Rakkóx der Billionär - Paul Scheerbart - E-Book

Rakkóx der Billionär E-Book

Paul Scheerbart

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Beschreibung

In 'Rakkóx der Billionär' von Paul Scheerbart taucht der Leser in eine bemerkenswerte Welt ein, in der die Schwerkraft aufgehoben ist und phantastische Maschinen und Kreaturen existieren. Scheerbart's Buch ist eine Mischung aus Science-Fiction, Satire und Utopie, die den Leser mit ihrer visionären Erzählweise fesselt. Das Werk spiegelt den literarischen Stil des frühen 20. Jahrhunderts wider und bricht mit den Konventionen seiner Zeit, indem es eine Welt jenseits der Realität entwirft. Scheerbart's Experimentieren mit Sprache und Ideen macht 'Rakkóx der Billionär' zu einem einzigartigen Leseerlebnis. Paul Scheerbart, ein deutscher Schriftsteller und Zeichner, war bekannt für seine avantgardistischen Werke, die sich oft mit technologischen und utopischen Themen auseinandersetzten. Scheerbart's Interesse an Innovation und Fantasie spiegelt sich deutlich in 'Rakkóx der Billionär' wider, wo er eine faszinierende Welt jenseits der Vorstellungskraft des Lesers erschafft. Seine unkonventionelle Denkweise und sein kreativer Geist prägen das Buch und machen es zu einem Meisterwerk der deutschen Literatur. 'Rakkóx der Billionär' ist ein Muss für alle, die sich für Science-Fiction, Utopie und avantgardistische Literatur interessieren. Scheerbart's Meisterwerk bietet eine unvergleichliche Leseerfahrung, die den Leser in eine Welt voller phantastischer Ideen und futuristischer Visionen entführt. Tauchen Sie ein in die kreative Genialität von Paul Scheerbart und lassen Sie sich von 'Rakkóx der Billionär' inspirieren und faszinieren.

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Paul Scheerbart

Rakkóx der Billionär

            Books

Inhaltsverzeichnis

Rakkóx der Billionär
Essays
Entwicklung des Luftmilitarismus
Das Perpetuum mobile
Glasarchitektur
Biografie
Erich Mühsam – Scheerbartiana

Rakkóx der Billionär

Inhaltsverzeichnis

Ein Protzenroman

Vergnügt, wie ein echter Potentat, lebte Rakkóx, ein mehrfacher Billionär, in den Großstädten Asiens und Europas und vergeudete natürlich sein Geld in Centnersäcken – er hatte es ja dazu.

Der große Mann schwärmte natürlich für alles Grandiose und für martialische Unternehmungen – er hatte es ja dazu. Er belächelte diejenigen, die seine Passionen teilten, trotzdem sies nicht dazu hatten.

Um aber seine größeren kompakten Pläne realisieren zu können, sah er sich genötigt, zunächst auf Vergrößerung seiner Machtmittel bedacht zu sein.

Und so ward seine Phantasie allmählich eine militaristische Phantasie. Er wollte selbstverständlich seine Pläne nicht allein ausarbeiten – auch seine militaristischen nicht. Und so telegraphierte er denn an den Direktor seiner Erfindungsabteilung, in der zweihundert abgefeimte Genies beschäftigt waren: »Schnell neues Militär erfinden – mit Gebrauchsanweisung. Rakkóx.« Der Direktor der Erfindungsabteilung verlas das Telegramm seinen Untergebenen. Es entstand ein allgemeines Halloh, und nach vierundzwanzigstündiger Geistesarbeit lag der folgende geniale Plan Rakkóxen zu Füßen:

DAS NEUE MILITÄR.

