Psychologische Diagnostik - Katrin Rentzsch - E-Book

Psychologische Diagnostik E-Book

Katrin Rentzsch

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Beschreibung

Das Lehrbuch wurde für die Neuauflage komplett überarbeitet, aktualisiert und durch neue Kapitel zu Testnutzung und Anwendungsfeldern erweitert. Es stellt anschaulich und mit vielen Beispielen Grundlagen und Anwendung wissenschaftlich fundierter psychologischer Diagnostik vor. Nach einem Überblick über Theorie, Konstruktion und Beurteilung von Testverfahren folgen differenzierte Hinweise für den Einsatz diagnostischer Verfahren. Als gut verständliche Einführung in die psychologische Diagnostik ist das Buch für Bachelor-Studierende und alle psychologisch Interessierten geeignet. Exkurse und Vertiefungen liefern hilfreiche Informationen für Master-Studierende und praktisch Tätige.

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Seitenzahl: 393

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Grundriss der Psychologie

Herausgegeben von Bernd Leplow und Maria von Salisch

Begründet von Herbert Selg und Dieter Ulich

 

Diese Taschenbuchreihe orientiert sich konsequent an den Erfordernissen des Bachelorstudiums, in dem die Grundlagen psychologischen Fachwissens gelegt werden. Jeder Band präsentiert sein Gebiet knapp, übersichtlich und verständlich!

 

Eine Übersicht aller lieferbaren und im Buchhandel angekündigten Bände der Reihe finden Sie unter:

https://shop.kohlhammer.de/grundriss-psychologie

Katrin Rentzsch Astrid Schütz

Psychologische Diagnostik

Grundlagen und Anwendungsperspektiven

2., überarbeitete Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Pharmakologische Daten verändern sich ständig. Verlag und Autoren tragen dafür Sorge, dass alle gemachten Angaben dem derzeitigen Wissensstand entsprechen. Eine Haftung hierfür kann jedoch nicht übernommen werden. Es empfiehlt sich, die Angaben anhand des Beipackzettels und der entsprechenden Fachinformationen zu überprüfen. Aufgrund der Auswahl häufig angewendeter Arzneimittel besteht kein Anspruch auf Vollständigkeit.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

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Illustration Abb. 7.9: Christian Steeneck, Stuttgart

 

2., überarbeitete Auflage 2023

 

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

 

Print:

ISBN 978-3-17-039484-1

 

E-Book-Formate:

pdf:        ISBN 978-3-17-039485-8

epub:     ISBN 978-3-17-039486-5

Inhalt

Geleitwort

Vorwort

1          Psychologische Diagnostik gestern und heute

1.1      Begriffsklärung

1.2      Diskussion um Qualitätssicherung

1.3      Zur Geschichte psychologischer Diagnostik

1.4      Klassifikationssysteme in der Diagnostik

1.5      Rechtliche und ethische Grundlagen

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

2          Der diagnostische Prozess und diagnostische Strategien

2.1      Diagnostische Strategien

2.2      Diskussion einzelner Zielsetzungen

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

3          Zur Klassifikation diagnostischer Verfahren

3.1      Übliche Einteilungen diagnostischer Verfahren

3.2      Verfahren der Leistungsdiagnostik

3.2.1     Anwendung und Besonderheiten des Einsatzes von Verfahren der Leistungs- und Intelligenzdiagnostik

3.2.2     Beispiele aus der Leistungs- und Intelligenzdiagnostik

3.3      Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik

3.3.1     Besonderheiten des Einsatzes von Verfahren der Persönlichkeitsdiagnostik

3.3.2     Anwendung und Beispiele aus der Persönlichkeitsdiagnostik

3.4      Projektive und semiprojektive Verfahren

3.5      Verfahren der Interaktions- und Beziehungsdiagnostik

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

4          Testtheoretische Grundlagen: Die Klassische Testtheorie

4.1      Grundannahmen der Klassischen Testtheorie

4.2      Wichtige Beziehungen in der KTT

4.3      Einzelfalldiagnostik unter Einbezug der (Un-)Sicherheit

4.4      Weitere Konzepte und Zusammenhänge der KTT

4.5      Eine kritische Reflexion

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

5          Testtheoretische Grundlagen: Die Item-Response-Theorie

5.1      Grundannahmen der IRT

5.2      Modelle der IRT: Das dichotome Rasch-Modell

5.3      Parameterschätzung im dichotomen Rasch-Modell

5.4      Überprüfung der Modellkonformität im dichotomen Rasch-Modell

5.5      Weitere Modelle der IRT

5.6      Eine kritische Reflexion

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

6          Die Konstruktion psychometrischer Testverfahren

6.1      Schritte der Testkonstruktion

6.2      Konstruktionsprinzipien psychometrischer Tests

6.3      Itemtypen und Fragen der Itemformulierung

6.4      Item- und Skalenanalysen

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

7          Kriterien der Testbeurteilung

7.1      Objektivität, Reliabilität, Validität

7.2      Weitere Gütekriterien

7.3      Empfehlungen des Diagnostik- und Testkuratoriums zu Beurteilungskriterien

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

8          Testdurchführung, Testauswertung und Interpretation von Testresultaten

8.1      Testdurchführung

8.2      Testauswertung

8.3      Interpretation von Testresultaten

8.3.1     Normorientierte Testwertinterpretation

8.3.2     Kriterienorientierte Testwertinterpretation

8.3.3     Weitere Gesichtspunkte der Interpretation von Testresultaten

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

9          Befragung und Beobachtung: Verfahren an der Grenze zwischen quantitativ und qualitativ

9.1      Mündliche Befragung

9.1.1     Das diagnostische Interview

9.1.2     Fragearten in der mündlichen Befragung

9.1.3     Techniken der Gesprächsführung und Beziehungsgestaltung

9.1.4     Gütekriterien und Grenzen der mündlichen Befragung

9.2      Beobachtung und Beurteilung: Die Analyse von Verhalten und Dokumenten in der Diagnostik

9.2.1     Verhaltensbeobachtung

9.2.2     Verhaltensbeurteilung und Fremdeinschätzung von Eigenschaften

9.2.3     Kodiersysteme

9.2.4     Gütekriterien und Beobachtungsfehler

9.2.5     Non-reaktive Beobachtungsverfahren

9.2.6     Ausblick

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

10       Befrag

10.1   Das diagnostische Urteil

10.1.1  Klinische versus statistische Urteilsbildung

10.1.2  Empirische Prüfung

10.1.3  Grenzen und Lösungsvorschläge

10.2   Das psychologische Gutachten

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

11       Diagnostik und Intervention in Anwendungsfeldern

11.1   Diagnostik in der Pädagogischen Psychologie

11.1.1  Schuleingangsdiagnostik

11.1.2  Diagnostik von Lernstörungen

11.2   Neuropsychologische Diagnostik

11.3   Rechtspsychologische Diagnostik

11.4   Schlusswort

Zusammenfassung

Literaturempfehlungen

Literatur

Testverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Die Autorinnen

Geleitwort

Erkenntnisse der Psychologie werden täglich in den Medien transportiert. Junge Erwachsene drängeln sich um einen Studienplatz in diesem Fach. Denn die meisten Fragen der Gesellschaft von Morgen sind nicht ohne die Erkenntnisse dieser Wissenschaft des menschlichen »Erlebens und Verhaltens« zu beantworten. Großbaustellen wie der Umgang mit Pandemien und Kriegsereignissen, die Bewältigung von Digitalisierung und Globalisierung oder der gesellschaftliche Umbau in Richtung Nachhaltigkeit lassen sich im Grunde nur mit dem Wissen über die individuellen und sozialen Mechanismen des Verhaltens und Erlebens, der Analyse ihrer Entstehungsbedingungen und der Entwicklung von Veränderungen auf individueller und Gruppenebene sinnvoll bearbeiten. Psychologie ist zugleich – so eine Analyse der Zitiermuster in über 7000 natur- und sozialwissenschaftlichen Fachzeitschriften – eine von sieben »hub sciences« (in etwa »Schlüsselwissenschaften«), welche die Debatte zur Gewinnung wissenschaftlicher Einsichten bereichert und enge Verbindungen zu einer Vielzahl von Nachbardisziplinen unterhält: Dazu zählen u. a. die Neurowissenschaft mit der Neuropsychopharmakologie, Psychiatrie, Gerontologie und die anderen Gebiete der Medizin ebenso wie die Gesundheitswissenschaft (»Public Health«), Konfliktforschung, die Sozial-, Bildungs-, Kommunikations-, Sport-, Rechts- und Wirtschaftswissenschaften, die Forensik sowie Marktforschung. Oft übersehen, aber nicht weniger von Bedeutung, sind die eher technisch orientierten Fächer wie beispielsweise die Ingenieurs-, Luft- und Raumfahrt-, Verkehrs- und Arbeitspsychologie (mit »Mensch-Maschine-Systemen«/»Human Factors«). Auch die Umwelt- und Architekturpsychologie, Raum- und Stadtplanung sowie die methodischen Anwendungsfelder der Diagnostik, Intervention, Evaluation und Sozialforschung kommen nicht ohne spezifisch psychologisches Wissen aus.

