Quatermain und das Elfenbeinkind - Henry Rider Haggard - E-Book

Quatermain und das Elfenbeinkind E-Book

Henry Rider Haggard

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Beschreibung

Der berühmte Jäger und Afrikareisende Allan Quatermain macht Station in seinem alten Heimatland England. Er ist Gast von Sir Lord Ragnall und dessen Verlobten Luna. Während einer Abendveranstaltung versuchen zwei Zauberer aus Afrika Lord Ragnalls Verlobte, die sie für eine Göttin namens "Elfenbeinkind" halten, zu entführen. Die Entführung wird vereitelt. Jahre später wird der Sohn der Ragnalls von einem Elefanten getötet. Um diesen Schicksalsschlag zu verarbeiten, reisen Lord und Lady Ragnall nach Ägypten. Dort verschwindet Lady Ragnall während einer Kreuzfahrt auf dem Nil. Quatermain bricht zu einer Reise in das Innere Afrikas auf, um sie zu suchen. Der Autor, selbst lange Jahre als Staatsbeamte in afrikanischen Kolonien tätig, beschäftigte sich schon früh mit der Kultur der Einheimischen, ihrer Sprache und ihren Bräuchen. Er studierte die Legenden der Zulu, was sich in seinen Romanen um Allan Quatermain bildreich niederschlägt. Null Papier Verlag

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Seitenzahl: 323

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Henry Rider Haggard

Quatermain und das Elfenbeinkind

Ein Abenteuerroman aus Afrika

Henry Rider Haggard

Quatermain und das Elfenbeinkind

Ein Abenteuerroman aus Afrika

(The Ivory Child)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Arthur Heye 2. Auflage, ISBN 978-3-954188-88-8

null-papier.de/neu

Inhaltsverzeichnis

1. Ka­pi­tel – Al­lan gibt Schie­ßun­ter­richt

2. Ka­pi­tel – Al­lan macht eine Wet­te

3. Ka­pi­tel – Fräu­lein Hol­mes

4. Ka­pi­tel – Hârut und Mârut

5. Ka­pi­tel – »Die Bona fide Gold­mi­ne«

6. Ka­pi­tel – Lord Ra­gnalls Ge­schich­te

7. Ka­pi­tel – Die Be­geg­nung in der Wüs­te

8. Ka­pi­tel – Durch die Wüs­te zu den schwar­zen Ken­dah

9. Ka­pi­tel – Al­lan wird ge­fan­gen

10. Ka­pi­tel – Der ers­te Fluch

11. Ka­pi­tel – Jana

12. Ka­pi­tel – Die Hetz­jagd

13. Ka­pi­tel – Der Be­woh­ner der Höh­le

14. Ka­pi­tel – Hans stiehlt die Schlüs­sel

15. Ka­pi­tel – Das Hei­lig­tum und der Eid

16. Ka­pi­tel – Die Ge­sandt­schaft des Kö­nig Sim­ba

17. Ka­pi­tel – Al­lan Qua­ter­main schießt vor­bei

18. Ka­pi­tel – Al­lan weint

19. Ka­pi­tel – Heim­wärts

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Ihr Jür­gen Schul­ze

99 Welt-Klas­si­ker

Der Tee der drei al­ten Da­men

Arme Leu­te und Der Dop­pel­gän­ger

Der Vam­pir

Der selt­sa­me Fall des Dr. Jekyll und Mr. Hyde

Der Idi­ot

Jane Eyre

Effi Briest

Ma­da­me Bo­va­ry

Ili­as & Odys­see

Ge­schich­te des Gil Blas von San­til­la­na

und wei­te­re …

1. Kapitel – Allan gibt Schießunterricht

Jetzt will ich, Al­lan Qua­ter­main, jene Er­leb­nis­se er­zäh­len, wel­che viel­leicht zu den selt­sams­ten Aben­teu­ern zu rech­nen sind, die mir im Ver­lau­fe ei­nes kaum zahm oder lang­wei­lig zu nen­nen­den Le­bens zu­ge­sto­ßen sind.

Ne­ben vie­lem an­de­ren wird vom Krie­ge ge­gen das Volk der »Schwar­zen Ken­dah« und vom Tode Ja­nas, sei­nes Ele­fan­ten­got­tes, die Rede sein. Oft habe ich dar­über nach­ge­dacht, ob die­se Krea­tur nicht et­was an­de­res und mehr ge­we­sen sei als nur ein rie­sen­haf­tes, wald­be­woh­nen­des Un­ge­tüm. Scheint das un­wahr­schein­lich? Ist so et­was nicht mög­lich? Nun, der Le­ser wird sich selbst sein Ur­teil bil­den.

Eben­so wird ihm die Re­li­gi­on der »Wei­ßen Ken­dah« merk­wür­dig ge­nug vor­kom­men. Die An­ge­hö­ri­gen die­ses Stam­mes wol­len im Be­sitz ge­wis­ser ma­gi­scher Kräf­te sein, und über die­se Kräf­te will ich nur das eine be­mer­ken: wenn sie über­haupt exis­tier­ten, so wa­ren sie je­den­falls nicht un­fehl­bar. Schon ein ein­zi­ges Vor­komm­nis mag dies be­wei­sen: Hârut und Mârut wa­ren auf Grund ei­ner Weis­sa­gung der fes­ten Über­zeu­gung, daß ich, und zwar aus­schließ­lich ich, Jana zu tö­ten im­stan­de wäre; und das war ja auch der Grund, wes­halb sie mich ein­lu­den, ins Ken­dah­l­and zu kom­men. Den­noch war es zu­gu­ter­letzt mein Die­ner Hans, der ihn tö­te­te. Um ein Haar wäre ich bei die­ser Ex­pe­di­ti­on ums Le­ben ge­kom­men …

Doch ich will die Span­nung des Le­sers nicht un­nö­tig stei­gern und der Rei­hen­fol­ge nach mei­ne so son­der­ba­ren Er­leb­nis­se be­rich­ten.

Ich wohn­te für ein paar Tage wäh­rend ei­nes kur­z­en Auf­ent­hal­tes in Eng­land bei mei­nem al­ten Freun­de Scroope, oder ei­gent­lich bei sei­ner Ver­lob­ten und de­ren An­ge­hö­ri­gen in Es­sex. Wäh­rend mei­nes Be­su­ches wur­de ich ein­mal mit­ge­nom­men, um einen noch schö­ne­ren Wohn­sitz an­zu­se­hen; ein präch­ti­ges al­tes Kas­tell mit ge­mau­er­ten Tor­tür­men. Es war mit vollen­de­ter Kunst re­stau­riert und in einen lu­xu­ri­ösen mo­der­nen Wohn­sitz um­ge­wan­delt wor­den. Wir wol­len es »Ra­gnall« nen­nen, nach dem Schloß ei­nes Barons die­ses Na­mens.

Ich hat­te schon al­ler­lei über Lord Ra­gnall ge­hört. Den Be­rich­ten zu­fol­ge muß­te er so et­was wie ein Uni­ver­sal­ge­nie sein. Er soll­te ein sel­ten schö­nes Äu­ße­res be­sit­zen und durch Geist und Witz glän­zen – sei­nen Dok­tor habe er cum lau­de ge­macht – da­ne­ben sei er ein großer Sports­mann – Füh­rer des »Ox­ford-Boo­tes« beim Uni­ver­si­täts­ren­nen – ein her­vor­ra­gen­der Schüt­ze, der in In­di­en Ti­ger und an­de­res Groß­wild jag­te. Über­dies ein viel­ver­spre­chen­der Po­li­ti­ker, des­sen Re­den im Ober­hau­se Auf­se­hen er­regt hat­ten. Hin­ter dem Pseud­onym des Au­tors ei­nes viel­ge­kauf­ten Ge­dicht­ban­des ver­ber­ge sich nie­mand an­ders als der Lord selbst. Dann gel­te er als treff­li­cher Sol­dat und schließ­lich als Mann von ge­wal­ti­gem Reich­tum, der au­ßer großen Gü­tern eine Rei­he von Koh­len­gru­ben und eine gan­ze Stadt im Nor­den von Eng­land be­saß.