»Es war vorauszusehen, daß einem vorgeschrittenen Militarismus das Menschenmaterial bei Fruktifizierung kriegerischer Ideen nicht auf die Dauer genügen könnte. Und so ist die Herstellung eines neuen Militärs allgemach zum tief gefühlten Bedürfnis geworden. Der Mensch ist als Soldat zu schwächlich und zu rücksichtsvoll. Der Automat ist als Soldat zu kostspielig und nicht imstande, sich rechtzeitig zurückzuziehen. Somit bleibt bei Herstellung eines neuen Militärs nur die Tierwelt zu berücksichtigen übrig. In der Tierwelt finden wir unzählige Lebewesen, die weder schwächlich noch rücksichtsvoll sind, auch nicht zu kostspielig genannt werden dürfen, da ihnen grade der Hunger erfahrungsgemäß die allergrößte Rücksichtslosigkeit verleiht; außerdem haben sämtliche Tiere die genügende Intelligenz, sich rechtzeitig zurückzuziehen.

Unsere Aufgabe ist daher, Tierregimenter zu schaffen. Nur durch gut organisierte Tierregimenter kann dem alt gewordenen Militarismus unsrer Zeit neue Lebenskraft eingeflößt werden.

Die Unterzeichneten empfehlen nun in erster Reihe Heranziehung der größeren Tiersorten. Die Dressur der vierfüßigen Dickhäuter bereitet bekanntlich keine nennenswerten Schwierigkeiten. Und auch die Dressur der Walrosse und Seelöwen wird den großen Tierbändigern unsrer Zeit ein Leichtes sein. Die Walrosse und Seelöwen sind mit umfangreichen kugelsichern Kork-Panzer-Hemden auszurüsten, und künstliche Riesenflossen aus Aluminium und Stahl müssen die natürliche Flossenkraft ganz gewaltig heben; mit solchen Kunstflossen läßt sich jedes Meer mit Leichtigkeit orkanartig aufregen.

Die meisten Tiere können die Waffen – auch die Schießwaffen und Geschütze auf dem Kopfe wie einen Hörnerschmuck tragen. Dem Offizierskorps der Tierregimenter dürfen natürlich nur erprobte Tierbändiger angehören. Die Ausarbeitung der Ideen über die beste Art der Verwertung tierischer Gliedmaßen ist selbstverständlich Spezialaufgabe des Generalstabes. Die Rüssel der Elephanten können z. B. zu Schleudermaschinen ausgebildet werden; die Löwen wären am wirksamsten zusammengekoppelt zu gebrauchen.

Sehr interessant wird sich die Uniformfrage gestalten; sie läßt sich hier nur nicht so kurz abtun. Jedenfalls wird über die beste Uniformierung der Auerochsen, Giraffen und Kamele innerhalb drei Tagen eine besondere Broschüre erscheinen; allen Anforderungen der militaristischen Tradition soll nach besten Kräften Rechnung getragen werden.

Man kann fernerhin nicht bestreiten, daß sich viele Vögel sehr wohl zu Heereszwecken eignen. Die Krähenvölker ließen sich leicht mit Cyankalispritzen bewaffnen, und die Adler, Eulen und Störche könnten abgerichtet werden, kleine Dynamitbomben im richtigen Momente fallen zu lassen.

Über fein gegliederte Schlauchbomben, die nur mit Pestbazillen gefüllt werden sollen, schreibt das Obergenie Schmoller-Käsebauch ein zweibändiges wissenschaftliches Werk.

Was über die methodische Züchtung von Ungeziefer zu Kriegszwecken zu sagen ist, findet...« Hier sank dem Billionär der Plan aus der Hand und fiel ihm tatsächlich zu Füßen. »Merkwürdig!« murmelte der dicke Herr und erhob sich.

»Mein Personal glaubt wohl«, fuhr er stehend fort, »es sei nichts leichter, als sich über mich lustig zu machen. Merkwürdig! Weil ich mich über Alles lustig mache, will man mir das heimzahlen. Personal!«

Und er bückt sich und hebt das Manuskript noch einmal auf, blättert in den hinteren Pergamentseiten und findet dort ein Kapitel, das sich »über die Verwendung der Heringe beim submaritimen Kriege« eingehend ausspricht.

