Raubkatzen auf nebliger See - Erwin Welker - E-Book

Raubkatzen auf nebliger See E-Book

Erwin Welker

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Beschreibung

Segel setzen! Verpassen Sie keinesfalls diesen spannungsgeladenen, historischen Seefahrer-Roman und begleiten Sie Captain Walker erneut auf seinen Abenteuern durch die gefährlichsten Gewässer des 19. Jahrhunderts!

Klappentext: Ein neues Schiff und ein neuer Plan, um stinkreich zu werden: Captain James Walker und seine treue Crew sind zurück und haben es auf den Schmuggel von Waffen abgesehen. Doch im chaotischen Gemetzel der napoleonischen Kriege werden Freunde zu Feinden und umgekehrt. So kommt es, dass die Crew der „Jaguar“ sich schnell in großer Gefahr wiederfindet. Piraten, die Marine und die tobende See lauern Walker auf und zwingen seine waghalsige Crew zu einem erbitterten Kampf ums Überleben …

Nach den erfolgreichen Romanen „Schmach und Glorie“ und „Raubkatzen der Meere“ kehrt der Segel- und Seefahrtexperte Erwin Welker mit einer neuen Seeabenteuer-Geschichte zurück! Auch hier sorgt der Erfolgsautor mit unzähligen nautischen Begriffen und realitätsnahen Beschreibungen der Arbeit an Deck der „Jaguar“ für ein authentisches Erlebnis.

Sowohl maritime Kenner als auch Seefahrt-Neulinge und Landratten sind durch das umfangreiche Glossar am Ende bestens ausgestattet, um die stürmische See des 19. Jahrhunderts zu befahren.

Wird die Mannschaft der „Jaguar“ sich aus den Klauen der Piraterie lösen können? Und wird sie die unzähligen Gefahren auf See überstehen?

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Erwin Welker

 

 

 

 

Raubkatzen auf nebliger See

Captain James Walker und seine Crew sind zurück

 

EK-2 Militär

 

Ihre Zufriedenheit ist unser Ziel!

 

Liebe Leser, liebe Leserinnen,

 

zunächst möchten wir uns herzlich bei Ihnen dafür bedanken, dass Sie dieses Buch erworben haben. Wir sind ein kleines Familienunternehmen aus Duisburg und freuen uns riesig über jeden einzelnen Verkauf!

 

Mit unserem Label EK-2 Militär möchten wir militärische und militärgeschichtliche Themen sichtbarer machen und Leserinnen und Leser begeistern.

 

Vor allem aber möchten wir, dass jedes unserer Bücher Ihnen ein einzigartiges und erfreuliches Leseerlebnis bietet. Daher liegt uns Ihre Meinung ganz besonders am Herzen!

 

Wir freuen uns über Ihr Feedback zu unserem Buch. Haben Sie Anmerkungen? Kritik? Bitte lassen Sie es uns wissen. Ihre Rückmeldung ist wertvoll für uns, damit wir in Zukunft noch bessere Bücher für Sie machen können.

 

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Nun wünschen wir Ihnen ein angenehmes Leseerlebnis!

 

Moni & Jill von EK-2 Publishing

 

Prolog

 

Ein geschmeidiger Jaguar schien herablassend auf seinen Bewunderer zu starren, der einige Meter unterhalb stand und stolz nach oben blickte.

Obwohl der Jaguar aus massivem Hartholz geschnitzt war, machte er einen ziemlich lebendigen, ja fast gefährlichen Eindruck. Ein echter Jaguar wäre natürlich schon längst hinab gesprungen – entweder um seine vermeintliche Beute zu töten, oder um sich in den Tiefen eines unergründlichen Dschungels in Nichts aufzulösen.

Jedoch prangte diese Raubkatze als Galionsfigur am messerscharf geschnittenen Vorsteven eines nahezu fertiggestellten Schoners, welcher in Kürze den Namen Jaguar erhalten würde. Noch aber ruhte die Gallionsfigur des prächtigen Schiffes auf einer Helling eines kleinen Werftgeländes.

Der muskulöse Mann, der sich das überaus gut gelungene Schnitzwerk, welches den Bug seines neuen Schiffes zierte, bewundernd, beinahe ehrfürchtig ansah, war kein Geringerer als der Eigner. Sein Name war James Walker.

Er hatte mit der Galionsfigur über ihm einiges gemeinsam: Kräftig, trotz seiner beinahe siebenundvierzig Jahre, noch recht geschmeidig, kampferprobt und unberechenbar. Darüber hinaus war er durchaus gefährlich – zumindest für seine Gegner.

Seine Gegner waren vor neun Jahren, also 1798, aber auch im Jahr zuvor, die Franzosen gewesen. Das eine mal hatte Walker als Kapitän eines amerikanischen Kapers legitim gegen die Franzmänner gekämpft, als es zwischen dem jungen amerikanischen Staat und Frankreich einen Seekrieg gegeben hatte, der formell nie erklärt worden war.

Und im Jahr zuvor hatte er einen Brander gegen eine französische Korvette eingesetzt, um diese als etwaigen Verfolger auszuschalten. Schließlich hatten die Franzosen gemeinsam mit ihren Verbündeten, den Spaniern, Jagd auf seine Korvette Cougar gemacht. Aber auch nur, weil er sich mit seiner tapferen Crew das Lösegeld geholt hatte, welches die Franzmänner eigentlich zum Freikauf ihrer Landsmänner, die in Tripolis als Geiseln festgehalten wurden, bereitgehalten hatten. Aber jemand war den Franzosen zuvorgekommen, hatte mit einem gewagten Plan und tollkühner Vorgehensweise den Muselmanen die Geiseln abgenommen und hinterher die befreiten, unversehrten Leute gegen das Lösegeld ausgetauscht, welches eigentlich für das räuberische Barbarenvolk bestimmt gewesen war.

Auf diese Weise hatte sich Walker im vergangenen Jahr die undankbaren Franzosen schon wieder zum Feinde gemacht. Als ob die Engländer, gegen die Walker schon im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg gekämpft hatte, nicht schon genug gewesen wären. Doch der Krieg um die Unabhängigkeit wurde schon vor 24 Jahren beendet.

James Walker ließ seinen Blick gedankenverloren über den neu erbauten Schoner schweifen. Sein vorheriges Schiff, die Korvette Cougar, war beinahe dreihundert Tonnen größer gewesen und das bei einer Bewaffnung, die man diesem Kriegsschoner niemals zumuten konnte. Sein altes Schiff war im Vergleich mit diesem schnittigen Vollblut eher eine müde Mähre gewesen. Diesem Schoner sah man bereits jetzt seine künftige Geschwindigkeit und Wendigkeit an, obwohl es noch unfertig auf der Helling ruhend lag.

Wer sollte da noch mit meinem Schiff mithalten können, dachte er.

Sein Gesicht strahlte vor Vorfreude. Doch kaum eine Sekunde später wirkte Walker wieder ernst und tief in Gedanken versunken. Vielleicht, weil ihn die Vergangenheit immer wieder einholte, oder wegen der ungewissen Zukunft.

Da die Arbeiter ihre täglichen Tätigkeiten niedergelegt hatten, gab sich Walker dem Gefühl hin, alleine auf der Werft zu sein. Er bestaunte die Sonne, welche im Westen, scheinbar direkt hinter Baltimore, unterzugehen schien. So nahm die Silhouette der immer größer werdenden Stadt, die vornehmlich aus Backsteingebäuden erbaut worden war, allmählich den gleichen Farbton wie den glutroten Schimmer der Sonne an. Besonders das mit neuen Kupferplatten beschlagene Unterwasserschiff des Schoners leuchtete nun im Licht der niedrig stehenden Sonne wie flüssiges Metall, während die Planken oberhalb der Wasserlinie schwärzer als die Nacht alles Licht in sich aufsogen.

Walker, der sich unbeobachtet gefühlt hatte, zuckte unmerklich auf, als er plötzlich eine Stimme hinter sich vernahm. Ganz allein war er hier also doch nicht gewesen.

„Na, Käpten Walker! Was sagen Sie zu unserer Arbeit? Ist das nicht ein Prachtstück?“

„Wer sollte das leugnen, Mister McIntosh! Diese Linien sind nicht zu übertreffen. Respekt und Hut ab! “ Tatsächlich nahm Walker seinen breitkrempigen Hut, mit einer für ihn atypischen vornehmen Geste, vor dem dickbäuchigen, aber intelligent wirkenden Werftbesitzer ab.

