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Dieses ist der zweite von drei Bänden des monumentalen Werkes. Der Umfang des zweiten Bandes entspricht ca. 250 Buchseiten. Die QUO-VADIS?-Trilogie Anno 64 n. Chr.: Der dekadente Führungsstil Kaiser Neros lässt zunehmend Unruhe im Volke Roms aufkommen. Nero versucht, das Volk mit Brot und Spielen bei Laune zu halten. Dazu instrumentalisiert er die verbotene Glaubensgemeinschaft der Christen und lässt diese verfolgen und zur Belustigung des Volkes und Sicherung seiner Herrschaft als vermeintlich Schuldige auf grausame Art und Weise hinrichten. Vor diesem geschichtlichen Hintergrund trägt sich die wechselhafte und dramatische Liebesgeschichte zwischen dem römischen Tribun Vinicius und der schönen Christin Lygia zu. Sienkiewicz gelingt auf insgesamt knapp 700 Seiten eine authentische und eindrückliche Darstellung des Gegensatzes zwischen der Kultur des römischen Reiches und dem christlichen Glauben. »Quo Vadis?« war ein maßgeblicher Grund dafür, dass Henryk Sienkiewicz den Nobelpreis für Literatur erhielt. Das Meisterwerk liegt hier in einer Neuauflage als Roman-Trilogie vor.
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HISTORISCHER ROMAN
IN DREI BÄNDEN
BAND II
NERO SINGT BEIM ANBLICK DES BRENNENDEN ROMS
Dieses Buch ist Teil der BRUNNAKR Edition: Fantasy, Historische Romane, Legenden & Mythen.
BRUNNAKR ist ein Imprint des apebook Verlags.
Nähere Informationen am Ende des Buches oder auf:
www.apebook.de
1. Auflage 2020
V 1.0
eBook: ISBN 978-3-96130-252-9
Print: ISBN 978-3-96130-253-6
Übersetzung: Paul Seliger
Buchgestaltung/Coverdesign: SKRIPTART
www.skriptart.de
Alle Rechte vorbehalten.
© BRUNNAKR/apebook 2020
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QUO VADIS?
TRILOGIE
BAND I
BAND II
BAND III
INHALTSVERZEICHNIS
QUO VADIS? - Band II
Frontispiz
Impressum
Karte
BAND II
Kapitel I
Kapitel II
Kapitel III
Kapitel IV
Kapitel V
Kapitel VI
Kapitel VII
Kapitel VIII
Kapitel IX
Kapitel X
Kapitel XI
Kapitel XII
Kapitel XIII
Kapitel XIV
Kapitel XV
Kapitel XVI
Kapitel XVII
Kapitel XVIII
Kapitel XIX
Kapitel XX
Kapitel XXI
Kapitel XXII
Kapitel XXIII
Eine kleine Bitte
Direktlinks zu den einzelnen Bänden
BRUNNAKR Edition
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Zu guter Letzt
BAND II
Petronius an Vinicius.
»Es steht schlimm mit dir, carissime! Unzweifelhaft hat Venus dir den Sinn verwirrt und Verstand, Gedächtnis und die Fähigkeit geraubt, an etwas anderes als an die Liebe zu denken. Lies einmal, was du mir auf meinen Brief geantwortet hast, und du wirst daraus entnehmen können, wie gleichgültig du auf alles herabsiehst, was nicht Lygia ist, wie dein Denken sich nur mit ihr beschäftigt, immer wieder zu ihr zurückkehrt und sie gleichsam umkreist wie ein Falke die erschaute Beute. Beim Pollux! Finde sie schnell, sonst wird aus dir, soweit die Flamme dich nicht in Asche verwandeln konnte, ein ägyptischer Sphinx, der, wie man sagt, von Liebe für die blasse Isis ergriffen, taub und gleichgültig für alles ist und nur die Nacht erwartet, um mit versteinertem Auge nach der Geliebten zu schauen.
Durchstreife des Abends verkleidet die Straßen, besuche selbst in Begleitung deines Philosophen die christlichen Bethäuser. Alles, was Hoffnung erweckt und die Zeit totschlägt, ist lobenswert. Aber um meiner Freundschaft willen tu das eine: jener Ursus, der Sklave Lygias, ist anscheinend ein Mann von unglaublicher Körperkraft; dinge dir daher Kroton und gehe nur mit zwei Begleitern aus. Das wird sicherer und vernünftiger sein. Da Pomponia Graecina und Lygia zu den Christen gehören, so sind diese gewiß keine solchen Schufte, wie man allgemein annimmt; bei der Entführung Lygias haben sie aber den Beweis geliefert, daß, wenn es sich um ein Lamm aus ihrer Herde handelt, mit ihnen nicht zu spaßen ist. Wenn du Lygia erblickst, so weiß ich, du wirst dich nicht mäßigen können, sondern den Versuch machen, sie auf der Stelle fortzutragen. Wie solltest du dies aber allein mit Chilon fertig bringen? Kroton aber wird sich schon Rat wissen, selbst wenn zehn solcher Männer wie Ursus Lygia verteidigten. Laß dich von Chilon nicht ausbeuten, spare aber bei Kroton das Geld nicht. Von allen Ratschlägen, die ich dir geben kann, ist dies der beste.