Als die Lis­te der Reich­tü­mer zu Ende war, mein­te ich: »Vi­el­leicht ist er in der Lie­be un­glück­lich?«

»Gera­de hier­in hat er das aller­größ­te Glück!«, ant­wor­te­te die jun­ge Dame, mit der ich sprach, die Braut Scroopes, Fräu­lein Man­ners. »Er ist mit ei­ner Dame ver­lobt, die ge­ra­de­zu das lieb­lichs­te, sü­ßes­te und klügs­te Mäd­chen von ganz Eng­land sein soll, und die bei­den be­ten ein­an­der an.«

»Da soll’s mich nicht wun­dern, wenn das Schick­sal ge­gen Lord Ra­gnall und sei­ne voll­kom­me­ne Liebs­te et­was aus­heckt.«

Und wirk­lich soll­te ich mit mei­ner Ah­nung recht­be­hal­ten …

Als ich am nächs­ten Mor­gen ge­fragt wur­de, ob ich mir ein­mal die Se­hens­wür­dig­kei­ten von Schloß Ra­gnall an­zu­se­hen wün­sche, sag­te ich gern zu.

Wir hat­ten in der kla­ren fros­ti­gen De­zem­ber­luft eine schö­ne Fahrt. Beim Ein­tref­fen hör­ten wir, daß Lord Ra­gnall ir­gend­wo im Park beim Schie­ßen wäre, Herr Scroope sei­nem Freun­de aber selbst­ver­ständ­lich das Schloß zei­gen kön­ne. So be­ga­ben wir drei – Fräu­lein Man­ners hat­te uns in ih­rem Pony­wa­gen her­über­kut­schiert – uns ins Schloß. Der Pfört­ner führ­te uns zum Haupt­por­tal und übergab uns dort ei­nem an­de­ren Men­schen, den er Herrn Wild nann­te, – dem Kam­mer­die­ner Sei­ner Lord­schaft, wie er mir ins Ohr flüs­ter­te.

Ich merk­te mir den Na­men, weil ich den Ein­druck hat­te, daß noch nie­mals je­mand we­ni­ger »wild« aus­ge­se­hen hat­te als die­ser Herr. Sei­ne Klei­dung – er trug einen schwar­zen Mor­gen­cuta­way – war feh­ler­los, sei­ne Ma­nie­ren ge­wählt, höf­lich bis an die Gren­ze der Iro­nie, aber mit ei­nem Schim­mer von hoch­mü­ti­gem Stolz im Hin­ter­grun­de. Sein Ge­sicht mit sei­ner fei­nen Nase und, den Fal­ken­au­gen war in­ter­essant, und die Spur von Kahl­heit über der Stirn kam nur dem Ge­samtein­druck zu­gu­te. Sein Al­ter moch­te etwa zwi­schen Fün­fund­drei­ßig und Vier­zig lie­gen, und die Art und Wei­se, wie er mich mei­nes Hu­tes und Stockes be­raub­te, be­wies mir die Ent­schlos­sen­heit sei­nes Cha­rak­ters. Wahr­schein­lich, so über­leg­te ich, hält er mich für einen et­was ge­fähr­li­chen Men­schen, der die Ge­mäl­de oder die Kunst­ge­gen­stän­de mit sei­nem Stock be­schä­di­gen könn­te. – Da er nicht wuß­te, un­ter wel­chem Vor­wand er mir den Stock al­lein ab­ver­lan­gen sol­le, ver­fiel er auf den Aus­weg, mich auch um den Hut zu er­leich­tern.

Spä­ter ein­mal be­stä­tig­te mir Herr Sa­mu­el Wild selbst die­se mei­ne Mut­ma­ßun­gen. Er habe in An­be­tracht mei­nes ein we­nig un­ge­wöhn­li­chen Äu­ße­ren ge­dacht, ich könn­te ei­ner von je­nen ge­fähr­li­chen Leu­ten sein, von de­nen er in den Zei­tun­gen so­viel las, näm­lich ein »Han­ar­chist«. Ich schrei­be das Wort so, wie er es aus­sprach – und das war eine ku­rio­se Sa­che. So feh­ler­los, so gut er­zo­gen die­ser Mann auch war – er hat­te sei­ne schwa­che Sei­te, durch die er lä­cher­lich wur­de. Sei­ne Auss­pra­che des »H« war un­si­cher. Drei etwa ka­men ganz rich­tig her­aus, aber ein vier­tes mach­te sich ent­we­der durch völ­li­ges Feh­len oder durch un­be­ab­sich­tig­tes Auf­tre­ten be­merk­bar. Im üb­ri­gen war Sa­mu­el Wild ein gu­ter Kerl und von ei­ner rüh­ren­den Treue. Ich hat­te den größ­ten Re­spekt vor ihm.

Jetzt be­glei­te­te er uns durch das Schloß. Wir sa­hen alle die zahl­lo­sen Kost­bar­kei­ten und we­nigs­tens zwei­hun­dert Ge­mäl­de aus der Werk­statt be­rühm­ter al­ter Meis­ter. Das gab Wild Ge­le­gen­heit, mit großen, wenn auch ir­gend­wo zu­sam­men­ge­klaub­ten his­to­ri­schen Kennt­nis­sen zu prun­ken. Um die Wahr­heit zu sa­gen, ich wäre ihm dank­bar ge­we­sen, wenn er sei­ne Er­klä­run­gen ein biß­chen we­ni­ger de­tail­liert ge­hal­ten hät­te, denn an je­nem De­zem­ber­ta­ge war es in die­sen großen Räu­men er­bärm­lich kalt.

Um den Weg von der großen nach der klei­nen Ga­le­rie ab­zu­kür­zen, pas­sier­ten wir Lord Ra­gnalls Ar­beits­zim­mer, einen gut ge­heiz­ten und be­hag­lich ein­ge­rich­te­ten Raum. Ich blieb einen Au­gen­blick am Feu­er ste­hen. Und da ent­deck­te ich, durch einen Vor­hang ver­hüllt, ein Ge­mäl­de. Ich frag­te Herrn Wild nach der Be­deu­tung.

»Das, mein Herr«, ant­wor­te­te er mit ei­ner Art stol­zer Re­ser­viert­heit, »ist das Por­trät der zu­künf­ti­gen gnä­di­gen Frau. Sei­ne Lord­schaft hat den An­blick die­ses Bil­des aus­schließ­lich sich selbst vor­be­hal­ten.«

Fräu­lein Man­ners ki­cher­te, und ich sag­te: »So, ich dan­ke Ih­nen. Aber wie kann man nur eine Sa­che von solch üb­ler Vor­be­deu­tung tun!«

Durch eine of­fe­ne Türe er­späh­te ich die Vor­hal­le, in der mir mein Hut ab­ge­nom­men wor­den war, blieb ein we­nig zu­rück, und als die an­de­ren in der klei­nen Ga­le­rie ver­schwun­den wa­ren, schlüpf­te ich in die Hal­le, nahm mein Hab und Gut wie­der an mich und trat in den Gar­ten hin­aus, um, hier auf und ab ge­hend, mich zu er­wär­men und auf mei­ne Beglei­ter zu war­ten. Als ich so auf der Ter­ras­se hin und her mar­schier­te, hör­te ich den Knall von Schüs­sen. Das Knal­len scholl aus ei­ner Grup­pe von Ei­chen her, die in ei­ner Ent­fer­nung von etwa vier­hun­dert Me­tern stan­den. Mir schi­en, daß die Schüs­se aus ei­nem klein­ka­lib­ri­gen Ge­wehr ka­men, nicht aus ei­ner Schrot­flin­te.

Neu­gie­rig, wie ich es ja schon fast be­rufs­mä­ßig bin, ging ich auf ei­nem Um­we­ge quer durch eine An­pflan­zung auf den Ei­chen­hain zu. Schließ­lich stand ich am Ran­de ei­ner Lich­tung und sah, durch einen präch­ti­gen Buchs­baum ge­deckt, zwei Män­ner vor mir. Der eine war ein jun­ger He­ger, und der an­de­re – das wuß­te ich im ers­ten Mo­ment – war Lord Ra­gnall selbst. Tat­säch­lich eine un­ge­wöhn­li­che Er­schei­nung! Sehr groß, breit­schult­rig, zu­ge­spitz­ter Bart, ein freund­li­ches und ein­neh­men­des Ge­sicht und große dunkle Au­gen. Er trug einen Man­tel über den Schul­tern, der einen Sam­t­rock dar­un­ter se­hen ließ.

