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In der heutigen Psychiatrie stellt die Psychotherapie einen Hauptpfeiler der Therapie dar. Es gilt, ausgehend von den zahlreichen Therapiemethoden und Techniken eine auf die individuellen Patientenbedürfnisse angepasste Psychotherapie anzubieten, die die Komplexität der Erkrankung, Stärken und Schwächen im Funktionsniveau sowie den sozialen Kontext berücksichtigt. Das vorliegende Lehrbuch bietet Ärzten und Psychologen eine systematische Grundlage für die psychotherapeutische Tätigkeit in der Psychiatrie. Es vermittelt einerseits psychotherapeutische Kernkompetenzen für das Fach Psychiatrie und andererseits störungsorientierte Behandlungsmethoden für die wesentlichen psychischen Störungen und setzt diese in Bezug zu den Richtlinienverfahren und wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweisen. Dabei werden typische Kontexte der psychiatrischen Versorgung von der ambulanten Behandlung bis zur stationären Notfallversorgung inklusive der Wechselwirkungen von Psycho- und Pharmakotherapie berücksichtigt.
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Seitenzahl: 658
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In der heutigen Psychiatrie stellt die Psychotherapie einen Hauptpfeiler der Therapie dar. Es gilt, ausgehend von den zahlreichen Therapiemethoden und Techniken eine auf die individuellen Patientenbedürfnisse angepasste Psychotherapie anzubieten, die die Komplexität der Erkrankung, Stärken und Schwächen im Funktionsniveau sowie den sozialen Kontext berücksichtigt. Das vorliegende Lehrbuch bietet Ärzten und Psychologen eine systematische Grundlage für die psychotherapeutische Tätigkeit in der Psychiatrie. Es vermittelt einerseits psychotherapeutische Kernkompetenzen für das Fach Psychiatrie und andererseits störungsorientierte Behandlungsmethoden für die wesentlichen psychischen Störungen und setzt diese in Bezug zu den Richtlinienverfahren und wissenschaftlichen Wirksamkeitsnachweisen. Dabei werden typische Kontexte der psychiatrischen Versorgung von der ambulanten Behandlung bis zur stationären Notfallversorgung inklusive der Wechselwirkungen von Psycho- und Pharmakotherapie berücksichtigt.
Prof. Dr. Sabine C. Herpertz, Beisitzerin Psychotherapie im DGPPN-Vorstand, leitet die Klinik für Allgemeine Psychiatrie an der Universität Heidelberg. PD Dr. Knut Schnell ist dort leitender Oberarzt und leitet die Arbeitsgruppe translationale psychiatrische Therapieforschung. Prof. Dr. Peter Falkai, Präsident der DGPPN, leitet die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Ludwig-Maximilians-Universität München.
Sabine C. Herpertz Knut Schnell Peter Falkai (Hrsg.)
Psychotherapie in der Psychiatrie
Störungsorientiertes Basiswissen für die Praxis
Verlag W. Kohlhammer
Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.
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1. Auflage 2013 Alle Rechte vorbehalten © 2013 W. Kohlhammer GmbH Stuttgart Umschlag: Gestaltungskonzept Peter Horlacher Gesamtherstellung: W. Kohlhammer Druckerei GmbH + Co. KG, Stuttgart Printed in Germany
Print: 978-3-17-021983-0
E-Book-Formate
pdf:
978-3-17-023570-0
epub:
978-3-17-027494-5
mobi:
978-3-17-027495-2
Vorwort
Verzeichnis der Herausgeber und Autoren
1 EinführungSabine C. Herpertz, Knut Schnell und Peter Falkai
2 Allgemeine Grundlagen und BasiskompetenzenKnut Schnell und Sabine C. Herpertz
3 Akute DepressionenHeide Hecht, Dietrich van Calker und Mathias Berger
4 Chronische DepressionenKnut Schnell und Sabine C. Herpertz
5 Bipolare StörungenMichael Bauer, Rita Bauer, Andrea Pfennig und Thomas D. Meyer
6 SchizophrenieStefan Klingberg und Andreas Wittorf
7 AngststörungenBorwin Bandelow, Sebastian Rudolf, Markus Reitt und Dirk Wedekind
8 Posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD)Harald J. Freyberger und Philipp Kuwert
9 ZwangsstörungenJan Terock, Deborah Janowitz, Bartosz Zurowski und Fritz Hohagen
10 Borderline-PersönlichkeitsstörungSabine C. Herpertz und Burkhard Matzke
11 EssstörungenUlrich Schweiger und Valerija Sipos
12 Demenzielle ErkrankungenBarbara Romero und Rainer Zerfaß
Stichwortverzeichnis
Dieses Lehrbuch für Psychotherapie wendet sich an Ärzte und psychologische Psychotherapeuten, die in psychiatrischen Kliniken, Tageskliniken und Praxen tätig sind. Hier sind sie verantwortlich für Menschen, die aufgrund der Schwere und Akutizität ihrer Erkrankung schneller psychotherapeutischer Hilfe, nicht selten beginnend in Notfallsituationen, bedürfen.