Hier hat man bereits aufgehört, von der kleinen Augusta oder davon zu sprechen, daß sie infolge von Zauberei gestorben ist. Poppaea gedenkt ihrer noch zuweilen, aber des Caesars Geist ist mit etwas anderem beschäftigt; wenn es übrigens wahr ist, daß sich die göttliche Augusta wieder in anderen Umständen befindet, so wird auch bei ihr die Erinnerung an dieses Kind spurlos verschwinden. Wir waren jetzt einige Tage in Neapel oder vielmehr in Bajae. Wenn du noch an etwas zu denken vermagst, so muß ein Echo von unserer Lebensweise an deine Ohren gedrungen sein, denn ganz Rom spricht gewiß von nichts anderem. Wir begaben uns geradeswegs nach Bajae, wo uns anfangs Erinnerungen an die Mutter und Gewissensbisse befielen. Aber weißt du, wie weit es mit dem Rotbart schon gekommen ist? Daß selbst der Muttermord für ihn nichts anderes ist, als ein Stoff zu poetischer Behandlung und zum Vorwurf einer Tragikomödie. Früher fühlte er in der Tat Gewissensbisse, aber einzig und allein nur darum, weil er ein Feigling ist. Jetzt, wo er sich überzeugt hat, daß die Erde nach wie vor unter seinen Füßen feststeht und daß kein Gott an ihm Rache nimmt, heuchelt er sie nur, um das Volk durch sein Schicksal zu rühren. Manchmal springt er in der Nacht auf, da er sich von den Furien verfolgt glaubt – weckt uns, sieht sich scheu um und nimmt die Haltung eines Komödianten an, der die Rolle des Orestes spielt, und zwar eines schlechten Komödianten, deklamiert griechische Verse und gibt acht, ob wir ihn auch bewundern. Und wir bewundern ihn augenscheinlich, und statt ihm zu sagen: »Geh' zu Bett, du Possenreißer!« jammern auch wir in tragischem Tone und beschützen den großen Künstler vor den Furien. Bei Kastor! Die Nachricht wenigstens muß dir zugegangen sein, daß er schon öffentlich in Neapel aufgetreten ist. Alle griechischen Tagediebe waren aus Neapel und den benachbarten Städten zusammengeströmt und erfüllten die Arena mit einem so durchdringenden Knoblauch- und Schweißgeruch, daß ich den Göttern dankte, daß ich, anstatt in den ersten Reihen mitten unter den Augustianern zu sitzen, mit dem Rotbart hinter der Szene war. Und wirst du es glauben, daß er Furcht hatte? Er fürchtete sich in der Tat! Er nahm meine Hand und legte sie sich aufs Herz, das in der Tat in beschleunigten Schlägen klopfte. Er atmete kurz, und als er auftreten mußte, wurde er blaß wie Pergament, und seine Stirn bedeckte sich mit Schweißtropfen, obgleich er sah, daß in jeder Reihe mit Knütteln bewaffnete Prätorianer saßen, bereit, im Notfalle mit diesen die Begeisterung anzufachen. Aber dieser Fall trat nicht ein. Keine Affenherde aus der Umgegend Karthagos könnte so heulen, wie es dieser Pöbel tat. Ich sage dir, der Knoblauchgeruch drang bis auf die Bühne, Nero aber verbeugte sich, legte die Hand aufs Herz, warf Kußhände und brach in Tränen aus. Dann stürzte er wie ein Betrunkener auf uns zu, die wir ihn hinter der Szene erwarteten, und rief: »Was sind alle Triumphe im Vergleich zu dem meinen!« Dabei heulte der Pöbel noch unaufhörlich und klatschte Beifall, da er sehr wohl wußte, daß er es in seinem eigenen Interesse tat, für Geschenke, Schmausereien, Lotterielose und ein abermaliges Auftreten des kaiserlichen Possenreißers. Ich wunderte mich nicht darüber, daß sie klatschten, denn etwas derartiges hatten sie bis dahin noch nicht gesehen. Und jeden Augenblick wiederholte er: »Ja, die Griechen! Ja, die Griechen!« Und es will mir scheinen, als ob seine Abneigung gegen Rom noch im Wachsen begriffen sei. Er ließ sofort Eilboten nach Rom mit der Nachricht von dem Triumphe entsenden, und wir erwarten in diesen Tagen den Dank des Senats. Unmittelbar nach dem ersten Auftreten Neros ereignete sich hier ein sonderbarer Vorfall. Das Theater brach plötzlich zusammen, aber erst dann, als sämtliche Zuschauer es verlassen hatten. Ich war am Orte des Unglücks und bemerkte keine einzige Leiche unter den Trümmern. Viele, selbst unter den Griechen, betrachten dieses Ereignis als Strafe der Götter für die Erniedrigung der Caesarenwürde; er dagegen erblickt darin eine Gnade der Götter, welche seinen Gesang, und diejenigen, welche ihm lauschten, in ihren augenscheinlich Schutz genommen hätten. Es wurden daher in allen Tempeln Opfer dargebracht und feierliche Dankgottesdienste veranstaltet – für ihn aber ist es eine neue Aufmunterung zu der Reise nach Achaja. Vor einigen Tagen sagte er jedoch zu mir, er besorge, daß das römische Volk damit unzufrieden sei und sich empören werde, sowohl aus Liebe zu ihm wie aus Furcht, die Getreideverteilungen und die Spiele könnten im Falle einer längeren Abwesenheit des Caesars unterbleiben.
