Quarantäne - Jurek Martinsson - E-Book

Quarantäne E-Book

Jurek Martinsson

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Beschreibung

Die Erde ist zum Spielball der Mächte der bekannten Galaxis geworden und die Hoffnung schwindet, den geschundenen Planeten noch retten zu können. Die Menschheit hat sich selbst an den Rande des Abgrundes gebracht, doch welche Rolle spielt dabei die scheinbar übermächtige Außerirdische Allianz, die die Erde unter einem harten Besatzungsregime hält? Mitten im Chaos behauptet sich die junge Erd-Widerstandskämpferin Aida, die in die Gefangenschaft der Besatzer gerät. Sie wird durch einen Sturm von Krieg, Spionage und Intrigen getrieben, aber auch Freundschaften, Loyalität und die Neugier auf das Universum begleiten ihre Reise. Letztlich geht es nicht allein um das Überleben der Erde, sondern die Existzenz allen biologischen Lebens in der gesamten Galaxis steht auf dem Spiel.

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Jurek Martinsson, Jahrgang 1975, IT-Mensch mit Hang zum Bergsport, Musik, Fotografie und Fachwerkgebastel hatte schon in den 90ern die Idee für eine SciFi-Geschichte. Als fleißger Rezipient von Star Trek, Captain Future, The Expanse und Büchern von Dan Simmons bis Isaac Asimov ist er von klein auf ein großer SciFi-Fan.

In Folge eines »Spaß-Buchprojektes« zusammen mit ein paar Freunden im Sommer 2016, entschloss er sich dazu, nun selbst etwas zu schreiben. Im Frühjahr 2017 entstanden die ersten Zeilen der Geschichte, daraus wuchs dann bis zum November 2021 das fünfbändige Gesamtwerk RebEarth.

Jurek ist als erfahrener IT-ler im Bereich des Forschungsdatenmanagements an einer großen deutschen Universität beschäftigt. Darüber hinaus setzt er sich für Nachhaltigkeit in der Digitalisierung ein, ist aber auch im Bereich Energie sehr umtriebig. Als aktiven Bergsportler kann man ihn meist im Alpenraum, im hessischen Mittelgebirge aber auch von Zeit zu Zeit im Himalaya antreffen. Eine andere kreative Seite zeigt er als Musiker mit seiner Band und als Hobby-Fotograf.

Inhaltsverzeichnis

VORWORT

PROLOG

KAPITEL I

KAPITEL II

KAPITEL III

KAPITEL IV

KAPITEL V

KAPITEL VI

KAPITEL VII

KAPITEL IIX

KAPITEL IX

KAPITEL X

KAPITEL XI

KAPITEL XII

KAPITEL XIII

KAPITEL XIV

KAPITEL XV

KAPITEL XVI

KAPITEL XVII

KAPITEL XVIII

KAPITEL XIX

KAPITEL XX

KAPITEL XXI

KAPITEL XXII

KAPITEL XXIII

KAPITEL XXIV

KAPITEL XXV

DRAMATIS PERSONAE

NACHWORT

VORWORT

Tja, nun liegt es hier vor uns: Das Erstlingswerk, dass über zwanzig Jahre auf seine Niederschrift warten musste. Tatsächlich stammt die Grundidee zu diesem Buch aus der Mitte der neunziger Jahre und schaffte es tatsächlich so lange Zeit nicht an die Oberfläche zu gelangen. Endlich, im Frühjahr 2017 begann ich damit, die Geschichte konkret niederzuschreiben.

Dass das Schreiben an sich »nur die halbe Miete ist« wurde mir nach der Fertigstellung der Manuskripte im November 2021 klar. Mit Vollzeitjob und anderen Aktivitäten im »normalen« Leben ist mir nochmal klar geworden, wieviel Arbeit und Mühe danach noch ansteht, aus dem Geschreibsel auch ein lesbares Buch zu formen. Daher freue ich mich umso mehr, dass nun fast zwei Jahre später endlich der erste Band im Selfpublishing erscheinen darf.

Dieses Projekt hätte ich nicht durch die Hilfe von vielen lieben Menschen geschafft, die mich moralisch oder mit Korrektoraten, Lektoraten und kritischen Kommentaren etc. unterstützt haben.

Allen voran natürlich meine kritischste Lektorin, wundervolle Ehefrau und beste Freundin Astrid, der ich so viel zu verdanken habe.

Ebenso danke ich so herzlich Achim (formerly known as Jo), Lari, Larsehase, Annika, Dani, Antje, Schadi, Mathias, Jan, Julia... für‘s probelesen, korrigieren, lektorieren, kritisieren.

Stefi, die sich geduldig mit meinen exquisiten Wünschen nach der angemessen Spacigkeit des Designs auseinandersetzen musste ;-)

Der vorliegende Band »Quarantäne« war ursprünglich zusammen mit dem Folgeband »Nemesis« als ein gemeinsamer entstanden, bis ich bemerkt habe, dass die Seitenzahl ständig weiter zunahm. Daher habe ich die Bände geteilt, aber »Quarantäne« und »Nemesis« gehören zu einer zusammenhängenden Erzählung, die ich euch ans Herz legen möchte. Zusammen mit den drei Fortsetzungen »Refugio«, »Tarellion« und »Harmagedon« ist dies der Beginn der fünfbändigen Reihe unter dem Namen »RebEarth«.

»Quarantäne« und »Nemesis« erzählen eine Geschichte, die mit dem Bezug auf unsere heutige Zeit mit ihren drohenden dystopischen Möglichkeiten eine unberechenbare Zukunft für uns vorhält. Umweltzerstörung, Kriege, Krankheiten, zahlreiche innere Faktoren, die uns in den nächsten Jahrzehnten beschäftigen werden und die es gilt zu überwinden. In dieser sterbenden Welt beginnen wir, diese aus der Sicht unserer Hauptperson zu entdecken.

So hoffe ich, als kleinen Tropfen auf den glühenden Felsbrocken, mit der Geschichte vielleicht einen Teil dazu beizutragen, den Glauben daran zu festigen, dass etwas getan werden muss.

Es freut mich euch auf eine Reise durch die Galaxis mitnehmen zu können, an deren Ende nur ein beliebtes, aber notwendiges Klischee stehen wird: Die Rettung der Welt, nichts geringeres.

JUREK MARTINSSON, AUGUST 2023

PROLOG

Zeitdokument, Online-Nachrichten-Portal FREEWORLD, 14. April 2046

»… sind die Gründe, warum wir unser unabhängiges Nachrichtenportal einstellen werden. Eigentlich hätte der Abbau der Nationalstaatlichen Grenzen ein Fortschritt für die Menschen bedeuten können, die Überwindung von kleingeistigem Patriotismus stand als Chance im Raum. Aber stattdessen wird unsere Zukunft von raffgierigen, konzerngesteuerten Kontinentalfraktionen dominiert, so wie es in den Dystopien des letzten Jahrhunderts oft vorausgeahnt wurde. Nichts wird sich zum besseren wenden, es gibt keine Freiheit mehr auf dieser Welt, weder in der EUR-Föderation oder im NORAM-Gottesstaat auf amerikanischem Boden. Unsere Freunde aus dem Russischen Imperium und aus dem von ASIATIC annektierten Indien befinden sich auf der Flucht. Die letzte Hoffnung liegt im Süden, aber die Südafrikanische Republik steht kurz davor, von den Truppen des Kalifats eingenommen zu werden. Die Freiheit stirbt und wir müssen dabei zusehen. Die letzten Server-Nodes unseres Nachrichtennetzwerks werden den Konzern-KIs nicht mehr lange standhalten können. Bleibt stark da draußen. Wir tauchen ab. Euer Team von FREEWORLD.«

