RÄTSEL UM ANDREA - Spencer Dean - E-Book

RÄTSEL UM ANDREA E-Book

Spencer Dean

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Beschreibung

Sie blickte ihn an, als er den Kaffee bestellte. Hinter seiner verbindlichen Art war deutliche Nervosität zu spüren. Er trommelte auf das Tischtuch, und kicherte kurz und abgehackt, statt tief und melodisch zu lachen, wie er durchaus imstande war. Selbst zu der Zeit, als sie noch bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen war, hätte sie diese nervöse Unruhe an ihm erschreckt.

Es war falsch, zu dieser Verabredung zu kommen. Sie war doch entschlossen, ihn nie wiederzusehen. Sie war auch nur gekommen, weil er sie so dringend darum gebeten hatte. Seine Stimme am Telefon hatte so aufgeregt geklungen, dass sie sicher war, er würde keinen Versuch machen, an das Vergangene zu rühren. Und obwohl sie jetzt in der vertrauten Umgebung zusammensaßen, vermochte diese Erinnerung an glückliche Stunden nicht den geringsten Nachhall in ihr zu erwecken.

 

Der Roman Rätsel um Andrea des US-amerikanischen Schriftstellers Spencer Dean (* 1895; † Februar 1978) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

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Veröffentlichungsjahr: 2023

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SPENCER DEAN

 

 

Rätsel um Andrea

 

Roman

 

 

 

 

 

 

Signum-Verlag

 

Inhaltsverzeichnis

Das Buch 

RÄTSEL UM ANDREA 

ERSTER TEIL 

ZWEITER TEIL 

DRITTER TEIL 

Das Buch

 

Sie blickte ihn an, als er den Kaffee bestellte. Hinter seiner verbindlichen Art war deutliche Nervosität zu spüren. Er trommelte auf das Tischtuch, und kicherte kurz und abgehackt, statt tief und melodisch zu lachen, wie er durchaus imstande war. Selbst zu der Zeit, als sie noch bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen war, hätte sie diese nervöse Unruhe an ihm erschreckt.

Es war falsch, zu dieser Verabredung zu kommen. Sie war doch entschlossen, ihn nie wiederzusehen. Sie war auch nur gekommen, weil er sie so dringend darum gebeten hatte. Seine Stimme am Telefon hatte so aufgeregt geklungen, dass sie sicher war, er würde keinen Versuch machen, an das Vergangene zu rühren. Und obwohl sie jetzt in der vertrauten Umgebung zusammensaßen, vermochte diese Erinnerung an glückliche Stunden nicht den geringsten Nachhall in ihr zu erwecken.

 

Der Roman Rätsel um Andrea des US-amerikanischen Schriftstellers Spencer Dean (* 1895; † Februar 1978) erschien erstmals im Jahr 1958; eine deutsche Erstveröffentlichung erfolgte 1962.

Der Signum-Verlag veröffentlicht eine durchgesehene Neuausgabe dieses Klassikers der Kriminal-Literatur.

  RÄTSEL UM ANDREA

 

 

 

 

 

 

 

  ERSTER TEIL

 

 

 

Erstes Kapitel

 

 

»Bitte nicht fotographieren!« Das Mädchen mit den dunklen Augen unter den hellen, scharf abgezeichneten Brauen hob rasch die große Speisekarte, sodass nur noch ihre gepflegte Frisur zu sehen war.

»Wie schade – so ein nettes Paar!« Die Blondine in dem Flitterkostüm blickte seufzend durch den Sucher ihres Fotoapparates. »Die Dame so reizend, und der Herr so distinguiert.«

»Ein andermal.« Der Mann schob ihr diskret einen Dollar in den Busenausschnitt. »Heute Abend nicht.«

Heute Abend nicht, dachte die Brünette, während das Mädchen mit dem Fotoapparat auf der Suche nach Kunden weitertänzelte. Heute Abend nicht und morgen Abend nicht – überhaupt nicht mehr. Dabei hatte sie sich vor gar nicht langer Zeit häufig auf diese Weise fotographieren lassen – lässig gegen das tigergestreifte Sofa gelehnt. Viele ihrer Begleiter hatten Wert darauf gelegt, das Tete-á-tete mit ihr im Foto festzuhalten. Jetzt verspürte sie geradezu Abscheu, ein solches Bild machen zu lassen, mit diesem Mann an ihrer Seite. Und so seltsam es klingen mochte: Auch er scheute sich vor dem Blitzlicht.

