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Der berühmte Jäger und Afrikareisende Allan Quatermain macht Station in seinem alten Heimatland England. Er ist Gast von Sir Lord Ragnall und dessen Verlobten Luna. Während einer Abendveranstaltung versuchen zwei Zauberer aus Afrika Lord Ragnalls Verlobte, die sie für eine Göttin namens "Elfenbeinkind" halten, zu entführen. Die Entführung wird vereitelt. Jahre später wird der Sohn der Ragnalls von einem Elefanten getötet. Um diesen Schicksalsschlag zu verarbeiten, reisen Lord und Lady Ragnall nach Ägypten. Dort verschwindet Lady Ragnall während einer Kreuzfahrt auf dem Nil. Quatermain bricht zu einer Reise in das Innere Afrikas auf, um sie zu suchen. Der Autor, selbst lange Jahre als Staatsbeamte in afrikanischen Kolonien tätig, beschäftigte sich schon früh mit der Kultur der Einheimischen, ihrer Sprache und ihren Bräuchen. Er studierte die Legenden der Zulu, was sich in seinen Romanen um Allan Quatermain bildreich niederschlägt. Null Papier Verlag
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Seitenzahl: 323
Henry Rider Haggard
Quatermain und das Elfenbeinkind
Ein Abenteuerroman aus Afrika
Henry Rider Haggard
Quatermain und das Elfenbeinkind
Ein Abenteuerroman aus Afrika
(The Ivory Child)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Arthur Heye 2. Auflage, ISBN 978-3-954188-88-8
null-papier.de/neu
Inhaltsverzeichnis
1. Kapitel – Allan gibt Schießunterricht
2. Kapitel – Allan macht eine Wette
3. Kapitel – Fräulein Holmes
4. Kapitel – Hârut und Mârut
5. Kapitel – »Die Bona fide Goldmine«
6. Kapitel – Lord Ragnalls Geschichte
7. Kapitel – Die Begegnung in der Wüste
8. Kapitel – Durch die Wüste zu den schwarzen Kendah
9. Kapitel – Allan wird gefangen
10. Kapitel – Der erste Fluch
11. Kapitel – Jana
12. Kapitel – Die Hetzjagd
13. Kapitel – Der Bewohner der Höhle
14. Kapitel – Hans stiehlt die Schlüssel
15. Kapitel – Das Heiligtum und der Eid
16. Kapitel – Die Gesandtschaft des König Simba
17. Kapitel – Allan Quatermain schießt vorbei
18. Kapitel – Allan weint
19. Kapitel – Heimwärts
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Ihr Jürgen Schulze
Der Tee der drei alten Damen
Arme Leute und Der Doppelgänger
Der Vampir
Der seltsame Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Der Idiot
Jane Eyre
Effi Briest
Madame Bovary
Ilias & Odyssee
Geschichte des Gil Blas von Santillana
und weitere …
Jetzt will ich, Allan Quatermain, jene Erlebnisse erzählen, welche vielleicht zu den seltsamsten Abenteuern zu rechnen sind, die mir im Verlaufe eines kaum zahm oder langweilig zu nennenden Lebens zugestoßen sind.
Neben vielem anderen wird vom Kriege gegen das Volk der »Schwarzen Kendah« und vom Tode Janas, seines Elefantengottes, die Rede sein. Oft habe ich darüber nachgedacht, ob diese Kreatur nicht etwas anderes und mehr gewesen sei als nur ein riesenhaftes, waldbewohnendes Ungetüm. Scheint das unwahrscheinlich? Ist so etwas nicht möglich? Nun, der Leser wird sich selbst sein Urteil bilden.
Ebenso wird ihm die Religion der »Weißen Kendah« merkwürdig genug vorkommen. Die Angehörigen dieses Stammes wollen im Besitz gewisser magischer Kräfte sein, und über diese Kräfte will ich nur das eine bemerken: wenn sie überhaupt existierten, so waren sie jedenfalls nicht unfehlbar. Schon ein einziges Vorkommnis mag dies beweisen: Hârut und Mârut waren auf Grund einer Weissagung der festen Überzeugung, daß ich, und zwar ausschließlich ich, Jana zu töten imstande wäre; und das war ja auch der Grund, weshalb sie mich einluden, ins Kendahland zu kommen. Dennoch war es zuguterletzt mein Diener Hans, der ihn tötete. Um ein Haar wäre ich bei dieser Expedition ums Leben gekommen …
Doch ich will die Spannung des Lesers nicht unnötig steigern und der Reihenfolge nach meine so sonderbaren Erlebnisse berichten.
Ich wohnte für ein paar Tage während eines kurzen Aufenthaltes in England bei meinem alten Freunde Scroope, oder eigentlich bei seiner Verlobten und deren Angehörigen in Essex. Während meines Besuches wurde ich einmal mitgenommen, um einen noch schöneren Wohnsitz anzusehen; ein prächtiges altes Kastell mit gemauerten Tortürmen. Es war mit vollendeter Kunst restauriert und in einen luxuriösen modernen Wohnsitz umgewandelt worden. Wir wollen es »Ragnall« nennen, nach dem Schloß eines Barons dieses Namens.
Ich hatte schon allerlei über Lord Ragnall gehört. Den Berichten zufolge mußte er so etwas wie ein Universalgenie sein. Er sollte ein selten schönes Äußeres besitzen und durch Geist und Witz glänzen – seinen Doktor habe er cum laude gemacht – daneben sei er ein großer Sportsmann – Führer des »Oxford-Bootes« beim Universitätsrennen – ein hervorragender Schütze, der in Indien Tiger und anderes Großwild jagte. Überdies ein vielversprechender Politiker, dessen Reden im Oberhause Aufsehen erregt hatten. Hinter dem Pseudonym des Autors eines vielgekauften Gedichtbandes verberge sich niemand anders als der Lord selbst. Dann gelte er als trefflicher Soldat und schließlich als Mann von gewaltigem Reichtum, der außer großen Gütern eine Reihe von Kohlengruben und eine ganze Stadt im Norden von England besaß.
