kritik der herrschenden Meinung. Journalismus definiert sich darin, machtpolitische Ideologien und profitorientierte Kriegslogiken in Frage zu stellen. Recherchiereen heißt, die politischen Missstände und ökonomischen Interessen aufzudecken, die den Krieg provozieren. In dieser Perspektive lässt sich sagen: »Wahrheit ist kein neutraler Begriff ohne gesellschaftliche Implikationen. Sie lässt sich als ein aktiver und oppositioneller Begriff fassen … Wissen heißt, die Missstände in der Gesellschaft aufzudecken, ihre Probleme und ihre Falschheit. Es bedeutet, Institutionen, ihre Schattenseiten und Grausamkeiten anzugreifen.«16 Doch augenscheinlich leisten die Medien dies in Kriegszeiten gerade nicht. Für den Journalismus gilt, was Max Horkheimer für die Wissenschaft diagnostiziert hat: Eine Presse, »die in eingebildeter Selbständigkeit die Gestaltung der Praxis, der sie dient und zugehört, bloss als ihr Jenseits betrachtet und sich bei der Trennung von Denken und Handeln bescheidet, hat auf die Humanität schon verzichtet.«17 Dies wird im Fazit noch einmal zu diskutieren sein.

Die Dimensionen des Ukraine-Krieges

Die eingangs erwähnten Ereignisse zeigen wie unter einem Brennglas die Dimensionen des Krieges in der Ukraine und die Transformation der Presse. Zu den Dimensionen des Krieges zähle ich 1. Die militärischen Operationen auf dem Gefechtsfeld, 2. Den Wirtschaftskrieg gegen Russland und 3. Den Propaganda-Krieg. Diese drei Ebenen gehören zusammen, sie interferieren und potenzieren sich gegenseitig. Die Medien berichten also nicht über den Krieg in der Ukraine; sie sind vielmehr selbst eine zentrale Ebene dieses Krieges. Denn die Mainstream-Medien lügen nicht nur uns an, sondern auch die Ukrainer. Wie ein Unteroffizier der 32. ukrainischen Unabhängigen Mechanisierten Brigade an der Front erklärte: »Hier ist alles anders, als Du es in den Pressemeldungen und Medien liest.«18

Die militärische Dimension

Die Granate, die vor unserem Hotel explodierte, kam aus Marjinka, einem Vorort südwestlich von Donezk. Dort gab es schwere Kämpfe. Die Stadt lag auch Anfang 2024 noch unter ukrainischem Beschuss. Dabei gab es auch zahlreiche zivile Opfer. Die ukrainische Armee hatte seit 2014 Marjinka stark verbunkert. Dazu wurden alte Stollen genutzt. Im Februar 2024 arbeiteten sich die russischen Truppen langsam vor, in einer Zangenbewegung um den Ort. Im Februar 2023 wurde Avdiivka nordwestlich von Donezk erobert. Die ukrainische Front brach zusammen, der Rückzug war eine Flucht, Verwundete wurden zurückgelassen.19 Im Westen von Bachmut/Artjamowsk und im Norden vor Charkiw erhöhen die russischen Verbände den Druck. Faktisch ist damit der Krieg für die Ukraine verloren; sie kann nicht mehr siegen. Nun versucht die NATO den Krieg, der eigentlich ein Krieg der NATO gegen Russland ist, auszuweiten.20

Präsident Putin nennt als russische Kriegsziele in der Ukraine: 1. Die Demilitarisierung und damit den Schutz der russischstämmigen Bevölkerung. Dabei beansprucht Moskau die gesamten bisher teilweise in die Russische Föderation aufgenommenen Oblaste Cherson, Saporischschja, Donezk und Luhansk sowie russische Städte wie Odessa, Mykolajiw und Charkiw. 2. Die Entnazifizierung der Ukraine und 3. Die Neutralisierung des Landes.21 Dies bedeutet: Ein Beitritt der Ukraine zur NATO soll verhindert werden. Putin strebt außerdem einen Regimewechsel in Kiew an, von einer westlich orientierten, ultranationalistischen und faschistisch beeinflussten Regierung, die eine ethnisch reine Ukraine zum Ziel hat, zu einer prorussischen Regierung. Der Kreml hat deutlich gemacht, dass er nicht weichen wird.