Wie in der Psychotherapie allgemein haben sich auch im psychiatrisch-psychotherapeutischen Alltag störungsspezifische Methoden als erfolgversprechend und hilfreich erwiesen. Es entspricht den Anforderungen an eine evidenz-basierte Medizin, dass die Wirksamkeit der eingesetzten Methoden nachgewiesen ist, dies allerdings gewöhnlich in randomisiert-kontrollierten Studien in hochselektierten Patientenpopulationen unter sorgfältig geplanten Therapiebedingungen. Aufgrund der Charakteristika und Besonderheiten des psychiatrischen Behandlungskontextes bedürfen diese Methoden der Anpassung an besondere Patientenbedürfnisse, die zum Beispiel im Zusammenhang mit einer verbreiteten psychischen und somatischen Komorbidität stehen. Auch müssen das technische Vorgehen abhängig vom Funktionsniveau des individuellen Patienten modifiziert und flexibel eingesetzt werden und das psychotherapeutische Vorgehen in seinen Auswirkungen auf andere Interventionen in einem Gesamtbehandlungsplan reflektiert und dem Kontext des Behandlungssettings (ob stationär, tagesklinisch oder ambulant) angepasst werden.
Entsprechend seines Untertitels »Störungsorientiertes Basiswissen für die Praxis« zielt dieses Lehrbuch weniger auf die Vermittlung von theoretischem Detailwissen ab, sondern orientiert sich daran, was (bereits praktizierende und zukünftige, sich noch in Weiter- bzw. Ausbildung befindende) Ärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und psychologische Psychotherapeuten an Wissen und Kompetenzen in ihrem Versorgungsalltag benötigen. Besondere Sorgfalt wird dabei auf die Gestaltung der therapeutischen Beziehung gelegt, kommt ihr doch die Bedeutung des wichtigsten allgemeinen Wirkfaktors zu, ohne dass sie aber in den meisten störungsspezifischen Manualen explizit reflektiert und in ihrem Vorgehen angeleitet wird.
In diesem Lehrbuch wählen die Herausgeber ein anderes didaktisches Vorgehen als in anderen vergleichbaren Werken. Ausgehend von den Störungstheorien und den verfahrensbezogenen Behandlungstheorien stellen sie zunächst die Breite der bei diesem Krankheitsbild zur Anwendung kommenden Techniken in ihrer konkreten Ausführung und unter Zuhilfenahme von Fallbeispielen dar. Es folgen Darstellungen zu den unterschiedlichen störungsspezifischen Methoden, in denen diese Techniken Anwendung finden. In einem dritten Schritt werden diese Methoden dann aus der Perspektive der Richtlinienverfahren von Kognitiver Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologischer Psychotherapie und Psychoanalyse konzeptuell betrachtet und in ihren Überschneidungen und Unterschieden aufgeschlüsselt. Dabei zeigen im psychiatrischen Kontext anwendbare Techniken und Methoden in ihrer Mehrzahl eine stärkere Nähe zur kognitiven Verhaltenstherapie, in vielen Indikationen stehen aber auch validierte tiefenpsychologische Methoden zur Verfügung.
Diese Konzeption des Buches macht es nutzbar für eine von der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN) favorisierte Weiterbildung in Psychiatrie und Psychotherapie, die modular und schulenübergreifend aufgebaut ist und mit der Vermittlung von Basiskompetenzen und damit grundlegenden, früh zu erwerbenden therapeutischen Fähigkeiten und Fertigkeiten (v. a. zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung) beginnt, um darauf aufbauend breite und sichere Kompetenz in Techniken zu vermitteln, die auf Veränderung von Erleben und Verhalten zielen. Hiermit soll die Vermittlung von theoretischem und praktischem Wissen der Psychotherapie noch stärker in der Weiterbildung verankert werden und sich in einem Curriculum niederschlagen, das auf dem Grundsatz aufbaut, dass die Therapie von psychisch Kranken immer somatische und psychotherapeutische Aspekte umfasst. Die Vermittlung praktischen Wissens wird begleitet von der systematischen Weiterbildung in den psychologischen Grundlagen normalen Erlebens, den psychopathologischen Veränderungen im Rahmen psychischer Erkrankungen sowie den Theorien der »großen« psychotherapeutischen Schulen.
Nach einem einführenden Kapitel in die aktuelle Versorgungssituation psychisch kranker Menschen in Deutschland und den besonderen Behandlungsbedingungen psychiatrischer Patienten, mit denen Patienten in psychiatrischen Kliniken und Praxen vorstellig werden, ist den häufigsten Erkrankungen jeweils ein Kapitel gewidmet. Hier finden neben den Erkrankungen, die traditionell mit hohem psychotherapeutischem Behandlungsbedarf assoziiert werden – also den Akuten und Chronischen Depressionen, den Angst- und Zwangsstörungen, den Posttraumatischen Belastungsstörungen, den Borderline-Persönlichkeitsstörungen und Essstörungen – auch solche ausführlich Berücksichtigung, die bis heute durch das psychotherapeutische Versorgungsnetz häufig durchfallen, nämlich die Schizophrenien, die Bipolaren Störungen und auch die Demenzen, wenn auch die Interventionen beim letzteren Störungsbild nicht durchgehend den Charakter von Psychotherapie erfüllen, sondern ebenso neuropsychologische Trainings und psychosoziale Maßnahmen beinhalten. Ein weiteres Kapitel zu den Suchterkrankungen war geplant, konnte aber in dieser Auflage (noch) nicht realisiert werden.