Das Studium der Psychologie erfolgt in Bachelor- und Masterstudiengängen, die auf Modulen basieren. Diese sind in sich abgeschlossen und bauen oft aufeinander auf. Sie sind jeweils mit Lehr- und Lernzielen versehen und spezifizieren, welche Themen und Methoden in ihnen zu behandeln sind. Aus diesen Angaben leiten sich Art, Umfang und Thematik der Modulprüfungen ab. Die Bände der Reihe Grundriss der Psychologie orientieren sich stark am Lehrgebiet des Bachelorstudiums Psychologie. Seit Einführung der Bachelor-Masterstudiengänge sind jedoch eine Fülle von eigenständigen Bachelor- und Masterausbildungen mit Psychologiebezug hinzugekommen. Auch für diese Wissensgebiete stellt die Grundrissreihe das notwendige psychologische Basiswissen zur Verfügung.

Da im Bachelorstudium die Grundlagen des psychologischen Fachwissens gelegt werden, ist es uns ein Anliegen, dass sich jeder Band der Reihe Grundriss der Psychologie ohne Rückgriff auf Wissen aus anderen Teilgebieten der Psychologie lesen lässt. Jeder Band der Grundrissreihe orientiert sich an einem der Module, welche die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) für die Psychologieausbildung ausgearbeitet hat. Damit steht den Studierenden ein breites Grundwissen zur Verfügung, welches die wichtigsten Gebiete aus dem vielfältigen Spektrum der Psychologie verlässlich abdeckt. Dieses ermöglicht den Übergang u. a. auf den darauf aufbauenden Masterstudiengang der Psychologie und den neuen »Psychotherapiemaster«.

Zugleich können Angehörige anderer Berufe, in denen menschliches Verhalten und Erleben Entscheidungsabläufe beeinflusst, von einem fundierten Grundwissen in Psychologie profitieren. Neben Tätigkeiten in den bereits genannten Gebieten betrifft das eine vom Fachjournalismus und allen Medienberufen über den Erziehungs- und Gesundheitsbereich, die Wirtschaft, Produktgestaltung und das Marketing bis hin zu den Angehörigen des Justizsystems, der Polizei und des Militärs, allen Managementfunktionen und Führungskräften der Politik reichende Bandbreite. Bei ethisch vertretbarer Anwendung stellt die wissenschaftliche Psychologie mithin Methoden und Erkenntnisse zur Verfügung, über die sich gesellschaftliche Entwicklungen positiv verändern lassen. Damit kann in einer enormen Zahl auch nicht-klassisch psychologischer Studiengänge und Anwendungsfelder vom Wissen eines Bachelors in Psychologie profitiert werden. Deshalb auch sind die einzelnen Bände so gestaltet, dass sie psychologisches Grundlagenwissen voraussetzungsfrei vermitteln.

So wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieser Bände der Reihe Grundriss der Psychologie vielfältige Einsichten und Erfolge in der praktischen Umsetzung psychologischen Wissens!

Maria von Salisch

Bernd Leplow

Vorwort

Beim Blick in das Bücherregal von Fachbuchhandlungen fällt auf, dass es bereits viele Bücher zur Psychologischen Diagnostik gibt. Aus der Perspektive von Studierenden betrachtet ist es allerdings nicht einfach, ein handliches und kostengünstiges Lehrbuch zu finden, das die Grundlagen der Psychologischen Diagnostik aufbereitet und in anschaulicher Weise praxisrelevantes Wissen vermittelt. Das vorliegende Lehrbuch orientiert sich an den Vorgaben der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und der Approbationsordnung für Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten für den polyvalenten Bachelorstudiengang Psychologie. Es ist geeignet zur Begleitung von Lehrveranstaltungen und zur Vorbereitung auf Prüfungen in den Bereichen Grundlagen Psychologischer Diagnostik, Testtheorie und Testkonstruktion sowie Diagnostische Verfahren und Techniken der Befragung und Beobachtung. Für Studierende verwandter Disziplinen und praktisch Tätige kann es als Nachschlagewerk dienen.

Im Buch werden Grundlagen und Anwendungsperspektiven der Psychologischen Diagnostik im Überblick präsentiert. Ergänzt wird die Darstellung durch methodisches Hintergrundwissen und Anwendungsbeispiele. Um starken Praxisbezug zu gewährleisten, geben wir einen Überblick über den diagnostischen Prozess und stellen einzelne diagnostische Verfahren vor. Es folgt ein Überblick über theoretische und methodische Grundlagen der Konstruktion und Beurteilung von Testverfahren sowie deren Testanwendung. In den späteren Kapiteln widmen wir uns dem psychologischen Interview, Beobachtungsverfahren und diagnostischen Urteilsstrategien sowie der Integration diagnostischer Erkenntnisse im Rahmen der psychologischen Gutachtenerstellung. Es ist uns ein besonderes Anliegen, das Verständnis für die Grundlagen der Diagnostik zu fördern. Aus diesem Grunde sind methodische und testtheoretische Aspekte relativ ausführlich dargestellt, gleichzeitig aber so präsentiert, dass sie auch ohne Vorwissen gelesen werden können.

Für die Zweitauflage haben wir alle Kapitel aktualisiert und vollständig überarbeitet sowie ein neues Kapitel zur Testdurchführung, Testauswertung und Interpretation von Testresultaten (Kapitel 8) ergänzt. In allen Kapiteln greifen wir immer wieder Anwendungsbeispiele, insbesondere aus der klinisch-psychologischen Diagnostik und der Diagnostik der Arbeits- und Organisationspsychologie auf. In der Neuauflage schließen wir nun mit einer Vorstellung dreier ausgewählter Anwendungsfelder der psychologischen Diagnostik: der pädagogisch-psychologischen Diagnostik, der neuropsychologischen Diagnostik und der rechtspsychologischen Diagnostik (Kapitel 11).

Viele Menschen waren an der Entstehung der Erstauflage beteiligt. Wir danken Herbert Selg, dessen freundlicher Bitte, die Reihe »Grundriss der Psychologie« zu komplettieren, wir sehr gern nachgekommen sind. Alexandra Jaek hat Illustrationen erstellt. Michela Schröder-Abé und Thomas Schultze halfen uns mit wichtigen inhaltlichen und methodischen Anregungen. Unseren Studierenden, studentischen Hilfskräften, Kolleginnen und Kollegen sind wir für viele inspirierende Fragen sowie organisatorische Unterstützung, Korrekturlesen und vieles mehr zu Dank verpflichtet. Herzlich danken wir Luise Bartholdt, Udo Böhm, André Bößneck, Stefanie Kirste, Natalie Krahmer, Nadine Markstein, Almut Rudolph, Maria Schmidt, Nelli Helene Schulz, Susanne Stein, Kathrin Stoll und Steffi Weidlich für ihre Unterstützung.

Zur Entstehung der Neuauflage sind wir insbesondere Leyla Safavi zu Dank verpflichtet, die uns mit viel Ausdauer bei Literaturrecherchen und redaktionellen Arbeiten unterstützt hat. Des Weiteren danken wir herzlich Anne-Katrin Giese und Theresa Fehn für ihre Unterstützung.

Berlin und Bamberg, im Winter 2022

Katrin Rentzsch und Astrid Schütz

1         Psychologische Diagnostik gestern und heute

Mehrere psychologische Theorien aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts beschäftigen sich mit dem Bemühen von Menschen, ihre Umwelt und ihr eigenes Verhalten zu verstehen und vorherzusagen (vgl. Attributionstheorien, z. B. Heiders Naive Handlungsanalyse, 1958; Kellys Kovariationsprinzip, 1967, 1973; Weiners Ursachenschema, 1986). In vielen Theorien ist das Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit und Kontrollierbarkeit grundlegend (z. B. beschrieb Kelly den Menschen als »naiven Wissenschaftler«, Personale Konstrukttheorie; Kelly, 1973). Auch evolutionspsychologisch kann argumentiert werden, dass es von Vorteil ist, andere Menschen möglichst genau beurteilen zu können. Durch die akkurate Einschätzung der Persönlichkeit von Unbekannten können sich z. B. Hinweise ergeben, ob man dem Gegenüber vertrauen kann oder sich lieber in Acht nehmen sollte (Goldberg, 1981).

Alltagsdiagnostische Fähigkeiten helfen also dabei, sich selbst besser zu verstehen, die soziale Umwelt genauer einzuschätzen und besser mit den Mitmenschen zurechtzukommen. »Alltagsdiagnostik« verläuft jedoch nicht notwendigerweise bewusst und objektiv, sondern in vielen Fällen intuitiv. Interessanterweise sind Menschen von der Richtigkeit ihrer Annahmen in der Regel sehr überzeugt, obwohl ihre Beurteilungen stark subjektiv unterlegt sind. Fehlende Objektivität, z. B. durch Beobachtungsfehler, ist einer der Faktoren, die Alltagsdiagnostik problematisch machen (Kap. 9.2.4).