Mei­nen Platz wech­selnd, be­ob­ach­te­te ich sei­ne Ver­su­che, Holz­tau­ben zu schie­ßen, die, durch das kal­te Wet­ter hung­rig ge­macht, Ei­cheln pi­cken woll­ten. Von Zeit zu Zeit tauch­ten die schö­nen blau­en Vö­gel auf, einen Mo­ment lang schweb­ten sie re­gungs­los über den Bäu­men, ehe sie sich setz­ten. Der Schüt­ze feu­er­te und – sie flo­gen da­von! »Peng – Peng!«, mach­te die Büch­se, und weg war die Tau­be.

»Ver­dammt!«, sag­te der Schüt­ze mit ei­ner wohl­klin­gen­den Stim­me, »das ist die zwölf­te, die ich ge­fehlt habe, Charles.«

»Sie ha­ben den Schwanz ge­trof­fen, Myl­ord. Ich sah eine Fe­der da­von­flat­tern. Aber, wie ge­sagt, Myl­ord, es gibt kei­nen le­ben­den Men­schen, der flie­gen­de Tau­ben mit ei­ner Ku­gel zu tref­fen im­stan­de wäre. Auch dann nicht, wenn sie in der Luft still­zu­ste­hen schei­nen.«

»Ich habe von ei­nem ge­hört, Charles. Herr Scroope hat einen Freund aus Afri­ka zu; Be­such, von dem er schwört, daß er vier Stück von sechs her­un­ter­holt.«

»Dann, Myl­ord, hat Herr Scroope einen Lü­gen­pe­ter zum Freun­de«, ent­geg­ne­te Charles, in­dem er ihm das zwei­te Ge­wehr reich­te.

Das war zu­viel für mich. Ich schritt, höf­lich mei­nen Hut lüf­tend, auf die bei­den zu und sag­te:

»Ent­schul­di­gen Sie, mein Herr, wenn ich stö­re; aber Sie schie­ßen auf die­se Holz­tau­ben nicht in der rich­ti­gen Wei­se. Wenn die Tau­ben auch, be­vor sie nie­der­kom­men, in der Luft ste­hen­zu­blei­ben schei­nen – sie fal­len schnel­ler, als Sie es sich vor­stel­len kön­nen. Ihr He­ger irr­te sich, als er Sie vom letz­ten Vo­gel, auf den Sie zwei Läu­fe ab­feu­er­ten, eine Schwanz­fe­der her­aus­ho­len sah. In bei­den Fäl­len ha­ben Sie we­nigs­tens einen Fuß zu hoch ge­schos­sen. Und was her­un­ter­kam, war ein Ei­chen­blatt.«

Ei­nen Mo­ment herrsch­te Schwei­gen. Dann rief Charles är­ger­lich aus:

»Nanu, was denn noch?«

Lord Ra­gnall aber – er war es wirk­lich – sah zu­nächst eben­falls är­ger­lich drein. Dann schi­en ihn die Sa­che zu amü­sie­ren.

»Mein Herr«, sag­te er, »ich dan­ke Ih­nen für Ihren Rat­schlag. Es ist wahr, ich habe jede Tau­be ge­fehlt, auf die ich mit die­sen ver­track­ten klei­nen Büch­sen zu schie­ßen ver­such­te. Aber wenn Sie mir in der Pra­xis vor­füh­ren könn­ten, was Sie jetzt so freund­lich theo­re­tisch ent­wi­ckelt ha­ben – so wür­de das den Wert Ih­rer Ratschlä­ge si­cher­lich er­hö­hen.«

So sprach er. Ohne Zwei­fel iro­ni­sier­te er mich (er hat­te Sinn für Hu­mor). Mei­ne Rede war aber auch durch mei­ne Er­re­gung ein biß­chen zu pom­pös aus­ge­fal­len.

»Ge­ben Sie mir bit­te das Ge­wehr«, ant­wor­te­te ich, in­dem ich mei­nen Man­tel ab­leg­te.

Er über­reich­te es mir mit ei­ner Ver­beu­gung.

»Über­le­gen Sie sich, was Sie tun wol­len«, grunz­te Charles, »das Ding ist ge­spannt und ge­sto­chen.«

Ich schick­te ihm einen ver­nich­ten­den Blick zu, aber die­ser un­gläu­bi­ge He­ger stier­te mich nur mit der aus­ge­spro­che­nen Un­ver­schämt­heit sei­ner run­den Vo­gelau­gen an. Nie­mals zu­vor war ich auf einen dienst­ba­ren Geist so wü­tend ge­we­sen. Und auf ein­mal kam mir ein schreck­li­cher Ge­dan­ke. Wie, wenn ich fehl­te! Ich wuß­te herz­lich we­nig Be­scheid über den Flug eng­li­scher Holz­tau­ben, die mit der Ku­gel über­haupt leicht zu feh­len sind, und nichts wuß­te ich von die­sen Spe­zi­al­waf­fen. Ein Blick be­lehr­te mich aber, daß ich ein aus­ge­zeich­ne­tes, von ei­nem be­rühm­ten Büch­sen­ma­cher kon­stru­ier­tes Ge­wehr in der Hand hielt. Aber, wenn ich jetzt um­schmiß, wie soll­te ich Charles’ Ver­ach­tung und die Höf­lich­keit sei­nes vor­neh­men Herrn, der sich schon jetzt über mich amü­sier­te, er­tra­gen? Ich be­te­te zum Him­mel, daß sich kei­ne wei­te­ren Tau­ben zei­gen möch­ten und so mei­ne vor­ge­ge­be­ne Ge­schick­lich­keit we­nigs­tens vor­läu­fig nicht auf die Pro­be ge­stellt wer­den könn­te.

Aber es soll­te nicht sein. Die­se Vö­gel ka­men von weit her ein­zeln oder zu zwei­en auf der Su­che nach ih­rem Lieb­lings­fut­ter. Selbst die Tat­sa­che, daß ei­ni­ge ver­scheucht wor­den wa­ren, hielt die an­dern vom Kom­men nicht ab. Auf ein­mal hör­te ich Charles knur­ren: »Na, jetzt pas­sen Sie auf, Meis­ter. Jetzt ha­ben Sie Ge­le­gen­heit, Sei­ner Lord­schaft zu zei­gen, wie man’s macht, trotz­dem er, ne­ben­bei be­merkt, der bes­te Schüt­ze im Lan­de ist.«

Wäh­rend er sprach, zeig­ten sich zwei Tau­ben. Die eine ein Stück­chen hin­ter der an­de­ren, ka­men sie stracks auf uns zu. Als sie, be­reit sich nie­der­zu­las­sen, die Lich­tung des Hains er­reich­ten, war die eine un­ge­fähr fünf­zig, die an­de­re etwa sieb­zig Me­ter weit weg. Ich nahm die nächs­te aufs Korn, gab et­was für den Fall und die Stei­gung zu und be­rühr­te den Hahn der Büch­se. Sie hat­te nur einen ganz schwa­chen Rück­schlag. Die Ku­gel durch­schlug der Tau­be den Kropf. Ein Schau­er von Ei­cheln fiel her­aus, und das Tier­chen sank tot zu Bo­den. Die zwei­te Tau­be, die Ge­fahr wit­ternd, be­gann steil in die Höhe zu stei­gen. Ich feu­er­te den zwei­ten Lauf auf gut Glück ab und schoß ihr den Kopf her­un­ter. Dann nahm ich au­to­ma­tisch die an­de­re Büch­se, die Charles ge­la­den hat­te, aus sei­ner aus­ge­streck­ten Hand. Denn im sel­ben Mo­ment sah ich zwei wei­te­re Tau­ben her­an­strei­chen. Auf die ers­te ris­kier­te ich einen schwie­ri­gen Schuß und traf sie weit hin­ten; ihr Schwanz flog weg, aber sie kam, wenn auch noch flat­ternd, zu Bo­den. Ich nahm auch die an­de­re aufs Korn; doch als ich den Ab­zug be­rühr­te, er­tön­te nur ein Klick und wei­ter nichts.

Da­mit war die Ge­le­gen­heit ge­kom­men, mit Charles ein we­nig ab­zu­rech­nen, und ich be­nütz­te sie.

