Quo vadis? - Henryk Sienkiewicz - E-Book

Quo vadis? E-Book

Henryk Sienkiewicz

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Beschreibung

"Quo vadis? Wohin gehst Du?" fragt Petrus Jesus bei seiner Flucht aus Rom. Diese in den Petrusakten geschilderte letzte Begegnung inspirierte den polnischen Schriftsteller Henryk Sienkiewiczs zu seinem Roman, in dem er die Anfänge des Christentums in Rom zur Zeit Neros farbenprächtig und spannend schildert. Damit schuf er den ersten historischen Weltbestseller. Der Roman erzählt die Liebesgeschichte zwischen dem jungen Patrizier Marcus Vinicius und Lygia, einer Christin, die als Geisel nach Rom verschleppt wurde. Die Liebenden geraten in den Strudel der Ereignisse um die Christenverfolgungen unter der Regentschaft Neros. "Quo vadis" war bereits kurz nach seinem Erscheinen ein großer Erfolg und wurde mehrmals verfilmt. Am bekanntesten ist die Verfilmung von 1951 mit dem noch jungen Peter Ustinov in der Rolle des Neros. Sienkiewicz (1846-1916) erhielt 1905 den Nobelpreis für Literatur, "Quo vadis?" war ein wesentlicher Grund dafür. Null Papier Verlag

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Henryk Sienkiewicz

Quo vadis?

Henryk Sienkiewicz

Quo vadis?

(Quo vadis: Powie z czasów Nerona)Veröffentlicht im Null Papier Verlag, 2024Klosterstr. 34 · D-40211 Düsseldorf · [email protected]Übersetzung: Paul Seliger EV: Reclam, Leipzig, 1920 2. Auflage, ISBN 978-3-954183-98-2

null-papier.de/katalog

Inhaltsverzeichnis

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Der Graf von Mon­te Chri­sto

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Ivan­hoe

Oli­ver Twist oder Der Weg ei­nes Für­sor­ge­zög­lings

Ro­bin­son Cru­soe

Das Got­tes­le­hen

Meis­ter­no­vel­len

Eine Weih­nachts­ge­schich­te

und wei­te­re …

Zum Buch

»Quo va­dis? Wo­hin gehst Du?« fragt Pe­trus Je­sus bei sei­ner Flucht aus Rom.

Die­se in den Pe­trus­ak­ten ge­schil­der­te letz­te Be­geg­nung in­spi­rier­te den pol­ni­schen Schrift­stel­ler Hen­ryk Sien­kie­wiczs zu sei­nem Ro­man, in dem er die An­fän­ge des Chris­ten­tums in Rom zur Zeit Ne­ros far­ben­präch­tig und span­nend schil­dert. Da­mit schuf er den ers­ten his­to­ri­schen Welt­best­sel­ler.

Der Ro­man er­zählt die Lie­bes­ge­schich­te zwi­schen dem jun­gen Pa­tri­zi­er Mar­cus Vi­ni­ci­us und Ly­gia, ei­ner Chris­tin, die als Gei­sel nach Rom ver­schleppt wur­de. Die Lie­ben­den ge­ra­ten in den Stru­del der Er­eig­nis­se um die Chris­ten­ver­fol­gun­gen un­ter der Re­gent­schaft Ne­ros.

»Quo va­dis« war be­reits kurz nach sei­nem Er­schei­nen ein großer Er­folg und wur­de mehr­mals ver­filmt. Am be­kann­tes­ten ist die Ver­fil­mung von 1951 mit dem noch jun­gen Pe­ter Us­ti­nov in der Rol­le des Ne­ros.

Sien­kie­wicz (1846-1916) er­hielt 1905 den No­bel­preis für Li­te­ra­tur, »Quo va­dis?« war ein we­sent­li­cher Grund da­für.

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Pe­tro­ni­us er­wach­te ge­gen Mit­tag, fühl­te sich aber noch sehr er­mat­tet, denn er hat­te ges­tern ein Gast­mahl bei Nero mit­ge­macht, das bis tief in die Nacht ge­währt hat­te. Je­doch das Früh­bad und das sorg­sa­me Kne­ten des Kör­pers durch ei­gens hie­zu ge­üb­te Skla­ven be­schleu­nig­ten bald den Lauf sei­nes trä­gen Blu­tes und er­mun­ter­ten ihn, so daß er nach ei­ni­ger Zeit aus der letz­ten Pro­ze­dur des Ba­des wie von den To­ten auf­er­stan­den, mit glän­zen­den Au­gen, geist­rei­chem We­sen und Froh­sinn, ver­jüngt, voll Le­bens­geist her­vor­ging. Man nann­te ihn ja auch mit Recht den Ar­bi­ter ele­gan­tia­rum.1

Nach die­sem Gast­mahl, bei dem ihn die Nar­ren­pos­sen des Va­ti­ni­us und Nero, Lu­ca­nus und Se­ne­ka ge­lang­weilt und er auch an der ge­lehr­ten Ab­hand­lung, ob auch die Frau eine See­le habe, sich be­tei­ligt hat­te -- stand er spät auf und nahm, wie ge­wöhn­lich, ein Bad. Zwei rie­si­ge Ba­de­die­ner bet­te­ten ihn auf ein mit schnee­weißem ägyp­ti­schen Bys­sus be­deck­tes La­ger von Zy­pres­sen­holz und be­gan­nen mit ih­ren in wohl­rie­chen­des Oli­ven­öl ge­tauch­ten Hän­den den wohl­ge­stal­te­ten Kör­per ein­zu­rei­ben -- er aber war­te­te mit ge­schlos­se­nen Au­gen, bis die Wär­me des Schwitz­ba­des und die Wär­me ih­rer Hän­de auf ihn wirk­te und die Mat­tig­keit ver­scheuch­te.

Plötz­lich rief der Skla­ve, der die Na­men der an­kom­men­den Gäs­te mel­den muß­te, durch den Vor­hang, daß der jun­ge Mar­cus Vi­ni­ci­us so­eben aus Klein­asi­en zu­rück­ge­kehrt und zum Be­such ein­ge­trof­fen sei. Pe­tro­ni­us be­fahl, den Gast so­fort her­ein­zu­las­sen. Vi­ni­ci­us war der Sohn von Pe­tro­ni­us’ äl­te­rer Schwes­ter, die vor Jah­ren mit Mar­cus Vi­ni­ci­us, der un­ter Ti­be­ri­us die Wür­de ei­nes Kon­su­la­ris be­klei­de­te, sich ver­mählt hat­te. Der jun­ge Mar­cus diente ge­gen­wär­tig un­ter Cor­bu­lo ge­gen die Par­ther und war nach be­en­de­tem Feld­zug in die Stadt zu­rück­ge­kehrt. Pe­tro­ni­us hat­te für ihn jene Schwä­che, die an An­häng­lich­keit grenzt, denn Mar­cus war ein schö­ner, ath­le­ti­scher Jüng­ling, der zu­gleich fei­ne Um­gangs­for­men be­saß, was Pe­tro­ni­us über al­les schätz­te.

»Gruß dem Pe­tro­ni­us«, sag­te der jun­ge Mann, elas­ti­schen Schrit­tes ein­tre­tend, »mö­gen dir die Göt­ter ge­wo­gen sein!«

»Sei ge­grüßt in Rom, und die Ruhe sei dir süß nach dem Kamp­fe«, ver­setz­te Pe­tro­ni­us, die Hand aus den Fal­ten des wei­chen Ge­we­bes, das ihn um­hüll­te, her­aus­stre­ckend. -- »Was hört man in Ar­me­ni­en? Kamst du auch wäh­rend dei­nes Auf­ent­halts in Asi­en nach Bi­thy­ni­en?«

Pe­tro­ni­us war einst in Bi­thy­ni­en Statt­hal­ter ge­we­sen und hat­te sein Amt mit Um­sicht und Ge­rech­tig­keit ver­wal­tet. Sein Cha­rak­ter war aus den wi­der­spre­chends­ten Ei­gen­schaf­ten zu­sam­men­ge­setzt, und da er all­ge­mein für sehr ver­weich­licht und prunk­lie­bend galt, er­in­ner­te er sich gern je­ner Zei­ten, weil sie den Be­weis da­für er­brach­ten, daß er auch tä­tig und ener­gisch sein konn­te, wenn es ihm be­lieb­te.

»Ich kam un­ter an­de­rem auch nach Hera­kleia«, ent­geg­ne­te Vi­ni­ci­us. »Cor­bu­lo sand­te mich dort­hin, Ver­stär­kun­gen zu­sam­men­zu­zie­hen.«

»Er­zäh­le mir, was man von den par­thi­schen Gren­zen hört! Mich lang­wei­len sie zwar alle, die­se bar­ba­ri­schen Völ­ker, die in ih­rer Hei­mat, wie der jun­ge Aru­la­mus er­zählt, noch auf al­len Vie­ren krie­chen und nur uns ge­gen­über sich für Men­schen aus­ge­ben. Jetzt sind sie ein be­lieb­ter Ge­sprächss­toff in Rom, schon des­halb, weil es ge­fähr­lich ist, von an­de­ren Din­gen zu spre­chen.«

»Die­ser Krieg steht schlecht, und wenn Cor­bu­lo nicht wäre, könn­te man sich auf eine völ­li­ge Nie­der­la­ge ge­faßt ma­chen.«

»Cor­bu­lo! Beim Bac­chus! Der rei­ne Kriegs­gott! Ein ge­wal­ti­ger Heer­füh­rer, und zu­gleich feu­rig und recht­lich und ein­fäl­tig. Ich habe ihn schon des­halb gern, weil Nero ihn fürch­tet.«

In die­sem Au­gen­blick tra­ten zwei Skla­ven ein, wel­che sich um Pe­tro­ni­us be­müh­ten und ihm die Här­chen der Arme und Hän­de her­aus­zo­gen, wäh­rend Mar­cus das Un­ter­kleid ab­warf und auf die Auf­for­de­rung des Pe­tro­ni­us hin in ein lau­war­mes Bad stieg.

Pe­tro­ni­us schau­te auf den Jüng­ling mit dem be­frie­dig­ten Auge ei­nes Künst­lers.

Als Mar­cus fer­tig war und sich sei­ner­seits den Haar­aus­zup­fern über­ließ, trat ein Vor­le­ser ein, der eine Bron­ze­büch­se um­ge­hängt trug, in der eine Pa­py­rus­rol­le steck­te.

»Willst du zu­hö­ren?« frag­te Pe­tro­ni­us.

»Wenn es dein ei­ge­nes Werk ist, gern!« ver­setz­te Vi­ni­ci­us. »Wenn nicht, möch­te ich mich lie­ber mit dir un­ter­hal­ten. Heut­zu­ta­ge fan­gen die Dich­ter ihre Zu­hö­rer an al­len Stra­ßen­e­cken ab.« »Und ob! Man kommt an kei­ner Ba­si­li­ka, we­der bei den Ther­men noch bei ei­ner Biblio­thek oder ei­nem Buch­la­den vor­bei, ohne auf einen Dich­ter zu sto­ßen, der sich wie ein Affe ge­bär­det. Als Agrip­pa aus dem Os­ten hie­her­kam, hielt er die­se Leu­te für Be­ses­se­ne. Aber das liegt jetzt so in der Zeit. Wenn der Kai­ser Ver­se schreibt, müs­sen na­tür­lich alle sei­nem Bei­spiel fol­gen. Nur bes­se­re Ver­se darf nie­mand schrei­ben als der Kai­ser, und des­halb schrei­be ich nur Pro­sa, wo­mit ich aber we­der mich selbst noch an­de­re be­hel­li­ge. Nein, das, was der Vor­le­ser vor­tra­gen soll, ist ein Buch des Fa­bri­ci­us Vei­en­to, das jetzt über­all lei­den­schaft­lich ge­le­sen wird, weil es un­end­lich viel Klatsch und Skan­dal ent­hält. Es sucht je­der­mann in dem Bu­che sich selbst mit Be­sorg­nis, Be­kann­te aber mit stil­lem Ver­gnü­gen. In dem Buch­la­den des Ar­vi­nus wird das Buch von hun­dert Schrei­bern nach ei­ner Vor­la­ge ge­schrie­ben, und der Er­folg ist si­cher.«

»Dei­ne Strei­che sind dort nicht zu ha­ben?«

»O doch, aber der Ver­fas­ser ist fehl­ge­gan­gen, denn ich bin viel schlech­ter und we­ni­ger fade, als er mich dort schil­dert. Siehst du, wir ha­ben hier schon längst das Ge­fühl für das Wür­di­ge und Un­wür­di­ge ver­lo­ren, mir geht es selbst so, ob­wohl Se­ne­ka, Mu­so­ni­us und Tra­seas es zu er­ken­nen glau­ben. Mir ist auch al­les gleich­gül­tig, über Her­ku­les rede ich, was ich den­ke. Aber den­noch habe ich den Vor­zug vor an­dern, daß ich weiß, was häß­lich und was schön ist; dies ver­steht zum Bei­spiel un­ser kup­fer­bär­ti­ger Dich­ter,2 die­ser Fuhr­mann, die­ser Gas­sen­sän­ger, die­ser Tän­zer, nicht.«

»Den­noch tut es mir um Fa­bri­ci­us leid! Er war ein gu­ter Ge­sell­schaf­ter.«

»Sei­ne Ei­gen­lie­be hat ihn ver­dor­ben. Je­der miß­trau­te ihm, nie­mand wuß­te et­was Rech­tes, aber er selbst konn­te nichts be­hal­ten und er­zähl­te al­les nach al­len Rich­tun­gen hin un­ter dem Sie­gel der Ver­schwie­gen­heit. Hör­test du schon die Ge­schich­te des Ru­fi­nus?«

»Nein.«

»So ge­hen wir hin­über ins Fri­gi­da­ri­um.3 Wäh­rend wir uns ab­küh­len, er­zäh­le ich dir die Ge­schich­te.«

Bei­de be­ga­ben sich in den Ba­de­raum, in des­sen Mit­te ein Spring­brun­nen in hell­ro­sa Far­ben spru­del­te und einen Veil­chen­duft ver­brei­te­te. Dort setz­ten sie sich in Ni­schen, die mit Sei­de aus­ge­pols­tert wa­ren, und ge­nos­sen die Küh­le. Es herrsch­te einen Au­gen­blick Stil­le.