In der Allgemeinbevölkerung wird psychologische Diagnostik häufig mit diversen »Teste-dich-selbst«-Internetseiten oder den in Boulevardzeitschriften erscheinenden Tests in Verbindung gebracht. Viele öffentlich angebotene Tests1 sind jedoch nicht ganz unproblematisch, da sie nicht wissenschaftlich konzipiert sind und Defizite in mindestens einem der beiden folgenden Bereiche aufweisen: Sie messen nicht das, was sie vorgeben zu messen (Gültigkeit oder Validität), oder erfassen ihren Untersuchungsgegenstand nicht exakt (Genauigkeit oder Reliabilität). Beide Merkmale sind jedoch wichtige Kriterien wissenschaftlich fundierter Tests. Für die getestete Person kann das Ergebnis eines solchen unwissenschaftlichen Tests zu unangemessener Selbsteinschätzung führen: Angenommen, eine leistungsorientierte Schülerin möchte die Wahl ihrer Hauptfächer von dem Ergebnis eines kommerziell angebotenen Internet-Intelligenztests abhängig machen. Wenn ihr das Abschneiden im Intelligenztest sehr wichtig sein sollte, dann dürfte ihre schulische Entscheidung durch das (nicht fundierte) Testergebnis beeinflusst sein und möglicherweise zu einer Fehlentscheidung werden. Eine Gegenüberstellung von Alltags- und wissenschaftlicher Psychologie findet sich z. B. bei Sedlmeier und Renkewitz (2018, Kap. 1).

Alltagsdiagnostik unterliegt also vielen Verzerrungen und stellt keine Basis für gesicherte Erkenntnisse dar. Das vorliegende Lehrbuch widmet sich anschaulich und mit vielen Beispielen den Grundlagen und Anwendungsbereichen wissenschaftlich fundierter, psychologischer Diagnostik.

Nach einer Darstellung des diagnostischen Prozesses und einer Klassifikation diagnostischer Verfahren folgt ein Überblick über theoretische und methodische Grundlagen der Konstruktion und Beurteilung von Testverfahren sowie deren Testanwendung. In den späteren Kapiteln widmen wir uns dem psychologischen Interview, Beobachtungsverfahren, und diagnostischen Urteilsstrategien sowie der psychologischen Gutachtenerstellung. Wir schließen mit einer Vorstellung dreier ausgewählter Anwendungsfelder der psychologischen Diagnostik, der pädagogisch-psychologischen Diagnostik, der neuropsychologischen Diagnostik und der rechtspsychologischen Diagnostik.

1.1        Begriffsklärung

Die Diagnostik ist eine Methodendisziplin mit starkem Anwendungsbezug. Sie ist von einer Testologie (die Lehre über die Durchführung von Tests) abzugrenzen, da Diagnostik den gesamten Prozess von der Planung einer Untersuchung über die Durchführung bis zur Auswertung und Interpretation der Ergebnisse umfasst (Kap. 2). Fundierte Diagnostik basiert insofern einerseits auf Grundlagenwissen und hat andererseits zahlreiche Anwendungsfelder. Teilweise geht Diagnostik in den Bereich der Intervention über, da die Rückmeldung einer Diagnose bereits Veränderungen anstoßen kann. Beispielsweise gilt das für Verfahren der systemischen Familiendiagnostik, bei denen Familienmitglieder im diagnostischen Prozess mit der Wahrnehmung des Familiensystems durch die anderen Familienmitglieder konfrontiert werden (z. B. Skulpturverfahren, Kap. 3.5). Im Rahmen dieser Verfahren wird z. B. ein Familienmitglied gebeten, im Kreise der Familie die eigene Einschätzung der Beziehungen zwischen Familienmitgliedern mitzuteilen und in Form von Zeichnungen oder anderen Darstellungen zu illustrieren. Dieses Publikmachen kann starke Emotionen auslösen und Veränderungen in Gang setzen.

Definition

Intervention: Maßnahmen, die dazu dienen, psychische Störungen oder problematisches Verhalten zu verhindern, zu beheben oder ihre Folgen zu mildern.

Psychologische Diagnostik muss von vorwissenschaftlicherDiagnostik, d. h. von pseudowissenschaftlichen Bemühungen, Merkmale eines Menschen mit unseriösen Methoden zu erfassen versuchen, abgegrenzt werden. In den letzten Jahrhunderten versuchte man etwa, vom Aussehen und der Körperform eines Menschen auf die Zugehörigkeit zu einem Persönlichkeitstypus zu schließen (im Folgenden findet sich ein historisches Beispiel dazu). Allerdings entdeckt man in manchen pseudowissenschaftlichen Angeboten auch heute noch ähnliche Ansätze.

Beispiel

Phrenologie

Abb. 1.1:   Historische Skizze eines Schädels, dessen Arealen Charaktereigenschaften zugeordnet sind (aus Pervin, 2005, S. 373; American phrenological chart, c1870, © The Granger Collection Ltd d/b/a GRANGER – Historical Picture Archive).

Der Begriff Phrenologie stammt aus dem Griechischen (phrenos) und bedeutet »Geist«. Der Begründer dieser pseudowissenschaftlichen Lehre war der Arzt Franz Josef Gall (*1758, †1828). Neben tragfähigen und wissenschaftlich fruchtbaren Erkenntnissen nahm Gall auch an, dass die geistigen Anlagen in verschiedenen Hirnarealen des Menschen lokalisierbar seien. Demzufolge stellten Größe und Form der Hirnareale für Gall Hinweise auf die Ausprägung der zugrundeliegenden Eigenschaften dar. Die äußere Schädelform galt als bester messbarer Indikator für Persönlichkeitseigenschaften wie »Anhänglichkeit« oder »Mordlust«) – ein Trugschluss, wie sich später herausstellte. Die Phrenologie geriet nicht zuletzt durch den rassistisch motivierten Einsatz der sogenannten Kraniometrie in scharfe Kritik. Jene Lehre von der Schädelvermessung ist vor allem in der Anthropologie, Ethnologie und Archäologie wissenschaftlich bedeutsam, wurde jedoch im 19. Jh. in den USA und in der Zeit des Nationalsozialismus im Dienste der sogenannten Rassenkunde missbraucht (vgl. Gould, 1988).

Nach Jäger und Petermann (1999, S. 11) versteht man unter psychologischer Diagnostik das »systematische Sammeln und Aufbereiten von Informationen mit dem Ziel, Entscheidungen und daraus resultierende Handlungen zu begründen, zu kontrollieren und zu optimieren. Solche Entscheidungen und Handlungen basieren auf einem komplexen Informationsverarbeitungsprozeß. In diesem Prozeß wird auf Regeln, Anleitungen, Algorithmen usw. zurückgegriffen. Man gewinnt damit psychologisch relevante Charakteristika von Merkmalsträgern und integriert gegebene Daten zu einem Urteil (Diagnose, Prognose). Als Merkmalsträger gelten Einzelpersonen, Personengruppen, Institutionen, Situationen, Gegenstände etc.«.

Definition

Psychologische Diagnostik »ist eine Methodenlehre im Dienste der Angewandten Psychologie. Soweit Menschen die Merkmalsträger sind, besteht ihre Aufgabe darin, interindividuelle Unterschiede im Verhalten und Erleben sowie intra-individuelle Merkmale und Veränderungen einschließlich ihrer jeweils relevanten Bedingungen so zu erfassen, [dass] hinlänglich präzise Vorhersagen künftigen Verhaltens und Erlebens sowie deren evtl. Veränderungen in definierten Situationen möglich werden.« (Amelang & Schmidt-Atzert, 2006, S. 3)

Mithilfe von diagnostischen Ergebnissen werden Entscheidungen getroffen oder vorbereitet. Beispielsweise kann eine Diagnostikerin ein mittelständisches Unternehmen beraten, indem sie diesem eine oder mehrere geeignete Bewerber*innen für eine ausgeschriebene Stelle empfiehlt. Eine Diagnose kann auch dazu dienen, eine Entscheidung bezüglich der schulischen oder beruflichen Laufbahn eines*r Jugendlichen zu treffen oder geeignete Förder- und Therapiemaßnahmen auszuwählen. Stellt man z. B. bei einem Kind mit Verdacht einer Lese-Rechtschreib-Schwäche Defizite in der Selbstwertschätzung fest, kann dieser Punkt in die Förderung einbezogen werden (Kap. 11.1.2).

Merke

Typisches Ziel eines diagnostischen Prozesses ist es, die Besonderheiten im Erleben und Verhalten eines Individuums zu erfassen, und auf dieser Basis individuumsbezogene Vorhersagen zu machen. Allerdings muss sich Diagnostik nicht notwendigerweise auf Individuen beschränken. Auch Paare, Familien, Arbeitsgruppen, Organisationen oder Situationen können Ziel diagnostischer Bemühungen sein

Zur vereinfachten Darstellung werden wir in diesem Lehrbuch viele Beispiele aus der Individualdiagnostik vorstellen. Zur Situationsdiagnostik empfehlen wir Rauthmann et al. (2014) (vgl. auch Rentzsch, Wieczorek & Gerlach, 2021).