Oho! Er liest das Kapitel nicht, aber interessieren tuts ihn mächtig; submaritime Angelegenheiten sind ihm allzeit lieb und teuer gewesen.

Nach längerem Nachdenken telegraphiert der allmächtige Billionär an den Direktor seiner Erfindungsabteilung: »Schnell kurzen Artikel über die Endziele der submaritimen Kriegstechnik abfassen. Aber ernst! Das Große soll nicht bloß für die Narren sein. Rakkóx.«

Der Nabob begibt sich in seinen Höllensaal, allwo er gewöhnlich zu frühstücken pflegt. Der Höllensaal ist mit feuerrotem Tropfstein erbaut, die Wande sind zu symmetrisch verteilten Grottennischen ausgebildet. Der ganze Saal ist, obgleich die Formen des Tropfsteins so blieben, wie sie waren, mit fanatischer Symmetrie gearbeitet. Vor jeder Nische steht eine goldene Urne, in der schwarze Tulpen blühen. Selbst die Anzahl und die Formen der Tulpen sind symmetrisch angeordnet. In der Mitte steht der Frühstückstisch, über dem eine riesige tausendkantige Smaragdampel brennt. In den feuerroten Tropfsteingrotten brennen viele elektrische Flammen – wirksam versteckt. Auf dem weißen Tischtuch schieben sich die grünen und roten Lichtkegel über- und untereinander. In den goldenen Urnen gleißt es gleichfalls grün und rot.

Rakkóx ist kaum beim elften Gericht angelangt, da stört ihn ein dumpfer Glockenton – und herein stürmt ein weiß gekleideter Diener, legt sanft ein neues Pergament-Manuskript auf den Frühstückstisch und eilt lautlos über den kaminroten Teppichpelz, der den Fußboden des ganzen Saales bedeckt, wieder hinaus.

Vor dem Billionär liegt der Artikel »über die Endziele der submaritimen Kriegstechnik«, geschrieben von Schultze dem Siebenten, einem berühmten Obergenie. Der erste Teil der Geschichte beginnt also:

EINE ERLÖSENDE IDEE.

»Geliebte Brüder! Teure Schwestern! Werteste Verwandte, Bekannte und Unbekannte! Schon oft erhob ich mein Haupt, Euch was Vernünftiges mitzuteilen – aber dieses Mal will ich Euch eine erlösende Idee verkünden – darum spitzet die Ohren wie kluge Mäuse! Ihr wisset, daß wir anitzo Schiffe bauen, die in die Tiefe des Meeres steigen können wie die Flundern; die submaritimen Flotten sind die besten Flotten unsrer Zeit. Welches aber sind die Endziele der submaritimen Kriegstechnik? Habt Ihr darüber schon nachgedacht? Glaubt Ihr vielleicht, es könne dem submaritimen Militarismus nur darauf ankommen, den Haifischen der Südsee den Anblick submaritimer Schlachten zu verschaffen? Oh nein! Laßt Euch nichts weismachen! Ein wahrhaft moderner Militarismus – der waschechte ist gemeint! – will als Erstes und Letztes immer nur die Befestigung und Stärkung der Nationen und Staaten. Das steht bombenfest.

Welches sind nun die Nationen und Staaten, die von der submaritimen Kriegstechnik Befestigung und Stärkung erwarten dürfen? Hm – die Nationen und Staaten, die sich immer noch auf den leider allzu trocknen Festländern der Erde vorfinden, haben die submaritime Kriegstechnik nicht so nötig. Was fragen die nach der? Alles Submaritime ist für die Oberflächenpolitik doch nur eine dekorative Begleiterscheinung der Meeresoberflächenflotte.

Indessen – jetzt kommt es! Für die Nationen und Staaten, die den Mut haben – lies leis! – in den kolossalen märchenweiten weltfreien Tiefen des Ozeans unter dem Wasser sich anzusiedeln – für diese Nationen und Staaten hätten die submaritimen Flotten eine größere Bedeutung – eine Existenz begründende Bedeutung! Versteht Ihr mich schon? Alsdann würdet Ihr einsehen, daß die Endziele der submaritimen Kriegstechnik auf nicht mehr und nicht weniger als auf die Begründung und Erhaltung submaritimer Nationen und Staaten hinauslaufen. Das ist die erlösende Idee, die Schultze der Siebente euch verkündet.