»Du liebst den Krieg«, be­gann Pe­tro­ni­us, »was ich von mir nicht sa­gen kann, denn un­ter den Zel­ten wer­den die Fin­ger­nä­gel brü­chig und ver­lie­ren ihre ro­si­ge Fär­bung. Üb­ri­gens hat je­der sei­ne Lieb­ha­be­rei, so wie der Kup­fer­bär­ti­ge den Ge­sang liebt, be­son­ders sei­nen ei­ge­nen. Üb­ri­gens, sage mir, schreibst du auch Ver­se?«

»Nein. Ich habe noch nie­mals einen Hexa­me­ter fer­tig­ge­bracht.«

»Spielst du die Lau­te und singst dazu?«

»Nein.«

»So bist du viel­leicht Meis­ter im Wa­gen­len­ken?«

»Sein­er­zeit habe ich mich an den Wett­fahr­ten in An­tio­chia be­tei­ligt, aber ohne Er­folg.«

»Dann bin ich dei­net­we­gen be­ru­higt. Zu wel­cher Par­tei ge­hörst du auf der Renn­bahn?«

»Zu den Grü­nen.«

»Dann bin ich völ­lig be­ru­higt, be­son­ders da du zwar ein hüb­sches Ver­mö­gen be­sit­zest, aber doch nicht so reich bist wie Pal­las und Se­ne­ka. Du mußt wis­sen, daß es bei uns von Vor­teil ist, wenn ei­ner dich­tet, zur Lau­te singt, de­kla­miert und sich im Zir­kus an den Wett­fahr­ten be­tei­ligt, bes­ser aber ist es und vor al­lem un­ge­fähr­li­cher, wenn ei­ner nicht dich­tet, nicht die Lau­te schlägt, nicht singt und nicht an den Wett­fahr­ten im Zir­kus teil­nimmt, am bes­ten aber ist es, wenn man al­les an­zu­stau­nen ver­steht, was der Feu­er­bart tut. Du bist ein hüb­scher jun­ger Mann und da­her der Ge­fahr aus­ge­setzt, daß Poppäa dich lieb­ge­winnt. Doch nein -- sie ist dar­in schon zu er­fah­ren. Sie hat an der Sei­te ih­rer bei­den ers­ten Gat­ten ge­nug Lie­be ge­nos­sen, und jetzt als Ne­ros Ge­mah­lin denkt sie an ganz an­de­re Din­ge.«

»Du woll­test mir ja die Ge­schich­te des ar­men Ru­fi­nus er­zäh­len.«

»Im Sal­braum sollst du sie hö­ren.«

Aber im Sal­braum wur­de die Auf­merk­sam­keit des Vi­ni­ci­us schnell auf et­was an­de­res ge­lenkt, näm­lich auf die un­ge­wöhn­lich schö­nen Skla­vin­nen, die auf die Män­ner war­te­ten und sich an­schick­ten, ih­ren Leib mit köst­li­chen ara­bi­schen Sal­ben ein­zu­rei­ben.

»Beim wol­ken­tür­men­den Zeus«, rief Mar­cus Vi­ni­ci­us. »Schö­ne­re Skla­vin­nen kann auch der Feu­er­bart nicht be­sit­zen.« Mit ei­ner freund­schaft­li­chen Gut­mü­tig­keit sag­te Pe­tro­ni­us: »Du bist ja mein Bluts­ver­wand­ter, und ich bin we­der so un­ge­fäl­lig wie Bas­sus noch so ein Klei­nig­keits­krä­mer wie Au­lus Plau­ti­us.« Als Vi­ni­ci­us die­sen letz­ten Na­men hör­te, hob er rasch das Haupt und frag­te: »Wie kommst du jetzt auf Au­lus Plau­ti­us? Weißt du, daß ich et­li­che Tage in sei­nem Hau­se zu­brach­te, als ich mir vor der Stadt den Arm ver­stauch­te? Zu­fäl­lig kam ge­ra­de Plau­ti­us des We­ges ge­fah­ren, als mir der Un­fall zu­stieß, und weil er mich lei­dend sah, nahm er mich zu sich, wo mich sein Skla­ve, der Arzt Me­ri­on, be­han­del­te und ich bald ge­sun­de­te. Gera­de da­von woll­te ich mit dir spre­chen.«

»Wa­rum? Hast du dich gar in Pom­po­nia ver­liebt? In die­sem Fal­le müß­te ich dich be­dau­ern: nicht mehr jung, da­ge­gen tu­gend­haft! Eine schlim­me­re Ve­rei­ni­gung könn­te ich mir gar nicht vor­stel­len.«

»In Pom­po­nia nicht -- nein!« sag­te Vi­ni­ci­us.

»In wen denn?«

»Ja, wenn ich’s nur sel­ber wüß­te, in wen! Ich weiß auch nicht ein­mal ge­nau, wie sie heißt: Ly­gia oder Cal­li­na. Im Hau­se wird sie Ly­gia ge­nannt, weil sie dem Ly­gier­vol­ke ent­stammt, sie hat aber auch noch ih­ren Ba­ba­ren­na­men Cal­li­na. Es ist dies ein merk­wür­di­ges Haus, die­ses Haus des Plau­ti­us. Meh­re­re Tage hin­durch ahn­te ich nicht, welch gött­li­ches We­sen es be­wahrt, bis ich es ei­nes Mor­gens vor Son­nen­auf­gang er­blick­te, als es sich an dem Gar­ten­brun­nen wusch. Von die­ser Zeit an sah ich sie noch zwei­mal, und seit­her weiß ich nicht mehr, was Ruhe ist; ich habe kei­ne an­de­re Sehn­sucht mehr; nichts, was die Stadt mir bie­ten könn­te, kann mich lo­cken; ich be­geh­re we­der Gold noch ko­rin­thi­sches Erz, we­der Bern­stein noch Per­len, noch Wein und Fest­ge­la­ge, nur Ly­gia will ich. Ich sage dir of­fen, Pe­tro­ni­us, ich seh­ne mich nach ihr Tag und Nacht.«

»Wenn sie eine Skla­vin ist, so kau­fe sie doch!«

»Sie ist kei­ne Skla­vin.«

»Was ist sie denn? Eine Frei­ge­las­se­ne des Plau­ti­us?«

»Ich weiß es nicht; eine Kö­nigs­toch­ter oder et­was Ähn­li­ches.« »Du machst mich sehr neu­gie­rig, Vi­ni­ci­us.«

»Wenn du mich nun an­hö­ren willst, wer­de ich gleich dei­ne Neu­gier­de be­frie­di­gen. Die Ge­schich­te ist nicht sehr lang. Du kann­test viel­leicht gar per­sön­lich den Kö­nig der Sue­ven, Van­ni­us, der, aus sei­nem Rei­che ver­trie­ben, sich lan­ge Zeit in Rom auf­hielt. Kai­ser Dru­sus brach­te ihn wie­der auf sei­nen Thron. Van­ni­us war ein tüch­ti­ger Mann, re­gier­te an­fangs gut und führ­te glück­li­che Krie­ge, spä­ter fing er je­doch an, nicht nur die Nach­barn, son­dern auch sei­ne ei­ge­nen Un­ter­ta­nen zu schin­den. Um die­se Zeit be­schlos­sen Van­gio und Sido, Söh­ne des Vi­bi­li­us, Kö­nigs der Her­mun­du­ren, ih­ren On­kel Van­ni­us zu zwin­gen, wie­der nach Rom zu flüch­ten.«

»Ganz recht, ich er­in­ne­re mich, es ist ja noch gar nicht so lan­ge her, es war zu Clau­di­us’ Zei­ten.«

»Nun brach der Krieg aus. Van­ni­us rief die Ja­zy­gen zu Hil­fe, sei­ne bei­den Schwie­ger­söh­ne da­ge­gen die Ly­gier, wel­che von den Reich­tü­mern des Van­ni­us ge­hört hat­ten und, her­bei­ge­lockt in der Hoff­nung auf rei­che Beu­te, in so großer An­zahl ka­men, daß selbst der Kai­ser Clau­di­us für die Ruhe sei­ner Gren­zen fürch­te­te. Clau­di­us woll­te sich in einen Krieg mit den Bar­ba­ren nicht ein­mi­schen und schrieb an Ate­li­us His­ter, den Füh­rer der Do­nau­le­gio­nen, daß er ein wach­sa­mes Auge auf den Ver­lauf des Krie­ges rich­te und über den Frie­den je­ner Ge­gen­den wa­che. His­ter ver­lang­te nun von den Ly­gi­ern, daß sie sich ver­pflich­ten, die Gren­zen nicht zu über­schrei­ten; dies wur­de nicht nur be­reit­wil­lig zu­ge­sagt, son­dern auch Gei­seln ge­stellt, un­ter de­nen sich die Frau und Toch­ter ih­res Heer­füh­rers be­fan­den... also ist mei­ne Ly­gia die Toch­ter je­nes Heer­füh­rers.«

»Wo­her weißt du das al­les?«

»Dies er­zähl­te mir al­les Au­lus Plau­ti­us selbst. Die Ly­gier ha­ben zwar nicht die Gren­zen über­schrit­ten; aber die Bar­ba­ren kom­men wie ein Un­wet­ter und ver­schwin­den eben­so; so ver­schwan­den auch sie samt ih­ren Au­er­ochs­hör­nern, die sie auf den Köp­fen tru­gen. Sie schlu­gen den Van­ni­us und sei­ne Ver­bün­de­ten, je­doch fiel ihr Kö­nig, und sie mach­ten sich mit dem Rau­be da­von und lie­ßen die Gei­seln in den Hän­den des His­ter. Kurz dar­auf starb die Mut­ter, und das Kind sand­te His­ter an Pom­po­ni­us, der da­mals Statt­hal­ter von Ger­ma­ni­en war. Pom­po­ni­us kehr­te nach Been­di­gung des Krie­ges mit den Chat­ten nach Rom im Tri­umph zu­rück. Die Jung­frau ging hin­ter dem Tri­um­phwa­gen des Sie­gers. Nach be­en­de­ter Ein­zugs­fei­er wuß­te Pom­po­ni­us selbst nicht, was er mit der Gei­sel, die er nicht gut als Ge­fan­ge­ne be­han­deln konn­te, an­fan­gen soll­te, und schenk­te sie sei­ner Schwes­ter Pom­po­nia Grae­ci­na, der Frau des Plau­ti­us. In die­sem Hau­se, wo al­les -- vom Herrn an­ge­fan­gen bis zum Fe­der­vieh -- tu­gend­haft ist, wuchs sie her­an und ist eben­so tu­gend­haft wie Grae­ci­na selbst und so schön, daß selbst Poppäa ne­ben ihr wie eine herbst­li­che Fei­ge ne­ben ei­nem He­s­pe­ri­den­ap­fel sich aus­neh­men müß­te.«

»Und nach die­ser Jung­frau sehnst du dich?«

»Ja, ich will Ly­gia ha­ben. Ich will sie mit mei­nen Ar­men um­schlin­gen und an mei­ne Brust drücken und ih­ren Atem füh­len. Ich will sie in mei­nem Hau­se ha­ben, im­mer­zu, bis mein Haupt weiß ist wie der Gip­fel des Sorac­te im Win­ter.«

»Sie ist kei­ne Skla­vin, ge­hört aber schließ­lich doch zur Fa­mi­lie des Plau­ti­us und wird wohl, da sie eine ver­las­se­ne Wai­se ist, als Pfleg­ling be­trach­tet wer­den müs­sen. Plau­ti­us könn­te sie dir ab­tre­ten, wenn er woll­te.«

»Da kennst du aber Pom­po­nia Grae­ci­na nicht. Schließ­lich ha­ben sich bei­de an sie ge­wöhnt, als wäre Ly­gia ihr ei­ge­nes Kind.«