Sie blickte ihn an, als er den Kaffee bestellte. Hinter seiner verbindlichen Art war deutliche Nervosität zu spüren. Er trommelte auf das Tischtuch, und kicherte kurz und abgehackt, statt tief und melodisch zu lachen, wie er durchaus imstande war. Selbst zu der Zeit, als sie noch bis über beide Ohren in ihn verliebt gewesen war, hätte sie diese nervöse Unruhe an ihm erschreckt.

Es war falsch, zu dieser Verabredung zu kommen. Sie war doch entschlossen, ihn nie wiederzusehen. Sie war auch nur gekommen, weil er sie so dringend darum gebeten hatte. Seine Stimme am Telefon hatte so aufgeregt geklungen, dass sie sicher war, er würde keinen Versuch machen, an das Vergangene zu rühren. Und obwohl sie jetzt in der vertrauten Umgebung zusammensaßen, vermochte diese Erinnerung an glückliche Stunden nicht den geringsten Nachhall in ihr zu erwecken.

Sie hatte große Angst. Sie würde ihre Stellung verlieren, wenn man sie hier mit ihm zusammen sah. Ihre Stellung bedeutete ihr unendlich viel, seit sie alle Brücken hinter sich abgebrochen hatte. Abgesehen von diesem Risiko bestand auch nicht der geringste Zweifel über die üblen Absichten ihres Begleiters. Immerhin erwies sich ihre Besorgnis, die alte Leidenschaft könnte sich wieder ihrer bemächtigen, als unbegründet. Nicht einmal die Berührung seiner Hand machte sie unsicher. Das war zwar nur ein kleiner Triumph, aber immerhin... Sie hatte es fertiggebracht, dass er für sie nur noch ein Fremder war.

Mit Genugtuung stellte sie fest, dass dieser Gefühlsumschwung nicht von einer Sinnesänderung des Mannes herrührte. Er hatte sich nicht verändert. Er arbeitete immer noch bei dieser Modell-Agentur, und zweifellos posierte er auch heute noch für die gleichen Anzeigen. Sein jungenhaftes Grinsen, das lohfarbene, kurzgeschnittene Haar, die Sommersprossen über der kurzen Stupsnase, die unschuldig blickenden blauen Augen – alles noch genauso wie früher, als der bloße Klang seiner Stimme ihr Herz hatte schneller schlagen lassen.

Als er jetzt zu sprechen begann, war die Wirkung seiner Worte eine völlig andere – sie erschauerte vor Furcht.

»Ich hasse es, so brutal offen zu sein. Der Pauker macht sich Sorgen um dich.«

Ihre Antwort klang sarkastisch, verriet aber ihre Angst. »Weshalb diese plötzliche Anteilnahme?«

»Sie kommt gar nicht so plötzlich. Er macht sich schon seit geraumer Zeit Sorgen um dich. Bisher hatte ich nur keine Gelegenheit, es dir zu sagen.«

»Na schön! Damit hättest du deinen Auftrag ja erledigt.«

»Lass mich ausreden. Der Pauker fürchtet, dass dir etwas zustoßen könnte, wenn du weiterhin in diesem Kaufhaus arbeitest.«

»Er besitzt also tatsächlich die Unverschämtheit, mir nahezulegen, meine Stellung aufzugeben?« Ihre Stimme zitterte nur ganz unmerklich.

»Ich bitte dich darum.« Er wandte sich ihr mit ernstem Gesicht zu, das gar nicht zu ihm passte. »Du hast Geld, soviel du willst. Du hast doch gar nicht nötig, zu arbeiten.«

»Doch, ich habe es nötig. Diese Arbeit hat mir buchstäblich das Leben gerettet.«

»Nun schön, dann such dir einen anderen Job. Es gibt ja auch noch andere Berufe. Dem Pauker gefällt nicht, was du da machst.«

Ärger überkam sie. »Es muss ja schon ziemlich weit mit ihm gekommen sein, wenn er einer einfachen Warenhausdetektivin gegenüber Drohungen ausstößt.«