»Jun­ger Mann«, sag­te ich, wäh­rend er mich mit of­fe­nem Mun­de an­gaff­te, »Sie soll­ten ler­nen, mit ge­fähr­li­chen Waf­fen, wie sie Ge­weh­re sind, vor­sich­ti­ger um­zu­ge­hen. Denn wenn Sie ei­nem Schüt­zen ei­nes un­ge­la­den in die Hand ge­ben, so be­weist das nur, daß Sie von der Sa­che nichts ver­ste­hen.«

Dann dreh­te ich mich auf den Ha­cken her­um und setz­te, zum Lord Ra­gnall ge­wen­det, hin­zu:

»Ich muß we­gen mei­nes drit­ten Schus­ses um Ent­schul­di­gung bit­ten. Ich habe mit ihm selbst ge­gen et­was ver­sto­ßen, was ich Ih­nen zur Be­ach­tung emp­fahl. Ich habe näm­lich nicht hoch ge­nug ge­schos­sen. Im­mer­hin kann er dazu die­nen, Ihrem Die­ner den Un­ter­schied zwi­schen dem Schwanz ei­ner Tau­be und ei­nem Ei­chen­blatt zu zei­gen«, und ich zeig­te auf eine der Fe­dern, die noch im­mer in der Luft flat­ter­ten.

»Wenn die­ser Kerl hier nicht der Teu­fel in Stie­feln ist …« mur­mel­te Charles vor sich hin.

Aber sein Herr schnitt ihm mit ei­nem Blick das Wort ab, dann lüf­te­te er vor mir den Hut und sag­te:

»Mein Herr, ich gra­tu­lie­re Ih­nen zu ei­ner Ge­schick­lich­keit, die fast an das Wun­der­ba­re grenzt, falls nicht Zu­fall – –« Er brach ab.

»Es ist nur na­tür­lich, daß Sie das an­neh­men«, ant­wor­te­te ich, »aber falls noch mehr Tau­ben kom­men und Mis­ter Charles die Büch­sen wirk­lich la­det, hof­fe ich, Sie zu über­zeu­gen.«

In die­sem Au­gen­blick je­doch ver­scheuch­te ein lau­ter Ruf von Scroope, der nach mir Aus­schau hielt, jede Tau­be in ei­nem Um­kreis von ei­ner hal­b­en Mei­le: eine Tat­sa­che, über die ich nicht ge­ra­de är­ger­lich war. Denn wer weiß, ob ich alle oder über­haupt noch eine ein­zi­ge von den Tau­ben ge­trof­fen hät­te.

»Ich glau­be, mei­ne Freun­de ru­fen mich, des­halb möch­te ich Ih­nen ›Gu­ten Mor­gen‹ sa­gen«, sag­te ich lin­kisch.

»Ei­nen Mo­ment, mein Herr«, rief er aus, »dürf­te ich Sie vor­her um Ihren Na­men bit­ten? Ich hei­ße Ra­gnall – Lord Ra­gnall.«

»Ich bin Al­lan Qua­ter­main«, sag­te ich.

»Oh!«, ant­wor­te­te er, »das er­klärt die Sa­che. Charles, dies ist Herrn Scroopes Freund, eben der­sel­be Herr, von dem du sag­test, er schnit­te auf. Ich glau­be, du tä­test bes­ser, dich zu ent­schul­di­gen.«

Aber Charles war weg. Ich nahm an, um die Tau­ben auf­zu­le­sen.

In die­sem Au­gen­blick er­schi­en Scroope mit Fräu­lein Man­ners. Sie hat­ten un­se­re Stim­men ge­hört. Eine all­ge­mei­ne Auss­pra­che folg­te.

»Herr Qua­ter­main hat mir eine Lek­ti­on im Schie­ßen von flie­gen­den Tau­ben mit klein­ka­lib­ri­gen Ge­weh­ren ge­ge­ben«, sag­te Lord Ra­gnall, in­dem er auf die her­um­lie­gen­den to­ten Vö­gel zeig­te.

»Da­für ist er auch kom­pe­tent«, be­merk­te Scroope.

»Un­er­hört kom­pe­tent«, ver­setz­te sei­ne Lord­schaft. »Falls Sie mir nicht glau­ben, fra­gen Sie den He­ger.«

»Es ist das ein­zi­ge, was ich kann«, warf ich be­schei­den da­zwi­schen. »Schie­ßen ist mein Hand­werk, und ich habe viel Übung dar­in, Vö­gel im Flu­ge mit der Ku­gel her­un­ter­zu­ho­len. Aber mit ei­ner Schrot­flin­te wür­de ich ohne Zwei­fel ge­gen Eure Lord­schaft sehr ins Hin­ter­tref­fen ge­ra­ten. Da­rin habe ich nur we­nig Übung. Au­ßer wenn ich in Afri­ka für den Koch­topf schoß.«

»Ja«, un­ter­brach Scroope, »Sie wür­den über­haupt kei­ne Chan­cen ge­gen einen der bes­ten Schüt­zen Eng­lands ha­ben, Al­lan.«

»Ich bin des­sen nun nicht ganz si­cher«, sag­te Lord Ra­gnall mit sei­nem an­ge­neh­men Lä­cheln. »Ich habe so ein Ge­fühl, als ste­cke Herr Qua­ter­main vol­ler Über­ra­schun­gen. Wir könn­ten, wenn er ein­ver­stan­den ist, ein­mal die Pro­be aufs Exem­pel ma­chen. – Wenn Sie doch einen Tag op­fern könn­ten, Herr Qua­ter­main! Wir wol­len mor­gen die Schutz­ge­höl­ze ab­ja­gen, die bis jetzt un­be­rührt sind, und ich hof­fe, Sie tun mit.«

Ich mach­te ei­ni­ge Aus­flüch­te; denn ich be­dach­te, daß der von mir glatt über­zeug­te Charles wohl alle mög­li­chen Ge­schich­ten über mich in die Welt set­zen wür­de, und ich wünsch­te nicht, vor ei­ner Ge­sell­schaft von großen Her­ren – die ohne Zwei­fel we­gen ih­rer ganz be­son­de­ren Ge­schick­lich­keit in die­sem Sport aus­ge­sucht wor­den wa­ren – un­ter Um­stän­den be­schämt da­zu­ste­hen.

Mei­ne Ein­wen­dun­gen über­zeug­ten je­doch we­der Lord Ra­gnall noch Scroope, und so blieb mir nichts üb­rig, als die Ein­la­dung an­zu­neh­men.

2. Kapitel – Allan macht eine Wette

Am fol­gen­den Mor­gen ka­men wir, Scroope und ich, un­ge­fähr um ein Vier­tel vor zehn auf Schloß Ra­gnall an.

Als ich aus dem Ge­fährt her­aus­klet­ter­te, er­schi­en mit der Wür­de ei­nes Im­pe­ra­tors eine pom­pös aus­staf­fier­te Per­sön­lich­keit, mit ei­nem Samt­man­tel und ei­ner schar­lach­ro­ten Wes­te an­ge­tan, und be­glei­tet von ei­nem In­di­vi­du­um, in dem ich Charles er­kann­te. Un­ter je­dem Arm trug er eine Flin­te.

»Das ist der Ober­he­ger«, flüs­ter­te Scroope, »be­han­deln Sie ihn ja re­spekt­voll.«

Vol­ler Schre­cken nahm ich mei­nen Hut ab und war­te­te.

»Spre­che ich mit Herrn Al­lan Qua­ter­main?«, sag­te Sei­ne Ma­je­stät mit tiefer, rol­len­der Stim­me, in­dem er mich mit kal­tem, miß­bil­li­gen­dem Blick be­trach­te­te.

Ich be­jah­te.

»Dann, mein Herr«, fuhr er fort – er mach­te eine klei­ne Pau­se hin­ter dem »mein Herr«, als be­trach­te­te er mich in Wirk­lich­keit nur als so et­was wie einen afri­ka­ni­schen Kol­le­gen – »habe ich Ih­nen im Na­men Sei­ner Lord­schaft die­se Flin­ten zu über­ge­ben. Ich hof­fe, daß Sie mit ih­nen vor­sich­tig um­ge­hen, da sie zu Kauf oder Rück­sen­dung hier sind. Charles, er­klä­re die­sem aus­län­di­schen Herrn die Hand­ha­bung der Flin­ten und hal­te da­bei die Mün­dung nach oben oder un­ten. Die Ge­weh­re sind zwar nicht ge­la­den, aber ein gu­tes Bei­spiel ist im­mer nütz­lich.«

»Dan­ke Ih­nen, Herr He­ger«, ant­wor­te­te ich, und lang­sam stieg mir die Gal­le, »aber ich glau­be, daß mir über Flin­ten al­les Nö­ti­ge schon be­kannt ist.«

»Es freut mich, das zu hö­ren«, sag­te Sei­ne Ma­je­stät mit au­gen­schein­li­chem Miß­trau­en. »Charles, Herr Scroope will für den Herrn la­den, ich hof­fe, er wird vor­sich­tig sein. Sei­ne Lord­schaft wünscht, daß du sie be­glei­test und die Pa­tro­nen trägst. Und, Charles, zäh­le die Schüs­se und die Stre­cke ohne An­rech­nung al­les An­ge­schos­se­nen. Ich habe die Ge­schich­ten mit dem ewi­gen An­schie­ßen satt.«

Die letz­ten An­ord­nun­gen wur­den mit ma­je­stä­ti­scher Wür­de und ein we­nig ab­seits aus­ge­spro­chen, da­mit wir nur nichts hö­ren soll­ten. Scroope quit­tier­te sie mit ei­nem Ki­chern, Charles mit ei­nem Grin­sen; in mir je­doch wuchs das Ge­fühl der Ent­rüs­tung.