Auch die NATO weicht nicht zurück. Ihre Führungsmacht, die USA, führt gemeinsam mit ihren europäischen Satrapen einen Stellvertreter-Krieg. Washington hat dabei das Ziel, den Krieg möglichst lange fortzusetzen, damit Russland einzudämmen und Profite in der Rüstungs-Industrie zu generieren; einen Regimewechsel in Moskau auszulösen; sich danach dem Hauptgegner China zuzuwenden; Europa zu spalten; insbesondere Deutschland von seiner EnergieVersorgung abzuschneiden und wirtschaftlich zu schwächen; die Europäer in den Krieg tiefer hineinzuziehen, denn es soll kein US-amerikanisches Blut fließen; die Europäische Union über die Achse Washington-Vilnius-Warschau-Kiew zu spalten und die Mitgliedsländer vollständig zu unterwerfen; den Anspruch der USA auf »full spectrum dominance« aufrecht zu erhalten.22 Damit ist der Weg in endlose Kriege und in die nukleare Katastrophe vorgezeichnet.23

Eine Reihe von NATO-Ländern haben bilaterale Beistandsverträge mit der Ukraine abgeschlossen – eine diplomatische Meisterleistung der US-Administration.24 Der slowakische Premierminister erklärte am 26.02.2024, einige westliche Staaten prüften die Entsendung eigener Truppen auf bilateraler Basis, was von der NATO nicht dementiert wurde.25 Im Auswärtigen Amt wird darüber diskutiert, die militärische Beistandsverpflichtung nach Art. 42 EU-Vertrag in Einklang zu bringen mit der Beistandsverpflichtung nach Art. 5 NATO-Vertrag. Dies zielt darauf ab, gleichrangige militärische Bündnisverpflichtungen zu schaffen.26 Deutschland verfüge, so die politische Direktorin im Auswärtigen Amt Tjorven Bellmann, über »präzedenzlos enge Beziehungen mit den Vereinigten Staaten«. Schritt für Schritt versucht Washington, den Krieg zu europäisieren und die EU immer tiefer in den Krieg hineinzutreiben. Dabei spielen transatlantisch korrumpierte politische Eliten in Europa die Rolle williger Vollstrecker. Den Vereinigten Staaten gelang es, Europas Außenpolitik zu kapern.27

Für beide Seiten – die NATO und Russland – geht die Rechnung nicht auf. Keine Seite konnte ihre Kriegsziele vollständig erreichen. Russland hat sich zunächst militärisch verschätzt. Doch inzwischen holt es auf und gewinnt an militärischer Schlagraft. Der Westen droht den Stellvertreterkrieg zu verlieren. Der frühere ukrainische Generalstaatsanwalt bezifferte die Verluste bis Ende 2023 mit einer halben Million Mann. Die NATO wird entscheiden müssen, eigene Truppen einzusetzen, sei es als Söldner oder als direkte Intervention. Der US-Politikwissenschaftler John J. Mearsheimer rechnet mit einem Abnutzungskampf bis zur totalen Erschöpfung. Er weist darauf hin: Eine Atommacht ist von außen nicht zu besiegen.28

In Washington rechnet man mit einer Teilung der Ukraine.29 Die Frage ist: Wo wird die Demarkationslinie verlaufen? Es gibt Hinweise, dass Washington in diesem Falle eine Exilregierung in Lwiw plant. Ebenso gibt es Hinweise auf die Vorbereitung eines »Tonkin«-Zwischenfalls, den man den Russen in die Schuhe schieben kann, beispielsweise die Sprengung eines Kernkraftwerkes.30 So könnte ein Vorwand für ein direktes Eingreifen des Westens geschaffen werden. Überlegungen für eine Interventioneinzelner Länder unterhalb der NATO-Schwelle wurden im Februar 2024 diskutiert.31 Bereits eine begrenzte NATO-Präsenz wird die Welt an den Rand eines nuklearen Armageddon bringen.32

Der Wirtschaftskrieg

Die Ukraine hat ihre wirtschaftlichen Schwerpunkte im Osten. Im Donbass sind Bergbau, metallurgische und petrochemische Industrie konzentriert. Dort gibt es auch wichtige Bodenschätze wie z. B. Seltene Erden und Lithium. In der Zentralukraine und im westlichen Landesteil verfügt Kiew über die fruchtbarsten Böden der Welt. In die SchwarzerdeBöden haben westliche Konzerne wie Monsanto, Eli Lilly oder John Deere inzwischen Milliarden investiert.