Wir gehen jedoch nach Benevent, um uns die Schusterpracht anzusehen, in der sich Vatinius hervortut, und von da unter dem Beistande der göttlichen Brüder der Helena nach Griechenland. Was mich betrifft, so habe ich das eine gelernt, daß, wenn man sich unter Wahnsinnigen befindet, ebenfalls wahnsinnig wird und, was noch schlimmer ist, an wahnsinnigen Possen seine Freude findet. Griechenland und die Reise auf tausend Schiffen, einem Triumphzuge des Bakchos gleichend, umgeben von Nymphen und Bakchanten, mit Kränzen aus Myrtenzweigen, Weinlaub und Geißblatt, Wagen mit Tigern bespannt, Blumen, Thyrsosstäbe, Kränze, Evoerufe, Musik, Poesie und das beifallspendende Hellas – all dies ist schön, aber wir haben noch kühnere Pläne. Wir möchten etwas wie ein orientalisches Märchenreich schaffen, ein Reich voller Palmen, Sonnenschein und Poesie, das die Wirklichkeit in einen Traum und das Leben in ein einziges wonniges Entzücken umwandelt. Wir möchten Rom vergessen und den Schwerpunkt der Welt irgendwo anders hin, an eine Stelle zwischen Griechenland, Asien und Ägypten, verlegen, nicht das Leben von Menschen, sondern von Göttern führen, nicht wissen, was Alltäglichkeit bedeutet, auf goldenen Schiffen im Schatten purpurner Segel durch den Archipel fahren, Apollon, Osiris, Baal in einer Person sein, rosig wie die Morgenröte, golden wie die Sonne, silbern wie der Mond, herrschen, singen, träumen ... Und wirst du es glauben, daß ich, der ich ja noch für eine Sesterze gesunden Menschenverstand und für ein As Urteilsfähigkeit besitze, mich trotzdem diesen Phantomen überlasse und zwar nur aus dem Grunde, daß, wenn sie auch unmöglich zu verwirklichen, doch zum mindesten großartig und außergewöhnlich sind? Ein solches Märchenreich würde noch in ferner, ferner Zeit, nach vielen Jahrhunderten den Menschen wie ein Traum vorkommen. Solange Venus nicht die Gestalt dieser Lygia oder wenigstens einer solchen Sklavin wie Eunike annimmt und die Kunst sie verschönt, so lange ist das Leben selbst leer und trägt oft das Antlitz eines Affen. Aber der Rotbart wird seine Pläne nicht verwirklichen, wenn auch nur aus dem Grunde, weil in jenem orientalischen Märchenreiche der Poesie kein Platz sein kann für Verrat, Gemeinheit und Mord und in ihm trotz allen poetischen Scheines nichts steckt als ein schlechter Komödiant, ein ungeschickter Wagenlenker und ein einfältiger Tyrann. Doch inzwischen töten wir jeden, der in irgend einer Weise unser Mißfallen erregt. Der arme Torquatus Silanus weilt bereits bei den Schatten; er öffnete sich vor einigen Tagen die Adern. Lecanius und Licinius werden ihr Konsulat voller Furcht antreten, der alte Thrasea wird dem Tode auch nicht entgehen, denn er wagt es, ehrlich zu sein. Tigellinus konnte in bezug auf mich noch nicht den Befehl erwirken, ich solle mir die Adern aufschneiden. Man bedarf meiner noch, nicht allein als arbiter elegantiarum, sondern auch als eines Mannes, ohne dessen Rat und Geschmack die Reise nach Achaja möglicherweise mit einem Mißerfolge enden könnte. Ich muß jedoch öfters daran denken, daß ich früher oder später so enden muß, und weißt du, worauf es mir dann hauptsächlich ankommen wird: darauf, daß der Rotbart nicht jenen Onyxbecher erhält, den du kennst und bewunderst. Bist du in der Stunde meines Todes bei mir, so schenke ich ihn dir, bist du fern, so zerschmettere ich ihn. Indessen habe ich noch das schusterliche Benevent, das olympische Griechenland und das Fatum vor mir, das jedem seine Bahnen weist, mögen diese auch unbekannt und unberechenbar sein. Bleibe gesund und dinge dir Kroton, sonst verlierst du Lygia ein zweites Mal. Wenn du Chilonides nicht mehr brauchst, so schicke ihn zu mir, wo ich auch immer bin. Möglicherweise mache ich einen zweiten Vatinius aus ihm, und vielleicht zittern noch Konsulare und Senatoren vor ihm wie vor dem Ritter Pechdraht. Es würde sich lohnen, ein solches Schauspiel zu erleben. Wenn du Lygia gefunden hast, so gib mir Nachricht, damit ich für euch ein Paar Schwäne und ein Paar Tauben im hiesigen Venustempel opfere. Einmal sah ich im Traume Lygia auf deinen Knieen sitzen und wonnetrunken nach deinen Küssen verlangen. Gib dir Mühe, daß dieser Traum in Erfüllung gehe. Möge keine Wolke deinen Himmel trüben; sollte sich aber doch eine blicken lassen, so sei sie von der Farbe und dem Duft der Rosen. Bleibe gesund und lebe wohl!«
Kaum hatte Vinicius zu Ende gelesen, als Chilon leise und unangemeldet zu ihm in die Bibliothek trat, da die Diener Befehl hatten, ihn zu jeder Tages- oder Nachtstunde vorzulassen.