Ich nahm eine der Flin­ten und be­sah sie. Es war eine schö­ne, al­ler­mo­d­erns­te Waf­fe, kost­ba­re Prä­zi­si­ons­ar­beit.

»An dem Ge­wehr ist al­les in Ord­nung, mein Herr«, brumm­te die rote Wes­te. »Wenn Sie es nur rich­tig hin­hal­ten, be­sorgt es al­les üb­ri­ge von selbst. Aber hal­ten Sie die Mün­dung auf­wärts, Herr, auf­wärts! Und viel­leicht neh­men Sie es mir auch nicht übel, wenn ich Ih­nen sage, daß wir hier auf Ra­gnall einen nied­ri­gen Fa­sa­nen has­sen. Ich er­wäh­ne das nur des­halb, weil der letz­te Herr, der aus dem Aus­land kam – es war ein Fran­zo­se – den gan­zen Tag nichts schoß au­ßer ei­ner Hen­ne, die sich ihm fast auf die Mün­dung setz­te, den Hü­ten zwei­er Trei­ber sei­ner Lord­schaft und ei­nem Star.«

Bei die­sem Punk­te brach Scroope in ein brül­len­des, när­ri­sches Ge­läch­ter aus. Charles, dem ich of­fen­bar schick­sals­ge­mäß nicht ent­ge­hen soll­te, dreh­te sich um und krümm­te sich zu­sam­men, als hät­te er plötz­lich Ma­gen­schmer­zen be­kom­men. Ich aber wur­de ra­send.

»Zum Don­ner­wet­ter noch ein­mal, Herr He­ger«, rief ich, »was soll die­se Schul­meis­tern hei­ßen! Be­küm­mern Sie sich um Ihre An­ge­le­gen­hei­ten, und ich wer­de mich um mei­ne be­küm­mern.«

In die­sem Mo­ment kam Lord Ra­gnall um die Ecke ei­nes Hof­ge­bäu­des her­um. Ich er­kann­te an sei­ner är­ger­li­chen Mie­ne, daß er un­se­re Dis­kus­si­on an­ge­hört hat­te.

»Jen­kins«, sag­te er, »tun Sie, was Ih­nen Herr Qua­ter­main ge­sagt hat, und küm­mern Sie sich um Ihre ei­ge­nen An­ge­le­gen­hei­ten. Sie schei­nen sich nicht dar­über im kla­ren zu sein, daß die­ser Herr mehr Lö­wen, Ele­fan­ten und an­de­res Groß­wild ge­schos­sen hat als Sie Kat­zen. Aber wenn dem auch nicht so wäre, wäre es noch lan­ge nicht Ihre Auf­ga­be, Be­leh­rungs­ver­su­che an ihm – oder ir­gend­ei­nem an­dern mei­ner Gäs­te – vor­zu­neh­men. Ge­hen Sie jetzt, und se­hen Sie nach den Trei­bern.«

»Bit­te um Ent­schul­di­gung, Myl­ord«, stot­ter­te Jen­kins, und sein Ge­sicht, das so far­ben­freu­dig wie sei­ne Wes­te ge­we­sen war, wur­de mit ei­nem Male ganz blaß. »Es war nicht böse ge­meint, Myl­ord. Aber Ele­fan­ten und Lö­wen flie­gen nicht, Myl­ord, und wer an sol­ches Bo­den­ge­würm ge­wöhnt ist, neigt dazu, zu nied­rig zu schie­ßen, Myl­ord. Alle Trei­ber am Jagd­dickicht be­reit, Myl­ord.«

Mit Ver­beu­gun­gen kam er au­ßer Sicht. Lord Ra­gnall war­te­te sein Ver­schwin­den ab, dann sag­te er la­chend:

»Ich muß Sie um Ent­schul­di­gung bit­ten, Herr Qua­ter­main. Die­sen ver­dreh­ten al­ten Trot­tel habe ich so­zu­sa­gen als Erb­stück über­nom­men; und das Spa­ßigs­te da­bei ist, daß er selbst der er­bärm­lichs­te und ge­fähr­lichs­te Schüt­ze ist, den ich je­mals ge­se­hen habe. An­de­rer­seits wie­der­um ist er der bes­te Fa­sa­nen­he­ger im gan­zen Lan­de, und so muß ich mich mit ihm ab­fin­den. Kom­men Sie nun her­ein, ja? Charles wird auf Ihre Ge­weh­re und Pa­tro­nen acht­ge­ben.«

Er führ­te Scroope und mich durch eine Sei­ten­tür in die große Hal­le und mach­te mich mit den üb­ri­gen Mit­glie­dern der Jagd­ge­sell­schaft be­kannt. Es wa­ren aus­ge­zeich­ne­te Schüt­zen. Ihren be­rühm­ten Na­men war ich oft ge­nug in der Zeit­schrift »Die Jagd« be­geg­net, die ich auch in Afri­ka hielt, trotz­dem ich, wenn ich ge­ra­de auf mei­nen Ex­pe­di­tio­nen war, manch­mal ein Jahr lang kei­ne Num­mer zu se­hen be­kam.

Zu mei­nem Er­stau­nen stell­te ich fest, daß ich einen der Her­ren kann­te. Wir wa­ren si­cher­lich ein Dut­zend Jah­re lang ein­an­der nicht in den Weg ge­lau­fen, aber ich war über­zeugt, daß ich mich nicht irr­te. Ein so ge­mei­nes Äu­ße­res, sol­che klei­ne, graue, ru­he­lo­se Au­gen konn­ten nie­mand an­de­rem ge­hö­ren als van Koop, des­sen Name sei­ner­zeit in Süd­afri­ka be­rühmt und – be­rüch­tigt war in Ver­bin­dung mit rie­si­gen und au­ßer­or­dent­lich er­folg­rei­chen Be­trü­ge­rei­en. Be­trü­ge­rei­en, ge­gen die das Ge­setz kei­ne Hand­ha­be bot, bei de­nen auch ich eins der vie­len Op­fer war, und zwar mit ei­nem Be­tra­ge von zwei­hun­dert­fünf­zig Pfund, ei­ner großen Sum­me für mich.

Als wir sei­ner­zeit dort un­ten zum letz­ten­mal zu­sam­men­ge­kom­men wa­ren, hat­te es eine stür­mi­sche Sze­ne zwi­schen uns ge­ge­ben. Sie en­de­te da­mit, daß ich ihm wü­tend er­klär­te, ich wür­de ihn, wenn er mir auf dem Feld noch ein­mal un­ter die Au­gen käme, ohne Be­den­ken nie­der­schie­ßen. Vi­el­leicht war das ei­ner der Grün­de, warum van Koop auf ein­mal aus Süd­afri­ka ver­schwand; er war ein mit al­len Hun­den ge­hetz­ter Fuchs. Ich glau­be, er war eben her­ein­ge­kom­men. Wahr­schein­lich wohn­te er ir­gend­wo in der Nach­bar­schaft von Ra­gnall. Auf je­den Fall wuß­te er nichts von mei­ner An­we­sen­heit. Hät­te er es ge­wußt, er wäre – des­sen bin ich ganz si­cher – weg­ge­blie­ben. Als er mich sah, rief er: »Al­lan Qua­ter­main, so wahr ich lebe!« – halb­laut nur, aber in solch er­staun­tem Tone, daß es die Auf­merk­sam­keit von Lord Ra­gnall er­reg­te, der in der Nähe stand.