Zeitdokument, Online-Nachrichten-Portal EURONEWS, 8. August 2052

»… durch den kaukasischen Krieg stark geschwächt. Die EUR-Fraktion hat dem russischen Empire den Beitritt zur EUR angeboten und alle diplomatischen Beziehungen zur ASIATIC-Fraktion abgebrochen. Damit sind die letzten klassischen Nationalstaaten Geschichte geworden und die Welt verbleibt mit einem großen Schandfleck, den schwärenden nuklearen Wunden in Zentral- und Ostasien, zurück. Die Welt kann aber auch von Glück reden, dass dieser Krieg nicht weiter über die Regionen hinaus um sich gegriffen hat. Das unsägliche Leid, das über die Menschen in Kaukasus und Kasachstan gebracht wurde, bleibt unverzeihlich, bis in alle Ewigkeit. Eine neue Grenze wurde geschaffen, eine nuklear verseuchte Wüste, die das Schlachtfeld zwischen dem russischen Imperium, der ASIATIC-Fraktion und dem Kalifat für zehntausende Jahre zeichnen wird. Der radioaktive Staub wird in unserer Umwelt noch lange und nachhaltig verbleiben. Dieser Krieg hat tatsächlich keine Gewinner hervorgebracht und wird uns hoffentlich eine Lehre sein.«

Zeitdokument, Mitschnitt Video-Stream ASIANET, 3. Juni 2059

»… können wir nicht einfach hinnehmen. Durch die Zerstörung unserer Mars-Station hat sich nun das wahre Gesicht der NORAM-Aggressoren gezeigt und unser großer Führer hat eine unmissverständliche Vergeltung dafür angeordnet. Noch heute werden alle Orbital-Stationen der NORAM und des Kalifats unschädlich gemacht werden, sodass unsere Führungsrolle in der Raumforschung nie wieder angezweifelt werden solle…«

Zeitdokument, Onlineausgabe der »Allgemeinen Nachrichten“, Berlin, EURUSSIA-Fraktion, 6. Juni 2059

»… mit dem Zusammenbruch jeglicher Satelliten-Kommunikation wurde nun auf schändlichste Weise die drohende Trennung der Weltgemeinschaften auch technisch ein für alle Mal besiegelt. Knapp einhundert Jahre nach dem legendären Sputnik-Satelliten endet nun das menschliche Raumfahrtabenteuer. Wetter- und Umweltüberwachung befinden sich wieder auf dem Niveau der 1940er Jahre. Die unzähligen Trümmer werden den Start von Raumfahrzeugen für viele Jahrzehnte unmöglich machen. Mit dem sinnlosen Angriff der NORAM-Fanatiker auf die Mars-Station der ASIATIC wurde die wissenschaftliche Entwicklung der Menschheit soweit zurückgedreht, dass wir uns nur noch in Fassungslosigkeit zurücklehnen können. Was mag da noch kommen?«

Zeitdokument, Mitschnitt Audio-Stream NORANEWS, Oktober 2068

»… bat der EURUSSische Präsident Ferdinand Koliakow eindringlich um Hilfe bei der Evakuierung der europäischen Überlebenden der großen Seuche. Von den Weltweit 900 Millionen Toten hat der Europäische Kontinent allein rund 350 Millionen Opfer zu beklagen und die Überlebenden bräuchten eine Perspektive. Die Fraktions-Delegierten treffen sich zu Verhandlungen über die Aufnahme von Flüchtlingen noch diesen Monat in der neutralen Südafrikanischen Republik.«

Zeitdokument, Mitschnitt Video-Stream SURACOM, Breaking News, 28. Februar 2073 , 18:00 UTC

»ALIENS?!? Was hat es mit den seltsamen Fremden auf sich?«

Zeitdokument, Mitschnitt aus dem ASIANET-Stream, 2. März 2073, 12:01 UTC

»… dass die gefangenen Agenten in Kairo, Tokio, Caracas und Miami eindeutig nicht menschlichen Ursprunges seien. Die Behauptungen der Kalifatsfraktion, dass sich die ausländischen Mächte nun sogar außerirdischer Agenten bedienen würde und damit die Welt mit den, Zitat‚ Ausgeburten des Scheitans’ verbündet hätten, wirken sich erheblich auf die derzeit angespannte Situation aus. Alle Mächte haben ihre Defensivkapazitäten in erhöhte Alarmbereitschaft versetzt, aber der große Führer ruft zur Mäßigung auf.«

Zeitdokument, Mitschnitt aus dem Stream CALCOM, 5. März 2073, 16:31 UTC

»… wurden vor den Augen der Welt exekutiert. Der Kalifatsrat verkündete, dass der Einsatz von gottlosen außerirdischen Agenten einen Frevel sondergleichen darstellten und die anderen Fraktionen dafür bluten werden…«

Zeitdokument, Mitschnitt aus dem Stream NORANEWS, 6. März 2073, 9:26 UTC, Rede des NORAM-Präsidenten Gerald C. Parker an die Nation:

»… werden der Aggression der anderen Fraktionen mit aller uns zur Verfügung stehenden Macht entgegentreten. Soeben habe ich unsere strategischen Verteidigungskräfte aktiviert. Mit Gottes Hilfe werden wir auch diese dunkle Zeit durchstehen und über unsere Feinde obsiegen, unsere Opfer werden als Märtyrer in unserem Gedächtnis bleiben…«

Zeitdokument, Mitschnitt aus dem Stream CALCOM, 6. März 2073, 9:34 UTC, Verteidigungsminister des Kalifats, Anwar Ibn-Saud:

»… nicht mehr dulden! Die ständige Aggression der imperialistischen, ungläubigen Kreuzritter und deren schamlose Kollaboration mit außerirdischen Teufeln wird ein Ende finden. Mögen sie im Höllenfeuer unserer Übermacht brennen!«

Zeitdokument, ASIANET-Audio 6. März 2073, 9:45 UTC, unbekannter Herkunft.

»… den Angriff mit Atomwaffen werden wir adäquat beantworten. Das Schicksal wird zeigen, wer am morgigen Tage noch in der Lage sein wird…«

Zeitdokument, Synchrone Nachricht auf allen Audio und Videostreams, 6. März 2073, 11:55 UTC

»Bewohner des Planeten Arda. Hier spricht LordCommander Nokopu Zeltran, oberster zuständiger Protektor für diesen Raumsektor. Meine Crew, die Besatzung der KSS DEKU, konnte in den vergangenen Stunden rund 11.000 nukleare Sprengköpfe abgefangen und zerstören. Nur durch unser Eingreifen konnte die Vernichtung dieses Planeten vorerst verhindert werden. Ich erwarte nun das Eintreffen unserer Verstärkung, die ich beim Oberkommando der Protektoren der Konvergenz angefordert habe.

Die Menschen haben nicht nur unsere friedlichen Beobachter kaltblütig getötet, sondern auch völlig sinnlos ihre eigene, brutale Vernichtung vorangetrieben. Aufgrund der mir verliehenen Befugnisse, stellen wir diesen Planeten ab sofort unter Quarantäne. Die Konvergenz ordnet eine vollständige Entwaffnung und Besatzung der Erde an.«

Zeitdokument, KONNET-News, Ausgabe im aufbereiten Stream für Planet Arda, 221.200.5.3 / 5. Juli 2077

»… wurden heute mehrere hundert Mitglieder des Erdwiderstandes eliminiert. Die konzertierte Aktion fand in mehreren Fraktionsterritorien gleichzeitig statt und forderte tausende von Opfern. Mit großer Besorgnis wird die Entwicklung von den zuständigen Behörden sowohl von Seiten der Protektorats-Verwaltung als auch von den Fraktions-Administrationen gesehen und verurteilt. Der Hohe Rat der Konvergenz wird in den nächsten Tagen über die Entsendung weiterer Bodentruppen nach Arda entscheiden…«

Zeitdokument, Gemeinsame Protestnote der Fraktionen KALIFAT und ASIATIC an das Protektoratskommando, 221.201.2.7 / 6. Juli 2077

»… unerlaubten Eingriff in die inneren Angelegenheiten der Erdfraktionen dar. Im Besatzungsstatut der sogenannten ›Quarantäne‹ wurde den Fraktionen eine innere Souveränität zugesichert. Diese Zusage gilt wohl nicht mehr für unsere zynischen Besatzer…«

Zeitdokument, KONNET-News, Ausgabe im aufbereiten Stream für Planet Arda, 221.202.1.6 / 6. Juli 2077

»… werden im Falle von weiteren Angriffen des Erdwiderstandes auf Protektoratseinrichtungen und -angehörige größere Truppenverbände der Konvergenz auf Arda stationiert werden. Die zunehmende Gewalt auch gegenüber der Zivilbevölkerung kann von Seiten der Konvergenz nicht weiter hingenommen werden. Auch wenn den Erdfraktionen weitgehende Souveränität in ihren inneren Angelegenheiten zugesichert wurde, sehen wir mit Sorge die Unfähigkeit der Sicherheitsbehörden auf diesem Planeten, ihre inneren Angelegenheiten zugunsten einer Friedenssicherung zu regeln.«

KAPITEL I

Q4 - das vierte Jahr der Quarantäne 8. Juli 2077 - ungefähr 12 Lichtjahre von der Erde entfernt…

Draußen zogen die Sterne am kleinen Fenster einer dunklen, etwas kühlen und schlicht eingerichteten Kammer vorüber. Auf den Stockwerkpritschen lagen zugedeckte Menschen in tiefem Schlaf. Von irgendwoher wurde der Raum diffus beleuchtet, aber man konnte keine Lichtquelle erkennen.