Als die Liste der Reichtümer zu Ende war, meinte ich: »Vielleicht ist er in der Liebe unglücklich?«
»Gerade hierin hat er das allergrößte Glück!«, antwortete die junge Dame, mit der ich sprach, die Braut Scroopes, Fräulein Manners. »Er ist mit einer Dame verlobt, die geradezu das lieblichste, süßeste und klügste Mädchen von ganz England sein soll, und die beiden beten einander an.«
»Da soll’s mich nicht wundern, wenn das Schicksal gegen Lord Ragnall und seine vollkommene Liebste etwas ausheckt.«
Und wirklich sollte ich mit meiner Ahnung rechtbehalten …
Als ich am nächsten Morgen gefragt wurde, ob ich mir einmal die Sehenswürdigkeiten von Schloß Ragnall anzusehen wünsche, sagte ich gern zu.
Wir hatten in der klaren frostigen Dezemberluft eine schöne Fahrt. Beim Eintreffen hörten wir, daß Lord Ragnall irgendwo im Park beim Schießen wäre, Herr Scroope seinem Freunde aber selbstverständlich das Schloß zeigen könne. So begaben wir drei – Fräulein Manners hatte uns in ihrem Ponywagen herüberkutschiert – uns ins Schloß. Der Pförtner führte uns zum Hauptportal und übergab uns dort einem anderen Menschen, den er Herrn Wild nannte, – dem Kammerdiener Seiner Lordschaft, wie er mir ins Ohr flüsterte.
Ich merkte mir den Namen, weil ich den Eindruck hatte, daß noch niemals jemand weniger »wild« ausgesehen hatte als dieser Herr. Seine Kleidung – er trug einen schwarzen Morgencutaway – war fehlerlos, seine Manieren gewählt, höflich bis an die Grenze der Ironie, aber mit einem Schimmer von hochmütigem Stolz im Hintergrunde. Sein Gesicht mit seiner feinen Nase und, den Falkenaugen war interessant, und die Spur von Kahlheit über der Stirn kam nur dem Gesamteindruck zugute. Sein Alter mochte etwa zwischen Fünfunddreißig und Vierzig liegen, und die Art und Weise, wie er mich meines Hutes und Stockes beraubte, bewies mir die Entschlossenheit seines Charakters. Wahrscheinlich, so überlegte ich, hält er mich für einen etwas gefährlichen Menschen, der die Gemälde oder die Kunstgegenstände mit seinem Stock beschädigen könnte. – Da er nicht wußte, unter welchem Vorwand er mir den Stock allein abverlangen solle, verfiel er auf den Ausweg, mich auch um den Hut zu erleichtern.
Später einmal bestätigte mir Herr Samuel Wild selbst diese meine Mutmaßungen. Er habe in Anbetracht meines ein wenig ungewöhnlichen Äußeren gedacht, ich könnte einer von jenen gefährlichen Leuten sein, von denen er in den Zeitungen soviel las, nämlich ein »Hanarchist«. Ich schreibe das Wort so, wie er es aussprach – und das war eine kuriose Sache. So fehlerlos, so gut erzogen dieser Mann auch war – er hatte seine schwache Seite, durch die er lächerlich wurde. Seine Aussprache des »H« war unsicher. Drei etwa kamen ganz richtig heraus, aber ein viertes machte sich entweder durch völliges Fehlen oder durch unbeabsichtigtes Auftreten bemerkbar. Im übrigen war Samuel Wild ein guter Kerl und von einer rührenden Treue. Ich hatte den größten Respekt vor ihm.
Jetzt begleitete er uns durch das Schloß. Wir sahen alle die zahllosen Kostbarkeiten und wenigstens zweihundert Gemälde aus der Werkstatt berühmter alter Meister. Das gab Wild Gelegenheit, mit großen, wenn auch irgendwo zusammengeklaubten historischen Kenntnissen zu prunken. Um die Wahrheit zu sagen, ich wäre ihm dankbar gewesen, wenn er seine Erklärungen ein bißchen weniger detailliert gehalten hätte, denn an jenem Dezembertage war es in diesen großen Räumen erbärmlich kalt.
Um den Weg von der großen nach der kleinen Galerie abzukürzen, passierten wir Lord Ragnalls Arbeitszimmer, einen gut geheizten und behaglich eingerichteten Raum. Ich blieb einen Augenblick am Feuer stehen. Und da entdeckte ich, durch einen Vorhang verhüllt, ein Gemälde. Ich fragte Herrn Wild nach der Bedeutung.
»Das, mein Herr«, antwortete er mit einer Art stolzer Reserviertheit, »ist das Porträt der zukünftigen gnädigen Frau. Seine Lordschaft hat den Anblick dieses Bildes ausschließlich sich selbst vorbehalten.«
Fräulein Manners kicherte, und ich sagte: »So, ich danke Ihnen. Aber wie kann man nur eine Sache von solch übler Vorbedeutung tun!«
Durch eine offene Türe erspähte ich die Vorhalle, in der mir mein Hut abgenommen worden war, blieb ein wenig zurück, und als die anderen in der kleinen Galerie verschwunden waren, schlüpfte ich in die Halle, nahm mein Hab und Gut wieder an mich und trat in den Garten hinaus, um, hier auf und ab gehend, mich zu erwärmen und auf meine Begleiter zu warten. Als ich so auf der Terrasse hin und her marschierte, hörte ich den Knall von Schüssen. Das Knallen scholl aus einer Gruppe von Eichen her, die in einer Entfernung von etwa vierhundert Metern standen. Mir schien, daß die Schüsse aus einem kleinkalibrigen Gewehr kamen, nicht aus einer Schrotflinte.
Neugierig, wie ich es ja schon fast berufsmäßig bin, ging ich auf einem Umwege quer durch eine Anpflanzung auf den Eichenhain zu. Schließlich stand ich am Rande einer Lichtung und sah, durch einen prächtigen Buchsbaum gedeckt, zwei Männer vor mir. Der eine war ein junger Heger, und der andere – das wußte ich im ersten Moment – war Lord Ragnall selbst. Tatsächlich eine ungewöhnliche Erscheinung! Sehr groß, breitschultrig, zugespitzter Bart, ein freundliches und einnehmendes Gesicht und große dunkle Augen. Er trug einen Mantel über den Schultern, der einen Samtrock darunter sehen ließ.
Meinen Platz wechselnd, beobachtete ich seine Versuche, Holztauben zu schießen, die, durch das kalte Wetter hungrig gemacht, Eicheln picken wollten. Von Zeit zu Zeit tauchten die schönen blauen Vögel auf, einen Moment lang schwebten sie regungslos über den Bäumen, ehe sie sich setzten. Der Schütze feuerte und – sie flogen davon! »Peng – Peng!«, machte die Büchse, und weg war die Taube.
