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Beschreibung

Was ist das »Neue« an der Neuen Rechten? Seit der Enttarnung des Nationalsozialistischen Untergrunds und den politischen Entwicklungen in den 2010er Jahren hat das Lager der hiesigen Rechtsextremisten erhebliche publizistische Aufmerksamkeit erfahren. Wesentliche Veränderungen sind hingegen unterbeleuchtet geblieben. Dies gilt insbesondere für die Neue Rechte und deren politisches Denken, ihr Verhältnis zu gesellschaftlichen Minoritäten sowie ihre Vorstellungen von Deutschlands Rolle in Europa und in der Welt. Die Beiträgerinnen und Beiträger des Bandes rücken Fragen zu Philosophie, zu Minderheiten und zu Transnationalität in den Fokus, um das tatsächlich »Neue« an diesem rechten Phänomen zu erörtern.

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Vojin Saša Vukadinović ist Historiker und promovierte an der Freien Universität Berlin mit einer Studie zur politischen Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Er hat zum Linksterrorismus, der Geschichte der Neuen Frauenbewegung und migrationspolitischen Belangen publiziert.

Vojin Saša Vukadinović (Hg.)

Randgänge der Neuen Rechten

Philosophie, Minderheiten, Transnationalität

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Dieses Werk ist lizenziert unter der Creative Commons Attribution-Non-Commercial 4.0 Lizenz (BY-NC). Diese Lizenz erlaubt unter Voraussetzung der Namensnennung des Urhebers die Bearbeitung, Vervielfältigung und Verbreitung des Materials in jedem Format oder Medium ausschliesslich für nicht-kommerzielle Zwecke.

(Lizenztext: https://creativecommons.org/licenses/by-nc/4.0/deed.de)

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Erschienen 2022 im transcript Verlag, Bielefeld © Vojin Saša Vukadinović (Hg.)

Umschlaggestaltung: Maria Arndt, Bielefeld

Lektorat: Übersetzungs- und Korrekturbüro BRAUN

Print-ISBN 978-3-8376-5996-2

PDF-ISBN 978-3-8394-5996-6

EPUB-ISBN 978-3-7328-5996-2

https://doi.org/10.14361/9783839459966

Buchreihen-ISSN: 2702-9050

Buchreihen-eISSN: 2702-9069

Besuchen Sie uns im Internet: https://www.transcript-verlag.de

Unsere aktuelle Vorschau finden Sie unter www.transcript-verlag.de/vorschau-download

Inhalt

 

RandbewusstseinDie Neue Rechte auf der Höhe der ZeitVojin Saša Vukadinović

I. Philosophie

Vom Syndikalismus zur Nouvelle DroiteGeorges Sorel als linker Wegbereiter der Konservativen RevolutionMoritz Pitscheider

Reaktionäre Erbschaften und restaurative SehnsüchteBernard Willms’ letztes Aufgebot zur Renationalisierung DeutschlandsPanagiotis Koulaxidis

Metapolitik bis zum »Tag X«Thor von Waldsteins GramscianismusSabri Deniz Martin

Monument des DegoutWolfgang Gedeon als HeimphilosophVojin Saša Vukadinović

Benedikt Kaiser: »Lernen von links«Eine Analyse zur Philosophie einer ProduktpiraterieArmin Pfahl-Traughber

II. Minderheiten

»Aufstand gegen die Natur und gegen die Wirklichkeit«Zum Homosexuellenhass in der AfD und zur Unredlichkeit ihrer KritikerSteffen Stolzenberger

Dialogbereitschaft in der EndkampflogikDenken und Selbstinszenierung neurechter Frauen am Beispiel Caroline SommerfeldMarco Ebert

Die jungen Gesichter der Neuen Rechten»Identität« als Dreh- und Angelpunkt des rechten politischen NachwuchsesHannah Kassimi

Nicht an der Seite, an der Stelle Israels wollen sie seinNeurechte Projektionen auf Israel, Angstlust und Sehnsüchte nach einer starken NationNikolai Schreiter

Dem Eigenen fremd, dem Anderen vertrautÜber neurechte Perspektiven auf Islam und MuslimeMatheus Hagedorny

III. Transnationalität

Strahlkraft der KriegsverbrecherDas multiethnische Jugoslawien und sein Zerfall als posthume Projektionsfläche der Neuen RechtenKrsto Lazarević

Die »wahren Konservativen« und die kulturelle HegemonieIdeologische und diskursstrategische Verbindungen zwischen der Neuen Rechten in Deutschland und dem Orbán-RegimeEszter Kováts

Der absolute FeindAntiamerikanische Leitmotive in außenpolitischen Debatten in der Neuen Rechten am Beispiel SezessionAnselm Meyer

Deutsche Schuld und planetarischer GrößenwahnDie Neue Rechte und der Störfaktor IsraelFabian Weber

»Das Neue an der Neuen Rechten ist, dass man sich instrumentalisierend auf die Shoah beziehen kann.«Ein Gespräch mit Annette Seidel-ArpacıVojin Saša Vukadinović

Autorinnen und Autoren

RandbewusstseinDie Neue Rechte auf der Höhe der Zeit

Vojin Saša Vukadinović

Als Manuel Ochsenreiter 2021 unerwartet in Moskau starb, erfuhren der politische Werdegang und die weit verzweigten internationalen Kontakte des rechtsextremen Journalisten kurzzeitig größere mediale Aufmerksamkeit.1 Bis dato war der einstige Redakteur der Jungen Freiheit und Vertreter der sogenannten »89er«-Pseudogeneration vorwiegend denjenigen ein Begriff gewesen, die das einschlägige Milieu gut kennen: als Chefredakteur von Zuerst! und der Deutschen Militärzeitschrift, als Autor der Sezession, zuletzt als Referent des AfD-Bundestagsabgeordneten Markus Frohnmaier.2 Der unermüdliche Aktivist, der häufig Osteuropa bereist hatte und dort mit Vertretern lokaler neonazistischer Bewegungen zusammengetroffen war, galt nicht nur als »Schlüsselfigur«3 der prorussischen Rechten in Deutschland, sondern war der Antisemitismus-Forschung auch »als Verbindungsmann der deutschsprachigen rechtsradikalen Szene zum iranischen Regime und insbesondere zur libanesischen Hisbollah«4 bekannt, deren Umfeld nach seinem Tod prompt Trauerbekundungen absetzte.5

In Ochsenreiters Biografie verdichten sich einige Aspekte, an denen sich sowohl Kontinuitäten des deutschen Rechtsextremismus wie entscheidende »Metamorphosen von rechts«6 nachweisen lassen. Bereits 2005 hatte er der Website Muslim-Markt, die von den zur Schia konvertierten Islamisten Yavuz Özoğuz und Gürhan Özoğuz betrieben wird, ein aufschlussreiches Interview gegeben, in dem er darlegte, dass »Rechte und Muslime« einiges gemeinsam hätten: »Beide stehen kritisch der Ideologie des Liberalismus gegenüber, die smart als ›Freiheit‹ daherkommt, in Wirklichkeit aber Auflösung, Gleichgültigkeit und Verantwortungslosigkeit bedeutet.«7 Unverhohlen bewarb er bei dieser Gelegenheit die in Deutschland lange tabuisierten Sympathien zwischen Nationalsozialismus und Islam.8 Ein »›echter Rechter‹ […] denkt vor allem geschichtsbewusst und weiß zu abstrahieren«, erläuterte er: »Schließlich kämpften im Zweiten Weltkrieg zahlreiche muslimische Freiwillige Seite an Seite mit deutschen Soldaten. Ich hole so weit aus, um aufzuzeigen, dass es ein geschichtlich gewachsenes Verhältnis von Muslimen und Christen in Deutschland gibt.«9 Dass die »geschichtlichen Wahrheiten«10, wie Ochsenreiter die alte Liaison umschrieb, die Zusammenarbeit bei der Vernichtung der europäischen Juden und andere Gräueltaten, insbesondere in Jugoslawien, meinten, wurde zwar nicht expliziert, dürfte bei den Lesern von Muslim-Markt jedoch angekommen sein – und ebenso, dass der Verweis auf »ein geschichtlich gewachsenes Verhältnis« zwischen den Anhängern der beiden Religionen nur meinen konnte, dem Antisemitismus erneut gemeinsam auf die Sprünge zu helfen.

An den Überlegungen dieses deutschen Rechtsextremisten zeigt sich, dass zum vermeintlichen Geschichtsbewusstsein, das nichts anderes als den unverfrorenen Rekurs auf die Jahre 1933 bis 1945 meint, ein Randbewusstsein getreten ist. Die nationalsozialistische Vorstellung einer nordischen »Herrenrasse« mit Weltherrschaftsanspruch – die in neonazistischen Kreisen eher zombiehaft denn modernisiert als white supremacy fortlebt11 – wich in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts dem Ethnopluralismus. Mit dem intellektualisierten Ansinnen, ›kulturelle‹ Eigenheiten verschiedener »Völker« zu wahren, »distanzierte man sich formal vom Rassismus und sprach allen Ethnien die gleiche Wertigkeit zu«12, wie Armin Pfahl-Traughber hervorhebt. Dies implizierte unweigerlich eine Pluralisierung von Perspektiven, wodurch das rechtsreaktionäre Weltbild zunehmend ein Verständnis für Ränder entwickelte: sei es für die politische Marginalität des eigenen Denkens, für den sozialen Platz von Minderheiten oder für den Blickwinkel der kontinentalen Peripherie.

Dass letzterem heute ein besonderes rechtextremistisches Interesse zuteilwird, ist alles andere als selbstverständlich. Dem angeblichen »Volk ohne Raum«13 galten Europas östliche Weiten in den 1920er und 1930er Jahren als völkische Verheißung14; der nachfolgende, rassistisch legitimierte deutsche Vernichtungskrieg kostete allein in der Sowjetunion 20 Millionen Menschen das Leben.15 Einhundert Jahre später ist Russland kein geografischer Sehnsuchtsort für neurechte Ideologen aus Deutschland, sondern ein politischer. Stichworte und Konzepte beziehen sie mittlerweile wie selbstverständlich vom 1962 geborenen Philosophen Alexander Dugin, der sich noch zu Sowjetzeiten einer antisemitischen Organisation angeschlossen hatte und lange in Moskau lehrte.16 Seine Schriften sind Sammelsurien irrationaler Versatzstücke, die von Mythologischem bis zu Überlegungen des Nationalsozialisten Martin Heidegger reichen, und strahlen heute von Europas östlichem Rand gen Westen. Zu seinem Konzept »Eurasien«, das Dugin zu Beginn des 21. Jahrhunderts als räumlich-politisches Gegenmodell zum Individualismus popularisierte und das sich im Wesentlichen darauf beläuft, Russland müsse Europa von ›den Amerikanern‹ befreien17, erklärte er einmal, dass nach dem »westlich-liberalen Kosmopolitismus«, dem Nationalismus und dem Sozialismus, die allesamt nicht zu Russland passten, die Zeit für einen vierten Heilsentwurf sei: »Die eurasische Idee ist daher ein realistisches und idealistisches Konzept. Es ist nicht nur irgendeine romantische Idee, es ist ein technisches, geopolitisches und strategisches Konzept, welches von all jenen Russen unterstützt wird, die verantwortungsbewusst denken.«18 Als 2013 Dugins Abhandlung Die Vierte Politische Theorie auf Deutsch erschien, waren die rechtsextremen Verbindungen, die von Deutschland nach Russland und von Russland nach Deutschland wiesen, längst kein Geheimnis mehr.19 Allerdings ist hier hervorzuheben, dass solche Verbindungen auch in die Ukraine existierten, was in den kommenden Jahren deutlich weniger interessierte.20