»Möge die göttliche Mutter deines hochherzigen Ahnherrn Äneas,« sagte er, »dir ebenso günstig sein, Herr, wie mir der Sohn der Maja günstig gewesen ist.«
»Das heißt?« fragte Vinicius, indem er von dem Tische, an dem er saß, aufsprang.
Chilon richtete sich auf und sagte: »Gefunden!«
Der junge Patrizier war so erregt, daß er längere Zeit kein Wort hervorbringen konnte.
»Du hast sie gesehen?« fragte er endlich.
»Ich habe Ursus gesehen, Herr, und mit ihm gesprochen.«
»Und weißt du, wo sie sich verstecken?«
»Nein, Herr. Ein anderer würde dem Lygier aus Eitelkeit zu verstehen gegeben haben, er errate, wer er sei; ein anderer hätte zu erfahren gesucht, wo er wohne, und würde dabei entweder einen Faustschlag erhalten haben, infolgedessen ihm alle irdischen Angelegenheiten gleichgültig gewesen wären, oder hätte den Argwohn des Riesen erregt und ihn veranlaßt, mit dem Mädchen womöglich noch diese Nacht ein anderes Versteck aufzusuchen. Ich tat nichts davon, Herr. Ich begnügte mich damit, zu wissen, daß Ursus bei einem Müller in der Nähe des Emporium arbeitet, der Demas heißt wie dein Freigelassener, und es genügt mir deshalb, weil jetzt der erste beste Sklave, dem du dein Vertrauen schenkst, des Morgens seiner Spur folgen und das Versteck beider aufspüren kann. Ich bringe dir nur die Gewißheit, Herr, daß, da sich Ursus hier befindet, auch die göttliche Lygia in Rom ist, und zweitens die Nachricht, daß sie heut nacht fast zweifellos im Ostrianum sein wird ...«
»Im Ostrianum? Wo ist das?« unterbrach ihn Vinicius, der offenbar den Wunsch hegte, sofort nach dem genannten Orte zu eilen.
»Es ist ein altes unterirdisches Gewölbe zwischen der Via Salaria und Via Nomentana. Jener Pontifex Maximus der Christen, von dem ich dir erzählte, Herr, und den sie bedeutend später erwarteten, ist schon angekommen und wird heute nacht in jener Katakombe taufen und lehren. Sie verheimlichen ihre Religion, weil das Volk, obgleich bis jetzt noch keine Edikte erlassen sind, welche sie verbieten, sie haßt und sie daher vorsichtig sein müssen. Ursus selbst sagte mir, daß sie heut alle ohne Ausnahme im Ostrianum zusammenkommen wollten; denn ein jeder wünscht den zu sehen und zu hören, der der erste Jünger Christi gewesen ist und den sie Apostel nennen. Da bei ihnen die Frauen in der Religion ebenso unterwiesen werden wie die Männer, so wird vielleicht Pomponia die einzige Frau sein, die nicht anwesend ist, da sie es vor Aulus, dem Verehrer der alten Götter, nicht verantworten könnte, deswegen in der Nacht das Haus zu verlassen. Lygia jedoch, Herr, die unter dem Schutze von Ursus und der Ältesten der Gemeinde steht, wird ohne Zweifel mit den anderen Frauen hingehen.«
Vinicius, der bis dahin wie im Fieber gelebt und sich nur die Hoffnung aufrecht erhalten hatte, fühlte jetzt, da die Hoffnung in Erfüllung zu gehen schien, mit einem Male eine solche Schwäche, wie sie jemand empfinden mag, der nach einer seine Kräfte übersteigenden Reise am Ziele anlangt. Chilon bemerkte dies und beschloß, Nutzen daraus zu ziehen.