»Verdammt!«, sagte der Schütze mit einer wohlklingenden Stimme, »das ist die zwölfte, die ich gefehlt habe, Charles.«
»Sie haben den Schwanz getroffen, Mylord. Ich sah eine Feder davonflattern. Aber, wie gesagt, Mylord, es gibt keinen lebenden Menschen, der fliegende Tauben mit einer Kugel zu treffen imstande wäre. Auch dann nicht, wenn sie in der Luft stillzustehen scheinen.«
»Ich habe von einem gehört, Charles. Herr Scroope hat einen Freund aus Afrika zu; Besuch, von dem er schwört, daß er vier Stück von sechs herunterholt.«
»Dann, Mylord, hat Herr Scroope einen Lügenpeter zum Freunde«, entgegnete Charles, indem er ihm das zweite Gewehr reichte.
Das war zuviel für mich. Ich schritt, höflich meinen Hut lüftend, auf die beiden zu und sagte:
»Entschuldigen Sie, mein Herr, wenn ich störe; aber Sie schießen auf diese Holztauben nicht in der richtigen Weise. Wenn die Tauben auch, bevor sie niederkommen, in der Luft stehenzubleiben scheinen – sie fallen schneller, als Sie es sich vorstellen können. Ihr Heger irrte sich, als er Sie vom letzten Vogel, auf den Sie zwei Läufe abfeuerten, eine Schwanzfeder herausholen sah. In beiden Fällen haben Sie wenigstens einen Fuß zu hoch geschossen. Und was herunterkam, war ein Eichenblatt.«
Einen Moment herrschte Schweigen. Dann rief Charles ärgerlich aus:
»Nanu, was denn noch?«
Lord Ragnall aber – er war es wirklich – sah zunächst ebenfalls ärgerlich drein. Dann schien ihn die Sache zu amüsieren.
»Mein Herr«, sagte er, »ich danke Ihnen für Ihren Ratschlag. Es ist wahr, ich habe jede Taube gefehlt, auf die ich mit diesen vertrackten kleinen Büchsen zu schießen versuchte. Aber wenn Sie mir in der Praxis vorführen könnten, was Sie jetzt so freundlich theoretisch entwickelt haben – so würde das den Wert Ihrer Ratschläge sicherlich erhöhen.«
So sprach er. Ohne Zweifel ironisierte er mich (er hatte Sinn für Humor). Meine Rede war aber auch durch meine Erregung ein bißchen zu pompös ausgefallen.
»Geben Sie mir bitte das Gewehr«, antwortete ich, indem ich meinen Mantel ablegte.
Er überreichte es mir mit einer Verbeugung.
»Überlegen Sie sich, was Sie tun wollen«, grunzte Charles, »das Ding ist gespannt und gestochen.«
Ich schickte ihm einen vernichtenden Blick zu, aber dieser ungläubige Heger stierte mich nur mit der ausgesprochenen Unverschämtheit seiner runden Vogelaugen an. Niemals zuvor war ich auf einen dienstbaren Geist so wütend gewesen. Und auf einmal kam mir ein schrecklicher Gedanke. Wie, wenn ich fehlte! Ich wußte herzlich wenig Bescheid über den Flug englischer Holztauben, die mit der Kugel überhaupt leicht zu fehlen sind, und nichts wußte ich von diesen Spezialwaffen. Ein Blick belehrte mich aber, daß ich ein ausgezeichnetes, von einem berühmten Büchsenmacher konstruiertes Gewehr in der Hand hielt. Aber, wenn ich jetzt umschmiß, wie sollte ich Charles’ Verachtung und die Höflichkeit seines vornehmen Herrn, der sich schon jetzt über mich amüsierte, ertragen? Ich betete zum Himmel, daß sich keine weiteren Tauben zeigen möchten und so meine vorgegebene Geschicklichkeit wenigstens vorläufig nicht auf die Probe gestellt werden könnte.
Aber es sollte nicht sein. Diese Vögel kamen von weit her einzeln oder zu zweien auf der Suche nach ihrem Lieblingsfutter. Selbst die Tatsache, daß einige verscheucht worden waren, hielt die andern vom Kommen nicht ab. Auf einmal hörte ich Charles knurren: »Na, jetzt passen Sie auf, Meister. Jetzt haben Sie Gelegenheit, Seiner Lordschaft zu zeigen, wie man’s macht, trotzdem er, nebenbei bemerkt, der beste Schütze im Lande ist.«
Während er sprach, zeigten sich zwei Tauben. Die eine ein Stückchen hinter der anderen, kamen sie stracks auf uns zu. Als sie, bereit sich niederzulassen, die Lichtung des Hains erreichten, war die eine ungefähr fünfzig, die andere etwa siebzig Meter weit weg. Ich nahm die nächste aufs Korn, gab etwas für den Fall und die Steigung zu und berührte den Hahn der Büchse. Sie hatte nur einen ganz schwachen Rückschlag. Die Kugel durchschlug der Taube den Kropf. Ein Schauer von Eicheln fiel heraus, und das Tierchen sank tot zu Boden. Die zweite Taube, die Gefahr witternd, begann steil in die Höhe zu steigen. Ich feuerte den zweiten Lauf auf gut Glück ab und schoß ihr den Kopf herunter. Dann nahm ich automatisch die andere Büchse, die Charles geladen hatte, aus seiner ausgestreckten Hand. Denn im selben Moment sah ich zwei weitere Tauben heranstreichen. Auf die erste riskierte ich einen schwierigen Schuß und traf sie weit hinten; ihr Schwanz flog weg, aber sie kam, wenn auch noch flatternd, zu Boden. Ich nahm auch die andere aufs Korn; doch als ich den Abzug berührte, ertönte nur ein Klick und weiter nichts.
Damit war die Gelegenheit gekommen, mit Charles ein wenig abzurechnen, und ich benützte sie.