Dass der ukrainische Staat aufgrund seiner Westorientierung, geografischen Lage und geteilten Vorgeschichte innerhalb der Sowjetunion dem eurasischen Plan als erheblicher Störfaktor gilt, war spätestens seit 2014 bekannt.21 Die FAZ nannte Dugin in jenem Jahr »Putins Flüsterer«22, die volle Tragweite dieser Einschätzung erschloss sich jedoch erst 2022. Mit Russlands Überfall auf die Ukraine erfuhr die rechtsextreme Vernetzung zwischen West- und Osteuropa und die zugehörige Ideologie dann einige Aufmerksamkeit: Zum einen wurde Dugins Rolle als möglicher Stichwortgeber für den russischen Präsidenten Vladimir Putin weitaus breiter thematisiert, zum anderen die transnationale Rolle der AfD in dieser Angelegenheit so stark hervorgehoben, dass Bundeskanzler Olaf Scholz sie nach einigen Kriegsmonaten im Bundestag als »Partei Russlands«23 bezeichnete. Über eine etwaige Einflussnahme Moskaus auf Deutschlands Außen- wie Innenpolitik zeichnete sich zudem noch die Ausreise deutscher Rechtsextremisten in die Ukraine ab, die die Gefahr birgt, dass diese mit erprobtem Kampfwissen zurückkehren.24 Im Sommer 2022 starb Dugins Tochter Darja Alexandrowna Dugina bei einem Anschlag, der offenbar ihrem Vater galt.25

Dem Moskau zugeneigten Teil der AfD zum Trotz verlaufen die Linien jedoch nicht so klar, wie sich viele Beteiligte dies wünschen dürften. »Die AfD steckt in einem Dilemma«26, räumte deren Thüringer Vizeparteichef, Torben Braga, ein: Denn weder identifiziert sich die Wählerschaft der Partei uneingeschränkt mit Russland, noch befürwortet sie geschlossen den Krieg, welchen die Bundestagsfraktion in einem Positionspapier als »völkerrechtswidrig«27 verurteilt hat. Die öffentlich eingenommenen Haltungen der Abgeordneten unterscheiden sich in dieser Frage ebenfalls erheblich.28 Gespalten ist man auch rechts der AfD: »Werte Leser, können Sie verstehen, daß wir uns in der Ukraine-Frage über das Lapidare hinaus nicht zu Wort melden? Ich denke schon«, informierte Götz Kubitschek am 1. März 2022 das Publikum der Sezession, um letztlich einzuräumen: »die Rechte ist sich uneins.«29

Dies ist jedoch kein Indiz für Schwäche, sondern eher schon als Ausdruck der gesellschaftlichen Selbstanpassung der Neuen Rechten zu verstehen. Unter der weltpolitischen Frage des Ukraine-Krieges bleibt es derweil beim Alten. Dass es sich um einen »Angriff der Antidemokraten«30 handelt, wie Samuel Salzborn das Phänomen bündig umschreibt, dürfte sich von selbst verstehen, ebenso, dass es sich insofern um ein gesamteuropäisches Problem handelt, als es längst auch in anderen Ländern Gestalt angenommen hat.31 Dennoch können die bisweilen ungewohnten Erscheinungsformen nicht darüber hinwegtäuschen, dass vieles daran eben doch neu ist. Dies betrifft nicht nur das »Design«32 der Neuen Rechten, dessen Merkmale bereits hervorgehoben worden sind, sondern vor allem ihre veränderten Bezüge und Bündnisse, Vorstellungen und Visionen.

Allerhand Anleihen

Zu den mitunter auffälligsten Verschiebungen der letzten Jahrzehnte gehört, dass sich rechtsreaktionäre Publikationen bisweilen nicht sonderlich von gefühlslinken akademischen Veröffentlichungen unterscheiden, was zentrale Begriffe, Konzepte und politische Vorstellungen anbelangt – oder aber, dass sie solchen Veröffentlichungen ohnehin explizit zustimmen.

In einem Artikel, der 2018 in der Online-Zeitschrift kultur & geschlecht der RUB veröffentlicht und später preisgekrönt wurde33, simulierten die in den Gender Studies jener Hochschule tätigen Nachwuchswissenschaftlerinnen Jasmin Degeling und Sarah Horn eine Auseinandersetzung mit dem Sammelband Beißreflexe, den die Geschlechterforscherin Patsy l’Amour laLove im Vorjahr herausgegeben hatte.34 Dessen Beiträge galten den Engführungen, den Abwegen und dem Autoritarismus einer sich für offen, divers und tolerant haltenden akademischen wie aktivistischen Szene; was folgte, ist bekannt.35 Bar jedweden Nachweises, aber mit viel Fantasie kolportierten die beiden Autorinnen, dass die Kritik an theoretischen Irrungen der Gegenwart, die Beißreflexe am Queer-Aktivismus exemplifiziert hat, sowie eine nicht näher spezifizierte »Inanspruchnahme schwuler Bewegungsgeschichte« sich durch »eine gefährliche Nähe zur sogenannten ›Neuen Rechten‹« auszeichnen würden: »Plötzlich klingt die Verteidigung der Aufklärung aus der Perspektive der Kritischen Theorie wie die Verteidigung des Abendlandes aus der Perspektive der populistischen Rechten – einer neuen, ›identitären Bewegung‹ übrigens.«36 Da einer universitären Publikation eigentlich die Aufgabe zukommt, darzulegen, wie sich ähnlich ›Klingendes‹ tatsächlich zueinander verhält, während Forscherinnen mit dem »inhaltsleeren Etikett des ›Rechtspopulismus‹«37 ohnehin achtsam umgehen sollten, wie Samuel Salzborn richtig betont, veranschaulicht Degelings und Horns Kolportagetechnik das, was Sabri Deniz Martin »Diffamierung als Selbstentblößung« nennt: die zur Selbstprofilierung im eigenen universitären Milieu betriebene Denunziation Dritter, mit deren Positionen man sich argumentativ nicht auseinandersetzen möchte, während die angespielte rechtsreaktionäre Präsenz in Deutschland überhaupt nicht interessiert. Dass die beiden Autorinnen keinerlei Publikationen zur Neuen Rechten oder zu deutschlandspezifischem Rassismus vorzuweisen haben, unterstreicht dies ebenso wie der Umstand, dass die Konfrontation des Antisemitismus, die sich nahezu stringent durch die Artikel in Beißreflexe zieht, von ihnen noch nicht einmal erwähnt wird. Stattdessen fällt der Begriff bei ihnen lediglich einmal, und zwar in der aufschlussreichen Formulierung »Kritik eines Antisemitismus«38, als ob es davon mehrere gäbe; auffällig ist ebenfalls, dass sie Anführungszeichen verwenden, wenn sie auf die Neue Rechte verweisen. Hieran lässt sich ablesen, dass die beiden Autorinnen weder das Material durchdrungen haben, mit dem sie sich zu beschäftigen vorgeben, noch dass sie die notwendigen analytischen Kompetenzen vorzuweisen haben, um Urteile über angebliche politische Ähnlichkeiten zu fällen – von einer wissenschaftlichen Bewertung des Rassismus ganz zu schweigen, der sie als solcher offenkundig überhaupt nicht interessiert.

Entscheidend ist nun, dass die von Degeling und Horn monierte »Schatzkiste populistischer Rhetoriken«39, die Beißreflexe bedient haben soll, unfreiwillig eine akkurate Beschreibung der herkömmlichen Verachtung des Staates Israel ist, die sich in gender- und queertheoretischen Abhandlungen wie auch in aktivistischen Pamphleten findet. Denn genau hier zeigen sich bemerkenswerte Parallelen zur »antisemitische[n] Basisideologie der Neuen Rechten und des politischen Islam«40. Während beispielsweise die rechtsextremistische Partei Die Rechte im Europawahlkampf 2019 mit der Losung »Zionismus stoppen« hausieren ging41, werben deutsche Akademikerinnen und Akademiker standesgemäßer mit Israel-Boykott – insbesondere in Gestalt der mittlerweile vom Bundestag als antisemitisch verurteilten BDS-Bewegung42, die von etlichen prominenten Repräsentantinnen des Gender-Paradigmas und der Queer Theory unterstützt wird, darunter Judith Butler und Jasbir Puar.43 Hinzu kommt, dass der Antizionismus eines der wenigen klar benennbaren politischen Ziele ist, dem sich das angeblich geschlechtersensible Milieu verschrieben hat. Wie die Anekdote um Degeling und Horn zeigt, scheint es in diesen Kreisen derweil grundsätzlich wichtiger, anderen mit moralischer Verve eine »gefährliche Nähe« zur Neuen Rechten zu unterstellen, als sich mit dem Phänomen an sich zu befassen. Das hängt zum einen damit zusammen, dass hierfür Empirie, Methode und Geschichtskenntnisse unabdingbar sind, zum anderen aber auch damit, dass sich der neurechte Antizionismus vom gender- und queertheoretischen im Vokabular unterscheiden mag, mit diesem jedoch das Ziel der Abschaffung Israels teilt, sodass sich hier eine wesentliche Gemeinsamkeit auftut, die allen sofort ins Auge sticht, die sich mit beiden gesellschaftlichen Strömungen befassen. Zudem galt neurechter Applaus bereits ausdrücklich einer in den Gender Studies entstandenen Arbeit, was die rhetorische Selbstabgrenzung der beiden Autorinnen wie auch ihrer zugehörigen akademischen Szene nach rechts fragwürdig macht.