»Ob ich Pom­po­nia ken­ne! Die reins­te Zy­pres­se! Wäre sie nicht des Au­lus Ehe­frau, könn­te man sie als Kla­ge­weib ver­din­gen. Auch Au­lus Plau­ti­us ken­ne ich, und ich glau­be, daß er eine ge­wis­se Schwä­che für mich hat, ob­wohl er mit mei­ner Le­bens­wei­se nicht ein­ver­stan­den ist. Si­cher schätzt er mich hö­her als all die an­dern, wie zum Bei­spiel Do­mi­ti­us Afer, Ti­gel­li­nus und den üb­ri­gen Freun­de­st­roß Feu­er­barts, da ich mich nie­mals zum An­ge­ber her­ge­ge­ben habe. Ne­ros Aus­füh­rung hat schon oft mein Miß­fal­len er­regt, wenn Se­ne­ka und Burr­hus noch durch die Fin­ger sa­hen. Glaubst du, daß ich beim Plau­ti­us et­was für dich er­rei­chen könn­te, so ste­he ich dir zu Diens­ten.«

»Ich glau­be, daß du es kannst. Du hast Ein­fluß auf ihn und be­sit­zest großen Scharf­sinn. Wenn du mit Plau­ti­us spre­chen woll­test...«

»Du hast zwar eine große Mei­nung von mei­nem Ein­fluß und mei­ner Klug­heit, und wenn es sich um sonst nichts han­delt, so will ich mit Plau­ti­us re­den, so­bald er in die Stadt über­ge­sie­delt ist.« »Sie sind schon seit zwei Ta­gen hier.«

»So wol­len wir in das Tri­kli­ni­um ge­hen, wo das Früh­stück un­ser harrt, und dann las­sen wir uns neu­ge­stärkt zu Plau­ti­us tra­gen.« »Du warst mir im­mer lieb«, rief Vi­ni­ci­us leb­haft, »jetzt aber möch­te ich am liebs­ten hier in die­sem Rau­me dei­ne Bild­säu­le auf­stel­len -- so schön wie die­se hier -- und ihr Op­fer dar­brin­gen.« So spre­chend wand­te er sich den Sta­tu­en zu, wel­che eine Sei­ten­wand der duft­durch­schwän­ger­ten Licht­hal­le zier­ten, und wies mit der Hand auf eine Bild­säu­le des Pe­tro­ni­us, die ihn als Her­mes mit ei­nem gol­de­nen Stab in der Hand dar­stell­te.

Dann sag­te er wei­ter: »Beim Lich­te des He­li­os, wenn der gött­li­che Alex­an­der dir ähn­lich ge­we­sen ist, dann kann man sich über He­le­na nicht wun­dern.«

Die­ser Aus­ruf ent­hielt eben­so­viel Wahr­heit als Schmei­che­lei, denn Pe­tro­ni­us, wenn auch äl­ter und min­der ath­le­tisch ge­baut, war noch schö­ner als Vi­ni­ci­us. Die Frau­en in Rom be­wun­der­ten an ihm nicht nur die geis­ti­ge Ge­wandt­heit und den sei­nen Ge­schmack, der ihm den Bein­amen Ar­bi­ter ele­gan­tia­rum ein­ge­bracht hat­te, son­dern auch die Wohl­ge­stalt sei­ner Er­schei­nung. Tie­fe Be­wun­de­rung drück­te sich auf den Ge­sich­tern der Mäd­chen aus Kos aus, wel­che jetzt die Fal­ten sei­ner Toga ord­ne­ten, von de­nen be­son­ders eine, Eu­ni­ke mit Na­men, ihm voll De­mut und Ent­zücken in die Au­gen schau­te; lieb­te sie ihn doch ins­ge­heim.

Er ach­te­te je­doch nicht dar­auf son­dern lä­chel­te Vi­ni­ci­us zu. Dann schlang er sei­nen Arm um sei­nen Na­cken und führ­te ihn in den Spei­se­saal.

Im Unc­tua­ri­um blieb nur Eu­ni­ke zu­rück, hob den mit Bern­stein und El­fen­bein kunst­voll ein­ge­leg­ten Stuhl, auf wel­chem Pe­tro­ni­us ge­ses­sen, und rück­te ihn vor­sich­tig bis zu des­sen Bild­säu­le. Sie be­stieg den Stuhl, und als sie in glei­cher Höhe mit der Bild­säu­le war, schlang sie plötz­lich die Arme um den Hals, dann warf sie ihr Gold­haar zu­rück, schmieg­te ih­ren ro­si­gen Leib an den wei­ßen Mar­mor und preß­te voll Lei­den­schaft ih­ren Mund auf die kal­ten Lip­pen des Pe­tro­ni­us.

Schieds­rich­ter des fei­nen Ge­schmacks  <<<

Kai­ser Nero; auch Rot­bart, Feu­er­bart wur­de er spott­wei­se ge­nannt  <<<

Kalt­was­ser­bad  <<<

2

Nach dem Früh­stück schlug Pe­tro­ni­us einen klei­nen Schlum­mer vor. Sei­ner An­sicht nach war es noch zu früh, um Be­su­che zu ma­chen. Am ge­eig­nets­ten er­schie­nen ihm dazu die Nach­mit­tags­stun­den, aber nicht eher, als bis die Son­ne den Tem­pel des Ka­pi­to­li­ni­schen Zeus über­stie­gen hat­te und die Strah­len schräg auf das Forum fie­len. In­zwi­schen könn­ten sie, mein­te er, ru­hig ein Schläf­chen ma­chen. Es sei so an­ge­nehm, im Atri­um dem Ge­plät­scher des Brun­nens zu lau­schen und nach den üb­li­chen tau­send Schrit­ten in dem röt­li­chen Lich­te, wel­ches durch den pur­pur­nen, halb­zu­ge­zo­ge­nen Vor­hang drang, vor sich hin­zu­träu­men.

Vi­ni­ci­us gab Pe­tro­ni­us recht, und sie be­gan­nen auf und ab zu schrei­ten, über die neues­ten Vor­komm­nis­se in der Stadt und auf dem Pala­ti­nus plau­dernd oder auch phi­lo­so­phi­sche Be­mer­kun­gen aus­tau­schend. Hier­auf be­gab sich Pe­tro­ni­us in das Schlaf­zim­mer, schlief je­doch nicht lan­ge. Schon nach ei­ner hal­b­en Stun­de kam er wie­der zum Vor­schein, ließ sich Ver­bena­öl brin­gen und rieb sich da­mit Hän­de und Schlä­fen ein.

»Du glaubst nicht, wie sehr das be­lebt und er­frischt«, be­merk­te er. »So, jetzt bin ich fer­tig.«

Die Sänf­te stand schon längst be­reit; sie stie­gen ein und lie­ßen sich nach dem Vi­cus Pa­tri­ci­us, ins Haus des Au­lus, tra­gen. Das Haus des Pe­tro­ni­us lag an dem süd­li­chen Ab­hang des Pala­ti­nus, un­fern des von den reichs­ten Leu­ten be­wohn­ten Stadt­teils Ca­ri­nae. Der kür­zes­te Weg da­hin führ­te un­ter­halb des Forums, aber Pe­tro­ni­us woll­te noch beim Ju­we­lier Ido­men vor­spre­chen und be­fahl, über den Vi­cus Apol­li­nis und über das Forum ge­gen den Vi­cus Sce­le­ra­tus zu ge­hen, an des­sen Ecke sich die man­nig­fachs­ten Ver­kaufs­lä­den be­fan­den.

Rie­si­ge Moh­ren ho­ben die Sänf­te und setz­ten sich in Be­we­gung, vor­aus gin­gen Skla­ven, pe­di­se­qui ge­nannt. Pe­tro­ni­us hielt die nach Ver­bena­öl duf­ten­den Fin­ger vor die Na­sen­lö­cher und schi­en nach­zu­sin­nen, dann sag­te er: »Es fällt mir eben ein, daß dei­ne Wald­nym­phe, wenn sie kei­ne Skla­vin ist, das Haus des Plau­ti­us ver­las­sen und in das dei­ne über­sie­deln könn­te. Du müß­test sie na­tür­lich mit Lie­bes­be­wei­sen, mit Reich­tü­mern über­häu­fen, wie ich mei­ne ver­göt­ter­te Chry­so­te­mis, die ich, un­ter uns ge­sagt, min­des­tens schon eben­so satt habe wie sie mich.«

Mar­cus schüt­tel­te das Haupt.

»Also nicht?« frag­te Pe­tro­ni­us. »Du wür­dest bei die­ser An­ge­le­gen­heit schlimms­ten­falls eine Stüt­ze am Kai­ser fin­den, und du kannst ver­si­chert sein, daß un­ser Feu­er­bart, in­fol­ge mei­nes Ein­flus­ses, auf dei­ner Sei­te wäre.«

»Du kennst Ly­gia nicht!« ver­setz­te Vi­ni­ci­us.

»So ge­stat­te mir die Fra­ge: Kennst du sie an­ders als vom Se­hen? Hast du mit ihr ge­spro­chen? Hast du ihr dei­ne Lie­be ge­stan­den?«

»Ich sah sie zu­erst am Spring­brun­nen, und dann traf ich nur zwei­mal mit ihr zu­sam­men. Du mußt wis­sen, daß ich wäh­rend mei­nes Auf­ent­hal­tes auf dem Land­sit­ze des Au­lus in ei­ner Sei­ten­vil­la wohn­te, wel­che für Gäs­te be­stimmt ist, und da ich den Arm ver­staucht hat­te, konn­te ich an den ge­mein­schaft­li­chen Mahl­zei­ten nicht teil­neh­men. Erst am Vora­bend mei­nes Weg­gangs traf ich Ly­gia bei der Mahl­zeit, konn­te je­doch kein Wort mit ihr spre­chen. Ich muß­te an­hö­ren, was mir Au­lus von sei­nen in Bri­tan­ni­en er­foch­te­nen Sie­gen er­zähl­te und dann von dem Nie­der­gang der klei­nen Leu­te in Ita­li­en, wel­chem zu steu­ern sich Li­ci­ni­us Sto­lo be­müh­te. Dann sah ich Ly­gia wie­der bei der Zis­ter­ne im Gar­ten; sie hielt ein eben aus­ge­ris­se­nes Schilf­rohr in der Hand, des­sen Kol­ben sie ins Was­ser tauch­te, um die im Um­krei­se wach­sen­den Iris­blu­men da­mit zu be­spren­gen. Beim Schil­de des Hera­kles, ich sage dir, mei­ne Knie zit­ter­ten nicht, als die heu­len­den Par­ther wie ein fins­te­res Ge­wölk auf un­se­re Schlachtrei­hen los­stürm­ten, aber sie zit­ter­ten bei je­ner Zis­ter­ne. Ver­wirrt wie ein Kna­be fleh­te ich nur mit den Au­gen um Er­bar­men. Lan­ge ver­moch­te ich kein Wort her­vor­zu­brin­gen.«

Pe­tro­ni­us warf dem jun­gen Mann einen Blick zu, in dem et­was wie Neid lag. »Du Glück­li­cher!« rief er aus. »Welt und Le­ben mö­gen schlecht sein wie sie wol­len, ei­nes in ih­nen bleibt doch ewig gut: die Ju­gend!« Nach ei­ner Wei­le frag­te er wie­der: »Und du hast sie nicht an­ge­spro­chen?«

»O doch! Ich rang nach Fas­sung, und als ich wie­der zur Be­sin­nung ge­kom­men war, sprach ich mit ihr. Aus Asi­en, sag­te ich ihr, sei ich zu­rück­ge­kehrt und habe mir ganz nahe vor der Stadt den Arm ver­staucht. Gro­ße Schmer­zen habe ich er­dul­den müs­sen; da aber die Zeit ge­kom­men sei, die­ses gast­li­che Haus ver­las­sen zu sol­len, sei ich zu der Ein­sicht ge­kom­men, daß es bes­ser sei, hier zu lei­den, als an­ders­wo zu ge­nie­ßen. Sie hör­te mich an, gleich­falls ver­wirrt, mit ge­senk­tem Köpf­chen, wäh­rend sie mit dem Schilf et­was in den sa­fran­gel­ben Sand zeich­ne­te. Dann blick­te sie flüch­tig em­por, ließ ihre Au­gen von den ge­mach­ten Zei­chen zu mir schwei­fen, als woll­te sie et­was fra­gen -- und ent­floh dann plötz­lich.«

»Sie muß schö­ne Au­gen ha­ben.«

»Wie das Meer -- ich ver­senk­te mich in sie wie in ein Meer. Nach we­ni­gen Au­gen­bli­cken kam der klei­ne Plau­ti­us auf mich zu und woll­te et­was fra­gen. Ich aber ver­stand nicht, um was es sich han­del­te.«

»O du Früh­lings­knösp­chen am Bau­me des Le­bens! Du ers­tes, grü­nes Äst­chen an der Wein­ran­ke! Ich soll­te dich ei­gent­lich statt zum Plau­ti­us in das Haus des Ge­lo­ci­us brin­gen las­sen, wo eine Schu­le für le­ben­sun­kun­di­ge Kna­ben ist.«