»Ja, Herr van Koop«, ant­wor­te­te ich mun­ter, »Al­lan Qua­ter­main, nie­mand an­ders; und ich hof­fe, Sie sind eben­so er­freut mich zu se­hen, wie ich Sie.«

»Das muß ein Irr­tum sein«, sag­te Lord Ra­gnall mit er­staun­tem Ge­sicht, »das ist doch Sir Ju­ni­us For­tes­cue, frü­her Herr For­tes­cue.«

»Was Sie nicht sa­gen«, ant­wor­te­te ich. »Ich weiß nicht, ob ich ihn je­mals bei die­sem Na­men habe ru­fen hö­ren, aber was ich weiß, ist, daß wir alte – Freun­de sind.«

Lord Ra­gnall ent­fern­te sich, da er wahr­schein­lich die Un­ter­hal­tung nicht fort­zu­set­zen wünsch­te. Nie­mand sonst hat­te zu­ge­hört. Van Koop schob sich an mich her­an.

»Herr Qua­ter­main«, sag­te er mit un­ter­drück­ter Stim­me, »mei­ne Ver­hält­nis­se ha­ben sich, seit wir uns das letz­te­mal tra­fen, ge­än­dert!«

»Den Ein­druck habe ich auch«, ver­setz­te ich, »aber mei­ne sind ge­nau die­sel­ben ge­blie­ben, und wenn es Ih­nen jetzt pas­sen wür­de, mir jene zwei­hun­dert­fünf­zig Pfund, die Sie mir schul­den, samt Zin­sen zu­rück­zu­zah­len, so wäre ich Ih­nen sehr ver­bun­den. Wenn nicht, so hät­te ich eine hüb­sche Ge­schich­te von Ih­nen zu er­zäh­len.«

»Oh, Herr Qua­ter­main«, ant­wor­te­te er mit ei­nem ge­wis­sen Lä­cheln, daß es mir schwer wur­de, ihm nicht einen Tritt zu ge­ben, »wie Sie wis­sen, be­strei­te ich die Schuld.«

»So, tun Sie das?«, rief ich aus. »Vi­el­leicht wer­den Sie die Ge­schich­te auch be­strei­ten. Aber die Fra­ge ist, wird man Ih­nen auch dann glau­ben, wenn ich Be­wei­se brin­ge?«

»Ha­ben Sie schon mal et­was von ei­nem Sta­tut über be­schränk­te Haf­tung ge­hört, Herr Qua­ter­main?«, frag­te er hohn­lä­chelnd.

»Nicht, so­weit sie den Ruf be­trifft«, ant­wor­te­te ich mit Be­to­nung. »Nun, was ge­den­ken Sie zu tun?«

Er dach­te einen Mo­ment nach und ant­wor­te­te:

»Pas­sen Sie auf, Herr Qua­ter­main, Sie wa­ren im­mer so et­was wie ein Sports­mann, und ich will Ih­nen einen Vor­schlag ma­chen. Wenn ich heu­te mehr Vö­gel als Sie her­un­ter­brin­ge, sol­len Sie ver­spre­chen, den Mund über mei­ne An­ge­le­gen­hei­ten in Süd­afri­ka zu hal­ten, und wenn Sie mehr her­un­ter­brin­gen als ich, sol­len Sie ihn im­mer noch hal­ten, aber ich will Ih­nen jene zwei­hun­dert­fünf­zig Pfund samt Zin­sen für sechs Jah­re be­zah­len.«

Ich über­leg­te einen Mo­ment, wohl wis­send, daß der Mann et­was im Schil­de führ­te. Ge­wiß, ich konn­te ab­leh­nen und Skan­dal ma­chen. Aber das lag mir nicht und wür­de mich auch mei­nen zwei­hun­dert­fünf­zig Pfund nicht nä­her­brin­gen, die, falls ich ge­wann, doch ih­ren Weg in mei­ne Ta­sche zu­rück­fin­den konn­ten.

»Gut, ab­ge­macht«, sag­te ich.

»Um was dreht sich die Wet­te, Sir Ju­ni­us?«, frag­te Lord Ra­gnall nä­her­kom­mend.

»Es ist eine ziem­lich lan­ge Ge­schich­te«, ant­wor­te­te je­ner, »vor Jah­ren, als ich in Afri­ka reis­te, hat­te ich mit Herrn Qua­ter­main eine Mei­nungs­ver­schie­den­heit über eine Sum­me von fünf Pfund. Um Aus­ein­an­der­set­zun­gen über die­se Klei­nig­keit zu ver­mei­den, ha­ben wir aus­ge­macht, sie zum Ge­gen­stand ei­nes Wett­schie­ßens zu ma­chen.«

»So, so«, sag­te Lord Ra­gnall ziem­lich ernst­haft; ich sah ihm an, daß er van Koops Dar­stel­lung über die Höhe der Sum­me nicht trau­te. »Gera­de­her­aus ge­sagt, Herr Ju­ni­us, ich bin nicht sehr da­von ein­ge­nom­men, daß hier Wet­ten ab­ge­schlos­sen wer­den. Ich glau­be Herrn Qua­ter­main ges­tern auch er­wäh­nen zu hö­ren, daß er in Eng­land noch nie­mals Fa­sa­nen ge­schos­sen hät­te, und des­halb er­scheint mir die Sa­che nicht ganz fair. Doch müs­sen die Her­ren Ihre An­ge­le­gen­hei­ten na­tür­lich selbst am bes­ten be­ur­tei­len kön­nen. Nur, da hier Geld in Fra­ge kommt, muß ich je­man­den da­mit be­auf­tra­gen, Ihre Vö­gel zu zäh­len und mir über das En­d­er­geb­nis Be­richt zu er­stat­ten.«

»Ein­ver­stan­den«, sag­te van Koop. Ich gab kei­ne Ant­wort. Denn um die Wahr­heit zu sa­gen, mir war die gan­ze Sa­che sehr pein­lich. Her­nach gin­gen Lord Ra­gnall und ich an der Spit­ze der gan­zen Ge­sell­schaft zur ers­ten Scho­nung hin­über. Wir hat­ten un­ge­fähr eine hal­be Mei­le zu mar­schie­ren.

»Sie sind schon frü­her mit Sir Ju­ni­us zu­sam­men­ge­kom­men?«, frag­te er mich mit ei­ner ge­wis­sen Be­to­nung.

»Ja«, ant­wor­te­te ich. »Vor etwa zwölf Jah­ren. Van Koop mach­te da­mals als er­folg­rei­cher – hm – Spe­ku­lant viel von sich re­den. Aber kur­ze Zeit dar­auf ver­schwand er aus Süd­afri­ka.«

»Um hier auf­zut­au­chen. Vor zehn Jah­ren kauf­te er eine große Be­sit­zung in der Nach­bar­schaft. Vor drei Jah­ren wur­de er Baron.«

»Wie konn­te ein Mensch wie van Koop Baron wer­den?«, forsch­te ich.

»Durch Kauf, glau­be ich.«

»Durch Kauf! Wer­den in Eng­land Ti­tel ver­kauft?«

»Sie sind er­freu­lich un­schul­dig, Herr Qua­ter­main, so wie ein Jä­ger aus Afri­ka ei­gent­lich sein soll«, sag­te Lord Ra­gnall la­chend. »Ihr Freund –«

»Ent­schul­di­gen Sie, Lord Ra­gnall, ich bin eine be­schei­de­ne Per­son, nicht ein­mal so ein­ge­bil­det wie etwa Ihr Wild­hü­ter. Des­we­gen aber möch­te ich den Baron Ju­ni­us, frü­he­ren Herrn van Koop, noch lan­ge nicht mei­nen Freund nen­nen, we­nigs­tens nicht im Ernst.«

Der Lord lach­te von neu­em.

