Racheengel - J. R. Ward - E-Book
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J. R. Ward

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Beschreibung

Der Sympath Rehvenge lernt in Havers Klinik die Krankenschwester und Vampirin Ehlena kennen und fühlt sich sofort zu ihr hingezogen. Doch er verheimlicht ihr seine Vergangenheit und seine Geschäfte, und Ehlena gerät dadurch in große Gefahr …

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Inhaltsverzeichnis
 
Das Buch
Die Autorin
Widmung
Danksagung
GLOSSAR DER BEGRIFFE UND EIGENNAMEN
 
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
 
Vorschau
ENTDECKEN SIE DIE MAGISCHE WELT VON...
BLACK DAGGER
Copyright
Das Buch
Der Krieg der Bruderschaft der Black Dagger gegen die Lesser tobt unerbittlich in den Straßen von Caldwell, New York. Nachdem die Vampirgesellschaft schwere Verluste hinnehmen musste, hat nun Rehvenge – Nachtclubbesitzer, Drogendealer, Aristokrat – den Vorsitz über den Rat übernommen. Doch Rehv ist ein halber Symphath, und damit Teil einer gefürchteten und gejagten Spezies. Nur mit äußersten Anstrengungen kann er seine dunkle Seite in Schach halten. Und er ist erpressbar... Dann trifft Rehv auf die schöne Krankenschwester Ehlena – und erkennt plötzlich, dass sie der Schlüssel dazu ist, seine Symphathenseite zu kontrollieren. Aber wie wird Ehlena reagieren, wenn sie herausfindet, wer er wirklich ist?
 
Die BLACK DAGGER-Serie Erster Roman: Nachtjagd Zweiter Roman: Blutopfer Dritter Roman: Ewige Liebe Vierter Roman: Bruderkrieg Fünfter Roman: Mondspur Sechster Roman: Dunkles Erwachen Siebter Roman: Menschenkind Achter Roman: Vampirherz Neunter Roman: Seelenjäger Zehnter Roman: Todesfluch Elfter Roman: Blutlinien Zwölfter Roman: Vampirträume Sonderband: Die Bruderschaft der BLACK DAGGER Dreizehnter Roman: Racheengel Vierzehnter Roman: Blinder König
 
Die FALLEN ANGELS-Serie Erster Roman: Die Ankunft
Die Autorin
J. R. Ward begann bereits während ihres Studiums mit dem Schreiben. Nach ihrem Hochschulabschluss veröffentlichte sie die BLACK DAGGER-Serie, die in kürzester Zeit die amerikanischen Bestseller-Listen eroberte. Die Autorin lebt mit ihrem Mann und ihrem Golden Retriever in Kentucky und gilt seit dem überragenden Erfolg der Serie als neuer Star der romantischen Mystery.
Gewidmet: Dir.Nie waren die Begriffe von Gut und Böse so relativ wie in dem Moment, als sie auf deinesgleichen angewendet wurden. Aber ich schließe mich an. Für mich warst du immer ein Held.
DANKSAGUNG
Ein Riesendankeschön an alle Leser der Bruderschaft der Black Dagger und ein Hoch auf die Cellies!
Vielen Dank an: Steven Axelrod, Kara Cesare, Claire Zion, Kara Welsh und Leslie Gelbman.
Dank an Lu und Opal sowie an unsere Cheforganisatoren und Ordnungshüter für alles, was ihr aus reiner Herzensgüte tut!
Und natürlich wie immer Danke an meinen Exekutivausschuss: Sue Crafton, Dr. Jessica Andersen und Betsey Vaughan. Meine Achtung gilt der unvergleichlichen Suzanne Brockmann und der stets brillanten Christine Feehan (plus Familie).
An D. L. B. – dass ich zu dir aufblicke, muss ich eigentlich nicht sagen, aber so ist es nun mal. Ich liebe dich unendlich, Mummy.
An N. T. M. – der immer Recht hat und trotzdem von uns allen geliebt wird.
An LeElla Scott – du bist die Größte.
An die kleine Kaylie und ihre Mama – weil ich sie so liebe.
Nichts von alledem wäre möglich ohne: meinen liebevollen Mann, Ratgeber, Helfer und Visionär; meine wundervolle Mutter, deren Übermaß an Liebe ich unmöglich zurückzahlen kann; meine Familie (sowohl blutsverwandt als auch selbstgewählt) und meine liebsten Freunde.
Oh, und in Liebe zur besseren Hälfte von WriterDog, wie immer.
GLOSSAR DER BEGRIFFE UND EIGENNAMEN
Ahstrux nohtrum – Persönlicher Leibwächter, der vom König ernannt wird
Die Auserwählten - Vampirinnen, deren Aufgabe es ist, der Jungfrau der Schrift zu dienen. Sie werden als Angehörige der Aristokratie betrachtet, obwohl sie eher spirituell als weltlich orientiert sind. Normalerweise pflegen sie wenig bis gar keinen Kontakt zu männlichen Vampiren; auf Weisung der Jungfrau der Schrift können sie sich aber mit einem Krieger vereinigen, um den Fortbestand ihres Standes zu sichern. Sie besitzen die Fähigkeit zur Prophezeiung. In der Vergangenheit dienten sie alleinstehenden Brüdern zum Stillen ihres Blutbedürfnisses, aber diese Praxis wurde von den Brüdern aufgegeben.
Bannung - Status, der einer Vampirin der Aristokratie auf Gesuch ihrer Familie durch den König auferlegt werden kann. Unterstellt die Vampirin der alleinigen Aufsicht ihres Hüters, üblicherweise der älteste Mann des Haushalts. Ihr Hüter besitzt damit das gesetzlich verbriefte Recht, sämtliche Aspekte ihres Lebens zu bestimmen und nach eigenem Gutdünken jeglichen Umgang zwischen ihr und der Außenwelt zu regulieren.
Die Bruderschaft der Black Dagger – Die Brüder des Schwarzen Dolches. Speziell ausgebildete Vampirkrieger, die ihre Spezies vor der Gesellschaft der Lesser beschützen. Infolge selektiver Züchtung innerhalb der Rasse besitzen die Brüder ungeheure physische und mentale Stärke sowie die Fähigkeit zur extrem raschen Heilung. Die meisten von ihnen sind keine leiblichen Geschwister; neue Anwärter werden von den anderen Brüdern vorgeschlagen und daraufhin in die Bruderschaft aufgenommen. Die Mitglieder der Bruderschaft sind Einzelgänger, aggressiv und verschlossen. Sie pflegen wenig Kontakt zu Menschen und anderen Vampiren, außer um Blut zu trinken. Viele Legenden ranken sich um diese Krieger, und sie werden von ihresgleichen mit höchster Ehrfurcht behandelt. Sie können getötet werden, aber nur durch sehr schwere Wunden wie zum Beispiel eine Kugel oder einen Messerstich ins Herz.
Blutsklave - Männlicher oder weiblicher Vampir, der unterworfen wurde, um das Blutbedürfnis eines anderen zu stillen. Die Haltung von Blutsklaven ist heute zwar nicht mehr üblich, aber nicht ungesetzlich.
Chrih - Symbol des ehrenhaften Todes in der alten Sprache.
Doggen - Angehörige (r) der Dienerklasse innerhalb der Vampirwelt. Doggen pflegen im Dienst an ihrer Herrschaft altertümliche, konservative Sitten und folgen einem formellen Bekleidungs- und Verhaltenskodex. Sie können tagsüber aus dem Haus gehen, altern aber relativ rasch. Die Lebenserwartung liegt bei etwa fünfhundert Jahren.
Dhunhd - Hölle
Ehros – Eine Auserwählte, die speziell in der Liebeskunst ausgebildet wurde.
Exhile Dhoble – Der böse oder verfluchte Zwilling, derjenige, der als Zweiter geboren wird.
Gesellschaft derLesser - Orden von Vampirjägern, der von Omega zum Zwecke der Auslöschung der Vampirspezies gegründet wurde.
Glymera – Das soziale Herzstück der Aristokratie, sozusagen die »oberen Zehntausend« unter den Vampiren.
Granhmen - Großmutter
Gruft – Heiliges Gewölbe der Bruderschaft der Black Dagger. Sowohl Ort für zeremonielle Handlungen wie auch Aufbewahrungsort für die erbeuteten Kanopen der Lesser. Hier werden unter anderem Aufnahmerituale, Begräbnisse und Disziplinarmaßnahmen gegen Brüder durchgeführt. Niemand außer Angehörigen der Bruderschaft, der Jungfrau der Schrift und Aspiranten hat Zutritt zur Gruft.
Hellren – Männlicher Vampir, der eine Partnerschaft mit einer Vampirin eingegangen ist. Männliche Vampire können mehr als eine Vampirin als Partnerin nehmen.
Hohe Familie – König und Königin der Vampire sowie all ihre Kinder.
Hüter - Vormund eines Vampirs oder einer Vampirin. Hüter können unterschiedlich viel Autorität besitzen, die größte Macht übt der Hüter einer gebannten Vampirin aus.
Jungfrau der Schrift – Mystische Macht, die dem König als Beraterin dient sowie die Vampirarchive hütet und Privilegien erteilt. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und besitzt umfangreiche Kräfte. Hatte die Befähigung zu einem einzigen Schöpfungsakt, den sie zur Erschaffung der Vampire nutzte.
Leahdyre – Eine mächtige und einflussreiche Person.
