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Eingebildeter Schönling! Mehr fällt Eva wirklich nicht zu dem Typ ein, der sie in der Bar unverwandt anlächelt. Aber doch, irgendwas hat er. Zugegeben: Manchmal wäre es doch ganz schön, einen Mann an ihrer Seite zu haben. Oder wenigstens einen, der sie auf das Frühlingsturnier ihres Golfclubs begleitet. Und wie sagen ihre frühreifen Töchter immer? »Ran an den Mann!«
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Für Heidi und Gabriela. Dankefür Eure jahrelange Treue,Fröhlichkeit und Loyalität.
Vollständige E-Book-Ausgabe der im Piper Verlag erschienenen Buchausgabe 2. Auflage 2013 ISBN 978-3-492-95484-6 © 2006 Piper Verlag GmbH, München Umschlaggestaltung: Cornelia Niere mit Bettina Steenbeeke Umschlagmotiv: Corbis / Shutterstock Datenkonvertierung: CPI books GmbH, Leck
EVA BEACHTETE IHN NICHT, bis sie bemerkte, daß sein Blick sie abtastete. Da beachtete sie ihn noch weniger. Sie drehte sich auf ihrem Barhocker leicht weg und ihm damit den Rücken zu. So, jetzt konnte er weiterschauen. Aber das Gefühl blieb da und lenkte sie ab.
Sie hatte sich nach einem anstrengenden Tag ein Pils an der Bar des Maritim-Hotels gönnen wollen, ganz für sich allein, bevor sie sich zu Hause ihren Töchtern und dem unerledigten Haushalt stellen mußte. Sie brauchte das manchmal. Einfach ein paar Minuten für sich, fern von allem Trubel, jeder Form von Chaos und pubertären Ausbrüchen. Auf diese Weise hatte sie ihre Nerven besser im Griff, ging nicht gleich hoch und konnte auch mal lächeln, statt gleich aus der Haut zu fahren.
Eva nahm noch einen Schluck aus ihrem Glas, und dabei blieb ihr Blick zunächst an der Flaschenbatterie hinter der Theke hängen und dann an den Augen, die sie im Spiegel anschauten. Sie starrte zurück. Es war ein unglaubliches Gefühl, einfach in ein Paar Augen zu schauen, die zu keinem Gesicht gehörten – zwei Whiskyflaschen verdeckten den Rest. Es waren schöne Augen. Dunkle Augen. Und sie bewegten sich nicht.
Langsam drehte sich Eva zu ihrem Barnachbarn. Jetzt hatte er auch ein Gesicht, und die Augen lächelten ihr aus nächster Nähe zu.
»Warum tun Sie das?« fragte sie.
»Was?« wollte er wissen.
Eva schwieg. Wenn er es nicht selbst wußte, was sollte sie dann dazu sagen?
Sie wollte sich wieder wegdrehen, und das schien er gespürt zu haben.
»Sie haben schöne Augen«, sagte er schnell.
Eva musterte das Gesicht zu den Augen jetzt etwas genauer.
Ein leichtes Lächeln zupfte an seinen Mundwinkeln, um die braunen Augen lagen kleine Fältchen, seine Gesichtszüge waren kantig, weich schienen nur die Haare, die leicht gewellt waren und in seine Stirn fielen.
Er müßte zum Friseur, dachte Eva.
»Danke«, sagte sie automatisch.
Alles in allem sah er nicht schlecht aus. Nicht direkt ihr Typ, aber das mußte er ja auch nicht sein, er saß ja nur hier an der Bar.
»Und Sie sind tiefgründig!« fügte er hinzu.
Tiefgründig?
»Haben Sie gerade einen Esoterikkurs für Männer belegt?«
Er mußte lachen und zeigte eine Reihe gleichmäßiger Zähne.
Könnten weißer sein, dachte Eva. Schade.
»Nein«, sagte er. »Ich dachte nur, das kommt gut!«
»Falsch gedacht«, erwiderte Eva, setzte nach einer kleinen Pause aber ein »Wenigstens sind Sie ehrlich« hinzu.
Er lächelte noch immer.
»Was bin ich noch?« fragte Eva und strich sich ihr schulterlanges dunkelbraunes Haar nach hinten. Ich müßte eigentlich auch mal wieder zum Friseur, überlegte sie dabei. Einen neuen Schnitt, eine neue Farbe … schließlich ist Frühling.
»Verheiratet?« tippte er.
»Stimmt!« Wenigstens auf dem Papier, dachte sie und senkte ihren Blick auf seine Hände. Sie waren erstaunlich feingliedrig und schmucklos.
»Sie auch!« erklärte Eva ohne zu zögern.
Er hob seine Hände, drehte sie langsam und spreizte dabei die Finger. »Nicht einmal der Schatten eines Ringes«, erklärte er.
»Das hat ja wohl nichts zu sagen!« Eva zuckte die Achseln.
»Bei mir schon!« Er lächelte wieder und drehte seine Hand in ihre Richtung. »Ich heiße Thomas. Thomas Rau.«
Sie lachte, gab aber keine Erklärung, sondern ließ sich Zeit, um ihre rechte Hand in seine zu legen.
»Was ist so lustig?« fragte er, und sie stellte ein Glitzern in seinen Augen fest.
»Wir können nie heiraten«, sagte sie und entzog ihm ihre Hand wieder.
»Warum?«
»Sie sind zu empfindlich!« behauptete sie.
»Darf man das bei Ihnen nicht sein?«
Eva griff nach ihrem Pilsglas und leerte es. Das Bier schmeckte bitter und war auch noch warm geworden. Dann schaute sie ihn an und mußte wieder lachen.
»Nein, darf man nicht!« Sie lachte noch immer. »Aber der wahre Grund ist: Ich heiße Eva. Eva Kern.«
»Schöner Name!« Er nickte. »Rauher Kern in einer weichen Schale. Paßt doch!«
»Und wo ist die Schale?«
»Ihre Schale ist schon mal sehr hübsch!«
Eva sah sich nach dem Barkeeper um. Das verschaffte ihr die Gelegenheit, schnell in den Spiegel zu schauen. Hübsch war sie heute sicherlich nicht. Sie war abgekämpft hierher gekommen, hatte sich in ihrer Bluse, die sie schon längst ausmustern wollte, wenig attraktiv gefühlt, und außerdem zwickte ihre Jeans.
Sie war schon den ganzen Tag nicht mit sich selbst eins gewesen.
»Blöder Spruch!« wies sie ihn zurecht.
»Stimmt!« gab er zu.
»Warum tun Sie’s dann?« fragte sie und machte dem Barkeeper ein Zeichen für ein weiteres Pils.
»Ich habe gerade das Buch So flirtet man an der Bar gelesen und versuche nun, alles richtig zu machen.«
Eva zog eine Augenbraue hoch. »Das ist nicht Ihr Ernst«, sagte sie und wußte nicht, ob er einfach bluffte.
»Was müßte ich dann Ihrer Meinung nach tun?« wollte er wissen.
»Sie könnten sich ein Thema ausdenken. Kultur, Politik, Sport – irgendwas.«
Sie schaute ihn mißtrauisch an. Nahm er sie etwa auf den Arm?
»Okay, lassen Sie mich nachdenken«, sagte er.
Eva rührte sich nicht.
Thomas holte tief Luft, dann richtete er sich auf.