„Ja Käpten Walker!‘‘, ruft Mister McIntosh. „Nun bin ich schon beinahe sechzig Jahre alt. Aber glauben Sie mir, beinahe so viele Jahre an Erfahrung stecken auch in diesem Schiff. Werfen Sie nur einen Blick auf den V-förmigen Querschnitt des Unterwasserschiffes, dass nach achtern hin einen leicht zunehmenden Tiefgang vorweist. Kein anderes Schiff wird so hart gegen den Wind gehen können wie meine Konstruktion. Bei einer entsprechenden Brise und ein wenig Seegang könnte man sogar die Mittelmeer-Schebecken, von denen Sie mir erzählt hatten, hinter sich lassen. Dass die Jaguar, die sowieso verhältnismäßig groß ist, ein wenig mehr Tiefgang hat, als vergleichbare Schoner, muss in Kauf genommen werden.“

Walker erwiderte mit einer Stimme, die eine gewisse Erregung nicht verbergen konnte: „Ich könnte mir gut vorstellen, dass diese exzellenten Linien des Schiffes Schule machen werden. Vermutlich wird es in ein paar Jahren eine ganze Reihe solch prächtige Schiffe geben. Jedenfalls bin ich schon jetzt gespannt, wie sich die Jaguar machen wird. Sie, Mr. McIntosh, werden natürlich bei der Jungfernfahrt dabei sein. Sie sollen doch als erster miterleben, was Sie da geschaffen haben. Sie können wirklich stolz auf sich sein! Ich bin Ihnen zu Dank verpflichtet!“

„Ich danke Ihnen, Käpten Walker!‘‘ Ein Lächeln stiehlt sich auf Mr. McIntoshs Lippen. „Ohne Ihr Vertrauen, ohne Ihre großzügige Vorauszahlung, hätte ich meine Werft schon vor zwei Jahren schließen müssen. Damals stand es gar nicht so gut um meine Werft. So konnte ich mich aber über Wasser halten und jetzt habe ich schon wieder ein paar neue Aufträge.“

Die Summe, die Walker vor zwei Jahren, ganz gegen sonst übliche Gepflogenheiten, gezahlt hatte, war keine geringe gewesen. Aber durch Kaperfahrten, die vor Jahren noch legitim gewesen waren, war eine hübsche Zahl an Golddollars zusammengekommen. Über den noch anstehenden Restbetrag, dessen Mittel bereits vorhanden und an einem sicheren Ort verwahrt wurden, schwieg Walker lieber. McIntosh musste nicht alles wissen – erst recht nicht, dass es sich um Gelder handelte, die von einem Gewerbe stammten, dass ein wenig über das der Freibeuterei hinausgegangen war.

Walker ertappte sich beim Grübeln und bemerkte, dass die Unterhaltung ins Stocken gekommen war. Deshalb fragte er neugierig: „Wann wird es denn soweit sein? Wann können wir zur Jungfernfahrt in See stechen?“

Auch McIntosh, als Werftbesitzer und stolzer Konstrukteur, fieberte diesen Tag entgegen. „Jetzt wird es nicht mehr lange dauern. In ein paar Wochen können wir den Stapellauf durchziehen. Das Setzen der beiden Masten, sowie das komplette aufriggen dauert bei einem Schoner auch nicht allzu lange. Nun, ich denke bis zum Ende des übernächsten Monats werden wir soweit sein. Ich bin selber schon gespannt!“

„Und ich erst!“, entgegnete Walker.

Kapitel 1: Die Fremden

 

Schon seit zwei Wochen lag die Jaguar wie tatenlos im Hafen von Portland herum.

Der Laderaum des Toppsegelschoners war so gut wie leer und deshalb lag das Schiff auch nicht besonders tief im Wasser. Gegen den schnittigen Rumpf, der von Vor- und Achterleinen, wie die beiden Springs an die Kaimauer gefesselt war, plätscherten eiskalte Wellen. Sämtliche Stagsegel waren vollständig geborgen und die Gaffel- und Rahsegel waren ordentlich eingebunden. So konnte derzeit nur erahnt werden, was wirklich in diesem schönen Schiff steckte.

Jetzt, es war Anfang Januar im Jahre 1808, brach die Nacht schon früh herein, denn die Tage waren noch äußerst kurz. Schon warf der Leuchtturm seine Lichtkeule auf das graue Meer. Sein Strahl wies den Schiffen, die Portland anlaufen wollten, einen sicheren Weg und warnte vor der felsigen Landzunge, auf der dieses Bauwerk thronte. Neben seinem hellen Licht strahlte der Turm, der nicht nur der älteste des Staates Maine, sondern sogar der älteste der gesamten Ostküste war, Ruhe und Beständigkeit aus.

Diese Ruhe hatte Captain James Walker nicht und Beständigkeit konnte ihm eher schwer nachgesagt werden. Seine tiefblauen Augen strahlten Verwegenheit und eine gewisse Rastlosigkeit aus. Trotz seiner von Seeluft gegerbten Haut, wirkte er nicht verbraucht und mit seinen struppigen, langen Koteletten, wie seinem halblangen, blonden Haar hinterließ er sogar noch den Eindruck, ein jung gebliebener Abenteurer zu sein. Walkers verwitterte Kleidung war nicht gerade typisch für einen Seemann. Allerdings machte seine Kleidung für die Position eines Kapitäns keinen besonders gepflegten Eindruck.

Walker ging unruhig und grübelnd auf dem Deck seines Schiffes hin und her. Manchmal blieb er abrupt stehen, sah zur Stadt und machte sich Gedanken über seine Leute, die gerade Landgang hatten und das, was diese dort wohl treiben würden. Mit Sicherheit wieder saufen, prügeln und herumhuren. Aber so war das mit Seeleuten und Walker gönnte dem Teil seiner Crew, der nicht zur Hafenwache eingeteilt war, die für Seeleute so typischen Vergnügungen an Land.

Von einer unerklärlichen Unruhe getrieben, drehte Walker wieder eine weitere Runde an Deck. Dann blieb er abrupt stehen, um erneut auf das Meer zu blicken, welches nun fast übergangslos mit dem dunkelgrauen Himmel verschmolz. Seine Sinne wurden vom Horizont nahezu magnetisch angezogen. Eine unerfüllte Abenteuerlust, die beinahe schon zu einer Gier ausartete, erfasste ihn.

Es wurde Zeit bald wieder auszulaufen. Aber wohin? Und mit welcher Ladung?

Das Geschäft, welches Walker vor kurzem mit illegal von Jamaica eingeführtem Rum und nicht verzolltem Zucker gemacht hatte, war zwar gut, aber nicht unbedingt umwerfend gewesen. Derzeit standen im Laderaum des Schoners nur noch ein paar Kisten Tabak, die bisher weder verschoben, noch regulär verzollt oder verkauft waren. Die Ladekapazität der Jaguar war mit der eines ordentlichen Handelsseglers überhaupt nicht vergleichbar. Zwangsweise musste mit einträglicherer Ware gehandelt werden, selbst wenn die Zöllner wenig Verständnis dafür zeigen würden. Aber die Zöllner mussten nicht alles wissen. Sicherheitshalber hatte man die Schmuggelware auch nicht hier im Hafen, sondern zwanzig Seemeilen weiter im Süden an Land gebracht und von einem Verbindungsmann abholen lassen.

Aber wie sollte es nun weitergehen? Wieder Felle nach Europa transportieren, wie er es früher schon gemacht hatte? Der Toppsegelschoner war für schnelle Küstenfahrten geeignet, als für weite Atlantiküberquerungen. Und da wäre ein dickbäuchiger Frachtsegler mit großem Ladevolumen doch was anderes als sein Toppsegelschoner, der kein hohes Freibord verfügte und dessen Stärke in der Geschwindigkeit lag.

Da die Jaguar weit abseits von der Stadt lag, sozusagen in der hintersten Ecke des Hafens von Portland, war außer dem aufdringlichen Geschrei der Seemöwen und dem Plätschern der Wellen kaum etwas von der Umgebung zu hören. Walker war ganz in seinen Gedanken versunken, als er plötzlich von hinten angesprochen wurde.

„Ahoi, Captain!“

Zwei Fremde in langen Mänteln und weiten, abgetragenen Hüten standen auf der Kaimauer und blickten zu Walker hinab. Beide trugen kurzgestutzte Vollbärte und sahen kaum wie Städter, sondern eher wie Farmer oder wie vom Land stammendes Volk aus.

„Gestatten Sie uns, an Bord Ihres prächtigen Schoners zu kommen, Sir?“, fragte der ältere Mann, der um die vierzig Jahre alt sein musste und ein ledern wirkendes Gesicht hatte. „Wir würden Sie gerne sprechen.“

„Sie glauben, nur weil Sie meinen Namen kennen, hätte ich Sie gerne an Bord?“, konterte Walker ziemlich unfreundlich, denn Fremden gegenüber war er eher misstrauisch. Der Akzent des Mannes kam ihm aber zugleich irgendwie vertraut vor.

„Vielleicht kommen wir nicht so ungelegen, wie Sie derzeit glauben, Sir! Ich kann mir gut vorstellen, dass es sich für Sie und auch für Ihre Crew lohnen könnte. Opfern Sie uns nur ein bisschen Ihrer Zeit.“

Walkers Stimmung änderte sich schlagartig. Sein Instinkt erahnte, dass sich ein lohnendes Geschäft ergeben könnte. Zöllner waren diese Fremden mit Sicherheit nicht, sinnierte Walker. Dass es sich um solche handeln könnte, war ihm nur in den ersten Sekunden durch den Kopf geschossen.

„Nun gut. Kommen Sie an Bord!“, forderte Walker die beiden auf.

Geschickt stiegen die zwei Männer von der Kaimauer auf das Schanzkleid des sich im Wasser wiegenden Schiffes und sprangen dann mit einem geübten Satz aufs Deck. Die routinierten Abläufe waren Walker nicht entgangen.