Die herrlichste Perspektive eröffnet sich dem glückseligen Erdbewohner – die Größe der Erde wird durch die Endziele der submaritimen Kriegstechnik für die Menschheit einfach verdreifacht!

Die lokale Entwässerung des Meerbodens und die Befestigung der unter den Wassermassen des Ozeans zu erbauenden Riesengewölbe wird für die genialen Baumeister unsrer Zeit so leicht wie ein Kinderspiel sein.

Edler Erdenbürger! Bedenke, daß sämtliche submaritimen Länder Normaltemperaturen empfangen können, daß dort also Zugluft und Hausbau unbekannt bleiben werden. Die Wohnungsmiete wird zur Chimäre. Hausbesitzer und Schnupfen gibts nicht mehr.

Daß die Existenz der submaritimen Weltreiche eine Erlösung für die Menschheit bedeutet, muß ja wohl ohne weiteres selbst einem Kalbskopf einleuchten. Entschuldigt, daß ich lache und so was sage. Aber ich kann mir das leisten. Alle idealen Staatsideen lassen sich ja dort unten so leicht realisieren – der aristokratische Idealstaat wie der demokratische Idealstaat – Staaten mit automatischer, wie solche mit parlamentarischer, cäsaristischer, karnevalistischer oder anarchistischer Regierung – auch solche ohne jede Regierung. Alle überflüssigen harmoniezerstörenden Lebewesen können diesen submaritimen Weltreichen ohne jede Anstrengung ferngehalten werden. Das oben auf den trockenen Festländern so lästige Ungeziefer läßt...«

Bei dem Worte »Ungeziefer« sinkt dem großen Nabob wiederum das Manuskript aus der Hand und fällt dabei unter den Tisch.

»Merkwürdig!« tönt es wieder von Rakkóxens Lippen. Dann aber ißt der große Mann ruhig weiter. Nach der Mahlzeit telegraphiert er an den Direktor seiner Erfindungsabteilung: »Schultze VII. ist ein altes Rhinoceros, bin für seine Pläne leider zu arm. Der Kerl ist ein oberfauler Kopp. Bin mit Ihren Genies und Obergenies sehr unzufrieden. Ihr Personal ist bald für den Jahrmarkt reif. Rakkóx.«

An den Direktor seiner kaufmännischen Abteilung, in der fünfzehnhundert verkrachte Gründer beschäftigt sind, telegraphiert der Billionär: »Schnell zehntausend submaritime Torpedoboote bauen lassen – aber beste Konstruktion. Rakkóx.« Danach ruht er in seinem Perlmutterzimmer von seiner Arbeit aus.

Auf den weißen Eisbärfellen, die den ganzen Fußboden bedecken, spielen gelbliche und grünliche Lichtbüschel, die oben durch die Glaskuppel hineinkamen. Die Glaskuppel ist so bunt wie ein alter Krötenbauch, und viele weiße Pelzhaare werden zu Rakkóxens Füßen auch so bunt. An den welligen Wänden, die aus zehntausend Perlmutterbuckeln bestehen, glitzerts; mitten auf jedem Buckel sitzt ein kleiner hellblauer Saphir.

Rakkóx liegt auf seinem weißen Sammetdivan und schlummert. Ein kurzer kompakter Herr mit dickem Kopf. Kurz ist der graue Bart, kurz ist das graue Haupthaar. Die weißen Augenbrauen sind so buschig wie die Eisbärfelle. Die breite Brust hebt sich und senkt sich wie eine feste Maschine. Der lose perlgraue Anzug hängt schlaff und unordentlich an dem kurzen dicken Körper. Die Glaskuppel macht jetzt auch den losen perlgrauen Anzug krötenbunt.