2011 erschien in der Sezession ein Beitrag von Ellen Kositza, der mit »Kopftuchmädchen« betitelt war.44 Darin bezog sich die neurechte Publizistin, die gemeinsam mit ihrem politischen Weggefährten und Ehemann Götz Kubitschek von Schnellroda u.a. das einschlägige Gedankengut des Verlags Antaios verbreitet, affirmativ auf Überlegungen von Christina von Braun und Bettina Mathes.45 Vier Jahre zuvor hatten die beiden Genderforscherinnen versucht, eine vermeintlich kultursensible Deutung des islamischen Kopftuchs zu formulieren, die geradewegs kulturrelativistisch ausfiel und für diese rassistische Projektionsleistung gründlich kritisiert worden ist.46 Fathiyeh Naghibzadeh, die als Jugendliche in Teheran gegen die im Zuge der Islamischen Revolution von Ayatollah Chomeini verordnete Zwangsverschleierung aller Frauen im Iran protestierte47, später in die Bundesrepublik floh und an der Humboldt-Universität zu Berlin Gender Studies studierte, hat rückblickend zu dieser Publikation bemerkt: »Nicht in meinen schlimmsten Albträumen hätte ich mir vorstellen können, dass in meinem Fachbereich ein akademisches Plädoyer zur Verteidigung des Kopftuches erscheinen könnte, das diese Monografie zweifelsohne ist.«48 Da Kulturrelativismus eine gesellschaftlich akzeptierte Form von Rassismus ist, die zeitgemäße Mythen über »Andere« generiert, deren Kollektivzuschreibungen sich von traditionell rechter Fremdenlehre kaum unterscheiden, erstaunt es nicht, dass sich Kositza im Duktus Brauns und Mathes’ für die Sittsamkeit repräsentierende Kopfbedeckung begeisterte. Während Degeling und Horn anderen also »eine gefährliche Nähe zur ›Neuen Rechten‹« andichten, schweigen sie zum tatsächlichen Zuspruch, den ein Produkt ihres eigenen akademischen Milieus in der Neuen Rechten erfährt – woran sich nicht nur einiges über den Zustand der Geistes- und Sozialwissenschaften ablesen lässt, sondern auch ein verkanntes Rassismusproblem an den deutschen Hochschulen erkennbar wird, zumal sich Sabri Deniz Martins Überlegungen bezüglich »Diffamierung als Selbstentblößung« an einer Reihe weiterer Publikationen herkunftsdeutscher Autorinnen verifizieren lassen.49

Eine neurechte Publizistin nun, die erklärt, eine gendertheoretische Schrift mit Gewinn zu lesen, mag manchen auf den ersten Blick skurril anmuten, angesichts der Rede vom sogenannten »Genderwahn«50, der rechtsreaktionären Skandalisierung der Gender Studies, der Mobilisierungsversuche wider das Studienfach51 oder der bekannten Entwicklungen in Ungarn52 vielleicht auch wie eine einmalige Abweichung erscheinen. Dennoch handelt es sich keineswegs um eine zufällige Übereinstimmung. Vielmehr zeigt sich hieran, dass neurechtes Denken insofern mit allerhand Anleihen aufzuwarten weiß, als es sich nunmehr auf gesellschaftlich Vorformuliertes stützten kann.

Ein weiteres Beispiel illustriert dieses Problem. 2021 veröffentlichte der in den USA lehrende Historiker A. Dirk Moses auf dem Zürcher Blog Geschichte der Gegenwart einen Beitrag namens »Der Katechismus der Deutschen«.53 Darin präsentierte er fünf angebliche Glaubensgrundsätze, die die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden mit einem moralischen Schwur belegen würden – darunter etwa der Fakt, dass es sich bei der Shoah um ein singuläres Verbrechen der Menschheitsgeschichte handelt; die Vorstellung, dass die »Erinnerung an den Holocaust als Zivilisationsbruch das moralische Fundament der deutschen Nation, oft gar der Europäischen Zivilisation« bilde; das Wissen darum, dass es sich bei Antizionismus um Antisemitismus handelt.54 Zwei Tage später lobte Martin Sellner, bekannteste Stimme der Identitären Bewegung im deutschsprachigen Raum, Moses’ Pamphlet auf der Website der Sezession als »absolut lesenswert«; die einzelnen Punkte der angeblichen »Schuldreligion« seien »treffend« zusammengefasst und Resultat einer »scharfen Analyse«.55 Der Zuspruch war folgerichtig: Moses schrieb mit pseudorebellischem Gestus, der sich für einen Historiker reichlich albern ausnimmt, einer politischen Klientel jedoch, die sich ebenfalls in einer Revolte wähnt, etwas signalisierte, das umgehend verstanden wurde. Nach vehementer Kritik an seinen Behauptungen schwang sich der weit rechts bejubelte Akademiker wenige Wochen später in einem Beitrag für den Blog New Fascism Syllabus zur These auf, möglicherweise Zeuge einer »Israelifizierung Deutschlands« geworden zu sein.56

Auch dies zeugt von Resonanzen, im Gegensatz zu Sellners Beifall handelte es sich nun allerdings um undeklarierte Kongruenzen. Vor Moses hatte etwa Wolfgang Gedeon vor einer »Zionisierung Deutschlands«57 gewarnt. Dass der baldige AfD-Politiker in seiner 2012 erschienenen Schrift Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten58 die Shoah eine »Zivilreligion des Westens« genannt hat, war über die Jahre hinweg immer wieder in der Presse thematisiert worden59; tatsächlich tauchte dieser Begriff bereits im dreibändigen Werk Christlich-europäische Leitkultur von 2009 auf, das der Hobbyphilosoph unter dem Namen »W. G. Meister« veröffentlichte.60 Spiegelbildlich ziehen sich dieselben Vorstellungen durch die Traktate beider Autoren. Moses sieht »Hohepriester« am Werk, die den angeblichen Katechismus »bewachen«61, Gedeon wiederum raunt von »Glaubenswächtern«, denen es gelungen sei, »das geistige Klima zu bestimmen.«62 Spricht letzterer von einem angeblichen »Zionismus durch die Hintertür«63, der aus sinisterer Motivation das politische Bewusstsein der Mehrheit manipuliere, was die Erinnerung an die Vernichtung der europäischen Juden angehe, drückt er eine verschwörungstheoretische Nuance selbstbewusster aus, was ersterer mit modischerem Vokabular umschreibt. So schloss Moses sein Plädoyer gegen den angeblichen »Katechismus« mit der Bemerkung, dass es an der Zeit sei, »die Forderungen nach historischer Gerechtigkeit auf eine Weise neu zu verhandeln, die alle Opfer des deutschen Staats und alle Deutschen – auch BPoC, inkl. Juden und Jüdinnen und Muslime und Muslimas, Einwander:innen und ihre Nachfahren – respektiert.«64 Hierfür bemühte er nicht nur die beachtliche rassistische Projektion, dass migrantische Individuen a priori so denken würden wie er, sondern sich obendrein über seine ideologische Eingemeindung freuen müssten – hielte man sie im Rahmen einer »neue[n] Zivilisierungsmission« doch angeblich dazu an, »sich mit dem deutschen Katechismus zu identifizieren«, um »nicht nur formell, sondern auch moralisch zu deutschen Staatsbürgern zu werden.«65 Demnach seien die Aufgezählten schlichtweg aufgrund ihres Minderheitenstatus für sogenannte »Israelkritik«66 empfänglich: »Man fragt sich, wie diese Migrant:innen und ihre Nachfahren den deutschen Sinn für historische Gerechtigkeit empfinden, wenn er die Verteidigung einer seit mehr als fünfzig Jahren herrschenden Militärdiktatur, unter der die Palästinenser:innen zu leben haben, mit einschließt.«67

Bei dieser pseudo-einfühlsamen Bemerkung handelt es sich um eine ordinäre rassistische Beleidigung migrantischer Individuen, deren Engagement gegen Antisemitismus bzw. für den jüdischen Staat nicht nur entwertet, sondern nachgerade negiert wird, weil es nicht in die rassistische Phantasie passt, die sich ihr Urheber von migrantischen Menschen macht.68 Angesichts solcher Zeilen fragt »man« sich unweigerlich, für wie dumm diejenigen, denen hier angeblich Gehör verschafft werden soll, tatsächlich gehalten werden. Dass Moses und die für die Verbreitung seines Pamphlets Verantwortlichen die Kritik an diesem linkspaternalistischen Rassismus69 ausschwiegen, statt sich mit ihr auseinanderzusetzen, spricht für sich. Auf Geschichte der Gegenwart bemühte Johannes von Moltke eilig den Einwand, dass der neurechte Applaus für den postkolonial intonierten Aufruf zum Abfall vom »Katechismus« einem oberflächlichen Verständnis geschuldet sein müsse, da Sellner »nicht Inklusion, Anerkennung oder Solidarität über mehrere Identitätsgruppen hinweg, sondern ethnonationalistische Eingrenzung« zum Ziel habe; seine »Ausrichtung« sei »letztlich, wenn auch kontraintuitiv, auf einer Linie mit ebenjenen ›Priestern‹, die Moses wegen ihrer Kontrollfunktion herausgefordert hatte.«70 Dies ist ausgesprochen dürftige Schadensbegrenzung. Schwerlich ist eine »ethnonationalistischere Eingrenzung« Anderer vorstellbar als die, migrantische Individuen einzig über ihr Migrantisch-Sein zu definieren, um damit den eigenen Thesen den Anstrich ›kultureller‹ Sensibilität zu verleihen. Dass die rassistische Projektionsleistung, auf die »Der Katechismus der Deutschen« explizit zuläuft, Moltke nicht aufgefallen ist und das Wort »Antisemitismus« in seinen Überlegungen einzig innerhalb eines Sellner-Zitats auftaucht, zeigt musterhaft, auf welchem Niveau sich diese Diskussion bewegte. Die antirassistische Attitüde der anderen Artikel und Stellungnahmen, die dem vermeintlichen Rebellen beisprangen, macht durchweg einen aufgesetzten Eindruck, während ihre antizionistischen Verdrehungen absolut konventionell ausfielen.71 Und genau diese Konventionalität ist das Problem: Jenny Hestermann und Johannes Becke haben zur Diskussion um Moses’ Pamphlet vermerkt, dass »der argumentative Schulterschluss zwischen der postkolonialen Linken und der völkischen Rechten Anlass zu großer Sorge« ist, wendet er sich doch »an ein wachsendes Unwohlsein unter linken deutschen Intellektuellen, die auf dem Weg zum ›Europäer‹ oder gar zum ›Weltbürger‹ ihre eigene Familiengeschichte zunehmend als Ballast empfinden – wie befreiend mag es da sein, den Nationalsozialismus als eines von vielen Kolonialprojekten zu verstehen, um ihn anschließend mit derselben Selbstverständlichkeit ablehnen zu können wie das zionistische Projekt«.72

An diesen beiden Beispielen – eine neurechte Publizistin, die misogyn-rassistischen Gender-Studies-Projektionen bezüglich der islamischen Frauenverschleierung beipflichtet; ein an postkolonialer Theorie geschulter Historiker, dessen Sorge vor einer »Israelifizierung Deutschlands« mit der Warnung eines AfD-Politikers vor einer »Zionisierung Deutschlands« korrespondiert – zeigt sich, dass Heimat, Gemeinschaftsgefühl, Identität oder Ursprünglichkeit keineswegs Sehnsüchte sind, die sich auf neurechte Kreise beschränkten. Während hieraus Schlüsse über den Zustand der akademischen Linken zu ziehen sind, die beispielsweise Ingo Elbe erörtert hat73, tangiert dies selbstredend zuvörderst die Analyse jener Ideen, der das Personal der Neuen Rechten anhängt.