Also doch keine Landratten, dachte er sich.

„Mein Name ist Robert Albright, Capt'n! Und mein Partner heißt Sven Ohlsted.“ Dabei gab er Walker mit einem kräftigen Druck seine Pranke.

„Tag Capt'n!“, meinte der große Blonde, der beinahe einsneunzig groß war.

„Tag! Folgen Sie mir in meine Kajüte! Viel Platz ist dort aber nicht.“

Die Fremden folgten Walker den steilen Niedergang hinab und bemerkten sogleich, dass dieser nicht übertrieben hatte. Tatsächlich gab es gerade mal vier kommode Sitzgelegenheiten an einem kleinen Tisch, eine enge Koje, diverse Regale, sowie ein Möbelstück mit vielen Türen, Klappen und Schubladen. In diesem vielseitigen Schrank waren nämlich Waschtisch und Toilette auf raffinierte Weise versteckt worden. Alles Mobiliar war aus massivem Teak gefertigt, wirkte durchaus zweckmäßig und zeigte kaum Spuren von Abnutzung. Außerdem dominierte der Geruch von Holz den Raum, der auf Schiffen nicht üblich war. Oft roch es nach moderigen Gestank. Unverhohlen bewunderten die Besucher das Bild an der Wand, welches eine Korvette in rauschender Fahrt zeigte.

„Setzen Sie sich, bitte“, meinte Walker und holte eine Flasche Rum und drei Gläser von einem der Regale.

„Sie haben wirklich ein tolles Schiff, Capt'n! Es scheint auch ziemlich neu zu sein“, lobte Albright.

„Ja das ist es auch. Meine Jaguar hatte erst vor wenigen Monaten seine Jungfernfahrt gemacht“, erklärte Walker mit unverkennbarem Stolz.

„Und wie macht sie sich?“ Diese Frage kam von Ohlsted, bei dem plötzlich Interesse aufkam. Zuvor hatte dieser noch ziemlich teilnahmslos gewirkt.

Mit einigem Enthusiasmus erzählte Walker den beiden Fremden von der ersten Fahrt der Jaguar, schwärmte von ihrer Rasanz, der vorzüglichen Wendigkeit und, dass dieses Schiff seine ursprünglichen Erwartungen tatsächlich übertroffen hatte. Gespannt und mit zuversichtlichen Minen lauschten die beiden Gäste der Lobrede.

Walker hatte in seiner Euphorie noch gar nicht nach dem Sinn und Zweck des Besuchs gefragt.

Nun wollte Albright, der bisher nur wenige Zwischenfragen gestellt hatte, zur Sache kommen. „Ihr Schiff wäre genau das, was wir brauchen, Capt'n. Und nach allem was wir von Ihnen wissen, wären Sie und Ihre Mannschaft genau die Richtigen für unsere Sache.“

„Was wissen Sie denn schon von mir und von welcher Sache sprechen Sie eigentlich?“ Walker klang plötzlich gereizt.

„Können wir Deutsch sprechen? Wände, besonders hölzerne, haben bekanntlich Ohren. Sie sprechen doch auch Deutsch, Capt'n, nicht wahr?“

Walker wechselte ins Deutsche, welches er als Kind erlernt und noch nicht ganz vergessen hatte, obwohl es ihm zäh von den Lippen kam und von starkem englischen Akzent geprägt war. „Ja, Deutsch ist mir noch ein wenig geläufig. Mein Vater war Deutscher, kam aber aus dem Süden, und der hat mir seine Muttersprache beigebracht. Geboren wurde ich aber in der Neuen Welt, nämlich in Boston. Vermutlich wissen Sie das aber schon, oder?“

Die beiden Männer schüttelten die Köpfe.

Diese Geste beruhigte Walker aber kaum. Mit einem erbosten Ton in der Stimme ließ er nicht locker und fuhr fort: „Sie wissen mehr über mich, als ich über Sie. Das gefällt mir nicht. Wer zum Teufel seid ihr? Eurem Akzent nach seid ihr keine Deutschen, stimmt's?“

„Genaugenommen sind wir Dänen‘‘, erklärte Albright. „Eigentlich bin ich Dithmarscher und mein Name ist Robert Albrecht und nicht Albright. Und mein wortkarger Genosse heißt Sven Ohlsted. Er ist tatsächlich ein Däne und kommt von der Insel Föhr. Aber da das Herzogtum Holstein und damit auch Dithmarschen dem Königreich Dänemark angehören, könnte man uns als Dänen bezeichnen. Aber das ist Ansichtssache.“

Walker war ein wenig verwirrt. Die komplizierten Verhältnisse im kriegerischen Europa, wo sich die Grenzen manchmal über Nacht verschoben, waren ihm nicht vertraut.

„Captain Walker, ich muss mich dafür entschuldigen, dass ich und mein Gefährte so frei waren und während der letzten zwei Wochen herumgeschnüffelt haben, aber das war eine reine Vorsichtsmaßnahme. Wir möchten Ihnen ein Geschäft vorschlagen, welches nicht unbedingt jedermanns Sache ist‘‘, berichtete Albrecht.

Walker fühlte sich irgendwie angegriffen und fragte im scharfen Ton: „Aber eine Sache für mich und mein Schiff? Woher seid Ihr euch da so sicher?“

Albright räusperte sich. „Ihr Schiff ist uns ins Auge gefallen. Sven ist auf dem Gebiet ein Experte und da stellte sich dann zwangsläufig die Frage, für welche Zwecke dieser schnelle Schoner eingesetzt wird. Trotz der spärlichen Bewaffnung sieht die Jaguar kaum wie ein gewöhnlicher Küstenfrachtsegler aus. Außerdem gehen Gerüchte einher, dass Sie mit ihrer übermäßig üppigen Mannschaftsstärke weniger gediegenen Geschäften nachgehen.“

Walker lehnte sich vor. „Was wird denn so gemunkelt?“

„Na ja.“ Albrecht zögerte ein wenig. „Man spricht hinter vorgehaltener Hand von Schmuggel. Aber auch zum Kapern oder eventuell sogar für den Sklavenhandel wäre Ihr Schiff gut geeignet. Ich tippe auf Schmuggel, obwohl es dafür keinerlei Beweise gibt.“

„Und nun wollen Sie mir ein Geschäft vorschlagen, das in diese Richtung geht? Da müssten Sie mich schon überzeugen!“

Nun öffnete auch Ohlsted, der sich die meiste Zeit im Hintergrund gehalten hatte, seinen Mund. „Herr Albrecht hat schon eine Anspielung auf die spärliche Bewaffnung Ihres Schoners gemacht. Darf ich meine Vermutung aussprechen?“

Walker war gespannt. „Schießen Sie los!“

„Ihr Schoner ist so gut wie neu. Deck und Spanten sind massiv genug, um weitere Kanonen zu tragen. Ich weiß nicht, ob Ihnen daran liegt, Capt'n, aber bei unseren Aktionen könnten durchaus Gewinne entstehen, die es Ihnen ermöglichen würden, dieses Schiff weiter auszurüsten. Nun was halten Sie davon? Können Sie solche Argumente überzeugen?“

Das klang ziemlich vage, hörte sich für Walker aber irgendwie verlockend an. In der Tat hatten die paar Kanonen einen defensiven Charakter. Derzeit standen gerade mal acht 12-Pfünder auf dem verstärkten Oberdeck. Im Gegensatz zu seinem vorherigem Schiff, der Korvette Cougar, besaß ein Schoner dieser Größe kein eigenes Batteriedeck.

Walker griff nach seinem Glas, welches er in der Zwischenzeit wieder mit Rum gefüllt hatte. Der Besuch auf seinem Schiff brachte wirklich interessante Aspekte in den biederen Tagesablauf, der sich momentan auf der Jaguar bot.