Ich selbst war vor einiger Zeit mit erbärmlichen Kopfschmerzen aufgewacht und hatte mich verwundert hier in dieser Blechbüchse wiedergefunden. Ich fühlte mich zu antriebslos, um mich der Panik und Klaustrophobie hinzugeben. Ich war zu überrascht, nicht tot zu sein und zu fasziniert von dem Gefühl, mich anscheinend durch den Weltraum zu bewegen.

Je länger ich durch die runde Luke hinaus starrte, desto intensiver wurde mein Gefühl dafür, durch einen Raum voller Sterne zu gleiten.

Manche Punkte flogen schneller als andere vorbei, manche standen fast still. Das war also der Raum, das angeblich so unendliche Weltall.

Ich konnte kaum einen klaren Gedanken fassen, aber die hypnotische Szenerie holte mich langsam wieder zurück ins Leben.

Das Letzte, woran ich mich erinnern konnte, war der brutale Schmerz, der mich zu zerreißen schien, als mich die Strahlwaffe dieser Teufel getroffen hatte. Es war ein Gefühl, als würde sich ein fester Kokon um mich legen und zusammenziehen, als ob er mich zerquetschen wollte.

Ich rieb mir die Seite oberhalb der Hüfte und spürte immer noch einen empfindlichen Nachklang der Schmerzen an dieser Stelle, aber bis auf eine leichte oberflächliche Rötung war dort nichts mehr zu sehen. Es blieb nur die Erinnerung an diesen schrecklichen Moment.

Ich fragte mich, was mit den anderen passiert war und erinnerte mich daran, wie wir, Cousin Rafiq und die anderen aus unserer heruntergekommenen Truppe, zusammengekauert in unserer Deckung von den außerirdischen Teufeln entdeckt worden sind.

An meinem rechten Handgelenk festgezurrt befand sich eine Art Uhr, die Lichtpunkte und sonderbare Zeichen anzeigte. Die Anzeige schien sich im Rhythmus meines Herzschlages und meines Atems zu verändern. Meine Gedanken stoben wild durcheinander. Wo war ich hier und was hatten die Teufel mit mir vor? Warum haben sie mich nicht getötet? Stünde mir etwa noch Schlimmeres bevor? Und warum schien mir das in diesem Moment dann doch so scheißegal zu sein?

Wahrscheinlich hatten sie mich mit irgendwelchen Drogen oder Betäubungsstrahlen gefügig gemacht. Ich würde wohl nicht ewig hier durch das Bullauge hinaus auf die Sterne stieren dürfen, irgendetwas müsste ja noch passieren, oder?

Vermutlich würden sie mich irgendein Gefangenenlager bringen, doch wozu? Sie hätten sie mich genauso gut auf unserer Erde sterben lassen können. Warum sollte man mich dazu von einem kaputten Planeten zu einem anderen verfrachten?

Ich erinnerte mich noch genau an den Tag, an dem unsere eigene sterbende Welt am Abgrund gestanden hatte. Den Tag, an dem der letzte Rest menschlicher Existenz kurz vor der totalen Ausrottung gestanden hatte und am Himmel diese todbringenden und trotzdem auf ihre Weise wunderschönen Blumen aus Licht erblühten. Sie strahlten eine Wärme aus, die direkt aus der Hölle zu kommen schien.

Ich war noch fast ein Kind und hatte gerade das letzte Jahr der Schule begonnen. An diesem klaren Frühlingstag freute ich mich zuerst über die interessante Erscheinung am Himmel, aber die Panik der Älteren im Dorf ergriff mich irgendwann ebenfalls. Meine Mutter zog mich aus dem Freien und wir flüchteten in den alten Vorratskeller. Was war dort oben los? Was hatte das zu bedeuten? Mein Großvater sagte, der Untergang der Welt wäre gekommen und nun würden alle Gottlosen im Höllenfeuer sterben, wie sie es verdient hätten.

Ich erinnerte mich an Großvaters Worte und die Angst, die wir damals spürten. Aber auch an den Moment der Geborgenheit inmitten meiner Familie in dieser Nacht im Vorratskeller unseres Häuschens. Keiner von ihnen lebte heute mehr. Es war der Tag Q, der Tag, der für viele das Ende der Welt bedeutet hatte.

Eine Berührung.

Ich schreckte auf.

Ich musste wieder eingeschlafen sein und irgendetwas berührte mich am Arm.

»Hey, Hey, Hey, junge Frau, alles OK , keine Angpfff.«

Ich starrte auf meine Hand, die reflexartig an die Kehle der Gestalt geschnellt war.

Dann erschrak ich vor mir selbst und ließ wieder los.

Hustend und stöhnend wich die Gestalt zurück und setzte sich auf eine freie Pritsche.

»Entschuldige bitte.«

»Ja, schon OK, ich hätte bestimmt auch so reagiert.«

Sonderbar, irgendwie kamen die Worte leicht verzögert bei mir an und er sprach arabisch mit einem wirklich komischen Akzent.

»Wie lange bist du schon wach?«, fragte ich.

»Keine Ahnung, ich musste erstmal den Kopf wieder klar bekommen… dann hab ich dich beobachtet, wie du hier unter dem Fenster lagst und hatte überlegt, ob ich dich wecken soll. Das war wohl keine gute Idee.«

Er zögerte einen Moment, bevor er mich fragte.

»Hast du einen Namen?«

»Aida.«, antwortete ich.

»Ach, wie eines dieser Kreuzfahrtschiffe?«

Was quatschte dieser Typ da eigentlich? Ich setzte mich ein Stück zurück und betrachtete ihn genauer. War er vielleicht einer dieser Teufel in menschlicher Gestalt? Das wäre nicht das erste Mal gewesen, dass mir so ein Wesen begegnet wäre.

»Hey was ist los? Das war doch nur ein Spaß, meine Oma hat mir immer davon erzählt, dass es ihr größter Traum gewesen war, mal mit so einem Schiff zu fahren. Aber egal, ich bin Anton und freue mich, dich kennenzulernen.«

Er streckte mir die Hand mit einem dümmlichen Grinsen entgegen und wartete wohl darauf, dass ich zugreifen würde. Ich schaute ihn misstrauisch an und überlegte, was genau mit ihm nicht stimmte.

»Sag mal, wo hast du denn eigentlich diesen eigentümlichen Akzent her? Ich meine, du sprichst zwar Deutsch, aber irgendwie klingt das bei dir komisch.«

Deutsch? Warum behauptete der Typ ich würde Deutsch sprechen?

Guten Tag, Danke, Ja, Nein das war alles was ich jemals davon mitbekommen hatte, es gab ja kaum Leute mehr auf der Welt die diese Sprache sprachen. Was wollte dieser Typ?

»Wie kommst du auf die Idee, dass ich mit dir Deutsch spreche?«

»Weil du das tust, wo ist das Problem?«

»Und woher kommt dann dein sonderbarer arabischer Akzent?«

Er schaute mich an, als sei ich verrückt.