Dieses Lehrbuch ermöglicht dem Leser ein störungsorientiertes psychotherapeutisches Handeln, indem es störungsspezifisches Wissen vor dem Hintergrund individueller Patientenbedürfnisse und Unterschieden in Kontextbedingungen reflektiert und modifiziert und eingedenk wichtiger anderer Wirkfaktoren, wie sie von der Allgemeinen Psychotherapie herausgearbeitet wurden, einsetzt. Es ermöglicht psychiatrisch tätigen Ärzten und psychologischen Psychotherapeuten den flexiblen Einsatz eines breiten Repertoires an psychotherapeutischen Techniken und ermutigt sie zu einem schulen- und methodenintegrativen Vorgehen.
All denjenigen, die zum Gelingen dieses Werkes beigetragen haben, gilt unser großer Dank. Hier sind an erster Stelle die Autorinnen und Autoren zu nennen, die bereit waren, ihre psychotherapeutische Expertise für das jeweilige Krankheitsbild in den neuen konzeptuellen Rahmen dieses Buches zu setzen und sich damit vom üblichen Denkmodell »von den Verfahren über die Methoden zu den Techniken« zu lösen und »das Pferd einmal von hinten, nämlich den Techniken aufzuzäumen«. Ihre Offenheit hat es möglich gemacht, über alle Kapitel hinweg einheitliche Stilelemente zu wählen, so z.B. schematische Zeichnungen zur Charakterisierung der Art der therapeutischen Beziehung in der jeweiligen Methode oder auch eine durch alle Kapitel durchlaufende Abbildungsform, die die Techniken, Methoden und Verfahren bezogen auf die jeweilige Diagnose zusammenführt. Ganz besonders herzlichen Dank gilt Ruprecht Poensgen vom Kohlhammer-Verlag, der die Entstehung dieses Buches mit vielen Ideen und Anregungen, aber auch Geduld und hohem Einsatz begleitet hat.
Heidelberg und München, im August 2012
Sabine C. Herpertz
Knut Schnell
Peter Falkai
Sabine C. Herpertz, Prof. Dr. med.
Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Voßstr. 2,
69115 Heidelberg
Knut Schnell, PD Dr. med.
Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Voßstr. 2,
69115 Heidelberg
Peter Falkai, Prof. Dr. med.
Klinikum der Universität München, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie,
Nußbaumstr. 7, 80336 München
Borwin Bandelow, Prof. Dr. med. Dipl.-Psych., komm. Leiter
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen, von-Siebold-
Str. 5, 37075 Göttingen
Michael Bauer, Prof. Dr. rer. nat. Dr. med. Dipl.-Biol.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Fetscherstr. 74,
01307 Dresden
Rita Bauer, Dipl.-Psych. Dipl.-Theol.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik der Universität Regensburg am Bezirksklinikum, Universitätsstr. 84, 93053 Regensburg
Mathias Berger, Prof. Dr. med.
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Hauptstr. 5, 79104 Freiburg
Dietrich van Calker, Prof. Dr. rer. nat. Dr. med.
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychosomatik der Universität Freiburg, Abteilung für Psychiatrie und Psychotherapie, Hauptstr. 5, 79104 Freiburg
Harald J. Freyberger, Prof. Dr. med.
Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ellernholzstr. 1 – 2, 17475 Greifswald
Heidemarie Hecht, Dr. phil. Dipl.-Psych.
Universitätsklinikum Freiburg, Abteilung Psychiatrie und Psychotherapie, Hauptstr. 5, 79104 Freiburg
Fritz Hohagen, Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Deborah Janowitz, Dr. med.
Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Ferdinand-Sauerbruch-Str., 17475 Greifswald
Stefan Klingberg, Prof. Dr. med.
Universitätsklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Calwer Str. 14, 72076 Tübingen
Phillipp Kuwert, PD Dr. med.
Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ellernholzstr. 1 – 2, 17475 Greifswald
Burkhardt Matzke
Klinik für Allgemeine Psychiatrie, Zentrum für Psychosoziale Medizin, Universitätsklinikum Heidelberg, Voßstr. 2, 69115 Heidelberg
Thomas D. Meyer, PD Dr., Dipl. Psych.
Dept. Clin. Psych. Newcastle Univ. 4th Fl. Ridley Buildg, Newcastle upon Tyone – NE1 7RU UK
Andrea Pfennig, Prof. Dr. med., M.Sc.
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Universitätsklinikum Carl Gustav Carus an der Technischen Universität Dresden, Fetscherstr. 74, 01307 Dresden
Markus Reitt, Dipl.-Psych.