Er war größer, als sie gedacht hatte. Und hatte breite Schultern, wenn ihr sein Hemd auch etwas zu hellblau war. Sie stand eher auf Pastelltöne. Eva schätzte ihn auf etwa vierzig, und auf seinem Kinn sah sie jetzt den Anflug eines leichten Tagesbarts. Je länger sie ihn betrachtete, desto besser gefiel er ihr. Oder lag es am Alkohol?
»Nun gut«, sagte er. »Probieren wir’s!«
»Dann los!«
»Haben Sie noch Sex, oder golfen Sie schon?«
Ach, du je, dachte sie und verzog das Gesicht.
»Beides!« sagte sie. »Durchgefallen!«
Sie hatte Thomas schon fast wieder vergessen. Ihre ältere Tochter Caro hatte sie auf dem Handy angerufen und nach Toni gefragt. Toni hieß eigentlich Antonia und war vierzehn. Sie war eben dabei, die Welt zu entdecken. Vorzugsweise die männliche. Eva war sofort von ihrem Barhocker aufgesprungen.
»Hast du sie schon angerufen?«
»Toni hat das Handy ausgeschaltet, die ist doch nicht doof!«
»Zu Hause ist sie wirklich nicht?«
»Mum! Das ist hier kein Palast. Es liegen dreitausend Kleidungsstücke in ihrem Zimmer, aber sie ist sicherlich nicht da!«
»Verdammt!« Es war neun Uhr vorbei, keine Ausgehzeit für minderjährige Schülerinnen.
»Und ihre Freundinnen?«
»Unerreichbar!«
»Die Eltern?«
»Jetzt hör aber auf! Ich mach mich doch nicht zum Affen!«
Caroline hatte recht. Zuviel der Aufregung. Trotzdem mußte Eva nachschauen. Sie machte sich auf den Heimweg. Thomas Rau drückte ihr noch hastig seine Visitenkarte in die Hand, dann war sie weg. Sie scheuchte ihren alten Golf durch die Straßen, um vor ihrem Häuschen auf einige junge Rollerfahrer zu treffen, mit denen Toni gerade herumplänkelte. Sie war gut in Form, das sah Eva auf den ersten Blick. Ein zu kurzes Top für die Jahreszeit, die angesagte Jeans und die Sneakers, die sie ihr nach einer relativ guten Mathearbeit abgeschwatzt hatte. Jetzt kam alles voll zur Geltung.
Tonis Miene verdüsterte sich.
»Guten Abend«, sagte Eva und wußte auch nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Es waren vier Jungs, die auf ihren Rollern saßen, die Helme lässig über die Rückspiegel gestülpt. Sollte sie nun jedem die Hand geben und warten, daß er sich ihr vorstellte? Ich bin Antonias Mutter, und wer bist du? Das war ihr zu spießig. Das hatte sie schon an ihren eigenen Eltern gehaßt. Sie fingerte den Haustürschlüssel aus ihrer Handtasche und kam sich dabei extrem ungeschickt vor.
»Ist Caro schon da?« fragte sie, um überhaupt etwas zu sagen.
»Wird wohl«, nuschelte Toni und schaute sie ungeduldig an. Am liebsten hätte sie sie mit einer Handbewegung verscheucht, es war ihr deutlich anzusehen.
»Macht nicht so lange, morgen ist Schule!« Sie bekam keine Antwort, hatte aber auch keine erwartet. Als sie sich auf der Schwelle noch einmal umdrehte, nickten ihr die Jungs zu. Immerhin. Das war doch schon mal als Gruß zu werten. Vielleicht hatte ihre Tochter ja gar keinen so schlechten Geschmack.
»Zwanzig Minuten«, sagte sie noch, bevor sie die Tür hinter sich zuzog.
Manchmal haderte sie mit sich selbst, manchmal mit ihrer Umgebung, manchmal mit ihrem Job und manchmal mit ihrem Mann. Und manchmal war auch alles ganz wunderbar, dann freute sie sich über ihre Unabhängigkeit: Sie hatte zwei fast erwachsene Töchter, sie hatte nette Kolleginnen und ein Kilo weniger. Aber eben nur manchmal.
Eva Kern machte sich keine Illusionen. Sie war achtunddreißig Jahre alt, hatte zu früh geheiratet, ihr Mann war als Ingenieur an Entwicklungshilfeprojekten beteiligt und seit der Tsunamiwelle in Südostasien verschollen. Allerdings nur ihr gegenüber. Es war klar, daß es kein Unglück, sondern eine neue Liebe war. Eva versuchte, vor ihren Kindern die heile Familienwelt zu bewahren. Er hat an euch gedacht, er kommt wieder, er hat Geschenke geschickt, aber vor allem an Weihnachten hatte sie damit arge Probleme. Warum sollte ein Vater an Weihnachten nicht dasein können, wenn er es wirklich wollte? Sie spürte, daß er in der Zwischenzeit eine andere Familie hatte, unkomplizierter lebte, deutsche Probleme, deutsche Bürokratie und das deutsche Finanzamt abgestreift hatte und damit leider auch Toni, Caro und sie selbst. Er hatte noch einmal von vorn begonnen.
Sie konnte das nicht, sie konnte nichts abstreifen, sie hatte täglich alles vor Augen. Das Haus, das sie von ihrer Großmutter geerbt hatte und das immer renovierungsbedürftiger wurde, ihren Golf, der dringend neue Reifen brauchte, ihre Mutter, die mit nun vierundsiebzig seltsame Anwandlungen hatte, ihre Töchter, die sie manchmal an die Grenze ihrer Geduld brachten, ihr Job als freie Maskenbildnerin, der ihr immer wieder Existenzängste bescherte, und ihr Haushalt, der sie schlichtweg überforderte. Sie kam einfach nirgends nach. War die Wäsche gemacht, verwilderte der kleine Garten. Hatte sie Unkraut gejätet, verschmutzte das Bad. Sie hatte ständig das Gefühl, hinterherzuhinken. Wenn sie durch das kleine alte Haus ging, entdeckte sie an jeder Stelle etwas. Da wackelte eine Stufe, dort fehlte eine Glühbirne, in der Ecke machten sich Spinnweben breit, und irgendwo tropfte garantiert der Wasserhahn. In ihrem Leben gab es viel zu viele Baustellen, und sie selbst war die größte.
Der Wecker klingelte früh, und Eva mußte sich besinnen. Sie drehte sich noch einmal im Bett herum und überlegte. Es war Dienstag, sechs Uhr fünfunddreißig, sie mußte Toni wecken. Toni brauchte morgens länger als ihre achtzehnjährige Schwester. Und was Eva überhaupt nicht brauchen konnte, war der morgendliche Krach im Bad zwischen den Schwestern. Sie griff nach ihrem Morgenmantel und ging über die knarzenden Dielen ihres Schlafzimmers auf den Flur. Erst dort machte sie Licht und klopfte an Tonis Tür.
»Halb sieben vorbei«, rief sie. »Toni, hörst du mich? Du mußt aufstehen!«
Seitdem kein Mann mehr im Haus war, schloß sich ihre jüngere Tochter ständig ein. Sie behauptete, das Haus sei ihr unheimlich, zu verwinkelt, zu alt, und sicherlich spuke auch ihre Uromi herum, die sie zwar gemocht, die aber auch hier im Haus gestorben war.