»Nun, die Per­sön­lich­keit, mit der Sie Ihre Wet­te ab­ge­schlos­sen ha­ben, hat große Sum­men für die Fonds sei­ner Par­tei ge­zeich­net. Ich sage Ih­nen nur, was ich weiß. Die Höhe des Be­tra­ges ken­ne ich nicht. Es war von fünf­zehn- oder von fünf­zig­tau­send Pfund die Rede, und auf die Spen­de hin wur­de er Baron.«

»Das ist die gan­ze Ge­schich­te«, fuhr er fort. »Ich mag den Mann ja selbst nicht. Aber er ist ein aus­ge­zeich­ne­ter Fa­sa­nen­schüt­ze, und die­ser Um­stand öff­net ihm alle Tü­ren. Der Schieß­sport wird eben ein­mal hier­zu­lan­de wie ein Fe­tisch ge­pflegt und in Ehren ge­hal­ten, Herr Qua­ter­main. So ist es zum Bei­spiel auf die­ser Be­sit­zung Tra­di­ti­on, daß wir mehr Fa­sa­nen schie­ßen müs­sen als ir­gend je­mand sonst im Lan­de, und des­we­gen habe ich die Ver­pflich­tung, die bes­ten Schüt­zen ein­zu­la­den, mö­gen sie auch nicht im­mer ein­wand­freie Bur­schen sein. Es ist mir ja nicht an­ge­nehm, aber of­fen­bar kann ich nichts an­de­res tun, als was mei­ne Vor­fah­ren ge­tan ha­ben.«

»Un­ter die­sen Um­stän­den wür­de ich die Sa­che über­haupt auf­ge­ben, Lord Ra­gnall. Sport als Sport ist gut, aber wenn er zum Ge­schäft wird, lernt man ihn has­sen. Ich weiß Be­scheid, da ich ihn vie­le Jah­re als Hand­werk be­trei­ben muß­te.«

»Das ist eine Idee«, ent­geg­ne­te er nach­denk­lich. »Un­ter­des­sen hof­fe ich, daß Sie Ihre – fünf Pfund von Sir Ju­ni­us zu­rück­ge­win­nen. Er ist so ei­tel, daß ich mit Freu­den fünf­zig Pfund da­zu­ge­ben wür­de, um das zu er­le­ben.«

»Da­für ist we­nig Hoff­nung«, ant­wor­te­te ich. »Denn wie ich Ih­nen sag­te, habe ich nie­mals vor­her Fa­sa­nen ge­schos­sen. Im­mer­hin will ich es ver­su­chen.«

»Recht so. Und pas­sen Sie auf, Herr Qua­ter­main, hal­ten Sie im­mer gut vor. Sie se­hen, ich er­lau­be mir, Ih­nen Ratschlä­ge zu ge­ben, so wie Sie ges­tern mir. Schrot hat nicht die Ge­schwin­dig­keit der Ku­gel, und der Fa­san ist ein Vo­gel, der im all­ge­mei­nen viel schnel­ler fliegt als man denkt. Also, hier sind wir. Charles wird Ih­nen Ihren Stand zei­gen. Viel Glück!«

Zehn Mi­nu­ten spä­ter be­gann die Jagd. Alle sie­ben Schüt­zen wur­den am Ran­de ei­ner lan­gen Scho­nung in Sicht von­ein­an­der pos­tiert. Ich war so in Beo­b­ach­tung der Vor­be­rei­tun­gen ver­sun­ken, die für mich völ­lig neu wa­ren, daß ich erst einen Ha­sen und dann eine Fa­sa­nen­hen­ne durch­schlüp­fen ließ, ohne auf sie zu schie­ßen. Be­sag­te Hen­ne be­schrieb einen Bo­gen und wur­de da­bei von van Koop, der von mir aus der drit­te war, wun­der­schön her­un­ter­ge­holt.

»Hö­ren Sie mal, Al­lan«, sag­te Scroope, »wenn Sie Ihren afri­ka­ni­schen Freund schla­gen wol­len, wäre es bes­ser, Sie wach­ten nun auf; Sie wer­den es we­der durch Be­wun­de­rung der Land­schaft noch je­nes Eich­hörn­chens dort schaf­fen.«

So raff­te ich mich auf. Gera­de gell­te ein Schrei: »Hahn vor­aus!« Ich dach­te an einen Fa­sa­nen­hahn und war er­staunt, als ich einen schö­nen brau­nen Vo­gel mit lan­gem Schna­bel auf mich zu­flie­gen sah.

»Muß ich den auch schie­ßen?«, frag­te ich.

»Selbst­ver­ständ­lich. Es ist eine Wald­sch­nep­fe«, ant­wor­te­te Scroope.

In die­sem Au­gen­blick rüt­tel­te der Vo­gel un­ge­fähr zehn Me­ter hin­ter mir. Ich feu­er­te und traf ihn, und wo er so­eben zu se­hen ge­we­sen war, stieb­te nur noch eine Wol­ke von Fe­dern. Es war ein schnel­ler und ge­schick­ter Schuß – glaub­te ich we­nigs­tens. Aber als Charles nur einen Schna­bel und einen Kopf auf­las, lief ein Ki­chern die gan­ze Li­nie der Schüt­zen und Jagd­ge­hil­fen ent­lang.

»Hal­lo, al­ter Jun­ge«, sag­te Scroope, »wenn Sie Ihre Sau­pos­ten wei­ter be­nut­zen wol­len, so tä­ten Sie bes­ser, Ihre Vö­gel ein biß­chen mehr hin­ten zu tref­fen.«

Der Vor­fall är­ger­te mich so, daß ich un­mit­tel­bar dar­auf drei in ei­ner Li­nie strei­chen­de, ganz leich­te Fa­sa­nen ver­fehl­te, wäh­rend van Koop sich zwei neue gut­schrei­ben konn­te.

Scroope schüt­tel­te den Kopf, und Charles murr­te hör­bar. Jetzt, da ich nicht mit sei­nem Meis­ter im Wett­be­werb stand, war er plötz­lich nur dar­auf er­picht, daß ich ge­win­nen soll­te. Denn auf ge­heim­nis­vol­le Wei­se hat­ten sich Gerüch­te von un­se­rer Wet­te ver­brei­tet, und mein Geg­ner war un­ter den He­gern nicht be­liebt.

»Da, jetzt sind Sie wie­der dran«, sag­te Scroope, auf einen an­kom­men­den Fa­san zei­gend.

Es war ein au­ßer­or­dent­lich ho­her Fa­san, der wahr­schein­lich von au­ßer­halb der Scho­nung kam, so hoch, daß ihn we­der van Koop noch zwei an­de­re Schüt­zen, die auf ihn an­leg­ten, tra­fen. Dann feu­er­te ich, und ein­ge­denk Lord Ra­gnalls Rat hielt ich weit vor. Sein Flug än­der­te sich. Er schoß, eine Kur­ve be­schrei­bend, noch ein Stück vor­wärts und fiel dann vier­zig Me­ter rechts von mir tot nie­der.

»Schon bes­ser«, sag­te Scroope, und Charles grins­te über sein gan­zes run­des Ge­sicht und brumm­te:

»Dies­mal hat er die Au­gen aus­ge­wischt.«

Die­ser Schuß gab mir Ver­trau­en, und ich ver­bes­ser­te mich von da ab be­trächt­lich, trotz­dem ich ko­mi­scher­wei­se fest­stell­te, daß es ge­ra­de die ho­hen und schwie­ri­gen Fa­sa­nen wa­ren, die ich er­wi­sch­te, und daß ich ge­ra­de die leich­ten öf­ters fehl­te. Aber van Koop, der of­fen­sicht­lich ein Künst­ler im Schie­ßen war, be­kam bei­de.

Lord Ra­gnall, der mir am nächs­ten stand, for­der­te mich auf, mit ihm hin­ter die an­de­ren Schüt­zen zu­rück­zu­tre­ten.

»Ich sehe, die Schwie­ri­gen sind Ihre Spe­zia­li­tät, Herr Qua­ter­main«, sag­te er, »und hier wer­den Sie von die­ser Sor­te ge­nug be­kom­men.«

Jetzt stan­den wir an ei­nem Ab­hang zwi­schen zwei lang­ge­streck­ten Ge­höl­zen, die un­ge­fähr zwei­hun­dert Me­ter aus­ein­an­der­la­gen. Eins wur­de ge­ra­de ab­ge­trie­ben. Es steck­te voll von Fa­sa­nen; und die Leis­tun­gen der aus­er­le­se­nen Schüt­zen wa­ren in der Tat se­hens­wert.

Ich kam hier ganz gut vor­an, fast so gut wie Lord Ra­gnall sel­ber. Und das will viel hei­ßen; denn er war ein bril­lan­ter Schüt­ze.