Universität Göttingen, Georg-Elias-Müller-
Institut für Psychologie, Gosslerstr. 14, 37073 Göttingen
Barbara Romero, Dr. med.
SET-Institut, Pfalzburgerstr. 10A, 10719 Berlin
Sebastian Rudolf, Dr. med.
Universitätsklinikum Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Ulrich Schweiger, Prof. Dr. med.
Universitätsklinikum Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Valerija Sipos, Dr. phil. Dipl.-Psych.
Universitätsklinikum Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Jan Terock
Universitätsklinikum Lübeck, Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ratze-burger Allee 160, 23538 Lübeck
Dirk Wedekind, PD Dr.
Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie der Universität Göttingen, von-Siebold-
Str. 5, 37075 Göttingen
Andreas Wittorf, PD Dr. rer. soc. Dipl.-Psych.
Universitätsklinik Psychiatrie und Psychotherapie, Osianderstr. 24, 72076 Tübingen
Rainer Zerfaß, Dr. med., Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie
SET-Institut, Pfalzburgerstr. 10A, 10719 Berlin
Bartosz Zurowski, Dr. med., Oberarzt
Universität zu Lübeck, Zentrum für Integrative Psychiatrie (ZiP), Ratzeburger Allee 160, 23538 Lübeck
Sabine C. Herpertz, Knut Schnell und Peter Falkai
Mit der zunehmenden Bedeutung psychischer Erkrankungen in Deutschland und Europa stellt sich sowohl für den einzelnen Betroffenen als auch für die Gesellschaft die Frage nach einer Optimierung der Behandlung. Nach den Ergebnissen des Bundes-Gesundheitssurveys (Jacobi et al. 2004 a, 2004 b) erkrankt etwa jeder dritte Erwachsene in Deutschland, vergleichbar mit internationalen Studien, im Laufe eines Jahres an einer psychischen Störung, das sind über 16 Millionen erwachsene Menschen zwischen 18 und 65 Jahren. Über 40 % der Arbeitsunfähigkeitstage gehen auf psychische Erkrankungen zurück. In 2010, so berichtete kürzlich die Techniker Krankenkasse, sind binnen eines Jahres Fehlzeiten durch psychische Erkrankungen erneut um fast 14 % gestiegen. Rückfallquoten im Sinne von Rehospitalisierungen bei mehr als ein Drittel aller Patienten mit rezidivierender depressiver Störung innerhalb eines Jahres (GEK Krankenhaus-Report 2011) lassen nach der Langzeitwirkung stationärer Behandlungen auf den Verlauf außerhalb der Klinik fragen. So machten psychische und psychosomatische Störungen im Jahr 2010 12,1 % des Gesamtkrankenstands aus und standen damit an vierter Stelle der großen Volkskrankheiten. Diese Entwicklungen werfen die Frage nach einer Optimierung psychiatrisch-psychotherapeutischer Behandlung auf, um den wachsenden Anforderungen gerecht zu werden und den Nachwuchs im Fach adäquat auf seine Aufgaben vorzubereiten.
Eine solche Vorbereitung auf die psychotherapeutischen Aufgaben in der Psychiatrie wird leider erheblich durch die Tatsache erschwert, dass die Zusammenhänge der vielfältigen psychotherapeutischen Interventionsmöglichkeiten nicht nur für den Berufsanfänger oft nur mit Mühe erkennbar sind. Die Darstellung in diesem Buch bietet daher zu jeder Störung eine strukturierte Übersicht, in welchem Zusammenhang die beschriebenen Psychotherapieverfahren, -methoden und -techniken stehen.
Die heute geltenden Richtlinien für psychotherapeutische Behandlungen wurden 1967 durch den Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen verabschiedet und in die kassenärztliche Versorgung eingeführt. Es waren im ersten Schritt die analytische Psychotherapie und die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie, die als sog. Richtlinienverfahren zum festen Bestandteil der medizinischen Versorgung wurden. 1987 kam die Verhaltenstherapie als weiteres Richtlinienverfahren hinzu. In den Psychotherapie-Richtlinien werden Verfahren, Methoden und Techniken definiert und beschrieben, die vom wissenschaftlichen Beirat Psychotherapie, einem gemeinsamen Gutachtergremium von Bundesärztekammer und Bundespsychotherapeutenkammer, nach genau festgelegten Kriterien und Verfahrensregeln auf ihre empirische Evidenz geprüft wurden und als Leistung i.R. der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) von approbierten und in einem der drei Richtlinienverfahren zugelassenen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten erbracht werden können. Die Psychotherapie-Richtlinien werden kontinuierlich im Gemeinsamen Bundesausschuss der Ärzte und Krankenkassen (g-BA) beraten und ergänzt.