»Es ist nicht weit mit ihm gekommen, wie du es ausdrückst. Er macht größere Fischzüge als je zuvor. Aber er kann es nicht riskieren, dass seine Pläne von jemandem durchkreuzt werden, der zur Opposition übergegangen ist.«

»Du weißt genau, dass ich niemals irgendjemanden oder irgendetwas verraten hätte.« Sie spürte plötzlich einen Kloß in der Kehle und nippte an ihrem Kaffee, um ihre Stimme wieder in die Gewalt zu bekommen. »Das haben wir alles schon einmal durchgesprochen, vielleicht erinnerst du dich. Bevor ich wegging, sagte ich dir ausdrücklich, dass ich mich völlig von der Vergangenheit gelöst habe.«

»Man kann Erinnerungen nicht auslöschen, wie man eine Schiefertafel auslöscht.«

»Man kann böse Träume vergessen, wenn man es nur versucht. Und alles, was damals war, war ein böser Traum. Damit meine ich nicht, was wir uns bedeutet haben. Ich habe ganz einfach in einer Welt gelebt, die ein einziger

Alptraum war. Und wer spricht schon über seine Alpträume!«

»Der Pauker glaubt aber, dass du es getan hast – zu deinem Chef.«

»Dann irrt er sich. Als ich zu Amblett ging, begann ich ein völlig neues Leben. Das war so vereinbart. Und weder ich noch sonst jemand hat von meiner Vergangenheit gesprochen.«

»Mit sonst jemand meinst du deinen Chef, diesen Don Cadee? Du bist verknallt in ihn, wie?«

»Nicht so, wie du denkst. Er hat ein anderes Mädchen. Er ist verlobt.«

»Verlobt oder nicht, er dürfte auch nur ein Mensch sein.«

»Oh ja, er ist ein Mensch – ein sehr menschlicher Mensch.« Sie wünschte nichts sehnlicher, als dass ihr sympathischer Chef mit den verständnisvollen grauen Augen jetzt neben ihr sitzen und ihr helfen würde. »Ich verdanke Mr. Cadee viel. Er hat mir eine Chance gegeben, die ich gar nicht mehr verdient hatte, und dank ihm habe ich meine Selbstachtung wiedergefunden. Und dies alles geschah auf korrekt beruflicher Basis. Gefühle sind dabei nicht beteiligt, falls du das andeuten wolltest.«

»Ich wollte vor allem andeuten, dass es jetzt um deine Sicherheit geht«, erwiderte er ernst, sodass sie den Eindruck gewann, dass seine Besorgnis echt war. »Wahrscheinlich denkst du, dass ich dir etwas vormache, wenn ich behaupte, dass du für mich der einzige Mensch warst, der mir je etwas bedeutet hat. Es ist die Wahrheit, und ich möchte dir das jetzt sagen – jetzt, wo es für mich zu spät ist. Vielleicht glaubst du mir dann wenigstens, dass ich den Wunsch habe, dich zu beschützen. Ich könnte es mir nie verzeihen, wenn dir etwas zustoßen sollte.«

Er legte zwei Zeitungsausschnitte auf den Tisch.

Durch Stimmengewirr und Gläserklirren klang leise die Habanera herüber, während sie las:

 

In U-Bahn tödlich verunglückt und ausgeraubt!

 

New York, N. Y., 21. April. Auf den Stufen der U-Bahn-Station an der 86. Straße wurde heute Morgen kurz nach zwei Uhr die Leiche von Leah Marsh Osborne, ledig, 47, wohnhaft in Manhattan, 89. Straße, Nummer 1146, entdeckt. Joseph Wooster, ein Lebensmittelhändler, fand die Tote, als er die U-Bahn-Station verließ. Es wird vermutet, dass die Frau die Treppe hinabstürzte und sich dabei das Genick brach. Es wurde eine Obduktion angeordnet. Da ihre Handtasche am Unfallort nicht gefunden wurde, wird eine Bande Jugendlicher, die in dieser Gegend bereits mehrfach Handtaschendiebstähle beging, vernommen. Die einzige Verwandte der Toten ist ihre Schwester, Mrs. Constance T. Krauss, mit der sie zusammenwohnte. Miss Osborne war seit vielen Jahren Einkaufsassistentin in der Konfektionsabteilung eines Kaufhauses in der 32. Straße. 