»Junger Mann«, sagte ich, während er mich mit offenem Munde angaffte, »Sie sollten lernen, mit gefährlichen Waffen, wie sie Gewehre sind, vorsichtiger umzugehen. Denn wenn Sie einem Schützen eines ungeladen in die Hand geben, so beweist das nur, daß Sie von der Sache nichts verstehen.«
Dann drehte ich mich auf den Hacken herum und setzte, zum Lord Ragnall gewendet, hinzu:
»Ich muß wegen meines dritten Schusses um Entschuldigung bitten. Ich habe mit ihm selbst gegen etwas verstoßen, was ich Ihnen zur Beachtung empfahl. Ich habe nämlich nicht hoch genug geschossen. Immerhin kann er dazu dienen, Ihrem Diener den Unterschied zwischen dem Schwanz einer Taube und einem Eichenblatt zu zeigen«, und ich zeigte auf eine der Federn, die noch immer in der Luft flatterten.
»Wenn dieser Kerl hier nicht der Teufel in Stiefeln ist …« murmelte Charles vor sich hin.
Aber sein Herr schnitt ihm mit einem Blick das Wort ab, dann lüftete er vor mir den Hut und sagte:
»Mein Herr, ich gratuliere Ihnen zu einer Geschicklichkeit, die fast an das Wunderbare grenzt, falls nicht Zufall – –« Er brach ab.
»Es ist nur natürlich, daß Sie das annehmen«, antwortete ich, »aber falls noch mehr Tauben kommen und Mister Charles die Büchsen wirklich ladet, hoffe ich, Sie zu überzeugen.«
In diesem Augenblick jedoch verscheuchte ein lauter Ruf von Scroope, der nach mir Ausschau hielt, jede Taube in einem Umkreis von einer halben Meile: eine Tatsache, über die ich nicht gerade ärgerlich war. Denn wer weiß, ob ich alle oder überhaupt noch eine einzige von den Tauben getroffen hätte.
»Ich glaube, meine Freunde rufen mich, deshalb möchte ich Ihnen ›Guten Morgen‹ sagen«, sagte ich linkisch.
»Einen Moment, mein Herr«, rief er aus, »dürfte ich Sie vorher um Ihren Namen bitten? Ich heiße Ragnall – Lord Ragnall.«
»Ich bin Allan Quatermain«, sagte ich.
»Oh!«, antwortete er, »das erklärt die Sache. Charles, dies ist Herrn Scroopes Freund, eben derselbe Herr, von dem du sagtest, er schnitte auf. Ich glaube, du tätest besser, dich zu entschuldigen.«
Aber Charles war weg. Ich nahm an, um die Tauben aufzulesen.
In diesem Augenblick erschien Scroope mit Fräulein Manners. Sie hatten unsere Stimmen gehört. Eine allgemeine Aussprache folgte.
»Herr Quatermain hat mir eine Lektion im Schießen von fliegenden Tauben mit kleinkalibrigen Gewehren gegeben«, sagte Lord Ragnall, indem er auf die herumliegenden toten Vögel zeigte.
»Dafür ist er auch kompetent«, bemerkte Scroope.
»Unerhört kompetent«, versetzte seine Lordschaft. »Falls Sie mir nicht glauben, fragen Sie den Heger.«
»Es ist das einzige, was ich kann«, warf ich bescheiden dazwischen. »Schießen ist mein Handwerk, und ich habe viel Übung darin, Vögel im Fluge mit der Kugel herunterzuholen. Aber mit einer Schrotflinte würde ich ohne Zweifel gegen Eure Lordschaft sehr ins Hintertreffen geraten. Darin habe ich nur wenig Übung. Außer wenn ich in Afrika für den Kochtopf schoß.«
»Ja«, unterbrach Scroope, »Sie würden überhaupt keine Chancen gegen einen der besten Schützen Englands haben, Allan.«
»Ich bin dessen nun nicht ganz sicher«, sagte Lord Ragnall mit seinem angenehmen Lächeln. »Ich habe so ein Gefühl, als stecke Herr Quatermain voller Überraschungen. Wir könnten, wenn er einverstanden ist, einmal die Probe aufs Exempel machen. – Wenn Sie doch einen Tag opfern könnten, Herr Quatermain! Wir wollen morgen die Schutzgehölze abjagen, die bis jetzt unberührt sind, und ich hoffe, Sie tun mit.«
Ich machte einige Ausflüchte; denn ich bedachte, daß der von mir glatt überzeugte Charles wohl alle möglichen Geschichten über mich in die Welt setzen würde, und ich wünschte nicht, vor einer Gesellschaft von großen Herren – die ohne Zweifel wegen ihrer ganz besonderen Geschicklichkeit in diesem Sport ausgesucht worden waren – unter Umständen beschämt dazustehen.
Meine Einwendungen überzeugten jedoch weder Lord Ragnall noch Scroope, und so blieb mir nichts übrig, als die Einladung anzunehmen.
Am folgenden Morgen kamen wir, Scroope und ich, ungefähr um ein Viertel vor zehn auf Schloß Ragnall an.
Als ich aus dem Gefährt herauskletterte, erschien mit der Würde eines Imperators eine pompös ausstaffierte Persönlichkeit, mit einem Samtmantel und einer scharlachroten Weste angetan, und begleitet von einem Individuum, in dem ich Charles erkannte. Unter jedem Arm trug er eine Flinte.
»Das ist der Oberheger«, flüsterte Scroope, »behandeln Sie ihn ja respektvoll.«
Voller Schrecken nahm ich meinen Hut ab und wartete.
»Spreche ich mit Herrn Allan Quatermain?«, sagte Seine Majestät mit tiefer, rollender Stimme, indem er mich mit kaltem, mißbilligendem Blick betrachtete.
Ich bejahte.
»Dann, mein Herr«, fuhr er fort – er machte eine kleine Pause hinter dem »mein Herr«, als betrachtete er mich in Wirklichkeit nur als so etwas wie einen afrikanischen Kollegen – »habe ich Ihnen im Namen Seiner Lordschaft diese Flinten zu übergeben. Ich hoffe, daß Sie mit ihnen vorsichtig umgehen, da sie zu Kauf oder Rücksendung hier sind. Charles, erkläre diesem ausländischen Herrn die Handhabung der Flinten und halte dabei die Mündung nach oben oder unten. Die Gewehre sind zwar nicht geladen, aber ein gutes Beispiel ist immer nützlich.«
»Danke Ihnen, Herr Heger«, antwortete ich, und langsam stieg mir die Galle, »aber ich glaube, daß mir über Flinten alles Nötige schon bekannt ist.«
»Es freut mich, das zu hören«, sagte Seine Majestät mit augenscheinlichem Mißtrauen. »Charles, Herr Scroope will für den Herrn laden, ich hoffe, er wird vorsichtig sein. Seine Lordschaft wünscht, daß du sie begleitest und die Patronen trägst. Und, Charles, zähle die Schüsse und die Strecke ohne Anrechnung alles Angeschossenen. Ich habe die Geschichten mit dem ewigen Anschießen satt.«
Die letzten Anordnungen wurden mit majestätischer Würde und ein wenig abseits ausgesprochen, damit wir nur nichts hören sollten. Scroope quittierte sie mit einem Kichern, Charles mit einem Grinsen; in mir jedoch wuchs das Gefühl der Entrüstung.