»Ja, was willst du denn ei­gent­lich?«

»Und was schrieb sie denn in den Sand? War es viel­leicht ein von ei­nem Pfei­le durch­bohr­tes Herz oder ähn­li­ches? Wie konn­test du sol­che Zei­chen un­be­ach­tet las­sen!«

»Län­ger tra­ge ich die Toga, als du glaubst, und ehe noch der klei­ne Plau­ti­us da­zu­kam, hat­te ich die Zei­chen längst ge­prüft. Ich wuß­te auch, daß die grie­chi­schen und rö­mi­schen Jung­frau­en oft ein Ge­ständ­nis in den Sand gra­ben, das sie nicht aus­spre­chen wol­len... Aber er­ra­te, was sie zeich­ne­te!«

»Wenn es et­was an­de­res ist, als ich ver­mu­te, so rate ich nicht.«

»Ei­nen Fisch!«1

»Wie sagst du?«

»Ei­nen Fisch, sag­te ich. Soll­te dies viel­leicht be­deu­ten, daß in ih­ren Adern bis­her noch kal­tes Blut fließt? Ich weiß es nicht. Du aber, der du mich eine Früh­lings­knos­pe am Bau­me des Le­bens nann­test, wirst die­ses Zei­chen ge­wiß bes­ser ver­ste­hen.«

»O Teu­ers­ter! Über sol­che Din­ge fra­ge Pli­ti­us. Er ist Ken­ner von Fi­schen. Wür­de der alte Api­ci­us noch le­ben, der könn­te dir eben­falls noch et­was er­zäh­len. Die­ser hat in sei­nem Le­ben mehr Fi­sche ge­ges­sen, als ih­rer mit ei­nem Male in der Bucht von Nea­pel Platz ha­ben.«

Das wei­te­re Ge­spräch ward un­ter­bro­chen, denn sie ka­men jetzt in be­leb­te Stra­ßen, wo der Men­schen­lärm es über­tönt hät­te. Bei dem Vi­cus Apol­li­nis wen­de­ten sie sich nach dem Boa­ri­um und dann nach dem Forum Ro­ma­num, wo an schö­nen Ta­gen vor Son­nen­un­ter­gang sich eine dich­te Volks­men­ge zu ver­sam­meln pfleg­te. Die Leu­te ström­ten durch die Säu­len­hal­le, um Neu­ig­kei­ten aus­zut­au­schen, sie be­trach­te­ten die Sänf­ten vor­neh­mer Per­sön­lich­kei­ten, die vor­über ge­tra­gen wur­den, oder sie dräng­ten sich vor den Ge­wöl­ben der Händ­ler zu­sam­men. Die eine Hälf­te des Forums, die dicht un­ter den her­vor­sprin­gen­den Fel­sen des Kas­tells lag, war schon in Schat­ten ge­taucht, wäh­rend die Säu­len der hö­her ge­le­ge­nen Tem­pel in gol­de­nem und bläu­li­chem Schim­mer er­glänz­ten. Die tiefer­ste­hen­den war­fen lan­ge Schat­ten auf die Mar­mor­plat­ten. Das Forum war der­art mit Säu­len be­baut, daß das Auge sich dar­in wie in ei­nem Wal­de ver­lor. Häu­ser und Säu­len schie­nen zu­sam­men­ge­häuft, sie türm­ten sich über­ein­an­der; sie streb­ten teils der Höhe zu, teils kleb­ten sie an der Fels­wand des Ka­pi­tols.

Von den brei­ten Stu­fen des »dem höchs­ten Got­te« ge­weih­ten Tem­pels kam ein neu­er Men­schen­strom. Auf den Red­ner­büh­nen lie­ßen sich ver­schie­de­ne Red­ner hö­ren. Hie und da er­tön­ten Rufe der Ver­käu­fer, die Früch­te, Wein oder mit Fei­gen­saft ge­misch­tes Was­ser feil­bo­ten, von Quack­sal­bern, die wun­der­ba­re Heil­mit­tel an­prie­sen, von Wahr­sa­gern, die ver­bor­ge­ne Schät­ze zu ent­de­cken ver­spra­chen, und von Traum­deu­tern. Da und dort hör­te man Töne ei­ner ägyp­ti­schen Sistra, ei­ner Sam­bu­ke oder ei­ner grie­chi­schen Flö­te; durch den oh­ren­be­täu­ben­den Tu­mult sah man Kran­ke, From­me, Be­trüb­te, die Op­fer­ga­ben nach den Tem­peln tru­gen; Tau­ben­schwär­me flo­gen über die Köp­fe der Men­ge und lie­ßen sich auf ei­nem frei­en Plätz­chen des Mark­tes nie­der, gie­rig die Kör­ner auf­pi­ckend, die man ih­nen hin­warf, um gleich wie­der auf­zu­flie­gen, wenn je­mand kam. Zwi­schen den zahl­rei­chen Grup­pen dräng­ten sich zeit­wei­se Ab­tei­lun­gen von Sol­da­ten und Wa­chen durch, wel­che für Stra­ßen­ord­nung zu sor­gen hat­ten. Die grie­chi­sche Spra­che hör­te man über­all eben­so oft wie die la­tei­ni­sche, und jede an­de­re Spra­che wur­de ge­dul­det.

Vi­ni­ci­us, der lan­ge nicht in der Stadt ge­we­sen war, be­trach­te­te mit ei­ner ge­wis­sen Neu­gier­de den Men­schen­schwarm und das Forum Ro­ma­num, das die Welt be­herrsch­te, aber zu­gleich ganz über­flu­tet schi­en von Men­schen frem­der Ab­stam­mung und Spra­che. In der Tat ver­schwand das hei­mi­sche Ele­ment fast in die­ser Mas­se, die aus den ver­schie­den­ar­tigs­ten Ras­sen und Na­tio­nen zu­sam­men­ge­setzt war. Man sah hier Äthio­pier und blon­de Rie­sen aus dem fer­nen Nor­den, Bri­tan­nier, Gal­lier und Ger­ma­nen; man sah Mon­go­len mit ih­ren ge­schlitz­ten, schief­ste­hen­den Au­gen, Leu­te vom Eu­phrat, Män­ner vom In­dus mit zie­gel­rot ge­färb­ten Bär­ten, Sy­rer von den Ufern des Oron­tes mit schwar­zen, sanft­bli­cken­den Au­gen; kno­chen­dür­re Wüs­ten­be­woh­ner Ara­biens, Ju­den mit ein­ge­fal­le­nem Brust­korb, Ägyp­ter mit dem ewig gleich­gül­ti­gen Lä­cheln auf den Ge­sich­tern, Nu­mi­dier und Afri­ka­ner; Grie­chen aus Hel­las, wel­che gleich den Rö­mern über die Stadt herrsch­ten, die aber we­gen ih­res Wis­sens, ih­rer Kunst, ih­res Ver­stan­des und ih­rer Ver­schla­gen­heit zu sol­cher Macht ge­kom­men wa­ren, Grie­chen von den klein­asia­ti­schen In­seln, aus Ägyp­ten, aus Ita­li­en und dem nar­bonnen­si­schen Gal­li­en. Bei der großen Schar von Skla­ven mit durch­lö­cher­ten Ohren man­gel­te es auch nicht an frei­ge­las­se­nen, mü­ßi­gen Leu­ten, wel­che der Kai­ser un­ter­hielt, nähr­te, so­gar klei­de­te. Es fehl­te auch nicht an Scha­che­rern und Pries­tern der Isis, auf de­ren Al­tar mehr Op­fer dar­ge­bracht wur­den als in dem Hei­lig­tum des Zeus auf dem Ka­pi­tol -- es man­gel­te nicht an Pries­tern der Ky­bel, die gol­de­ne Mai­säh­ren in der Hand tru­gen, an Pries­tern der Wan­der­göt­ter, an mor­gen­län­di­schen Tän­ze­rin­nen, die grell­far­bi­ge Mitra auf dem Haupt, an Amu­let­ten­händ­lern, an Schlan­gen­bän­di­gern und chal­däi­schen Ma­gi­ern, end­lich an Leu­ten ohne ir­gend­wel­che Be­schäf­ti­gung, die sich jede Wo­che in den dies­seits des Ti­ber ge­le­ge­nen Ge­trei­de­spei­chern mel­de­ten, sich um Lot­te­rie­lo­se in den Zir­kus­sen schlu­gen, die Näch­te in den je­den Au­gen­blick mit Ein­sturz dro­hen­den Häu­sern des jen­seits des Ti­ber ge­le­ge­nen Stadt­teils ver­brach­ten, die son­ni­gen und wär­me­ren Tage aber in den Kryp­to­por­ti­ken, in den schmut­zi­gen Gar­kü­chen der Vor­städ­te oder vor den Häu­sern der Rei­chen, von wo ih­nen zu­wei­len die Res­te vom Ti­sche der Skla­ven zu­ge­wor­fen wur­den.

Pe­tro­ni­us war bei der Men­ge wohl­be­kannt. An Vi­ni­ci­us’ Ohr drang fort­wäh­rend der Ruf: Das ist er! Das ist er! Man lieb­te ihn we­gen sei­ner Frei­ge­big­keit, und sei­ne Po­pu­la­ri­tät hat­te sich noch ge­stei­gert, als man er­fuhr, daß er sich vor dem Kai­ser ge­gen das To­des­ur­teil aus­ge­spro­chen hat­te, wel­ches über die gan­ze Fa­mi­lia2 des Prä­fek­ten Pe­da­ni­us Se­cun­dus, ohne Un­ter­schied des Al­ters und Ge­schlechts, ver­hängt wor­den war, weil ei­ner von ih­nen in ei­nem An­fall von Verzweif­lung den Ty­ran­nen ge­tö­tet hat­te. Pe­tro­ni­us er­klär­te zwar öf­fent­lich, daß ihm die Sa­che höchst gleich­gül­tig sei und er sich nur in sei­ner Ei­gen­schaft als Ar­bi­ter ele­gan­tia­rum da­ge­gen aus­ge­spro­chen habe, weil sich sein äs­the­ti­sches Ge­fühl durch das bar­ba­ri­sche Ur­teil be­lei­digt füh­le, das viel­leicht ro­her Sky­then, nie­mals aber rö­mi­scher Män­ner wür­dig sei. Das über die­ses Blut­bad auf­ge­reg­te Volk lieb­te Pe­tro­ni­us seit die­ser Zeit trotz­dem.

Aber er ach­te­te nicht dar­auf, denn er er­in­ner­te sich, daß die­ses Volk auch den Bri­tan­ni­cus ge­liebt, wel­chen Nero ver­gif­ten, und Agrip­pi­na, wel­che er er­mor­den ließ, und Oc­ta­via, die man er­würg­te, nach­dem man ihr vor­her im hei­ßen Dampf­ba­de die Adern ge­öff­net, Ru­be­li­us Plau­ti­us, der aus­ge­wie­sen wur­de, und Tra­seas, dem schon der mor­gi­ge Tag das To­des­ur­teil brin­gen konn­te. Die Lie­be des Vol­kes konn­te ei­gent­lich als schlech­te Vor­be­deu­tung gel­ten, und der skep­ti­sche Pe­tro­ni­us war aber­gläu­bisch. Zu­dem ver­ach­te­te er die Men­ge als Ari­sto­krat und als Äs­the­ti­ker. Die­se Leu­te, die in dem bau­schi­gen Teil ih­res Ge­wands ge­rös­te­te Boh­nen bei sich tru­gen, nach de­nen sie ro­chen, die­se Leu­te, die fort­wäh­rend hei­ser und schweiß­trie­fend wa­ren durch das Mo­ra­spiel3 an den Stra­ßen­e­cken und in den Säu­len­gän­gen, ver­dien­ten in sei­nen Au­gen nicht Men­schen ge­nannt zu wer­den.

Ohne da­her die Bei­falls­ru­fe und Kuß­hän­de, die ihm da und dort zu­ge­wor­fen wur­den, zu be­ach­ten, er­zähl­te er dem Mar­cus die Ge­schich­te des Pe­ta­ni­us und spot­te­te über die Wan­del­bar­keit des Stra­ßen­pö­bels, der am Tage nach ei­nem dro­hen­den Aufruhr dem Nero auf sei­ner Fahrt zum Tem­pel des Ju­pi­ter Sta­tor zu­ge­ju­belt hat­te.

Vor dem Buch­la­den des Ar­vi­nus ließ Pe­tro­ni­us hal­ten und kauf­te ein zier­li­ches Ma­nu­skript, wel­ches er Vi­ni­ci­us über­reich­te. »Ein Ge­schenk für dich«, er­klär­te er.