Insgeheim gab ihr Eva recht. Sie mußte zwar glücklich sein, denn in ihrer Situation hätte sie nie ein solches Haus mieten können, aber ganz geheuer war es ihr auch nicht. In den Keller ging sie jedenfalls nur bei Tag, obwohl sie das natürlich nie laut gesagt hätte.
Aus Tonis Zimmer kam kein Ton.
»Antonia, hörst du mich? Es ist sechs Uhr vierzig! Du mußt aufstehen!«
Ein schwaches »Ja« war zu ahnen.
»Antonia! Toni!!!«
»Ich bin schon aufgestanden! Ich richte noch meine Sachen!«
Eva überlegte. Dann klopfte sie wieder. »Mach die Tür auf, ich will dich sehen!«
Sie hörte Protest, dann wurde der Schlüssel herumgedreht. Völlig verschlafen, mit Kindergesicht und verwuschelten Haaren, stand ihre Vierzehnjährige vor ihr. Nie und nimmer hatte sie schon ihre Kleider gerichtet.
»Los jetzt! Gleich will Caro ins Bad!«
»Dann soll sie halt nach unten gehen!«
Unten, neben der Küche, gab es noch eine kleine Dusche, die aber mit ihrem winzigen vergitterten Fenster und den grauen Steinfliesen so kalt und ungemütlich war, daß sie nur Konservendosen und Getränkekisten darin stapelten.
»Sei nicht albern! Mach jetzt! Ich habe auch keine Lust, stundenlang auf dem Flur herumzustehen.«
»Dann geh doch einfach wieder ins Bett! Ich komm schon klar!«
»Und wie du klarkommst!«
Sie haßte diese morgendlichen Kraftakte. Aber ohne sie würde Toni erst zur fünften Stunde erscheinen. Oder überhaupt nicht.
Eva ging die kleine Treppe hinunter. Nach dem Tod ihrer Großmutter hatten sie die Wand zwischen Küche und Wohnraum durchbrochen und die kleinen Fenster in den Garten durch Bodenfenster ersetzt. Das war Gerolds letzte Heldentat gewesen, aber immerhin: Es war der schönste Raum im ganzen Haus. Eva wusch zwei Äpfel, richtete zwei Brote, eines mit Nußcreme und eines mit Leberwurst, stellte zwei Getränke dazu und war sich sicher, daß nichts davon in die Mägen ihrer Töchter wandern würde. Sie hatte es schon längst aufgeben wollen, aber der mütterliche Versorgungstrieb hinderte sie noch immer daran.
»Hast du zwei Euro?«
Sie drehte sich um. Caro stand hinter ihr. Sie war groß und hübsch, dunkelhaarig wie sie und büffelte gerade für ihr Abi.
»Wofür?« wollte Eva wissen.
»Ich werde sie nicht verprassen!«
»Ich möchte es aber trotzdem wissen – und sprich nicht so mit mir!«
»Wir haben nachmittags Schule, und ich möchte zu Mittag etwas Kühles trinken – reicht das?«
Eva beschloß, wieder ins Bett zu gehen. Der Tag begann unerfreulich. Sollten sie doch einfach allein klarkommen, sie würde sich die Decke über die Ohren ziehen und alles ausblenden.
»In der Schale«, sagte sie im Hinausgehen.
Auf der Treppe kam ihr Toni entgegen. Sie hatte sich offensichtlich viel Mühe gegeben. Ein schwarzes Band lag über ihren Haaren, in den Ohren glitzerte es rosa, passend zum Anhänger über dem Dekolleté.
»Disko oder Schule?« fragte Eva, hatte aber keine Lust auf weitere Diskussionen.
»Morgen brauchen wir neue Monatskarten«, gab Toni zur Antwort, und das gab Eva den Rest. Sie würde sich heute einen Depressivtag gönnen, das fiel ihr nicht schwer, denn sie hatte heute keinen Job. Weder beim Sender noch beim Theater und auch nicht bei dem Fotografen, für den sie manchmal arbeitete. Wenn es so weiterging, mußte sie akquirieren. Klinken putzen, sich anbieten. Wie sie das haßte. Und sie konnte es auch nicht. Sie konnte andere gut verkaufen, aber sie selbst war der Samaritertyp, der nichts wollte und nichts brauchte und deshalb auch nichts bekam. Sie streifte den Bademantel ab, ließ sich in ihr Bett fallen, zog die Decke über den Kopf und schwor sich, daß sie morgen angreifen würde. Morgen würde sie die Dinge angehen. Das Haus, ihre Kinder, den Job und sich selbst.
Eva hatte den Tag zur Hausarbeit genutzt. Nach einem späten Guten-Morgen-Kaffee mit geschäumter Milch und drei Stück verbotenem Würfelzucker nahm sie sich die Küche, das Bad und die Toiletten vor. Dabei mußte sie sich ziemlich zusammennehmen, denn sie kam leicht vom Hundertsten ins Tausendste. Eine herumschwirrende Getreidemotte brachte sie dazu, sich sämtliche Nahrungsmittel in ihrem Küchenschrank anzuschauen. In einer halb geöffneten Müslipackung fand sie dann die Bescherung – die versponnenen Fäden sagten ihr alles. Sie warf die gesamte Tüte weg und überlegte gerade, welcher Schritt der nächste wäre – schließlich konnte sie kein Insektenvernichtungsmittel über die Lebensmittel sprühen –, als das Telefon klingelte. Hoffentlich war das nun niemand, der sie lange aufhielt. Sollte sie überhaupt drangehen? Zumindest einmal nach der Nummer schauen, dachte sie.
Der Südwestrundfunk, einer ihrer Arbeitgeber.
Sie wischte sich kurz mit der Hand die Haare aus dem Gesicht, die Küchenschrankakrobatik hatte sie zum Schwitzen gebracht, und drückte den grünen Knopf. Ihre Kollegin hatte sich verletzt, und nun sollte sie für die Landesschau kurzfristig einspringen, sonst hätten die Moderatoren und Talkgäste kein Puder im Gesicht. Eva mußte lachen. Das war typisch für die Produktionsdisponenten. Puder im Gesicht.
»Wer moderiert?« wollte sie wissen.
»Jürgen Hörig!«
Na dann, dachte sie. Ein Mann, das ging schnell. »Und Gäste?«
»Sabine Reitz. Sie hat gerade einen Preis gewonnen.«
»Aha. Was für einen?«
»Keine Ahnung. Muß man das fürs Pudern wissen?«
Typisch Mann. Eva überlegte, aber es fiel ihr nichts darauf ein. »Okay, ich komme«, sagte sie nur schnell. Dann schaute sie auf die Uhr. Von Botnang zum Sender brauchte sie je nach Verkehr zwanzig Minuten. Es konnten auch vierzig werden, schließlich mußte sie mitten durch die Stadt, es gab bei Staus kaum Schleichwege. Die Jungs von gestern fielen ihr wieder ein, vielleicht sollte sie besser auf einen Roller umsatteln, damit kam man überall durch, und zudem war es günstig.
Jedenfalls mußte sie sich beeilen.
Mit dieser Feststellung kamen augenblicklich ihre Lebensgeister zurück. Komisch, kaum hatte man eine Aufgabe, war alles andere unwichtig. Mußten die Motten eben ohne sie auskommen.
Sie duschte schnell, schlüpfte in eine Jeans zur weißen Bluse, schrieb ihren Kindern einen Zettel, schnappte ihren großen Schminkkoffer und zog die Haustür hinter sich zu.