Währenddem schnauzt der Direktor der Rakkóxischen Erfindungsabteilung sein Obergenie Schultze VII. mächtig an. Und der Siebente wird wütend wie ein spanischer Stier. Beim Donner der großen Worte verkriechen sich des Direktors Möpse hinter die Aktenregale.

Nachdem Rakkóx sich ausgeschlafen hat, wird ihm ein junger Erfinder Namens Kasimir Stummel gemeldet. »Empfangssaal!« flüstert der Billionär. Und Stummel wird in den Empfangssaal geführt. Der ist natürlich köstlicher als alle Harems des Kaisers von China. Feinste Emailwände – durchsichtiges Email! – rot – grün – blau – glitzernd wie spielende Fische im Sonnenschein – Geschmeide von feinsten Goldornamenten dazwischen. Und dann Teppiche – gearbeitet mit dem Mikroskop – Millionen geheimnisvoller Zeichen! – so bestrickend komponiert, daß aller Blütenschnee der Welt garnichts dagegen ist. Dünne Glassäulen, die die zartesten Farbenwürfel in sich haben – beim Vorbeigehen kaleidoskopartig wirkend. Sessel aus geschnitztem Elfenbein mit weicher Seidenweberei. Stachlige graue Korallenvasen, die beinah bis zur Decke reichen – jede der tausend Stachelspitzen ein kleiner blitzender Smaragd. Achattische mit Chrysolithschnitzerei – in allen möglichen Formen. Das Ganze so im Halbdunkel – nur erleuchtet von Fenstern aus Rubinglas, die unregelmäßig in verschiedenen Formaten an den Seiten und an der gewölbten Decke verteilt sind. Stummel staunt doch ein wenig, obgleich ihm die Decke nicht genügend gegliedert erscheint.

»Guten Tag, Herr Stummel!« sagt Rakkóx, wie er durch die schnell geöffneten Pfauenfedertüren schreitet, reicht dem Stummel die Hand und bittet ihn freundlich, auf einem Elfenbeinsessel Platz zu nehmen. Kennen tut er den Herrn noch nicht.

Stummel sammelt sich, stammelt erst seinen herzlichsten Dank für die Audienz und beginnt in fließendem Deutsch: »Herr Rakkóx, seit Jahren habe ich die Tätigkeit Ihrer Erfindlungsabteilung mit regem Interesse verfolgt und bin denn doch erstaunt gewesen, daß soviel überflüssige Ideen Ihnen zur Ausführung anempfohlen wurden. Die täglichen Berichte der Presse haben mich allmählich gereizt. Wenn ich Sie richtig verstanden habe, liegt Ihnen nur daran, solche Ideen auszuführen, die eine wesentliche Förderung der Kultur im Auge haben und gleichzeitig auf größere Dimensionen berechnet sind.«

Hier unterbricht Rakkóx den jungen Mann und bemerkt folgendes: »Das Letztere von den Dimensionen ist ganz gut. Aber reden Sie bloß nicht von Kultur, das sieht so philanthropisch aus. Ich bin aber kein Philanthrop, dazu ist die Menschenmasse nicht zart genug mit mir umgegangen. Man hat mich immer ausgelacht und hat geglaubt, mir damit einen Gefallen zu tun. O, für die Menschen bin ich nicht begeistert, lassen Sie mich bloß mit der Kultur zufrieden. Neue Einrichtungen, die für die Menschen einen notwendigen Entwicklungsfaktor bilden, brechen sich auch ohne mein Zutun Bahn. Ich hätte mich ja für Verbesserung der menschlichen Wohnungsverhältnisse begeistern können, aber glauben Sie, man würde mir dabei irgendwie entgegenkommen? Lächerlich! Für die meisten Menschen ist ein Schweinestall als Aufenthaltsort so was Natürliches. Doch fahren Sie ruhig fort – ich höre sehr aufmerksam zu.«