1.2        Diskussion um Qualitätssicherung

Der Umgang mit Testverfahren stellt eine zentrale Schlüsselqualifikation von Psycholog*innen dar. Ungefähr ein Viertel der beruflichen Tätigkeit umfasst psychologische Diagnostik (Roth, Schmitt & Herzberg, 2010). Allerdings gibt es Hinweise, dass neuere fachliche Entwicklungen nicht ausreichend in der Praxis berücksichtigt werden (Kubinger & Floquet, 1998) und nur ein sehr eingeschränktes Spektrum an Verfahren eingesetzt wird (Schorr, 1995). So dominierten lange Zeit das explorative Gespräch und Verhaltensbeobachtungsverfahren den klinisch-psychologischen Bereich (Roth et al., 2010).

Eine Schwierigkeit bei der Optimierung praktischer diagnostischer Tätigkeit liegt vermutlich im fehlenden Austausch zwischen wissenschaftlich und praktisch tätigen Psycholog*innen, was dazu führt, dass einerseits neue wissenschaftliche Erkenntnisse nur zeitverzögert in der Praxis rezipiert werden, andererseits die in der Praxis bedeutsamen Probleme und Anliegen in Forschungsarbeiten nur ungenügend aufgenommen werden. Umso positiver zu bewerten ist daher eine gemeinsame Initiative der Deutschen Gesellschaft für Psychologie (DGPs), die die wissenschaftlich Tätigen vertritt, und des Berufsverbands Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP), der die praktisch Tätigen vertritt, zur Qualitätssicherung der berufsbezogenen Eignungsdiagnostik. Die DIN 33430 (Deutsches Institut für Normierung [DIN], 2016) regelt für den Bereich der Eignungsdiagnostik, auf welche Weise fachlich kompetente Diagnostik zu erfolgen hat. Durch einschlägige Schulungen können entsprechende Kompetenzen erworben bzw. aufgefrischt und nach Ablegen einer Prüfung für die Dauer von zwei Jahren zertifiziert werden. Eine Personenlizenz kann auch von Studierenden erworben werden. Danach verlängert sich die Lizenz um jeweils zwei Jahre, wenn keine inhaltliche Änderung an der DIN erfolgt. Die folgende Erklärung gibt die Inhalte der DIN 33430 ausführlicher wieder.

Erklärung

Berufsbezogene Eignungsdiagnostik: Die DIN 33430

Eignungsdiagnostik hat das Ziel, eine Wahrscheinlichkeitsaussage zu liefern, ob ein*e Bewerber*in für eine Stelle geeignet ist und mit der Position zufrieden sein wird. Der Wunsch nach einer optimalen Stellenbesetzung geht also von mindestens zwei Instanzen aus: einerseits dem Unternehmen, welches die am besten geeigneten Bewerber*innen für eine Stelle auswählen möchte, und andererseits von denjenigen, die sich selbst bewerben (Zufriedenheit). Die DIN 33430 ist eine Richtlinie, die Qualitätskriterien und -standards für die berufsbezogene Eignungsdiagnostik sowie Qualifikationsanforderungen an die beteiligten Personen festlegt (Diagnostik- und Testkuratorium, 2018a). Die DIN 33430 wendet sich dabei vor allem an die beteiligten Gruppen der Auftraggebenden (z. B. ein Unternehmen), Auftragnehmenden (z. B. eine Diagnostikerin), Verfahrensentwickler*innen (z. B. eine Forschungsgruppe, die einen Test konstruiert hat), Testverlage (Verlage, die die Tests veröffentlichen) und der sich am Auswahlverfahren Bewerbenden. Somit wird der Entscheidungserfolg der Auftraggebenden bei der Personalauswahl erhöht, die Auftragnehmenden können die Qualität ihrer Diagnostik überprüfen und gegebenenfalls verbessern und die Bewerber*innen durchlaufen eine maximal faire Auswahlprozedur.

Häufig stellt sich in diesem Zusammenhang die Frage, inwiefern DINs rechtlich verbindlich sind, d. h. muss Eignungsdiagnostik stets nach der DIN 33430 erfolgen? Zunächst kann festgehalten werden, dass DIN-Normen keine Rechtsverbindlichkeit haben, deren Einführung und Umsetzung erfolgen also freiwillig. Jedoch kann die DIN 33430 dann verbindlich gelten, wenn die Rechtsprechung darauf Bezug nimmt.

Die DIN 33430 bezieht verschiedene Qualitätsstandards ein. Sie beinhaltet u. a. den Kriterienkatalog des Diagnostik- und Testkuratoriums (2018b), auf den in späteren Abschnitten dieses Buches eingegangen wird (Kap. 7.3). Für einen Überblick zu relevanter Literatur sei auf folgende Homepage verwiesen: https://www.din33430portal.de/

Um die Qualität psychodiagnostischer Arbeit sicherzustellen, wurden weitere Maßnahmen erwogen. So wurde u. a. das European Certificate in Psychology (EuroPsy; http://www.europsy.eu), ein Zertifizierungssystem für Psycholog*innen, eingeführt. Dieses System stellt einen einheitlichen Standard für fachliche Kompetenz und berufsethisches Verhalten dar.

1.3        Zur Geschichte psychologischer Diagnostik

Historisch betrachtet hat die Diagnostik drei fachliche Wurzeln: die Psychiatrie, die Experimentelle Psychologie und die Differentielle Psychologie.

Psychiatrie. Der Begriff Diagnose ist seit der Antike ein zentraler Begriff im ärztlichen Denken und Handeln. Psychiatrische Krankheitsmodelle zur Beschreibung und Erklärung geistiger Krankheiten unterlagen mehreren Veränderungen, die sich wiederum auch auf die Entwicklung diagnostischer Verfahren auswirkten. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts löste das medizinische Krankheitsmodell der Psychiatrie ältere dämonologische Vorstellungen ab. Laut Letzteren galten psychiatrisch Kranke als besessen und böse – das medizinische Krankheitsmodell ist insofern entlastend für die Patient*innen. Im Rahmen des Modells werden verschiedene Symptome einem Syndrom zugeordnet. Durch die Untersuchung von spezifischen Krankheitsverläufen konnten Methoden zur Bekämpfung von Krankheiten entwickelt werden. Allerdings ist es bei psychischen Störungen schwieriger als im Bereich körperlicher Erkrankungen, eine lückenlose Erklärung von Syndromen über den Verlauf und die Prognose bis zur Genese zu finden, wodurch das medizinische Modell (auch Defektmodell genannt) für den Bereich psychischer Störungen an Grenzen stößt.

Definition

Unter Genese ist die Entwicklung bzw. Entstehung von psychischen oder somatischen Störungen zu verstehen.

Als Alternative zum medizinischen Krankheitsmodell wurde ab etwa 1970 die psychologische oder sozialwissenschaftliche Perspektive zur Erklärung psychischer Störungen vertreten. Man suchte weniger nach körperlichen Ursachen, sondern vielmehr nach den Bedingungen im Umfeld einer Person, die eine Störung aufrechterhalten, z. B. nach familiären oder schulischen Bedingungen. Die Grundannahme dieser Perspektive findet sich im Kontinuum-Modell wieder (z. B. Basaglia, 1985). Nach dem Kontinuum-Modell unterscheiden sich gesund und krank nicht qualitativ voneinander, sondern nur graduell. Dieses Modell nimmt also an, dass sich »Gesunde« und »Kranke« nicht prinzipiell voneinander unterscheiden, sondern bestimmte Eigenschaften nur in unterschiedlicher Ausprägung besitzen. So wird etwa davon ausgegangen, dass sich Stimmungsschwankungen im Rahmen depressiver Erkrankungen nur quantitativ, nicht aber qualitativ von Stimmungsschwankungen bei gesunden Personen unterscheiden. Das Kontinuum-Modell beschreibt Störungen insofern dimensional (z. B. mehr oder weniger ängstlich) statt kategorial (z. B. Angstsymptome ja vs. nein). Heute werden häufig sowohl kategoriale als auch dimensionale Aspekte berücksichtigt. Auch in der Medizin werden einige Phänomene dimensional erfasst (z. B. Messung des Gewichts in Kilogramm) und dann kategorial über einen Cut-Off-Wert einer Diagnosekategorie wie z. B. Übergewicht zugeordnet (eine Erklärung des Begriffes Cut-Off-Wert findet sich im Folgenden).

Da einfache Kausalbeziehungen bei den meisten psychischen Störungen nicht herstellbar sind, wird heute häufig eine interaktionistische Perspektive eingenommen, d. h. es wird von einer gegenseitigen Wechselwirkung zwischen genetischen, neurobiologischen, psychologischen und sozialen bzw. situativen Bedingungen zur Entwicklung psychischer Störungen ausgegangen. Es lässt sich also zusammenfassen, dass der ursprüngliche Krankheitsbegriff aus dem kategorialen medizinischen Krankheitsmodell stammt, heutzutage aber interaktionale Störungsmodelle mit Betonung dimensionaler Merkmale einschließt (vgl. Knappe & Wittchen, 2020).