Die freundliche Sonne hatte getäuscht, es war noch immer empfindlich kalt. Eva sperrte noch einmal auf und nahm sich eine Jacke vom Garderobenhaken hinter der Tür. Sie mußte ihrer Kollegin für ihren kleinen Unfall dankbar sein – damit gab sie ihr die Chance, ihr mageres Budget ein bißchen aufzubessern. Wobei, kleiner Unfall? Erst jetzt fiel ihr auf, daß sie nicht einmal gefragt hatte.
Um achtzehn Uhr fünfundvierzig startete die Landesschau. Eva war früh genug da, um im Gang noch ein Schwätzchen zu halten, ihren Platz einzunehmen und ihren Koffer aufzubauen. Sie schaute ihren Plan an, den ihr jemand von der Aufnahmeleitung auf den Tisch gelegt hatte. Nichts Aufregendes. Gleich würde der Moderator kommen, das war immer nett, denn er war eigentlich dauernd gutgelaunt und außerdem unkompliziert. Da ging es tatsächlich nur ums Abpudern.
Der Raum hatte nur zwei Schminkplätze mit den typischen großen Spiegeln, dem entsprechend hellen Licht und den Stühlen mit den hohen Lehnen. Durch die großen Fenster wirkte er hell und freundlich. An der einen Wand hingen unzählige Autogrammkarten, die von echten Stars, kommenden Stars, vergangenen Stars und verglühten Sternchen signiert worden waren. Manche waren uralt, richtige Kindergesichter strahlten sie da an. Die Denkerpose kam bei den Männern gut, Kinn auf die Faust, die Frauen warfen dagegen eher lachend den Kopf zurück. Manche von ihnen waren schon tot.
Eva drehte sich wieder um.
Jürgen Hörig kam im selben Augenblick herein, ließ sich in den Stuhl vor ihrem Kosmetikkoffer fallen, und sie scherzten übers Leben, während sie ihm ein fernsehgerechtes Make-up auflegte. Eva fragte ihn nach Sabine Reitz, denn es war angenehmer, wenn man wußte, wen man vor sich hatte. Die Dame hatte einen Designerpreis gewonnen. Das hörte sich jedenfalls schon mal spannend an. Design war geheimnisvoll – da hatte jemand eine Idee, gestaltete sie im Kopf, und später wurde daraus ein Kleidungsstück, ein Stuhl, eine Yacht. Es war eine andere Welt, größer, weiter, erfolgreicher als ihre. Eva hing den Bildern nach, die ihre Phantasie produzierte, wärmte schon einmal die Lockenwickler an, falls sie denn gebraucht würden, und legte sich das Glätteisen zurecht. Sie war gewappnet.
Die Frau, die dann von der Aufnahmeleitung hereingeführt wurde, ließ Eva zögernd nachfragen: »Sabine Reitz?«
Die Frau nickte, fuhr sich mit der Hand durch die viel zu langen und in allen Stufen ausgefransten Spaghettihaare und setzte sich ohne ein weiteres Wort in Evas Sessel. Sie war blaß und mager und hatte mit Donatella Versace oder Wolfgang Joop nicht im Traum was zu tun.
»Ich bin Eva Kern«, stellte sich Eva vor und versuchte, die vielen falschen Designerbilder loszuwerden.
Die Frau nickte und sah sie im Spiegel an. Schon wieder so ein Spiegelblick, und in derselben Sekunde fiel ihr Thomas Rau ein. Er hatte satte dunkelbraune Augen, die ständig belustigt schauten. Die hier waren blaßblau und wachsam.
»Haben Sie einen besonderen Wunsch?« fragte Eva, während sie die Farbzusammenstellung des Blazers studierte. Hellgrün-orange gestreift, viele extradünne Streifen. Da würden die Kameraleute ihre Freude haben. Stand nicht ausdrücklich in den Verträgen, man möge kleinkarierte und unruhige Kleidungsstücke vermeiden?
»Dunkelbraun«, sagte die Frau mit überraschend fester Stimme. »Dunkelbraun für die Augen und dichte Locken!«
»Dunkelbraun?« Eva war überrascht. »Zu Ihren hellen Augen?«
»Ja, eben. Das bringt die Augen besser zur Geltung!«
Eva betrachtete die hellen Wimpern und Augenbrauen. Dunkelbraune Augendeckel würden das Gesicht zerschlagen.
»Ist das nicht zu schwer?« versuchte sie es, schließlich wollte sie die Frau hübscher machen, nicht verschandeln. Sie konnte ja schlecht »Auf ausdrücklichen Wunsch« daneben schreiben. Jeder Zuschauer, Redakteur und Regisseur würde glauben, sie habe ihren Beruf verfehlt.
»Ich mag’s so!«
Bingo. Na, dann! Sie zog die kleine Schublade mit den verschiedenen Lidschatten heraus. Darauf war sie beim Kauf dieses Schminkkoffers besonders stolz gewesen. Er war mit 370 Euro zwar unglaublich teuer gewesen, aber er war so professionell gestaltet, daß sie kaum noch etwas ausräumen mußte. Sie brauchte nur verschiedene Seitenteile aufzuklappen oder Schubladen herauszuziehen und hatte immer alles nach Farben oder Anwendung geordnet dabei.
Doch jetzt starrte sie auf die kleine Schublade mit den schmalen Leisten. Die ganz außen rechts war leer. Sämtliche Brauntöne, von Beige bis Dunkelbraun, Puder und Lidstrich und Wimperntusche waren verschwunden.
Eva mußte erst einmal tief Luft holen. Ich erschlage dich, dachte sie dann, wußte aber nicht so richtig, wen. Toni oder Caro? Beide?
Doch das half ihr jetzt nicht. Die hellblauen Augen hielten sie im Spiegel fest. Eva setzte ein Lächeln auf, während ihre Wangen glühten.
»Wir machen erst einmal die Haare«, sagte sie freundlich. »Locken dauern etwas länger. Während dieser Zeit können Sie relaxen, und ich lege Ihnen dann das entsprechende Make-up auf.«
Die Frau im Spiegel nickte, legte den Kopf zurück und schloß die Augen. Eva blies langsam die aufgestaute Luft aus, knetete die feucht gewordenen Hände und schwor sich, daß diese Sache Folgen haben würde. Egal für wen, eine Woche Ausgehverbot mindestens!
Sie drehte die dünnen Haare auf, ganz in der Gewißheit, daß das Ergebnis fürchterlich aussehen würde, und dann machte sie sich unter einem Vorwand auf die Suche. Jetzt brauchte sie eine Kollegin mit komplettem Braunsortiment.
Sie hörte Regine lachen, bevor sie sie sah. Sie fand die ganze Frau fürchterlich, Regine kreischte immer in den höchsten Tönen und gab sich dabei so burschikos-männerfreundlich, daß es Eva bei all dem Schenkel- und Oberarmgeklopfe immer ganz schlecht wurde. Aber sie war beliebt, durfte zu Filmen mit, bei denen andere Schlange stehen mußten. Böse Zungen behaupteten, sie mache nicht den großen Unterschied, wo sie giggelnd hinklopfte, aber das wollte Eva nicht wissen.
Jetzt mußte sie durch.