Und Stummel fährt unbeirrt fort: »Die Fürsten der Erde haben jederzeit ihre Existenz durch Kolossalbauten dokumentiert. Es muß daher auch in Ihrem Interesse liegen, Kolossalwerke mit architektonischem Charakter zu schaffen. Die früheren Fürsten der Erde waren zu arm, um in größerem Stile zu arbeiten. Ihr Reichtum aber, Herr Rakkóx, gestattet Ihnen, das Grandiose – ja das Abenteuerliche und Märchenhafte – aufs Korn zu nehmen. Wenn man in größeren Dimensionen bauen will, empfiehlt es sich, die daseiende Natur derart zu benutzen, daß es schließlich so aussieht, als hätte man die ursprünglich daseiende Natur ebenfalls mitgeschaffen. Die Stilisierung größerer Felspartieen hat anerkanntermaßen für den Architekten einen höheren Wert als das Aufführen usueller Wandgebäude, die zu den Terrainverhältnissen einen Kontrast bilden sollen. Wie wär´s nun, wenn Sie, Herr Rakkóx, geneigt sein möchten, nicht bloß einzelne Partieen eines Felsens – sondern versuchsweise mal einen ganzen Felsen von oben bis unten in ein architektonisches Kunstwerk zu verwandeln? Das wäre was wahrhaft Großes und würde die kommenden Geschlechter anspornen, im Laufe der nächsten Jahrtausende die gesamte Oberfläche des ganzen Erdballs in ein großes kompaktes architektonisches Kunstwerk umzuwandeln. Das Letztere ist natürlich nur als Scherz zu betrachten. Indessen ich hörte, daß Sie auch den Humor in den großen Unternehmungen nicht mit gar zu bösen Blicken zu betrachten pflegen.« Kasimir Stummel hielt inne und lächelte.

Rakkóx lächelte ebenfalls, dachte an die submaritimen Staaten seines Obergenies Schultze VII. und hatte plötzlich das Gefühl, daß dieser Kasimir Stummel vernünftiger vorging als alle seine angestellten Genies und Obergenies. Der Kerl imponierte dem Nabob. »Der architektonische Ausbau eines Felsens kann unter Ihrer Leitung in Angriff genommen werden.« Also lautete Rakkóxens kurze Antwort.

Stummel traten dicke Freudentränen in beide Augen. Der energische Billionär telegraphierte sogleich an den Direktor seiner kaufmännischen Abteilung: »Schnell kleines Gebirge möglichst mit Gletscher zu Bauzwecken ankaufen. Konferieren Sie mit Herrn Kasimir Stummel. Rakkóx.« Nachdem der Diener das Telegramm notiert hatte, stand der gewaltigste Mann der Erde so ruhig auf, als wäre nichts geschehen, schüttelte Stummeln beide Hände und ging rasch mit fliegenden Rockschößen ab durch die Pfauenfedertüren.

Doch eine Stunde später telegraphierte er wieder an den Direktor seiner Erfindungsabteilung – und zwar das folgende schwer wiegende Telegramm: »Kündigen Sie sofort den zweihundert Genies und Obergenies ihre Stellungen. Sie selbst sind ebenfalls mit dem ablaufenden Quartal entlassen. Übergeben Sie Ihr Amt umgehend Herrn Kasimir Stummel. Rakkóx.« Dem Rakkóx kam der Stummel so sympathisch vor.

Der Direktor der Rakkóxischen Erfindungsabteilung fiel bei Empfang des schwer wiegenden Telegramms unter seinen Schreibtisch. Und das Personal der Abteilung wurde beinahe wahnsinnig; drei Obergenies mußten wegen gefährlicher Tobsucht sofort einer Heilanstalt überwiesen werden.

Schultze VII. tat so, als ob ihn die Sache nichts anginge. Und dennoch wußte er sehr genau, daß ohne sein Zutun die Katastrophe ganz unmöglich gewesen wäre; aber seine Kameraden wußten das nicht, da ihr Direktor alles Wichtige für sich behielt.