„Sprechen Sie weiter‘‘, befahl Walker. „Was erwarten Sie von mir?“

Jetzt nahm Albrecht wieder das Wort auf. „Erstens sollten Sie ein wenig Material, also Ware nach Tönning transportieren. Das ist eine dänische Stadt. Sie liegt an der Eider, welche dort in die Nordsee mündet. Zweitens könnten Sie sich an unserer Sache beteiligen, aber nur wenn Ihnen das gelegen käme.“

„Sie machen mich neugierig,‘‘ gestand Walker. „Aber bevor wir weiterreden, würde ich gerne wissen wollen, warum Sie das Material nicht auf dem Schiff in ihre Heimat transportieren, auf dem Sie in diesen Hafen gesegelt sind?“

„Nun, dieses Schiff ist leider schon seit einigen Wochen überfällig. Nachdem wir in Philadelphia von Bord gegangen waren, um unseren Geschäften an Land nachzugehen, ist jenes Schiff fortgesegelt. Der Kapitän wollte seine Zeit nicht im Hafen vertrödeln, sondern mit seiner Fracht weiter nach New York segeln. Unser vereinbarter Treffpunkt wäre nun in Portland gewesen. Und hier warten wir nun schon seit Wochen vergebens auf unser Transportmittel. Deshalb haben wir uns verzweifelt nach einem neuen Schiff umgeschaut, welches uns und unsere Fracht wieder zurück in unsere Heimat bringt.“

Walker nickte verständnisvoll. „Verstehe. Nun gut, wo waren wir vorher stehengeblieben? Ja, um welche Art von Fracht handelt es sich eigentlich?“

„Entschuldigen Sie mich, Captain. Noch ist es zu früh, auf dieses brisante Thema einzugehen.“

Walker stutzte. Seine Neugierde war trotzdem erweckt worden. „Wie Sie meinen, meine Herren! Aber Sie sprachen vorher von irgendeiner Sache. Um was geht es da genau? Ich glaube kaum, dass es dabei auch um eine interessante Sache für mich geht, nur weil wir uns zufällig in der gleichen Sprache verständigen können. Vor allem möchte ich meine Besatzung auf meiner Seite wissen. Meine Crew hat diesbezüglich ein Wörtchen mitzureden.“

„Aber Sie sind doch der Kapitän dieses Schiffes, Mister Walker.“ Albrecht wunderte sich. „Sie können doch alleine bestimmen wohin Ihr Kurs geht. Gelten bei Ihnen an Bord denn Artikel, die besagen, dass die Besatzung mitbestimmen muss, so wie es bei den Piraten üblich ist?“

„Meine Herren, Sie haben doch selber schon festgestellt, dass die Jaguar weder ein Kriegsschiff, noch ein reguläres Handelsschiff ist. Tatsächlich gelten hier an Bord bestimmte Statuten. Außerdem habe ich vom Krieg, falls Ihre Angelegenheiten in irgendeiner Weise damit zu tun haben sollten, eine Weile genug‘‘, gestand Walker.

Albrecht nickte und schaute Walker verständnisvoll an. „Verstehe. Es ist auch nicht Ihr Krieg.“

„So ist es“, beteuerte Walker. „Dann ist meine Vermutung richtig. Es geht also um kriegerische Handlungen, nicht wahr?“

Diese Frage wurde von Abrecht weder bestätigt noch dementiert, stattdessen fuhr er ungezwungen fort: „Ich kann mir trotzdem gut vorstellen, dass Ihre Leute nichts dagegen hätten, wenn auch für sie etwas dabei herausspringen würde.“

Wie kommen diese Leute gerade auf mich? Wie viel wissen diese verdammten Fremden von mir, fragte sich Walker.

Walker fauchte wie ein Jaguar. „Verdammt noch mal, kommen Sie endlich zur Sache!“

Albrecht nutzte den geschickten Griff nach seinem Glas, um den Kapitän des Schoners unauffällig zu mustern. Dann fuhr er fort: „Ich weiß nicht, wie viel Sie über die derzeitige Situation an den Küsten der Nordsee wissen. Es handelt sich um die Kontinentalsperre, die dieser Napoleon Bonaparte über das europäische Festland erlassen hat. Diese Sperre richtet sich prinzipiell gegen die Engländer und soll ihren Handel mit dem Festland unterbinden. Das heißt, dass die Engländer weder Waren aufs Festland ausführen, noch – und das ist für Sie viel einschneidender – von Waren von Europa auf ihre Insel importieren können. Die britischen Inseln sollten ausgehungert werden. Aber was erzähle ich Ihnen? Sie wissen was Krieg bedeutet.“

Walker nickte bestätigend. „Die Kontinentalsperre wird anscheinend als Gegenmaßnahme der britischen Seeblockade gedacht sein. Sehe ich das richtig?“

„So ist es, Capt'n Walker!“, bestätigte Albrecht. „Nun haben die Engländer, seit ihrem Sieg bei Trafalgar, ihre Macht auf See mehr und mehr ausgebaut. Fast überall, wo es ihnen gefällt, können die Briten ihre Flagge sehen lassen. Sei es in der Karibik, also Westindien, wie in Ostindien, in Batavia, rund um den afrikanischen Kap oder sonst wo. Im Mittelmeer haben die Franzosen den Engländern gewisse Vorteile, aber da die Engländer mit Gibraltar eine strategisch wertvolle und schwer einzunehmende Festung besitzen, mit der sie den Zugang zum Mittelmeer kontrollieren können, haben diese auch dort ein Wörtchen mitzureden. Um es kurz zu machen: Die Briten haben die Seeherrschaft und blockieren die französischen Häfen und verhindern damit, dass Napoleon seine Macht, über das europäische Festland hinaus, weiter ausbauen kann. Für Bonaparte war dies natürlich Grund genug, um mit der Kontinentalsperre zu kontern.“

„Ich verstehe.‘‘ Walker legte die Stirn in Falten. „Eins ist mir bis jetzt immer noch nicht ganz klar: Auf welcher Seite steht ihr eigentlich?“

Ohlsted wandte sich beinahe verlegen ab. Er überließ das Sprechen offensichtlich lieber seinem älteren Genossen.

Aber auch Albrecht zögerte kurz. Dann erst mühte sich dieser ab, die politisch etwas komplizierte Lage zu erklären: „Wir beide, aber auch sehr viele unserer Sinnesgenossen, wären liebend gerne frei und unabhängig. Auf gar keinen Fall wollen wir Schergen dieses Napoleon Bonaparte sein. Ich persönlich fühle mich nicht als Däne, sondern, ich habe es ja schon erwähnt, als Dithmarscher, obwohl unser Land zum Königreich Dänemark, was bis vor wenigen Monaten noch unabhängig war, gehört.“

„Und jetzt? Was ist aus der Unabhängigkeit von Dänemark geworden?“, fragte Walker interessiert.

„Nun, es passierte im Oktober. Also wenige Wochen bevor wir in See gestochen sind. Jedenfalls hatte eine britische Flotte Kopenhagen beschossen und beinahe die halbe Stadt in Schutt und Asche gelegt …“

„… und darüber hinaus auch noch die dänische Kriegsflotte außer Gefecht gesetzt …“, ergänzte Ohlsted.

„… da hat sich Dänemark gleich darauf, nämlich am 31. Oktober 1807, mit den Franzosen verbündet. Eigentlich wäre Dänemark lieber unabhängig geblieben, aber aus Wut oder Trotz gegen die Engländer sind die Dänen das Bündnis mit Frankreich eingegangen. Jedenfalls behindern die Engländer mit ihrer Blockade uns, aber auch jedes andere Land, das mit den Franzmännern kooperiert. Aber auf inoffiziellen Wege gibt es durchaus wieder Handel mit ihnen.“

„Aber eigentlich müssten die Engländer doch Ihre Feinde sein?“, warf Walker misstrauisch ein.

„Gewiss!“, bestätigte Ohlsted. „Jeder, der uns verbietet die Meere zu befahren und uns in der Bewegungsfreiheit einschränkt, ist unser Feind. Aber, wenn uns eine Möglichkeit gegeben wird, dann nutzen wir sie auch! Besonders zwischen Tönning und der Insel Helgoland, welche uns Dänen von den Briten in diesem Jahr weggenommen wurde, wird immer mehr geschmuggelt. Und da machen wir und unsere Freunde zugegebenermaßen eifrig mit.“

Walker grinste von einem Ohr zum andern: „Aha! Ihr zwei Halunken seid also nichts anderes als gemeine Schmuggler! So etwas dachte ich mir fast! Zum Teufel mit euch, ihr …“

Den beiden Besuchern fielen fast die Kinnladen runter. War nun das ganze Vorhaben geplatzt?

Aber nachdem Walker den Anblick der immer bleicher werdenden Gesichter ausgekostet hatte, schenkte er hämisch grinsend die Gläser der Dänen nach und hob sein eignes Glas. „Darauf trinken wir! Langsam finde ich Gefallen an eurer Geschichte. Cheers!“

Nun konnten sich auch die verblüfften Männer das Grinsen nicht verkneifen. Die Gerüchte über den Kapitän Walker konnten also gar nicht so falsch gewesen sein. Schelmisch lächelnd erhoben sie ihre Gläser. „Cheers, Capt'n Walker!“

Dann hob Ohlsted sein Wort. „Wir wollen uns in unserer Freiheit nicht einschränken lassen, weder durch die Franzosen, noch durch die Briten. Wir wollen die Meere befahren können, wann immer wir uns danach sehnen!“

Walker wurde stutzig. Nachdem er sein Glas gelehrt hatte, fragte er Ohlsted: „Sie hören sich an wie ein Freiheitskämpfer. Kann es sein, dass Sie neben dem Schmuggeln noch anderen Aktivitäten nachgehen?“

Als Walker beobachtete, dass Ohlsted zögerte, hakte er nach. „Wenn Sie mit mir ins Geschäft kommen wollen, dann bestehe ich auf klare Verhältnisse. Also?“

„Nun gut, Captain Walker. Wir beide gehören einer geheimen Bruderschaft an. Wie Sie ganz richtig erraten haben, schmuggeln wir nicht nur, sondern wir kooperieren mit allen, die sich in ihrer Freiheit eingeschränkt fühlen. Mit jenen, denen der tägliche Broterwerb schwer gemacht oder ganz genommen wird …“

„… und unterstützen auch im Untergrund arbeitende Widerstandskämpfer, die eine hanseatische Legion gründen wollen“, fügte Albrecht hinzu. „Ich kann nicht voraussetzen, dass sie die vielschichtigen Auswirkungen auf die an den Küsten der Nordsee lebenden Menschen verstehen können. Ich will Sie nicht damit behelligen, aber darf ich Ihnen nur ein paar Beispiele nennen?“

„Nur zu, ich habe Zeit.“

Nun griff auch Abrecht wieder zu seinem Glas. Wie sollte er einem Amerikaner, selbst wenn dieser deutscher Abstammung war, die Verhältnisse an der Nordseeküste klarmachen? Viel Interesse war sicher nicht von Walker zu erwarten.