Neues an den ideologischen Rändern

Dass es sich bei der Neuen Rechten um eine »Grauzone« zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus handelt, ist bereits vor Jahrzehnten festgestellt worden.74 Der Aufstieg der 2013 gegründeten, damals insbesondere mit Euro-Skepsis für sich werbenden Alternative für Deutschland firmierte anfänglich noch als »neokonservative Mobilmachung«75. Die Pegida-Proteste ab Ende des Folgejahres bescherten allerdings rasch der Einschätzung Auftrieb, dass rechts der CDU/CSU eine ideologische Rettung des »Abendlandes«76 versucht würde. Die Parteinahme des Instituts für Staatspolitik um Götz Kubitschek für jenen als »Flügel« bekannten AfD-Teil, der sich u.a. um Björn Höcke gruppiert, sowie die Sorge vor der »Enthemmung ihrer Anhänger«77, Phänomene wie der »subkulturell gestylte Politaktionismus«78 der Identitären Bewegung79 oder Waffen hortende »Reichsbürger«80 lösten dann Mitte der 2010er Jahre breite und anhaltende gesellschaftliche Debatten aus – auch, weil der Schock des 2011 enttarnten rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrunds und dessen ungeklärte Verbindungslinien in die Legalität wie auch in staatliche Institutionen nachwirkten.81

Die seither vorgelegten Publikationen zur Neuen Rechten sind mittlerweile kaum mehr überschaubar.82 Die Veröffentlichungen reichen von Allgemeindarstellungen bis hin zu spezialisierten Studien, die auf einzelne Protagonisten83 zugeschnitten sind oder geschlechterrelevante Aspekte84 hervorheben, solche, die mit lokalen Ausprägungen85, mit Netzwerken86 oder mit besonderen Ideologemen befasst sind, die sich wiederum mit jenen anderer politischer Phänomene decken87 oder aber emotional zu mobilisieren wissen88, Darstellungen zum neurechten Sprachgebrauch89 und einiges mehr. Auch im englischsprachigen Raum sind die Entwicklungen in Deutschland zum eigenständigen Forschungsgegenstand aufgerückt.90 Vieles, das hierzu in jüngerer Zeit veröffentlicht wurde, entstand vor dem Eindruck der AfD-Wahlerfolge im gesamten Bundesgebiet91 und fokussiert die zugehörigen Ereignisse, Personen und Begleiterscheinungen, die angesichts der parlamentarischen Reichweite tatsächlich dringlich sind. Die Konzentration auf die Wirkmächtigkeit unterkomplexer Denkformen und ihres Mobilisierungspotenzials – siehe die verrohten bis gewaltbejahenden Parolen und Forderungen beispielsweise bei den Pegida-Protesten92 – bleibt relevant, ebenso die Beschäftigung mit Hass auf Angehörige von Minderheiten, der real ist, sowie die Analyse rassistischer Träume von einem homogenen »Volkskörper«, die nach wie vor existieren. Dennoch verhält es sich komplizierter, als bislang häufig angenommen.

Im Einzelnen betrifft dies erstens den Umstand, dass sich die Neue Rechte bekanntlich auf lange Linien rechtskonservativer wie rechtsreaktionärer Denktraditionen in Deutschland stützen kann, was sie merklich von den subkulturell-klandestin orientierten Ausprägungen des Neonazismus unterscheidet.93 Sie »gibt sich intellektuell«94 – eine treffliche Formulierung, welche die bisweilen auffallend unbeholfene Philosophie erklärt, die dieses politische Milieu hervorgebracht hat, aber auch den taktischen Gebrauch eines Stils, der das autoritäre Anliegen kaschiert. Zahlreiche ideologisch gewichtige Schriften werden von der weitaus grelleren Rhetorik der populistischeren Formate95 verdeckt, obwohl sich gerade erstere auf eine Einflussnahme auf das Denken konzentrieren und mit der Taktik stillen Terraingewinns operieren, der auf Langfristigkeit angelegt ist.

Zweitens: Auch die Annahme, dass in diesem politischen Milieu Ressentiments gegen Minderheiten geschürt würden – sei es in Form von Vorbehalten gegen Sexualaufklärung, sei es als Hass auf Angehörige »anderer« Religionen –, wofür beispielsweise der »Kampf gegen die Gleichstellung Homosexueller«96 seitens mancher AfD-Mitglieder oder Proteste gegen Moschee-Neubauten97 als Beleg herangezogen werden, deckt sich nicht zu Genüge mit der empirisch feststellbaren Lage. Vielmehr ist ein reger Rekurs der Neuen Rechten auf Minderheiten auszumachen, wofür sinnbildlich eine Bemerkung der AfD-Politikerin Alice Weidel steht, welche diese 2016 in einem Kommentar für die Junge Freiheit machte:

»Ich möchte diese archaische Kultur und die entwürdigende Sicht auf die Frau nicht in meinem Land verankert wissen. Wo alle Feministinnen, Grünen und linken Gutmenschen kläglich versagen, setze ich mich gegen die Unterdrückung der Frau, der Homosexuellen, der Juden, der Christen und anderer Religionsgruppen, die in den Augen des Islams minderwertig sind, ein.«98

Dieser Rekurs auf Minderheiten wird bisweilen zwar wissenschaftlich registriert99, fällt wegen mangelnder Begriffsschärfe allerdings oftmals unpräzisen Urteilen zum Opfer.100

Selbiges gilt drittens für die Reduktion des Phänomens auf etwas Deutschlandzentriertes, dem es um das »alte« Anliegen einer Gleichsetzung von Volk und Nation und die politische Verwirklichung dieser Gleichsetzung gehe.101 Dem widerspricht bereits die wechselseitige, über den Kontinent zu verzeichnende Bezugnahme und Zusammenarbeit nationalpopulistischer Parteien und Protagonisten sowie die internationale Strahlkraft der Alt-Right-Bewegung102, die durchaus Rückschlüsse darüber erlaubt, dass die Phänomene in Deutschland, in West- und Osteuropa sowie in Nordamerika allein schon deshalb in transnationaler Hinsicht zu untersuchen sind, weil sie sich als länderübergreifende Kräfte begreifen – auch wenn sie den Begriff »transnational« niemals verwenden würden – und damit nicht nur einen europäischen, sondern einen globalen Anspruch103 geltend machen, der den aggressiven vorrangigen Gebrauch von Kategorien des Nationalen wie »deutsch« abgestreift hat, wiewohl »die alteuropäischen nationalistischen Bruchlinien«104 bisweilen fortgeführt werden.

An der Geschichtsumdeutung hat sich derweil nichts geändert.105 »Das politische Ziel der ›Neuen Rechten‹ lässt sich im Wesentlichen unter zwei Schlagworten zusammenfassen«, wie Samuel Salzborn vermerkt: »die Intellektualisierung des Rechtsextremismus durch die Formierung einer intellektuellen Metapolitik und die Erringung einer (rechten) ›kulturellen‹ Hegemonie.«106 Diese bündige Einschätzung ist dahingehend zu ergänzen, dass diejenigen, die hegemonial werden wollen, auf den Zeitgeist nicht verzichten können; dass sich die Neue Rechte im Zuge dieser Akklimatisierung an die Verhältnisse selbst verzeitgeistigt hat, mag ihrem eigenen Personal noch nicht aufgefallen sein. Doch an den Rändern ihres traditionellen thematischen Spektrums zeichnet sich der Wandel unverkennbar ab.

Zu diesem Sammelband

Die hier zusammengeführten Aufsätze gelten der Analyse des neurechten Verständnisses von Philosophie, Minderheiten und Transnationalität. Sie reagieren damit auf jene Tendenzen innerhalb der Neuen Rechten, mit denen diese ihren Einflussbereich ganz im Sinne des metapolitischen Anspruchs und abseits der öffentlichen Wahrnehmung auszuweiten vermochte. Diese Randgänge zu beleuchten, ist vorrangiges Anliegen des Sammelbands. Trotz besagter Publikationsdichte zum Sujet soll hier vor allem das erhellt werden, was noch immer im Schatten anderer Aspekte steht, um den wissenschaftlichen Beitrag zur jüngeren Diskussion um Antisemitismus, Rassismus, Rechtspopulismus, Rechtsradikalismus und Neonazismus am Gegenstand zu vertiefen.107

Die drei Oberbegriffe sind in drei Sektionen gruppiert: Die erste ist mit neurechter Philosophie befasst, was die Vergangenheit wie die Gegenwart jener Denkformen meint, die Identitäres zum Dreh- und Angelpunkt haben, wozu aber auch die Übernahme von Ideen zählt, die der politischen Linken entstammen. Die zweite Sektion widmet sich dem neurechten Verhältnis zu reellen wie zu symbolischen Minoritäten. Entgegen Wolfgang Gedeons Rede von der »Diktatur der Minderheiten«108, die angeblich in Deutschland walte, ist zu zeigen, dass diese für die Neue Rechte mittlerweile selbst von eminentem Interesse sind. Die dritte Sektion schließlich geht Transnationalität als Selbstmodernisierungsleistung dieses Spektrums nach, das sich auch hierüber von manch ›alten‹ rechten Vorstellungen emanzipieren konnte.

Der erste Teil beginnt mit einer philosophiehistorischen Erinnerung. Eine zentrale strategische, aber auch ideologische Ausrichtung der Neuen Rechten besteht darin, sich auf eine sehr breit gefächerte und teils unkonventionell zusammengestellte Tradition politischer Philosophie zu berufen. Die Losungen der »Neuen« Rechten sind eben auch deshalb neu, weil man sich unter ihnen nicht nur mit explizit faschistischer Theorie schmückt, sondern sich gleichermaßen der Philosophie solcher Denker bedient, die historisch zunächst nicht der politischen Rechten zuzuordnen wären. Eines der schillerndsten Beispiele hierfür ist Georges Sorel, wie Moritz Pitscheider darlegt. Sein Artikel geht der Frage nach, wie das Denken des französischen Sozialphilosophen und Syndikalisten die Neue Rechte in Deutschland bis heute beeinflusst. Mit seiner anarchistisch anmutenden Idee der »Propaganda der Tat« und seiner Verachtung für die Dekadenz der bürgerlichen Gesellschaft hat Sorel vor allem kulturpessimistische Schlagworte geprägt. Diese Motive, die bis heute zu den ideologischen Kernelementen dieses politischen Milieus gehören, stellen hier mittels einer Auseinandersetzung mit der neurechten Rezeption Sorels den Gegenstand der Analyse dar.

Im Anschluss sondiert Panagiotis Koulaxidis einen kategorischen Bezugspunkt der Neuen Rechten, den Begriff »Identität«. Während Fragen nach den Bedingungen und der Gestalt kollektiver Identitäten in rechten Debatten prominent auftauchen, werden sie zugleich vor dem Hintergrund partikularer Weltanschauungen sowie nationaler und völkischer Grenzen diskutiert. Dabei wird der Begriff der »kollektiven Identität« auf passive Identitätsmodelle reduziert, die sich fernab liberaler Paradigmen bewegen. Ethnokulturelle Identitäten werden als vorbestimmte Kategorien beschrieben und die Unhintergehbarkeit individueller Freiheit und universelle Rechte angezweifelt, was der Legitimation einer unbedingten, nationalen Interessenspolitik dienen soll. Dies wird am Beispiel der Schriften des 1991 verstorbenen neurechten Philosophen Bernard Willms erläutert.

Anschließend geht Sabri Deniz Martin den Versuchen neurechter Adaptionen linker Revolutionsvorstellungen nach, die auf entsprechende Lektüren und Vereinnahmungen von Antonio Gramsci zurückgeführt werden können. In Thor von Waldsteins Abhandlung Metapolitik, die 2015 beim Verlag Antaios erschienen ist, wird der Versuch unternommen, ein konzises Programm für einen »Sprung in der Geschichte« vorzubereiten, was hier einer philosophischen wie politischen Analyse unterzogen wird.