Lesser - Ein seiner Seele beraubter Mensch, der als Mitglied der Gesellschaft der Lesser Jagd auf Vampire macht, um sie auszurotten. Die Lesser müssen durch einen Stich in die Brust getötet werden. Sie altern nicht, essen und trinken nicht und sind impotent. Im Laufe der Jahre verlieren ihre Haare, Haut und Iris ihre Pigmentierung, bis sie blond, bleich und weißäugig sind. Sie riechen nach Talkum. Aufgenommen in die Gesellschaft werden sie durch Omega. Daraufhin erhalten sie ihre Kanope, ein Keramikgefäß, in dem sie ihr aus der Brust entferntes Herz aufbewahren.
Lewlhen - Geschenk.
Lheage – Respektsbezeichnung einer sexuell devoten Person gegenüber einem dominanten Partner.
Lielan - Ein Kosewort, frei übersetzt in etwa »mein Liebstes«.
Lys – Folterwerkzeug zur Entnahme von Augen.
Mahmen – Mutter. Dient sowohl als Bezeichnung als auch als Anrede und Kosewort.
Mhis - Die Verhüllung eines Ortes oder einer Gegend; die Schaffung einer Illusion.
Nalla - Kosewort. In etwa »Geliebte«.
Novizin - Eine Jungfrau.
Omega – Unheilvolle mystische Gestalt, die sich aus Groll gegen die Jungfrau der Schrift die Ausrottung der Vampire zum Ziel gesetzt hat. Existiert in einer jenseitigen Sphäre und hat weitreichende Kräfte, wenn auch nicht die Kraft zur Schöpfung.
Phearsom – Begriff, der sich auf die Funktionstüchtigkeit der männlichen Geschlechtsorgane bezieht. Die wörtliche Übersetzung lautet in etwa »würdig, in eine Frau einzudringen«.
Princeps - Höchste Stufe der Vampiraristokratie, untergeben nur den Mitgliedern der Hohen Familie und den Auserwählten der Jungfrau der Schrift. Dieser Titel wird vererbt; er kann nicht verliehen werden.
Pyrokant - Bezeichnet die entscheidende Schwachstelle eines Individuums, sozusagen seine Achillesverse. Diese Schwachstelle kann innerlich sein, wie zum Beispiel eine Sucht, oder äußerlich, wie ein geliebter Mensch.
Rahlman - Retter.
Rythos – Rituelle Prozedur, um verlorene Ehre wiederherzustellen. Der Rythos wird von dem Vampir gewährt, der einen anderen beleidigt hat. Wird er angenommen, wählt der Gekränkte eine Waffe und tritt damit dem unbewaffneten Beleidiger entgegen.
Schleier - Jenseitige Sphäre, in der die Toten wieder mit ihrer Familie und ihren Freunden zusammentreffen und die Ewigkeit verbringen.
Shellan – Vampirin, die eine Partnerschaft mit einem Vampir eingegangen ist. Vampirinnen nehmen sich in der Regel nicht mehr als einen Partner, da gebundene männliche Vampire ein ausgeprägtes Revierverhalten zeigen.
Symphath - Eigene Spezies innerhalb der Vampirrasse, deren Merkmale die Fähigkeit und das Verlangen sind, Gefühle in anderen zu manipulieren (zum Zwecke eines Energieaustauschs). Historisch wurden die Symphathen oft mit Misstrauen betrachtet und in bestimmten Epochen auch von den Vampiren gejagt. Sind heute nahezu ausgestorben.
Tahlly - Kosewort. Entspricht in etwa »Süße«.
Trahyner – Respekts- und Zuneigungsbezeichnung unter männlichen Vampiren. Bedeutet ungefähr »geliebter Freund«.
Transition - Entscheidender Moment im Leben eines Vampirs, wenn er oder sie ins Erwachsenenleben eintritt. Ab diesem Punkt müssen sie das Blut des jeweils anderen Geschlechts trinken, um zu überleben, und vertragen kein Sonnenlicht mehr. Findet normalerweise mit etwa Mitte zwanzig statt. Manche Vampire überleben ihre Transition nicht, vor allem männliche Vampire. Vor ihrer Transition sind Vampire von schwächlicher Konstitution und sexuell unreif und desinteressiert. Außerdem können sie sich noch nicht dematerialisieren.
Triebigkeit - Fruchtbare Phase einer Vampirin. Üblicherweise dauert sie zwei Tage und wird von heftigem sexuellem Verlangen begleitet. Zum ersten Mal tritt sie etwa fünf Jahre nach der Transition eines weiblichen Vampirs auf, danach im Abstand von etwa zehn Jahren. Alle männlichen Vampire reagieren bis zu einem gewissen Grad auf eine triebige Vampirin, deshalb ist dies eine gefährliche Zeit. Zwischen konkurrierenden männlichen Vampiren können Konflikte und Kämpfe ausbrechen, besonders wenn die Vampirin keinen Partner hat.
Vampir - Angehöriger einer gesonderten Spezies neben dem Homo sapiens. Vampire sind darauf angewiesen, das Blut des jeweils anderen Geschlechts zu trinken. Menschliches Blut kann ihnen zwar auch das Überleben sichern, aber die daraus gewonnene Kraft hält nicht lange vor. Nach ihrer Transition, die üblicherweise etwa mit Mitte zwanzig stattfindet, dürfen sie sich nicht mehr dem Sonnenlicht aussetzen und müssen sich in regelmäßigen Abständen aus der Vene ernähren. Entgegen einer weit verbreiteten Annahme können Vampire Menschen nicht durch einen Biss oder eine Blutübertragung »verwandeln«; in seltenen Fällen aber können sich die beiden Spezies zusammen fortpflanzen. Vampire können sich nach Belieben dematerialisieren, dazu müssen sie aber ganz ruhig werden und sich konzentrieren; außerdem dürfen sie nichts Schweres bei sich tragen. Sie können Menschen ihre Erinnerung nehmen, allerdings nur, solange diese Erinnerungen im Kurzzeitgedächtnis abgespeichert sind. Manche Vampire können auch Gedanken lesen. Die Lebenserwartung liegt bei über eintausend Jahren, in manchen Fällen auch höher.
Vergeltung - Akt tödlicher Rache, typischerweise ausgeführt von einem Mann im Dienste seiner Liebe.
Wanderer - Ein Verstorbener, der aus dem Schleier zu den Lebenden zurückgekehrt ist. Wanderern wird großer Respekt entgegengebracht und sie werden für das, was sie durchmachen mussten, verehrt.
Whard – Entspricht einem Patenonkel oder einer Patentante.
Zwiestreit – Konflikt zwischen zwei männlichen Vampiren, die Rivalen um die Gunst einer Vampirin sind.
Alle Könige sind blind.Die guten unter ihnen wissen das und führen durchmehr als ihre Augen an.
1
»Der König muss sterben.«
Vier einfache Worte. Für sich betrachtet war keines besonders. Doch aneinandergereiht sorgten sie für jede Menge unerwünschten Mist: Mord. Betrug. Verrat.
Tod.
Rehvenge vernahm die Worte und schwieg, ließ das Quartett in der spannungsgeladenen, muffigen Luft des Arbeitszimmers nachhallen, vier Markierungen eines dunklen, bösartigen Kompasses, der ihm nur allzu vertraut war.
»Hast du darauf irgendetwas zu sagen?«, fragte Montrag, Sohn des Rehm.
»Nö.«
Montrag blinzelte und fummelte an seiner silbernen Krawatte herum. Wie die meisten Angehörigen der Glymera stand er mit beiden Samtschühchen fest auf dem Aubusson-Teppich. Will heißen: An ihm war einfach alles vom Feinsten, rundherum. Mit seinem Smoking-Jackett und der Nadelstreifenhose und... Scheiße, waren das wirklich Gamaschen? ... sah er aus, als wäre er direkt aus den Hochglanzseiten der Vanity Fair herausspaziert. Und zwar vor hundert Jahren. Und mit seinem blasierten Gehabe und seinen schwachsinnigen Visionen war er ein Kissinger ohne Präsident, was politisches Taktieren betraf: alles Analyse, null Autorität.
Was diese Zusammenkunft erklärte, oder etwa nicht?
»Sprich nur weiter«, ermunterte ihn Rehv. »Du bist schon von der Klippe gesprungen. Die Landung wird nicht weicher.«
Montrag verzog das Gesicht. »Ich kann deine Komik nicht nachvollziehen.«
»Wer ist hier komisch?«
Es klopfte. Montrag drehte den Kopf und präsentierte sich von der Seite. Er hatte das Profil eines Irish Setters: Das gesamte Gesicht bestand aus Nase. »Herein.«
Die Doggen, die der Aufforderung folgte, wankte unter dem Gewicht des Silberservice. Auf einem Ebenholztablett von der Größe einer Veranda hievte sie die Last durch den Raum.
Bis sie den Kopf hob und Rehv erblickte.
Sie erstarrte wie ein Standbild.
»Wir nehmen unseren Tee hier.« Montrag deutete auf den niedrigen Tisch zwischen den zwei seidenbezogenen Sofas, auf denen sie saßen. »Hier.«
Die Doggen rührte sich nicht vom Fleck, sondern starrte nur in Rehvs Gesicht.
»Was gibt es?«, herrschte Montrag sie an, als die Teetassen zu zittern begannen und dabei ein klirrendes Geräusch erzeugten. »Bring uns den Tee, jetzt.«
Die Doggen verbeugte sich leicht, murmelte etwas und kam langsam auf sie zu, indem sie einen Fuß vor den anderen setzte, als würde sie auf eine eingerollte Schlange zugehen. Sie hielt sich so weit wie möglich von Rehv entfernt, und als sie das Tablett abgestellt hatte, zitterten ihre Hände so heftig, dass sie nur mit Mühe die Tassen auf die Untertassen stellen konnte.
Als sie nach der Teekanne griff, war offensichtlich, dass sie das Getränk überall verschütten würde.
»Das übernehme ich«, meinte Rehv und streckte die Hand aus.