Schultze VII. sah mager aus wie ein Windhund und hatte einen so starken Schnurrbart, daß der mit zwei Fingern nur mühsam zu umspannen war. Kaum hatte sich der Siebente in sein Lederzimmer zurückgezogen, so strich er seinen Schnurrbart mit allen zehn Fingern so heftig auseinander, daß einzelne Haare rausgingen und nur so rumflogen. Und er knirschte mit den Zähnen – zwar melodisch – doch nicht sanft. Und er hielt dabei einige seiner gewöhnlichen Monologe – er war an die Monologe gewöhnt.

»Es ist eigentlich«, sprach er zu seinen braunen Lederwänden, »durchaus sinnlos, mich über diesen Rakkóx zu ärgern, denn ich brauche ihn nicht. Und dennoch ärgere ich mich. Ich war ja ein Wüterich von meiner Geburt an, obgleich ich niemals einen plausiblen Grund für meine Wut hatte. Aus Wut bin ich sogar Humorist geworden – nicht aus Liebenswürdigkeit. Es ist zweifellos mein Schicksal, immerzu im Wutstadium zu leben. Andere Leute leiden an Wassersucht – ich aber leide an Wutsucht. Ich sehne mich ja danach, beleidigt zu werden, damit ich ein Recht bekomme, meinem tückischen Jähzorn freien Lauf zu lassen. Und dabei lach' ich noch.« Schultze VII. sieht wieder seine ledernen Wände und seine ledernen Möbel – fein gepreßte Sachen – an und freut sich, so ganz zwischen alten Tierhäuten zu stecken; ihm sind alle Bestien so recht sympathisch.

»Die einfachen Tiere und die menschlichen Kinder«, fährt Schultze fort, »neigen mehr zur Mordlust als zur Wollust – der entwickelte reife Mensch desgleichen. Das hängt damit zusammen, daß die einfacheren Lebewesen sich ihrer Persönlichkeit nicht bewußt werden und die komplizierteren Lebewesen erst recht nicht an ein individuelles Leben glauben – daher schätzen beide ihr Leben und damit auch das der anderen Wesen nicht hoch ein. Die Geschichte ist gräßlich einfach. Esel verstehen's allerdings nicht. Am Anfange ist die Kreatur grausam und zerstörungssüchtig – am Ende noch mal. Und daher ist Schultze VII. ein Wüterich, denn er ist ein Lebewesen, das die höchste Entwicklungsstufe erreicht hat. Die höchste Genialität ist eben nur dazu da, die Menschenbrut feste zu verhöhnen und zu verhetzen. Blut will ich, verfluchtes Biestpack – Blut! Und darum muß Rakkóx – es läßt sich leider nicht ändern – zerrissen werden – wie die Taube vom Habicht zerrissen wird. Meine Logik ist immer vernichtend.«

Er lacht – was sich wie Storchgeklapper anhört – freilich nicht ganz so. Und er kreischt auf wie ein wildes Tier, schlägt mit beiden Fäusten auf seinen kleinen Kaffeetisch, daß der zusammenknickt wie eine alte Hutschachtel. »Rhinozeros! Rhinozeros!« brüllt er.

Und dann lacht er – wie die Irrsinnigen in der Heilanstalt zu lachen pflegen. Nachdem wird er aber ganz ruhig und kalt, geht zu der Versammlung der entlassenen Genies und Obergenies, überredet sie, mit ihm nach China auszuwandern und dort den Kaiser von China gegen den gemeingefährlichen Rakkóx aufzuhetzen – und tut so affektlos wie ein stiller Waldsee.

Die Versammelten folgen dem großen Schultze; alle fahren mit dem nächsten Eilzuge nach China.

In den nächsten Monaten entwickelt sich die Geschichte auf beiden Seiten programmgemäß. In den Gebirgspalästen, die Kasimir Stummel auf der Westküste Südamerikas baut, arbeiten fünfmal hunderttausend Mann – Rakkóxens Geld kommt unter die Leute, er wird immer berühmter und beinahe vergöttert. Ein ordentlicher Unternehmer geht seinen Weg; ob die Unternehmungen vernünftig oder lächerlich sind, ist allen ganz egal – wenn nur gezahlt wird.