Regine gab sich gönnerhaft, setzte ihren drallen Busen und den ganzen Körper in Schwung, bückte sich neben einem männlichen Gast über ihren Koffer und kam, von seinen Blicken verfolgt, mit mehreren Utensilien wieder hoch.
»Das dürfte für das Mädchen reichen«, sagte sie und grinste. Sie hatte ein hübsches Gesicht, aber für Evas Geschmack war sie überall ein bißchen zu künstlich. Selbst die Lippen waren zu voll.
»Ich danke dir«, sagte sie und setzte nach: »Ich mach’s wieder gut! Ganz bestimmt!«
»Kein Problem«, lächelte Regine süß. »Wir sehen uns in der Kantine!«
Auf dem Heimweg überlegte Eva, ob sie nicht noch am Maritim vorbeifahren und in die Bar hineinschauen sollte. Vielleicht … aber nein. Er war arrogant und blöd gewesen, und sie lief keinem Mann nach. Seine Visitenkarte fiel ihr ein. Sie hatte gestern nicht einmal mehr draufgeschaut. Und wer sagte ihr denn, daß er ein Stuttgarter war? Er sprach gepflegtes Hochdeutsch, mit satter, wohlklingender Stimme und gut prononciert.
Jetzt hör aber auf! rief sie sich selbst zur Ordnung. Es ist gleich neun, und du hast Kinder, mit denen du außerdem noch ein Hühnchen zu rupfen hast! Und nicht nur eines!
Allein, was die Kosmetik kostete! Und eine Maskenbildnerin ohne Handwerkszeug! Es war völlig untragbar!
Aber richtige Wut wollte sich nicht mehr einstellen, im Gegenteil. Auf Höhe Gaußstraße ertappte sie sich schon beim ersten Lächeln, und vor einer roten Ampel mußte sie dann schließlich herzhaft lachen.
Klauten sie ihr einfach die ganze Braunpalette! Es war nicht zu fassen! Und diese Designerin, die sie so herumgescheucht hatte, der die Locken nicht richtig saßen und die sie dafür verantwortlich gemacht hatte, daß sie nicht wie Cindy Crawford rüberkam, und die insgesamt wie ein gerupftes Huhn aussah, aber trotzdem kein nettes Wort übrig hatte, diese Kuh also hatte den Preis für einen Kochtopf bekommen, in dem man Fisch oder Spargel oder sonstwas garen, braten oder dünsten konnte. Eva wollte sich darüber gar nicht mehr beruhigen. Zudem: Gab es so was nicht schon längst? Sie war nicht auf dem neuesten Stand, aber sie erinnerte sich, daß ihre Großmutter schon ovale Töpfe verwendet hatte; die hießen damals Römertopf.
Vor ihrem Haus bremste sie ab. Schon wieder Roller. Diesmal aber nur einer. Und niemand zu sehen und alle Fenster dunkel, das war verdächtig. Eva fuhr ihren Golf in die Garage, die mit Fahrrädern, Rasenmäher und allem möglichen Krimskrams so vollgestellt war, daß der Wagen kaum noch hineinpaßte. Es fehlte einfach jemand, der Spaß an Krimskrams hatte, aufräumen wollte, aussortieren mochte und Überflüssiges entsorgen konnte. Sie hatte manchmal entsprechende Anfälle, aber wenn sie sich dann mit vollem Elan auf alte Kisten und Schubladen stürzte, blieb sie an so vielen Details hängen, daß sie zum Schluß alles wieder zuklappte und an seinen alten Platz zurückschob. Sie war eine Sammlerin. Traurig, aber wahr.
Caro konnte sich dagegen ratzfatz von allem trennen. Sie räumte ihren Schrank grundsätzlich aus, bevor sie etwas Neues kaufte. Manches tauschte sie direkt beim Second-Hand-Shop ein. Das eine Teil hin, ein anderes her.
Toni dagegen hatte den Überblick schon längst verloren. Sie schaufelte immer erst einmal alles in eine Ecke und von dort, wenn sie etwas suchte, in die nächste. Sie war ein Chaoskind.
Trotzdem, auch ein Chaoskind mußte sich nicht schon mit vierzehn mit irgendeinem Kerl herumtreiben. Eva ging die drei Steinstufen zur Haustür hinauf und suchte mit ihrem Schlüssel das Türschloß. Die Lampe ging schon ewig nicht mehr, aber es war eine von der mühsamen Art, bei der man nur mit Schraubenzieher und Trittleiter an die Glühbirne herankam. Nicht, daß sie das nicht könnte. Sie konnte auch Reifen wechseln und Löcher in die Wand bohren. Eva vergaß diese dämliche Glühbirne nur immer wieder. Am Tag fiel es nicht auf, und in der Nacht war es dann wieder zu spät.
»Toni!« rief sie, kaum daß sie die Tür hinter sich geschlossen und das Flurlicht eingeschaltet hatte. Vor der Garderobe lagen Tonis Schuhe übereinander, und ein großes Paar stand daneben. Weiße Ledersneakers mit schwarzen Streifen. Eva verharrte kurz. Zumindest war er ordentlich. Ob er seine Boxershorts auch zusammenlegte? Mit drei Sätzen war sie an der schmalen Holztreppe.
»Toni!« rief sie noch einmal, und als sie noch immer nichts hörte, pfiff sie schrill durch die Finger. Das tat sie nur, wenn wirklich alle Zeichen auf Sturm standen. Und in manchen Situationen war es auch die einzige Art, sich bei ihrer Tochter bemerkbar zu machen. Das hier war so eine.
Sie hörte eine Tür. Ziemlich leise. »Ach, Mami! Psst! Du verschreckst ihn ganz!«
»Was?« Eva blieb wie angewurzelt auf der untersten Stufe stehen. War es nicht gerade das, was sie wollte?
Toni erschien am obersten Treppenabsatz. Sie trug ihre schwarze Trainingshose, ein enges Top und hatte den Finger auf den Mund gelegt. »Komm hoch! Aber leise!«
Eva wußte nicht, was sie sich vorstellen sollte. War der Kerl beim ersten Besuch im Zimmer ihrer Tochter eingeschlafen? War so etwas möglich? Sie mußte dringend mit Toni über Verhütung sprechen. Wenn sie nur wüßte, wie sie es anfangen sollte. Vielleicht beauftragte sie besser Caro damit, bei der eigenen Mutter würde Toni sowieso nur flüchten.
Ihre Tochter strahlte über das ganze Gesicht. Ihre Haut glänzte zartrosa, die Gesichtszüge waren weich, fast kindlich, ihre Haare leicht zerzaust, und irgendwie erinnerte sie das ganze Kind an Weihnachten.
Abwartend blieb Eva vor ihr stehen. Was würde sie ihr jetzt präsentieren?
Mit einem »Schau mal«, das in der Höhe fast Regines Stimmlage erreichte, schob sie langsam die Tür zu ihrem Zimmer auf. Alles war in einer gigantischen Heumenge untergegangen.
»Was ist denn das?« Eva war ehrlich entsetzt. Wollte ihre Tochter jetzt im Heuschober leben?
»Psst! Er ist so süüüüß!«
Das wollte Eva bezweifeln, trotzdem warf sie einen Blick aufs Bett. Dort saß in feierlicher Pose, aber immerhin vollständig angezogen, ein etwa siebzehnjähriger Junge, den sie noch nie gesehen hatte. Er nickte ihr leicht zu, bewegte sich aber sonst nicht.