 

Sie blickte auf und bemerkte, dass er sie interessiert musterte. »Da hat der Pauker seine Hand im Spiel?«

»Das habe ich nicht gesagt!«, protestierte er. »Aber verstehst du denn nicht? Solche Dinge passieren immer wieder, Unfälle! Niemand kann dafür verantwortlich gemacht werden. Aber lies jetzt die andere Meldung.«

Sie hatte das Gefühl, als glitte ihr ein Eiswürfel den Rücken hinab.

 

Polizist Opfer eines Verkehrsunfalls – Schuldiger Fahrer flüchtig

 

Tuckahoe, N. Y., 9. Mai.

Die Polizei fahndet nach dem Fahrer eines Wagens, der in der vergangenen Nacht den Wachtmeister Thomas R. Duplaine, 31, tödlich verletzte. Wie die Staatspolizei bekanntgibt, hatte Duplaine offensichtlich versucht, einen mit übergroßer Geschwindigkeit fahrenden Wagen anzuhalten. Er wurde auf seinem Motorrad niedergefahren und war auf der Stelle tot. Obwohl es keine Unfallzeugen gibt, haben Beamte des Verkehrsunfall-Kommandos wertvolle Spuren gesichert, die zur Identifizierung des flüchtigen Fahrers führen dürften. Wachtmeister Duplaine war kürzlich abkommandiert worden, sein Augenmerk auf Transporte mit gestohlenen Waren zu richten.

 

»Ich verstehe«, sagte sie langsam. »Es handelt sich also um keine leere Drohung. Der Pauker hat dich geschickt, um mir klipp und klar sagen zu lassen, dass es mir ebenso ergehen könnte.«

Er nickte. »Wenn ich dich schon nicht dazu bringen kann, Vernunft anzunehmen, dann komme ihm wenigstens nicht in die Quere.«

»Ich wüsste nicht, was mir lieber wäre. Vorausgesetzt, dass er mich in Ruhe lässt.«

»Das kann er nicht, solange du als Kaufhausdetektivin arbeitest. Bei Roslyn ist er nur mit Mühe und Not entwischt, und daran gibt er dir die Schuld. Ob es nun stimmt oder nicht.«

»Er plant also noch andere Coups, wie?«

Er winkte ungeduldig ab. »Betrachte es doch einmal von folgendem Gesichtspunkt: Du hast Cadee in dein Herz geschlossen. Darum solltest du es dir zweimal überlegen, bevor du ihn in Gefahr bringst. Und du bringst ihn unweigerlich in Gefahr, wenn du für ihn arbeitest.«

»Ich möchte annehmen, dass Don Cadee durchaus auf sich aufpassen kann«, erwiderte sie kühl.

»Nein, das kann er nicht. Ich weiß, im Krieg war er ein toller Bursche bei der Abwehr – Tapferkeitsmedaille und so weiter.« Er nahm die Zeitungsausschnitte an sich. »Aber dies hier ist kein Krieg.«

»Nein.« Ihr Mund war trocken, aber sie mochte den Kaffee nicht mehr anrühren. »Allerdings nicht. Dafür gibt es einen noch viel scheußlicheren Ausdruck. Würdest du bitte zahlen?«

 

 

 

Zweites Kapitel

 

 

Don Cadee betrachtete mit finsterem Gesicht das vor ihm liegende Schreiben.

 

...und teilen Ihnen höflichst mit, dass wir die Ausfallbürgschaft DL4A2116 vom 04. Januar 1960 im Betrage von Dollar 7500.-, erteilt für Miss Andrea Reinholt, Ihre Angestellte Nr. 3087, per sofort kündigen...

 

Deutlich wurde ihm der 04. Januar wieder gegenwärtig. Mit Bob Stolz hatte er einen heißen Disput darüber geführt, ob man dieses Mädchen einstellen könne oder nicht. Im Allgemeinen ließ der geschäftsführende Direktor seinem Chefdetektiv völlig freie Hand bei der Auswahl seines Personals. Einer von Dons besten Nachtwächtern hatte vorher wegen Einbruchs im Gefängnis gesessen, und der uniformierte Aufseher an der Rolltreppe war von Sibyl Forde bei einem Taschendiebstahl erwischt worden. Der Einstellung dieser beiden Männer hatte Stolz nicht widersprochen, aber an jenem Januartag hatte er sich entschieden geweigert, einer bereits bestraften Ladendiebin, die aus Ambletts Mayfair-Abteilung Importkleider im Wert von mehreren tausend Dollar zu stehlen versucht hatte, auch noch ein Gehalt zu zahlen.