Nach den Richtlinien des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie ist ein Psychotherapieverfahren gekennzeichnet durch eine umfassende Theorie (oder verschiedene Theorien mit gemeinsamen theoretischen Grundannahmen) der Entstehung und Aufrechterhaltung von Krankheiten und ihrer Behandlung und eine aus der Theorie abgeleiteten psychotherapeutischen Behandlungsstrategie bzw. mehrerer psychotherapeutischen Behandlungsmethoden für ein breites Spektrum von Anwendungsbereichen. Auch sollten auf die Theorie bezogene Konzepte zur Indikationsstellung, zur individuellen Behandlungsplanung und zur Gestaltung der therapeutischen Beziehung vorliegen.
Patienten, die sich durch komplexe Krankheitsbilder, psychische und somatische Komorbidität, akute Krise oder/und chronischen Verlauf oder eine schwierige psychosoziale Situation auszeichnen, werden vom Angebot der Richtlinienpsychotherapie häufig nicht erreicht. So geht aus dem Bericht der Kassenärztlichen Bundesvereinigung 2011 hervor, dass Patienten mit psychotischen und bipolaren Störungen selten im Rahmen der Richtlinienpsychotherapie behandelt werden. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass die Finanzierung einer Psychotherapie in einem Richtlinienverfahren ein mehrwöchiges Antragsverfahren und einen definierten zeitlichen Rahmen voraussetzt und konzeptuell keine Einbindung in einen multimodalen Therapieansatz aus Psychotherapie, Psychopharmakotherapie und Soziotherapie vorsieht. Eine Kombinationsbehandlung mit medikamentöser Therapie und geeigneter Psychotherapie ist in der Psychiatrie aber häufig indiziert, denkt man z. B. an die S3-Praxisleitlinien Depression. Hiernach sollte bei schweren und rezidivierenden sowie chronischen Depressionen und Double Depression die Indikation zur Kombinationsbehandlung vorrangig vor einer alleinigen Psychotherapie oder Pharmakotherapie geprüft werden. Die besondere Bedeutung einer multimodalen Therapie wird auch durch Studienergebnisse gestärkt, die darauf verweisen, dass die Compliance bei einer medikamentösen Therapie höher ist, wenn zugleich auch eine Psychotherapie stattfindet. Schließlich liegt ein weiteres Problem der verfahrensbasierten Psychotherapien in ihrer ätiopathogenetischen Konzeption begründet. Für die verschiedenen psychischen Störungen werden uniforme kausale Krankheitsfaktoren angenommen und die Behandlungsfoki entsprechend gewählt. Ein solches Behandlungskonzept wird aber häufig der Lösung von Problemen nicht gerecht, die aus sehr komplexen, vernetzten, dynamischen und z. T. auch intransparenten Prozessen resultieren (Bohus et al. 2012).
Seit einigen Jahren werden in der psychiatrischen Psychotherapie neben den genannten verfahrensorientierten Psychotherapien sog. störungsspezifische psychotherapeutische Methoden favorisiert und für eine wachsende Anzahl psychischer Erkrankungen entwickelt. Eine Methode geht typischerweise von einem störungsspezifischen Ätiologiekonzept aus. Sie muss im Unterschied zum Verfahren für die Behandlung nur einer Störung geeignet sein und ist – entsprechend den Vorgaben des Wissenschaftlichen Beirates Psychotherapie – gekennzeichnet durch eine Theorie der Entstehung, der Aufrechterhaltung und Behandlung dieser Störung, definierten Indikationskriterien sowie der (häufig manualisierten) Beschreibung der Vorgehensweise. Vieler dieser störungsspezifischen manualisierten Psychotherapien integrieren Techniken, d. h. konkrete Vorgehensweisen, die ursprünglich unterschiedlichen Verfahren entstammen, schließen Interventionen zur Herstellung von Motivation oder ein gestuftes Vorgehen abhängig von der Akutizität der Situation des Patienten ein.
Störungsspezifische Methoden allerdings bedürfen vor allem bei schwerkranken Patienten Modifizierungen in Abhängigkeit von Patientenmerkmalen wie interaktionelle Kompetenz, kognitive und emotionale Fähigkeiten sowie Bewältigungsmöglichkeiten. Schließlich erfordert psychische und somatische Komorbidität eine Flexibilisierung störungsspezifischer Ansätze wie auch bei chronischen Erkrankungen über die Lebensspanne hinweg unterschiedliche Probleme oder psychopathologische Syndrome im Vordergrund stehen können und ein modifiziertes Vorgehen erfordern. Deshalb wird heute der Begriff der störungsorientierten Psychotherapie häufig vorgezogen (Herpertz, Caspar, Mundt 2008), der ein flexibleres Vorgehen nicht nur in Abhängigkeit vom Störungsbild sondern auch von individuellen Bedürfnissen des Patienten und unter Berücksichtigung von allgemeinen Wirkfaktoren vorsieht (Caspar et al. 2010). Eine solche störungsorientierte Psychotherapie integriert häufig Techniken unterschiedlicher Verfahren und wird in der stationären Psychotherapie an psychiatrischen Kliniken seit vielen Jahren praktiziert. Auch in der ambulanten Versorgung hat in der Behandlung des »typischen psychiatrischen Patienten« bereits eine ähnliche Entwicklung eingesetzt. Rund drei Viertel aller in internationalen Untersuchungen befragten Psychotherapeuten arbeiten bereits integrativ (Norcross und Goldfried 2005; Orlinsky und Rønnestad 2005). Auf der Basis des ihrer initialen Ausbildung gemäßen Psychotherapieverfahrens übernehmen Psychotherapeuten zunehmend Techniken aus anderen Behandlungsverfahren. Ergebnisse der Psychotherapieforschung (Orlinsky et al. 2006) verweisen auf durchaus positive Erfahrungen mit diesem Entwicklungsprozess, wenngleich die empirische Forschung erst am Anfang stehen dürfte. Ein störungsorientiertes Vorgehen hat in der klinischen Praxis der evidenzbasierten Medizin und Leitlinien ebenfalls Eingang gefunden, die eng mit der Forderung nach Integration individueller klinischer Expertise mit der besten, verfügbaren, externen Evidenz aus systematischer Forschung und Berücksichtigung der Patientenpräferenz verbunden ist. Dieses Buch soll daher durch eine einheitliche Strukturierung aller Kapitel und Übersichtsabbildungen gewissermaßen die Navigation zwischen verschiedenen psychotherapeutischen Methoden und Techniken in ihrem jeweiligen Störungsbezug ermöglichen und so gleichzeitig einen Überblick über ihre Gemeinsamkeiten und Unterschiede aufzeigen.