»Arabisch? Ich habe noch nie im Leben ein Wort Arabisch gesprochen!«

Ich warf einen Blick auf unsere eigenartigen Uhren und schaute wieder hoch zu Anton. Dann begann ich im unaussprechlichen Dialekt meines Großvaters zu fluchen, den selbst mein ärgster Feind nur zu seltenen Gelegenheiten zu hören bekam. Ich beobachtete etwas wie eine zittrige Welle auf dem kleinen Display. Einen kurzen Augenblick später erschien diese auch auf seinem Armband. Er sah mich verängstigt an, und ich musste grinsen.

»Ok. Ok. Sorry, das war nur ein Test, bitte sei mir nicht böse.«, sagte ich schnell und lächelte.

Er deckte das Armbandgerät mit den Händen ab und schleuderte mir irgendwelche Worte entgegen, die ich nicht verstand. Dann hob er die Hand von dem Gerät und ich hörte »… vor allem nicht über meine Mutter!«

Wir mussten beide lachen. Scheinbar waren die Armbänder eine Art Übersetzungscomputer.

»Und nun? Was ist das Letzte, an das du dich erinnern kannst?« , fragte er.

Ich zögerte, also begann er mit seiner Geschichte.

»Ich erinnere mich noch daran, dass wir mit unserer Gruppe gefesselt an einer Mauer standen. Nachdem wir uns eine Woche lang in einem stinkenden Kellerloch verschanzt hatten, wurden wir von einem ihrer Trupps herausgezerrt und vor einer größeren Menge von Leuten aus der Stadt exekutiert. Na ja, zumindest fühlte es sich so an. Ich bekam zwei Treffer an die Brust und einen ans Bein. Ich hatte wirklich Todesangst. Dann plötzlich diese heftigen Schmerzen. Und auf einmal überkam mich ein Gefühl, als würde ich zusammengeknüllt durch eine enge Röhre gequetscht werden. Dabei musste ich wohl auch das Bewusstsein verloren haben. Und bin hier wieder aufgewacht.«

Er deutete nun auf mich.

»Und du? Warst du auch bei irgendeiner Widerstandsgruppe?«

Ich traute ihm noch nicht so recht, wir kannten uns erst einige Minuten und ich war mir nicht sicher, ob er vielleicht doch einer von ihnen war, ein Spion, der für diese Aliens arbeitete und mich hier nun ausfragen sollte. Ich antwortete ihm nun wieder etwas verhaltener.

»Vielleicht. Irgendwas an mir muss Unmut bei diesen Teufeln hervorgerufen haben.«

Plötzlich näherten sich schwere Schritte von außen, ich hörte lautes Klappern an der Tür und es öffnete sich in Bodennähe eine schmale Luke. Zwei kleine Kästen rutschten in die Mitte des Raumes.

»Na hoffentlich endlich eine Mahlzeit.«, sagte Anton und näherte sich vorsichtig den beiden Kästen.

Ich sah mich weiter im Raum um und suchte nach einer Möglichkeit, hier vielleicht herauszukommen. Aber überall waren nur Wände aus glattem Metall. Lediglich ein paar nahezu unsichtbare Fugen in einer Nische. Wir mussten uns also erstmal mit der Situation hier arrangieren und ich verspürte auch ein vages Hungergefühl.

Anton drückte auf den Deckel eines der beiden Kästen, woraufhin sich dieser langsam anhob und den Blick auf sein Inneres freigab. Eine Art Flasche und ein Gefäß mit durchsichtigem Kunststoff-Material befanden sich darin. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass wir hier Glas bekommen würden, oder etwas anderes, das theoretisch dazu geeignet wäre, jemanden zu verletzen.

Während wir die undefinierte und neutral schmeckende, pampige Masse aus den Behältern verzehrten, regte sich etwas auf der oberen Pritsche gegenüber. Ein Stöhnen und hektische Bewegungen versetzten das Bett ins Wanken.

Plötzlich beugte sich eine Gestalt über den Rand der Pritsche, und übergab sich mit weit aufgerissenen Augen mitten auf den Boden vor uns.

»Na danke«, raunte ich angeekelt und der Appetit verging mir.

»Verdammte Sauerei!«, schimpfte Anton, schnappte sich aber die Flasche Wasser und reichte sie dem schrecklich anzusehenden Kerl, der wie ein nasser Sack über den Rand seiner Schlafgelegenheit hing. Anton beugte sich zu ihm vor.

»Hey, wie geht’s Dir?«

Er schaute uns verständnislos an. Dann blickte er mit ängstlich geweiteten Augen suchend durch den Raum. Als sein Blick auf das Fenster fiel, wich er erschrocken zurück und drückte sich an die Wand. Sein Armbandgerät begann zu piepen und wirre Lichtzeichen von sich zu geben. Aufgrund seiner aufkommenden Panik vermutete ich, dass die Signale etwas mit seinem gesundheitlichen Zustand zu tun hatten.

Ich rief laut vor mich hin, weil mir einfach nichts besseres einfiel:

»Hallo, wir haben hier ein Problem, einen Notfall!«

Prompt antwortete eine Stimme von irgendwoher, in unserer Sprache, in befehlsartigem Ton:

»Der medizinische Notfall wurde registriert und Maßnahmen wurden eingeleitet. Verhalten Sie sich ruhig. Treten Sie zur Seite in die Wartezone, leisten Sie keinen Widerstand!«

Der Mann auf der Pritsche begann zu hyperventilieren. In einer Ecke des Raumes erschien auf dem Boden ein beleuchteter Kreis. Unter unseren Füßen leuchteten pulsierende Symbole auf, die direkt dorthin deuteten.

Ich wollte protestieren, als ich von draußen wieder schwere Schritte hörte und die Tür nun komplett aufglitt. Zwei dieser elenden Teufel in ihren martialischen Kampfanzügen, mit Helmen zur Unkenntlichkeit maskiert und mit den üblichen Impulsgewehren in den Händen, traten in unsere Zelle. Sie bedeuteten uns, mit den Waffen und einer schlichten Kopfbewegung, in den Kreis zu treten. Die beiden waren fast zwei Köpfe größer als Anton, wahre Protektoren-Berserker, wie ich sie schon von der Erde kannte.

Schweigend trotteten wir in Richtung der eingeblendeten Kreise. Hinter den beiden Wachen erschienen zwei etwas weniger wuchtige Gestalten, ungepanzert, aber ebenfalls mit einem Art Schutzanzug und Maske bekleidet. Sie verpassten unserem Zellengenossen eine Injektion mit einem kleinen Handgerät.

Ich realisierte in diesem Moment erst recht, dass ich nun eine Gefangene dieser Alien-Teufel war. Alles in mir verzehrte sich danach, mich auf sie zu stürzen, sie anzugreifen, sie zu überwältigen. Aber ich wusste, der Zeitpunkt war noch nicht gekommen, um an so etwas zu denken.

Hier waren wir nicht mehr zuhause, auf unserem eigenen Planeten, wo wir jedes Recht hatten, diesen Eroberern entgegenzutreten. Nein, jetzt waren wir Gefangene, ihnen vollkommen ausgeliefert, auf ihrem Schiff und wahrscheinlich in ihrer verfluchten, gottlosen Welt.

Die beiden Sanitätssoldaten legten bewusstlosen unseren Zellengenossen wieder auf seine Pritsche. Der eine kontrollierte noch kurz die Vitalwerte, während der andere zu uns herüber trat und uns beide durch sein dunkles Visier ansah. Wir senkten den Blick, denn bisher war es uns immer verboten gewesen, die Teufel direkt anzublicken.

»Nein, Nein, schon gut. Respekt vor den Protektoren ist angebracht, uns dürfen sie ansehen.« Verwundert blickte ich hoch.

»Eurem Zellengenossen geht es soweit gut, aber sein Schock aufgrund der schweren Verletzung scheint größer zu sein, als der eure. Ihr werdet ständig medizinisch überwacht.«

Er drehte den Kopf, als ob sein Blick zwischen uns beiden hin und her gehen würde.

»Bleiben sie noch im Kreis stehen, ein Reinigungsroboter wird hier gleich etwas für Ordnung sorgen.«

Er schaute wieder zur mir.

»Ardai, weiblich, Aida, drücken Sie mit der Handfläche auf die Zone an dieser Wand!«

Verständnislos schaute ich ihn an.

»Bitte.«

Er deutete auf die Wand hinter mir, ungefähr in meiner Kniehöhe.