»Aus einem faulen Ei kann man kein Omelett machen«, hatte Stolz erklärt. »Diese Person hat Sie doch abblitzen lassen. Sie hat zwar zugegeben, mit einer Bande zusammenzuarbeiten, hat Ihnen aber ihre Komplizen nicht genannt. Wenn wir sie jetzt auf unsere Gehaltsliste setzen, würden wir sie für diese Standhaftigkeit auch noch belohnen. Ich würde Ihnen vielleicht zustimmen, wenn es sich um eine Amateurin handelte, die einen Ladendiebstahl als eine Art Sport auffasst – ein Spiel mit dem Risiko, erwischt zu werden aber dieses Mädchen war eine gewerbsmäßige Warenhausdiebin. Ich bezweifle, dass sie ihre Lektion gelernt hat.«

Don hatte ihm entgegengehalten, dass ein Mensch, der den Willen aufgebracht habe, mit Rauschgift Schluss zu machen, wohl erst recht über bedeutend kleinere Versuchungen Sieger bleiben würde. Außerdem achte er die standhafte Weigerung des Mädchens, ihre Komplizen zu verraten. Sie hätte eine bedeutend mildere Strafe zu erwarten gehabt, wenn sie ausgepackt hätte, aber sie habe mutig das harte Leben im Arbeitshaus und die Qualen der Entziehungskur auf sich genommen.

»Und das imponiert Ihnen?«, hatte Stolz getobt. »Sie gehen völlig irre in der Annahme, dass eine Diebin Ehrgefühl besitzt. Sie wissen genau, dass die Leute von Protex sie genau unter die Lupe genommen haben. Eine Versicherungs-Gesellschaft kann sich keinen Schnitzer leisten. Nach ihren Informationen hat sie sich mit den übelsten Subjekten der Café-Society eingelassen.«

Das bestritt Don nicht. »Ich habe Hallorans Bericht gelesen. Aber diese Versicherungsinspektoren nehmen doch von jedem, der einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten ist, das Schlechteste an. Puss Halloran ist von Natur aus misstrauisch. Es geht einfach über seinen Horizont, dass ein Mensch, der einmal einen Fehler gemacht hat, imstande sein sollte, sich zu bessern.«

Don hatte noch geltend gemacht, dass dieses Mädchen alle Tricks der Ladendiebe kenne, und dieses Wissen würde sie befähigen, eine ausgezeichnete Detektivin zu sein. Außerdem habe sie das typische Aussehen einer Kundin von Amblett, da sie aus bestem Hause stamme. Vor allem aber sei er beeindruckt von der ehrlichen Absicht des Mädchens, zu beweisen, dass sie imstande sei, ein anständiges Leben zu führen.

»Ich kenne Sie«, hatte Stolz erwidert. »Sie und Ihre verschrobenen Ansichten. Sie glauben an das Gute im Menschen. Zum Donnerwetter, Cadee, Amblett ist ein Kaufhaus und keine Erziehungsanstalt.«

»Sehen Sie diese Angelegenheit doch einmal vom praktischen Standpunkt«, hatte Don entgegnet. »Uns geht es doch in erster Linie darum, die Verluste so niedrig wie möglich zu halten. Wo könnte ich schon eine Kraft herbekommen, die alle Schliche der Kaufhausdiebe kennt?«

Auf dieses Argument hin hatte Stolz ihn endlich, wenn auch höchst widerwillig, gewähren lassen. Allerdings unter einem Vorbehalt:

»Es wird die Moral unserer Leute untergraben, wenn bekannt wird, dass Sie wieder jemanden eingestellt haben, der bereits vorbestraft ist.«

Don hatte ihm versichert, dass diese Sorge unbegründet sei. Es war auch tatsächlich bis heute nicht bekanntgeworden, dass Andy Ryan, die zurückhaltende, sehr hübsche und auffallend geschmackvoll gekleidete Hausdetektivin in Wirklichkeit Andrea Reinholt hieß, in deren Vergangenheit es einen äußerst dunklen Punkt gegeben hatte.