»Dan­ke dir!« ver­setz­te Vi­ni­ci­us, und mit ei­nem Blick auf den Ti­tel be­merk­te er fra­gend:

»Sa­ti­ri­kon? Das ist et­was Neu­es. Von wem denn?«

»Von mir, doch will ich nicht in die Fuß­stap­fen des Ru­fi­nus tre­ten, des­sen Ge­schich­te ich dir er­zäh­len woll­te, noch in die des Fa­bri­ci­us Vei­en­to, ich bit­te dich also, mich nicht zu ver­ra­ten, denn kein Mensch weiß da­von.«

»Aber du sag­test doch, du schrie­best kei­ne Ver­se?« frag­te Vi­ni­ci­us, einen Blick in das Ma­nu­skript wer­fend. »Hier aber fin­de ich die Pro­sa stark mit Ver­sen durch­floch­ten.«

»Wenn du es le­sen wirst, rich­te dei­ne Auf­merk­sam­keit vor al­lem auf das Gast­mahl des Tri­mal­chi­on. Was die Ver­se an­langt, so sind sie mir von dem Au­gen­blick an ver­lei­det, seit Nero ein Epos schrieb. Aber ich woll­te dir ja die Ge­schich­te des Ru­fi­nus er­zäh­len, um dir zu zei­gen, was Au­to­re­nei­tel­keit ist.«

Doch ehe er noch be­gon­nen hat­te, bo­gen sie in den Vi­cus Pa­tri­ci­us ein und be­fan­den sich gleich dar­auf vor der Be­hau­sung des Au­lus. Ein jun­ger, kräf­ti­ger Tür­hü­ter öff­ne­te ih­nen die Tür, über der eine in ei­nem Kä­fig ein­ge­schlos­se­ne Els­ter in ei­nem Bau­er hing, die die An­ge­kom­me­nen mit ei­nem lau­ten »Sal­ve!« be­grüß­te.

Auf dem Wege aus der zwei­ten Vor­hal­le in das Atri­um sag­te Vi­ni­ci­us: »Hast du be­merkt, daß der Tür­hü­ter hier kei­ne Ket­ten trägt?«

»Ein merk­wür­di­ges Haus«, ver­setz­te halb­laut Pe­tro­ni­us. »Es ist dir ge­wiß be­kannt, daß Pom­po­nia Grae­ci­na im Ver­dach­te steht, Be­ken­ne­rin ei­nes Aber­glau­bens zu sein, der aus dem Os­ten kommt und auf der Ver­eh­rung ei­nes ge­wis­sen ›Chri­sto­s‹ be­ruht. Cri­spi­nil­la ist die Ur­he­be­rin die­ses Ver­dachts ge­gen Pom­po­nia. Jene kann es ihr nicht ver­zei­hen, daß sie sich mit ei­nem Man­ne für ihr gan­zes Le­ben be­gnüg­te. Eine Schüs­sel eß­ba­rer Pil­ze aus No­ri­cum dürf­te heut­zu­ta­ge leich­ter zu ha­ben sein, als eine zwei­te der­ar­ti­ge Frau zu fin­den. Man hat so­gar Haus­ge­richt über sie ab­ge­hal­ten...«

»Du hast recht, es ist ein merk­wür­di­ges Haus. Spä­ter er­zäh­le ich dir noch, was ich ge­se­hen und ge­hört habe.«

So spre­chend wa­ren sie im Atri­um an­ge­langt. Der die Auf­sicht dar­über füh­ren­de Skla­ve, der Atri­en­sis, sand­te den No­men­kla­tor weg, um die Gäs­te an­zu­mel­den, wäh­rend die an­dern Die­ner Ses­sel und Fuß­sche­mel für sie zu­recht­stell­ten. Pe­tro­ni­us, der sich vor­stell­te, in die­sem Hau­se herr­sche ewig Trüb­sinn -- da er nie in die­sem Hau­se ver­kehr­te --, blick­te mit ei­nem ge­wis­sen Stau­nen, ja, mit ei­nem Ge­fühl der Ent­täu­schung um­her, denn das Atri­um mach­te einen durch­aus hei­te­ren Ein­druck.

Aus der Höhe drang durch die zwei­te Öff­nung eine hel­le Lichtgar­be, die an dem Spring­brun­nen in tau­send Fun­ken zer­stäub­te. Der vier­e­cki­ge Teich, in des­sen Mit­te der Spring­quell em­por­spru­del­te, war von Ane­mo­nen und Li­li­en um­ge­ben. Be­son­ders für Li­li­en schi­en eine Vor­lie­be im Hau­se zu herr­schen; es gab de­ren gan­ze Bü­sche; wei­ße und feu­er­far­bi­ge Li­li­en und vio­let­te Iris­blu­men, de­ren zar­te Blü­ten­blät­ter un­ter dem zer­stäu­ben­den Was­ser wie ver­sil­bert er­schie­nen. Durch das feuch­te Moos, mit wel­chem die Li­li­en­blät­ter be­deckt wa­ren, und durch die Blät­ter­bü­schel sah man Bron­ze­sta­tu­et­ten her­vor­schim­mern, wel­che Kin­der und Was­ser­vö­gel dar­stell­ten. An ei­ner Ecke stand, gleich­falls aus Bron­ze, eine Hirsch­kuh, die ih­ren durch die Feuch­tig­keit von Rost grün­lich ge­wor­de­nen Kopf ge­gen das Was­ser neig­te, als ob sie trin­ken woll­te. Der Fuß­bo­den des Atri­ums war aus Mo­sa­ik, die Wän­de, teils mit ro­tem Mar­mor aus­ge­legt, teils mit Bäu­men, Fi­schen, Vö­geln und Grei­fen be­malt, er­freu­ten das Auge durch ihre Far­ben­pracht. Die Fül­lun­gen an den zu den an­sto­ßen­den Räu­men füh­ren­den Tü­ren wa­ren teils mit Schild­krot, teils mit El­fen­bein ver­ziert; an den Wän­den, zwi­schen den Tü­ren, stan­den die Sta­tu­en der Vor­fah­ren des Au­lus. In al­lem ver­riet sich eine ge­wis­se ge­die­ge­ne Wohl­ha­ben­heit, frei von je­dem Lu­xus, aber über­all ein vor­neh­mes Selbst­be­wußt­sein.

Pe­tro­ni­us, der zwar viel präch­ti­ger ein­ge­rich­tet war, fand hier doch nichts, was sei­nen Ge­schmack be­lei­digt hät­te, und er woll­te sich ge­ra­de mit ei­ner Be­mer­kung dar­über an Vi­ni­ci­us wen­den, als der Tür­ste­her den Vor­hang zur Sei­te schob, wel­cher das Atri­um von dem Ta­b­li­num4 trenn­te, und aus der Tie­fe des Hau­ses sich Au­lus Plau­ti­us ei­li­gen Schritts nä­her­te.

Au­lus war ein in vor­ge­rück­ten Jah­ren ste­hen­der Mann mit schon er­grau­ten Haa­ren; aber er war noch sehr rüs­tig und frisch, und sein et­was zu kur­z­es Ge­sicht mit dem an einen Ad­ler er­in­nern­den Pro­fil deu­te­te auf einen ener­gi­schen Cha­rak­ter. Jetzt aber mal­te sich et­was wie Er­stau­nen, ja wie Un­ru­he auf sei­nen Zü­gen über den un­er­war­te­ten Be­such des Freun­des, Ge­fähr­ten und Ver­trau­ten Ne­ros.

Pe­tro­ni­us war zu sehr Welt­mann und zu scharf­sin­nig, als daß er dies nicht be­merkt hät­te. Nach den ers­ten Be­grü­ßun­gen ver­si­cher­te er da­her auch mit al­ler Un­be­fan­gen­heit und Lie­bens­wür­dig­keit, die ihm zu Ge­bo­te stand, daß er ge­kom­men sei, für die freund­li­che Pfle­ge, die sei­nem Schwes­ter­sohn in die­sem Hau­se zu­teil ge­wor­den, zu dan­ken. Sein Be­such, zu dem er sich üb­ri­gens durch sei­ne lan­ge Be­kannt­schaft mit Au­lus be­rech­tigt ge­fühlt habe, sei ein­zig und al­lein auf die­sen Grund zu­rück­zu­füh­ren.

Au­lus ver­si­cher­te sei­ner­seits, daß er ihm ein lie­ber Gast sei, und was die Dank­bar­keit be­trä­fe, so hege er selbst et­was der­glei­chen für Pe­tro­ni­us, wenn auch die­ser viel­leicht den Grund nicht er­ra­ten wür­de.

»Du hast näm­lich dem Ve­spa­si­an, den ich schät­ze und lie­be, das Le­ben ge­ret­tet, als er das Un­glück hat­te, bei ei­ner Vor­le­sung der Ge­dich­te des Kai­sers ein­zu­schla­fen.«

»Ein Glück für ihn«, ver­setz­te Pe­tro­ni­us, »denn auf die Art hat er sie we­nigs­tens nicht ge­hört. Ich will auch zu­ge­ben, daß die Sa­che für ihn hät­te un­glück­lich aus­fal­len kön­nen. Der Feu­er­bart woll­te durch­aus einen Cen­tu­rio zu ihm schi­cken, mit dem freund­schaft­li­chen Auf­trag, er möch­te sich die Adern öff­nen.«

»Du aber, Pe­tro­ni­us, lach­test ihn aus.«

»So ist es, oder viel­mehr ich sag­te ihm, wenn Or­pheus durch sei­nen Ge­sang die wil­den Tie­re ein­ge­schlä­fert habe, sei sein Tri­umph kein ge­rin­ge­rer, wenn es ihm ge­lang, Ve­spa­si­an ein­zu­schlä­fern. Man darf ja den Feu­er­bart ta­deln, vor­aus­ge­setzt, daß der Ta­del sich auch als Schmei­che­lei auf­fas­sen läßt. Uns­re huld­rei­che Au­gus­ta Poppäa ver­steht dies aus­ge­zeich­net.«

»Ja, lei­der, das sind jetzt schlim­me Zei­ten«, er­wi­der­te Au­lus. »Mir feh­len zwei Vor­der­zäh­ne, die mir ein von Bri­tan­nen­hand ge­schleu­der­ter Stein ein­schlug, und seit­her zi­sche ich; aber die glück­lichs­te Zeit mei­nes Le­bens habe ich doch in Bri­tan­ni­en zu­ge­bracht.«

»Weil es eine sieg­rei­che Zeit war«, warf Vi­ni­ci­us ein.

Pe­tro­ni­us be­fürch­te­te, der alte Feld­herr möch­te von sei­nen Schlach­ten be­rich­ten, und än­der­te schnell den Ge­sprächs­ge­gen­stand. Er er­zähl­te, daß Land­leu­te bei Prä­nes­te einen to­ten jun­gen Wolf mit zwei Köp­fen ge­fun­den hät­ten, daß der Blitz einen Eck­pfei­ler des Lu­na­tem­pels be­schä­digt habe, und daß ei­ni­ge Pries­ter das für ein bö­ses Zei­chen hiel­ten und den Un­ter­gang Roms pro­phe­zei­ten.

Au­lus hör­te auf­merk­sam zu und sag­te, daß man sol­che Zei­chen nicht so leicht auf­neh­men dür­fe. Die Göt­ter kön­nen über die Greu­el­ta­ten er­zürnt sein, dies wäre auch nicht zu ver­wun­dern -- und in so ei­nem Fal­le wä­ren die Op­fer an­ge­bracht.

Pe­tro­ni­us be­gann nun­mehr die Be­sit­zung des Plau­ti­us so­wie auch den gu­ten Ge­schmack, der sich in der gan­zen Aus­stat­tung ver­riet, zu lo­ben.

»Ein al­ter Fa­mi­li­en­sitz ist das«, ver­setz­te Plau­ti­us, »in wel­chem ich seit mei­ner In­be­sitz­nah­me nichts ge­än­dert habe.«

Der Vor­hang zwi­schen dem Atri­um und dem Ta­b­li­num wur­de nun­mehr zu­rück­ge­scho­ben, und man konn­te durch meh­re­re Räu­me hin­durch in den Gar­ten bli­cken, der in der Fer­ne wie ein hel­les Bild in dunklem Rah­men aus­sah. Fröh­li­ches Kin­der­la­chen drang von dort bis ins Atri­um.

»O Feld­herr«, rief Pe­tro­ni­us, »ge­stat­te uns, die­ses fröh­li­che La­chen in der Nähe an­zu­hö­ren, es ist eine Sel­ten­heit heut­zu­ta­ge.«

»Recht gern«, sag­te Plau­ti­us, sich er­he­bend. »Mein klei­ner Au­lus und Ly­gia er­göt­zen sich beim Ball­spiel. Was aber das La­chen an­be­langt, Pe­tro­ni­us, so glaub­te ich, dein gan­zes Le­ben gin­ge un­ter La­chen da­hin.«

»Das Le­ben ist des La­chens wert, des­halb la­che ich«, ent­geg­ne­te Pe­tro­ni­us, »je­doch klingt dies La­chen an­ders.«

»Pe­tro­ni­us«, füg­te Vi­ni­ci­us hin­zu, »lacht we­ni­ger bei Tage, aber um so mehr bei der Nacht.«

So plau­dernd durch­schrit­ten sie das Haus und ge­lang­ten in den Gar­ten, wo Ly­gia und der klei­ne Au­lus mit Bäl­len spiel­ten, wel­che von aus­schließ­lich zu die­ser Un­ter­hal­tung be­stimm­ten Skla­ven, Sphe­ri­stae ge­nannt, vom Bo­den auf­ge­le­sen und im­mer wie­der den Spie­len­den über­reicht wur­den. Pe­tro­ni­us warf einen ra­schen Blick auf Ly­gia, wäh­rend der klei­ne Au­lus, als er Vi­ni­ci­us er­blick­te, auf die­sen zu­lief. Der jun­ge Mann aber neig­te im Vor­über­schrei­ten das Haupt vor dem lieb­li­chen Mäd­chen, das, den Ball in der Hand, mit et­was ge­lös­ten Haa­ren noch ganz atem­los und er­rö­tend da­stand.