»Allerdings werden die Tore von deinen Leuten bewacht, Herr – und die Christen müssen dies wissen. Aber sie brauchen keine Tore. Der Tiber braucht sie auch nicht, und wenn auch der Weg vom Flusse bis dorthin weit ist, so lohnt es sich doch, einen weiten Weg zu machen, um den großen Apostel zu sehen. Übrigens können sie tausend Mittel haben, über die Mauern zu gelangen, und ich weiß dies bestimmt. Im Ostrianum wirst du Lygia finden, Herr, und wäre sie auch selbst nicht dort, was ich jedoch nicht glaube, so wird Ursus wenigstens zugegen sein, denn er hat mir versprochen, Glaukos zu töten. Er selbst hat es mir gesagt, er wolle da sein und ihn töten, hörst du, edler Tribun? Du folgst ihm also entweder auf dem Fuße nach und kundschaftest aus, wo Lygia wohnt, oder du läßt ihn von deinen Leuten als Mörder festnehmen und zwingst ihn, wenn du ihn in den Händen hast, zu dem Geständnis, wo Lygia wohnt. Ich habe das meinige getan. Ein anderer, Herr, würde dir gesagt haben, er hätte mit Ursus zehn Kannen vom besten Wein trinken müssen, um ihm das Geheimnis zu entlocken; ein anderer hätte dir gesagt, er habe tausend Sesterzen im Scriptae duodecim-Spiele an ihn verloren oder er habe dies Geheimnis für zweitausend Sesterzen erkauft ... Ich weiß, du würdest mir das Doppelte zurückerstatten, aber trotzdem will ich einmal in meinem Leben ... das heißt, ich wollte sagen wie immer, ehrlich sein, denn ich weiß, daß deine Freigebigkeit, wie der hochherzige Petronius sagte, alle meine Hoffnungen und Erwartungen übertreffen wird.«
Vinicius aber, der als Soldat nicht nur allen Ereignissen gegenüber gewöhnt war, sich zu beherrschen, sondern auch demgemäß zu handeln, überwand bald eine vorübergehende Schwäche und sagte: »Du wirst nicht vergebens auf meine Freigebigkeit rechnen; zuvor aber begleitest du mich nach dem Ostrianum.«
»Ich nach dem Ostrianum?« fragte Chilon, der nicht die geringste Lust hatte, dorthin zu gehen. »Ich, edler Tribun, versprach dir, Lygia ausfindig zu machen, aber ich machte mich nicht anheischig, sie dir zu entführen ... Bedenke, Herr, was aus mir würde, wenn jener lygische Bär, nachdem er Glaukos zerrissen hat, sich überzeugte, daß er ihn nicht mit vollem Recht zerrissen hat? Würde er nicht mich (allerdings mit Unrecht) als den Urheber des vollbrachten Mordes betrachten? Vergiß nicht, Herr, daß, je größer ein Philosoph ist, es ihm desto schwerer fällt, auf törichte Fragen gemeiner Leute zu antworten. Was würde ich ihm also erwidern können, wenn er mich fragte, warum ich den Arzt Glaukos beschuldigt habe? Wenn du aber glaubst, ich betrüge dich, dann schlage ich dir vor: bezahle mich erst dann, wenn ich dir das Haus zeige, in dem Lygia wohnt, und gib mir heute nur einen kleinen Beweis von deiner Erkenntlichkeit, damit ich, wenn dir, Herr (mögen alle Götter dich schützen!), irgend ein Unglück zustoßen sollte, nicht ganz unbelohnt bleibe. Dein gutes Herz würde dies nicht ertragen.«
Vinicius ging zu einem Kästchen (»Arca« genannt), das auf einem marmornen Sockel stand, entnahm ihm einen Beutel und warf ihn Chilon zu.
»Hier sind Scrupula,« sagte er, »wenn Lygia in meinem Hause ist, erhältst du einen ebensolchen Beutel voll Aurei.«1
»Jupiter!« rief Chilon.
Vinicius runzelte die Brauen.
»Du bekommst hier zu essen, dann kannst du dich ausruhen. Bis zum Abend rührst du dich nicht von der Stelle, und wenn es Nacht wird, begleitest du mich nach dem Ostrianum.«
In den Zügen des Griechen spiegelten sich eine Zeitlang Furcht und Zaudern. Dann beruhigte er sich jedoch und sagte: »Wer kann dir widerstehen, Herr? Nehmen wir diese Worte als gutes Vorzeichen, wie es ähnlich unser großer Held im Ammontempel tat. Was mich betrifft, so haben diese Skrupel (dabei zeigte er auf den Beutel) die meinigen vertrieben, wobei ich noch gar nicht von der Gesellschaft spreche, die für mich ein Glück und eine Freude ist ...«
Vinicius unterbrach ihn aber ungeduldig und begann ihn über die ganze Unterredung mit Ursus auszufragen. Eins wurde ihm daraus klar, daß er entweder noch in dieser Nacht das Versteck Lygias entdecken oder sich ihrer selbst auf dem Rückwege vom Ostrianum bemächtigen könne. Und bei diesem Gedanken erfüllte ihn wahnsinnige Freude. Jetzt, wo er fast die Gewißheit hatte, Lygia zu finden, war auch sein Zorn und Grimm gegen sie verschwunden. Für diese Freude verzieh er ihr jede Schuld. Er dachte an sie nur als an die Geliebte und heiß Ersehnte und hatte den Eindruck, als solle sie von einer langen Reise zurückkehren. Er hatte den Wunsch, seine Sklaven herbeizurufen und ihnen zu befehlen, das Haus mit Blumen zu schmücken. In diesem Augenblick empfand er nicht einmal gegen Ursus Groll. Er war bereit, allen alles zu verzeihen. Chilon, gegen den er bisher ungeachtet seiner Dienste eine gewisse Abneigung empfunden hatte, erschien ihm zum erstenmal als eine angenehme und zugleich außergewöhnliche Persönlichkeit. Sein Haus kam ihm glänzender vor, seine Augen und sein ganzes Antlitz strahlten vor Glück. Er begann wieder Jugendmut und Lebenslust zu empfinden. Seine frühere düstere Stimmung hatte ihn noch nicht hinlänglich über das Maß seiner Liebe zu Lygia belehrt. Er fühlte dies erst jetzt, wo er hoffen konnte, sie zu besitzen. Die Sehnsucht nach ihr erwachte von neuem in ihm, wie im Frühling die von der Sonne bestrahlte Erde zu neuem Leben erwacht, aber sein Verlangen war jetzt gleichsam weniger blind und wild, sondern freudiger und sehnsuchtsvoller. Auch unbegrenzter Tatkraft wurde er sich bewußt und war überzeugt, daß, wenn er nur Lygia mit eigenen Augen erblickte, alle Christen der ganzen Welt, ja nicht einmal der Caesar selbst sie ihm wieder entreißen würden.