Andy besaß einen so unfehlbaren Blick für die Langfinger, dass bereits jetzt, nach nur fünf Monaten ihres Tätigkeit, die Gewohnheitsdiebe Amblett zu meiden begannen. Und gerade in dem Augenblick, als sich die ersten Früchte ihrer Arbeit zeigten, kam die Kündigung ihrer Bürgschaft.

Ohne Zweifel war dies das Werk von Puss Halloran. Der Versicherungsinspektor hatte nur widerwillig der Einstellung des Mädchens zugestimmt, nachdem ihm Don deutlich zu verstehen gegeben hatte, dass es schließlich auch noch andere Versicherungsgesellschaften gäbe, die zu einer angenehmeren Zusammenarbeit bereit seien. Der kleine Mann mit den großen Ohren hatte ihm prophezeit, dass Andy rückfällig werden würde, und erklärt, sie scharf zu überwachen. Jetzt hatte er offensichtlich etwas herausgefunden, was seine Befürchtungen bestätigte. Aber was, zum Kuckuck, mochte das sein?

Andy war nicht rückfällig geworden, dessen war Don sicher. Er hatte sie nicht aus den Augen gelassen, allerdings weniger aus Furcht, sie könne sein Vertrauen missbrauchen, als vielmehr wegen der Möglichkeit, dass ihre alte Bande versuchen könnte, sie zu erpressen.

Er hatte auch niemals Anzeichen an ihr bemerkt, dass sie wieder Verlangen hatte, sich ins Nachtleben zu stürzen oder ihre alten Beziehungen wiederaufzunehmen. Das hätten er oder Sibyl bemerken müssen.

Und doch musste Halloran Gründe für seine Maßnahme haben. Trotz seiner krankhaften Skepsis war er von unbedingter Gewissenhaftigkeit. Es schien also ein triftiger Grund vorhanden, dass man Andys Beschäftigungsverhältnis löste.

Don stand auf und trat ans Westfenster. Von hier aus konnte er hinabblicken auf die Avenue. Bunten Käfern gleich krochen die Autos die Straße entlang. Auf den Gehwegen wimmelten die Fußgänger wie Ameisenschwärme. In dieser Menge befanden sich bestimmt auch Ladendiebe, die auf dem Weg waren, die eben gestohlenen Waren zu einem Bruchteil ihres wirklichen Wertes zu verhökern.

Die späte Nachmittagssonne setzte bronzene Lichter auf sein schmales Gesicht und überzog sein frühzeitig weiß gewordenes Haar mit einem goldenen Schimmer. Der bittere Zug um seine Mundwinkel trat überdeutlich hervor. Warum bin ich nicht Soldat geblieben, grübelte er zum tausendsten Male. Warum nicht bei der Abwehr geblieben, um gefährlicheres Wild zu jagen als diese Ladendiebe. Er konnte diese Frage nicht zufriedenstellend beantworten. Außerdem gab es im Augenblick dringendere Probleme.

Was sollte mit Andy Ryan geschehen? Wie konnte er ihr diesen Schlag schonend beibringen? Sie würde ja tatsächlich Amblett verlassen müssen. Wohin sollte sie gehen?

Als er sich umdrehte, bemerkte er, dass die rote Lampe der Wechsel-Sprechanlage aufglühte.

»Ja, Becky?«

»Miss Forde«, vernahm er die Stimme seiner Sekretärin.

»Soll hereinkommen.«

Als Sibyl auf ihre energische Art durch die Tür marschiert kam, wich der verbitterte Ausdruck von seinem Gesicht. Wie hätte man auch in Gegenwart dieses hübschen Rotschopfes verstimmt sein können!

»Du hast recht.« Sibyl hockte sich auf die Schreibtischkante, wodurch ihre schlanken Beine mit den zarten Fesseln erst richtig zur Geltung kamen. »Sie ist zappelig wie ein Fisch auf dem Trockenen. Hat ganz offensichtlich großen Kummer.« Ihre grünen Augen, die schon so oft einen Langfinger getäuscht hatten, leuchteten vor Anteilnahme und Neugier.