Etwas verdutzt berührte ich die Stelle an der Wand, die von einer kaum sichtbaren Fuge eingerahmt war. Die Fuge begann kurz aufzuleuchten und es fuhr eine Art Schüssel aus der Wand heraus.

»Ardai, männlich, Anton.«

Sein Kopf schwenkte zur Seite und er zeigte auf eine Fuge in Brusthöhe hinter Anton. Toilette und Waschbecken waren nun klar zu erkennen. Das bedeutete schon mehr Luxus in der Gefangenschaft als mir in den letzten Jahren im Untergrund auf der Erde vergönnt gewesen war. Wenn die Gefängnisse im Exil besser waren als die Herbergen in der Heimat, dann konnte etwas nicht stimmen. Ach verdammt, was passierte hier bloß?

Der Sanitäter-Teufel wandte sich ab und verließ mit seinem Kameraden den Raum. Die beiden Protektoren sicherten ihre Waffen wieder und schlossen sich den Sanis an. Bevor die Tür zu glitt, rollte ein Robotergefährt durch die kleine Klappe in Bodenhöhe, zielstrebig zu den Hinterlassenschaften unseres Zellengenossen. Gebannt schauten wir dem Reinigungsroboter bei der Arbeit zu.

Ein paar Minuten später erklang eine kurze Durchsage:

»Raum wieder freigegeben.«

Der Roboter fuhr wieder durch die Luke hinaus und eine etwas größere Kiste glitt in die Mitte unseres Raumes. Der Begrenzungskreis um uns herum erlosch und die Luke schloss sich wieder.

Wir schauten uns an und bewegten uns auf die Kiste zu. Während wir uns durch den Inhalt der Kiste wühlten, der aus Kleidungsstücken und weiteren Nahrungsmitteln bestand, fragte mich Anton wo ich herkäme.

»Geboren wurde ich in Marokko, im Hohen Atlas. Aber ursprünglich stammt meine Familie aus Palästina.«

»Ah ja, also aus dem Kalifat.«

»Ja, und?«, antwortete ich, wahrscheinlich etwas aggressiver als gewollt.

»Na ja, eure Widerstandsgruppen haben nicht nur den Eroberern ziemlichen Ärger beschert.«, bemerkte er spöttisch.

Was ein Arsch, jetzt kam er mir also auf diese Art.

»Was meinst du damit?«, entgegnete ich ihm wütend und wartete erst gar nicht auf seine Antwort. Ich keifte ihn weiter an:

»Ihr seid Ungläubige und dekadente Verräter! Ihr aus dem Westen tut doch rein gar nichts, um diesen außerirdischen Teufeln irgendwie Einhalt zu gebieten. Du hast gut Reden, du hast wahrscheinlich mit deinen ganzen anderen Kollaborateuren zusammen immer schön gebuckelt und mit denen gemeinsame Sache gemacht, um uns zu bekämpfen! Seit dem Tag Q habt ihr euch doch immer wieder dem außerirdischen Scheitan angebiedert. Und was soll das mit dieser bemitleidenswerten Exekutionsgeschichte? Ich glaube dir kein Wort. Scheinheilige NORAMS wie du sind doch die besten Freunde dieser Alien-Teufel!«

Sein bisher freundlicher Blick wurde zurückhaltender. Ein zorniger Ausdruck schlich sich auf sein Gesicht.

Ja, sollte er doch sauer sein. Ich war verdammt wütend auf das überlegene Gehabe dieser Westler, dieser arroganten NORAM-Kreuzritter. Ich war wirklich aufgebracht und wollte ihm noch mehr ins Gesicht schreien, aber etwas an seinem Blick ließ mich innehalten.

»Was glaubst du wo ich wirklich herkomme?«, fragte er mich, nun deutlich unterkühlt.

»Aus der Nordamerikanischen Fraktion, woher denn sonst?«

Er schüttelte enttäuscht den Kopf.

»Na woher kommst du denn sonst? Irgendwo von dort, wo die ganzen weißen Rassisten, Ungläubige und Kollaborateure versammelt sind, hab ich recht?«

»Glaub, was du willst.«

Er wandte sich von mir ab und legte sich auf seine Pritsche.

Aha, er konnte also auch anders. Jetzt war ihm sein Grinsen vergangen. Ich ging rüber zu unserem Waschbereich und fragte mich, wie das mit der Privatsphäre hier wohl aussehen würde. Ich berührte das Feld mit der Toilettenschüssel und erschreckte vor einer Bewegung, einem Reflex in meinem Augenwinkel. Ich drehte mich um und sah, dass um den Toiletten-Bereich ein milchiger Schleier erschienen war, der alles abschirmte. Nun gut, das war ein Fortschritt, wenn ich hier schon mit den zwei Männern eingesperrt war.

Etwas erfrischt nach ein paar Händen kalten Wassers im Gesicht, legte ich mich wieder auf meine Pritsche, während Anton aufstand und ebenfalls den Toilettenbereich benutzte.

Unser Zellengenosse war sich noch unschlüssig, was er tun sollte und blieb einfach liegen. Ich versuchte mir vorzustellen, was uns bald erwarten würde. Gefangenschaft? Sklaverei? Folter? Das kannten wir alles schon von der Erde, vielleicht waren wir schon zu sehr daran gewöhnt. Oder diese außerirdischen Teufel hatten noch Schlimmeres mit uns vor. Ich versuchte meine Angst unter Kontrolle zu halten und mich nicht der Panik hinzugeben. Ich begann zu bedauern, dass ich Anton vor den Kopf gestoßen hatte, immerhin hatte er mich mit seinem Geplapper etwas vom Ernst der Lage abgelenkt.

Ich wusste nicht so recht, was ich von der Begegnung mit den Sanis halten sollte. Mir waren bisher persönlich meist die brachialen, schwer gepanzerten Protektoren begegnet. Unbarmherzige Krieger, die uns ihre schiere Übermacht demonstrierten. Aber unverletzlich waren sie nicht, das hatten die letzten vier Jahre des Widerstandes gezeigt.

Anders waren nur die menschenähnlichen Gesichter der Spione, die sie uns damals vor der Quarantäne geschickt hatten. Das war wirklich erschreckend, dass es unter ihnen außerirdische Teufel mit menschlichem Antlitz gab. Mir liefen kalte Schauer über den Rücken, als ich mich an die Offenbarung dieser Kreaturen erinnerte.

Am Tage vor Beginn der Quarantäne wurden zwölf dieser Teufel vor den Augen der Welt in brutalen Schauprozessen hingerichtet. Und plötzlich hörte alles auf so zu sein wie vorher.

Es waren meine eigenen Leute, die die ersten Hinrichtungen veranstaltet hatten. Die glorreichen Führer des großen Kalifats hatten es persönlich angeordnet, die Brut des Scheitans demonstrativ zu vernichten. Als junges Mädchen war ich von den Ereignissen schockiert und angewidert, aber Zweifel an der Richtigkeit des Tuns unserer obersten Führer durfte es einfach nicht geben.

Diese Hinrichtung läutete den Beginn der Quarantäne ein, den die Teufel einige Stunden später über unsere Welt brachten. Aber es war auch der Beginn unseres erbitterten Widerstandes gegen sie. Anders als die anderen Erdfraktionen, die Amriki der NORAM, die ASIATICS und die anderen kleinen Fraktionen, fühlten wir uns direkt von Gott berufen dazu, nicht nur die Teufelei auf der Erde zu bekämpfen, sondern nun auch einen viel größeren Feind, den leibhaftigen Scheitan aus einer fremden Hölle.

Die Kämpfer unserer Fraktion, des großen Kalifats, hatten in den Jahren zuvor Ungläubige aller Schattierungen zwischen Gibraltar und dem Indus besiegt. Sie hatten den Juden, Schiiten und Hindus gezeigt, wer die wahren Herrscher in diesem Teil der Welt sind. Im Norden lag ein durch Seuchen entvölkerter europäischer Kontinent. Den dekadenten Westen konnten wir auf den Kontinent der Amrikis zurückdrängen. Der Krieg um die Steppen von Kasachstan, den Kaukasus und die Gebiete südlich des Ural hatte der Welt gezeigt, zu was der Süden fähig war.