Ich nahm eine der Flinten und besah sie. Es war eine schöne, allermodernste Waffe, kostbare Präzisionsarbeit.
»An dem Gewehr ist alles in Ordnung, mein Herr«, brummte die rote Weste. »Wenn Sie es nur richtig hinhalten, besorgt es alles übrige von selbst. Aber halten Sie die Mündung aufwärts, Herr, aufwärts! Und vielleicht nehmen Sie es mir auch nicht übel, wenn ich Ihnen sage, daß wir hier auf Ragnall einen niedrigen Fasanen hassen. Ich erwähne das nur deshalb, weil der letzte Herr, der aus dem Ausland kam – es war ein Franzose – den ganzen Tag nichts schoß außer einer Henne, die sich ihm fast auf die Mündung setzte, den Hüten zweier Treiber seiner Lordschaft und einem Star.«
Bei diesem Punkte brach Scroope in ein brüllendes, närrisches Gelächter aus. Charles, dem ich offenbar schicksalsgemäß nicht entgehen sollte, drehte sich um und krümmte sich zusammen, als hätte er plötzlich Magenschmerzen bekommen. Ich aber wurde rasend.
»Zum Donnerwetter noch einmal, Herr Heger«, rief ich, »was soll diese Schulmeistern heißen! Bekümmern Sie sich um Ihre Angelegenheiten, und ich werde mich um meine bekümmern.«
In diesem Moment kam Lord Ragnall um die Ecke eines Hofgebäudes herum. Ich erkannte an seiner ärgerlichen Miene, daß er unsere Diskussion angehört hatte.
»Jenkins«, sagte er, »tun Sie, was Ihnen Herr Quatermain gesagt hat, und kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten. Sie scheinen sich nicht darüber im klaren zu sein, daß dieser Herr mehr Löwen, Elefanten und anderes Großwild geschossen hat als Sie Katzen. Aber wenn dem auch nicht so wäre, wäre es noch lange nicht Ihre Aufgabe, Belehrungsversuche an ihm – oder irgendeinem andern meiner Gäste – vorzunehmen. Gehen Sie jetzt, und sehen Sie nach den Treibern.«
»Bitte um Entschuldigung, Mylord«, stotterte Jenkins, und sein Gesicht, das so farbenfreudig wie seine Weste gewesen war, wurde mit einem Male ganz blaß. »Es war nicht böse gemeint, Mylord. Aber Elefanten und Löwen fliegen nicht, Mylord, und wer an solches Bodengewürm gewöhnt ist, neigt dazu, zu niedrig zu schießen, Mylord. Alle Treiber am Jagddickicht bereit, Mylord.«
Mit Verbeugungen kam er außer Sicht. Lord Ragnall wartete sein Verschwinden ab, dann sagte er lachend:
»Ich muß Sie um Entschuldigung bitten, Herr Quatermain. Diesen verdrehten alten Trottel habe ich sozusagen als Erbstück übernommen; und das Spaßigste dabei ist, daß er selbst der erbärmlichste und gefährlichste Schütze ist, den ich jemals gesehen habe. Andererseits wiederum ist er der beste Fasanenheger im ganzen Lande, und so muß ich mich mit ihm abfinden. Kommen Sie nun herein, ja? Charles wird auf Ihre Gewehre und Patronen achtgeben.«
Er führte Scroope und mich durch eine Seitentür in die große Halle und machte mich mit den übrigen Mitgliedern der Jagdgesellschaft bekannt. Es waren ausgezeichnete Schützen. Ihren berühmten Namen war ich oft genug in der Zeitschrift »Die Jagd« begegnet, die ich auch in Afrika hielt, trotzdem ich, wenn ich gerade auf meinen Expeditionen war, manchmal ein Jahr lang keine Nummer zu sehen bekam.
Zu meinem Erstaunen stellte ich fest, daß ich einen der Herren kannte. Wir waren sicherlich ein Dutzend Jahre lang einander nicht in den Weg gelaufen, aber ich war überzeugt, daß ich mich nicht irrte. Ein so gemeines Äußeres, solche kleine, graue, ruhelose Augen konnten niemand anderem gehören als van Koop, dessen Name seinerzeit in Südafrika berühmt und – berüchtigt war in Verbindung mit riesigen und außerordentlich erfolgreichen Betrügereien. Betrügereien, gegen die das Gesetz keine Handhabe bot, bei denen auch ich eins der vielen Opfer war, und zwar mit einem Betrage von zweihundertfünfzig Pfund, einer großen Summe für mich.
Als wir seinerzeit dort unten zum letztenmal zusammengekommen waren, hatte es eine stürmische Szene zwischen uns gegeben. Sie endete damit, daß ich ihm wütend erklärte, ich würde ihn, wenn er mir auf dem Feld noch einmal unter die Augen käme, ohne Bedenken niederschießen. Vielleicht war das einer der Gründe, warum van Koop auf einmal aus Südafrika verschwand; er war ein mit allen Hunden gehetzter Fuchs. Ich glaube, er war eben hereingekommen. Wahrscheinlich wohnte er irgendwo in der Nachbarschaft von Ragnall. Auf jeden Fall wußte er nichts von meiner Anwesenheit. Hätte er es gewußt, er wäre – dessen bin ich ganz sicher – weggeblieben. Als er mich sah, rief er: »Allan Quatermain, so wahr ich lebe!« – halblaut nur, aber in solch erstauntem Tone, daß es die Aufmerksamkeit von Lord Ragnall erregte, der in der Nähe stand.