Die Kombination aus fruchtbaren Böden, genmanipuliertem Saatgut und niedrigen Löhnen verspricht hohe Renditen, Dominanz auf dem europäischen Agrarmarkt und die Kontrolle der Nahrungsmittelkette. Die veralteten Stahlwerke im Osten, die traditionell stark in die russische Wirtschaft vernetzt waren, sollen dafür geopfert werden. Hinter den westlichen Agrarkonzernen stehen Finanz-Investoren wie BlackRock, Vanguard usw., die ebenso in die Rüstungsindustrie investiert haben. Sie verdienen an Weizen und gleichzeitig am Krieg. Der Profitgier der Agrokonzerne und Finanzinvestoren werden Bauern und Mittelstand in Europa geopfert.33

Odessa ist die Export-Import-Drehscheibe der Ukraine. Verladen werden dort nicht nur Agrarprodukte, sondern auch Waffen. Militärexperten gehen davon aus, dass ein großer Teil der vom Westen gelieferten Waffen auf dem Schwarzmarkt landet. Der Waffenhandels-Experte Jonas Ohman von der litauischen Organisation Blue-Yellow urteilt, dass nur »30-40%, that’s my estimation«, an der Front landen. Der Rest fließe ab auf den Schwarzmarkt.34 So gelangten auch NATO-Waffen in die Hände der Hamas.35

Wenn sich Europa auf Geheiß der Vereinigten Staaten sowohl von Russland als auch von China abwendet, dann benötigt die EU-Wirtschaft dringend die Bodenschätze der Ukraine für Ihre Dekarbonisierungs-Strategie. Umgekehrt weisen westliche Studien darauf hin, Moskau strebe eine Art »Sperrkauf« an, um sein Monopol auf wichtige Bodenschätze zu behalten.

Inzwischen hat der Westen 12 Sanktionspakete gegen Russland verhängt. Die wichtigsten Sanktionen sind: erstens der Ölpreis-Deckel bei 50 Dollar; zweitens der Ausschluss Russlands aus dem internationalen Banken-Zahlungssystem SWIFT; drittens der Versuch, russische Auslandsguthaben in Höhe von bis zu 300 Mrd. Dollar zu beschlagnahmen und der Ukraine zuzuführen.

Die Wirkung dieser Sanktionen ist bestenfalls bescheiden. Russisches Öl und Gas werden weiter zu Marktpreisen gehandelt. Abgerechnet wird zunehmend in Landeswährungen und nicht mehr in Dollar, der Aufbau eigener Zahlungssysteme ist in vollem Gange. Putin hat angekündigt, dass er auf die Beschlagnahme russischer Auslandsvermögen mit der Beschlagnahme europäischer Vermögen in Russland antworten wird. Denn das muss man wissen: Der größte Teil der russischen Assets liegt in Europa, nicht in den USA. Eine Beschlagnahme russischer Auslandsvermögen würde also das Vertrauen in die Anlagensicherheit europäischer Banken nachhaltig schwächen und zum Abzug von Kapitalanlagen führen. Die Crédit Suisse kann davon ein Lied singen.

Russland zeigt sich wirtschaftlich als äußerst robust.36 Seine Wirtschaft wächst, während Deutschland einen Prozess der De-Industrialisierung und des ökonomischen Niedergangs erlebt. Die russische Führung hat jahrelang an der Entwicklung wirtschaftlicher Resilienz gearbeitet; die Sanktionen werden so zum Bumerang, vor allem für Deutschland. Berlin begeht ökonomischen Selbstmord. Die Energiepreise sind nicht wettbewerbsfähig. Dazu kommt die einseitige Abhängigkeit von US-Fracking-Gas. Industrien wandern in die USA, nach China oder Mittelasien ab. Arbeitsplätze gehen verloren. Die Teuerung bleibt hoch.

Deutschland befindet sich in ökonomischer Agonie. Die Bundesregierung hat die möglichen Folgen der Sanktionen nicht einmal evaluiert. Die Regierenden, allesamt übereifrige Transatlantiker, scheint das nicht zu stören. Es ist keineswegs gelungen, Russland zu isolieren. Der European Council on Foreign Relations legte eine Studie vor: »United West, divided from the Rest.«37 Die Sanktionen wirken nicht, weil die russische Wirtschaft sich unabhängig gemacht hat von Westprodukten, China schließt die Technologie-Lücke, der asiatische Markt steht Russland für Exporte von Öl und Gas weiter offen. Nur 37 Staaten folgen dem Westen auf seinem Sanktionskurs. Die restlichen fast 150 arbeiten weiter mit Russland zusammen.

In Brüssel hat die Bundesregierung eine weitere Finanzhilfe von 50 Mrd. Euro durchgeboxt, wovon 12 Mrd. der deutsche Steuerzahler berappen muss. Sie mahnt weiter Aufstockungen bei den Waffenlieferungen an. Damit soll der finanzielle Rückzug der USA