Chilon, durch Vinicius' Freude ermutigt, nahm von neuem das Wort und begann seinen Rat zu erteilen. Nach seiner Ansicht war noch kein Grund vorhanden, die Sache als gewonnen zu betrachten; im Gegenteil sei die größte Vorsicht notwendig, ohne welche das ganze Unternehmen noch scheitern könne. Ebenso beschwor er Vinicius, Lygia nicht direkt aus dem Ostrianum zu entführen. Sie müßten mit Kapuzen auf dem Kopfe und mit vermummtem Gesichte hingehen und sich damit zufrieden geben, alle Anwesenden aus einem dunklen Winkel zu beobachten. Selbst wenn sie Lygia erblickten, würde es am sichersten sein, ihr in einiger Entfernung zu folgen, sich zu merken, in welches Haus sie trete, und dieses am nächsten Morgen nach Sonnenaufgang mit einer großen Schar von Sklaven zu umzingeln und sie am hellen Tage abzuholen. Da sie eine Geisel sei und eigentlich dem Caesar gehöre, so könnten sie dies ohne Furcht vor Verantwortung tun. Falls sie sie im Ostrianum nicht anträfen, würden sie Ursus nachgehen, und der Erfolg wäre dann der gleiche. Er könne nicht eine große Schar von Sklaven in die Katakombe mitnehmen, denn dies könne leicht die Aufmerksamkeit auf sie lenken, und dann brauchten die Christen nur alle Lichter zu löschen, wie sie es bei der ersten Entführung getan hätten, um sich zu zerstreuen oder in der Dunkelheit in Verstecke, die nur ihnen bekannt seien, zu flüchten. Dafür sei es aber nötig, sich zu bewaffnen, und noch besser, ein paar zuverlässige und kräftige Leute mitzunehmen, um gegebenenfalls an ihnen Hilfe zu haben.
Vinicius gab ihm in allem recht, und da er zugleich an Petronius' Rat dachte, ließ er durch einige Sklaven Kroton zu sich rufen. Chilon, der jedermann in Rom kannte, beruhigte sich ersichtlich, als er den Namen des bekannten Athleten hörte, dessen übermenschliche Kraft er mehr als einmal in der Arena bewundert hatte, und erklärte, gern nach dem Ostrianum mitgehen zu wollen. Der Beutel voll großer Aurei schien ihm mit Krotons Hilfe viel leichter zu verdienen.
Gutgelaunt setzte er sich daher nach einiger Zeit zu dem Mahle, das ihm später der Hüter des Atriums vorsetzen ließ, und erzählte während des Essens den Sklaven, er habe ihrem Herrn eine wunderwirkende Salbe verkauft, mit der es genüge, den Huf des schlechtesten Pferdes einzureiben, damit es alle anderen weit hinter sich lasse. Ein Christ seiner Bekanntschaft habe ihn die Zubereitung gelehrt, denn die Christen verständen sich weit besser auf Zauberei und Wunder als selbst die Thessalier, obgleich Thessalien seiner Zauberei wegen berühmt sei. Die Christen hätten überhaupt großes Zutrauen zu ihm, aus welchem Grunde könne sich jeder leicht denken, der die Bedeutung des Fisches kenne. Bei diesen Worten beobachtete er aufmerksam die Gesichter der Sklaven in der Hoffnung, unter ihnen vielleicht einen Christen entdecken und Vinicius davon Mitteilung machen zu können. Da er sich aber in dieser Hoffnung getäuscht sah, begann er außergewöhnlich viel zu essen und zu trinken, wobei er nicht aufhörte, den Koch zu loben und zu versichern, er beabsichtige, ihn dem Vinicius abzukaufen. Seine Freude wurde nur durch den Gedanken beeinträchtigt, in der Nacht mit nach dem Ostrianum gehen zu müssen; er tröstete sich aber damit, daß er den Weg ja verkleidet, in der Dunkelheit und in der Gesellschaft zweier Männer machen werde, von denen der eine seiner Stärke wegen der Abgott von ganz Rom, der andere ein Patrizier und Offizier von hohem Range war. »Selbst wenn man Vinicius erkennen sollte,« sprach er zu sich selber, »wird niemand wagen, Hand an ihn zu legen, und was mich betrifft, so werden sie froh sein können, wenn sie meine Nasenspitze zu sehen bekommen.«
Dann suchte er sich die Unterredung mit dem Arbeiter ins Gedächtnis zurückzurufen, und die Erinnerung erfüllte ihn mit neuer Befriedigung. Er zweifelte nicht im mindesten daran, daß jener Arbeiter Ursus gewesen war. Aus den Mitteilungen Vinicius' und der Sklaven, die Lygia aus dem Palaste des Caesars abgeholt hatten, kannte er die ungewöhnliche Körperkraft dieses Mannes. Und auch darin lag nichts Auffallendes, daß er an Ursus gewiesen worden war, als er sich bei Euricius nach außergewöhnlich starken Leuten erkundigte. Ferner mußte er aus der Wut und Bestürzung des Arbeiters, als er Vinicius und Lygia erwähnte, erkennen, daß diese beiden Personen ihn näher interessierten; der Arbeiter hatte auch von der Buße für die Tötung eines Menschen gesprochen, und Ursus hatte den Atacinus getötet; endlich entsprach die äußere Erscheinung des Arbeiters genau der Beschreibung, die Vinicius ihm von dem Lygier entworfen hatte. Nur der Name konnte Zweifel erwecken, aber Chilon wußte bereits, daß die Christen bei der Taufe häufig andere Namen erhielten.