»Ja, Herr van Koop«, antwortete ich munter, »Allan Quatermain, niemand anders; und ich hoffe, Sie sind ebenso erfreut mich zu sehen, wie ich Sie.«
»Das muß ein Irrtum sein«, sagte Lord Ragnall mit erstauntem Gesicht, »das ist doch Sir Junius Fortescue, früher Herr Fortescue.«
»Was Sie nicht sagen«, antwortete ich. »Ich weiß nicht, ob ich ihn jemals bei diesem Namen habe rufen hören, aber was ich weiß, ist, daß wir alte – Freunde sind.«
Lord Ragnall entfernte sich, da er wahrscheinlich die Unterhaltung nicht fortzusetzen wünschte. Niemand sonst hatte zugehört. Van Koop schob sich an mich heran.
»Herr Quatermain«, sagte er mit unterdrückter Stimme, »meine Verhältnisse haben sich, seit wir uns das letztemal trafen, geändert!«
»Den Eindruck habe ich auch«, versetzte ich, »aber meine sind genau dieselben geblieben, und wenn es Ihnen jetzt passen würde, mir jene zweihundertfünfzig Pfund, die Sie mir schulden, samt Zinsen zurückzuzahlen, so wäre ich Ihnen sehr verbunden. Wenn nicht, so hätte ich eine hübsche Geschichte von Ihnen zu erzählen.«
»Oh, Herr Quatermain«, antwortete er mit einem gewissen Lächeln, daß es mir schwer wurde, ihm nicht einen Tritt zu geben, »wie Sie wissen, bestreite ich die Schuld.«
»So, tun Sie das?«, rief ich aus. »Vielleicht werden Sie die Geschichte auch bestreiten. Aber die Frage ist, wird man Ihnen auch dann glauben, wenn ich Beweise bringe?«
»Haben Sie schon mal etwas von einem Statut über beschränkte Haftung gehört, Herr Quatermain?«, fragte er hohnlächelnd.
»Nicht, soweit sie den Ruf betrifft«, antwortete ich mit Betonung. »Nun, was gedenken Sie zu tun?«
Er dachte einen Moment nach und antwortete:
»Passen Sie auf, Herr Quatermain, Sie waren immer so etwas wie ein Sportsmann, und ich will Ihnen einen Vorschlag machen. Wenn ich heute mehr Vögel als Sie herunterbringe, sollen Sie versprechen, den Mund über meine Angelegenheiten in Südafrika zu halten, und wenn Sie mehr herunterbringen als ich, sollen Sie ihn immer noch halten, aber ich will Ihnen jene zweihundertfünfzig Pfund samt Zinsen für sechs Jahre bezahlen.«
Ich überlegte einen Moment, wohl wissend, daß der Mann etwas im Schilde führte. Gewiß, ich konnte ablehnen und Skandal machen. Aber das lag mir nicht und würde mich auch meinen zweihundertfünfzig Pfund nicht näherbringen, die, falls ich gewann, doch ihren Weg in meine Tasche zurückfinden konnten.
»Gut, abgemacht«, sagte ich.
»Um was dreht sich die Wette, Sir Junius?«, fragte Lord Ragnall näherkommend.
»Es ist eine ziemlich lange Geschichte«, antwortete jener, »vor Jahren, als ich in Afrika reiste, hatte ich mit Herrn Quatermain eine Meinungsverschiedenheit über eine Summe von fünf Pfund. Um Auseinandersetzungen über diese Kleinigkeit zu vermeiden, haben wir ausgemacht, sie zum Gegenstand eines Wettschießens zu machen.«
»So, so«, sagte Lord Ragnall ziemlich ernsthaft; ich sah ihm an, daß er van Koops Darstellung über die Höhe der Summe nicht traute. »Geradeheraus gesagt, Herr Junius, ich bin nicht sehr davon eingenommen, daß hier Wetten abgeschlossen werden. Ich glaube Herrn Quatermain gestern auch erwähnen zu hören, daß er in England noch niemals Fasanen geschossen hätte, und deshalb erscheint mir die Sache nicht ganz fair. Doch müssen die Herren Ihre Angelegenheiten natürlich selbst am besten beurteilen können. Nur, da hier Geld in Frage kommt, muß ich jemanden damit beauftragen, Ihre Vögel zu zählen und mir über das Endergebnis Bericht zu erstatten.«
»Einverstanden«, sagte van Koop. Ich gab keine Antwort. Denn um die Wahrheit zu sagen, mir war die ganze Sache sehr peinlich. Hernach gingen Lord Ragnall und ich an der Spitze der ganzen Gesellschaft zur ersten Schonung hinüber. Wir hatten ungefähr eine halbe Meile zu marschieren.
»Sie sind schon früher mit Sir Junius zusammengekommen?«, fragte er mich mit einer gewissen Betonung.
»Ja«, antwortete ich. »Vor etwa zwölf Jahren. Van Koop machte damals als erfolgreicher – hm – Spekulant viel von sich reden. Aber kurze Zeit darauf verschwand er aus Südafrika.«
»Um hier aufzutauchen. Vor zehn Jahren kaufte er eine große Besitzung in der Nachbarschaft. Vor drei Jahren wurde er Baron.«
»Wie konnte ein Mensch wie van Koop Baron werden?«, forschte ich.
»Durch Kauf, glaube ich.«
»Durch Kauf! Werden in England Titel verkauft?«
»Sie sind erfreulich unschuldig, Herr Quatermain, so wie ein Jäger aus Afrika eigentlich sein soll«, sagte Lord Ragnall lachend. »Ihr Freund –«
»Entschuldigen Sie, Lord Ragnall, ich bin eine bescheidene Person, nicht einmal so eingebildet wie etwa Ihr Wildhüter. Deswegen aber möchte ich den Baron Junius, früheren Herrn van Koop, noch lange nicht meinen Freund nennen, wenigstens nicht im Ernst.«
Der Lord lachte von neuem.