Der nachfolgende Beitrag konzentriert sich ebenfalls auf ein Werk neurechter Philosophie, und zwar auf die dreibändige Schrift Christlich-europäische Leitkultur des einstigen Linksradikalen und vormaligen AfD-Politikers Wolfgang Gedeon, der unter dem Namen »W. G. Meister« versucht hat, Deutschland bzw. Europa als Opfer einer zionistischen wie islamischen Umklammerung zu zeichnen, aus der es sich kollektiv zu befreien gelte. Damit bediente Gedeon einerseits traditionelle Topoi aus dem Areal antisemitischer Verschwörungstheorien, die er gleichwohl in den Rang des Philosophischen zu rücken versuchte.

Armin Pfahl-Traughber beschäftigt sich in seinem Artikel mit Benedikt Kaiser, einem der prominenteren jüngeren Proponenten der Neuen Rechten, der beispielsweise mit einem politisch-philosophischen Plädoyer für eine rechte Marx-Lektüre in Erscheinung getreten ist und nicht nur aufgrund seines Alters als wichtiger Modernisierer dieses Spektrums gilt. Der Beitrag widmet sich Kaisers Versuch einer »Produktpiraterie« anderer politischer Überzeugungen als langfristiger Strategie für die eigenen Zwecke.

Der zweite Teil gilt dem neurechten Verhältnis zu Minderheiten. Der Artikel von Steffen Stolzenberger nimmt die hinlänglich geäußerte Kritik, dass die AfD die Interessen von Homosexuellen für ihre rassistische Hetze gegen Minderheiten instrumentalisiere, in korrigierender Weise auf. Indem etwas Alice Weidel behauptet, die AfD sei die einzige Partei, die sich noch ernsthaft für den Schutz der Minderheit homosexueller Menschen einsetze, betreibt sie eine direkt auf die partikularen Interessen einer Minderheit gerichtete Form der Identitätspolitik. Gegen bereits formulierte Kritiken an der AfD wird gezeigt, dass die bloße Kritik an Hetze gegen Minderheiten nicht ausreichend ist, gerade wo sie selbst aus der Position von Identitätspolitik – dieses Mal in linker Variante – formuliert wird. Identitätspolitik eignet grundsätzlich das Problem, dass sie das Wesen der Sexualität verkennt: Das sexuelle Begehren hat weder einen sittlichen noch einen politischen Ort. Erst wenn das vernachlässigt wird, kann der abstrakte Terminus »Minderheit« eingesetzt werden, der nichts erklärt – auch nicht, warum sich etwa Homosexuelle jener Partei anschließen. Aus diesem Grund entwickelt der Beitrag durch die Analyse des Verhältnisses von Sexualität, Bewusstsein und Politik eine bestimmte Kritik an der AfD.

Marco Ebert wiederum befasst sich mit einer symbolischen Minderheit: Frauen. Wie die Neue Rechte über diese denkt, soll dabei weniger soziologisch eruiert als an einem prominenten Beispiel dargelegt werden, nämlich an der Publizistin Caroline Sommerfeld, die als eines der weiblichen Aushängeschilder der Bewegung gilt. Während Frauen in rechtsextremen Parteien wie der NPD mittlerweile Thema geschichtswissenschaftlicher Analysen sind109, lässt sich an Sommerfeld, die gemeinsam mit dem neurechten Internet-Aktivisten und Autoren Martin Lichtmesz die Streitschrift Mit Linkenleben110 verfasst hat, zum einen darlegen, wie in diesem Milieu die Figur der politischen Denkerin in Szene gesetzt wird, zum anderen, wie Frauen dort als ein das eigene Anliegen potenzierender kollektiver Faktor imaginiert werden, was zugleich als Versuch einer antifeministischen Überwindung der Frauenemanzipation zu verstehen ist.

Der neurechte Influencer Martin Sellner hat auf YouTube einen populären Kanal und dient dort als Sprachrohr für eine weitere symbolische Minderheit – Jugendliche –, um dieser rassistische, antisemitische und sexistische Inhalte zu vermitteln. Seine Aktivitäten sind einer der Knotenpunkte im Netz rechtsreaktionärer Strategien. Als Chef der österreichischen Identitären Bewegung organisiert Sellner ganz im Geiste der Zeit Aktionen, die erst durch Social Media an Bedeutung gewinnen. Die Verbreitung von Fake News und die Neubesetzung von Begriffen verbindet er mit dem Pathos einer erfolgreichen Werbeästhetik, der Hannah Kassimi nachgeht, die zugleich auf allgemeine gesellschaftliche Tendenzen hinweist, auf die diese Form von Identitätspolitik reagiert.

Bekenntnisse zu in Deutschland lebenden Juden sowie zu Israel aus der extremen Rechten sind im 21. Jahrhundert ein Phänomen geworden – sie kommen insbesondere aus Teilen von AfD und FPÖ. Vorher war auch hier der antizionistische Antisemitismus, wie im ganzen politischen Spektrum, die dominante Position zum jüdischen Staat und damit auch zu Juden. Diese Parteien und andere extrem Rechte, die sich nun positiv auf Israel beziehen, haben sich aber weder – wie manchmal behauptet – tatsächlich vom Antisemitismus abgewandt, noch ist die Hinwendung zu Israel ausschließlich strategisch, etwa um Antisemitismusvorwürfe abzuwehren. Der Beitrag von Nikolai Schreiter widmet sich der offenen Frage, wie die partielle Hinwendung zu Judentum und Israel im Verhältnis zum Antisemitismus steht. An Israel als »Ausnahmejude« werden Eigenschaften gesehen, die jenen, die in Europa heute auf »Volkssouveränität« pochen, beneidenswert erscheinen – ein starkes Militär, gesicherte Grenzen und insbesondere in Deutschland und Österreich: Die Freiheit von Schuld an der Shoah, die hier ganz zurecht einem ungebrochen positiven Bezug auf die eigene Nation im Wege steht. Anhand einiger Beispiele wird die beschriebene Identifizierung mit Israel als imaginiertem Angreifer illustriert und gezeigt, wie das Gedenken an die Vernichtung der europäischen Juden als Hindernis für ungebrochen positiven Bezug auf die deutsche Nation verdrängt und der Antisemitismus verharmlost wird. Deutlich wird hier der Wunsch, sich an die Stelle des von allen Seiten bedrohten Opfers setzen und zur Minderheit werden, die gleichzeitig fähig und aufgrund der allseitigen Angriffe legitimiert ist, sich stark, militärisch und nationalistisch zu verteidigen.

Die zahlreichen rechten Mobilisierungen gegen »Islamisierung« wiederum, die seit den 2000er Jahren zu verzeichnen sind, erwecken den Eindruck, es gäbe eine einhellige rechte Ablehnung oder gar Feindseligkeit gegenüber Islam und Muslimen. Tatsächlich zeigen sich unter dieser Oberfläche jedoch Kontroversen und Ambivalenzen, die auf teils entgegengesetzten Islambildern fußen, wie Matheus Hagedorny in seinem Beitrag analysiert. Die Frage, ob der Islam ein Feind der Deutschen und Europäer sei, bleibt insbesondere in den radikalnationalistischen Zirkeln der sogenannten Neuen Rechten offen. Die dort formulierten Stellungnahmen reichen von christlich-konservativ fundierter und universaler Islam- und Einwanderungsfeindschaft über religiöse Toleranz und Verständnis bis hin zu Koalitionen mit muslimischen Akteuren in Deutschland. Der Beitrag skizziert die historische Entwicklung dieser Positionierungen hauptsächlich anhand der rechtsintellektuellen Zeitschriften Criticón (1970-2005) und Sezession (seit 2003).

Der dritte und letzte Teil gilt der Transnationalität als neurechtem Anspruch wie ein Ansporn. Krsto Lazarević geht in seinem Beitrag dem politischen Fetisch nach, den die Neue Rechte für Jugoslawien und dessen radikalen politischen Zerfall entwickelt hat. Der sogenannte »Vielvölkerstaat«, der 1991 zerbrach, gilt einigen von ihnen als »Völkergefängnis«, das deshalb zugrunde gehen musste, weil Menschen verschiedener Ethnien und Kultur nicht friedlich in einem Staat zusammenleben könnten. Dass manche der verurteilten Kriegsverbrecher indes zu Ikonen der Neuen Rechten, aber auch von Massenmördern wie dem Christchurch-Attentäter wurden, zeigt, dass die jugoslawischen Zerfallskriege rückwirkend als Projektionsfläche für die Imagination des Kampfes eines weißen christlichen Europas dienen, das vor dem Hintergrund seiner jüngsten Geschichte neu bewertet werden müsse.

Parallel dazu ist zu konstatieren, dass in jüngster Zeit gerade die osteuropäischen Länder zu positiven Bezugspunkten für das transnationale Selbstverständnis der Neuen Rechten geworden sind – was angesichts der Besatzung und Zerstörung weiter Teile Osteuropas und des dort geführten deutschen Vernichtungskriegs 1939-1945 einer markanten ideologischen Verschiebung gleichkommt. Eszter Kováts untersucht diese Identifikation am Beispiel des rechtskonservativ regierten Ungarn, das sich unter Ministerpräsidenten Viktor Orbán zu einem politischen Sehnsuchtsort der Neuen Rechten in Deutschland entwickelt hat, weil diesen vor allem ein starker Staat in Kombination mit einer vermeintlich homogenen Bevölkerungsstruktur attraktiv und von Vorbildcharakter erscheint.

Anselm Meyers Beitrag widmet sich den neurechten Visionen für die deutsche Außenpolitik. Entgegen dem Vorurteil, die Neue Rechte sei isolationistisch und würde Deutschland am liebsten abschotten, ist zu zeigen, dass einige ihrer prominentesten Vertreter wollen, dass Deutschland außenpolitisch aggressiver auftritt und sich mehr in Konflikte einmischt: Bisweilen ist gar der ausdrückliche Wunsch zu vernehmen, in eine heroische Epoche samt Krieger und eindeutiger Feinde einzutreten. Beispielhaft hierfür ist die Bekundung Alexander Gaulands, dass deutsche Soldaten für die Sicherheit Israels – verstanden als Teil der deutschen Staatsräson – kämpfen und sterben sollten. Meyer untersucht die außenpolitischen Visionen der AfD vor dem Hintergrund der geopolitischen Ideen, die z.B. bei der Sezession weiterentwickelt werden, die oft genug Stichwortgeber für den parlamentarischen Arm der neuen Rechten ist. 