In der von Efeu, wil­dem Wein und Geiß­blatt über­schat­te­ten Gar­ten­hal­le saß Pom­po­nia Grae­ci­na, und die Män­ner gin­gen, sie zu be­grü­ßen. Ob­wohl Pe­tro­ni­us nie das Haus des Plau­ti­us be­such­te, war sie ihm be­kannt, denn er war schon häu­fig bei An­ty­s­tia, der Toch­ter des Ru­be­li­us Plau­ti­us, und im Hau­se des Se­ne­ka und bei Pol­lio­na mit ihr zu­sam­men­ge­trof­fen. Er konn­te nun ih­rem erns­ten und trotz­dem schö­nen Ge­sicht, der Vor­nehm­heit ih­rer Ge­stalt, ih­ren Be­we­gun­gen und ih­rer Re­de­wei­se sei­ne Be­wun­de­rung nicht ver­sa­gen. Pom­po­nia ver­wirr­te sei­ne An­schau­ung vom Wei­be der­art, daß der in Grund und Bo­den ver­derb­te und wie kein zwei­ter in Rom selbst­be­wuß­te Mann ihr ge­gen­über nicht nur eine ge­wis­se Ach­tung emp­fand, son­dern auch ein we­nig sei­ne ge­wohn­te Si­cher­heit ver­lor. Wäh­rend er ihr jetzt für die dem Vi­ni­ci­us ge­wid­me­te Für­sor­ge dank­te, be­gann er so­gleich sein Be­dau­ern dar­über aus­zu­spre­chen, daß sie sich nir­gends bli­cken las­se, daß man sie we­der im Zir­kus noch im Am­phi­thea­ter sehe, wor­auf sie, ihre Hand in die ih­res Gat­ten le­gend, ru­hig er­wi­der­te: »Wir bei­de wer­den alt und lie­ben im­mer mehr die häus­li­che Ein­sam­keit.«

Pe­tro­ni­us woll­te einen Ein­wand ma­chen, al­lein Au­lus Plau­ti­us füg­te in dem ihm ei­gen­tüm­li­chen zi­schen­den Tone hin­zu: »Wir füh­len uns im­mer fremd un­ter den Men­schen, wel­che so­gar un­sern rö­mi­schen Göt­tern grie­chi­sche Na­men bei­le­gen.«

»Seit ei­ner ge­wis­sen Zeit wer­den ja die Na­men der Göt­ter nur als Re­de­fi­gu­ren ge­braucht«, ent­geg­ne­te Pe­tro­ni­us gleich­gül­tig, »und da die Grie­chen uns in der Re­de­kunst un­ter­wie­sen ha­ben, wird es mir zum Bei­spiel auch leich­ter, Hera statt Juno zu sa­gen.« Da­rauf blick­te er auf Pom­po­nia, als woll­te er sa­gen, daß er in ih­rer Ge­gen­wart an kei­ne and­re Gott­heit den­ken kön­ne, und ver­such­te jetzt zu wi­der­le­gen, was sie über ihr Al­ter ge­sagt hat­te: »Die Men­schen al­tern schnell, und be­son­ders die­je­ni­gen, wel­che ein ganz an­de­res Le­ben füh­ren, und zu­dem gibt es Ge­sich­ter, die Sa­turn zu ver­ges­sen scheint.«

Pe­tro­ni­us sag­te dies mit ei­ner ge­wis­sen Auf­rich­tig­keit, denn ob­wohl Pom­po­nia Grae­ci­na den Mit­tag ih­res Le­bens über­schrit­ten hat­te, war ihre Ge­sichts­far­be un­ge­wöhn­lich frisch ge­blie­ben, und da ihr Kopf klein und die Züge zart wa­ren, mach­te sie zu­wei­len trotz der schwar­zen Ge­wän­der und des tie­fen Erns­tes ih­rer Züge den Ein­druck ei­ner noch jun­gen Frau.

In­zwi­schen nä­her­te sich der klei­ne Au­lus dem Vi­ni­ci­us, mit wel­chem er schon auf dem Land­sit­ze Freund­schaft ge­schlos­sen hat­te, und for­der­te ihn zum Ball­spiel auf. Nach dem Kna­ben be­trat auch Ly­gia das Tri­kli­ni­um. Un­ter den Efeu­ge­hän­gen und den über ihr Ge­sicht glei­ten­den Licht­strah­len er­schi­en sie jetzt Pe­tro­ni­us noch schö­ner als beim ers­ten Blick. Da er sie bis­her noch nicht ge­spro­chen hat­te, er­hob er sich von sei­nem Sit­ze, neig­te das Haupt vor ihr und sag­te statt der üb­li­chen Be­grü­ßung die Wor­te, mit de­nen Odys­seus die Kö­nigs­toch­ter Nau­si­kaa be­grüß­te:

»Dich grüß’ ich, Hohe der Göt­tin­nen oder der Jung­frau­en! Bist du der Sterb­li­chen eine, die rings um­woh­nen das Erd­reich? Drei­mal se­lig dein Va­ter und dei­ne treff­li­che Mut­ter, Drei­mal se­lig die Brü­der zu­gleich...«

Selbst Pom­po­nia fand Ge­fal­len an der Ge­wandt­heit des Welt­manns. Was Ly­gia be­trifft, so lausch­te sie ver­wirrt, er­rö­tend und wag­te nicht die Au­gen auf­zu­schla­gen. All­mäh­lich aber zuck­te es um ihre Mund­win­kel, ein mut­wil­li­ges Lä­cheln zeig­te sich auf ih­ren Lip­pen, und in ih­rem Ge­sicht kämpf­te mäd­chen­haf­te Scheu sicht­lich mit dem Wun­sche, eine Ant­wort zu ge­ben. Of­fen­bar trug die­ser Wunsch den Sieg da­von, denn sie er­hob plötz­lich den Blick zu Pe­tro­ni­us und ant­wor­te­te mit den Wor­ten Nau­si­kaas fast in ei­nem Atem­zug und als sage sie eine ein­ge­lern­te Lek­ti­on her:

»Kei­nem ge­rin­ge­ren Man­ne, noch tö­rich­ten gleichst du, o Fremd­ling!«

Dann wand­te sie sich um und ent­floh, ei­nem ver­scheuch­ten Vö­gel­chen gleich. Nun war die Rei­he an Pe­tro­ni­us, sich zu wun­dern, hat­te er doch nicht er­war­tet, Ho­me­ri­sche Ver­se aus dem Mun­de ei­nes Mäd­chens zu hö­ren, von des­sen nor­di­scher Ab­stam­mung er durch Vi­ni­ci­us un­ter­rich­tet wor­den war.

Er blick­te fra­gend zu Pom­po­nia hin­über, doch konn­te ihm die­se kei­ne Aus­kunft ge­ben, weil sie sich eben lä­chelnd an dem Stol­ze wei­de­te, der das Ant­litz des al­ten Au­lus ver­klär­te.

Er aber ver­stand es nicht, die­sen Stolz zu ver­ber­gen. Er lieb­te Ly­gia wie sein ei­ge­nes Kind, und dann fühl­te er sich in sei­nen alt­rö­mi­schen Vor­ur­tei­len zwar oft ver­an­laßt, ge­gen die grie­chi­schen Sit­ten und de­ren Ver­brei­tung zu don­nern, trotz­dem hielt er sie aber für den Gip­fel­punkt al­ler fei­nen Bil­dung. Er selbst hat­te sich eine sol­che Bil­dung nie­mals an­eig­nen kön­nen, was ihn ins­ge­heim schmerz­te. Da­her freu­te er sich, daß der ge­wand­te Welt­mann und Dich­ter, der si­cher­lich nur all­zu ge­neigt war, sein Haus für ein bar­ba­ri­sches an­zu­se­hen, eine Ant­wort in der poe­ti­schen Spra­che Ho­mers er­hal­ten hat­te.

»Wir ha­ben in un­serm Hau­se einen Grie­chen«, sag­te Au­lus zu Pe­tro­ni­us ge­wen­det, »der un­sern Kna­ben un­ter­rich­tet, und das Mäd­chen wohnt den Lehr­stun­den bei. Sie ist noch eine rech­te Bach­stel­ze, eine lie­be Bach­stel­ze, an die wir uns bei­de recht ge­wöhnt ha­ben.«

Pe­tro­ni­us warf jetzt durch die Efeu- und Geiß­blatt­ge­win­de einen Blick in den Gar­ten und be­ob­ach­te­te die Spie­len­den. Vi­ni­ci­us hat­te die Toga ab­ge­wor­fen, und nur mit der Tu­ni­ka an­ge­tan, warf er den Ball der ihm ge­gen­über­ste­hen­den Ly­gia zu, die ihn mit hoch­er­ho­be­nen Ar­men auf­zu­fan­gen such­te. An­fangs hat­te das Mäd­chen kei­nen großen Ein­druck auf Pe­tro­ni­us ge­macht. Es schi­en ihm gar zu schmäch­tig. Doch schon in dem Au­gen­blick, da er sie im Tri­kli­ni­um ge­nau­er an­sah, ver­glich er sie im Geis­te mit der Mor­gen­rö­te, und als Ken­ner be­merk­te er dann sehr wohl, daß in ih­rem gan­zen We­sen et­was Un­ge­wöhn­li­ches lie­ge. Jede Ein­zel­heit wur­de von ihm wahr­ge­nom­men und ge­hö­rig ge­wür­digt; das zar­te, ro­si­ge Ge­sicht, die fri­schen Lip­pen, die himm­li­schen, wie das Meer blau­en Au­gen, die ala­bas­ter­wei­ße Stirn, die Fül­le des dunklen Haa­res, das in den Win­dun­gen wie Bern­stein oder ko­rin­thi­sches Erz schim­mer­te, der schlan­ke Hals, die herr­lich her­ab­fal­len­den Schul­tern und die gan­ze ge­schmei­di­ge, zar­te, mai­en­jun­ge und frisch er­blüh­te Ge­stalt.

Pe­tro­ni­us wand­te sich an Pom­po­nia Grae­ci­na, und nach dem Gar­ten zei­gend, sag­te er: »Jetzt be­grei­fe ich, Do­mi­na, daß ihr mit die­sen bei­den euer Haus dem Zir­kus und den Ge­la­gen auf dem Pala­ti­nus vor­zie­het.«

»So ist es«, ant­wor­te­te Pom­po­nia, ih­ren Blick auf den klei­nen Au­lus und Ly­gia rich­tend.

Die jun­gen Leu­te hat­ten nun­mehr ihr Spiel be­en­det und wan­del­ten auf den mit Sand be­streu­ten We­gen des Gar­tens, wo­bei sie sich wie wei­ße Bild­säu­len von dem dunklen Hin­ter­grun­de der Myr­ten und Zy­pres­sen ab­ho­ben. Ly­gia hielt den klei­nen Au­lus bei der Hand. Als sie sich eine Wei­le er­gan­gen hat­ten, lie­ßen sie sich auf ei­ner Bank in der Nähe des Fischwei­hers, die die Mit­te des Gar­tens ein­nahm, nie­der. Den klei­nen Au­lus litt es aber da nicht lan­ge; er mach­te sich auf, um die Fi­sche auf­zu­scheu­chen, die in dem kris­tall­hel­len Was­ser des Tei­ches um­her­schwam­men, und Vi­ni­ci­us fuhr in der Rede fort, wel­che er schon wäh­rend des Spa­zier­gangs be­gon­nen hat­te.

»Ja«, sag­te er mit tiefer, et­was be­ben­der Stim­me, »kaum hat­te ich die Kna­ben­to­ga ab­ge­wor­fen, als ich bei der asia­ti­schen Le­gi­on ein­ge­reiht wur­de. Ich kann­te we­der die Stadt und de­ren Freu­den, noch das Le­ben, noch die Lie­be. Von Ana­kre­on und Horaz kann ich wohl ei­ni­ge Ge­dich­te aus­wen­dig, aber nie­mals ver­möch­te ich es, Ver­se zu spre­chen, wenn der Geist vor Be­wun­de­rung sprach­los wird und kei­ne ei­ge­nen Wor­te fin­det. Als ich noch ein Kna­be war, be­such­te ich die Schu­le des Mu­so­ni­us, der uns lehr­te, daß un­ser Glück stets dar­auf be­ru­he, zu wol­len, was die Göt­ter wol­len, und daß es da­her nur an uns selbst lie­ge, glück­lich zu sein. Ich glau­be aber, daß es noch ein an­de­res großes und un­end­li­ches Glück gibt, das nicht von un­serm Wil­len ab­hängt, weil nur die Lie­be es uns ge­wäh­ren kann. Selbst die Göt­ter füh­len die­ses Glück, und auch ich, o Ly­gia, der ich die Lie­be erst jetzt ken­nen­ge­lernt habe, seh­ne mich nach dem Glück, das sie al­lein zu ge­ben ver­mag...«

Er schwieg und eine Zeit­lang ver­nahm man nur das lei­se Gur­geln des Was­sers, wel­ches der klei­ne Au­lus mit Stei­nen be­warf, um die Fi­sche auf­zu­scheu­chen.