Nach Verlauf eines guten Jahres bemerkt aber der große Billionär ein sichtliches Schwinden seiner Popularität. Uber die Ursachen dieser Erscheinung kommt er bald ins klare. Schultze VII. telegraphiert ihm nämlich aus Peking: »Ihr Vorgehen in Südamerika wird hier an höchster Stelle scharf verurteilt, rate Ihnen, sofort Herrn Stummel ebenfalls zu entlassen, da er sich Übergriffe gegen chinesische Staatsbürger erlaubt hat. Ehrfurchtsvoll! Schultze VII.« »Aha«, ruft Rakkóx. Auf Madeira trifft er mit Kasimir Stummel zusammen, dessen glatt rasiertes Gesicht sehr braun und sehr gesund aussieht. Stummel teilt seinem Prinzipal zunächst mit, daß sich an der Westküste Südamerikas die Anzahl der chinesischen Kriegsschiffe nachgerade täglich vermehrt. Die Situation wird brenzlich. Rakkóx telegraphiert demnach an den Direktor seiner Marineabteilung: »Schnell alle fertigen submaritimen Torpedoboote zu Stummeln nach Südamerika senden. Die Geschichte eilt. Rakkóx.« Dieses Telegramm beruhigt jedoch Herrn Kasimir Stummel keineswegs.

»Ich kann mir«, führt er aus, »nicht verhehlen, Herr Rakkóx, daß Ihre Offiziere sehr unzuverlässig sind. Sie haben sämtlich nur pekuniäre Interessen und keine nationalen. Die Soldaten, die sich als Vertreter einer Nation betrachten, bieten ohne weiteres viel mehr Sicherheit als die gesamte Rakkóx-Armee. Wir müssen das nationale Element aus den feindlichen Armeen rauspumpen. Es ist mein voller Ernst. Mit internationalen Armeen werden wir immer fertig. Wir müssen aus der chinesischen Armee eine internationale Armee machen.« »Wie machen wir das?« fragt Rakkóx. »Es geht!« erwidert Stummel, »es ist eine kühne Idee – aber ich weiß, Sie schrecken vor kühnen Ideen nicht zurück – besonders wenn sie nur Defensivmaßregeln verkörpern wollen.«

»Nu reden Sie doch – was wollen Sie denn?« Also Rakkóx. Und Stummel fährt fort – bedächtig: »Es hört sich toll an – aber es geht! Wir müssen China zum internationalen Staate machen. Wir müssen durch glänzende Anerbietungen eine Vermischung aller Rassen des Erdballs durchzuführen suchen. Wir müssen die Übersiedlung sehr vieler Europäer nach China und sehr vieler Chinesen nach Europa veranlassen. Diese Tätigkeit maskieren wir dadurch, daß wir gleichzeitig die Afrikaner nach Indien und die Inder nach Australien transportieren; die Indianer können ja nach Skandinavien. Sie verstehen wohl! Wir müssen das reine Rührei aus den Nationen machen. Ich sage Ihnen, lachen Sie nicht! Es geht tatsächlich! Dazu gehören nur recht viele Personendampfer, die für die Überfahrt einen lächerlich geringen Preis beanspruchen.«

Rakkóx steht auf und telegraphiert an den Direktor seiner kaufmännischen Abteilung: »Sofort tausend Personendampfer ankaufen oder bei der Werft von Europa bestellen. Größtes Format! Rakkóx.«

Stummel stammelt seinen Dank, er ist ob seiner Erfolge ganz verwirrt. Im besten Strandhotel essen sie danach ein einfaches Abendbrot. Nach dem Abendbrot rauchen sie auf der Fürsten-Terrasse eine gute Zigarre aus Melbourne, der Mond beleuchtet ganz ausgezeichnet den Atlantischen Ozean, und Rakkóx plaudert von seinem Obergenie Schultze VII.