Erklärung

Cut-Off-Werte sind festgelegte Schwellenwerte, anhand derer man kranke (bzw. geeignete) Personen von gesunden (bzw. ungeeigneten) Personen hinsichtlich des zu erfassenden Merkmals trennt. Sie geben damit inhaltliche Bereiche an, indem der Testwert einer Testperson als über oder unter einem Kriterium liegend klassifiziert wird. Erhält z. B. eine Patientin einen Punktwert von 17 nach dem Ausfüllen des BDI-II (Beck Depressions-Inventar; Hautzinger, Keller & Kühner, 2009), dann interpretiert die Diagnostikerin diesen Wert anhand des Vergleichs mit dem vorgegebenen Cut-Off-Wert von 14. Da der erzielte Testwert in diesem Beispiel über dem Cut-Off-Wert liegt, ist die Diagnose einer leichten Depression wahrscheinlich.

Nach Ende des Zweiten Weltkriegs häuften sich die Hinweise, dass psychologische Diagnosen in stark subjektiv geprägter Weise erfolgen (vgl. Kendell, 1978). Das führte die psychologische Diagnostik in eine Akzeptanzkrise. Im nachfolgenden Beispiel wird eine Studie von Rosenhan (1973) vorgestellt, die mangelnde Objektivität beim Diagnostizieren in psychiatrischen Einrichtungen aufdeckte. Nicht zuletzt gaben diese Ergebnisse den Anstoß dafür, allgemeine klinische Klassifikationssysteme zu entwickeln, die genaue Kriterien zur Vergabe einer bestimmten Diagnose vorgeben, z. B. die International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems nach der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 1992; gegenwärtig im deutschsprachigen Bereich ICD-10; Dilling, Mombour & Schmidt, 2015; Dilling, Mombour, Schmidt & Schulte-Markwort, 2016) oder das Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders nach der American Psychiatric Association (APA, 1994; gegenwärtig DSM-5; Falkai & Wittchen, 2018; Kap. 1.4 zur näheren Erläuterung).

Beispiel

On being sane in insane places

Rosenhan (1973) schleuste sich selbst und sieben weitere Personen als »Pseudopatient*innen« in zwölf psychiatrische Kliniken ein, um zu prüfen, inwieweit klinisches Diagnostizieren objektiv erfolgt. Die Pseudopatient*innen, tatsächlich gesunde Mitarbeitende des Studienleiters, gaben bei der Einweisung an, sie hören Stimmen. Sobald sie in die Klinik aufgenommen waren, unterließen sie jedoch jegliches »abnormale« Verhalten, beantworteten alle Fragen der Klinikangestellten wahrheitsgemäß und versuchten, sich so normal wie möglich zu verhalten. Dennoch wurden sieben der Pseudopatient*innen als schizophren diagnostiziert. Interessanterweise fand Rosenhan in einer Nachuntersuchung heraus, dass einige Klinikangestellte, nachdem sie von der Studie gehört hatten, 10 bis 20 % aller zukünftigen Einweisungen zu Unrecht für Täuschungen hielten. Diese und weitere Befunde zeigen, dass diagnostische Urteile durch Vorinformationen beeinflussbar sind.

Die ExperimentellePsychologie als eine weitere historische Wurzel der heutigen Diagnostik hat eine Vielzahl experimenteller Strategien hervorgebracht, die auch in der psychologischen Diagnostik nutzbar gemacht wurden. Damit trug diese Richtung maßgeblich zur Entwicklung quantitativer und standardisierter Verfahren bei. Auch die heute etablierten Gütekriterien Objektivität, Reliabilität und Validität gehen auf diese Tradition zurück (Kap. 7). Als Begründer der experimentellen Psychologie in Deutschland ist Wilhelm Wundt zu nennen, der 1879 an der Universität Leipzig das erste experimentalpsychologische Labor einrichtete. Als Vorläufer der heutigen Intelligenzforschung leistete zudem Francis Galton wichtige Beiträge zur experimentellen Psychologie und der Entwicklung psychologischer Diagnostik – vor allem durch die Einrichtung eines psychometrischen Labors 1884, in dem kognitive Tests entwickelt wurden, um interindividuelle Unterschiede in kognitiven Fähigkeiten zu messen. Das in dieser Tradition verankerte stark experimentell und quantitativ orientierte Vorgehen wurde im Laufe der Zeit allerdings auch durch qualitative und individuumszentrierte Ansätze ergänzt (Jüttemann, 1990; Petermann, 1992). Zur Orientierung an stabilen Merkmalen kam ferner die Berücksichtigung der Veränderbarkeit von Verhaltensweisen oder Bedingungen hinzu – man spricht von Modifikationsstrategien (Kap. 2.1).

Diagnostik steht weiterhin in der Tradition der Differentiellen Psychologie und Persönlichkeitspsychologie. Differentielle Psychologie beschäftigt sich mit den Unterschieden zwischen einzelnen Personen oder Gruppen im Hinblick auf psychische Eigenschaften. Persönlichkeitspsychologie untersucht die Besonderheiten des Individuums (vgl. Laux, 2008). Die Diagnostik stellt sowohl Methoden zur Erfassung der Besonderheiten des*der Einzelnen und der Unterschiede zwischen Menschen bereit. Die enge Verschränkung zwischen Differentieller-/Persönlichkeitspsychologie und Diagnostik zeigt sich besonders deutlich bei Testkonstruktionen, die auf einer persönlichkeitstheoretischen Konzeption der zu messenden Eigenschaft beruhen (siehe auch Strategien der Testkonstruktion, Kap. 6.2).

Beispielsweise wurden mehrere Intelligenztests vor dem Hintergrund eines bestimmten Intelligenzmodells entwickelt:

•  Die Wechsler Adult Intelligence Scale – Fourth Edition (WAIS-IV; D. Wechsler, 2008; dt. WAIS-IV, deutsche Version nach Petermann, 2012) basiert auf dem Intelligenzmodell Wechslers.

•  Der Intelligenz-Struktur-Test 2000 R (I-S-T 2000 R; nach Liepmann, Beauducel, Brocke & Amthauer, 2007) basiert u. a. auf Thurstones Intelligenzmodell.

Zahlreiche Persönlichkeitstests beruhen auf einer spezifischen Persönlichkeitstheorie, z. B.:

•  Das Eysenck Personality Inventory (EPI; Eysenck, 1970; dt. Eysenck-Persönlichkeitsinventar; Eggert, 1983) beruht auf Eysencks Persönlichkeitstheorie.

•  Der 16 PF (Cattell, 1972; Conn & Rieke, 1994; dt. 16-Persönlichkeits-Faktoren-Test Revidierte Fassung, 16 PF-R; Schneewind & Graf, 1998) geht auf Cattells Theorie zurück.

•  Auf dem sogenannten Fünf-Faktoren Modell der Persönlichkeit (McCrae & Costa, 2008) beruhen Verfahren wie das NEO Five-Factor Inventory Revised (NEO-FFI; McCrae & Costa, 2004, revidierte Fassung; dt. NEO-Fünf-Faktoren-Inventar nach Borkenau & Ostendorf, 2008) oder das NEO-Persönlichkeitsinventar (NEO-PI-3; McCrae, Costa & Martin, 2005; dt. NEO-PI-R nach Ostendorf & Angleitner, 2004).

1.4        Klassifikationssysteme in der Diagnostik

Wie bereits erwähnt, werden in der klinischen Diagnostik zwei Klassifikationssysteme verwendet, um möglichst genaue und zuverlässige Diagnosen erstellen zu können – die ICD und das DSM. Als Klassifikationssystem bezeichnet man Listen mit Entscheidungskriterien. Dort sind zu einzelnen Diagnosen im Bereich psychischer Störungen (z. B. die Diagnose der Sozialen Phobie) die entsprechenden diagnostischen Kriterien aufgeführt. Somit unterstützen diese Systeme die Diagnostikerin bei der Entscheidung im Hinblick auf die Formulierung einer konkreten Diagnose. In der therapeutischen Praxis wird häufig die ICD-10 (Dilling et al., 2015) verwendet, u. a. deswegen, weil die Abrechnung bei den Krankenkassen über Diagnosen nach der ICD-10 erfolgt. Dagegen wird das DSM-5 (Falkai & Wittchen, 2018) vor allem im wissenschaftlichen Kontext eingesetzt, da die Kriterien intensiver untersucht worden sind.

Ursprünglich lagen mehr als 100 verschiedene Klassifikationssysteme im psychologisch-psychiatrischen Bereich weltweit vor, die jedoch inhaltlich so unterschiedlich gestaltet waren, dass eine einheitliche Zusammenstellung kaum gelingen konnte. Anhand empirischer Studien und internationaler Kooperation wurde 1980 schließlich ein neuartiges, wissenschaftlich abgesichertes Klassifikationssystem konzipiert, das DSM-III (APA). In der ICD kehrte man erst ab 1992 (WHO) von der traditionellen psychiatrischen Klassifikation ab, um sich der Konzeption im DSM anzunähern (vgl. Knappe & Wittchen, 2020).