Als die Doggen zurückzuckte, entglitt ihr der Henkel und die Kanne segelte durch die Luft.
Rehv fing die kochend heiße Silberkanne mit den Händen auf.
»Was hast du getan!« Montrag sprang von seinem Sofa auf.
Mit eingezogenen Schultern wich die Doggen zurück und hielt sich die Hände vors Gesicht. »Ich bitte um Vergebung, Herr. Wahrlich, es tut mir -«
»Ach, halt den Mund und bring uns etwas Eis -«
»Es ist nicht ihre Schuld.« In aller Ruhe fasste Rehv die Kanne am Henkel an und goss ihnen ein. »Und mir ist nichts passiert.«
Seine beiden Gegenüber starrten ihn an, als erwarteten sie, dass er gleich aufspringen und einen kleinen Tanz vollführen würde.
Rehv setzte die Kanne ab und blickte Montrag in die blassen Augen. »Ein Würfel Zucker oder zwei?«
»Darf ich... darf ich dir etwas für die Verbrennung besorgen?«
Rehv lächelte und präsentierte seinem Gastgeber seine Fänge. »Mir ist nichts passiert.«
Es verstimmte Montrag, dass er nichts tun konnte, und diese Unzufriedenheit ließ er postwendend an seiner Dienerin aus. »Du bist eine Schande. Geh.«
Rehv blickte unauffällig zu der Doggen. Ihre Gefühle waren für ihn ein dreidimensionales Gebilde aus Furcht, Beschämung und Panik, und das Geflecht war so stofflich für ihn wie ihre Knochen, Muskeln und die Haut.
Mach dir keine Sorgen, dachte er in ihre Richtung. Ich bringe das in Ordnung.
Verwunderung blitzte in ihrem Gesicht auf, doch die Anspannung wich aus ihren Schultern, und als sie sich abwandte, wirkte sie viel ruhiger.
Als sie weg war, räusperte sich Montrag und setzte sich wieder. »Ich glaube nicht, dass wir sie halten können. Sie ist völlig inkompetent.«
»Warum probierst du es nicht erst mit einem.« Rehv ließ einen Zuckerwürfel in seinen Tee fallen. »Und entscheidest dann, ob du einen zweiten willst.«
Er hielt ihm die Tasse hin, aber nicht zu weit, so dass Montrag gezwungen war, noch mal vom Sofa aufzustehen und sich über den Tisch zu beugen.
»Danke.«
Rehv ließ die Untertasse nicht los, als er einen veränderten Gedanken in das Hirn seines Gastgebers schob. »Frauen reagieren nervös auf mich. Es war nicht ihre Schuld.«
Abrupt ließ er los, und Montrag musste aufpassen, dass ihm das zarte Porzellan nicht entglitt.
»Hoppla. Nicht verschütten.« Rehv lehnte sich wieder auf seinem Sofa zurück. »Es wäre ein Jammer um deinen schönen Teppich. Aubusson, habe ich Recht?«
»Äh... ja.« Montrag stellte seine Tasse ab und runzelte die Stirn, als könnte er sich seinen Gesinnungswandel gegenüber der Doggen nicht erklären. »Äh... ja, das ist richtig. Mein Vater hat ihn vor vielen Jahren erstanden. Er hatte einen kostspieligen Geschmack. Wir haben diesen Raum dafür entworfen, weil er so riesig ist, und eine Wandfarbe gewählt, die mit den Pfirsichtönen harmoniert.«
Montrag sah sich in dem Arbeitszimmer um und lächelte, während er an seinem Tee nippte, den kleinen Finger akkurat abgespreizt wie ein Fähnchen im Wind.
»Wie ist dein Tee?«
»Ausgezeichnet, aber willst du denn keinen?«
»Ich bin kein Teetrinker.« Rehv wartete, bis sein Gegenüber die Tasse an die Lippen hob. »Also, du hast davon gesprochen, Wrath zu ermorden?«
Montrag verschluckte sich und schüttete Earl Grey über sein blutrotes Jackett und Daddys pfirsichfarbene Auslegwaren.
Als der Mann hektisch auf die Flecken schlug, hielt ihm Rehv eine Serviette hin. »Hier, nimm das.«
Montrag nahm das Damasttuch und tupfte sich ungeschickt die Brust ab, dann rubbelte er über den Teppich, mit ebenso wenig Erfolg. Eindeutig war er ein Mann, der normalerweise Unordnung verursachte und nicht beseitigte.
»Also, was hast du gesagt?«, murmelte Rehv.
Montrag klatschte die Serviette auf das Tablett, stand auf und ließ seinen Tee stehen, als er im Zimmer umherschritt. Vor einer großen Berglandschaft blieb er stehen und bewunderte kurz die dramatische Szene mit dem Kolonialsoldaten, der in einen Sonnenstrahl getaucht zum Himmel betete.
Er sprach zu dem Gemälde. »Du weißt, dass viele unserer Brüder bei den Überfällen der Lesser umkamen.«
»Und ich hatte gedacht, der Rat hätte mich allein auf Grund meiner schillernden Persönlichkeit zum Leahdyre ernannt.«
Montrag funkelte ihn über die Schulter hinweg an, das Kinn klassisch aristokratisch in die Höhe gehoben. »Ich habe meinen Vater, meine Mutter und sämtliche Cousins und Cousinen ersten Grades verloren. Ich habe jeden Einzelnen begraben. Glaubst du, das macht mir Freude?«
»Ich bitte um Vergebung.« Rehv legte die rechte Hand aufs Herz und neigte den Kopf, obwohl es ihm scheißegal war. Er würde sich nicht von dieser Aufzählung beeindrucken lassen. Insbesondere deshalb nicht, weil die Gefühle seines Gegenübers allein von Gier und nicht von Trauer bestimmt waren.
Montrag drehte sich mit dem Rücken zu dem Gemälde, so dass sein Kopf den Gipfel verdeckte, auf dem der Soldat kniete. Jetzt sah es aus, als versuche der Soldat an seinem Ohr emporzuklettern.
»Noch nie in ihrer Geschichte musste die Glymera derartige Verluste hinnehmen wie bei diesen Überfällen. Nicht nur Todesopfer, sondern auch Besitztümer. Häuser wurden geplündert, Antiquitäten und Kunst entwendet, Bankkonten leergeräumt. Und was hat Wrath unternommen? Nichts. Er äußerte sich auch nach wiederholten Anfragen nicht zu dem Zustand, in dem man die Häuser der Familien vorfand... Warum die Bruderschaft diese Angriffe nicht gestoppt hat... Und was aus all diesen Besitztümern wurde. Es gibt keinen Plan, um derlei Geschehnisse in Zukunft zu verhindern. Keine Schutzzusicherung für Adelige, sollten die paar Überlebenden nach Caldwell zurückkehren.« Montrag steigerte sich nun richtig in seine Rolle hinein, seine Stimme hob sich und wurde von der vergoldeten Kuppeldecke zurückgeworfen. »Unsere Spezies stirbt aus. Wir brauchen einen zuverlässigen Anführer. Doch laut Gesetz ist Wrath König, solange sein Herz in seiner Brust schlägt. Ist denn das Leben eines Mannes wirklich das Leben so vieler anderer wert? Ergründe dein Herz.«
Oh ja, Rehv ergründete es, den schwarzen, bösen Muskel. »Und weiter?«
»Wir übernehmen das Ruder und schlagen den richtigen Kurs ein. In seiner Regierungszeit hat Wrath Dinge umstrukturiert... Schau dir doch an, was mit den Auserwählten geschehen ist. Sie dürfen sich jetzt auf unserer Seite herumtreiben. Das ist unerhört. Und die Sklaverei wurde verboten, genauso wie die Bannung von Frauen. Gütige Jungfrau der Schrift, als Nächstes wird es Röcke für die Bruderschaft geben. Wenn wir die Dinge in die Hand nehmen, können wir diese Veränderungen rückgängig machen und die Gesetze wieder umschreiben, um die alten Bräuche zu erhalten. Wir können eine neue Verteidigung gegen die Gesellschaft der Lesser bilden. Wir können triumphieren.«
»Du redest die ganze Zeit von >wir<, aber irgendwie glaube ich nicht, dass dir genau das vorschwebt.«
»Nun, natürlich muss es einen Ersten unter Gleichen geben.« Montrag strich sich das Revers glatt und streckte Rücken und Kopf durch, als stünde er Modell für eine Bronzestatue oder vielleicht für einen Dollarschein. »Einen ausgewählten Mann von Ansehen und Status.«
»Und auf welche Weise sollte dieses Musterbeispiel an Führungskraft ausgewählt werden?«
»Wir werden uns in eine Demokratie verwandeln. Eine lange überfällige Demokratie, die mit den ungerechten und ungesetzmäßigen Konventionen der Monarchie aufräumt...«
Es folgte eine Menge Bla-bla. Rehv lehnte sich zurück, schlug die Beine übereinander und bildete eine Pyramide mit den Fingern. Während er so auf Montrags Sofa saß, rangen innerlich seine beiden Seiten miteinander, der Vampir und der Symphath.
Das einzig Gute an dem seelischen Schlachtgetümmel war, dass es Montrags näselndes Gesülze übertönte.
Die Gelegenheit war günstig: Den König beseitigen und die Macht über die Spezies ergreifen.
Die Gelegenheit war indiskutabel: Einen anständigen Mann töten, der ein guter Anführer und... irgendwie auch ein Freund war.