Zögernd begann er, dem Kapitän mit dem ominösen Ruf, die Situation klarzumachen. „Da sind zunächst die ganzen Bewohner der ostfriesischen und nordfriesischen Inseln. Vom Festland sind sie abgeschnitten und auf See können sie sich nicht frei bewegen. Der reguläre Handel auf dem Seeweg kam zum Erliegen. Außerdem leben dort viele Menschen zu großen Teilen vom Walfang. Auch damit ist es vorüber. Selbst das Fischen wird ihnen schwer gemacht.“

„Und das Schmuggeln“, meinte Ohlsted unbekümmert, fügte aber gleich hinzu: „Der Schmuggel blüht seitdem natürlich auf. Wenn einem jedwedes Recht auf legitime Einkünfte genommen wird, dann bleiben doch nur noch illegale Geschäfte, nicht wahr?“

Walker verstand.

Aber schon fuhr der dominierende Albrecht unverhohlen fort: „Vom angeschwemmten Strandgut aufgelaufener Schiffe können diese Leute natürlich auch nicht leben und von der Landwirtschaft erst recht nicht. Hab' ich recht?“ Albrecht ließ seinen Blick zu Ohlsted schweifen, der eifrig nickte.

„Darf ich noch ein wenig ausholen, Capt'n?“, wollte Albrecht wissen.

„Nur zu.“

„Sehen Sie, seit der Kontinentalsperre leidet Altona, eine ehemals aufblühende Stadt, wegen dem zum Erliegen gekommenen Handel. Dagegen kann sich die freie Hansestadt Hamburg wenigstens noch mit dem Austausch von Waren mit den Engländern über Wasser halten. Das läuft allerdings hauptsächlich über Helgoland. Auch die Insel Norderney, welche von Jahr zu Jahr mehr Einnahmen, durch vom Festland kommende und nach Seeluft gierende Badegäste, erzielt hatte, leidet nun unter der französischen Besetzung. Was bleibt da? Selbst zum Fischen müssen wir uns in Küstennähe halten. Kleine französische Kriegsschiffe wie Kutter oder Lugger patrouillieren regelmäßig in Küstennähe. Also bleibt uns bei Nacht und Nebel nur noch der Schmuggel. Und das mit all seinen Risiken.“ Dann legte Albrecht eine kurze Pause ein und versuchte Walkers Gesicht zu entschlüsseln.

Ohlsted, der sich die meiste Zeit im Hintergrund gehalten hatte, nutzte die Gelegenheit beim Schopf und ergänzte die Situation aus seiner Perspektive. „Viele unserer Landsleute betrachten jetzt die Franzosen als Verbündete und so wollen sie es gar nicht wahrhaben, dass unser Land von einer fremden Macht kontrolliert wird. Das gilt für die Dänen wie für die Dithmarscher, die Holsteiner und für die Ostfriesen. Die gehören ja dem Königreich der Niederlande an und somit sind sie genauso Vasallen dieses Bonaparte. Aber irgendwann werden auch diese Menschen begreifen, dass sie in einem besetzten Land leben und ihre verräterische Kooperationsbereitschaft bereuen.‘‘

Langsam konnte sich Walker ein Bild von der Situation in der Alten Welt machen.

„Beim Henker, wirklich interessant!“, gab Walker mit deutlichem Kopfnicken zu. Dann aber wurde er nachdenklich und sagte: „Über ein einträgliches Geschäft mit gut bezahlter Ladung könnte ich mir vielleicht schon so meine Gedanken machen. Aber in eure freiheitskämpferischen Tätigkeiten möchte ich mich nicht einmischen. Wie gesagt, nach kriegerischen Aktivitäten steht es mir nicht. Außerdem, wie kommen Sie beide ausgerechnet auf mein Schiff, meine Herren?“

Ohlsted nahm nochmals einen kräftigen Schluck Rum zu sich, dann meinte er eindringlich: „Ihre Jaguar würde von der Ladekapazität für unsere Zwecke allemal ausreichen. Und in Bezug auf ihre Schnelligkeit wäre sie eben der Blockadebrecher schlechthin! Damit segeln Sie jedem englischen und französischen Schiff auf und davon. Den Engländern könnte man auf hoher See entgehen und den Franzmännern an der Küste.“

„Da bin ich mit Ihnen einer Meinung, meine Herren. Allerdings dachte ich, dass Sie mit den Engländern eifrigen Handel betreiben. Trotzdem habe ich das Gefühl, dass Sie sie meiden wollen“, ergänzte der Kapitän.

„So ist es, Capt'n!“, bestätigte Albrecht. „Regulär müssen auch wir auf See jede Kontrolle durch englische Schiffe vermeiden. Mit Helgoland, ich glaube, dass wir das schon angesprochen haben, ist das nochmal etwas anderes. Jetzt eröffnet es für uns völlig neue Perspektiven, welche wir künftig eifrig nutzen wollen. Den Briten dient Helgoland als Stützpunkt gegen den Handelskrieg. Über diese Felseninsel wird nicht nur eine Menge an Ware verschoben, sondern auch …“

„Sondern?“, fragte Walker, der plötzlich wieder neugierig geworden war.

„Sie dient auch als Zentrale für den britischen Geheimdienst‘‘, flüsterte Albrecht fast. „Von dort werden regelmäßig Spione nach Hamburg geschleust und wieder zurückgeholt.“

Ohlsted ergänzte noch unverfroren: „Zu einigen britischen Geheimagenten, auf Helgoland gibt es sogar einen recht einflussreichen Agenten, haben wir übrigens gute Beziehungen, die manchmal äußert zweckdienlich sein können.“

„Donnerwetter!“, meinte Walker, der von den obskuren Verhältnissen in der alten Welt wirklich beeindruckt war. „Und Sie glauben, dass es sich für mein Schiff wirklich lohnen könnte, Ware dorthin zu transportieren?“

„Mit Sicherheit!“ Albrecht blickte Walker fest an. „Meines Wissens sind Sie kein Mann der das Risiko scheut. Sprechen Sie mit Ihrer Crew. Es wird sich lohnen. Vielleicht könnten Sie sich sogar für eine Weile an ein paar weiteren Schmuggelfahrten vor unseren Küsten beteiligen.“

„Die Zeit ist ideal“, bemerkte Ohlsted. „Jetzt fangen die dunstigen, nebeligen Monate und die Winterstürme an. Und Dank der Engländer hat die französische Marine auf der Nordsee sowieso nicht viel zu melden. Zumindest sind dort keine großen Einheiten. So haben wir es nur mit kleineren Schiffen zu tun, die sich sowieso in den Schutz der Küste oder in die Häfen zurückziehen, wenn wirklich einmal englische Zwei- oder Dreidecker auftauchen. Und solch einem englischen Dickschiff davonzusegeln, sollte für Ihren Schoner kein großes Problem darstellen.“

Walker wurde nachdenklich. „Das muss ich mir noch gut überlegen, meine Herren. Und wie gesagt, meine Crew hat da auch noch ein Wörtchen mitzureden. Außerdem haben Sie mir bis jetzt immer noch nicht anvertraut, um welche Art von Ware es sich handelt. Was für Zeugs soll ich denn nach Europa transportieren, oder soll ich schmuggeln sagen?“

Albrecht runzelte die Stirn. „Baumwolle, Melasse, ähm, und …“

„Und was noch? Waffen vielleicht?“

„So ist es Capt'n! Die besten Waffen die man in Stückzahl auftreiben konnte. Von Jacob Hawken modifizierte Fergusons und eine gute Anzahl Harper Ferry-Büchsen vom Modell 1803, Kaliber 54. Alle mit gezogenen Läufen und allen Witterungen gewachsen. Mit einer Hawken-Büchse hatten wir sogar auf dreihundert Metern recht gute Trefferleistungen erzielt. Das entspricht der dreifachen Distanz von gewöhnlichen Musketen.“

„Gibt es denn in Ihrer Heimat keine Schusswaffen?“, fragte Walker interessiert.

„Kaum! Die französische Armee konfisziert alles, was sie in die Finger bekommt. All unsere Häuser sind durchsucht worden. Bedauerlicherweise hatten wir nicht alles rechtzeitig verstecken können.“

„Verstehe‘‘, gab Walker von sich. „Trotzdem muss ich mir erst noch alles durch den Kopf gehen lassen und mich mit meinen Offizieren, aber auch mit dem Rest der Mannschaft besprechen.“

„Selbstverständlich, Capt'n! Reichen Ihnen sieben Tage?“

Walker nickte.