Nach ei­ner Wei­le be­gann Vi­ni­ci­us von neu­em mit noch wei­che­rer, lei­se­rer Stim­me: »Du kennst doch Ti­tus, den Sohn des Ve­spa­si­an? Von dem sagt man, er habe sich, kaum dem Kna­ben­al­ter ent­wach­sen, so lei­den­schaft­lich in Be­re­ni­ce ver­liebt, daß die Sehn­sucht ihn fast ver­zehr­te... Ly­gia! Auch ich wäre ei­ner sol­chen Lie­be fä­hig. Reich­tum, Ruhm, Macht -- sie sind ein lee­rer Rauch! Ein Nichts! Der Rei­che trifft im­mer wie­der einen Rei­che­ren, der Ruhm­rei­che­re wird durch den grö­ße­ren Ruhm ei­nes Frem­den in Schat­ten ge­stellt, der Mäch­ti­ge durch den Mäch­ti­ge­ren be­zwun­gen... Aber kann selbst der Cäsar, kann so­gar ir­gend­ein Gott eine grö­ße­re Won­ne emp­fin­den oder glück­li­cher sein als ein ge­wöhn­li­cher Sterb­li­cher, wenn die Heiß­er­sehn­te an sei­ner Brust ruht? Die Lie­be macht uns den Göt­tern gleich, o Ly­gia!«

Das jun­ge Mäd­chen lausch­te mit ei­ner ge­wis­sen Un­ru­he und Ver­wun­de­rung, etwa so, wie sie dem Klan­ge ei­ner grie­chi­schen Flö­te oder ei­ner Zither ge­lauscht hät­te. Ihr war, als sin­ge Vi­ni­ci­us eine selt­sa­me Wei­se, die ih­rem Ohr schmei­chel­te, die ihr Herz mit ohn­mäch­ti­ger Furcht und zu­gleich mit un­be­greif­li­cher Freu­de er­füll­te. Ihr war auch, als ob er et­was aus­sprä­che, was sie schon zu­vor emp­fun­den, wo­von sie sich aber kei­ne Re­chen­schaft hat­te ge­ben kön­nen. Sie fühl­te, daß er et­was in ihr er­weck­te, was bis­her ge­schlum­mert hat­te und nun wie ein un­kla­res Traum­ge­bil­de eine im­mer deut­li­che­re und an­zie­hen­de­re Form an­nahm.

Die Son­ne hat­te sich in­zwi­schen längst über die Ti­ber ge­wälzt und stand nied­rig über dem Ja­ni­cu­lus­hü­gel. Auf die re­gungs­lo­sen Zy­pres­sen fiel ein röt­li­cher Licht­schein, die gan­ze Luft war da­von durch­tränkt. Ly­gia hob die blau­en, wie eben aus dem Schlum­mer er­wa­chen­den Au­gen zu Vi­ni­ci­us em­por, und jetzt da er sich mit ei­ner zit­tern­den Bit­te im Blick über sie neig­te, er­schi­en er ihr schö­ner als alle Men­schen, ja selbst schö­ner als die grie­chi­schen und rö­mi­schen Göt­ter vor den Tem­peln. Er aber um­fing leicht ihr Hand­ge­lenk und frag­te: »Er­rätst du nicht, Ly­gia, wes­halb ich dir dies sage?« »Nein!« flüs­ter­te sie so lei­se, daß er es kaum ver­stand.

Doch er glaub­te ihr nicht, und ihre Hand im­mer fes­ter um­schlie­ßend, hät­te er viel­leicht, von sei­ner Lei­den­schaft über­mannt, das lieb­li­che Mäd­chen an sein klop­fen­des Herz ge­zo­gen und noch feu­ri­ge­re Wor­te an sie ge­rich­tet, wenn nicht auf dem von Myr­ten um­säum­ten Fuß­pfa­de der alte Au­lus er­schie­nen wäre. In­dem er nä­her­trat, rief er ih­nen zu: »Die Son­ne geht un­ter, hü­tet euch vor der ge­fähr­li­chen Abend­küh­le. Wir sind hier nicht in Si­zi­li­en, wo man sich des Abends im Frei­en er­geht und Chor­ge­sän­ge singt.«

Er be­gann jetzt, von Si­zi­li­en zu er­zäh­len, wo sei­ne land­wirt­schaft­li­chen Be­sit­zun­gen la­gen, die ihm sehr ans Herz ge­wach­sen wa­ren. Der Ge­dan­ke sei ihm schon häu­fig ge­kom­men, er­klär­te er, ganz nach Si­zi­li­en über­zu­sie­deln und dort in be­schau­li­cher Ruhe sein Le­ben zu en­den. Ge­nug habe er des win­ter­li­chen Rei­fes, denn auch sein Haupt sei ja schon weiß. Noch trü­gen zwar die Bäu­me ihre Blät­ter, noch la­che über die Stadt ein blau­er Him­mel, aber wenn die Wein­ran­ke gelb wer­de, wenn der Schnee auf dem Al­ba­ner­ge­bir­ge fal­le, wenn die Göt­ter die Cam­pa­nia mit hef­ti­gen Stür­men heim­such­ten, dann viel­leicht zie­he er mit dem gan­zen Hau­se auf sei­nen stil­len länd­li­chen Wohn­sitz.

»Wie? Du hät­test Lust, Rom zu ver­las­sen, Plau­ti­us?« sag­te Vi­ni­ci­us plötz­lich be­un­ru­higt.

»Schon lan­ge habe ich die­sen Wunsch«, ant­wor­te­te Au­lus, »denn dort ist es ru­hi­ger und ge­fahr­lo­ser.«

Und er be­gann aufs neue sei­ne Obst­gär­ten und sei­ne Her­den zu rüh­men -- das im Grün ver­steck­te Haus und die Ber­ge, wo der Thy­mi­an und das Pfef­fer­kraut wuchs, von Bie­nen um­summt. Vi­ni­ci­us hat­te kei­nen Sinn für die­se be­geis­ter­te Schil­de­rung, er dach­te nur dar­an, daß Ly­gia ihm ent­ris­sen wer­den könn­te, und blick­te zu Pe­tro­ni­us hin­über, als wenn er von die­sem Hil­fe er­war­te­te.

Pe­tro­ni­us, der an Pom­po­ni­as Sei­te saß, lab­te sich an dem An­blick der un­ter­ge­hen­den Son­ne, an dem Gar­ten und an der am Fischwei­her ste­hen­den Men­schen­grup­pe. Er emp­fand den hier herr­schen­den See­len­frie­den so­fort, und prü­fend be­trach­te­te er die Haus­be­woh­ner. Ein ihm frem­der Aus­druck lag auf den Zü­gen Pom­po­ni­as, des al­ten Au­lus, des Kna­ben und Ly­gi­as, ein Aus­druck, den er auf den Ge­sich­tern and­rer nie­mals wahr­ge­nom­men hat­te, die ihn tag­täg­lich oder viel­mehr jede Nacht um­ga­ben. Welch fried­li­ches, hei­te­res Le­ben schie­nen die­se Men­schen hier zu füh­ren! Und mit ei­ner ge­wis­sen Ver­wun­de­rung ge­stand er sich, daß es wohl eine Le­bens­füh­rung ge­ben müs­se, de­ren Schön­heit, de­ren An­mut er nie ken­nen­ge­lernt hat­te, er, der doch stets im Le­ben nach Schön­heit und An­mut streb­te. Die­sem Ge­dan­ken Wor­te ver­lei­hend, wand­te er sich an Pom­po­nia und sag­te: »Ich er­wä­ge im Geis­te, wie ver­schie­den doch eure Welt ist von der, über die Nero re­giert.« Pom­po­nia aber rich­te­te ih­ren Blick zum Abend­him­mel em­por und er­wi­der­te schlicht: »Nicht Nero re­giert die Welt, son­dern Gott.« --

Ein kur­z­es Schwei­gen trat ein. Auf dem zum Tri­kli­ni­um füh­ren­den Wege wur­den die Schrit­te des al­ten Heer­füh­rers, des Vi­ni­ci­us, Ly­gi­as und des klei­nen Au­lus hör­bar, aber ehe die­se na­he­tra­ten, frag­te Pe­tro­ni­us: »Du glaubst dem­nach an die Göt­ter, Pom­po­nia?«

»Ich glau­be an Gott, der ein­zig, ge­recht und all­mäch­tig ist«, ant­wor­te­te das Weib des Au­lus Plau­ti­us.

IΗΣΟΎΣ -- Iē­sous (neu­gr. Iisús) Je­sus

ΧΡΙΣΤΌΣ -- Christós »Chris­tus« (der Ge­salb­te)

ΘΕΟΎ -- Theoú Got­tes

ΥΙΌΣ -- Hyiós (neu­gr. Iós) Sohn

ΣΩΤΉΡ -- Sōtér (neu­gr. Sotíras) Er­lö­ser

Der Fisch war ei­nes der sym­bo­li­schen Er­ken­nungs­zei­chen der ers­ten Chris­ten. Die ein­zel­nen Buch­sta­ben des grie­chi­schen Wor­tes (ἰχθύς) bil­den die An­fangs­buch­sta­ben der grie­chi­schen Wor­te für Je­sus Chris­tus Got­tes Sohn, Er­lö­ser:  <<<

die vier­hun­dert Köp­fe zäh­len­de Fa­mi­lia wur­de ge­kreu­zigt  <<<

Ein Spiel, in dem man mit ei­nem Blick er­ra­ten muß, wie­viel Fin­ger ei­ner in die Höhe ge­ho­ben hat. Ein noch jetzt in Ita­li­en be­lieb­tes Spiel  <<<

der Ge­schäfts­raum des Haus­herrn  <<<

3

Pe­tro­ni­us hat­te Vi­ni­ci­us ver­spro­chen: »In we­ni­gen Ta­gen schon wird die gött­li­che Ly­gia un­ter dei­nem Da­che von dei­nem Bro­te es­sen.«

Er hielt sein Ver­spre­chen. Tags dar­auf schlief er un­un­ter­bro­chen bis zum Abend, ließ sich dann nach dem Pala­ti­nus tra­gen und hat­te mit Nero eine ver­trau­li­che Un­ter­re­dung. Die Fol­ge da­von war, daß schon am drit­ten Tage ein Cen­tu­rio an der Spit­ze ei­ner Ab­tei­lung der prä­to­ria­ni­schen Leib­wa­che vor dem Hau­se des Plau­ti­us er­schi­en.

Die Zei­ten wa­ren un­si­cher und schreck­lich. Bo­ten die­ser Art wa­ren häu­fig Ver­kün­der des To­des. Als da­her der Cen­tu­rio mit dem Ham­mer an das Tor des Au­lus poch­te und der Obe­r­auf­se­her des Atri­ums die Kun­de brach­te, daß Söld­lin­ge in der Vor­hal­le sich be­fän­den, herrsch­te Be­stür­zung im gan­zen Hau­se. Die An­ge­hö­ri­gen ver­sam­mel­ten sich als­bald um den al­ten Krie­ger, denn nie­mand zwei­fel­te, daß vor­nehm­lich ihm Ge­fahr dro­he. Pom­po­nia um­klam­mer­te sei­nen Hals mit ih­ren Ar­men, schmieg­te sich in­nig an ihn, und ihre blas­sen Lip­pen be­weg­ten sich rasch, un­ver­ständ­li­che Wor­te mur­melnd. Ly­gia, weiß wie ein Tuch, be­deck­te sei­ne Hand mit Küs­sen, und der klei­ne Au­lus klam­mer­te sich an die Toga des Va­ters.

Nur der alte Kriegs­mann selbst, der dem Tod un­zäh­li­ge­mal ins Ant­litz ge­schaut hat­te, blieb ru­hig, und sein kur­z­es Ad­ler­pro­fil schi­en wie aus Stein ge­mei­ßelt. Sanft schob er sei­ne Gat­tin von sich und trat ins Atri­um, wo der Cen­tu­rio sei­ner harr­te. Es war der alte Ca­jus Has­ta, sein ehe­ma­li­ger Un­ter­ge­be­ner und Ge­fähr­te aus den bri­tan­ni­schen Krie­gen.