»Nun, die Persönlichkeit, mit der Sie Ihre Wette abgeschlossen haben, hat große Summen für die Fonds seiner Partei gezeichnet. Ich sage Ihnen nur, was ich weiß. Die Höhe des Betrages kenne ich nicht. Es war von fünfzehn- oder von fünfzigtausend Pfund die Rede, und auf die Spende hin wurde er Baron.«
»Das ist die ganze Geschichte«, fuhr er fort. »Ich mag den Mann ja selbst nicht. Aber er ist ein ausgezeichneter Fasanenschütze, und dieser Umstand öffnet ihm alle Türen. Der Schießsport wird eben einmal hierzulande wie ein Fetisch gepflegt und in Ehren gehalten, Herr Quatermain. So ist es zum Beispiel auf dieser Besitzung Tradition, daß wir mehr Fasanen schießen müssen als irgend jemand sonst im Lande, und deswegen habe ich die Verpflichtung, die besten Schützen einzuladen, mögen sie auch nicht immer einwandfreie Burschen sein. Es ist mir ja nicht angenehm, aber offenbar kann ich nichts anderes tun, als was meine Vorfahren getan haben.«
»Unter diesen Umständen würde ich die Sache überhaupt aufgeben, Lord Ragnall. Sport als Sport ist gut, aber wenn er zum Geschäft wird, lernt man ihn hassen. Ich weiß Bescheid, da ich ihn viele Jahre als Handwerk betreiben mußte.«
»Das ist eine Idee«, entgegnete er nachdenklich. »Unterdessen hoffe ich, daß Sie Ihre – fünf Pfund von Sir Junius zurückgewinnen. Er ist so eitel, daß ich mit Freuden fünfzig Pfund dazugeben würde, um das zu erleben.«
»Dafür ist wenig Hoffnung«, antwortete ich. »Denn wie ich Ihnen sagte, habe ich niemals vorher Fasanen geschossen. Immerhin will ich es versuchen.«
»Recht so. Und passen Sie auf, Herr Quatermain, halten Sie immer gut vor. Sie sehen, ich erlaube mir, Ihnen Ratschläge zu geben, so wie Sie gestern mir. Schrot hat nicht die Geschwindigkeit der Kugel, und der Fasan ist ein Vogel, der im allgemeinen viel schneller fliegt als man denkt. Also, hier sind wir. Charles wird Ihnen Ihren Stand zeigen. Viel Glück!«
Zehn Minuten später begann die Jagd. Alle sieben Schützen wurden am Rande einer langen Schonung in Sicht voneinander postiert. Ich war so in Beobachtung der Vorbereitungen versunken, die für mich völlig neu waren, daß ich erst einen Hasen und dann eine Fasanenhenne durchschlüpfen ließ, ohne auf sie zu schießen. Besagte Henne beschrieb einen Bogen und wurde dabei von van Koop, der von mir aus der dritte war, wunderschön heruntergeholt.
»Hören Sie mal, Allan«, sagte Scroope, »wenn Sie Ihren afrikanischen Freund schlagen wollen, wäre es besser, Sie wachten nun auf; Sie werden es weder durch Bewunderung der Landschaft noch jenes Eichhörnchens dort schaffen.«
So raffte ich mich auf. Gerade gellte ein Schrei: »Hahn voraus!« Ich dachte an einen Fasanenhahn und war erstaunt, als ich einen schönen braunen Vogel mit langem Schnabel auf mich zufliegen sah.
»Muß ich den auch schießen?«, fragte ich.
»Selbstverständlich. Es ist eine Waldschnepfe«, antwortete Scroope.
In diesem Augenblick rüttelte der Vogel ungefähr zehn Meter hinter mir. Ich feuerte und traf ihn, und wo er soeben zu sehen gewesen war, stiebte nur noch eine Wolke von Federn. Es war ein schneller und geschickter Schuß – glaubte ich wenigstens. Aber als Charles nur einen Schnabel und einen Kopf auflas, lief ein Kichern die ganze Linie der Schützen und Jagdgehilfen entlang.
»Hallo, alter Junge«, sagte Scroope, »wenn Sie Ihre Sauposten weiter benutzen wollen, so täten Sie besser, Ihre Vögel ein bißchen mehr hinten zu treffen.«
Der Vorfall ärgerte mich so, daß ich unmittelbar darauf drei in einer Linie streichende, ganz leichte Fasanen verfehlte, während van Koop sich zwei neue gutschreiben konnte.
Scroope schüttelte den Kopf, und Charles murrte hörbar. Jetzt, da ich nicht mit seinem Meister im Wettbewerb stand, war er plötzlich nur darauf erpicht, daß ich gewinnen sollte. Denn auf geheimnisvolle Weise hatten sich Gerüchte von unserer Wette verbreitet, und mein Gegner war unter den Hegern nicht beliebt.
»Da, jetzt sind Sie wieder dran«, sagte Scroope, auf einen ankommenden Fasan zeigend.
Es war ein außerordentlich hoher Fasan, der wahrscheinlich von außerhalb der Schonung kam, so hoch, daß ihn weder van Koop noch zwei andere Schützen, die auf ihn anlegten, trafen. Dann feuerte ich, und eingedenk Lord Ragnalls Rat hielt ich weit vor. Sein Flug änderte sich. Er schoß, eine Kurve beschreibend, noch ein Stück vorwärts und fiel dann vierzig Meter rechts von mir tot nieder.
»Schon besser«, sagte Scroope, und Charles grinste über sein ganzes rundes Gesicht und brummte:
»Diesmal hat er die Augen ausgewischt.«
Dieser Schuß gab mir Vertrauen, und ich verbesserte mich von da ab beträchtlich, trotzdem ich komischerweise feststellte, daß es gerade die hohen und schwierigen Fasanen waren, die ich erwischte, und daß ich gerade die leichten öfters fehlte. Aber van Koop, der offensichtlich ein Künstler im Schießen war, bekam beide.
Lord Ragnall, der mir am nächsten stand, forderte mich auf, mit ihm hinter die anderen Schützen zurückzutreten.
»Ich sehe, die Schwierigen sind Ihre Spezialität, Herr Quatermain«, sagte er, »und hier werden Sie von dieser Sorte genug bekommen.«
Jetzt standen wir an einem Abhang zwischen zwei langgestreckten Gehölzen, die ungefähr zweihundert Meter auseinanderlagen. Eins wurde gerade abgetrieben. Es steckte voll von Fasanen; und die Leistungen der auserlesenen Schützen waren in der Tat sehenswert.
Ich kam hier ganz gut voran, fast so gut wie Lord Ragnall selber. Und das will viel heißen; denn er war ein brillanter Schütze.