Der sichtlich erleichterte Albrecht ergänzte noch: „Falls Sie zustimmen, müssen wir Ihr Schiff für die Überfahrt und den inzwischen eingesetzten Winter ausrüsten. Auch daran werden wir uns beteiligen. Dann dürfen wir uns jetzt von Ihnen verabschieden, Capt'n Walker. Es war uns eine Freude.“

Die beiden erhoben sich von ihren Stühlen.

Der lange Ohlsted musste sich dabei bücken, denn sonst hätte er sich seinen Schädel am Decksbalken angeschlagen. „Bis bald, Capt'n!“, meinte er noch zum Schluss.

„Ich bringe euch noch an Deck“, murmelte Walker und geleitete seine Besucher hinaus in die Nacht. Kurz darauf waren die beiden Fremden in der Dunkelheit verschwunden – fast so plötzlich wie sie aufgetaucht waren.

Nachdenklich ging Walker wieder in seine Kajüte zurück. Obwohl er schon zuvor in Gesellschaft der beiden Besucher einigen Rum geschluckt hatte, griff er erneut zur Flasche. Er war sich nicht sicher, ob es richtig war, sich auf die beiden Fremden einzulassen. Vielleicht würde man in einen Krieg verwickelt werden, mit dem man absolut nichts zu tun hatte. Gab es denn keine vernünftigeren Alternativen?

Trotz aller Bedenken ließen ihn solch dubiose Geschäfte einfach nicht los. Insgeheim hatte er eine Weile auf ein einträgliches Geschäft gehofft. Aber nun, wo es so aussah, als ob es diese Gelegenheit gekommen wäre, da plagte ihn wieder sein Gewissen.

Warum zum Teufel sollte er sich erneut auf solch unseriöse Sachen einlassen, dachte sich Walker und zupfte nervös an seinem Bart. Warum nicht ordentlichen Handel treiben, so wie es andere Kapitäne taten?

Aber irgendwie fühlte er, dass er nicht dafür geschaffen war. Zu Kriegszeiten war alles viel einfacher gewesen. Da wusste Walker, dass er auf den Planken eines Kriegsschiffes oder als Kommandant eines Kaperschiffes richtig war. Da war er der richtige Mann am richtigen Ort gewesen. Aber jetzt?

Warum hatte er vor Jahren solch einen schnittigen Toppsegelschoner in Auftrag gegeben anstelle eines pummeligen Frachtseglers? Nach allem, was im Jahr zuvor geschehen war, hatte er sich ernsthaft vorgenommen ein neues Leben anzufangen. Aber schon in den wenigen Monaten, die er ohne Schiff an Land verbracht hatte, war ihm klar geworden, dass es ihm schwer fiel, seinen guten Vorsatz wirklich einzuhalten.

Jetzt nebelte Walker seine Gedanken mit weiteren kräftigen Schlucken ein und legte sich in voller Montur in seine Koje. Das laute Trappeln an Deck, welches die Rückkehr einiger Besatzungsmitglieder ankündigte, nahm er gerade noch wahr, aber schon Minuten darauf verfiel Walker in den Schlaf des Gerechten.

 

Ein eisiger Graupelschauer zog über Portland hinweg. Wohin man auch blickte, war es grau und die feuchtigkeitsgeschwängerte Luft war kalt und unangenehm. Selbst die Möwen hatten sich bei diesem Wetter verzogen. Außer dem regelmäßigen Plätschern der Wellen und einem gelegentlichen Knarren im Rigg und an den Leinen lag eine bedrückende Stille über dem Hafen. Und dort lag die Jaguar immer noch vertäut am menschenleeren Kai.

Unterm Deck des Toppsegelschoners war es kaum wärmer. Jedoch war dort die anwesende Besatzung wenigstens vor dem kalten Wind und der unangenehmen Feuchtigkeit weitestgehend geschützt.

Captain Walker und sein altgedienter Schiffsarzt Kevin McArthur saßen in der Kapitänskajüte beisammen und würfelten. Zwar war das Spielen um Geld an Bord strikt verboten – auch Walker selbst hielt sich eisern daran – aber das änderte nichts an der Tatsache, dass das Würfeln bei Seeleuten eine überaus beliebte Sache war.

Der aus Schottland ausgewanderte McArthur war für Walker nicht nur ein geschätzter Schiffsarzt und Würfelgegner, sondern darüber hinaus auch noch einer der Wenigen, die sein Vertrauen genossen. So saßen die beiden Männer bei einem angenehm wärmenden Gläschen Hochprozentigem beisammen und ließen die Würfel rollen.

McArthur schielte über seine runde Nickelbrille hinaus und runzelte die Stirn. „James, du spielst heute miserabel. Außerdem scheinst du nicht ganz bei der Sache zu sein. Willst du nicht lieber aufhören oder willst du mir sagen, was dir durch den Kopf geht?“

Walker sah seinen schmächtigen Schiffsarzt an, der ihn scheinbar besser kannte, als er sich eingestehen mochte.

„Kevin, du altes Schlitzohr, du hast mich schon wieder durchschaut! Vielleicht sollte ich diese verdammten Würfel lieber zur Seite stellen.“

McArthur grinste verschlagen. „Also, welcher Schuh drückt dir? Raus mit der Sprache!“

Walker stieß mit McArthur sein Glas an und leerte es in einem Zug. Dann begann er von dem dubiosen Angebot der beiden Fremden zu erzählen. McArthur hörte aufmerksam zu und wusste auch schon bald, dass sich sein Captain immer noch nicht zu einer Entscheidung hatte durchringen können.

„Und jetzt hast du die Crew immer noch nicht in diese Sache, die wirklich überdacht werden sollte, mit einbezogen, James? Und das, obwohl du nur noch vier Tage Zeit hast? Auf die Schnelle kann ich dir auch keinen vernünftigen Rat geben. Aber wie auch immer, auf mich kannst du zählen, du alter Haudegen!“

Das war schon mal ein guter Anfang, dachte Walker.

Er griff nach den verstreut liegenden Würfeln, um sie beiseite zu legen. Dann klopfte es an der Tür.

„Captain, Sie haben Besuch!“ Das war John Harrison, Walkers junger Kajütsteward.

„Komm rein!“, erwiderte Walker. „Was gibt's denn zum Teufel?“

„Eine vornehme Lady ist da mit einer Kutsche vorgefahren, Sir! Die möchte Sie unbedingt sprechen!“

„Ah, soso!“, bemerkte McArthur respektlos. Vermutlich hat sich der Captain eine hübsche Dirn angelacht. „Dann verzieh ich mich lieber.“

Walker hatte mit allem gerechnet, nur nicht mit Damenbesuch. Er kämmte noch schnell sein struppiges Haar zurecht, dann stieg er den Niedergang zum Deck hinauf. Dort stand eine Kutsche mit geschlossenem Verdeck. Hastig stieg er die Leiter an der Kaimauer hinauf, um nach der Person zu sehen, die in dem Gefährt auf ihn wartete. Als Walker das hübsche Gesicht unter dem eleganten Hut erkannte, war er zunächst ein wenig verblüfft. Es war die Geliebte von George Ripley. Der war auf seiner Korvette Cougar sein Erster Offizier gewesen.

„Guten Tag Missis Fosset? Was für eine Überraschung Sie hier in Portland zu treffen. Wir haben uns schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.“ Walker reichte der Dame seine Hand.

„Guten Tag Captain Walker. Ich wusste, dass Sie nach Portland segeln wollten. Jetzt freut es mich ungemein, dass ich Sie wirklich antreffe!“

„Tatsächlich werde ich mit meinem Schiff nicht mehr lange hier bleiben. Sind Sie denn auf Geschäftsreise in Portland?“, fragte er.

„Oh nein, Mister Walker. Ich muss Sie dringend sprechen. Sie werden mir wohl auch nicht helfen können, aber ich wusste niemanden anderen, an den ich mich sonst hätte wenden können“, gestand sie.

Walker bemerkte die Verzweiflung in ihrem Gesicht. „Um was geht es denn?“

„Um George.“ Flüsternd, so dass es der Kutscher nicht hören konnte, fügte sie noch hinzu: „Man will ihn in England aufhängen.“

Jetzt machte sich auch Walker ernste Sorgen um seinen ehemaligen Ersten, zu dem an Bord der Cougar freundschaftliche Beziehungen gewachsen waren.

„Kommen Sie doch an Bord meines Schiffes, Ma'am! Allerdings ist es in meiner Kajüte kaum wärmer als hier draußen und es wird auch etwas beschwerlich sein, mit Ihrem Kleid die Leiter dort hinunter zu klettern.“ Walker war es etwas peinlich, solch einer gepflegten Dame den mäßigen Komfort eines engen Schoners anbieten zu müssen.

„Darauf kommt es jetzt wirklich nicht an, Mister Walker. Ich habe schließlich die Mühe einer Postkutschenfahrt von Boston nach Portland auf mich genommen. Außerdem habe ich hier eine gute Unterkunft gefunden und dort ist auch mein Gepäck. Machen Sie sich also wegen mir nicht allzu viele Sorgen. Aber was George betrifft, dass macht mir wirklich schrecklichen Kummer!“

„Dann darf ich Sie zu mir an Bord bitten, Missis Fosset!“

Walker half der Dame beim Aussteigen. Trotz ihrer warmen Reisebekleidung wirkte sie überaus elegant. Als sie die senkrechte Leiter der Kaimauer hinabkletterte, erregte sie auch gleich bei den paar Matrosen, die im Augenblick auf dem Oberdeck der Jaguar herumlungerten, Aufmerksamkeit.