»Sei ge­grüßt, mein Feld­herr«, sag­te er. »Ich brin­ge dir einen Be­fehl und die Grü­ße des Kai­sers. Hier sind die Tä­fel­chen zum Zei­chen, daß ich in sei­nem Na­men kom­me.«

»Ich bin dem Kai­ser dank­bar für sei­ne Grü­ße, und dem Be­fehl wer­de ich Fol­ge leis­ten«, er­wi­der­te Plau­ti­us. »Sei mir ge­grüßt, Has­ta, und sprich: wel­chen Auf­trag hast du zu über­brin­gen?«

»Au­lus Plau­ti­us«, be­gann Has­ta, »der Kai­ser hat in Er­fah­rung ge­bracht, daß in dei­nem Hau­se die Toch­ter des Ly­gier­kö­nigs weilt, die die­ser Kö­nig noch zu Leb­zei­ten des gött­li­chen Clau­di­us den Rö­mern als Gei­sel da­für übergab, daß die Gren­zen des Rei­ches nie­mals durch die Ly­gier ver­letzt wer­den soll­ten. Der gött­li­che Nero ist dir dank­bar, mein Feld­herr, weil du ihr so vie­le Jah­re hin­durch Gast­freund­schaft ge­währ­test, doch will er nicht, daß sie dir län­ger zur Last fal­le, auch ist er der Mei­nung, daß das Mäd­chen, als eine Gei­sel, un­ter den Schutz des Kai­sers und des Se­nats ge­hö­re, und des­halb be­fiehlt er dir, sie in mei­ne Hän­de aus­zu­lie­fern.«

Au­lus war zu sehr Sol­dat und zu sehr Rö­mer, als daß er sich die­sem Be­fehl ge­gen­über einen Aus­ruf des Be­dau­erns, ein un­nüt­zes Wort oder eine Kla­ge er­laubt hät­te. Aber eine Fal­te des Zorns und des Schmer­zes grub sich plötz­lich in sei­ne Stirn. Vor die­sem Zu­cken der Wim­pern hat­ten einst die bri­tan­ni­schen Le­gio­nen ge­zit­tert, und jetzt in die­sem Au­gen­blick mal­te sich auf Ha­stas Ge­sicht ein jä­hes Er­schre­cken. Doch Au­lus Plau­ti­us fühl­te sich die­sem Be­fehl ge­gen­über macht­los. Ei­ni­ge Zeit blick­te er auf die Tä­fel­chen und die Schrift­zü­ge, dann hob er den Blick zum al­ten Cen­tu­rio und sprach mit ru­hi­ger Stim­me: »War­te hier im Atri­um, Has­ta, bis die Gei­sel dir aus­ge­lie­fert wer­den kann.«

Nach die­sen Wor­ten be­gab er sich an das an­de­re Ende des Hau­ses in den Ökus ge­nann­ten Saal, wo Pom­po­nia Grae­ci­na, Ly­gia und der klei­ne Au­lus ihn voll Angst und Un­ru­he er­war­te­ten.

»Kei­nem von uns droht der Tod noch Ver­ban­nung auf fer­ne In­seln«, sag­te er, »und den­noch ist der Bote des Kai­sers ein Un­glücks­bo­te. Um dich han­delt es sich, Ly­gia.«

»Um Ly­gia?« rief Pom­po­nia er­staunt.

»So ist es«, ant­wor­te­te Au­lus. Und zu dem Mäd­chen ge­wen­det sag­te er: »Ly­gia, du bist in un­se­rem Hau­se auf­ge­wach­sen wie un­ser leib­li­ches Kind, und wir bei­de, Pom­po­nia und ich, lie­ben dich wie eine Toch­ter. Aber du weißt, daß du nicht uns­re Toch­ter bist. Als Gei­sel bist du Rom von dei­nem Vol­ke über­ge­ben wor­den, und dem Kai­ser ge­bührt die Ob­hut über dich. Da­her nimmt dich der Kai­ser aus un­se­rem Hau­se.«

Der alte Kriegs­mann sprach ru­hig, aber mit selt­sa­mer, fremd klin­gen­der Stim­me. Ly­gia hör­te ihn mit weit of­fe­nen Au­gen an, als ob sie nicht recht ver­ste­he, um was es sich han­del­te, und die Wan­gen Pom­po­ni­as be­deck­ten sich mit To­des­bläs­se.

»Au­lus!« schrie Pom­po­nia ent­setzt und um­schlang das Mäd­chen mit ih­ren Ar­men, als ob sie es schüt­zen woll­te. »Bes­ser wäre ihr der Tod.«

Ly­gia hat­te sich an ihre Brust ge­wor­fen und wie­der­hol­te im­mer nur das Wort: »Mut­ter! Mut­ter!«, denn sie brach­te nichts an­de­res her­vor.

Auf des Au­lus Zü­gen zeig­ten sich Zorn und Schmerz. »Wäre ich al­lein auf der Welt«, sag­te er fins­ter, »gäbe ich sie nicht le­bend hin. Aber ich habe kein Recht, dich und un­sern Kna­ben ins Ver­der­ben zu stür­zen; er kann viel­leicht noch bes­se­re Zei­ten er­le­ben. Heu­te noch will ich zum Kai­ser ge­hen und ihn an­fle­hen, daß er den Be­fehl wi­der­ru­fe. Ob er mich vor­las­sen wird, weiß ich frei­lich nicht. Jetzt aber lebe wohl, Ly­gia! Pom­po­nia und ich ha­ben im­mer den Tag ge­seg­net, an dem du einen Platz an un­serm Herd ein­nahmst.«

Hier­auf wand­te er sich rasch um und kehr­te ins Atri­um zu­rück, um der in ihm auf­stei­gen­den, ei­nes Rö­mers und Feld­herrn un­wür­di­gen Rüh­rung Ein­halt zu tun. Pom­po­nia aber führ­te Ly­gia ins Schlaf­zim­mer und such­te sie zu be­ru­hi­gen, zu trös­ten und ihr Mut zu­zu­spre­chen.

»Jetzt ist die Zeit der Prü­fung ge­kom­men«, sag­te sie. »Das Haus des Kai­sers ist eine Laster­höh­le, ein Haus der Schan­de und des Ver­bre­chens. Aber Ly­gia, die neue Leh­re, der wir an­hän­gen, er­laubt uns nicht, Hand an uns zu le­gen, sie er­laubt uns nur, ge­gen Schmach und Schan­de uns zu ver­tei­di­gen, selbst wenn wir da­für Mar­ter und Tod er­lei­den müß­ten. Die Erde ist ein Jam­mer­tal, aber zum Glück währt das Le­ben nur einen Au­gen­blick, und es gibt ein Au­fer­ste­hen aus dem Gra­be, ein Jen­seits, wo nicht mehr Nero, son­dern die ewi­ge Barm­her­zig­keit wal­tet, wo statt des Schmer­zes ewi­ge Freu­de und statt der Trä­nen ewi­ger Ju­bel herrscht.«

Und sie drück­te das Köpf­chen des jun­gen Mäd­chens noch in­ni­ger an ihre Brust. Ly­gia aber ließ sich zu ih­ren Fü­ßen nie­der, und die Au­gen in den Fal­ten von Pom­po­ni­as Ge­wand ver­ber­gend, ver­harr­te sie eine Zeit­lang schwei­gend. Als sie sich end­lich er­hob, zeig­te das jun­ge Ge­sicht schon et­was mehr Fas­sung.

»Ich schei­de schwer von euch, von dir, Mut­ter, vom Va­ter und vom Bru­der, aber ich weiß, daß je­der Wi­der­stand ver­geb­lich wäre und euch al­len Ver­der­ben bräch­te. Ich ge­lo­be dir je­doch, im Kai­ser­pa­last dei­ner Wor­te nie zu ver­ges­sen.«

Ein­mal noch schlang sie die Arme um den Hals Pom­po­ni­as, und als sie bei­de in den Ökus zu­rück­ge­kehrt wa­ren, nahm sie Ab­schied vom klei­nen Plau­ti­us, von dem grei­sen Grie­chen, bei­der Leh­rer, von der Ge­wand­hü­te­rin, von der sie als Kind ge­war­tet wor­den war, und von al­len Skla­ven.

Ei­ner von ih­nen, ein hoch­ge­wach­se­ner, breit­schult­ri­ger Ly­gier, den man im Haus Ur­sus, den Bä­ren, hieß und der sei­ner­zeit mit Ly­gia, de­ren Mut­ter und an­de­ren Die­nern ins rö­mi­sche La­ger ge­kom­men war, fiel zu den Fü­ßen des jun­gen Mäd­chens nie­der, beug­te auch die Knie vor Pom­po­nia und rief: »O Do­mi­na! Laßt mich mei­ne Her­rin be­glei­ten, da­mit ich ihr im Kai­ser­pa­last die­nen und sie be­schüt­zen kann.«

»Du bist nicht un­ser Die­ner, son­dern Ly­gi­as«, er­wi­der­te Pom­po­nia Grae­ci­na. »Aber wird man dir auch den Ein­tritt ge­stat­ten? Und wie willst du über sie wa­chen?«

»Das weiß ich nicht, Do­mi­na, ich weiß aber, daß Ei­sen in mei­nen Hän­den wie Holz bricht.« --

Als Au­lus Plau­ti­us, der jetzt zu­rück­kehr­te, von der Bit­te des Ly­giers er­fuhr, er­klär­te er, man habe gar kein Recht, ihn zu­rück­zu­hal­ten, da er zum Ge­fol­ge Ly­gi­as ge­hö­re. Auf sei­nen Rat wur­den noch ei­ni­ge Skla­vin­nen zur Be­die­nung mit­ge­ge­ben. Pom­po­nia wähl­te dazu nur Be­ken­ne­rin­nen des neu­en Glau­bens, und da auch Ur­sus die­sem Glau­ben seit meh­re­ren Jah­ren an­ge­hör­te, konn­te sie auf die Treue die­ser Die­ner zäh­len, sich aber auch mit dem Ge­dan­ken trös­ten, daß nun ein Saat­korn der neu­en Leh­re im Hau­se des Kai­sers aus­ge­streut wer­de.

Durch ei­ni­ge Zei­len, die sie nie­der­schrieb, stell­te sie dann noch Ly­gia un­ter den Schutz Ak­tes, der Frei­ge­las­se­nen Ne­ros. Bei den Ver­samm­lun­gen der Glau­bens­be­ken­ner war Akte zwar nie an­we­send, aber Pom­po­nia hat­te von an­dern ge­hört, daß Akte den Chris­ten nie ihre Hil­fe ver­sa­ge und eif­rig in den Brie­fen des Pau­lus von Tar­sos lese. Sie hat­te auch ver­nom­men, daß die jun­ge Frei­ge­las­se­ne, die in stil­ler Trau­er da­hin­leb­te, ganz an­ders war als die an­dern Frau­en in Ne­ros Hau­se und sie für den gu­ten Geist des Palas­tes galt.

Has­ta ver­sprach, Akte den Brief ein­zu­hän­di­gen, und mach­te nicht die min­des­ten Schwie­rig­kei­ten, die Skla­ven mit­zu­neh­men, denn er hielt es für selbst­ver­ständ­lich, daß eine Kö­nigs­toch­ter ihr ei­ge­nes Diener­ge­fol­ge ha­ben müs­se; ja, er wun­der­te sich so­gar über die ge­rin­ge An­zahl. Nur bat er um Eile, weil er sonst fürch­ten müs­se, in den Ver­dacht zu kom­men, die Er­fül­lung des kai­ser­li­chen Be­fehls mit Saum­se­lig­keit be­trie­ben zu ha­ben.

Die Stun­de der Tren­nung war ge­kom­men. Pom­po­ni­as und Ly­gi­as Au­gen füll­ten sich aber­mals mit Trä­nen, Au­lus leg­te noch ein­mal die Hand auf das Haupt des Mäd­chens -- und von den Kla­ge­ru­fen des klei­nen Au­lus be­glei­tet, der, um die Schwes­ter zu schüt­zen, den Cen­tu­rio mit den klei­nen Fäus­ten be­droh­te, führ­ten die Söld­lin­ge Ly­gia in den Kai­ser­pa­last.

Der alte Krie­ger be­fahl, sei­ne Sänf­te be­reit zu hal­ten, dann schloß er sich mit Pom­po­nia in ein Zim­mer ein und sag­te zu ihr: »Höre mich an, Pom­po­nia. Ich gehe zum Kai­ser, ob­wohl ich fürch­te, daß es ver­geb­lich sein wird, und auch zu Se­ne­ka, des­sen Wort aber lei­der nicht mehr viel ver­mag. Heut ha­ben So­fo­ni­us Ti­gel­li­nus oder Va­ti­ni­us mehr Gel­tung... Was den Kai­ser selbst an­be­langt, so hat er wahr­schein­lich nie­mals in sei­nem Le­ben ir­gend et­was vom Stam­me der Ly­gier ge­hört; wenn er also die Aus­lie­fe­rung Ly­gi­as als Gei­sel for­dert, so tut er es nur, weil je­mand ihn dazu über­re­det hat, und es ist leicht zu er­ra­ten, wer dies ist.«