»... und wir könnten wählen, wer die Führung übernimmt. Er müsste sich vor dem Rat verantworten. Sicherstellen, dass man unseren Bedürfnissen entgegenkommt.« Montrag kehrte zu seinem Sofa zurück, setzte sich und machte es sich bequem, als könnte er noch stundenlang heiße Luft von sich geben. »Die Monarchie hat versagt, und Demokratie ist der einzige Ausweg -«
Rehv unterbrach: »Demokratie bedeutet normalerweise ein Wahlrecht für alle. Nur für den Fall, dass dir die Definition nicht geläufig ist.«
»Aber das hätten wir doch. Alle, die dem Rat dienen, wären stimmberechtigt. Jeder würde zählen.«
»Zu deiner Information, ›jeder‹ bedeutet ein paar mehr Leute über und unter ›unseresgleichen‹.«
Sei nicht albern, las Rehv in Montrags Augen. »Würdest du das Schicksal unserer Spezies allen Ernstes der Unterschicht anvertrauen?«
»Das liegt nicht bei mir.«
»Aber das könnte es.« Montrag hob seine Tasse an die Lippen und musterte Rehv durchdringend über den Rand hinweg. »Das könnte es wirklich. Du bist unser Leahdyre.«
Als Rehvenge den Blick seines Gegenüber erwiderte, lag der Weg, den Montrag wies, so klar vor ihm, als wäre er gepflastert und von Halogenspots angestrahlt: Mit Wraths Tod wäre die königliche Linie unterbrochen, denn er hatte noch keine Nachkommen in die Welt gesetzt. Eine Gesellschaft im Kriegszustand konnte kein Machtvakuum gebrauchen, also wäre ein radikaler Wandel von der Monarchie zur »Demokratie« nicht so unvorstellbar wie zu ruhigeren Friedenszeiten.
Die Glymera weilte vielleicht nicht mehr in Caldwell und versteckte sich in sicheren Häusern in Neuengland, doch dieser Haufen von verweichlichten Pennern hatte Geld und Einfluss und strebte schon seit Ewigkeiten nach der Macht. Mit dem jetzt vorgelegten Plan konnten sie ihren Absichten den Anstrich von Demokratie verleihen und so tun, als seien sie um das Wohl der einfachen Leute bemüht.
Rehvs dunkle Natur bäumte sich auf, ein Verbrecher, der sich gegen die Gitter seiner Zelle warf. Blendung und Machtspielchen waren eine Leidenschaft für Artgenossen vom Blut seines Vaters; und ein Teil von ihm wollte dieses Machtvakuum schaffen... und es dann selbst ausfüllen.
Er unterbrach Montrags selbstgefälliges Geseiere. »Erspar mir die Propaganda. Was genau schlägst du vor?«
Umständlich stellte Montrag seine Teetasse ab, als müsste er sich die Worte erst zurechtlegen. Sollte er nur. Rehv hätte darauf gewettet, dass der Kerl seine Antwort längst parat hatte. Einen derartigen Plan fasste man nicht eben mal spontan, und außerdem waren noch andere daran beteiligt. Mussten es sein.
»Wie du ja weißt, kommt der Rat in ein paar Tagen in Caldwell zusammen, eigens für eine Audienz beim König. Wrath wird kommen und... einem tödlichen Zwischenfall zum Opfer fallen.«
»Er ist mit der Bruderschaft unterwegs. Nicht gerade leicht, da an ihn heranzukommen.«
»Der Tod trägt viele Masken. Und tritt auf vielen Bühnen auf.«
»Und meine Rolle wäre...?« Als ob er das nicht wüsste.
Montrags blasse Augen waren wie Eis, leuchtend und kalt. »Ich weiß, was du bist. Deshalb weiß ich auch, zu was du fähig bist.«
Das war keine Überraschung. Rehv war seit fünfundzwanzig Jahren Drogenbaron. Zwar hatte er seinen Beruf der Aristokratie nicht extra vorgestellt, aber auch Vampire verkehrten regelmäßig in seinen Clubs, und viele von ihnen gehörten zu seinen Abnehmern.
Außer den Brüdern wusste niemand von seinem Symphathen anteil - und hätte er die Wahl, wüssten auch sie nichts davon. In den letzten zwei Jahrzehnten hatte er seine Erpresserin gut bezahlt, damit sie sein Geheimnis für sich behielt.
»Aus diesem Grund komme ich zu dir«, erklärte Montrag. »Du weißt, wie man so etwas am besten macht.«
»Das stimmt.«
»Als Leahdyre des Rates wärst du in einer enormen Machtposition. Selbst wenn du nicht zum Präsidenten gewählt wirst, kann der Rat ohne dich nichts entscheiden. Und bezüglich der Bruderschaft der Black Dagger kann ich dich beruhigen: Ich weiß, dass sich deine Schwester mit einem der Brüder verbunden hat. Die Brüder werden sich dadurch nicht beeinflussen lassen.«
»Meinst du nicht, sie wären angepisst? Wrath ist nicht nur ihr König. Sie teilen ihr Blut mit ihm.«
»Sie sind für den Schutz unseres Volkes verantwortlich. Egal, wie wir uns entscheiden, sie müssen sich fügen. Und zurzeit werden vielerorts Stimmen laut, die mit ihren Leistungen nicht zufrieden sind. Vielleicht brauchen sie eine bessere Führung.«
»Von dir. Klar. Natürlich.«
Das wäre, als würde ein Innenarchitekt versuchen, einen Panzerzug zu befehligen: Es gäbe ein lautes Pfeifkonzert, bis einer der Soldaten das Leichtgewicht niedermähen und ein paarmal über die Überreste fahren würde.
Super Plan. Ganz toll.
Und doch... wer sagte, dass Montrag der Auserwählte sein würde? Nicht nur Könige verunglückten, manchmal erwischte es auch andere Aristokraten.
»Es ist«, fuhr Montrag fort, »wie mein Vater immer zu sagen pflegte, eine Frage des richtigen Zeitpunkts. Wir müssen mit Eile vorgehen. Können wir uns auf dich verlassen, mein Freund?«
Rehv erhob sich und überragte nun sein Gegenüber. Mit einem schnellen Zupfen an den Jackettaufschlägen brachte er seinen Anzug in Ordnung, dann griff er nach seinem Stock. Sein Körper war völlig taub, und er spürte weder die Kleidung auf der Haut noch wie sich das Gewicht von seinem Hintern auf die Füße verlagerte oder den Griff des Stocks in seiner verbrühten Hand. Die Taubheit war eine Nebenwirkung des Medikaments, mit dem er seine böse Seite in Schach hielt, das Gefängnis, in dem er seine psychopathischen Impulse einsperrte.
Doch er musste nur eine Dosis verpassen, und schon wäre er ganz der Alte. Eine Stunde später flammte das Böse in ihm auf und steckte voller Unternehmungsgeist.
»Also, was sagst du?«, drängte Montrag.
Tja, was sollte er sagen?
Es gibt Situationen im Leben, da schält sich aus den Myriaden von banalen Entscheidungen, was man essen, wo man schlafen und wie man sich anziehen soll, eine echte Wegscheide. In diesen Momenten, wenn sich der Nebel der Belanglosigkeit hebt und das Schicksal eine Entscheidung des freien Willens verlangt, gibt es nur rechts oder links – und keine Möglichkeit, in das Gebüsch zwischen den Straßen zu fahren, kein Verhandeln mit der Wahl, vor die man gestellt wird. Man muss sich der Entscheidung stellen. Und es gibt kein Zurück.
Dummerweise hatte Rehv sich erst antrainieren müssen, nach moralischen Gesichtspunkten zu entscheiden, um sich bei den Vampiren einzugliedern. Er hatte seine Lektion gelernt, aber es gab Grenzen.
Und seine medikamentöse Ruhigstellung funktionierte nicht hundertprozentig.
Auf einmal wurde Montrags blasses Gesicht in diverse Rosatöne getaucht, sein braunes Haar färbte sich dunkelrot und sein Jackett nahm die Farbe von Ketchup an. Als Rehvs Umgebung ins Rote kippte, verlor er jegliche räumliche Wahrnehmung, so dass seine Welt zur Kinoleinwand mutierte.
Was vielleicht erklärt, warum es den Symphathen so leicht fiel, Leute zu benutzen. Als seine dunkle Seite das Ruder übernahm, hatte das Universum die Tiefe eines Schachbretts, und die Leute darauf waren Bauern in seiner allwissenden Hand. Jeder von ihnen. Feinde... wie Freunde.
»Ich werde mich darum kümmern«, erklärte Rehv. »Wie du schon sagtest, ich weiß, was zu tun ist.«
»Gib mir dein Wort.« Montrag streckte ihm die glatte Hand entgegen. »Dein Wort, dass du es heimlich und diskret ausführst.«
Rehv ließ die Hand im Wind hängen, aber er lächelte und entblößte einmal mehr seine Fänge. »Verlass dich ganz auf mich.«
2
Als Wrath, Sohn des Wrath, eine Gasse in der Innenstadt von Caldwell entlang hetzte, blutete er aus zwei Wunden. Ein Schnitt klaffte an seiner linken Schulter, von einer gezackten Schneide verursacht, und aus seinem Oberschenkel fehlte ein Stück, dank der rostigen Ecke eines Müllcontainers. Der Lesser vor ihm, den er wie einen Fisch ausnehmen würde, war für keine dieser Verletzungen verantwortlich: Die zwei hellhaarigen, mädchenhaft riechenden Kumpane des Arschlochs hatten ihn so zugerichtet.
Kurz bevor er sie in zwei Kompostsäcke verwandelt hatte, dreihundert Meter und drei Minuten vorher.
Der Bastard vor ihm war das eigentliche Ziel.
Der Jäger rannte wie verrückt, aber Wrath war schneller – nicht, weil seine Beine länger waren, und obwohl er undicht war wie ein verrosteter Kanister.
Es gab keinen Zweifel, dass der dritte Mann sterben würde.
Es war eine Frage des Willens.