»Bravo!«, sagte er am Ende des Treibens. »Ich glaube, Sie haben jetzt Chance, Ihre fünf Pfund doch noch zu gewinnen.«
Als ich aber nach dem Frühstück feststellte, daß ich dreißig Fasanen weniger geschossen hatte als mein Gegner, schüttelte ich den Kopf. Und dasselbe taten alle übrigen. Dennoch schmeckte das Frühstück, das wir im Hause eines Hegers einnahmen, ausgezeichnet, trotzdem van Koop unaufhörlich in solch prahlerischer Weise schwatzte, daß ich sah, es ärgerte unseren Gastgeber und einige der anderen Herren. Schließlich wandte er sich gönnerhaft an mich und fragte, wie ich die letzten Jahre mit meinem »Elefanteneinkochen« vorwärtsgekommen wäre. Ich antwortete: »Recht gut.«
»Dann sollten Sie unseren Freunden einige Ihrer berühmten Geschichten erzählen, ich verpflichte mich, Ihnen nicht zu widersprechen«, sagte er und fügte hinzu:
»Die Herren haben ja, im Gegensatz zu uns, keine Erfahrung im Abschuß von Großwild.«
»Ich wußte nicht, daß Sie selber welche hatten, Sir Junius«, antwortete ich gereizt, »denn, wenn ich mich recht erinnere, sagten Sie mir einmal in Afrika, das einzige Großwild, das Sie jemals geschossen hätten, wäre ein an Rotwasser erkrankter Ochse gewesen. Immerhin, das Schießen ist für mich Handwerk, nicht Sport wie für Sie, und ich liebe es nicht, zu fachsimpeln.«
Das daraufhin ausbrechende Gelächter stopfte ihm den Mund. Dann fing Scroope, der entzückendste aller Freunde, an, Abenteuer von mir zu erzählen, bis mir die Ohren klangen und ich hinauslief, um nach dem Wetter zu sehen.
Das hatte sich unterdessen sehr verändert. Der Himmel war bedeckt, und ein böiger Wind, der von Minute zu Minute stärker wurde, trieb kleine Schneeschauer vor sich her.
»Auf mein Wort«, sagte Lord Ragnall, der mich begleitete, »das sieht wenig hoffnungsvoll aus. Wir wollten in der Schonung am See, unserm besten Stand hier, heute nachmittag siebenhundert Fasanen schießen, aber ich bezweifle, daß wir auf fünfhundert kommen. Ich möchte Sie, Herr Quatermain, und Sir Junius zuhinterst in der Schonung postieren. Hier haben Sie noch die meisten Aussichten, da viele der Fasanen gegen diesen Wind überhaupt nicht bis zum See herankommen. Wenn es Ihnen recht ist, leiste ich Ihnen Gesellschaft, da ich selbst heute nicht mehr zu schießen gedenke.«
»Ich fürchte, Sie werden enttäuscht sein«, sagte ich nervös.
»O nein, das werde ich nicht«, antwortete er. »Ich sage Ihnen frei heraus, daß Sie den besten Schützen der ganzen Gesellschaft abgeben würden, falls Sie Gelegenheit hätten, sich eine Saison hindurch zu üben. Augenblicklich sind Sie sich noch nicht ganz klar über den Flug dieser Vögel, und außerdem sind Ihnen auch diese Gewehre fremd. Nehmen Sie ein Glas Sherry Brandy, das wird Ihre Nerven beruhigen.«
Ich trank den Sherry Brandy, und gleich darauf zogen wir los. Die Schonung, in der wir schießen sollten, lag am Rande eines hufeisenförmigen Sees. Vier von den Schützen wurden an seiner Rundung, van Koop und ich an seiner geraden Seite postiert. Ich stellte mit Unbehagen fest, daß die anderen von der gegenüberliegenden Seite aus alles, was wir schossen, aber auch alles, was wir nicht schossen, sehen konnten, und daß uns außerdem noch ein Trupp von Zuschauern, unter denen ich den Büchsenmacher erkannte, beobachtete. Aber auf dem Wege zum Boot, das uns über den See setzen sollte, ereignete sich etwas, was mich in sehr gute Laune versetzte und mir auch Beifall einbrachte. Ich passierte eben mit Lord Ragnall, Scroope und Charles in einer Entfernung von etwa fünfzig Metern eine Gruppe großer Bäume, als von der anderen Seite her ein Schrei: »Rebhuhn hoch drüber!«, aus der heiseren Kehle des rotwestigen Jenkins herüberscholl, der das Abtreiben eines Streifens von niedrigem Unterholz leitete.
»Passen Sie auf, Herr Quatermain, die kommen von dieser Richtung her«, sagte Lord Ragnall, während Charles mir eine geladene Flinte in die Hand drückte. Eine Sekunde später tauchten die Vögel über den Baumwipfeln auf; ein großer Schwarm in langer Zickzacklinie, von den wütenden Stößen des Windes getragen, kamen sie mit unwahrscheinlicher Schnelligkeit heran. Ich schoß auf den ersten Vogel, der mir tot vor die Füße fiel. Ich schoß nochmals, der zweite fiel mir herunter. Ich packte eine andere Flinte und traf einen dritten, gerade als er über mir hinflog. Dann drehte ich mich um, bekam einen vierten vors Korn, und »Bums!«, fiel auch er – in der Tat, das war ein recht weiter Schuß.
»Donnerwetter!«, sagte Scroope, »so etwas habe ich noch nie gesehen«, während Lord Ragnall mich anstarrte und Charles vor sich hinpfiff.
Aber jetzt will ich die Wahrheit sagen und meine ganze Hinterlist offenbaren: der zweite Vogel war gar nicht der, auf den ich gezielt hatte. Ich war zu kurz abgekommen und hatte den nächsten erwischt. Und in meiner Eitelkeit gestand ich das gar nicht ein, wenigstens nicht vor Abend. – Die vier Rebhühner wurden jetzt zusammengesucht, und unter einer Flut von Gratulationen setzten wir unseren Weg über den See fort. Als wir ins Boot stiegen, bemerkte ich, daß Charles außer den von mir mitgebrachten noch eine große Schachtel mit anderen Patronen trug.
Sie stammten von Herrn Popham, dem Büchsenmacher, der sie für den Fall, daß die meinigen nicht ausreichten, mitgenommen hatte. Ich sagte nichts; aber da ich von meinen dreihundertfünfzig noch die Hälfte übrighatte, fragte ich mich still, was für ein Schießen das noch werden sollte. Wir nahmen also unsere Standplätze ein. Währenddessen aber verstärkte sich der Wind zu einem wütenden Sturm. Aus allen Richtungen der Windrose schienen seine Stöße zu kommen.
»Das wird ein wilder Nachmittag«, sagte Lord Ragnall, und während er sprach, kam van Koop ziemlich verstört von seinem Stand zu; uns und schlug vor, die Jagd abzubrechen.