»Schlägt Ursus den Glaukos tot,« sprach Chilon zu sich selber, »so ist dies zweifellos das beste; schlägt er ihn nicht tot, so ist auch dies ein gutes Zeichen, denn es beweist, wie schwer die Christen ein Mord ankommt. Ich stellte diesen Glaukos als den leiblichen Sohn des Judas und als Verräter aller Christen dar; ich war so beredt, daß sich selbst ein Stein empört und mir versprochen hätte, auf Glaukos' Haupt herabzustürzen, und dennoch konnte ich diesen lygischen Bär kaum dazu bringen, seine Pranke auf ihn zu legen ... Er schwankte, wollte nicht, sprach von seiner Reue und Buße. Augenscheinlich ist dies bei ihnen nicht etwas Alltägliches. Selbsterlittenes Unrecht muß man verzeihen, und seltsamerweise steht es ihnen im allgemeinen nicht frei, sich zu rächen, ergo: beruhige dich, Chilon, was kann dir drohen? Glaukos darf sich an dir nicht rächen ... Wenn Ursus den Glaukos einer so großen Schuld wegen, wie es der Verrat an allen Christen ist, nicht totschlägt, um so weniger wird er dich um einer so kleinen willen, wie den Verrat eines einzigen Christen, totschlagen. Übrigens will ich, wenn ich einmal diesem verliebten Tauber das Nest seiner Turteltaube gezeigt habe, meine Hände in Unschuld waschen und sofort nach Neapel übersiedeln. Auch die Christen sprechen von einer Art Händewaschung; dies ist augenscheinlich bei ihnen die Art und Weise, wie man bei ihnen einen etwaigen Streit endgültig beilegt. Was für gute Menschen doch diese Christen sind, und wie schlecht man von ihnen spricht! O ihr Götter, das ist die Gerechtigkeit der Welt! Doch mir sagt diese Religion deshalb zu, weil sie den Totschlag verbietet. Doch wenn sie nicht zu töten erlaubt, so erlaubt sie ohne Zweifel auch weder zu stehlen, noch zu betrügen, noch falsches Zeugnis abzulegen, und ich will daher nicht behaupten, daß sie leicht sei. Sie befiehlt offenbar nicht nur, als ehrlicher Mann zu sterben, wie es die Stoiker tun, sondern auch als ehrlicher Mann zu leben. Wenn ich zu Vermögen komme und ein Haus besitze wie dieser Vinicius und ebenso viele Sklaven, dann würde ich vielleicht auch Christ, das heißt so lange, wie es mir paßt. Denn ein reicher Mann kann sich alles erlauben, selbst die Tugend ... Ja! es ist eine Religion für die Reichen, und ich verstehe daher nicht, wie sie so viele Anhänger unter den Armen besitzt. Was für einen Nutzen haben diese davon, und warum lassen sie sich die Hände durch die Tugend binden? Ich muß einmal darüber nachdenken. Inzwischen danke ich dir, Hermes, daß du mich diesen Dachs finden ließest ... Aber wenn du es nur wegen der zwei weißen einjährigen Kühe mit vergoldeten Hörnern getan hast, so will ich nichts von dir wissen. Schäme dich, Argostöter! Daß ein so weiser Gott es nicht vorausgesehen hat, daß er nichts bekommt! Ich will dir meine Dankbarkeit zum Opfer darbringen; wenn du aber außer dieser meiner Dankbarkeit noch zwei Rinder verlangst, so bist du selbst das dritte und verdientest im besten Falle ein Ochsenknecht zu sein, aber kein Gott. Nimm dich in acht, daß ich den Menschen nicht etwa als Philosoph beweise, daß du gar nicht existierst, denn sonst würden alle aufhören, dir zu opfern. Es ist besser, sich mit den Philosophen zu vertragen.«
Indem er so mit sich und Hermes sprach, streckte er sich auf dem Ruhebett aus, legte den Mantel unter den Kopf und schlief ein, während die Sklaven die Tafel abzuräumen begannen. Er erwachte erst, oder vielmehr er wurde geweckt, als Kroton erschien. Dann begab er sich ins Atrium und begann vergnügt die mächtige Gestalt des gewesenen Gladiators zu betrachten, die mit ihrer Riesengröße das ganze Atrium auszufüllen schien. Kroton hatte sich mit Vinicius schon über die Höhe seiner Belohnung geeinigt und sagte soeben: »Beim Herkules! Es ist gut, Herr, daß du noch heute zu mir geschickt hast, denn morgen begebe ich mich nach Benevent, wohin mich der edle Vatinius berufen hat, damit ich mich dort in Gegenwart des Caesars mit einem gewissen Syphax, dem stärksten Neger, den Afrika je hervorgebracht hat, messe. Kannst du dir vorstellen, Herr, wie sein Rückgrat in meinen Armen krachen wird und wie ich ihm außerdem seine schwarzen Kinnladen mit der Faust zerschmettern werde.«