Das Kalifat war stolz und stark, niemand würde mehr solche Demütigungen über uns und unsere Völker bringen, so hieß es. Bis eines Tages diese außerirdische Macht auf die Erde kam, um uns zu unterjochen.

Aus dem Untergrund heraus gegen die neuen Eroberer zu kämpfen und sie zu besiegen, schien uns kein Problem. Dachten wir… Dachten unsere Anführer…

Während die Amriki und die ASIATICs bis auf einzelne, unautorisierte Aktionen meist stillhielten und sich mit den Eroberern arrangierten, kämpften unsere Widerstandsgruppen unerbittlich weiter.

Wir waren davon überzeugt, dass wir die Einzigen wären, die diese Welt noch retten könnten. Wir gewannen so viele Freiwillige für den Djihad gegen den außerirdischen Feind. Wir kämpften zusammen mit und für Gott, direkt gegen den Teufel. Gab es etwas Heiligeres? Sogar für uns Frauen war es eine heilige Pflicht, mit in den Widerstandskrieg zu ziehen. Ich war so stolz, als mein Großvater mir zu meinem vierzehnten Geburtstag, am Ende des ersten Besatzungsjahres, seine gehütete und gepflegte alte AK-74 schenkte. Er tat es mit Tränen in den Augen, denn fast alle meine Brüder und Cousins, die als Erbe in Frage gekommen wären, waren in diesem Jahr gestorben. Die Gedanken an meine Familie machten mich traurig. Ich war erschöpft, so dass ich irgendwann wieder eingeschlafen sein musste.

KAPITEL II

»Wer braucht schon Zäune, wenn man Millionen von Clix um sich herum von glühendem Sand umgeben ist, der einem die Sohlen von den Kampfstiefeln schmilzt?«

Das Motto der Wachmannschaften auf Sildron

Ich erwachte, als ein tiefes Brummen durch den Raum dröhnte. Schlaftrunken stand ich auf und sah zum Fenster herüber, wo Anton schon stand und herausschaute. Ich bemerkte, dass sich die Sterne draußen immer langsamer vorbei bewegten. Unser anderer Zellengenosse regte sich und streckte den Kopf benommen in unsere Richtung.

Plötzlich fiel ein heller Lichtschein durchs Fenster. Geblendet wandten wir uns ab und bedeckten unsere Augen. Als sich meine wieder an die Helligkeit gewöhnt hatten, ging ich näher ans Fenster und sah, dass wir um einen fremden Stern zu kreisen schienen. Wir mussten irgendwo angekommen sein. Langsam gelangte die Silhouette eines Planeten in unser Sichtfeld und wir tauchten in dessen Schatten ein.

Näher und näher kamen wir der Atmosphäre und nach zwei Umrundungen konnte man vage einige Strukturen auf der Oberfläche des Planeten erkennen. Wir näherten uns einem riesigen, staubig braunen Wirbel.

»Ein gewaltiger Sandsturm, siehst du?«, fragte Anton.

»Ich hoffe nicht dass wir dort hineinfliegen.«, antwortete ich ihm besorgt.

»Es fühlt sich leider genauso an, wir gehen in den Sinkflug dort hinunter.«

»Ich hasse Sandstürme, schon daheim konnte ich sie nie leiden.«

Er schaute mich an und lächelte ein wenig.

»Was kannst du überhaupt leiden?«, fragte er mich direkt.

Ich schaute ihn ernst an.

»Bisher habe ich noch nichts gefunden. Und das da unten wird es nicht besser machen, da wette ich drauf.«

Anton schüttelte kurz den Kopf und schaute wieder hinunter, auf die wabernde, braungelbe Masse, die sich bedrohlich schnell näherte.

Wir verspürten die Kräfte, die nun auf das Schiff zu wirken begannen. Vibrationen gingen in beunruhigende Erschütterungen über und es wurde schwieriger, sich auf den Beinen zu halten. Wir hielten uns an den Pritschen fest, bis ein grobes Poltern die Landung ankündigte.

Es fühlte sich an, als würden Wind und Staub uns wie hungrige Bestien hinauszerren wollen. Wir warteten darauf, dass etwas passierte, doch eine gefühlte Ewigkeit geschah einfach nichts. Nur die Vibrationen verstärkten sich zu einem Rütteln und Schaukeln, das stetig an- und abschwoll.

Plötzlich erklang eine Stimme aus dem Lautsprecher:

»Aufgrund des vorherrschenden schlechten Wetters in diesem Sektor, wird ein Umzug in ein anderes Lager durchgeführt. Der Atmosphärenstart unter den gegebenen Umständen wird sehr turbulent, halten sie sich gut fest.«

»Wow, unsere Eroberer haben Probleme mit dem Wetter, wer hätte das gedacht?«, spottete Anton grinsend. Ich musste lachen.

Unser dritter Zellengenosse war außergewöhnlich ruhig. Er hatte wohl einen noch schlimmeren Exekutionskater als wir oder die Medikamente hatten ihn ordentlich sediert.

Einen Moment später hörten wir das Aufheulen von Maschinen und unser mobiles Gefängnis wurde so heftig durchgeschüttelt, dass wir uns an unseren Betten festhalten mussten. Noch bevor wir uns an die Lage gewöhnt hatten, wurden wir hart in Richtung Boden gepresst und es schien mit hoher Geschwindigkeit wieder nach oben zu gehen. Mir wurde schlecht und ich versuchte, nicht zu würgen.

Plötzlich, wie von der Faust eines Riesen getroffen, trudelte das Schiff wild umher. Die Wände hielten dem Druck nicht stand und verzogen sich sichtbar. Der unfassbare Lärm war nicht das Einzige, das mich die Hände verzweifelt auf die Ohren pressen ließ. Es war das Gefühl, als ob mir eben jene Ohren aus dem Kopf gerissen würden. Das Atmen fiel mir immer schwerer und ich wurde fast ohnmächtig. Oh Allah, warum musste ich jetzt hier in diesem Blechkasten über irgendeinem verfluchten Sandplaneten sterben? Mein Körper würde gleich durch einen schmalen Riss in der Hülle hinausgequetscht werden und dann draußen zu kleinen Eisbröckchen gefrieren. Entweder dazu verdammt, für immer und ewig im Weltraum zu zerstäuben oder irgendeinem dieser Scheißaliens auf den hässlichen Schädel zu regnen. Ich schrie und hielt die Luft an, während das Schiff immer schneller auf den Grund zuraste.

*

Wie aus einer fernen Welt drangen Schreie an mich und mein benebeltes Selbst heran. Meine beiden Mitinsassen schleppten mich in Richtung Tür. Die Tür! Warum war die Tür geöffnet? Ich fühlte mich wie ein Stück Wäsche, das während des Schleudergangs aus der Luke der Maschine gezogen wurde. Ein harter Stoß holte mich wieder zurück in die Realität, aus der ich kurz weggetreten sein musste. Ich lag auf dem Boden einer kleinen Halle, zusammen mit drei oder vier Dutzend anderer Menschen, die ebenfalls ziemlich angeschlagen aussahen und sich auf dem Boden zusammenkauerten.

Anton hielt mich fest umklammert und schaute mich an. Wahrscheinlich wollte er mir ein wenig Zuversicht vermitteln, aber ich sah die Todesangst auch in seinen Augen. Um uns herum versuchten fünf oder sechs bewaffnete Alien-Soldaten, uns mit ihren Waffen in Schach zu halten. Sie wirkten jedoch, als kostete es sie selbst große Mühe, sich auf den Beinen zu halten. Weitere Dekompressionen erschütterten das Schiff, die Beleuchtung flackerte bedrohlich. Am Ende der Halle öffnete sich eine Tür und drei Gestalten traten in den Raum.

Der Größte von ihnen trug eine aufwendig gestaltete, metallene Rüstung mit allerlei Verzierungen, aber auch einigen frischen Beulen darauf. Er machte den Eindruck eines hochrangigen Offiziers und wurde von den beiden Sanis flankiert, die einige Stunden zuvor in unserem Quartier gewesen waren.

»Ardai, hört mir zu!«, schrie er über den unerträglichen Lärm hinweg.