ICD-10

Die Internationale statistische Klassifikation der Krankheiten und verwandter Gesundheitsprobleme wird von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegeben. Derzeit liegt die ICD in der zehnten Ausgabe vor. Sowohl Praktizierende in der Psychologie wie auch in der Medizin verwenden es zur klinischen Diagnostik. Nur ein kleiner Teil der ICD widmet sich psychischen Störungen (die sogenannten F-Diagnosen). Alle Diagnosen werden mit einem Code versehen, der bis zu fünf Stellen beinhaltet. Die erste Stelle »F« kennzeichnet den Bereich der psychischen und Verhaltensstörungen. Die zwei folgenden Stellen beinhalten die konkrete Diagnose; weitere Buchstaben oder Ziffern spezifizieren die Störung.

Beispiel

F40–F48 Neurotische-, Belastungs- und somatoforme Störungen

            F40 phobische Störung

                         F40.1 soziale Phobien

Diese Codes werden im Rahmen der fall- und diagnosebezogenen Kassenabrechnung verwendet.

DSM-5

Das DSM wird von der Amerikanischen Psychiatrischen Vereinigung (APA) veröffentlicht und liegt mittlerweile in fünfter Auflage (DSM-5) vor. Dieses Klassifikationssystem bietet gegenüber der ICD-10 gewisse Vorteile, wie im Folgenden erläutert. Im Vergleich zur ICD-10 beinhaltet das DSM-5 speziellere und wissenschaftlich besser fundierte diagnostische Kriterien sowie genauere Operationalisierungen. Daher ist es für die Forschung besonders interessant. Die im DSM-5 beschriebenen Störungsgruppen sind im Folgenden aufgelistet:

1.  Störungen der neuronalen und mentalen Entwicklung,

2.  Schizophrenie-Spektrum und andere psychotische Störungen,

3.  Bipolare und verwandte Störungen,

4.  Depressive Störungen,

5.  Angststörungen,

6.  Zwangsstörung und verwandte Störungen,

7.  Trauma- und belastungsbezogene Störungen,

8.  Dissoziative Störungen,

9.  Somatische Belastungsstörung und verwandte Störungen,

10.  Fütter- und Essstörungen,

11.  Ausscheidungsstörungen,

12.  Schlaf-Wach-Störungen,

13.  Sexuelle Funktionsstörungen,

14.  Geschlechtsdysphorie,

15.  Disruptive, Impulskontroll- und Sozialverhaltensstörungen,

16.  Störungen im Zusammenhang mit psychotropen Substanzen und abhängigen Verhaltensweisen,

17.  Neurokognitive Störungen (NCD),

18.  Persönlichkeitsstörungen,

19.  Paraphile Störungen,

20.  Andere psychische Störungen,

21.  Medikamenteninduzierte Bewegungsstörungen und andere unerwünschte Medikamentenwirkungen,

22.  Andere klinisch relevante Probleme

Neben den Diagnosekriterien, in denen auch Alter, Geschlecht und Kultur berücksichtigt werden, bietet das DSM-5 weitere Informationen zu den Störungen, wie zum Beispiel epidemiologische Angaben und typische Komorbiditäten. Es integriert neuere Diagnosen wie zum Beispiel Binge-Eating-Störung oder Pathologisches Horten und beinhaltet ein weiteres Kapitel zu Instrumenten und Modellen.

Der Einsatz von Klassifikationssystemen in der klinischen Diagnostik ermöglicht ein klares und abgesichertes Aufstellen von Diagnosen. Insofern können sowohl die Patient*innen als auch die diagnostisch Tätigen davon profitieren. Zudem wird die internationale wissenschaftliche Kommunikation erleichtert, da beide Klassifikationssysteme in vielen Sprachen vorliegen.

1.5        Rechtliche und ethische Grundlagen

Ethische und rechtliche Regelungen stecken den Rahmen für diagnostische Arbeit ab. Aus ethischer Perspektive ist prinzipiell zu diskutieren, ob und wie Diagnostik ausgeübt werden soll. Gefordert wird hierbei im Allgemeinen, dass sie nicht nur den Ausübenden Nutzen bringt, sondern auch einen Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung liefert (siehe auch Schmid, 1999). Die entscheidende Frage unter ethischer Perspektive lautet demnach: An wessen Wohl orientieren sich diagnostisch Tätige? Dabei stehen mitunter gesellschaftliche Interessen den Rechten des zu diagnostizierenden Individuums gegenüber. Beispielsweise muss bei der forensischen Begutachtung in die Privatsphäre von Angeklagten oder Zeug*innen eingedrungen werden, um bestimmte, von Beschuldigten ausgehende Gefährdungen für die Öffentlichkeit abschätzen zu können.

Besonders ausgeprägt ist die Problematik, wenn die diagnostische Beurteilung nicht auf Wunsch der Klient*innen erfolgt, sondern von einer Drittinstanz verlangt wird – bei nicht geschäftsfähigen Jugendlichen durch die Betreuungsperson, in schulischen und betrieblichen Auswahlverfahren, aber auch in der Beurteilung von Straffälligen und der Unterstützung von Menschen mit Behinderung. Das Risiko, unangemessen in die Privatsphäre von Menschen einzugreifen, ist auch dann gegeben, wenn der diagnostische Prozess und seine Konsequenzen von den Betroffenen nicht durchschaubar sind. Es ist daher essentiell, dass die getestete Person so weit wie möglich aufgeklärt und ihr Einverständnis eingeholt wird. Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die diagnostisch Tätigen (sich) immer wieder Rechenschaft darüber ablegen sollten, in welchem Spannungsfeld sie sich bewegen und wie die Befunde verwendet werden. Der Missbrauch diagnostisch fundierter Macht, die im diagnostischen Prozess entsteht, stellt einen extremen Verstoß gegen ethische Prinzipien dar. Zum Beispiel nutzen einige Sekten die relative Ohnmachtsposition Getesteter teils für die Schaffung von Abhängigkeitsverhältnissen und Rekrutierung von Mitgliedern aus. So werden potenziellen Mitgliedern häufig kostenlose psychologische Tests angeboten und nach der Rückmeldung negativer und selbstwertbedrohender Befunde erfolgt schließlich das Angebot zu Beratung, Förderung oder sozialer Einbindung. Eine Zusammenfassung der berufsethischen Richtlinien des BDP und der DGPs findet sich hier: https://www.bdp-verband.de/profession/ethik.

Unabhängig von ethischen Richtlinien gelten klare gesetzliche Vorschriften. Es gibt kein spezifisches Gesetz zu den Rechten und Pflichten der diagnostisch tätigen Person, aber viele gesetzliche oder rechtliche Bestimmungen aus unterschiedlichen Bereichen sind im diagnostischen Kontext relevant (für eine Übersicht siehe Kasten zu den Rechtsgrundlagen). Psycholog*innen unterliegen grundsätzlich der Schweigepflicht (§ 203 StGB) im Rahmen der Ausübung ihrer Berufstätigkeit. Diagnostisch Tätige sind nach der Berufsordnung des BDP verpflichtet, Klient*innen darauf aufmerksam zu machen, wo die Schweigepflicht an Grenzen stößt. Psychotherapeut*innen (aber nicht Psycholog*innen als solche) haben das Zeugnisverweigerungsrecht (§ 53 Abs. 1 Nr. 3 StPO), d. h., sie sind in strafrechtlichen Prozessen berechtigt, die Aussage zu verweigern »über das, was ihnen in dieser Eigenschaft anvertraut worden oder bekannt geworden ist«. Im Umgang mit Testergebnissen unterliegen diagnostisch Tätige ebenfalls der Pflicht zur Verschwiegenheit und den Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO). Demnach müssen diagnostische Daten vor unbefugtem Zugriff geschützt werden. Bei der Aufnahme, Speicherung und Weitergabe von Daten ist in der Regel das informierte Einverständnis der getesteten Person oder ihrer gesetzlichen Vertreter*innen einzuholen. Die getestete Person hat in der Regel das Recht, in die Ergebnisse Einsicht zu nehmen, sofern kein gesundheitlicher Schaden zu befürchten ist und die Auftraggebenden einwilligen. Ist Einsichtnahme laut der Auftraggebenden nicht vorgesehen, müssen die Testpersonen vor der Testung bzw. Begutachtung darüber informiert werden. Schließlich gilt, dass unter urheberrechtlichen Gesichtspunkten nur Originalmaterialien zur Diagnostik verwendet werden dürfen – nicht genehmigte Kopien sind untersagt.

Sofern Psycholog*innen im Bereich der Verkehrspsychologie diagnostisch tätig sind, unterliegen sie der Fahrerlaubnisverordnung (FEV). Für die verkehrspsychologische Beratung werden nur solche Personen anerkannt, die von der Sektion Verkehrspsychologie des BDP bestätigt wurden, d. h. die z. B. ein Psychologiestudium und zusätzlich eine verkehrspsychologische, berufsbegleitende Weiterbildung vorweisen können. Diese Anerkennung kann zurückgenommen werden, wenn die Beratenden selbst gegen verkehrsrechtliche Vorschriften verstoßen.

Für den klinisch-psychologischen Bereich ist das seit 1999 existierende und 2020 novellierte Psychotherapeutengesetz (PsychThG) besonders relevant. Nach dem PsychThG ist die Berufsbezeichnung Psychotherapeutbzw. Psychotherapeutin gesetzlich geschützt. Welche Besonderheiten für Psycholog*innen damit einhergehen, ist im folgenden Kasten zu finden.