»Beim Pollux!« erwiderte Vinicius; »ich bin überzeugt, daß du dies fertig bringst, Kroton.«
»Du wirst deine Sache vortrefflich machen,« fügte Chilon hinzu. »Ja! ... Zerschmettere ihm außerdem die Kinnladen! Dies ist ein guter Gedanke und eine deiner würdige Tat. Ich bin bereit, zu wetten, daß du ihm die Kinnladen zerschmetterst. Doch reibe dir heute deine Glieder mit Olivenöl ein, mein Herkules, und gürte dich, denn wisse, du bekommst es vielleicht mit einem wahren Katos zu tun. Der Mann, der das Mädchen beschützt, das dem edlen Vinicius so ans Herz gewachsen ist, besitzt wahrscheinlich riesige Kräfte.«
Chilon sprach nur so, um Krotons Ehrgeiz anzuspornen, und Vinicius sagte: »Das stimmt. Ich habe es zwar nicht gesehen, aber man sagt von ihm, wenn er einen Stier bei den Hörnern gepackt habe, könne er ihn hinziehen, wohin er wolle.«
»O!« rief Chilon, der nicht geglaubt hatte, daß Ursus so stark sei.
Aber Kroton lachte verächtlich.
»Ich erbiete mich, edler Herr,« sagte er, »mit diesem Arme hier jeden, den du willst, emporzuheben, mich mit dem anderen aber gegen sieben solcher Lygier zu verteidigen und das Mädchen in dein Haus zu tragen, wenn auch alle Christen in Rom mich wie kalabrische Wölfe verfolgten. Wenn ich das nicht kann, so will ich mich in diesem Impluvium peitschen lassen.«
»Gestatte das nicht, Herr!« sagte Chilon; »sie würden uns steinigen, und was nützte uns dann seine Kraft? Wäre es nicht besser, Lygia aus ihrer Wohnung zu entführen und weder sie noch dich der Gefahr des Todes auszusetzen?«
»So soll es geschehen, Kroton,« sagte Vinicius.
»Dein Geld, dein Wille! Vergiß nur nicht, Herr, daß ich morgen nach Benevent gehe.«
»Ich besitze allein in der Stadt fünfhundert Sklaven,« entgegnete Vinicius.
Dann gab er beiden einen Wink, sich zurückzuziehen, und ging selbst in die Bibliothek, wo er sich hinsetzte und folgende Zeilen an Petronius schrieb: »Chilon hat Lygia aufgefunden. Heute abend gehe ich mit ihm und Kroton nach dem Ostrianum und werde sie entweder sofort oder morgen früh aus ihrer Wohnung entführen. Mögen dir die Götter alle Wünsche gewähren! Bleibe gesund, carissime; ich kann vor Freude nicht weiterschreiben.«
Er legte das Rohr weg und begann mit raschen Schritten im Zimmer auf und ab zu gehen; denn außer der Freude, die seine ganze Seele erfüllte, brannte in ihm ein Fieber. Er sagte sich, daß morgen Lygia in seinem Hause sein werde. Er wußte nicht, wie er sich gegen sie verhalten sollte, fühlte aber, daß, wenn sie ihm ihre Liebe schenken wollte, er ihr Sklave sein könnte. Er erinnerte sich der Worte Aktes, daß er geliebt sei, und dies erschütterte ihn im tiefsten. Es würde sich also nur um die Überwindung einer gewissen mädchenhaften Scheu und die Beobachtung gewisser Formen handeln, welche die christliche Religion ohne Zweifel vorschrieb. Wenn aber Lygia einmal in seinem Hause sei, und der Überredung oder seiner größeren Kraft nachgegeben habe, dann müsse sie sich sagen: »Es ist nun einmal geschehen« und werde sich nicht länger gegen seine Liebe sträuben.
In diesem Augenblick erschien Chilon und störte ihn in diesem wonnigen Gedankengange.
»Herr,« sagte der Grieche, »erst jetzt schoß mir das Bedenken durch den Kopf, ob die Christen nicht gewisse Zeichen haben, Losungen, ohne die niemand Zutritt zum Ostrianum erhält. Ich weiß, daß dies in den Bethäusern der Fall war und daß ich diese Losungen von Euricius erhielt; gestatte mir daher, daß ich zu ihm gehe, Herr, um ihn um Rat zu fragen und mir jene Losungsworte angeben zu lassen, falls es notwendig ist, sie zu kennen.«
»Gut, edler Weiser,« erwiderte Vinicius freundlich. »Du sprichst wie ein vorsichtiger Mann und verdienst dafür Lob. Gehe daher immer zu Euricius, oder wohin du sonst willst. Aber zur Sicherheit lege den Beutel, den du von mir erhalten hast, auf diesen Tisch hier.«