In nur wenigen Sekunden hatte sich die Menge beruhigt, eine letzte markerschütternde Dekompression untermalte die Szenerie und es wurde für einen Moment ruhig.

»Ardai, hört mir genau zu. Wir hatten im Sturm eine Kollision mit einem anderen Raumfrachter und werden nun die Lage wieder unter Kontrolle bringen. Verhaltet euch ruhig und besonnen, dann wird niemandem etwas passieren.«

Nach einem kurzen Blick in die ängstlichen Augen der menschlichen Fracht, sprach er weiter.

»Ardai, ihr seid bestimmt zur Unterbringung im Gefangenenlager K´Chomer auf dem Planeten Sildron. Eure Überstellung wird geschehen, sobald…«

Eine weitere heftige Erschütterung riss alle, die noch standen, von den Füßen. Gliedmaßen polterten übereinander, Stimmen überschlugen sich und ein Tumult entstand. Ich rappelte mich hoch und versuchte mich wieder zu orientieren. Es hatte uns wirklich ordentlich durcheinander geworfen, und ich hörte Schreie und Kampfgeräusche. Zwei der Wachen brüllten mit ihren Waffen im Anschlag herum und ich erkannte überrascht, warum. Die anderen vier Wachen befanden sich im Handgemenge mit einer Überzahl von wütenden Menschen, die ihnen heftigst zusetzten. Herumliegende Trümmerteile, Rohre, alles diente der wütenden Menge als Waffe gegen unsere Eroberer.

Der Kommandant zog seine Waffe und brüllte seinen verbliebenen beiden Wachen für uns unverständliche Befehle zu. Bevor jemand etwas tun konnte, fielen schon die ersten Schüsse aus den erbeuteten Gewehren. Eine Wache und der Kommandant gingen zu Boden, die zweite Wache feuerte mitten in eines der kämpfenden Knäuel, traf jedoch den eigenen Kameraden. Ein kurzer Moment des Zögerns endete für die Wache übel. Ein Feuerstoß schleuderte sie durch den Raum an die Wand direkt hinter uns.

Benommen beobachtete ich, wie in einem Film, wie die überwältigten Wachen von unseren Leuten zusammengetrieben und weiter entwaffnet wurden. Tödlich getroffen schien keiner, allerdings waren die Feuerstöße auf kurze Distanz von solch einer erheblichen Wucht, dass diejenigen, die Treffer abbekommen hatten, nicht mehr bei vollem Bewusstsein schienen.

Anton nahm die Waffe des Soldaten auf, der hinter uns gelandet war und brachte sich in Stellung, um die Alien-Soldaten in Schach zu halten.

Unser Zellengenosse, der sich bisher meist zurückgehalten hatte, fing nun an, im Befehlston durch die Halle zu brüllen:

»Mein Name ist Oberst Hamid von den Widerstandstruppen des Kalifats! Befindet sich noch jemand mit einem höheren Rang der Rebellentruppen hier im Raum?«

Er ließ einen kurzen Moment verstreichen, in dem er über die Menge schaute. Dann fuhr er fort:

»Gut, da das nicht der Fall zu sein scheint, übernehme ich hiermit das Kommando über das Schiff. Du da hinten, ich will deine Waffe am Schädel des Alien-Häuptlings sehen, also los, yalla yalla.«

Zuerst etwas zweifelnd, dann aber fügsam, näherte sich der Waffenträger dem Alien-Kommandanten, der sich mittlerweile mit Unterstützung seiner beiden Sanis wieder auf die Beine gerappelt hatte. Er hielt dem erheblich größeren Alien-Offizier den Lauf des Gewehrs an den Helm.

»Und nun runter mit dem Helm, ich will dein Gesicht sehen, Teufel!«, brüllte ihn Hamid an.

»Das ist leider nicht möglich, Oberst… Hamid«, antwortete der Alien-Kommandant.

Hamid schaute den Kommandanten mit leicht schräg gestelltem Kopf an und nach einem viel zu langen Moment sagte er mit ruhigem Ton:

»Du hast meinen Befehl gehört, Teufel, runter mit dem Helm.«

»Wie ich schon sagte, Oberst, das ist leider nicht möglich.«

Hamid blickte sich suchend im Raum um und sein Blick blieb an Anton haften.

»Los Amriki, verpass dem Sani hier einen sauberen Kopfschuss.«

Anton hatte die Waffe noch auf die Wache zu seinen Füßen gerichtet und blickte den Oberst verständnislos an.

»Das ist doch nicht dein Ernst, ich werd´ doch jetzt nicht einfach einen unbewaffneten Sani wegballern.«

Hamid trat näher an Anton heran und zischte ihn an:

»Tu, was ich dir befehle oder gib die Waffe her.«

Dann fiel sein Blick auf mich.

»Los, Schwester, nimm du sie. Der Kartoffel hier ist zu nichts nutze.«

Ich sah Anton an und bat ihn mir das Gewehr zu geben. Zuerst widerwillig und dann mit einem verächtlichen Ausdruck im Gesicht, reichte er mir die Waffe mit den Worten:

»Willst du das wirklich?«

Einer der Wachsoldaten ergriff das Wort.

»Seht euch diese Ardai an, kaum haben sie ein paar Augenblicke das Gefühl von Macht in der Hand, schon fangen sie wieder an zu zanken wie junge Hunde.«

Ein hastig gerufener Befehl des Kommandanten wurde sofort von mehreren Schüssen unterbrochen, die den Wachsoldaten, nun sichtlich schwer verletzt, an die gegenüberliegende Wand schleuderten.

Ich erinnere mich noch genau an diesen Moment, als ich zum wiederholten Mal im Leben eine innere Zerrissenheit spürte. Einerseits hatte ich eine Waffe, die Oberhand über die Alien-Teufel und um mich herum eine beachtliche Gruppe von Menschen, die meinen Entscheidungen folgen würden - ein kleines und dennoch verwirrendes Hochgefühl des Sieges. Andererseits, obwohl ich damals noch nicht zu solch einer Besonnenheit geneigt hatte, schoss mir ein Gedanke durch den Kopf. Was würde dann geschehen? Würden wir damit durchkommen? Ich zögerte immer noch, während ich mir versuchte auszumalen, was passieren würde, wenn wir jetzt hier, mitten im All treibend, die Aliens umbringen würden? Es wäre ein kurzer Sieg, aber würde das etwas ändern? Ja klar, die Rache und die Aussicht darauf, als Märtyrer wenigstens noch ein paar Feinde mitgenommen zu haben, war für die meisten von uns eine ehrenvolle Sache. Aber war es das auch für mich?

Die Schüsse, die plötzlich durch den Raum schallten, kamen aus einer anderen Richtung und zerrissen die Rüstung des Alien-Kommandanten in einer blutigen Wolke. Ein Mann mit einem erbeuteten Impulsgewehr im Anschlag bewegte sich langsam in die Mitte des Raumes in Hamids Nähe.

Hamid beugte sich über den an der Wand lehnenden und sichtlich benommenen Kommandanten, aus dessen Brustharnisch kleine Rauchsäulen aufstiegen. Ich musste mich nicht mehr entscheiden, jemand anderes hatte die Initiative ergriffen. Der Sani und ich standen nun nicht mehr im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, nun war es eine Sache zwischen dem Alien-Kommandanten und Hamid.

Der Oberst griff nach der Unterkante des Helmes und trotz der Versuche des Opfers, ihn davon abzuhalten, riss er mit einem ordentlichen Ruck den Helm nach oben und damit dem Kommandanten vom Kopf.

Ich sah, dass er so etwas wie einen weißen Stoffüberzug über seinem Kopf hatte, mit kleinen Ausschnitten dort, wo vermutlich seine Augen oder Nasenlöcher, oder was auch immer waren. Sein Kopf schien sich aufzublähen, während ein widerliches Röcheln zu hören war. Dann fuhr uns allen ein hoher schriller Schrei ins Gebein, der erst endete, als der Überzug sich zeitgleich mit einem ekelhaften Geräusch des Aufplatzens grün einzufärben schien. Der Körper des Aliens verkrampfte und sank dann schlaff in sich zusammen.