»Ist er nicht süß, Mami? Sag selbst …«
Eva betrachtete ihre aufgeregte Tochter und fragte sich einen Moment lang, ob sie noch alle Tassen im Schrank hatte, als etwas Dunkles auf sie zufederte. Toni sprang sofort ins Zimmer und warf sich auf den Boden, Eva wich einen Schritt zurück.
Der Junge lächelte, und Toni hatte etwas Zappelndes im Arm, das sie ihr stolz als »Hoppelhoff« präsentierte.
»Hoppelwas?« fragte Eva, weil sich ihr Verstand weigerte, das Ganze als Realität zu erfassen.
»Hoppelhoff«, wiederholte ihre Tochter geduldig, und jetzt konnte Eva sehen, daß es ein Zwergkaninchen mit Schlappohren war.
»Das hat mir Sven geschenkt! Stell dir vor!!!«
»Ja, stell dir vor!« wiederholte Eva und machte nun doch einen großen Schritt ins Zimmer. Es roch wie im Kräutergarten.
»Hast du einen Knall?« fragte sie direkt zum Bett hin, aber Sven schien das nicht weiter zu irritieren. Er blieb sitzen, schüttelte freundlich den Kopf und sagte nur: »Nein. Wir haben es nur gesehen, Toni hat es sich gewünscht, da hab ich es eben gekauft.«
»Toni hat es sich gewünscht …«, sagte Eva und wußte auch nicht, warum sie alles wiederholen mußte. Warum nur hatte Gerold, dieser Mistkerl, sie in diesem ganzen Schlamassel sitzenlassen? Sie wünschte ihm mehrere Krokodile an den Hals. Mindestens. »Aber ich hab mir das nicht gewünscht«, sagte sie und hörte selbst, wie lahm es klang. »Und ich finde, daß man keine Tiere anschafft, ohne vorher mit den Eltern darüber geredet zu haben!«
»Papa ist ja nicht da!« warf Toni ein.
»Mir egal, das Tier kommt jedenfalls wieder weg! Bring es zurück!«
»In die Zoohandlung?« In Tonis Stimme lag pures Entsetzen. »Und wer bekommt es dann? Du predigst doch immer, daß man Verantwortung übernehmen soll. Wer weiß, was mit dem Kerlchen geschieht?«
»Es wird ein anderes Mädchen finden, das ihn mag!«
»Aber ich mag ihn doch auch! Das ist doch völlig unlogisch!«
Hatte nicht Tonis Deutschlehrerin geklagt, sie könne nicht argumentieren? Warum hatte sie eigentlich eine so schlechte Note?
»Ihr hättet mich fragen können!«
»Du warst ja nicht da. Wie immer!«
»Mit der Nummer brauchst du mir gar nicht zu kommen. Ich bin oft genug da!«
»Dein Handy war ausgeschaltet!«
»Ihr hättet bis morgen warten können!«
»Aber das Häschen nicht. Schau doch, wie es schaut!«
Eva wollte nicht schauen. Sie kannte sich. Wenn sie schaute, war es schon zu spät.
Sie schaute. Es war ein schwarzes Kaninchen mit einer weißen Flocke auf der Nase. Es sah wirklich süß aus. Aber alle jungen Tiere sahen süß aus.
»Das ist doch noch viel zu klein, um von der Mutter … wie alt ist es denn?«
»In dem Zoogeschäft haben sie gesagt, es sei das richtige Alter. Die Mütter wollen sie dann nicht mehr.«
Eva glaubte das nicht. Da ging es ums Geschäft und nicht um Mutterliebe.
»Nimm ihn doch mal!«
Und bevor sie sich versah, hatte sie das Kaninchen auf dem Arm. Toni schaute sie erwartungsvoll an, der Jüngling auf dem Bett lächelte.
»Ich mag keine eingesperrten Tiere!«
»Wir machen den Garten ausbruchsicher«, sagte Sven.
Das war interessant. Wir???
Eva holte tief Luft. »Er braucht einen Käfig für die Nacht!«
»Organisieren wir!«
»Wer pflegt ihn? Holt Futter, macht den Käfig sauber?«
»Aber klar doch, Mutti!« Und in derselben Sekunde lag ihr Toni in den Armen, sprang das Kaninchen zu Boden, versteckte sich im üppigen Heu, und sie hatte sich mal wieder prächtig durchgesetzt.
»Ein Tier allein ist einsam«, sagte sie noch, aber das nur sehr leise.
Zusammen mit Hoppelhoff zog Sven ein. Eva bemerkte die schleichende Veränderung zuerst kaum, aber dann wurde es doch immer offensichtlicher. Sven besuchte täglich sein Kaninchen. Und zwischendurch ließ er auch schon mal was liegen, so daß er am nächsten Tag wiederkommen mußte. Dann stellte ein kaninchenkundiger Freund von Sven fest, daß Hoppelhoff ein Mädchen ist.
Toni lachte und veranstaltete sofort eine Art Tauffest, und mit Chips und Cola wurde das Ereignis gefeiert und Hoppelhoff in Hoppeline umbenannt. Eva sah Toni mit ihren Freunden und Freundinnen im Garten sitzen und registrierte, wie liebevoll sie mit Sven umging.
Als Toni in die Küche kam, um eine neue Cola zu holen, ging Eva zu ihr hin. »Findest du ihn so toll?« fragte sie vorsichtig.
Toni strahlte, sagte aber nur: »Ach, Mama!«
Ach, Mama? Jetzt war es wirklich Zeit! Es mußte nur die richtige Gelegenheit kommen.
Sie paßte Caro noch am selben Abend in einem Moment ab, da Toni nicht in der Nähe war. Das klappte am besten nach dem gemeinsamen Abendessen, denn wie immer suchte Toni nach dem letzten Bissen blitzartig das Weite.
Eva stapelte die Teller ineinander, während Caro noch unentschlossen am Tisch stand. Es war ihr anzusehen, daß sie sich auch gern empfohlen hätte.
»Du kannst gleich gehen, wenn du mir eine Frage beantwortet hast«, begann Eva.
»Du kannst gleich gehen? Toni ist schon weg!«
»Das ist auch gut so«, beschwichtigte sie Eva. »Hast du eine Ahnung, was mit Sven läuft?«
Caro klaubte sich die letzte Gewürzgurke von der leergegessenen Platte und biß genüßlich ab. Sie kaute und hob dann langsam den Blick. »Was soll sein?« fragte sie in aller Unschuld. »Sie schlafen miteinander. Ist doch normal!«
»Ist doch normal?« Eva schnappte nach Luft. »Sie ist vierzehn! Ist sie überhaupt schon aufgeklärt?«
»Ach, Mutti!«
Hatte sie das heute nicht schon einmal gehört?
»Ach, Mutti! Was, ach Mutti! Und wenn sie nun schwanger wird? Nimmt sie die Pille? Und wenn ja, welche? Und bei welchem Frauenarzt ist sie überhaupt? Es ist doch ungeheuerlich, daß man überhaupt nichts erfährt!«
»Sie ist mit ihrer Freundin bei einer Ärztin gewesen. Sie macht das schon klar!«
In Eva wuchsen zuerst die Befürchtungen, dann kam die Resignation. Ihre vierzehnjährige Tochter sprach nicht mit ihr. Sie vertraute sich lieber einer Freundin an, ging heimlich zum Frauenarzt, schloß sie aus.