Fabian Webers Beitrag beginnt mit einem historischen Rekurs auf Akteure der sogenannten »Konservativen Revolution«, für die die demonstrative Bezugnahme auf den Zionismus bereits eine große Rolle spielte. Von vulgären Judenfeinden und radikalantisemitischen Agitatoren versuchten sich diese abzugrenzen, während sie die zionistische Bewegung vereinnahmten, um auf diese Weise eine Dialogbereitschaft mit Juden und angebliche Unvoreingenommenheit in der politischen Debatte vorzuspiegeln. Tatsächliche Sympathien, die bis zur Zusammenarbeit mit Zionisten reichten, waren selten, finden sich aber durchaus. Die Annäherung an den Zionismus unter einflussreichen Autoren und Aktivisten wie Werner Sombart, Hans Blüher oder Wilhelm Stapel ist dabei keineswegs einheitlich. Diese unterschiedlichen historischen Strategien sollen die Auseinandersetzung mit neurechten Israel-Bezügen einleiten. Von den 1950er Jahren bis zur Gegenwart werden unterschiedliche Wahrnehmungen und Vereinnahmungen Israels anhand der Zeitschriften Criticón, Staatsbriefe, Sezession oder Nation Europa untersucht. Der Fokus liegt demnach auf dem deutschen und deutschsprachigen Kontext. Das Spektrum der Positionen ist dabei recht breit: demonstratives Ausblenden von jüdischer Thematik über offen oder kaschiert antisemitisch-antizionistische Polemiken bis hin zu symbolischer Vereinnahmung der Politik Israels.

Den Sammelband beendet ein Gespräch mit Annette Seidel-Arpacı. Dieses ergänzt die vorhergehenden Beiträge zum Thema Transnationalität um eine andere Perspektive, namentlich die staatliche Bekämpfung des Antisemitismus und die besonderen Herausforderungen, die sich hieraus auch für zivilgesellschaftliche und pädagogische Anstrengungen ergeben.

Dank an Ali Tonguç Ertuğrul und Sabri Deniz Martin.

1Vgl. etwa Paul Middelhoff/Yassin Musharbash, »… aber unsere Liebe nicht«, in: Die ZEIT, Nr. 19/2022, 05.05.2021.

2Siehe dazu Christian Jakob/Sabine am Orde/Christina Schmidt, »Brandstifter und Biedermänner«, in: taz, 18.02.2019.

3Malene Gügen/Patricia Hecht/Nina Horaczek/Christian Jakob/Sabine am Orde, Angriff auf Europa. Die Internationale des Rechtspopulismus, München 2019, S. 174.

4Stephan Grigat, »Antisemitismus im Iran seit 1979. Holocaustleugnung und Israelhass in der ›Islamischen Republik‹«, in: Marc Grimm/Bodo Kahmann (Hg.), Antisemitismus im 21. Jahrhundert. Virulenz einer alten Feindschaft in Zeiten von Islamismus und Terror, Berlin/Boston 2018, S. 199-223, hier: S. 213.

5Vgl. Paul Middelhoff/Yassin Musharbash, »… aber unsere Liebe nicht«.

6Diese Formulierung ist einem Titel von 2003 entlehnt, vgl. Mathias Brodkorb, Metamorphosen von rechts. Eine Einführung in Strategie und Ideologie des modernen Rechtsextremismus, Münster 2003.

7o. A. [Yavuz Özoğuz/Gürhan Özoğuz], »Muslim-Markt interviewt Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der DMZ«, muslim-markt.de, 17.05.2005, www.muslim-markt.de/interview/2005/ochsenreiter.htm (letzter Abruf: 02.02.2022). Siehe dazu auch Andreas Speit, »Allianz zwischen Rechten und Islamisten«, in: taz, 02.01.2006; Anton Maegerle, »Solidarität mit Ahmadinedschad«, in: Tribüne. Zeitschrift zum Verständnis des Judentums, 3/2009, Heft 191, S. 96-106.

8Siehe dazu u.a. Klaus-Michael Mallmann/Martin Cüppers, Halbmond und Hakenkreuz. Das Dritte Reich, die Araber und Palästina, Darmstadt 2006; Jeffrey Herf, Nazi Propaganda for the Arab World, New Haven 2009; David Motadel, Für Prophet und Führer. Die islamische Welt und das Dritte Reich, Stuttgart 2017; Matthias Künzel, Nazis und der Nahe Osten. Wie der islamische Antisemitismus entstand, Berlin/Leipzig 2019.

9o. A. [Yavuz Özoğuz/Gürhan Özoğuz], »Muslim-Markt interviewt Manuel Ochsenreiter, Chefredakteur der DMZ«.

10Ebd.

11Die Folgen dieser erneuerten Idee sind gleichwohl mörderisch, vgl. Daniel Byman, Spreading Hate. The Global Rise of White Supremacist Terrorism, Oxford 2022.

12Armin Pfahl-Traughber, Rechtsextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2019, S. 115.

13Vgl. den stichwortgebenden Roman von Hans Grimm, Volk ohne Raum, München 1926.

14Allerdings bestanden in der nationalsozialistischen Bewegung vor 1933 weder Vorstellungen dessen, was mit Russland im Kriegsfalle geschehen solle, noch neben solchen, die dafür plädierten, dass Deutschland und Russland koexistieren sollten. Siehe dazu Norbert Kapferer, »Der ›Totale Krieg‹ gegen den ›jüdischen Bolschewismus‹. Weltanschauliche und propagandistische Einlassungen der NS-Elite und deren Interpretation durch Carl Schmitt«, in: Uwe Backes (Hg.), Rechtsextreme Ideologien in Geschichte und Gegenwart, Köln/Weimar/Wien 2003, S. 159-192.

15Hier sei erneut an die wegweisende Wehrmachtsausstellung erinnert, die ab 1995 in zahlreichen deutschen Städten zu sehen war und zum Ziel neonazistischer Proteste wie Anschläge wurde. Vgl. Ulrike Jureit (Hg.), Verbrechen der Wehrmacht. Dimensionen des Vernichtungskrieges 1941-1944, dritte Auflage, Hamburg 2021.

16Vgl. Stephen E. Atkins, Encyclopedia of Modern Worldwide Extremists and Extremist Groups, Westport/London 2004, S. 81-82. Für eine ausführliche Darstellung siehe Vladimir Ivanov, Alexander Dugin und die rechtsextremen Netzwerke. Fakten und Hypothesen zu den internationalen Verflechtungen der russischen Neuen Rechten, Stuttgart 2012.

17Ausführlich dazu Stefan Wiederkehr, »›Kontinent Evrasija‹. Klassischer Eurasismus und Geopolitik in der Lesart Alexander Dugins«, in: Markus Kaiser (Hg.), Auf der Suche nach Eurasien. Politik, Religion und Alltagskultur zwischen Russland und Europa, Bielefeld 2004, S. 125-138.

18Zitiert nach Micha Brumlik, »Der Philosoph hinter Putin«, in: taz, 04.03.2022.

19Vgl. Alexander Dugin, Die Vierte Politische Theorie, London 2013.

20Vgl. Sabri Deniz Martin/Simon Hemmers, »Wie ein rechtsextremes Freiwilligenregiment mit Black Metal Nachwuchs rekrutiert«, Belltower News, 12.08.2020, https://www.belltower.news/ukraine-wie-ein-rechtsextremes-freiwilligenregiment-mit-black-metal-nachwuchs-rekrutiert-102385/ (letzter Abruf: 01.02.2022)

21Vgl. Anton Shekhovstov, »Alexander Dugin’s Neo-Eurasianism and the Russian-Ukrainian War«, in: Mark Bassin/Gonzalo Pozo (Hg.), The Politics of Eurasianism. Identity, Popular Culture and Russia’s Foreign Policy, London 2017, S. 181-200, hier: S. 192.

22Vgl. Luisa Maria Schulz, »Putins Flüsterer«, in: FAZ, 29.05.2014.

23Vgl. o. A., »Scholz nennt AfD ›Partei Russlands‹«, faz.net, 06.07.2022, https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/olaf-scholz-nennt-afd-partei-russlands-im-bundestag-18153602.html (letzter Abruf: 06.07.2022)

24Vgl. die diesbezügliche Bemerkung von Matthias Quent in o. A., »Forscher: Rechte Szene bei Ukraine-Krieg teils unsicher«, merkur.de, 07.03.2022, https://www.merkur.de/deutschland/sachsen-anhalt/forscher-rechte-szene-bei-ukraine-krieg-teils-unsicher-zr-91392600.html (letzter Abruf: 01.04.2022)

25Vgl. Viktor Jerofejew, »Tod durch Hassphilosophie«, in: FAZ, 26.08.2022.

26Zitiert nach Niklas Liebetrau, »Von Impfgegnern zu Putin-Verstehern?«, in: Die ZEIT, Nr. 12/2022, 20.03.2022.

27Vgl. ebd.

28Vgl. o. A., »Streit in AfD-Spitze über Russland-Kurs«, zeit.de, 31.03.2022, https://www.zeit.de/news/2022-03/31/streit-in-afd-spitze-ueber-russland-kurs (letzter Abruf: 01.04.2022)

29Götz Kubitschek, »Krieg in der Ukraine – Kühle Scham«, sezession.de, 01.03.2022, https://sezession.de/65530/krieg-in-der-ukraine-kuehle-scham (letzter Abruf: 01.04.2022)

30Samuel Salzborn, Angriff der Antidemokraten. Die völkische Rebellion der Neuen Rechten, Weinheim 2017. Siehe dazu auch Lynn Berg/Jan Üblacker (Hg.), Rechtes Denken, rechte Räume? Demokratiefeindliche Entwicklungen und ihre räumlichen Kontexte, Bielefeld 2020; Johannes Hillje, Propaganda 4.0. Wie rechte Populisten unsere Demokratie angreifen, Bonn 2021.

31Vgl. u.a. Frank Decker/Bernd Henningsen/Kjetil Jakobsen (Hg.), Rechtspopulismus und Rechtsextremismus in Europa. Die Herausforderung der Zivilgesellschaft durch alte Ideologien und neue Medien, Baden-Baden 2015; Ernst Hillebrand (Hg.), Rechtspopulismus in Europa. Gefahr für die Demokratie?, zweite, überarbeitete und ergänzte Auflage, Bonn 2017; Sonja A. Strube et al. (Hg.), Anti-Genderismus in Europa. Allianzen von Rechtspopulismus und religiösem Fundamentalismus. Mobilisierung – Vernetzung – Transformation, Bielefeld 2020; Uwe Backes/Patrick Moreau, Europas moderner Rechtsextremismus. Ideologien, Akteure, Erfolgsbedingungen und Gefährdungspotenziale, Göttingen 2021.

32Vgl. Daniel Hornuff, Die Neue Rechte und ihr Design. Vom ästhetischen Angriff auf die offene Gesellschaft, Bielefeld 2019.

33Vgl. Jasmin Degeling/Sarah Horn, »Queer aufs Spiel gesetzt. Über Beißreflexe, queere Bewegungsgeschichte und gegenwärtige Affektkulturen«, in: kultur & geschlecht, Nr. 21, 2018, S. 1-42.

34Vgl. Patsy l’Amour laLove (Hg.), Beißreflexe. Kritik an queerem Aktivismus, autoritären Sehnsüchten, Sprechverboten, Berlin 2017.

35Ausführlich dazu Sabri Deniz Martin, »Diffamierung als Selbstentblößung. Ein Rückblick auf die Beißreflexe-Debatte«, in: Till Randolf Amelung (Hg.), Irrwege. Analysen aktueller queerer Politik, Berlin 2020, S. 44-86.

36Jasmin Degeling/Sarah Horn, »Queer aufs Spiel gesetzt«, S. 28.

37Samuel Salzborn, Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, vierte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Baden-Baden 2020, S. 44.