Ich drehte mich um und übergab mich. Unser neuer Anführer lachte mit dem Helm im ausgestreckten Arm. Einige stimmten mit ein, einige jubelten sogar über diesen Sieg.

Ich hatte eigentlich gedacht, es würde mich ebenso wie manch andere hier mit Stolz und Siegesgefühl erfüllen. Aber etwas in mir konnte es nicht. Das, was hier geschah, war sinnlos. Niemand hier wäre in der Lage, ein Raumschiff zu steuern und gar eine erfolgreiche Flucht durchzuführen.

Die nächste Dekompression holte uns wieder zurück auf den Boden der Tatsachen, das Licht im großen Innenraum flackerte wieder und das allgegenwärtige Maschinengeräusch wurde merklich unruhiger. Einer der Schützen zuckte zusammen, packte den überlebenden Wachmann und zog sein Gesicht nah an den Helm des Sanis heran.

»Los, flieg das Ding hier jetzt weiter oder zeig uns wie das geht.«

»Es tut mir leid, ich kann das Schiff nicht fliegen, ich bin nur ein einfacher Soldat.«

Hamid rief herüber: »Los, bring ihn her, das Ding hat doch bestimmt Computer und Autopiloten oder sowas.«

Der Schütze trat den Sani in Hamids Richtung während er auf dessen Kopf zielte und ihm folgte.

»Wo geht’s hier zum Cockpit, Teufel?«, fragte Hamid den Soldaten und griff ihn fest am Arm.

»Los, antworte! Oder soll ich auch dir den Helm von deiner hässlichen Rübe reißen?«

»Herr Oberst, ich bin nicht vom selben Volk wie unser Kommandant, ich kann hier ohne Schutzatmosphäre überleben und benötige meinen Helm nicht. Noch nicht. Aber in ungefähr drei Minuten ihrer Zeit wird dieser Raum dekomprimiert werden und wir alle werden ins All hinausgeblasen. Meine Chance, vom nächsten Rettungsschiff aufgenommen zu werden, steht im Gegensatz zu ihnen allen hier ungefähr bei eins zu fünf. Bevor mein Atmosphärenvorrat aufgebraucht und die Temperatur unterhalb der kritischen…«

Ein Schuss aus Hamids Waffe traf ihn genau in den Kopf. Der Oberst spuckte ihn an, bevor er ihn mit einem gehässigen »Fick Dich, elender Klugscheißer!« von sich stieß.

Die nächste Erschütterung fegte uns alle von den Beinen und schleuderte uns im ganzen Raum herum. Das Licht fiel aus, die Menge schrie. Ich spürte weder oben, noch unten, nur das Gefühl, unendlich zu fallen und ständig gegen andere zappelnde Körper zu stoßen.

Durch die offenen Türen drang ein flackernder Flammenschein ins Innere. Erst als ein gleißend heller Strahl in regelmäßigem Rhythmus durch den Raum fuhr, konnte man erahnen, dass wir uns um die eigene Achse drehten. Wir trudelten durch das All, die fremde Sonne blitzte durch die Bullaugen und die Szenerie zeigte uns die nächste Stufe des Infernos. Der Flammenschein wurde immer heller und es wurde heiß im Schiff. Ich wusste nicht viel über Raumfahrt, aber ich ahnte, dass wir jetzt zu verglühen begannen.

Das Trudeln schien zugunsten eines heftigen Rüttelns nach und nach abzunehmen, alle Menschen und Gegenstände bewegten sich in dieselbe Richtung, als ob wir von irgendetwas angezogen würden. Das Schiff wurde heftig durchgeschüttelt. Plötzlich schrillte eine laute Alarmhupe und ein rotes Licht leuchtete auf.

Einmal. Zweimal. Dreimal. Immer und immer wieder drang die Hupe an mein Trommelfell und als die Hitze und die Schüttelei alles aus mir herauszureißen schien, wechselte das Licht von Rot zu Blau und explodierte im Raum.

Vollständig umhüllt von einem blauen Licht erstarrte mein Körper. Ich fühlte mich eingefroren, wie in einem Vakuumsack zusammengepresst, eingeklemmt in ein blaues Leuchtfeld. Es erinnerte mich an den Kokon, der mich während meiner Exekution umschnürt hatte. Dann ein fürchterlicher Ruck, Ein heftiges Drücken in meinem Kopf. Schwärze. Blau. Schwärze. Alles verschwamm zu einem Klecks aus tiefen Blautönen. Endlich gewährte mir mein Bewusstsein die Gnade, sich für eine Weile im Nichts zu verlieren.

KAPITEL III

»Man denkt, man kennt einen Planeten wie diesen nach so langer Zeit. Öd und leer, ohne feststellbare Jahreszeiten, ein erbarmungsloser Glutofen sondergleichen. Und dann wird man von tagelangen Stürmen heimgesucht, die jeglichen Versuch hier zu überleben wie mit einer Sandstrahlkanone zunichte machen. Ich hasse diesen Haufen hier. Aber was besseres haben wir wohl nicht verdient.«

Prof. Lisbeth Miller, führende Pathologin der Medizinischen Fakultät von Vikoyan-City, 241 n.Z.

Ein Schlag in meinem Schädel, ähnlich eines Gongschlages, ließ mich hochschrecken. Ich saß im Sand, mit dem Rücken an eine metallene Wand gelehnt. Im dunstigen Zwielicht erkannte ich um mich herum verstört dreinblickende Menschen.

»Aufstehen Lady, Aufbruch!«

Ich blinzelte ein paar Mal, um wieder klar zu sehen und wandte den Kopf nach oben. Dort erkannte ich einen der Typen wieder, die mit Hamid zusammen die Wachen überwältigt hatten. Er schlug erneut mit dem Kolben seines Gewehres gegen die Wand und schlaftrunken zuckte ich zusammen.

»Alles klar…«, stöhnte ich und versuchte mich mühsam, mit derben Schmerzen in meinen Gliedern, aufzurappeln.

Ich setzte mich auf und schaute mich um. Am Horizont brannte eine mächtige Sonne durch einen dichten Schleier. Ich hatte trotz der tief stehenden Sonne keinerlei Zeitgefühl mehr. Die Luft war von Staub erfüllt, ich konnte in den Höhen staubige Schleier in unnatürlich hoher Geschwindigkeit vorüberziehen sehen. Es herrschte eine schier unmenschliche Hitze, ich vermochte mir nicht vorzustellen, wie heiß es hier sein könnte, wenn die Sonne ohne den Schleier hier auf uns niederbrennen würde.

Der Sturm war vorübergezogen, wie man mir später erzählte. Die letzten Reste davon hatten noch bis vor einigen Stunden gewütet, als der Transporter sich unsanft in den Sand gebohrt hatte. Das Schiff war nur noch ein zerbeulter und aufgerissener Haufen Schrott und ich konnte mir kaum vorstellen, wie wir dort jemals lebend herausgekommen waren. Im Wind flatterten die zerfetzten Reste eines großen Bremsfallschirmes.

»Hey Aida, guten Flug gehabt?«, hörte ich eine vertraute Stimme. Ich drehte mich zur anderen Seite und sah den grinsenden Anton mit einigen blutverschmierten Streifen im Gesicht vor mir stehen. Er stank nach einer Mischung aus Ruß, Öl, und Erbrochenem.

Ich grinste zurück und fragte ihn:

»Seh ich genau so beschissen aus wie du?«

»Besser.«, antwortete er und reichte mir seine Hand.

Er zog mich hoch und begann zu erzählen.

»Das war ein ziemlich heftiger Sturm, aber es scheint so, als wäre er nun vorbei. Du warst ein paar Stunden bewusstlos, so wie die Meisten von uns. Dieses Schiff war wohl mit Not-Stasis-Feldern ausgestattet, die uns das Leben gerettet haben.«

Ich blickte mich zum Schiff um und staunte nicht schlecht.

»Das wir überhaupt lebend aus dem Schrotthaufen wieder rausgekommen sind, wundert mich wirklich.«

Es stank erbärmlich nach verbranntem Metall und Treibstoff. Der Geruch erinnerte mich an die wenigen Male, wenn wir eines der Alien-Shuttles abgeschossen hatten und auf den qualmenden Trümmern unseren Triumph feierten.