Das tat weh.
»Danke!« sagte sie und schaute in den Garten. Draußen hoppelte Hoppeline herum. Es ist nicht richtig, daß das Kaninchen allein ist, dachte Eva. Und es war nicht richtig, daß sie nichts erfuhr. Sie war achtunddreißig Jahre alt. War sie in den Augen ihrer Töchter völlig vergreist? Eine verständnislose Alte, der man besser nichts mehr erzählt?
Draußen brach die Dämmerung herein. Zeit, das Kaninchen in seinen Käfig zu tun. Sie öffnete den Kühlschrank, nahm eine Flasche Bier heraus, schenkte sich ein Glas ein und ließ sich auf einen Stuhl sinken.
Es war nicht leicht.
Sie hatte sich das Erwachsenwerden ihrer Kinder so schön vorgestellt. Sie hatte gedacht, mit ihren Töchtern zusammen am Tisch zu scherzen, sich über ernste und lustige Dinge zu unterhalten, über die Schule, über Kameraden, über die Lehrer, über die erste Liebe. Nichts von dem war eingetroffen. Caro hatte ihre Pubertät irgendwie mit sich selbst ausgemacht. Es war nicht viel davon zu spüren gewesen, aber vielleicht war sie selbst durch Gerold in der Zeit zu sehr abgelenkt worden. Ein Mann, ein gestandener Familienvater, der sich plötzlich umorientierte, gab ja auch zu denken. Vor allem, wenn er nichts davon sagte.
Ein dunkler Schatten lenkte sie ab. Irgend etwas war gerade in den Garten gehuscht. Der Garten war nicht groß, der typische Versorgungsgarten früherer Zeiten. Einige Beete, ein Apfelbaum, ein paar Ackerfurchen. Geblieben war nur der Apfelbaum. Selbst das kleine Gewächshaus, das ihre Oma noch betrieben hatte, gab es nicht mehr. Sie wollte Rasen, einfachen, pflegeleichten Rasen. Ein paar Büsche am Gartenzaun, Forsythien, Pfingstrosen, Chrysanthemen, Lupinen, Hortensien und eine ganze Reihe Margeriten, weil sie die so liebte. Weiße Margeriten waren ihre Lieblingsblumen. Sie mochte auch Rosen und Rittersporn, aber warum auch immer, wenn sie weiße Margeriten sah, fand sie die besonders schön. Und Klatschmohn.
Draußen quietschte etwas. Jetzt sprang sie auf und schaltete das Außenlicht ein. Gott sei Dank, wenigstens das funktionierte. Ihr Kaninchen schoß wild durch den Garten, sprang meterhoch in die Luft und drehte sich um die eigene Achse – es wäre faszinierend gewesen, wenn da nicht der rötliche Angreifer gewesen wäre. Ein Fuchs! Sie glaubte es ja kaum. Mitten im Wohngebiet!
Sie riß die Terrassentür auf und stürzte hinaus. Der Fuchs war erstaunlich groß. Er hielt inne und musterte sie. Einen Augenblick lang war sich Eva nicht sicher, ob er nun nicht sie angreifen würde – und obwohl sie Angst hatte, fand sie seine Augen faszinierend. Sie funkelten bernsteinfarben. Es liegt eine alte Weisheit darin, dachte Eva, aber dann wurde ihr bewußt, daß er ihre Hoppeline fressen wollte. Ganz schlicht und einfach, und sie machte einen Schritt auf ihn zu. Er verharrte, dann drehte er ab, ließ sie dabei aber nicht aus den Augen. So unbemerkt, wie er gekommen war, verschwand er auch wieder.
Erst jetzt spürte Eva ihren Herzschlag. Hinter ihren Rippen wummerte es wie wild. Und gleichzeitig dachte sie an Hoppeline. Wie es ihr jetzt wohl ging?
»Hoppeline«, rief sie und lief durch den Garten. »Hoppelinchen!« Aber das Kaninchen war schwarz und der Garten außerhalb des Lichtkreises auch. Wie konnte sie das Tier jetzt finden? War es vielleicht sogar verletzt?
Dann sah sie es. Das Kaninchen kauerte dicht am engmaschigen Zaun, hatte sich mit seinem ganzen Körper dagegen gedrängt.
Vor Erleichterung liefen Eva die Tränen herunter. Sie setzte sich neben Hoppeline auf den Boden und legte ihre Hand auf den zitternden kleinen Körper. Das hatte sie noch nie getan. Sie hatte das Kaninchen nach dem ersten Mal auch nie wieder zu sich auf den Arm genommen.
Jetzt tat sie es.
Sie wußte nicht, wie lange sie mit dem Tier so im Garten gesessen hatte. Ihre Jeans war bis auf den Hintern durchnäßt, und nach der ersten hitzigen Aufregung fing sie jetzt an zu frieren. Aber es lag ein kleiner Friede über dem Ganzen. Sie saß, schaute auf ihr Haus, in die beleuchteten Zimmer hinein und fühlte sich wie ein vom Himmel gefallener Stern. Konnte man das Leben neu begreifen? In diesem Moment empfand sie es so.
Am nächsten Morgen fuhr Eva mit Hoppeline ins Tierheim. Sie hatte erst am Abend Dienst, ihre Kinder waren in der Schule, und sie hatte eine Bringschuld: Was sie in der vergangenen Nacht dem Kaninchen ins Ohr geflüstert hatte, wollte sie halten.
»Einen Bock wollen Sie also?« fragte die Frau, die im Büro saß. Auf dem Sofa hinter ihr lag ein altersschwacher Schäferhund und neben ihr ein zu dicker Pudel.
»Einen Bock? Ich dachte, einen Rammler!«
»Ein Rammler ist ein Bock!«
»Ach!«
Warum fiel ihr jetzt Gerold ein?
»Ja, dann einen Bock!«
»Gut! Soll er kastriert sein?«
Eva hielt die Schachtel hoch, in der sie Hoppeline transportierte. »Ich habe unser Kaninchen mitgebracht. Sie sollen sich mögen, aber Nachwuchs möchte ich nicht.«
»Also kastriert!«
Eva nickte.
»Also doch keinen Bock!«
»Ein männliches, kastriertes Zwergkaninchen, das sich mit unserer Hoppeline verträgt!«
»Dann wollen wir mal!«
Eva hatte es befürchtet. Die vielen Hunde hinter ihren Gittern, die Katzen, Meerschweinchen und Hasen, es war ihr ganz elend. Und sie durfte bloß nicht zu lange schauen. Da bellte sie gerade ein mittelgroßer Hund mit dichtem schwarz-weißen Fell an und schmiegte sich gleich darauf auffordernd ans Gitter.
»Darf ich?« Eva hatte die Finger schon ausgestreckt.
»Gern! Das ist ein Border Collie, ein Klassehund. Kinderlieb, paßt auf, ist intelligent, ein richtiger Hütehund.«
Ein richtiger Hütehund wäre wahrscheinlich besser als ein Bock. Oder Rammler. Der rammelte rum, während der Fuchs kam. Der Collie würde wenigstens aufpassen.
»Wie kommt so ein toller Hund zu Ihnen?«
»Wie alle. Die Besitzer verlieren das Interesse, oder der Aufwand ist zu groß, die Wohnung zu klein, der Hund zu laut, das Futter zu teuer, die Ferien zu lang.«
Eva wand sich. Ihre Kinder hatten sich immer einen Hund gewünscht. Sie hatte immer abgelehnt. Gerold mochte keine Tiere, für ihn bedeuteten sie nur Verantwortung und Arbeit.