38Ebd., S. 33.

39Jasmin Degeling/Sarah Horn, »Queer aufs Spiel gesetzt«, S. 30.

40Vgl. Philipp Markgraf/Johanna Zeevaert, »Die antisemitische Basisideologie der Neuen Rechten und des politischen Islam«, in: Markus Baum/Julia Maria Breidung/Martin Spetsmann-Kunkel (Hg.), Rechte Verhältnisse in Hochschule und Gesellschaft. Rassismus, Rechtspopulismus und extreme Rechte zum Thema machen, Opladen/Berlin/Toronto 2021, S. 61-96.

41Vgl. Richard Rohrmoser, Antifa. Porträt einer linksradikalen Bewegung. Von den 1920er Jahren bis heute, München 2022, S. 164.

42Vgl. Alex Feuerherdt/Florian Markl, Die Israel-Boykottbewegung. Alter Hass in neuem Gewand, Leipzig 2020.

43Siehe etwa Judith Butler, Am Scheideweg. Judentum und die Kritik am Zionismus, Frankfurt a.M./New York 2013; GLQ, Vol. 16, Issue 4, 2010: Queer Politics and the Question of Palestine/Israel; Jasbir K. Puar, The Right to Maim. Debility, Capacity, Durham 2017.

44Vgl. Ellen Kositza, »Kopftuchmädchen«, in: Sezession, Nr. 40, 2011, S. 22-26.

45Ebd., S. 24.

46Vgl. Christina von Braun/Bettina Mathes, Verschleierte Wirklichkeit. Die Frau, der Islam und der Westen, Berlin 2007. Eine ausführliche Kritik an dieser Schrift findet sich bei Bernd Martin, Aufgeklärte Vernunft und konkurrierende Handlungsrationalitäten am Ende des 20. Jahrhunderts. Sozialtheorie zwischen prädisponiertem Nutzenkalkül, Werterelativismus und den Vorzeichen islamischen Absolutismus, Bamberg 2013, S. 333-351.

47Vgl. die autobiografische Auskunft bei Antje Schippmann, »Freiheit statt Heimat«, in: Die WELT, 08.09.2014.

48Fathiyeh Naghibzadeh, »Freiheit ist weder östlich noch westlich, sondern universal«, in: Vojin Saša Vukadinović (Hg.), Freiheit ist keine Metapher. Antisemitismus, Migration, Rassismus, Religionskritik, Berlin 2018, S. 348-360, hier: S. 352f.

49So etwa anhand der Dissertation von Lea-Sophie Schiel, in der sich gleich eingangs die Bemerkung findet, in Beißreflexe sei »die Rassismusdebatte innerhalb der (bundesdeutschen) queeren Community in der Manier eines ›klassischen‹ weißen Abwehrmechanismus kritisiert« worden – selbstredend ohne darauf hinzuweisen, dass die migrantischen Beitragenden des Sammelbandes über Rassismus geschrieben bzw. gesprochen haben, was der Autorin wohl deshalb entgangen sein dürfte, weil sie einem trivialen Rassismusverständnis anhängt. Hier treten ihre Abwehrmechanismen, sich mit dem Rassismus ihres eigenen akademischen Milieus zu befassen, deutlich hervor; dass Schiel keinerlei Publikationen zu deutschlandspezifischem Rassismus bzw. zur Neuen Rechten vorzuweisen hat, unterstreicht dies nur. Ähnlich verhält es sich im Falle eines Aufsatzes von Heike Mauer, die sich in einem Sammelband zum Stand der Populismusforschung immerhin der AfD gewidmet hat, bei dieser Gelegenheit jedoch kolportierte, dass ein auf Beißreflexe basierender Artikel, der in einer feministischen Zeitschrift erschien, den »rechtspopulistischen Angriffen sowie der pseudowissenschaftlichen ›Kritik‹ an Geschlechterforschung nicht unähnlich« sei. Den Nachweis blieb sie freilich schuldig, was auch hier einem seichten Rassismusbegriff geschuldet gewesen sein dürfte – abzulesen vor allem am konventionell anmutenden Desinteresse der Autorin, sich mit Rassismus innerhalb der Gender Studies zu befassen, der längst nachgewiesen ist. Dass es hingegen mit Sabri Deniz Martin ein migrantischer Nachwuchswissenschaftler ist, der auf die reaktionären Tendenzen und Verhaltensweisen dieses herkunftsdeutschen Milieus hinweist, dessen Abneigung sich eben zielgenau gegen migrantische Nachwuchswissenschaftler richtet, die Unliebsames aussprechen, wie die Psychologin und Beißreflexe-Autorin Caroline A. Sosat hervorgehoben hat, komplettiert den Gesamteindruck, dass es sich bei diesem Komplex um ein Rassismusproblem in den Geistes- und Sozialwissenschaften handelt, das diese selbst hervorgebracht haben und das noch systematisch zu analysieren ist. Vgl. Lea-Sophie Schiel, Sex als Performance. Theaterwissenschaftliche Perspektiven auf die Inszenierung des Obszönen, Bielefeld 2020, S. 11 (Hervorhebung im Original); Heike Mauer, »Nichts als Wahn oder Ideologie? Rechtspopulistische Angriffe auf die Geschlechterforschung und die Politisierung von Geschlechterverhältnissen«, in: Seongcheol Kim/Veith Selk (Hg.), Wie weiter mit der Populismusforschung?, Baden-Baden 2021, S. 271-292, hier: S. 286f., FN 8; Caroline A. Sosat, »Grüsse von der Gender-Front«, in: NZZ, 10.11.2017.

50Siehe dazu Uwe Backes/Patrick Moreau, Europas moderner Rechtsextremismus, S. 33-35.

51Siehe dazu Annette Henninger et al. (Hg.), Mobilisierungen gegen Feminismus und ›Gender‹. Erscheinungsformen, Erklärungsversuche und Gegenstrategien, Opladen/Berlin/Toronto 2021.

52Vgl. Eszter Kováts, »Post-Socialist Conditions and the Orbán Government’s Gender Politics between 2010 and 2019 in Hungary«, in: Gabriele Dietze/Julia Roth (Hg.), Right-Wing Populism and Gender. European Perspectives and Beyond, Bielefeld 2020, S. 75-100.

53Vgl. A. Dirk Moses, »Der Katechismus der Deutschen«, Geschichte der Gegenwart, 23.05.2021, https://geschichtedergegenwart.ch/der-katechismus-der-deutschen/ (letzter Abruf: 31.12.2021)

54Ebd. Zu den Folgen dieser Debatte siehe Saul Friedländer/Norbert Frei/Sybille Steinbacher/Dan Diner, Ein Verbrechen ohne Namen. Anmerkungen zum neuen Streit über den Holocaust, München 2022.

55Martin Sellner, »Postkoloniale Angriffe auf den ›Auschwitz-Mythos‹«, sezession.de, 21.05.2021, https://sezession.de/64268/postkoloniale-angriffe-auf-den-auschwitz-mythos (letzter Abruf: 31.12.2021)

56Im englischen Original »Israelification of Germany«. A. Dirk Moses, »Dialectic of Vergangenheitsbewältigung«, New Fascism Syllabus, 21.06.2021, http://newfascismsyllabus.com/opinions/dialectic-of-vergangenheitsbewaltigung/ (letzter Abruf: 31.12.2021)

57W. G. Meister, Christlich-europäische Leitkultur. Die Herausforderung Europas durch Säkularismus, Zionismus und Islam, Band II: Über Geschichte, Zionismus und Verschwörungspolitik, Frankfurt a.M. 2009, S. 432.

58Wolfgang Gedeon, Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten, Frankfurt a.M. 2012.

59Siehe etwa Frank Jansen, »Antisemit Gedeon rausgeworfen – ›Flügel‹ womöglich vor Auflösung«, in: Der Tagesspiegel, 20.03.2020.

60W. G. Meister, Christlich-europäische Leitkultur, Band II, S. 424.

61A. Dirk Moses, »Der Katechismus der Deutschen«.

62W. G. Meister, Christlich-europäische Leitkultur, Band II, S. 432.

63Wolfgang Gedeon, Der grüne Kommunismus und die Diktatur der Minderheiten, S. 272.

64A. Dirk Moses, »Der Katechismus der Deutschen«.

65Ebd.

66Siehe dazu Sandra Rokahr, »Verblümter Antisemitismus. Israelkritik als Ticketmentalität«, in: Samuel Salzborn (Hg.), Antisemitismus seit 9/11, Baden-Baden 2019, S. 89-108.

67A. Dirk Moses, »Der Katechismus der Deutschen«.

68Um nur einige Individuen zu nennen, deren Arbeit gegen Antisemitismus bzw. deren Einsatz für Israel Moses und Gleichgesinnten offenkundig entgangen ist: Annette Seidel-Arpacı (RIAS Bayern), Sabri Deniz Martin (Freundeskreis der Auschwitzer e.V.), Burak Yılmaz (Junge Muslime in Auschwitz), Ronya Othmann (Schriftstellerin), Saba-Nur Cheema (Bildungsstätte Anne Frank), Ahmad A. Omeirate (Wirtschaftswissenschaftler), Naïla Chikhi und Fatma Keser (Migrantinnen für Säkularität und Selbstbestimmung), Sama Maani (Psychoanalytiker), Kacem El Ghazzali (Menschenrechtsaktivist), Ali Ertan Toprak (Alevitische Gemeinde Deutschland), Fathiyeh Naghibzadeh (Mideast Freedom Forum), Aras-Nathan Keul (Junges Forum der DIG), Ibrahim Naber (Journalist), Güner Balcı (Integrationsbeauftragte Berlin-Neukölln), Ali Tonguç Ertuğrul (Ideologiekritiker). Dass sich deren Arbeit, ihre jeweilige politische Position und der zugehörige Anspruch gleichwohl sehr voneinander unterscheidet, sei angesichts Moses’ impertinenter Projektionsleistung bezüglich »diese[r] Migrant:innen«, die offenbar schon qua Migrantisch-Sein allesamt gleicher Meinung sein sollen, hervorgehoben. So verdeutlicht auch die Episode um den angeblichen »Katechismus der Deutschen« das akute Rassismusproblem sich progressiv wähnender geistes- und sozialwissenschaftlicher Areale, welches sich als vermeintliche Rassismus-Sensibilität manifestiert.

69Vgl. Ali Tonguç Ertuğrul/Sabri Deniz Martin/Vojin Saša Vukadinović, »Linkspaternalistischer Rassismus«, in: Jungle World, Nr. 28/2021, 15.07.2021.

70Johannes Moltke, »Polemik und Provokationen«, Geschichte der Gegenwart, 06.11.2021, https://geschichtedergegenwart.ch/polemik-und-provokationen/ (letzter Abruf: 31.12.2021)

71Siehe dazu Ali Tonguç Ertuğrul/Sabri Deniz Martin/Vojin Saša Vukadinović, »Dirk Moses und die ›Pluralisierung‹ von Erinnerungskultur. Eine antizionistische Geschichte der Gegenwart«, in: Stella Leder (Hg.), Über jeden Verdacht erhaben? Antisemitismus in Kunst und Kultur, Berlin/Leipzig 2021, S. 130-142.