Zum Glück hatte Harrison vorausschauend Walkers Kajüte in Eile ordentlich aufgeräumt.

Dann fragte Harrison: „Soll ich für unseren Gast beim Smut heißen Tee oder Kaffee besorgen, Captain?“

„Na, was halten Sie von diesem Angebot, Missis Fosset?“, fragte Walker und warf einen Blick auf die schöne Dame.

„Gegen heißen Tee hätte ich nichts einzuwenden!“

Walker nahm seinem Gast Hut und Mantel ab und bot der Dame einen Stuhl in seiner engen Kajüte an. Er spürte, dass die Frau vor Sorgen aus allen Nähten platzte, und so fragte er unverzüglich: „Und nun erzählen Sie mir genau was passiert ist, Ma'am!“

Jane Fosset blickte den Kapitän, den sie zuvor erst zweimal getroffen hatte, eindringlich an, dann begann sie zu sprechen: „Bevor George fortsegelte, sagte er mir, dass er in England etwas Dringendes zu erledigen hätte, denn schließlich ist er ja Engländer. Er hat mir aber nicht gesagt, um was es sich handelte, und aufdringlich wollte ich auch nicht sein. Und Sie, Captain Walker? Kannten Sie seine Absichten?“

Walker bemerkte unter welchen Emotionen Jane Fosset stand. Und da er über das Vorhaben seines Freundes Bescheid wusste, wurde er wirklich verlegen.

Beschämt nickend gab er zu: „Ja, tut mir leid Ma'am. Ich hätte ihn vielleicht daran hindern sollen. Aber einen Mann wie George Ripley kann man nicht so einfach von einem fest gefassten Entschluss abhalten. Er hatte sich geschworen, mit diesem Verräter von Geheimdienstchef abzurechnen. Der hat ihn schließlich verraten und verkauft. Wenn George nicht rechtzeitig gewarnt worden wäre, dann hätte man ihn an der höchsten Rah seines Schiffes aufgehängt. Das wissen Sie doch, Missis Fosset?“

Jane Fosset schlug ihre Augenlider nieder, nickte zaghaft und fragte: „George war also wirklich ein britischer Spion auf einer unserer amerikanischen Fregatten?“

„So ist es Ma'am. Er hat damals auf der U.S.S. Constellation gedient. George gestand es mir später an Bord meiner Cougar. Aber vermutlich auch nur weil er einiges geschluckt hatte.“

„Dennoch konnte er Ihr Freund werden?“

„Wenn Sie ihm dies verzeihen konnten, Ma'am, dann konnte ich das auch.“

„Natürlich, Sir.“ Jane Fosset zögerte ein wenig, denn die nächste Frage kam ihr nur schwer von den Lippen: „Und dass George's Ehefrau ihn ausgerechnet mit seinem höchsten Vorgesetzten, also diesem Geheimdienstchef, betrogen hat … Stimmt das auch?“

„Meines Wissens ja, Ma'am.“

„Und deshalb ist George über den ganzen Atlantik gesegelt, um sich mit seinem Widersacher zu duellieren?“

„Ja, so ist unser lieber Freund nun mal. Aber jetzt müssen Sie mir endlich sagen, was alles passiert ist. Sie haben mir in der Kutsche zugeflüstert, dass man George hängen will? Woher wissen Sie das?“

„George schmachtet jetzt in einem Kerker in London‘‘, berichtete die Dame. „Der Bruder von ihm ließ mir mit einem Schiff eine Nachricht zukommen. Bevor sich George auf diesen dummen Kampf einließ, hatte er noch seinen Bruder Edwin, der auf Guernsey lebt, aufgesucht. Das ist eine der Kanalinseln, aber das wissen Sie als Kapitän sicherlich. George darf angeblich einmal im Monat von seinem Bruder besucht werden. George war Gott sei Dank so schlau, dass er es arrangiert hatte, dass sein Erster Offizier im Falle von Schwierigkeiten Kontakt zu seinem Bruder aufnehmen konnte.“

Jane Fosset atmete tief durch. Mit einem traurigen Ausdruck in ihren schönen Augen sagte sie: „Sonst wüsste ich bis heute nicht was geschehen ist. Was auch immer passiert, und ich bete zu Gott, dass es nicht zum Schlimmsten kommt, George's Bruder wird es in Erfahrung bringen und es so bald wie möglich sowohl der Crew der Dragonfire wie auch mir mitteilen lassen.“

Jetzt konnte sich Walker mit seiner Neugierde nicht mehr zurückhalten. Längst war er von der Nervosität seines Gastes angesteckt worden. „Und? Was schreibt nun dieser Bruder?“

„George wurde inhaftiert, nachdem er seinen Gegner schwer verwundet hatte. Der lebt aber wohl noch. Dieser …“

Walker sah, dass sich sein Gast sehr abmühte, um weiter zu sprechen. Schon liefen Tränen über die Wangen der schönen Frau.

„Dieser Geheimdienstchef will nach seiner Genesung George hängen sehen. Und nun hoffe ich verzweifelt, dass sich diese Genesung so lange wie möglich hinzieht.“

„Ich verstehe nicht, Ma'am?“

Jetzt klopfte es wieder an der Tür und Walkers Steward servierte den versprochenen Tee.

„Danke John. Du kannst jetzt wieder gehen“, sagte Walker.

Jane Fosset musste sich erst wieder fassen, dann fuhr sie fort: „Je länger die Genesung dauert, desto mehr Zeit bleibt, um George zu helfen. Leider hatte weder der Erste Offizier der Dragonfire eine Idee, noch wüsste ich, wie ich meinem armen George beistehen könnte. Vielleicht mit Geld? Ich bin keine arme Witwe, sondern ein bisschen wohlhabend. Ließe sich da irgendetwas machen, Mister Walker? Ich kenne außer Ihnen niemanden, an den ich mich in meiner Verzweiflung wenden könnte. Deshalb bin ich zu Ihnen nach Portland gekommen, obwohl Sie das Unglück sicherlich auch nicht verhindern können.“

Walker blickte seine Gegenüber zuerst ratlos an, dann senkte er verlegen den Kopf. Ohne der Frau direkt in die Augen zu sehen, meinte er: „Im Moment halte ich es für kaum möglich, George aus einem englischen Gefängnis zu befreien, Ma'am. Aber vielleicht haben Sie ja Recht, mit Geld lässt sich manchmal Unmögliches erreichen.“

Wieder kullerten Tränen über das Gesicht der Frau. Jane Fosset trocknete sich schnell mit ihrem Taschentuch ihre feuchten Wangen.

Ohne jeden Vorwurf meinte sie: „Sehr zuversichtlich hören Sie sich aber auch nicht an, Captain Walker. Was sollen wir nun tun?“

Walker marterte seine grauen Gehirnzellen. Wie sollte er mit diesen dürftigen Informationen auf die Schnelle eine Lösung für diese schwierige Situation finden? Schnell nach England segeln und seinen Freund mit Hauruck-Methoden aus dem Gefängnis befreien? Wenn das so einfach wäre!

Plötzlich erinnerte sich Walker an das ausführliche Gespräch mit den Fremden. Und da kam ihm ein vage Idee.

Langsam hob er den Kopf und sah seinem Gast in die schönen Augen. „Ich möchte Ihnen nicht zu viel Hoffnung machen, Missis Fosset. Beim besten Willen kann ich Ihnen nichts versprechen, aber vielleicht gibt es tatsächlich eine Möglichkeit.“

Jane Fosset hörte dem Kapitän gebannt zu. Obwohl sie begriff, dass es nur eine spontane Idee von spekulativem Charakter war, so konnte sie plötzlich wieder einen Funken von Hoffnung schöpfen.

 

Kapitel 2: Im Zwielicht

 

Auf dem Toppsegelschoner Jaguar herrschte eifrige Betriebsamkeit. Schließlich lag dieser lange genug im Hafen von Portland. Jetzt wurde das Schiff, dass für die lange Etappe einer Atlantiküberquerung mit Proviant und Frischwasser reichlich ausgestattet worden war, zum Ablegen bereitgemacht.

Charles Radcliff, der rothaarige, spitzbärtige Bootsmann irischer Abstammung bellte ungeduldig die Crew an: „Setzt endlich das Schonersegel! Bewegt eure faulen Ärsche! Und das Vorstagsegel könnte auch schon lange durchgesetzt sein!“

Die Männer an den Fallen legten sich mürrisch ins Zeug. Diese Eile war doch überhaupt nicht notwendig.

Charly, so nannten sie respektlos ihren Bootsmann, hätte ihnen auch ohne den rauen Ton einen ordentlichen Befehl geben können. Schließlich beherrschten alle an Bord ihr Handwerk.