Die Beobachtung, dass unterschiedliche Therapieverfahren in vergleichenden Studien überraschend häufig mit ähnlichen Ergebnissen aufwarten (»Äquivalenzparadoxon«), führt zu der Frage, ob sich Psychotherapeuten zwar auf unterschiedliche Verfahren bzw. theoretische Konzepte beziehen und Techniken mit unterschiedlichen Namen anwenden, dabei jedoch die Bedeutung des Gemeinsamen bzw. »Unspezifischen« unterschätzen (Herpertz und Herpertz, im Druck). Zielführend könnte entsprechend der Empfehlung von Caspar et al. (2008) die Orientierung an Wirkfaktoren oder Wirkprinzipien sein, die bei der Auswahl geeigneter Techniken zu berücksichtigen sind. Grawe (1995) schlug folgende grundlegende Wirkfaktoren der Psychotherapie vor: Therapeutische Beziehung, Ressourcenaktivierung, Problemaktualisierung, motivationale Klärung und Problembewältigung. Dabei sollte in der Psychiatrie eine zunächst vorliegende eingeschränkte Psychotherapiemotivation nicht vorzeitig zum Schluss der »Therapieunfähigkeit« führen. Viele Patienten, die im psychiatrischen Versorgungssystem Hilfe suchen, verfügen vielmehr über ein wechselndes und z.T. auch nur geringes Funktionsniveau aufgrund eingeschränkter sozialer Fähigkeiten, Defiziten in der kognitiven Leistungsfähigkeit, nicht selten auch begleitenden körperlicher Erkrankungen oder auch eingeschränkter Erfahrung von Selbstwirksamkeit. Zu hohe Maßstäbe an die Therapiefähigkeit bewirken, dass nur ein Teil psychiatrischer Patienten psychotherapeutisch behandelt werden kann und zwar vor allem in Remissionsphasen, was nicht zuletzt die heute noch verbreitete Akutbehandlung ohne Psychotherapie zur Folge hatte. Vielmehr sollte beachtet werden, dass entsprechend des »Stages of Change«-Modell (Prochaska et al. 1994) Patienten, teils wiederholt, Stufen der Entwicklung von Veränderungsmotivation von »precontemplation« (es wird negiert, dass überhaupt ein Problem besteht) über »contemplation« und »preparation« zu »action« und schließlich »maintenance« durchlaufen. Deshalb muss die Entwicklung zur Veränderungsmotivation kontinuierlich reflektiert werden und beachtet werden, dass vor (neuen) konkreten Veränderungsschritten häufig die Motivation weiterentwickelt werden muss. Der im psychiatrischen Kontext Tätige braucht deshalb eine besondere Kompetenz, Patienten zu einer Psychotherapie zu motivieren bzw. in Psychotherapie zu halten, so dass der Gestaltung der therapeutischen Beziehung eine zentrale Bedeutung zukommt.
Die typischen Merkmale von Patienten in psychiatrischen Kliniken bzw. in fachärztlichen Praxen für Psychiatrie und Psychotherapie erfordern die Fokussierung auf eine besondere Expertise in der Behandlung. Zu diesen Merkmalen gehört die
Akutizität der Erkrankung einschließlich Notfallsituationen infolge von Suizidalität, seltener auch Fremdgefährdung,
hoher Schweregrad im Sinne von Krankheitssymptomen als auch psychiatrischer und somatischer Komorbidität,
niedriges Funktionsniveau im Alltag mit Einschränkung der beruflichen Leistungsfähigkeit und/oder niedriger zwischenmenschlicher Kompetenz, sowie
hoher Chronifizierungsgrad mit z.T. wechselnder Symptomatik.