72Jenny Hestermann/Johannes Becke, »Die Linke und der neue Historikerstreit«, in: Jüdische Allgemeine, Nr. 29/2021, 29.07.2021.

73Vgl. etwa Ingo Elbe, »…›it’s not systemic‹. Antisemitismus im akademischen Antirassismus«, in: Till Randolf Amelung (Hg.), Irrwege, S. 224-260.

74Vgl. Susanne Mantino, Die »Neue Rechte« in der »Grauzone« zwischen Rechtsextremismus und Konservatismus, Frankfurt a.M. 1992.

75Vgl. Sebastian Friedrich, Die AfD. Neokonservative Mobilmachung in Deutschland, Berlin 2015.

76Siehe dazu Philipp Becher/Christian Begass/Josef Kraft (Hg.), Der Aufstand des Abendlandes. AfD, PEGIDA & Co.: Vom Salon auf die Straße, Köln 2015.

77Justus Bender, Was will die AfD? Eine Partei verändert Deutschland, München 2017, S. 206.

78Volker Weiß, Die autoritäre Revolte, S. 118.

79Vgl. Judith Goetz/Joseph Maria Sedlacek/Alexander Winkler (Hg.), Untergangster des Abendlandes. Ideologie und Rezeption der rechtsextremen ›Identitären‹, Hamburg 2017; Julian Bruns/Kathrin Glösel/Natascha Strobl, Die Identitären. Handbuch zur Jugendbewegung der Neuen Rechten in Europa, dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage, Münster 2017; José Pedro Zúquete, The Identitarians. The Movement against Globalism and Islam in Europe, Notre Dame 2018.

80Siehe dazu Andreas Speit (Hg.), Reichsbürger. Die unterschätzte Gefahr, Berlin 2017.

81Vgl. Matthias Quent, Rassismus, Radikalisierung, Rechtsterrorismus. Wie der NSU entstand und was er über die Gesellschaft verrät, Weinheim/Basel 2016.

82Für Publikationen, die neben Volker Weiß’ Abhandlung Die autoritäre Revolte breitere Beachtung gefunden haben, siehe etwa Helmut Kellershohn, Kulturkampf von rechts. AfD, Pegida und die Neue Rechte, Münster 2016; Klaus-Peter Hufer, Neue Rechte altes Denken. Ideologie, Kernbegriffe und Vordenker, Weinheim 2018; Holger Oppenhäuser, Globalisierung im Diskurs der nationalistischen Rechten. Parteien, Militante und Intellektuelle im Kampf gegen die ›One World‹, Wiesbaden 2020.

83Vgl. Hajo Funke, Die Höcke-AfD. Vom gärigen Haufen zur rechtsextremen »Flügel«-Partei. Eine Flugschrift, Hamburg 2020.

84Vgl. Julia Haas, »Anständige Mädchen« und »selbstbewusste Rebellinnen«. Aktuelle Selbstbilder identitärer Frauen, Hamburg 2020.

85Vgl. Uwe Backes/Steffen Kailitz (Hg.), Sachsen – Eine Hochburg des Rechtsextremismus?, Göttingen 2020.

86Vgl. Andreas Speit, Das Netzwerk der Identitären. Ideologie und Aktionen der Neuen Rechten, Bonn 2018.

87So z.B. Jennifer Schellhöh et al. (Hg.), Großerzählungen des Extremen. Neue Rechte, Populismus, Islamismus, War on Terror, Bielefeld 2018.

88Vgl. Thomas Wagner, Die Angstmacher. 1968 und die Neue Rechte, Berlin 2017.

89Vgl. Heinrich Detering, Was heißt hier »wir«? Zur Rhetorik der parlamentarischen Rechten, Ditzingen 2019.

90Vgl. Jay Julian Rosellini, The German New Right. AfD, PEGIDA, and the Re-imaging of National Identity, London 2019; Rebecca Pates/Julia Leser, The Wolves Are Coming Back. The Politics of Fear in Eastern Germany, Manchester 2021.

91Vgl. etwa Matthias Quent, Deutschland rechts außen. Wie die Rechten nach der Macht greifen und wie wir sie stoppen können, Piper 2019; Christian Fuchs/Paul Middelhoff, Das Netzwerk der Neuen Rechten. Wer sie lenkt, wer sie finanziert und wie sie die Gesellschaft verändern, Reinbek 2019; Katja Bauer/Maria Fiedler, Die Methode AfD. Der Kampf der Rechten: im Parlament, auf der Straße – und gegen sich selbst, Stuttgart 2021.

92Siehe dazu Karl-Siegbert Rehberg/Franziska Kunz//Tino Schlinzig (Hg.), PEGIDA – Rechtspopulismus zwischen Fremdenangst und »Wende«-Enttäuschung? Analysen im Überblick, Bielefeld 2016; Tino Hein, Pegida als Spiegel und Projektionsfläche. Wechselwirkungen und Abgrenzungen zwischen Pegida, Politik, Medien, Zivilgesellschaft und Sozialwissenschaften, Wiesbaden 2017.

93Siehe dazu die bis heute relevanten Beiträge in Wolfgang Gessenharter/Thomas Pfeiffer (Hg.), Die Neue Rechte – eine Gefahr für die Demokratie?, Wiesbaden 2004.

94Amadeu Antonio Stiftung, »Alter Rassismus in neuem Gewand: die ›neue‹ Rechte«, Flyer zur Frankfurter Buchmesse 2017.

95Siehe dazu Enno Stahl, Die Sprache der Neuen Rechten. Populistische Rhetorik und Strategien, Stuttgart 2019; Henning Lobin, Sprachkampf. Wie die Neue Rechte die deutsche Sprache instrumentalisiert, Berlin 2021.

96Volker Weiß, Die autoritäre Revolte, S. 83.

97Vgl. etwa Patrick Fels/Hans-Peter Killguss/Hendrik Puls (Hg.), Moscheebaukonflikte und ihre Instrumentalisierung durch die extreme Rechte, Köln 2012.

98Alice Weidel, »Kein Zurückweichen«, jungefreiheit.de, 11.10.2016, https://jungefreiheit.de/debatte/kommentar/2016/kein-zurueckweichen/ (letzter Abruf: 31.12.2021)

99Vgl. etwa Patrick Wielowiejski, »Identitäre Schwule und bedrohliche Queers. Zum Verhältnis von Homonationalismus und Anti/G/enderismus im Nationalkonservatismus«, in: Feministische Studien, 36. Jahrgang, Nr. 2/2018, S. 347-356.

100Kritisch dazu Moritz Pitscheider, »Der Westen und das Laster. ›Homonationalismus‹ und Flucht«, in: Vojin Saša Vukadinović (Hg.), Zugzwänge. Flucht und Verlangen, Berlin 2020, S. 163-182.

101Siehe dazu nochmals die an Helmut Kellersohn anschließende Zusammenfassung bei Alice Brauner-Orthen, Die Neue Rechte in Deutschland. Antidemokratische und rassistische Tendenzen, Opladen 2001, S. 49.

102Vgl. dazu u.a. Patrik Hermansson (Hg.), The International Alt-Right. Fascism for the 21st Century?, Abingdon/New York 2020.

103Der 2022 veröffentlichte Sammelband Contemporary far-right thinkers and the future of liberal democracy wird dem insofern gerecht, als er zentrale Figuren aus Nordamerika, West- und Osteuropa sowie Australien und deren Agitation vorstellt. Dass darunter allerdings auch das libertäre Online-Magazine Quillette fällt, verdeutlicht, dass die wissenschaftliche Auslegung von »weit rechts« bisweilen auf unpräzisen oder irrigen Definitionen fußt. Vgl. A. James McAdams/Alejandro Castrillon (Hg.), Contemporary far-right thinkers and the future of liberal democracy, London/New York 2022.

104Volker Weiß, Die autoritäre Revolte, S. 28.

105Siehe dazu die Beiträge in Andreas Audretsch/Claudia Gatzka (Hg.), Schleichend an die Macht. Wie die Neue Rechte Geschichte instrumentalisiert, um Deutungshoheit über unsere Zukunft zu erlangen, Bonn 2020.

106Samuel Salzborn, Rechtsextremismus. Erscheinungsformen und Erklärungsansätze, dritte Auflage, Baden-Baden 2018, S. 75.

107Zu diesen Aspekten sei an dieser Stelle u.a. verwiesen auf Wolfram Stender (Hg.), Konstellationen des Antiziganismus. Theoretische Grundlagen, empirische Forschung und Vorschläge für die Praxis, Wiesbaden 2016; Martin Jander/Anetta Kahane (Hg.), Gesichter der Antimoderne. Gefährdungen demokratischer Kultur in der Bundesrepublik Deutschland, Baden-Baden 2020; Samuel Salzborn, »Antisemitismus in der ›Alternative für Deutschland‹«, in: ders. (Hg.), Antisemitismus seit 9/11, S. 197-216; Olaf Kistenmacher, Ausgesprochen unausgesprochen. Latenter Antisemitismus und Erinnerungsabwehr in der Neuen Rechten, Hamburg 2021; Klaus Holz/Thomas Haury, Antisemitismus gegen Israel, Hamburg 2021, S. 305-350; Z. Ece Kaya/Katharina Rhein (Hg.), Rassismus, Antisemitismus und Antiziganismus in der postnationalsozialistischen Gesellschaft. Erziehungswissenschaftliche und pädagogische Auseinandersetzungen, Weinheim/Basel 2021.

108Wolfgang Gedeon, Der grüne Kommunismus, S. 13.

109Vgl. Valérie Dubslaff, »Deutschland ist auch Frauensache«. NPD-Frauen im Kampf für Volk und Familie 1965-2020, Berlin/Boston 2022.

110Martin Lichtmesz/Caroline Sommerfeld, Mit Linken leben, Schnellroda 2017.

I. Philosophie

Vom Syndikalismus zur Nouvelle DroiteGeorges Sorel als linker Wegbereiter der Konservativen Revolution

Moritz Pitscheider

In der 1932 erstveröffentlichten Programmschrift La dottrina del fascismo hielt Benito Mussolini in Bezug auf den »Ursprung der Doktrin« fest, dass »man im großen Strom des Faschismus diejenigen Strömungen wiederfindet, die von Sorel, Péguy, Lagardelle, der Mouvement socialiste und der Schar der italienischen Syndikalisten ausgingen.«1 Die sozialistische Politisierung des späteren Diktators im frühen 20. Jahrhundert ist zwar hinlänglich besprochen, der ideologische Einfluss der revolutionären Linken auf faschistische und neurechte Theoriebildung wird dabei aber zumeist ausgeblendet. So sollte insbesondere der von Mussolini hochgeschätzte Syndikalist Georges Sorel mit seinen Réflexions sur la violence (1908) zu einem wesentlichen Stichwortgeber der europäischen Rechten werden. Neben der bemerkenswerten Anerkennung, die Sorel in Frankreich durch die nationalistische Action Française und in Italien durch den Duce höchstselbst zuteilwurde, machte sich der revolutionäre Syndikalist in den 1920er Jahren auch im deutschsprachigen Raum einen Namen. Zunächst war es Carl Schmitt, der bereits 1923, in Die geistesgeschichtliche Lage des heutigen Parlamentarismus