»Was müßte er lernen, um mit uns umzugehen?«
»Nichts, er weiß schon alles. Er ist ausgebildet. Ich sagte ja schon, ein Klassehund. Beim Züchter richtig teuer.« Sie warf ihr einen Blick zu. »Sie müßten lernen. Aber dafür gibt es Schulen. Und Bücher.«
Bücher. Das hörte sich schon mal gut an.
Eva bückte sich, der Hund drehte seine schmale Schnauze und leckte ihr über die Finger, die sie im Maschendraht eingehakt hatte.
»Was kostet er?« fragte Eva und spürte, wie ihre Kehle trocken wurde.
Sie kam mit dem Hund auf dem Rücksitz und dem Kaninchen in der Schachtel zurück. Hast du sonst keine Probleme, fragte sie sich unwillkürlich, aber es war schon zu spät, jetzt hatte sie ihren Mann durch einen Hund ersetzt. Nur gut, daß keine Psychologin in der Nähe war, sie hätte es nicht hören wollen.
Eva blieb eine Weile im Auto vor ihrem Haus sitzen, dann drehte sie sich langsam um. Der Border lag lang auf der Hinterbank, den Kopf auf den ausgestreckten Vorderbeinen, ein Auge beobachtete sie genau.
»So«, sagte Eva und langte vorsichtig nach hinten. Handrücken zur Hundeschnauze, das wußte sie noch aus ihrer Kinderzeit. Der Hund schnüffelte willig. Was, wenn er jetzt einfach zubeißen würde? Verbanne solche Gedanken, sagte sie sich. Er hat eine neue Heimat, und du hast einen Freund. Hoppeline hat keinen Rammler, aber das würde sie ihr hoffentlich verzeihen.
Toni war die erste, die mit lautem Gekläff an der Haustür begrüßt wurde. »Was ist denn das?« fragte sie.
»Unser neuer Hund«, antwortete Eva. »Heißt Flash und ist ein Border Collie.«
»Cool!« Mehr sagte sie nicht, da kniete sie schon vor ihm, und die beiden schlossen Freundschaft.
Eva ging das fast ein bißchen zu schnell. Schließlich war sie doch die Heldin des Tages.
Aber gleich darauf hing ihr Toni um den Hals.
»Mama! Daß du das gemacht hast! Das ist wunderbar! Ich habe mir immer so sehr einen Hund gewünscht!!!«
Sie war völlig aus dem Häuschen. Eva betrachtete ihre Tochter, deren Augen vor Freude fiebrig zu glänzen begannen. Toni küßte sie und warf sich wieder zu dem Hund auf den Boden, der sofort vorn runter- und hinten hochging, eifrig wedelte und das Ganze als Spielaufforderung verstand.
Sie tobten durchs Haus, während Eva das Kaninchen wieder in den Garten setzte und sich einen Kaffee machte.
»Ich habe ihm alles gezeigt!« Atemlos kam Toni die Treppe herunter und in die Küche geschossen, dicht verfolgt von Flash, der sie immer wieder ansprang und freudig erregt kläffte.
»Dann machen wir ihn vielleicht mal vorsichtig mit Hoppeline bekannt«, schlug Eva vor. »Nicht daß er sie uns strahlend zum Abendessen serviert.«
»Er ist doch ein Hütehund, hast du gesagt, kein Jagdhund!«
»Aber vielleicht hat auch ein Hütehund Jagdinstinkte, was weiß denn ich?«
»Halt du Flash, dann hole ich Hoppeline!«
Eva öffnete die Verandatür und setzte sich mit Flash auf den schmalen Absatz, der hinaus in den Garten führte. »Platz«, sagte sie, und der Hund setzte sich augenblicklich dicht neben sie und schaute sie aus sandfarbenen Augen erwartungsvoll an. Sie waren fast auf Augenhöhe. Ob das für ein Experiment gut war? Sie hatte mal gehört, daß man immer größer sein sollte als der Hund. Hunde, die auf ihren Menschen herunterschauen können, fühlen sich leicht überlegen. Nun gut, dachte sie, lassen wir es darauf ankommen.
Toni versuchte Hoppeline einzufangen, was die ihr nicht ganz einfach machte. Flash verfolgte die Szene mit interessierter Miene.
Eva betrachtete ihre Tochter. Sie war gutgewachsen, nicht übermäßig groß, aber schlank und muskulös, hatte einen schönen, kleinen Busen, den sie mit entsprechenden BHs zur Geltung brachte. Ihr dichtes Haar fiel ihr im Stufenschnitt auf die Schultern. Sie war die einzige in der verbliebenen Familie, die naturblond war. Das hatte sie von ihrem Vater geerbt, die grünen Augen und den vollen Mund dagegen von ihr. Und sie wurde schnell braun, was für eine Blondine ja außergewöhnlich war.
Caro war größer und schlanker, sehr viel sehniger, sie wirkte gegen Toni wie eine Ballerina. Auch sie wurde schnell braun, aber sie hatte das dunkle Haar ihrer Mutter, dafür die blauen Augen ihres Vaters. Die Nase war länger als die von Toni, die eher eine Stupsnase hatte, und der Mund schmäler. Sie hatte etwas von einer griechischen Schönheit, auch wenn Caro das überhaupt nicht hören wollte. Sie wollte kein klassisches Profil, sondern ein modernes.
Eva kraulte Flash. Es war schon eigenartig, wie unterschiedlich Geschwister sein können. Auch im Charakter. Toni war die Draufgängerin. Kein Baum war zu hoch, keine Wand zu steil, kein See zu kalt. Sie mußte einfach immer alles ausprobieren. Caro dachte immer erst einmal nach. Bis Caro sich zu etwas entschieden hatte, war Toni längst schon fertig.
Komisch. Gerold war kein wilder Draufgänger gewesen, und sie war es auch nicht. Sie war eher vorsichtig, wenn sie sich manchmal auch zu etwas hinreißen ließ … Sie schaute den Hund an und mußte lächeln. Möglicherweise war sie ihrer Tochter doch ähnlicher, als sie selbst dachte.
Toni hatte Hoppeline gefangen, die noch wild mit den Hinterläufen zuckte, aber schließlich doch in Tonis Arm zur Ruhe kam.
»Na, denn«, rief Eva und hoffte, daß sie alles richtig machte. Sie konnte schließlich in keinem Lehrbuch nachschauen. »Ich halte Flash fest, und wir lassen sie mal gegenseitig schnuppern.«
Sie hatte einen Arm fest um Flashs Hals gelegt und hielt ihm mit der anderen zur Vorsicht die Schnauze zu, aber er machte gar keine Anstalten, dem Kaninchen etwas tun zu wollen. Seine Rute peitschte. Wedelten Hunde nicht auch vor Aufregung kurz vor dem Angriff? Jeder Hund, der ein Mauseloch ausgrub, wedelte zumindest. Aber Hoppeline schien überhaupt keine Angst zu haben. Möglicherweise war es die pure Unwissenheit, aber sie schnüffelte genauso interessiert wie Flash. Hundenase auf Kaninchennase, dachte Eva. »Schade, daß wir keine Kamera dahaben!«
Ende der Leseprobe