»Bra­vo!«, sag­te er am Ende des Trei­bens. »Ich glau­be, Sie ha­ben jetzt Chan­ce, Ihre fünf Pfund doch noch zu ge­win­nen.«

Als ich aber nach dem Früh­stück fest­stell­te, daß ich drei­ßig Fa­sa­nen we­ni­ger ge­schos­sen hat­te als mein Geg­ner, schüt­tel­te ich den Kopf. Und das­sel­be ta­ten alle üb­ri­gen. Den­noch schmeck­te das Früh­stück, das wir im Hau­se ei­nes He­gers ein­nah­men, aus­ge­zeich­net, trotz­dem van Koop un­auf­hör­lich in solch prah­le­ri­scher Wei­se schwatz­te, daß ich sah, es är­ger­te un­se­ren Gast­ge­ber und ei­ni­ge der an­de­ren Her­ren. Schließ­lich wand­te er sich gön­ner­haft an mich und frag­te, wie ich die letz­ten Jah­re mit mei­nem »Ele­fan­ten­ein­ko­chen« vor­wärts­ge­kom­men wäre. Ich ant­wor­te­te: »Recht gut.«

»Dann soll­ten Sie un­se­ren Freun­den ei­ni­ge Ih­rer be­rühm­ten Ge­schich­ten er­zäh­len, ich ver­pflich­te mich, Ih­nen nicht zu wi­der­spre­chen«, sag­te er und füg­te hin­zu:

»Die Her­ren ha­ben ja, im Ge­gen­satz zu uns, kei­ne Er­fah­rung im Ab­schuß von Groß­wild.«

»Ich wuß­te nicht, daß Sie sel­ber wel­che hat­ten, Sir Ju­ni­us«, ant­wor­te­te ich ge­reizt, »denn, wenn ich mich recht er­in­ne­re, sag­ten Sie mir ein­mal in Afri­ka, das ein­zi­ge Groß­wild, das Sie je­mals ge­schos­sen hät­ten, wäre ein an Rot­was­ser er­krank­ter Och­se ge­we­sen. Im­mer­hin, das Schie­ßen ist für mich Hand­werk, nicht Sport wie für Sie, und ich lie­be es nicht, zu fach­sim­peln.«

Das dar­auf­hin aus­bre­chen­de Ge­läch­ter stopf­te ihm den Mund. Dann fing Scroope, der ent­zückends­te al­ler Freun­de, an, Aben­teu­er von mir zu er­zäh­len, bis mir die Ohren klan­gen und ich hin­aus­lief, um nach dem Wet­ter zu se­hen.

Das hat­te sich un­ter­des­sen sehr ver­än­dert. Der Him­mel war be­deckt, und ein böi­ger Wind, der von Mi­nu­te zu Mi­nu­te stär­ker wur­de, trieb klei­ne Schnee­schau­er vor sich her.

»Auf mein Wort«, sag­te Lord Ra­gnall, der mich be­glei­te­te, »das sieht we­nig hoff­nungs­voll aus. Wir woll­ten in der Scho­nung am See, un­serm bes­ten Stand hier, heu­te nach­mit­tag sie­ben­hun­dert Fa­sa­nen schie­ßen, aber ich be­zweifle, daß wir auf fünf­hun­dert kom­men. Ich möch­te Sie, Herr Qua­ter­main, und Sir Ju­ni­us zu­hin­terst in der Scho­nung pos­tie­ren. Hier ha­ben Sie noch die meis­ten Aus­sich­ten, da vie­le der Fa­sa­nen ge­gen die­sen Wind über­haupt nicht bis zum See her­an­kom­men. Wenn es Ih­nen recht ist, leis­te ich Ih­nen Ge­sell­schaft, da ich selbst heu­te nicht mehr zu schie­ßen ge­den­ke.«

»Ich fürch­te, Sie wer­den ent­täuscht sein«, sag­te ich ner­vös.

»O nein, das wer­de ich nicht«, ant­wor­te­te er. »Ich sage Ih­nen frei her­aus, daß Sie den bes­ten Schüt­zen der gan­zen Ge­sell­schaft ab­ge­ben wür­den, falls Sie Ge­le­gen­heit hät­ten, sich eine Sai­son hin­durch zu üben. Au­gen­blick­lich sind Sie sich noch nicht ganz klar über den Flug die­ser Vö­gel, und au­ßer­dem sind Ih­nen auch die­se Ge­weh­re fremd. Neh­men Sie ein Glas Sher­ry Bran­dy, das wird Ihre Ner­ven be­ru­hi­gen.«

Ich trank den Sher­ry Bran­dy, und gleich dar­auf zo­gen wir los. Die Scho­nung, in der wir schie­ßen soll­ten, lag am Ran­de ei­nes huf­ei­sen­för­mi­gen Sees. Vier von den Schüt­zen wur­den an sei­ner Run­dung, van Koop und ich an sei­ner ge­ra­den Sei­te pos­tiert. Ich stell­te mit Un­be­ha­gen fest, daß die an­de­ren von der ge­gen­über­lie­gen­den Sei­te aus al­les, was wir schos­sen, aber auch al­les, was wir nicht schos­sen, se­hen konn­ten, und daß uns au­ßer­dem noch ein Trupp von Zuschau­ern, un­ter de­nen ich den Büch­sen­ma­cher er­kann­te, be­ob­ach­te­te. Aber auf dem Wege zum Boot, das uns über den See set­zen soll­te, er­eig­ne­te sich et­was, was mich in sehr gute Lau­ne ver­setz­te und mir auch Bei­fall ein­brach­te. Ich pas­sier­te eben mit Lord Ra­gnall, Scroope und Charles in ei­ner Ent­fer­nung von etwa fünf­zig Me­tern eine Grup­pe großer Bäu­me, als von der an­de­ren Sei­te her ein Schrei: »Reb­huhn hoch drü­ber!«, aus der hei­se­ren Keh­le des rot­wes­ti­gen Jen­kins her­über­scholl, der das Ab­trei­ben ei­nes Strei­fens von nied­ri­gem Un­ter­holz lei­te­te.

»Pas­sen Sie auf, Herr Qua­ter­main, die kom­men von die­ser Rich­tung her«, sag­te Lord Ra­gnall, wäh­rend Charles mir eine ge­la­de­ne Flin­te in die Hand drück­te. Eine Se­kun­de spä­ter tauch­ten die Vö­gel über den Baum­wip­feln auf; ein großer Schwarm in lan­ger Zick­zack­li­nie, von den wü­ten­den Stö­ßen des Win­des ge­tra­gen, ka­men sie mit un­wahr­schein­li­cher Schnel­lig­keit her­an. Ich schoß auf den ers­ten Vo­gel, der mir tot vor die Füße fiel. Ich schoß noch­mals, der zwei­te fiel mir her­un­ter. Ich pack­te eine an­de­re Flin­te und traf einen drit­ten, ge­ra­de als er über mir hin­flog. Dann dreh­te ich mich um, be­kam einen vier­ten vors Korn, und »Bums!«, fiel auch er – in der Tat, das war ein recht wei­ter Schuß.

»Don­ner­wet­ter!«, sag­te Scroope, »so et­was habe ich noch nie ge­se­hen«, wäh­rend Lord Ra­gnall mich an­starr­te und Charles vor sich hin­pfiff.

Aber jetzt will ich die Wahr­heit sa­gen und mei­ne gan­ze Hin­ter­list of­fen­ba­ren: der zwei­te Vo­gel war gar nicht der, auf den ich ge­zielt hat­te. Ich war zu kurz ab­ge­kom­men und hat­te den nächs­ten er­wi­scht. Und in mei­ner Ei­tel­keit ge­stand ich das gar nicht ein, we­nigs­tens nicht vor Abend. – Die vier Reb­hüh­ner wur­den jetzt zu­sam­men­ge­sucht, und un­ter ei­ner Flut von Gra­tu­la­tio­nen setz­ten wir un­se­ren Weg über den See fort. Als wir ins Boot stie­gen, be­merk­te ich, daß Charles au­ßer den von mir mit­ge­brach­ten noch eine große Schach­tel mit an­de­ren Pa­tro­nen trug.

Sie stamm­ten von Herrn Po­pham, dem Büch­sen­ma­cher, der sie für den Fall, daß die mei­ni­gen nicht aus­reich­ten, mit­ge­nom­men hat­te. Ich sag­te nichts; aber da ich von mei­nen drei­hun­dert­fünf­zig noch die Hälf­te üb­rig­hat­te, frag­te ich mich still, was für ein Schie­ßen das noch wer­den soll­te. Wir nah­men also un­se­re Stand­plät­ze ein. Wäh­rend­des­sen aber ver­stärk­te sich der Wind zu ei­nem wü­ten­den Sturm. Aus al­len Rich­tun­gen der Win­dro­se schie­nen sei­ne Stö­ße zu kom­men.

»Das wird ein wil­der Nach­mit­tag«, sag­te Lord Ra­gnall, und wäh­rend er sprach, kam van Koop ziem­lich ver­stört von sei­nem Stand zu; uns und schlug vor, die Jagd ab­zu­bre­chen.