Der hohe Schweregrad erfordert häufig eine multimodale Therapie, in der sich die Frage nach den Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Therapiesträngen stellt, wie Erschwerung von Selbstwirksamkeitserfahrungen in der Psychotherapie bei begleitender Psychopharmakotherapie, mögliche Beeinträchtigung von Antrieb und kognitiven Funktionen unter der Akutwirkung bestimmter Klassen von Psychopharmaka und schließlich Unterschiede in der therapeutischen Haltung. Es reicht deshalb nicht, Kompetenz in unterschiedlichen Therapieverfahren zu haben, vielmehr erfordern Kombinationstherapien die kontinuierliche Reflexion der Auswirkungen therapeutischen Handelns auf das Arbeitsbündnis, die therapeutische Beziehung sowie das Krankheitskonzept des Patienten. Schließlich müssen auch psychotherapeutische Angebote für solche Patienten vorliegen, die aufgrund existenzieller Nöte, geringer intellektueller Kapazität oder Angst vor Veränderung von üblichen psychotherapeutischen Vorgehensweisen nicht erreicht werden, aber am »Ende der Versorgungskette« angekommen sind.
Das Behandlungsangebot erfordert deshalb eine hohe Flexibilität, sowohl in der Art der Intervention, der Dosis und Dosisverteilung über die Zeit als auch des Settings. Zu berücksichtigen sind typische Verläufe von psychischen Erkrankungen (episodisch, chronisch, chronisch-progredient), ihre Interaktion mit altersabhängigen Entwicklungsaufgaben, Lebensereignissen und sozialem Kontext. Deshalb sind neben der Behandlung einer akuten Erkrankung immer auch Fragen der Stabilisierung und Rückfallprävention mit dem Patienten zu erörtern und wenn nötig anzubieten. Schwere Krankheitsverläufe, mangelndes Ansprechen auf Behandlung, akute Eigen- oder Fremdgefährdung als auch ein belastendes soziales Umfeld werfen die Frage nach der Notwendigkeit einer stationären oder teilstationären Behandlung auf. In jedem Fall müssen für Psychotherapien – auch in Notfallsituationen – Minimalkriterien erfüllt sein, die ein psychotherapeutisches Gespräch erst möglich machen, das per definitionem (vgl. Strotzka 1975) immer ein bewusster und geplanter interaktioneller Prozess ist, einen Konsens über die Behandlungsbedürftigkeit und die Zielsetzung voraussetzt und eine tragfähige, emotionale Beziehung in einem geeigneten Setting notwendig macht. Oft, aber nicht immer, geht Psychotherapie in der Psychiatrie mit einem definierten Anfang und einem ins Auge gefassten Ende einher; daneben gibt es auch jahrlange oder gar lebenslange niederfrequente Psychotherapien bei besonders schwerwiegenden und chronisch verlaufenden Erkrankungen. Mit Blick auf diese Komplexität der psychotherapeutischen Tätigkeit in der Psychiatrie werden in allen störungsspezifischen Kapiteln dieses Buches die notwendigen Anpassungen von Interventionen in verschiedenen Behandlungssettings des psychiatrischen Versorgungsalltags diskutiert.
Dieses Buch lädt Fachärztinnen und Fachärzte für Psychiatrie und Psychotherapie und solche, die es werden wollen, sowie andere ärztliche und psychologische Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten1, die in psychiatrischen Kliniken und Praxen tätig sind bzw. mit ihnen kooperieren, ein, eine vielleicht etwas unkonventionelle Perspektive zu wählen. So geht unser Buch nicht von der Theorie, sondern von den Interventionen aus, sucht nach ihrer spezifischen Ausformung in störungsorientierten Methoden, stellt Gemeinsamkeiten und Unterschiede im therapeutischen Vorgehen abhängig von Verfahren und Methode heraus, ohne aber die In-Beziehung-Setzung zu Krankheits- und Therapietheorien zu vernachlässigen. Hierzu werden in den einzelnen störungsbezogenen Kapiteln psychotherapeutische Interventionen im Rahmen einer Abbildung als schematischer Überblick mit den Ebenen Techniken, Methoden und Verfahren vorgestellt. Dies soll eine Einordnung der Interventionen in den Rahmen existierender psychotherapeutischer Theorien ermöglichen, nicht zuletzt um im Einzelfall den Bezug der Intervention zu den Richtlinienverfahren zu erleichtern (z.B. im Antragsverfahren). Zudem werden die jeweiligen Methoden in ihrer angestrebten Wirkung auf die Arzt(Therapeut)-Patient-Beziehung, die Kognitionen, das Verhalten und das soziale Umfeld des Patienten in einer alle Kapitel (abgesehen von der Demenz) durchlaufenden Abbildung zur Darstellung gebracht.
Mit diesem Buch wollen wir nicht eine neue psychotherapeutische Vorgehensweise proklamieren, vielmehr wird die Zielsetzung verfolgt, die Inhalte der Psychotherapie so auszuwählen und darzustellen, wie es für in psychiatrischen Kliniken und Praxen tätige Therapeuten angesichts ihrer »typischen« Patienten hilfreich ist.