Gesetz über den Beruf der Psychotherapeutin und des Psychotherapeuten (PsychThG) in der Neufassung von 2020

Das Gesetz regelt die Voraussetzungen zur Ausübung des Berufes des*der Psychotherapeut*in. Nur Studierende, die einen Bachelor of Science mit vertieften psychotherapeutischen Inhalten und einen Master of Science mit Schwerpunkt Psychotherapie absolviert haben, können nach dem Studium die Approbationsprüfung ablegen. Bei der Approbationsprüfung handelt es sich um eine staatliche Prüfung. Für den Zugang zum Versorgungssystem der gesetzlichen Krankenversicherung ist eine anschließende verfahrensspezifische Weiterbildung zum*zur Fachpsychotherapeut*in notwendig. Diese soll eine Dauer von 5 Jahren umfassen (Stand 2021). Dafür müssen sich Auszubildende nach aktuellem Stand für eine der vier Therapiespezialisierungen entscheiden: Verhaltenstherapie, Analytische Psychotherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie oder Systemische Therapie. Das Psychotherapeutengesetz ist allein für psychotherapeutische Behandlungen bei Störungen mit Krankheitswert gültig. Beratungen und ähnliche Fragestellungen ohne Krankheitswert fallen nicht unter das Psychotherapeutengesetz.

Zusammenfassung

Menschen streben danach, sich selbst besser zu verstehen, ihre soziale Umwelt genauer einschätzen zu können und mit ihren Mitmenschen zurechtzukommen. Das betrifft vor allem alltagspsychologische Fragen der Diagnostik. Internetseiten und Boulevardzeitschriften suggerieren aber oft eine falsche Vorstellung von dem, was das Gebiet der Diagnostik umfasst. Verbreitet sind sogenannte »Selbsttests«, die weder wissenschaftlich fundiert sind noch wissenschaftlich angewendet werden. Davon abzugrenzen ist die psychologische Diagnostik, die als eine wissenschaftliche Disziplin neben der Durchführung von empirisch überprüften Testverfahren auch die Planung einer Untersuchung, deren Auswertung und die anschließende Interpretation der Ergebnisse umfasst. Bei dieser Aktivität unterliegen die diagnostisch Tätigen ethischen und rechtlichen Rahmenbedingungen. Die psychologische Diagnostik hat ihren Ursprung in der medizinisch verankerten Psychiatrie. Nachdem das medizinische Krankheitsmodell die Diagnostik psychischer Phänomene lange Zeit dominiert hat, sind heute multifaktorielle interaktionistische Modelle der Entstehung psychischer Störungen unter Beachtung genetischer, neurobiologischer, psychologischer und sozialer Faktoren weit akzeptiert. Eine weitere Wurzel der psychologischen Diagnostik ist die Experimentelle Psychologie, auf die vor allem methodische Aspekte wie Standardisierung oder Gütekriterien zur Beurteilung von diagnostischen Verfahren zurückgehen. Die Differentielle- und Persönlichkeitspsychologie sind insofern mit der diagnostischen Psychologie verknüpft, als die Diagnostik Verfahren zur Erfassung der Besonderheiten von Individuen und Gruppen – dem Hauptuntersuchungsgegenstand der Differentiellen- und Persönlichkeitspsychologie – bereitstellt. Um die Qualität diagnostischer Arbeit zu sichern, wurden u. a. einheitliche Testbeurteilungssysteme entwickelt. Im Bereich der Eignungsdiagnostik regelt inzwischen die DIN 33430 Standards für fachlich kompetentes Handeln. In der Klinischen Psychologie gewährleistet der Einsatz von Klassifikationssystemen (ICD-10 und DSM-5) einheitliche Kriterien des Diagnostizierens.

Literaturempfehlungen

Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. (2016). Berufsethische Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e. V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e. V. Verfügbar unter: https://www.bdp-verband.de/profession/ethik

Diagnostik- und Testkuratorium (Hrsg.). (2018a). Personalauswahl kompetent gestalten: Grundlagen und Praxis der Eignungsdiagnostik nach DIN 33430. Berlin: Springer.

Diagnostik- und Testkuratorium der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen (2019). Tests in Lehre und Forschung: Informationen zum Testschutz und zum Urheberrecht. Berlin: Autor.

Diagnostik- und Testkuratorium der Föderation Deutscher Psychologenvereinigungen. (2021). Stellungnahme zum Thema Einsicht in und Herausgabe von Testunterlagen. Berlin: Autor.

Jäger, R. S. & Petermann, F. (1999). Psychologische Diagnostik (4. Aufl., Kap. 1.1, 4). Weinheim: Beltz.

Joussen, J. (2004). Berufs- und Arbeitsrecht für Diplom-Psychologen. Göttingen: Hogrefe.

Vanecek, E. (2003). Geschichte der Psychologischen Diagnostik. In K. D. Kubinger & R. S. Jäger (Hrsg.), Schlüsselbegriffe der Psychologischen Diagnostik (S. 175–181). Weinheim: Beltz.

Fragen zur Selbstüberprüfung

1.  Was ist problematisch an pseudo-psychologischen Tests, die über das Internet oder in Boulevardzeitschriften angeboten werden?

2.  Was versteht man unter psychologischer Diagnostik?

3.  Wodurch grenzt sich psychologische Diagnostik von vorwissenschaftlicher Diagnostik ab?

4.  Wie versucht man, die Qualität psychologischer Diagnostik zu sichern?

5.  Was versteht man unter dem Kontinuum-Modell psychischer Störungen?

6.  Was ist ein Cut-Off-Wert?

7.  Wie unterscheiden sich die Klassifikationssysteme ICD und DSM?

8.  Auf welche rechtlichen Vorschriften müssen Diagnostiker*innen bei ihrer Arbeit achten?

1    »Der Begriff ›Test‹ hat in der Psychologie und erst recht in der nicht psychologischen Öffentlichkeit eine sehr weit gefasste Bedeutung: Er wird praktisch für alle psychologisch-diagnostischen Verfahren, die beim psychologischen Diagnostizieren eingesetzt werden, benutzt. Obwohl ein psychologischer Test im engeren Sinne nur eine besondere Untergruppe solcher psychologisch-diagnostischer Verfahren darstellt, soll die Bezeichnung ›Test‹ im vorliegenden Zusammenhang als Oberbegriff gelten: Damit sind messtheoretisch fundierte Fragebogen (z. B. Persönlichkeitsfragebogen, Interessenfragebogen) und messtheoretisch fundierte Tests (z. B. Intelligenz- und Wissenstests) gemeint« (Diagnostik- und Testkuratorium, 2018b, S. 109).

2         Der diagnostische Prozess und diagnostische Strategien

Wie bereits im vorigen Kapitel angesprochen, umfasst psychologische Diagnostik nicht nur das Durchführen von Tests, sondern auch komplexe und wissenschaftlich begründbare Entscheidungsvorgänge. Im Prozess psychologischer Diagnostik wird stufenweise und systematisch vorgegangen, um eine eventuell vorliegende Problematik oder ein Merkmal umfassend und zunehmend konkreter erfassen zu können. Der Prozess psychologischer Diagnostik ist in Abbildung 2.1 im Überblick dargestellt (Abb. 2.1).

Im ersten Schritt des diagnostischen Prozesses steht die Fragestellung, d. h. ein*e Auftraggeber*in (z. B. Eltern, Arbeitgeber*in, Staatsanwaltschaft etc.) wendet sich mit einer Frage an eine Diagnostikerin. Zumeist entsprechen die von fachfremden Auftraggebenden formulierten Fragen nicht psychologisch untersuchbaren Termini, sondern sind sehr breit angelegt. Hier ist es zunächst nötig, die Fragen einzugrenzen, zu präzisieren und in psychologische Fachtermini zu übersetzen. Darauf folgend werden Hypothesen über die Persönlichkeit, Fähigkeiten oder Verhaltensweisen der zu untersuchenden Person entwickelt. Dabei wird das vom Auftraggebenden vorgegebene Ziel mit den über die Person vorliegenden Informationen integriert. Beispielsweise stellt sich im Rahmen einer Eignungsuntersuchung die Frage, ob die zu untersuchende Person den gestellten beruflichen Anforderungen entspricht. Bei einer schulpsychologischen Beratung geht es wiederum darum, festzustellen, ob Schulschwierigkeiten auf vermutete Aufmerksamkeitsdefizite zurückgehen (Kap. 11.1.2). Neben Personenmerkmalen können auch Merkmale von Situationen, Personengruppen oder Institutionen der Gegenstand der diagnostischen Frage sein. Um derartige Hypothesen zu prüfen, müssen die theoretischen Konstrukte der Fragestellung in messbare Variablen überführt, also operationalisiert werden (siehe folgende Erklärung).