»Und was hat sie geantwortet, als du sie batest, heute Abend mit dir zu essen?«

Sibyl zupfte an ihrer Bluse. »Auch in diesem Punkt hast du dich nicht getäuscht. Sie konnte gar nicht schnell genug zusagen.«

»Sie hat also Angst, allein zu sein.« Er nickte. »Das könnte bedeuten, dass sie von ihrer Bande belästigt wird.«

»Du hast das erwartet, wie?« Ihr Blick drückte Bewunderung aus. »Don Cadee, der Hellseher!«

»Nein.« Er begann, das Kalenderblatt zu bekritzeln. Es zeigte den 27. Mai an. »Ich habe keine magische Kristallkugel befragt. Es ist eine ganz einfache Addition.« Er tippte auf einige dringende Rundschreiben des Verbandes der Warenhausdetektive. »Hier sind mehrere Hinweise, dass die High Society Gang wieder zu arbeiten beginnt. Ich weiß natürlich nicht, ob es sich um die Bande handelt, zu der Andy gehörte – aber ich nehme es an.« Er deutete auf das Schreiben der Versicherungsgesellschaft. »Und nun dies! Daraus muss ich folgern, dass Puss Halloran mehr weiß als wir.«

Sibyl streichelte seine Hand. »Armer Junge! Es ist bitter, wenn man sein Vertrauen missbraucht sieht.«

»Ich glaube nicht, dass sie mein Vertrauen missbraucht hat, Sib. Wenn sich Andy in Schwierigkeiten befindet, dann möchte ich wetten, dass dies nicht ihre Schuld ist.«

»Die Versicherungsgesellschaft...«

»...ist offensichtlich anderer Meinung. Nun liegt alles bei dir.«

»Aber mir gegenüber wird sie sehr auf der Hut sein, Don.«

»Man kann jeden Menschen durchschauen, wenn man versucht, sich völlig in seine Lage zu versetzen. Lade sie ein, die Nacht bei dir zu verbringen. Packe sie ruhig fest an, wenn du glaubst, sie auf diese Weise dazu zu bringen, sielt dir anzuvertrauen.« Die Kritzelei auf dem Kalenderblatt ergab nun ganz deutlich die Ringe einer Schießscheibe.

Sibyl schien nicht besonders glücklich über die ihr bevorstehende Aufgabe. »Ich verabscheue es, in ihre persönlichen Angelegenheiten dringen zu müssen. Man kommt sich dabei vor wie ein Chirurg, der in einem stockdunklen Operationssaal arbeiten soll und nicht weiß, ob er vielleicht ein lebenswichtiges Organ verletzt...«

Die Wechselsprechanlage summte.

»Ja, Becky?«

»Alice Stein ruft von der Filiale Greenwich an.«

»Stellen Sie durch... Hier Cadee. Nun, Al, was gibt’s?«

»Ein Lieferwagen ist überfällig, Mr. Cadee. Bis spätestens vier hätte er zurück sein müssen. Seit halb fünf versuche ich herauszufinden, wo er steckt.«

»Wer ist der Fahrer?«

»Harry Baractrian. Er hat den Spitznamen Affe.«

»Ordentlicher Mann.«

»Jedenfalls hat er einen guten Leumund. Meiner Meinung nach hätte er angerufen, wenn er einen Unfall gehabt hätte.«

»Was hatte er geladen?«

»Ich habe es noch nicht genau feststellen können, Mr. Cadee. Es dürfte sich um Ware im Wert von etwa fünfzigtausend Dollar handeln.«

»Vor allem Bekleidung, wie? Kleider und Wäsche und all der übliche Kram, der für die Verlobungs- und Hochzeitswelle im Juni gebraucht wird?«

»Ich denke, so ist es.« Sie schien überrascht, dass er so gut Bescheid wusste. »Was soll ich tun?«

»Verständigen Sie die Ortspolizei, die Staatspolizei und den Sheriff. Dann prüfen Sie nach, was Harry im Einzelnen zu liefern hatte und bei welchem Kunden er zuletzt gewesen ist.«

»Ich befürchte ernstlich, dass etwas Schlimmes passiert ist, Mr. Cadee.«

Don machte keinen Versuch, ihr dies auszureden. Stattdessen versprach er, so schnell wie möglich nach Greenwich zu kommen.