Der Lesser hatte heute Nacht den falschen Weg eingeschlagen – obgleich nicht bei der Wahl dieser Gasse. Das war vielleicht die einzig richtige und gute Wahl, die dieser Untote seit Jahrzehnten getroffen hatte, denn Abgeschiedenheit war entscheidend für einen Kampf. Das Letzte, was die Bruderschaft und die Gesellschaft der Lesser brauchten, war die Einmischung der menschlichen Polizei oder Zeugen, die mehr als eine blutige Nase von diesen Kämpfen mitbekamen.
Nein, dieser Hund hatte seinen Untergang besiegelt, als er vor fünfzehn Minuten einen Zivilisten getötet hatte. Mit einem Lächeln im Gesicht. Vor Wraths Augen.
Der König war dem Geruch von frischem Vampirblut gefolgt und hatte die drei Jäger dabei ertappt, wie sie einen seiner Zivilisten entführen wollten. Sie hatten eindeutig erkannt, dass Wrath zumindest ein Mitglied der Bruderschaft war, denn der Lesser, der jetzt vor ihm wegrannte, hatte den Vampir getötet, damit er und seine Kumpane die Hände frei hatten und sich ganz auf den Kampf konzentrieren konnten.
Es war traurig. Wraths Erscheinen hatte dem Zivilisten einen langsamen, grausamen Foltertod in einem der Überzeugungszentren der Gesellschaft erspart. Aber es zerriss Wrath das Herz, zu sehen, wie ein zu Tode verängstigter Unschuldiger aufgeschlitzt und wie eine leere Brotzeitdose auf den eisigen, aufgeplatzten Gehsteig geworfen wurde.
Also musste dieses Arschloch vor ihm sterben.
Auge um Auge und noch eins drauf.
Als der Weg in einer Sackgasse endete, vollführte der Lesser eine Pirouette und drehte sich kampfbereit um, die Füße fest am Boden, das Messer gehoben. Wrath bremste nicht ab. Im Laufen holte er einen seiner Wurfsterne heraus und schickte ihn mit einem Schwung aus dem Handgelenk auf die Reise, ein kleines bisschen überheblich.
Manchmal wollte man, dass der Gegner wusste, was auf ihn zukam. Der Lesser folgte brav der Choreographie, verlagerte sein Gewicht und musste seine Angriffshaltung aufgeben. Als Wrath die letzten Meter überwand, warf er einen zweiten Hira Shuriken und dann noch einen dritten, so dass sich der Lesser ducken musste.
Der Blinde König dematerialisierte sich direkt auf den Mistkerl und attackierte ihn von oben, die Fänge entblößt, um sie in den Nacken seines Gegners zu rammen. Die beißende Süße des Lesserbluts war der Geschmack des Triumphs, und der Siegerchor ließ nicht lange auf sich warten, als Wrath die Oberarme des Mistkerls ergriff.
Es krachte. Zweimal.
Der Lesser schrie, als beide Schultern ausgerenkt wurden, doch der Schrei drang nicht weit, weil Wrath ihm die Hand auf den Mund presste.
»Das war nur zum Aufwärmen«, zischte Wrath. »Es ist wichtig, sich vor dem Training zu lockern.«
Der König warf den Jäger zu Boden und starrte ihn einen Moment lang an. Hinter der Panoramasonnenbrille waren Wraths schwache Augen stärker als gewöhnlich, weil Adrenalin durch seine Adern schoss und seine Sicht schärfte. Was gut war. Er musste sehen, was er tötete, aber das hatte nichts damit zu tun, dass er sich der Genauigkeit eines tödlichen Schlags vergewissern musste.
Als der Lessernach Luft schnappte, glänzte seine Gesichtshaut unwirklich wie Plastik - als hätte man die Schädelstruktur mit dem Zeug ausgepolstert, aus dem man Getreidesäcke machte – und die Augen traten hervor. Die Kreatur stank süßlich wie ein überfahrenes Tier am Straßenrand in einer heißen Nacht.
Wrath löste die Stahlkette, die unter der Achsel seiner Lederjacke hing, und entrollte die glänzenden Glieder. Dann hielt er die schweren Gewichte in der rechten Hand, umwickelte seine Faust damit und verbreiterte so die harte Kontur der Knöchel.
»Bitte lächeln.«
Wrath schlug dem Jäger aufs Auge. Einmal. Zweimal. Dreimal. Seine Faust war ein Rammbock, und die Augenhöhle gab schließlich nach wie eine Schwingtür. Mit jedem krachenden Schlag spritzte schwarzes Blut empor und benetzte Wraths Gesicht, die Jacke und die Sonnenbrille. Er spürte den Blutnebel, trotz all des Leders, das er trug, und er wollte mehr.
Bei einem solchen Festmahl konnte er nie genug bekommen.
Mit einem harten Lächeln ließ er die Kette von seiner Faust gleiten, und sie fiel mit einem klirrend metallischen Lachen auf den schmutzigen Asphalt, als hätte es ihr genauso viel Vergnügen bereitet wie ihm. Doch der Lesser unter ihm war nicht tot. Obwohl er ohne Zweifel heftige Hirnblutungen hatte, würde er überleben, denn es gab nur zwei Möglichkeiten, einen Jäger zu töten.
Eine davon war, dem Lesser einen der schwarzen Dolche in die Brust zu rammen, die die Brüder stets in einem Brusthalfter bei sich trugen. Damit schickte man die Biester zurück zu Omega, ihrem Schöpfer, aber das war nur eine vorübergehende Lösung, denn das Böse würde diese Essenz verwenden, um den nächsten Menschen in eine Mordmaschine zu verwandeln. Das war kein Tod, sondern ein Aufschub.
Die andere Möglichkeit war endgültig.
Wrath zog sein Handy heraus und wählte. Als sich eine tiefe Männerstimme mit Boston-Akzent meldete, sagte er: »Achte Ecke Trade Street. Drei weniger.«
Die Antwort von Butch O’Neal alias Dhestroyer, aus der Linie von Wrath, Sohn des Wrath, war wie immer zurückhaltend. Echt besonnen. Locker. Offen für Interpretation:
»Oh Mann, so eine Scheiße. Willst du mich verarschen? Wrath, du musst mit diesen Streifzügen aufhören. Du bist jetzt König. Du bist kein Bruder me-«
Wrath klappte das Handy zu.
Ganz genau. Die andere Möglichkeit, sich eines Lesser zu entledigen, die endgültige Lösung, würde in fünf Minuten hier sein. Zusammen mit seiner übergroßen Klappe, leider.
Wrath ließ sich auf die Hacken zurücksinken, rollte die Kette wieder ein und blickte zu dem Quadrat Nachthimmel auf, das zwischen den Häuserdächern sichtbar war. Jetzt, wo sich das Adrenalin verflüchtigte, konnte er gerade noch die dunkel aufstrebende Masse der Gebäude vor dem flächigen Universum ausmachen, und er kniff die Augen zusammen.
Du bist kein Bruder mehr.
Den Teufel auch war er das nicht. Das Gesetz konnte ihn mal. Sein Volk brauchte ihn nicht nur als Schreibtischhengst.
Mit einem Fluch in der Alten Sprache machte er sich wieder an die Routinearbeit und durchsuchte Jacke und Hose des Jägers nach irgendeiner Form von Ausweis. In einer Gesäßtasche fand er ein dünnes Portemonnaie mit einem Führerschein und zwei Dollar -
»Ihr hieltet... ihn für einen von euch...«
Die Stimme des Jägers war durchdringend und heimtückisch, und der Horrorfilm-Sound löste bei Wrath erneut Aggressionen aus. Auf einmal sah er wieder klarer und konnte seinen Feind halbwegs erkennen.
»Was hast du gesagt?«
Der Lesser lächelte leicht und schien nicht zu bemerken, dass die Hälfte seines Gesichts die Konsistenz eines glibberigen Omelettes hatte. »Er war immer... einer von uns.«
»Wovon redest du?«
»Wie... glaubst du wohl« – der Lesser holte rasselnd Atem, »haben wir im Sommer... die ganzen Häuser... gefunden -«
Die Ankunft eines Autos schnitt die Worte ab, und Wrath fuhr herum. Der Hölle sei gedankt war es der schwarze Escalade, auf den er gehofft hatte, und nicht irgendein Mensch mit einem Handy im Anschlag, auf dem schon der Notruf angewählt wurde.
Butch O’Neal kletterte hinter dem Lenkrad hervor, die Kiefer heftig mahlend: »Hast du den Verstand verloren? Was sollen wir bloß mit dir machen? Du wirst noch...«
Während der Ex-Bulle weiter fluchte, wandte sich Wrath wieder dem Jäger zu. »Wie habt ihr sie gefunden? Die Häuser?«
Der Jäger fing an zu lachen, mit dem schwächlichen Röcheln eines Geisteskranken. »Weil er in allen gewesen ist... ganz einfach.«
Der Bastard verlor das Bewusstsein und ließ sich durch Schütteln nicht mehr wecken. Auch zwei Ohrfeigen brachten nichts.