1 Aus Gründen der besseren Lesbarkeit wird im Folgenden, wenn grundsätzlich beide Ge schlechter gemeint sind, auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet und ausschließlich die Kurzform (männlich) gewählt. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
Knut Schnell und Sabine C. Herpertz
Was verstehen wir eigentlich unter dem Begriff Psychotherapie? Man kann mit dieser Frage den Alltag der psychiatrischen Versorgung von Patienten mit psychischen Störungen betrachten bzw. sich fragen, in welchen Situationen psychotherapeutische Interventionen stattfinden. Dabei wird man Probleme haben zu bestimmen, welche Formen der Interaktion mit Patienten keine Effekte auf deren psychischen Zustand haben. Tatsächlich liegt der Schluss nahe, dass jeder Arzt-Patienten-Kontakt Effekte auf den psychischen Zustand des Patienten hat, sei es in positiver oder negativer Weise. Damit aus diesen Interaktionen Interventionen werden – d.h. geplante, indikationsbezogene Anwendungen psychotherapeutischer Techniken, die sich positiv auf den Zustand von Patienten auswirken, ist ein Basiswissen über die Effekte eigenen Verhaltens auf den psychischen Zustand des Patienten erforderlich. Dieses Wissen soll die Auswahl von Verhaltensweisen mit dem Ziel therapeutischer Wirkungen ermöglichen.
Dabei ist nicht in allen Fällen von Anfang an eine störungsspezifische Auswahl von Interventionen, wie sie in den folgenden Kapiteln dargestellt werden, möglich. Ein naheliegender Grund hierfür ist die Notwendigkeit, zunächst mit einer ausreichenden Sicherheit eine Diagnose zu stellen, was ggf. einige Tage mit entsprechender Diagnostik dauern kann. Ein wesentliches Argument für den Erwerb von Basiskompetenzen ist daher die Tatsache, dass symptom- bzw. syndromorientierte (Krisen-)Interventionen oft auch vor Stellung einer definitiven Diagnose – z.B. bei Behandlung von Notfällen – notwendig werden. Schließlich muss auch ein Notfallmediziner in der Lage sein, ohne definitive Diagnose die vitalen Körperfunktionen eines Patienten zu stabilisieren.
Als weiteres Argument für die Vermittlung psychotherapeutischer Basiskompetenzen ist anzuführen, dass zu Beginn der Weiterbildung zum Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie bzw. der Ausbildung zum Psychologischen Psychotherapeuten i.d.R. noch kein entsprechend differenziertes Methodenwissen bzw. keine Fertigkeiten existieren, um unmittelbar auf störungsspezifische Methoden zurückgreifen zu können. Unabhängig vom Ausbildungsstand wird die Auswahl von Interventionen auch durch weitere Faktoren erschwert. Zu nennen sind die Komorbidität verschiedener Störungen, die Interaktion mit körperlichen Erkrankungen und pharmakologischen Effekten.
Für den Erwerb psychotherapeutischer Basistechniken ist es sinnvoll, zunächst ein allgemeines Modell psychischer Störungen und der Wirkung psychotherapeutischer Interventionen zu kennen. Dieses Modell soll gleichzeitig den bio-psycho-sozialen Kontext der Entstehung und Behandlung psychischer Störungen beschreiben. Als Grundlage hierfür erscheint das von Klaus Grawe (2004) in seinem Buch Neuropsychotherapie dargestellte konsistenztheoretische Modell psychischen Geschehens geeignet. Als Basis der Entwicklung einer Allgemeinen Psychotherapie zielt es explizit darauf ab, psychische Störungen ebenso wie ihre Behandlung auf der biologischen Basis der Informationsverarbeitung im menschlichen Gehirn zu verstehen. Dies erscheint für psychotherapeutisches Handeln in der Psychiatrie angesichts des Nebeneinanders von psychotherapeutischen und biologischen Interventionen (z. B. Pharmakotherapie, EKT, Behandlung organischer Erkrankungen) angemessen. Prinzipiell lassen sich im konsistenztheoretischen Modell hierzu zwei verschiedene Ebenen berücksichtigen (▸Abb. 2.1):
Die Ebene des unmittelbar
beobachtbaren
situativen Verhaltens und des
mitteilbaren
Erlebens von Menschen in ihrer Interaktion mit der Umwelt
Die neurobiologische Systemebene, d.h. die Ebene der Informationsverarbeitungsprozesse des Gehirns
Man kann sich zum besseren Verständnis dieser Betrachtungsweise in eine nächtliche akute Aufnahmesituation in einer psychiatrischen Klinik versetzen. Eine Frau, die nach einem Streit mit einem Familienangehörigen plötzlich auf eine vielbefahrene Straße gelaufen ist, wird vom Notarzt in Polizeibegleitung in die Klinik gebracht. Sie gibt zu Beginn des Gespräches in erregtem Zustand unvermittelt an, dass sie die Klinik sofort wieder verlassen möchte, um daraufhin zunächst weitere Antworten zu verweigern.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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