 

 

 

Drittes Kapitel

 

 

»Wenn ein Lieferwagen mit Ware im Wert von fünfzigtausend Dollar geraubt worden ist, wird ja wohl unser verehrter Mr. Stolz endlich deinen Rat befolgen und jedem Wagen einen bewaffneten Begleiter mitgeben«, murmelte Sibyl.

»Bob gehört nicht zu denen, die die Stalltür abschließen, wenn das: Pferd gestohlen ist. Hingegen wird er von uns erwarten, dass wir das gestohlene Pferd so schnell wie möglich zurückbringen.«

»Es wäre überhaupt nicht unser Pferd gewesen, wenn Amblett wie die anderen Häuser United Parcel mit den Transporten beauftragen würde.«

»Vergangene Woche wurde draußen in Roslyn ein Wagen eben dieser Firma überfallen.«

»Gewiss, aber Gimbel hat den Verlust nicht zu tragen.«

»Und Amblett ebenfalls nicht. Das regelt doch Protex.

Außerdem ist die Ware ziemlich gleichgültig, wenn nur dem Fahrer nichts passiert ist.« Er drückte die Sprechtaste. »Becky...? Bringen Sie mir die Unterlagen über Harry Baractrian, Filiale Greenwich.«

Sibyl runzelte die Stirn. »Glaubst du, dass Puss Halloran bereits Wind davon hatte, als er Andys Bürgschaft kündigte?«

»Dieser Gedanke ist mir höchst unangenehm, Sib.«

»Weil es bedeuten würde, dass sie davon gewusst haben muss.«

»Nein. Das kann ich nicht glauben. Aber wer weiß, was sich das alte Schnuffelohr zusammengereimt hat. Andy könnte doch rein zufällig einmal mit einem ihrer früheren Freunde zusammengetroffen sein.«

Becky Kahn, seine schlanke Sekretärin mit dem mausbraunen Haar und der leisen, schüchternen Stimme, legte einen Ordner auf Dons Schreibtisch. »Baractrian ist letzte Woche Vater geworden. Die Leute aus unserer Versandabteilung haben ihm den teuersten Kinderwagen geschenkt, den wir führen.«

»Demnach muss er sehr beliebt sein«, bemerkte Sibyl.

»Oh ja, das glaube ich auch. Außerdem sieht er gut aus«, rief Becky über die Schulter zurück, während sie im Vorzimmer verschwand.

Don betrachtete das Passfoto, das auf der Innenseite des Aktendeckels klebte. Ein junger Mann mit schmalem Gesicht, Habichtnase und forschem Blick.

Harald Baractrian war bei seiner Einstellung 31 Jahre alt. Seine Körpergröße betrug eins achtundsiebzig und sein Gewicht achtzig Kilo. Das scharfgescheitelte Haar war als schwarz angegeben, ebenso die Augen. Dunkler Teint. Ehemaliger Fallschirmjäger der 83. Luftlandedivision, mit mehreren Auszeichnungen. Gehörte dem Verband der. Kriegsteilnehmer, der Moose-Loge sowie dem Sparverein von Amblett an. Zuvor hatte er bei Abraham & Strauss in Brooklyn und bei Sears Roebuck in Newark gearbeitet. Er wohnte Reachman Street 940, Bronx.

»Dieser Baractrian ist ganz offensichtlich ein zäher Bursche«, meinte Don schließlich.

»Du meinst, er hätte sich schon zu wehren gewusst, falls man ihn überfallen hätte?«

»Ein Mann wie er kann es glatt mit zwei Leuten aufnehmen. Außerdem besitzt er eine Waffe. Ich erinnere mich, dass ich sein Gesuch um Ausstellung eines Waffenscheins befürwortet habe. Der Durchschlag befindet sich hier. Er hatte noch seine alte .45er Armeepistole. Wenn man ihn nicht in einen Hinterhalt gelockt hat, dürfte er sich ordentlich zur Wehr gesetzt haben.«

»Diese High Society Gang hat bei dem Überfall in Roslyn keine Gewalt angewendet.« Sibyl zog eines der Rundschreiben hervor.