Abb. 2.1:   Ablauf des diagnostischen Prozesses

Erklärung

Die Psychologie beschäftigt sich mit dem Erleben und Verhalten von Menschen. Viele zu untersuchende Merkmale sind jedoch nicht unmittelbar beobachtbar und somit auch nicht direkt erfassbar (z. B. Selbstwertschätzung, Intelligenz). Sie werden als Konstrukte bezeichnet. Die ihnen zugeordneten Namen dienen der Kommunikation (insbesondere innerhalb der wissenschaftlichen Gemeinschaft – z. B. »Wir haben Intelligenz erfasst.«). Die nicht direkt beobachtbaren Merkmale müssen aus anderen Variablen erschlossen werden. Zum Beispiel wird aus sichtbaren Verhaltensweisen (z. B. Antworten im Intelligenztest) auf das zugrundeliegende Merkmal (Intelligenz) geschlossen. Diesen Prozess nennt man Operationalisierung. Anders ausgedrückt ist eine Operationalisierung die Übertragung von theoretischen Konstrukten (z. B. Intelligenz) in messbare Variablen (z. B. einen Intelligenztest).

Nun können die Untersuchung geplant und geeignete diagnostische Verfahren ausgewählt bzw. bereitgestellt werden. Es ist wichtig, die Testung (Datensammlung) unter standardisierten und somit kontrollierten Bedingungen durchzuführen – nur so sind die Ergebnisse verschiedener Personen vergleichbar. Um den Testwert einer Person interpretieren zu können, sollte im Handbuch eines Tests eine systematische Aufstellung der Testwerte von Vergleichspersonen angegeben sein. So kann z. B. festgestellt werden, ob ein Kind in Bezug auf seine Altersgruppe unterdurchschnittliche Ergebnisse erzielte (Kap. 2.2 zur normorientierten Diagnostik). Um Störeinflüsse zu minimieren, werden Instruktionen in standardisierter Weise gegeben. Außerdem sollte eine vertrauensvolle Atmosphäre geschaffen werden, in der die Testperson ungestört nachdenken, offen über sich berichten und den Leistungsanforderungen nachkommen kann. Im vorletzten Schritt des diagnostischen Prozesses erfolgt die Auswertung und Integration der Daten sowie ihre Interpretation. Die Datenintegration erfordert es, aus einer Fülle von Einzelinformationen zu einem komplexen Urteil zu gelangen. Die Urteilsbildung kann in klinischer oder statistischer Weise erfolgen. Eine Erklärung dieser beiden Strategien findet sich in Kapitel 10.1 (Kap. 10.1).

Die Dateninterpretation ist insofern von gewisser Subjektivität geprägt, als sie von dem theoretischen Hintergrund und der Ausbildung der Diagnostikerin abhängt. Eine Kollegin hätte die gleichen Daten unter Umständen anders interpretiert. Im letzten Schritt übersetzt die Diagnostikerin schließlich ihre Einschätzung in eine für die Auftraggebenden verständliche Sprache, um so die Ausgangsfrage zu beantworten. Diese Stellungnahme wird den Auftraggebenden häufig mündlich oder in Form eines schriftlichen Gutachtens mitgeteilt (Kap. 10.2). Hier ist zu betonen, dass die Schlussfolgerungen der Diagnostikerin den Auftraggebenden nachvollziehbar darzulegen sind.

2.1        Diagnostische Strategien

Nachdem wir den grundlegenden Ablauf des diagnostischen Prozesses dargestellt haben, wollen wir diesen nun etwas differenzierter betrachten. Im diagnostischen Prozess spielen unterschiedliche Strategien eine Rolle, die je nach Problemstellung und Rahmenbedingungen von einer Diagnostikerin verfolgt werden.

Nach Cronbach und Gleser (1965) lässt sich grob zunächst institutionelleDiagnostik von individueller Diagnostik unterscheiden. Erstere hat vor allem im Bereich der Arbeits-, Betriebs- und Organisationspsychologie sowie der Pädagogischen Psychologie ihren Platz. Institutionelle Diagnostik beruht meist auf sich regelmäßig wiederholenden Fragestellungen, die vor allem in Institutionen oder Organisationen vorkommen (z. B. stellt sich in einer Firma jährlich die Frage, welches die geeignetsten Bewerber*innen für die zur Verfügung stehenden Ausbildungsplätze sind). Im Rahmen der institutionellen Diagnostik stehen häufig sogenannte Selektionsstrategien im Vordergrund, d. h. Personen werden aufgrund bestimmter Eigenschaften akzeptiert oder abgelehnt – eine typische Aufgabe der Personalauswahl. Steht eine Personenselektion an, dann wird z. B. für einen Arbeitsplatz nach der optimalen Person gesucht. Wenn die Tätigkeit beispielsweise viele eigenständige Entscheidungen umfasst, suchen Arbeitgeber*innen explizit nach denjenigen Anwärter*innen, die mit einem großen Entscheidungsspielraum gut umgehen können. Neben Personen können im Rahmen einer Selektionsstrategie aber auch Bedingungen selektiert werden (Bedingungsselektion). Hier widmet man sich der Frage, welche von mehreren Bedingungen für eine konkrete Person optimal geeignet ist. Zum Beispiel wird im Rahmen der Feststellung von Sonderschulbedürftigkeit eine Entscheidung darüber gefällt, ob der Besuch der Regelschule oder einer sonderpädagogischen Schuleinrichtung für ein Kind empfehlenswert ist.

Die individuelleDiagnostik kommt vor allem in der Klinischen Psychologie, aber auch in der Schulpsychologie und Erziehungsberatung vor, wenn sich ein Individuum Rat bei diagnostisch Tätigen holen will. Im Vordergrund der Diagnostik steht die Orientierung am individuellen Nutzen (wohingegen im Rahmen der institutionellen Diagnostik der Nutzen für die Organisation im Vordergrund steht). Sie ist meist auf sehr spezifische und häufig wechselnde Problemstellungen gerichtet. Dabei handelt es sich häufig um Modifikationsstrategien: Verhalten wird hier als erlernt und prinzipiell veränderbar angesehen. Ziel der Modifikationsdiagnostik ist es, Veränderungen von Verhaltensweisen oder äußeren Bedingungen herbeizuführen oder zu überprüfen, inwieweit solche Veränderungen bereits stattgefunden haben. Bei einer sonderpädagogischen Untersuchung einer Schülerin besteht beispielsweise das Ziel darin, die persönlichen Umstände zu identifizieren, die zu bestimmten Verhaltensauffälligkeiten geführt haben, und auf dieser Basis Programme zur Reduktion der Probleme zu entwerfen (Verhaltensmodifikation). In anderen Fällen müssen Bedingungen modifiziert werden (Bedingungsmodifikation), z. B. ist es hilfreich, die Lernumgebung (wie Schule, Kinderzimmer etc.) von Kindern mit einer Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) zu strukturieren, um sie von der Fülle an einströmenden Reizen zu entlasten. Bei der neuropsychologischen Diagnostik wiederum kann es neben der Beschreibung einer neuropsychologischen Störung auch Ziel sein, Empfehlungen darüber zu formulieren, wie die berufliche Umgebung eines*einer Patient*in modifiziert werden kann, damit diese*r nach Wiedereingliederung erfolgreich den Beruf fortführen kann (Kap. 11.2).

Die hier vorgestellte Unterscheidung institutioneller und individueller Diagnostik sowie die damit verbundenen diagnostischen Strategien stellen eine starke Vereinfachung dar. In der Praxis wird häufig eine Mischstrategie gewählt, in der sowohl Selektion als auch Modifikation eine Rolle spielen. Zum Beispiel werden bei der Schuleignungsdiagnostik zunächst diejenigen Kinder aufgenommen, die aufgrund ihres persönlichen und sozialen Entwicklungsstandes eingeschult werden können. Kinder mit bestimmten Defiziten werden dann im Sinne einer Modifikationsstrategie gezielt unterstützt. Einen Überblick über diagnostische Strategien vermittelt Abbildung 2.2 (Abb. 2.2).

Abb. 2.2:   Diagnostische Strategien

2.2        Diskussion einzelner Zielsetzungen

Wenn Auftraggebende ihr Anliegen an die Diagnostikerin herantragen, muss sie die von ihnen genannten Ziele präzisieren. Zum Beispiel muss sie entscheiden, ob es genügt, den aktuellen Zustand einer Person zu diagnostizieren, oder ob sie die Person im zeitlichen Verlauf betrachten soll, was mehrere Messzeitpunkte erforderlich macht. Diese Überlegungen beziehen sich darauf, welche diagnostische Vorgehensweise am besten für das zu erreichende Ziel geeignet ist. Pawlik (1976b) unterschied als Erster die folgenden grundlegenden Vorgehensweisen: Status- und Prozessdiagnostik, norm- und kriterienorientierte Diagnostik, Testen und Inventarisieren sowie Diagnostik als Messung und Diagnostik als Information für Behandlung. Diese Zielsetzungen werden wir im Folgenden näher behandeln.

Status- und Prozessdiagnostik

Strebt die Diagnostikerin Aussagen über einen aktuellen Ist-Zustand an, dann bezeichnet man dies als Statusdiagnostik. Sind hingegen Aussagen über Veränderungen bei Personen bzw. Institutionen gefragt, dann handelt es sich um eine Prozessdiagnostik