Frustriert richtete sich Wrath auf. »Mach deine Arbeit, Bulle. Die anderen beiden liegen hinter dem Container, einen Block weiter.«
Der Ex-Cop sah ihn einfach nur an. »Du darfst nicht kämpfen.«
»Ich bin der König. Ich kann tun, was ich will.«
Wrath wollte gehen, aber Butch packte ihn am Arm. »Weiß Beth, wo du bist? Was du tust? Erzählst du es ihr? Oder bittest du nur mich, es geheim zu halten?«
»Kümmere dich darum.« Wrath deutete auf den Jäger. »Nicht um mich und meine Shellan.«
Als er sich losriss, blaffte Butch: »Wo gehst du hin?«
Wrath baute sich vor Butch auf, so dass sich ihre Gesichter fast berührten. »Ich dachte, ich sammele den toten Zivilisten auf und bringe ihn zum Escalade. Irgendein Problem damit, Sohn?«
Butch wich keinen Millimeter zurück. Ein weiterer Hinweis darauf, dass er vom gleichen Blut war. »Wenn wir dich als König verlieren, ist das ganze Volk am Arsch.«
»Und wir haben noch vier Brüder im Gefecht. Gefällt dir diese Rechnung? Mir nämlich nicht.«
»Aber -«
»Mach dein Ding, Butch. Und halte dich aus meinem raus.«
Wrath stapfte die dreihundert Meter zurück zum Anfangspunkt des Kampfes. Die besiegten Jäger hatten sich nicht vom Fleck gerührt: Sie lagen stöhnend am Boden, Arme und Beine standen in unnatürlichen Winkeln ab, und ihr schwarzes Blut sickerte in schmutzigen Bächen unter ihren Leibern hervor. Doch mit ihnen hatte Wrath nichts mehr zu schaffen. Er ging um den Container herum. Als er seinen toten Zivilisten sah, schnürte es ihm die Kehle zu. Der König kniete nieder und strich ihm vorsichtig das Haar aus dem zertrümmerten Gesicht. Ganz offensichtlich hatte sich der Kerl zur Wehr gesetzt und eine Reihe von Schlägen eingesteckt, bevor man ihm das Herz durchstoßen hatte. Tapferer Junge.
Wrath langte unter seinen Nacken und schob den anderen Arm unter seine Knie, dann stand er langsam auf. Das Gewicht des Toten wog schwerer als die Pfunde auf seinen Knochen. Als er den Container hinter sich ließ und zurück zum Escalade ging, war es Wrath, als trüge er sein ganzes Volk im Arm, und er war dankbar für die Sonnenbrille, die er zum Schutz seiner schwachen Augen trug.
Sie verbarg die schimmernden Tränen.
Er ging an Butch vorbei, der zu den niedergestreckten Jägern joggte, um seine Arbeit zu erledigen. Als die Schritte Halt machten, hörte Wrath ein langes, tiefes Luftholen, wie das Zischen eines Ballons, aus dem langsam die Luft entweicht. Das Würgen, das folgte, war viel lauter.
Während sich das Saugen und Würgen wiederholte, legte Wrath den Toten in den Kofferraum des Escalade und durchsuchte seine Taschen. Nichts... kein Geldbeutel, kein Handy, nicht einmal ein Kaugummipapier.
»Verdammt« Wrath wandte sich um und setzte sich auf die hintere Stoßstange des SUV. Einer der Lesser hatte ihn bereits während des Kampfes ausgenommen... und nachdem die Jäger soeben inhaliert wurden, war auch der Ausweis des Zivilisten Geschichte.
Als Butch durch die Gasse auf den Escalade zugewankt kam, sah er aus wie ein Alkie auf Sauftour und roch auch nicht mehr nach Acqua di Parma. Er stank nach Lesser, als hätte er sich mit 4711 übergossen, ein paar Vanille-Wunderbäume unter die Achseln geklebt und sich dann in totem Fisch gewälzt.
Wrath stand auf und schloss den Kofferraum.
»Bist du sicher, dass du fahren kannst?«, fragte er, als Butch sich vorsichtig hinter das Steuer setzte und aussah, als würde er im nächsten Moment kotzen.
»Ja. Müssen los.«
Wrath schüttelte den Kopf, als er die raue Stimme hörte, und blickte sich um. Es gingen keine Fenster auf die Gasse, und es würde nicht lange dauern, Vishous sofort kommen zu lassen, um Butch zu heilen, aber zwischen dem Kampf und dem Aufräumen war eine Menge in der letzten halben Stunde losgewesen. Sie mussten hier verschwinden.
Eigentlich hatte Wrath geplant, den Ausweis des Jägers mit dem Handy zu fotografieren und so weit zu vergrößern, bis er die Adresse lesen konnte, um sich die Kanope des Mistkerls zu schnappen. Aber er konnte Butch jetzt nicht alleine lassen.
Der Bulle schien überrascht, als Wrath sich auf den Beifahrersitz setzte. »Was machst -«
»Wir bringen den Toten in die Klinik. V kann dort hinkommen und sich um dich kümmern.«
»Wrath -«
»Lass uns unterwegs streiten, okay, Cousin?«
Butch legte den Rückwärtsgang ein, stieß aus der Gasse heraus und wendete an der ersten Kreuzung. Dann bog er links auf die Trade Street ein und fuhr in Richtung der Brücken, die über den Hudson River führten. Seine Hände umklammerten das Steuer – nicht, weil er sich fürchtete, sondern weil er gegen den Brechreiz ankämpfen musste.
»Ich kann nicht weiter so lügen«, murmelte Butch, als sie das andere Ende von Caldwell erreichten. Ein leichtes Würgen wurde mit einem Hüsteln kaschiert.
»Doch, das kannst du.«
Der Ex-Cop warf ihm einen Blick zu. »Das macht mich fertig. Beth muss es erfahren.«
»Ich will nicht, dass sie sich Sorgen macht.«
»Das verstehe ich -« Butch röchelte. »Moment.«
Der Bulle fuhr an den vereisten Randstein, stieß die Tür auf und würgte, als würde sich sein gesamter Magen umstülpen.
Wrath ließ den Kopf gegen die Nackenlehne sinken. Hinter seinen geschlossenen Lidern breitete sich Schmerz aus. Das war keine Überraschung. In letzter Zeit wurde er von Migräne heimgesucht wie Allergiker von Niesanfällen.
Butch griff hinter sich und tastete auf der Mittelkonsole herum, während er den Oberkörper aus dem Auto gelehnt ließ.
»Suchst du das Wasser?«
»J-« Ein Würgen schnitt ihm das Wort ab.
Wrath nahm eine Wasserflasche, drehte sie auf und drückte sie Butch in die Hand.
Als das Gekotze kurz aufhörte, spülte der Bulle etwas Wasser herunter, aber das Zeug blieb nicht lange in seinem Magen.
Wrath nahm sein Handy. »Ich rufe V an.«
»Gib mir eine Minute.«
Es dauerte über zehn, doch schließlich zog sich der Bulle wieder zurück ins Auto und fuhr weiter. Ein paar Meilen lang schwiegen sie, während Wraths Hirn auf Hochtouren lief und die Kopfschmerzen immer schlimmer wurden.
Du bist kein Bruder mehr.
Du bist kein Bruder mehr.
Aber er musste einer sein. Sein Volk brauchte ihn.
Er räusperte sich. »Wenn V zur Leichenhalle kommt, sagst du ihm, du hättest den toten Zivilisten gefunden und den Lessern die Spezialbehandlung verabreicht.«
»Er wird fragen, warum du dort bist.«
»Wir sagen, ich hätte mich einen Block weiter im ZeroSum mit Rehvenge getroffen und hätte gespürt, dass du Hilfe brauchst.« Wrath beugte sich zu Butch und ergriff seinen Unterarm. »Niemand wird davon erfahren, verstanden?«
»Das gefällt mir nicht. Das gefällt mir absolut nicht.«
»Unsinn.«
Während sie wieder in Schweigen versanken, zuckte Wrath beim Licht jedes entgegenkommenden Autos zusammen, trotz geschlossener Lider und Sonnenbrille. Um den blendenden Scheinwerfern zu entgehen, drehte er den Kopf zur Seite und tat, als würde er aus dem Fenster blicken.
»V weiß, dass etwas los ist«, murmelte Butch nach einer Weile.
»Lass ihn spekulieren.«
»Was, wenn du verletzt wirst?«
Wrath bedeckte sein Gesicht mit dem Arm, in der Hoffnung, sich auf diese Art vor den verdammten Scheinwerfern zu schützen. Mann, jetzt wurde auch noch ihm schlecht.
»Ich werde nicht verletzt. Keine Sorge.«
3
»Bereit für deinen Saft, Vater?«
Als keine Antwort kam, hielt Ehlena, Tochter des Alyne, im Knöpfen ihrer Uniform inne. »Vater?«
Durch den Gang drangen die lieblichen Töne von Chopin, das Schlurfen von Pantoffeln auf Dielenbrettern und ein sanfter Wasserfall von Worten, wie ein Kartenspiel, das gemischt wird.
Das war gut. Er war alleine aufgestanden.
Ehlena strich ihr Haar zurück, drehte es zu einem Knoten und befestigte diesen mit einem weißen Haargummi an ihrem Hinterkopf. Nach der Hälfte ihrer Schicht würde sie den Knoten erneuern müssen. Havers, der Arzt, verlangte, dass seine Krankenschwestern genauso gebügelt, gestärkt und ordentlich wirkten wie der Rest seiner Klinik.
Die Einhaltung des Standards, sagte er immer, war entscheidend.
Auf dem Weg aus ihrem Zimmer schnappte sie sich eine schwarze Umhängetasche, die sie bei Target ergattert hatte. Für neunzehn Dollar. Geschenkt. Darin befanden sich der kurze Rock und das Poloshirt-Imitat, das sie ungefähr zwei Stunden vor Dämmerung anziehen würde.
Ein Date. Sie hatte tatsächlich ein Date.
Sie folgte dem Weg nach oben über einen Treppenabsatz in die Küche. Ihr erster Gang führte sie zu dem altmodischen Kühlschrank. Darin standen achtzehn Fläschchen CranRaspberry-Saft in drei Reihen zu je sechs Stück. Sie nahm eines von vorne, dann verschob sie die anderen vorsichtig, bis sie wieder eine ordentliche Reihe bildeten.
Die Tabletten waren hinter einem staubigen Stapel von Kochbüchern versteckt. Sie nahm eine Trifluoperazine und zwei Loxapine und warf sie in einen weißen Becher. Der metallene Teelöffel, mit dem sie die Tabletten zerstieß, war leicht gebogen, so wie alle anderen.
Seit fast zwei Jahren zerstieß sie nun schon Tabletten auf diese Weise.
Der CranRasberry-Saft traf auf das feine weiße Pulver und wirbelte es fort. Um sicherzugehen, dass der Geschmack übertüncht wurde, gab Ehlena noch zwei Eiswürfel in den Becher. Je kälter, desto besser.
»Vater, dein Saft ist fertig.« Sie stellte den Becher auf den kleinen Tisch, genau auf einen Kreis aus Markierband, der den Standpunkt anzeigte.
Die sechs Schränke auf der anderen Seite waren genauso ordentlich und ähnlich leer wie der Kühlschrank. Aus einem holte sie jetzt eine Schachtel Cornflakes, eine Schüssel aus einem anderen. Dann schüttete sie ein paar Flocken in ihre Schüssel, übergoss sie mit Milch und stellte den Milchkarton umgehend dorthin zurück, wo er hingehörte. Neben zwei weitere Milchkartons, Etikett nach vorne.
Ehlena sah auf die Uhr und wechselte in die Alte Sprache: »Vater ich muss bald gehen.«
Die Sonne war untergegangen und das bedeutete, dass sie bald zu ihrer Schicht musste, die fünfzehn Minuten nach Einbruch der Dunkelheit begann.
Sie blickte zum Fenster über der Spüle, obwohl sie dadurch nicht erfuhr, wie dunkel es schon war. Die Scheiben waren mit sich überlappenden Streifen von Alufolie bedeckt, die mit Gewebeband an die Rahmen geklebt waren.
Selbst wenn sie und ihr Vater keine Vampire gewesen wären und Tageslicht vertragen hätten, wäre diese Verdunkelung aller Fenster im Haus nötig gewesen: Sie war der Deckel, der den Rest der Welt aussperrte, sie behütete, so dass dieses schäbige kleine Miethaus geschützt und isoliert war... vor Bedrohungen, die nur ihr Vater spürte.
Als sie mit dem Frühstück fertig war, wusch und trocknete sie ihre Schüssel mit Papierservietten, weil Schwämme und Geschirrtücher nicht erlaubt waren, und räumte Schale und Löffel an ihre Plätze.
»Vater,?«
Sie lehnte sich an die zerschrammte Plastikarbeitsfläche neben der Spüle, wartete und versuchte, nicht zu genau auf die ausgeblichenen Tapeten oder den Linoleumboden mit seinen diversen Gebrauchsspuren zu achten.
Das Haus war kaum mehr als eine Bruchbude, aber etwas anderes konnte sie sich einfach nicht leisten. Die Arztbesuche, Medikamente und Schwesternbetreuung ihres Vaters verschlangen den größten Teil ihres Einkommens, und das bisschen, was ihnen vom Familienerbe übrig geblieben war, das Geld, Silber, die Antiquitäten und der Schmuck, war längst verbraucht.
Sie konnten sich kaum über Wasser halten.
Und doch, als ihr Vater in der Kellertür erschien, musste sie lächeln. Sein feines graues Haar stand vom Kopf ab, ein Heiligenschein aus Daunen, der ihn wie Beethoven aussehen ließ, und seine überaufmerksamen, etwas panischen Augen verliehen ihm zusätzlich den Ausdruck eines verrückten Genies. Dennoch schien es ihm besser zu gehen als seit langer Zeit. Zum einen hatte er seinen abgetragenen Satin-Morgenmantel und den Seidenschlafanzug richtig an – alles war nach vorne ausgerichtet, Unter- und Oberteil passten zusammen, und die Schärpe war zugebunden. Auch war er sauber, frisch gebadet und roch nach Aftershave.
Es war so ein Widerspruch: Seine Umgebung musste tadellos und penibel geordnet sein, doch seine Körperhygiene und Garderobe war überhaupt kein Thema. Obwohl es vielleicht logisch war. Gefangen in seinen verworrenen Gedanken war er zu sehr von seinen Illusionen abgelenkt, um sich seiner selbst bewusst zu sein.
Doch die Medikamente zeigten Wirkung. Das merkte man, als seine Augen ihre trafen, und er Ehlena tatsächlich wahrnahm.
»Geliebte Tochter«, sagte er in der Alten Sprache. »Wie geht es dir heute Nacht?«
Sie antwortete auf seine bevorzugte Art, in der Muttersprache. »Gut, mein Vater. Und dir?«
Er verbeugte sich mit der Anmut des Aristokraten, der er von Geburt her gewesen war. »Dein Anblick ist wie immer eine Freude. Ah, ja, die Doggen hat mir den Saft bereitgestellt. Wie aufmerksam von ihr.«
Ihr Vater setzte sich mit einem Rascheln seiner Kleidung und hob den Keramikbecher an, als wäre es feinstes englisches Porzellan. »Wohin des Weges?«
»Zur Arbeit. Ich gehe zur Arbeit.«
Ihr Vater verzog das Gesicht, während er nippte. »Du weißt sehr wohl, dass ich deine Beschäftigung außer Haus nicht gutheiße. Eine Dame von Stand sollte ihre Stunden nicht auf dieses Weise füllen.«
»Ich weiß, mein Vater. Aber es macht mich glücklich.«
Sein Ausdruck wurde weicher. »Nun, dann ist es etwas anderes. Ich verstehe die junge Generation zwar nicht mehr, aber sei es drum. Deine Mutter leitete den Haushalt und kümmerte sich um die Dienerschaft und die Gärten, und das war mehr als genug, um sie allnächtlich zu beschäftigen.«
Ehlena senkte den Blick und dachte, dass ihre Mutter weinen würde, wenn sie sie so sähe. »Ich weiß.«
»Doch du sollst deinen Neigungen folgen, und ich werde dich dafür nur umso mehr lieben.«
Sie lächelte bei diesen Worten, die sie schon ihr Leben lang hörte. Und wo sie schon dabei waren...
»Vater?«
Er ließ den Becher sinken. »ja?«
»Ich werde heute etwas später heimkommen.«
»Tatsächlich? Warum?«
»Ich trinke Kaffee mit einem Mann -«
»Was ist das?«
Der veränderte Tonfall ließ sie aufhorchen. Sie sah sich um, was ihn verursacht – Oh nein...
»Nichts, Vater, wirklich, es ist nichts.« Schnell ging sie zu dem Löffel, mit dem sie die Tabletten zerstoßen hatte, und eilte damit zur Spüle, als hätte sie sich verbrannt und bräuchte dringend kaltes Wasser.
Die Stimme ihres Vaters zitterte. »Was... was hatte dieses Ding dort zu suchen? Ich-«
Ehlena trocknete den Löffel hastig ab und ließ ihn in die Schublade gleiten. »Siehst du? Schon weg. Siehst du?« Sie deutete auf die Stelle, wo er gelegen hatte. »Die Arbeitsfläche ist sauber. Dort ist nichts.«
»Es war da... Ich habe es gesehen. Metallobjekte dürfen nicht offen herumliegen... das ist gefährlich... Wer... wer hat ihn liegengelassen? Wer hat diesen Löffel liegengelassen-«
»Unser Dienstmädchen.«
»Das Dienstmädchen! Schon wieder! Sie muss entlassen werden. Ich habe es ihr gesagt - Metall darf nicht offen herumliegen Metall darf nicht offen herumliegen Metall darf nicht offen herumliegensie-beobachten-uns-undsiewerdenjenebestrafendiesichwidersetzensies indnäheralswirahnenund-«
Am Anfang, bei den ersten Anfällen ihres Vaters, war Ehlena zu ihm gegangen, wenn er sich aufregte, weil sie glaubte, eine Berührung an der Schulter oder eine tröstende Hand, die seine hielt, würde ihm helfen. Mittlerweile wusste sie es besser: Je weniger Reize sein Hirn empfing, desto schneller legte sich die Hysterie. Auf Anraten seiner Krankenschwester hin zeigte Ehlena ihm einmal die Realität und verhielt sich dann ruhig und reglos.
Doch es war nicht einfach zuzusehen, wie er litt, und ihm nicht helfen zu können. Insbesondere, wenn es ihre Schuld war.
Der Kopf ihres Vaters wippte vor und zurück, die Erregung stellte sein Haar zu einer Gruselperücke von Krauslocken auf, während der rote Saft in seiner zitternden Hand aus dem Becher schwappte und sich auf die venendurchzogene Hand, den Ärmel seines Morgenmantels und den wackeligen Pressspantisch ergoss. Mit bebenden Lippen presste er das Stakkato der Silben hervor, als sich seine innere Schallplatte immer schneller drehte und der Strom der Worte in seinem Hals aufstieg und in den Wangen brannte.
Ehlena betete, dass es kein schlimmer Anfall war. Die Anfälle waren unterschiedlich stark und lang, und die Medikamente wirkten dagegen an. Doch manchmal gewann die Krankheit gegen den chemischen Cocktail.
Während sich die Worte ihres Vaters immer häufiger überschlugen und unverständlich wurden und der Becher zu Boden fiel, konnte Ehlena nur abwarten und zur Jungfrau der Schrift beten, dass es bald vorüber wäre. Sie zwang sich, die Füße nicht auf dem schäbigen Linoleum zu bewegen, schloss die Augen und schlang die Arme um sich.
Hätte sie doch nur daran gedacht, den Löffel wegzuräumen. Hätte sie doch nur -
Als der Stuhl ihres Vaters zurückgeschoben wurde und krachend umkippte, wusste sie, dass sie zu spät zur Arbeit kommen würde. Mal wieder.
 
Menschen waren wirklich wie eine Rinderherde, dachte Xhex, als sie über die Köpfe und Schultern blickte, die sich dicht um die Bar im ZeroSum drängten.
Es war, als hätte der Farmer gerade den Trog gefüllt und das Milchvieh drängte nun herbei und kämpfte um die besten Plätze.
Nicht dass die Einfältigkeit des Homo sapiens etwas Schlechtes wäre. Die Herde war leicht unter Kontrolle zu behalten, unter Sicherheitsaspekten betrachtet, und in gewisser Weise konnte man sich von ihnen ernähren wie von Rindern: Dieser Run auf die Flaschen war ein einziges Melken von Geldbeuteln, wobei der Segen nur in eine Richtung floss – in die Kasse.
Sprit brachte eine ordentliche Summe ein. Aber bei Drogen und Sex lagen die Margen noch viel höher.
Xhex ging langsam um die Bar herum und dämpfte die heißblütigen Spekulationen heterosexueller Männer und homosexueller Frauen mit harten Blicken. Mann, sie verstand es einfach nicht. Hatte es noch nie verstanden. Für eine Frau, die nichts als Muskelshirts und Leder trug und das Haar militärisch kurz hielt, zog sie viel Aufmerksamkeit auf sich. So viel wie die halbnackten Professionellen in der VIP-Lounge.
Andererseits war harter Sex zurzeit einfach angesagt und Freiwillige für autoerotische Erstickung, Hintern versohlen und Fesselspielchen waren wie die Ratten in der Kanalisation von Caldwell: überall und nachtaktiv. Was monatlich in über einem Drittel der Einnahmen des Clubs resultierte.
Besten Dank.
Im Gegensatz zu den Prostituierten machte es Xhex nie für Geld. Eigentlich hatte sie gar nichts mit Sex am Hut. Außer mit Butch O’Neal, diesem Bullen. Naja, dem Cop und...
Xhex ging an die Samtkordel der VIP-Lounge und warf einen Blick in den Exklusivbereich des Clubs.
Verdammt. Er war da.
Das konnte sie heute Abend gar nicht brauchen.
Ihr Lieblingsobjekt feuchtheißer Tagträume saß im hinteren Teil am Tisch der Bruderschaft, eingekeilt zwischen seinen zwei Freunden, die ihn von den drei Mädels abschirmten, die sich auch auf der Polsterbank drängten. Verdammt, war er groß in dieser Nische, angerichtet in einem schwarzen Affliction-Shirt und schwarzer Lederjacke, halb Bikerstolz, halb kugelsichere Weste.
Darunter waren Waffen. Schusswaffen. Messer.
Wie sich die Dinge doch geändert hatten. Bei seinem ersten Besuch hier hatte er die Größe eines Barhockers gehabt und kaum genug Muskeln, um ein Rührstäbchen zu verbiegen. Doch das war jetzt anders.
Als sie dem Türsteher zunickte und die drei Stufen zum Ruhm erstieg, hob John den Blick von seinem Corona. Trotz des Schummerlichts glühten seine Augen, als er sie sah, und blitzten auf wie zwei Saphire.
Mann, sie suchte sich echt immer die Richtigen aus. Dieser Kerl hatte gerade erst seine Transition hinter sich. Der König war sein Whard. Er wohnte bei der Bruderschaft. Und er war verdammt noch mal stumm.
Himmel. Und sie hatte geglaubt, sich in Murhder zu verlieben wäre eine Schnapsidee gewesen? Man sollte meinen, dass sie ihre Lektion in zwei Jahrzehnten mit diesem Bruder gelernt hatte. Aber nein...
Das Ding war, wenn sie den Jungen ansah, sah sie ihn nackt auf dem Bett liegend, eine mächtige Erektion in der Hand, während seine Faust auf und ab flog... bis er ihren Namen in einem tonlosen Stöhnen ausstieß und über sein angespanntes Sixpack spritzte.
Das Fatale war, dass diese Vision nicht ihrer Fantasie entsprang. Diese Handarbeit hatte wirklich stattgefunden. Oft. Und woher sie das wusste? Weil sie, mieses Stück, das sie war, in seine Gedanken eingedrungen und auf diese lebhafte Erinnerung gestoßen war.
Angewidert von sich selbst hielt Xhex sich von ihm fern, ging weiter in die VIP-Lounge hinein und erkundigte sich bei der Chefin der Mädels nach dem Rechten.
Marie-Terese war eine Brünette mit großartigen Beinen und teurem Aussehen. Sie verdiente gut und arbeitete hoch professionell. Damit war sie eine Puffmutter, wie man sie sich nur wünschen konnte: Sie war nie in Zickenterror verwickelt, erschien immer rechtzeitig zu ihren Schichten und ließ ihre privaten Sorgen daheim. Sie war eine tolle Frau mit einem schrecklichen Job, die das Geld aus einem verdammt guten Grund zusammenraffte.
»Wie läuft es?«, fragte Xhex. »Brauchst du etwas von mir oder den Jungs?«
Marie-Terese ließ den Blick über die anderen Mädchen schweifen und ihre hohen Wangen fingen das schummrige Licht auf, so dass sie nicht nur verführerisch, sondern schlicht und ergreifend wunderschön aussah. »Bei uns ist im Moment alles in Ordnung. Zwei sind hinten. Bisher lief alles wie gewohnt, abgesehen davon, dass eines unserer Mädchen fehlt.«
Das Gesicht der Sicherheitschefin verfinsterte sich. »Chrissy schon wieder?«
Marie-Terese neigte den Kopf mit dem langen, schwarzen Prachtgeschmeide. »Wir müssen etwas wegen ihres Verehrers unternehmen.«
»Das haben wir schon, aber anscheinend nicht genug. Und wenn er ein Verehrer ist, bin ich Estee Lauder.« Xhex ballte die Hände zu Fäusten. »Dieser Mistkerl -«
»Chef«
Xhex blickte über die Schulter. Hinter dem Türsteher, der ihre Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen versuchte, erhaschte sie einen weiteren Blick auf John Matthew. Der sie immer noch anstarrte.
»Chef«
Xhex riss sich zusammen. »Was gibt’s?«
»Da ist ein Bulle, der dich sehen will.«
Sie ließ den Türsteher nicht aus den Augen. »Marie-Terese, sag den Mädels, dass sie zehn Minuten entspannen sollen.«
»Bin schon dabei.«
Marie-Terese war schnell, auch wenn es so wirkte, als würde sie müßig in ihren Stilettos herumschlendern. Sie ging zu den einzelnen Mädchen und tippte ihnen auf die linke Schulter, dann klopfte sie einmal an jede der Türen zu den privaten Toilettenräumen rechts im schummrigen Flur.
Während die Prostituierten aus der Lounge verschwanden, erkundigte sich Xhex: »Wer und warum?«
»Mordkommission.« Der Türsteher gab ihr eine Karte. »Hat sich als José de la Cruz vorgestellt.«
Xhex nahm die Karte und wusste genau, warum der Kerl hier war. Und Chrissy nicht. »Bring ihn in mein Büro. Ich bin in zwei Minuten bei ihm.«
»In Ordnung.«
Xhex hob ihre Armbanduhr an die Lippen. »Trez? iAm? Wir haben Sturm. Sag den Buchmachern, sie sollen Pause machen, und Rally soll die Waage anhalten.«
Als sie die Bestätigung durch den Ohrstöpsel bekam, versicherte sie sich schnell noch einmal, dass alle Mädchen weg waren, dann ging sie zurück in den allgemein zugänglichen Bereich des Clubs.
Als sie die VIP-Lounge verließ, spürte sie, wie ihr die Blicke von John Matthew folgten, und versuchte, nicht daran zu denken, was sie zwei Morgendämmerungen zuvor getan hatte, als sie heimgekommen war... und was sie heute wahrscheinlich wieder tun würde, wenn sie am Ende dieser Nacht alleine war.
Verdammter John Matthew. Seit sie in sein Hirn gestolpert war und gesehen hatte, was er mit sich anstellte, wenn er an sie dachte... hatte sie es genauso gehalten.
John Matthew. Verdammt.
Als ob sie diesen Scheiß brauchte.
Als sie sich jetzt durch die menschliche Herde drängte, war sie grob und kümmerte sich nicht darum, wenn ihre Ellbogen unsanft ein Paar Tänzer rammten. Fast hoffte sie, einer würde sich beschweren, damit sie ihn rausschmeißen konnte.
Ihr Büro lag im Zwischengeschoss im hinteren Teil des Clubs, so weit wie möglich entfernt von dem Umschlagplatz für käuflichen Sex, den Wettgeschäften und den Drogendeals in Rehvs Privatgemächern. Als Sicherheitschefin war Xhex die erste Ansprechpartnerin für die Polizei, und es gab keinen Grund, die blauen Uniformen näher an den Ort des Geschehens zu lassen als nötig.
Das Gedächtnis von Menschen zu säubern war eine praktikable Maßnahme, aber sie hatte auch ihre Tücken.
Ihre Tür stand offen, und Xhex musterte den Cop von hinten. Er war nicht sonderlich groß, aber kräftig gebaut, was ihr gefiel. Jackett und Schuhe waren anständig, aber nichts Besonderes, und unter der linken Manschette lugte eine Seiko hervor.
Als er sich zu ihr umwandte, dachte sie beim Anblick seiner braunen Augen unwillkürlich an Sherlock Holmes. Er verdiente vielleicht nicht sonderlich gut, aber er war nicht dumm.
»Detective«, begrüßte sie ihn, schloss die Tür und ging an ihm vorbei, um sich hinter ihren Tisch zu setzen.