Und obwohl die Gaffel des Schonersegels von Piek- und Klaufall gleichmäßig und in horizontaler Lage in die Höhe ragte, bellte Charly aufs Neue: „Stellt euch nicht so an als wärt ihr lauter Waschweiber! Setzt endlich das Segel, wie es sich für ordentliche Seeleute gehört!“

Captain Walker und sein Erster Offizier, der 36 Jahre alte Chris Bolton, amüsierten sich über das Treiben auf dem Deck. Beide wussten, dass Radcliff zu gern in seinem barschen Umgangston seine Leute anherrschte. Wenn es dagegen hart auf hart ging, konnte man sich darauf verlassen, dass der Bootsmann kurze, aber prägnante Kommandos gab und jegliche störende Kommentare unterließ.

Aber bei einem gewöhnlichen Ablegemanöver konnte er ruhig nach seinem Gusto gewähren. Die Mannschaft bestand sowieso aus lauter verwegenen Kerlen und war nicht gerade zimperlich.

So oder so verlief alles glatt und reibungslos. Gerade wurden die Klüver backgeholt und auch das mächtige Großsegel wartete schon darauf, von den an den Fallen bereitstehenden Matrosen gesetzt zu werden. Schon wurden die Springs und die Vorleine eingeholt und der Bug des Schoners, der nur noch von der Achterleine gehalten wurde, schwoite langsam von der Kaimauer weg.

„Holt endlich die Achterleine ein. Auf was wartet ihr denn noch?“, brummte der Bootsmann ungeduldig.

Unaufhaltsam nahm die Jaguar Fahrt auf, obwohl das Großsegel noch gar nicht durchgesetzt war. Aber noch bevor der Klüverbaum zur Hafenausfahrt zeigte, war auch das gewaltige Segel durchgesetzt und korrekt getrimmt. Kaum hatte das Schiff den Hafen verlassen, gingen auch schon die Gaffeltoppsegel hoch.

Nun zog der Schoner in seiner ganzen Pracht am Leuchtturm vorbei. Immer schneller werdend, eine quirlende Bugwelle aufwerfend, rauschte die Jaguar nordwärts und hatte Portland schon bald hinter sich gelassen. Ihr Ziel lag weit außerhalb von jeglichen bewohntem Gebiet, denn dort sollte die dubiose Ware an Bord genommen werden.

 

Captain Walker schritt an Deck seines Schiffes auf und ab, während sich auf dem die drei Rahsegel am Schonermast kraftvoll blähten. Mit Stolz betrachtete er prüfend die gewaltige Wand der zehn gut getrimmten und straff stehenden Segel. Die innerliche Unruhe, die ihn manchmal quälte, wenn er sich mit seinem Schiff zu lange an einem Ort befand, war wie weggeblasen. Dass das Beladen mit Kisten voller Waffen, auch wenn dies an einem abgelegenen Ort geschehen würde, mit einem gewissen Risiko behaftet war, beunruhigte Walker weniger. Denn alles war gut geplant und vorbereitet worden. Gewisse Sicherheitsvorkehrungen waren ohnehin vorgesehen.

Ohlsted hatte sich bereits an Bord der Jaguar eingenistet. Albrecht war in der Zwischenzeit mit einigen Wagenladungen voller Kisten auf dem Landweg dem Schoner vorausgeeilt. Die Ware war schon seit längerem irgendwo in den Wäldern von Maine, die sich jetzt in den herbstlichen Farben von ihrer prächtigsten Seite zeigten, gelagert worden. Begleitet wurde Albrecht von einigen vertrauenswürdigen Gestalten, die nur eines im Kopf hatten: Möglichst mühelos zu einem Bündel von Dollars zu kommen.

Während sich Walker mit dem geplanten Vorhaben befasste, wurde er sich bewusst, dass nicht nur der größte Teil seiner Crew aus unseriösen Leuten bestand, sondern, dass er selber für alles, was geschähen war oder noch kommen mochte, verantwortlich war. Und mit Seriosität konnte er sich wirklich nicht rühmen.

Die Missstände begannen allein damit, dass er bei der Auswahl seiner Besatzung nicht gerade fromme Lämmer an Bord geholt hatte. Die harmlosesten in der Crew waren die verwegenen Abenteurer und die Söldnertypen. Einige davon hatten früher bei der U.S. Navy gedient und hatten auch reichlich Erfahrung im Gefecht. Diese Männer waren nicht nur kampferprobt, sondern kannten auch so etwas wie Disziplin. Deswegen war Walker diese Sorte am liebsten. Er selbst rechnete sich auch zu diesen Veteranen.

Wieder andere an Bord waren ehemalige Deserteure oder einfach nur Gauner, die nicht so einfach in den Griff zu bekommen waren. Selbst entflohene Sträflinge, die es nicht in jedem Hafen wagten von Bord zu gehen, weil sie der Schlinge der Gesetzeshüter entgehen wollten, waren vereinzelt von der Partie und hatten Zuflucht an Bord der Jaguar gefunden. Manche der Männer hatte Walker schon an Bord seiner Korvette Cougar auf seiner Seite gehabt. Von denen wusste er, dass man auf sie zählen konnte, wenn es hart auf hart kam. So war es auch nicht verwunderlich, dass die Jaguarcrew diese Mission, wegen der Aussicht auf einträgliche Heuer oder gar auf Anteile an einer lohnenswerten Beute, ziemlich leicht schmackhaft zu machen war.

Walker bezeichnete seine verwegenen Unternehmungen gerne als Missionen. Aber gegen diese hatte er ursprünglich einige Bedenken gehabt. Schließlich konnte er im Augenblick überhaupt nicht einschätzen, auf welche Abenteuer er sich eingelassen hatte.

Erst nachdem ihm Jane Fosset mitgeteilt hatte, dass es bei George um Kopf und Kragen ging, war es Walker plötzlich leicht gefallen, eine Entscheidung zu treffen. Vermutlich hatte Jane Fosset recht, wenn sie meinte, dass sich bei der Rettung ihres gemeinsamen Freundes vielleicht etwas mit Geld erreichen ließe. Ausschlaggebend war die Tatsache, dass die zwei Dänen Beziehungen zum britischen Geheimdienst hatten. Warum sollte Ripleys Widersacher nicht mit seinen eigenen Waffen geschlagen werden?

Natürlich ahnte Walker, dass es bei dieser obskuren Kooperation mit den Dänen über puren Schmuggel hinausgehen konnte. Und eine Einmischung in einen Handelskrieg, der einem im Grunde genommen nichts anging, bedeutete ein gewisses Risiko. Das hatte Walker seinen Leuten nicht vorenthalten.

 

Raumschots, bei ablandigem Wind, pflügte sich die Jaguar ihre Bahn durch die blaugrauen Wogen vor der Küste von Maine. Die Felsen im Westen bildeten einen hellen Streifen zwischen der dunklen See und den bunten, herbstlichen Wäldern, die sich oberhalb der Steilküste unendlich weit in das Innere des Festlandes erstreckten. Und dort, einige Meilen südlich von Kap Rockport, musste eine geschützte Bucht liegen, in der die Jaguar vor Anker gehen würde, um die Ladung an Bord zu nehmen. Diese versteckte Stelle lag nur noch einige Meilen voraus.

Ohlsted stand neben dem Captain auf dem Vordeck und zog sein Teleskop aus dem Köcher, setzte es an und suchte damit den Verlauf der Küste ab. Nachdem dieser nach wiederholter Suche das Fernrohr zusammenschob, wurde Walker ungeduldig.

„Wo zum Teufel ist nun die verdammte Bucht, Mister Ohlsted?“, verlangte er zu wissen.

„Wie ich schon sagte, Capt'n, die Bucht ist von der Seeseite schwer zu erkennen. Außer von hohen Stengen, wird von der Jaguar von der See aus nichts zu erkennen sein. Das ist das Gute daran. Die Bucht ist hufeisenförmig, wobei die Öffnung nicht seewärts gerichtet ist sondern südwärts. Und obwohl die Zufahrt alles andere als eng ist, kann man sie nur aus der Nähe erkennen. Ich bin vor wenigen Tagen mit einem der ortsansässigen Kerle dorthin gesegelt, um ganz sicher zu gehen. Wir müssen also noch näher heran, dann müsste sie bald zu sehen sein.“

„Das hoffe ich!“, brodelte Walker.

Auch eine große Anzahl der Seeleute, die derzeit an Deck herumlungerten, stierte gen Westen. Unter der Besatzung breitete sich eine gewisse Unruhe aus. Die Crew hatte zwar nichts gegen eine neue Mission einzuwenden gehabt, aber es musste nicht unbedingt sein, dass ihr Schiff schon am ersten Tag ihrer Mission einem Zollschoner in die Quere kam. Das wäre kein guter Anfang.

Schon bald darauf, Ohlsted hatte schon mehrmals mit seinem Teleskop die Küste abgesucht, machte sich der Ausguck, der hoch oben auf der Bramrahe des Schonermastes hockte, bemerkbar. Fast synchron setzten Walker und Ohlsted ihre Teleskope an.

„Dort! Jetzt sehe ich sie!“, meinte Ohlsted und deutete aufgeregt nach Nordwesten.

Tatsächlich! Man musste genau hinsehen, um zu erkennen, dass es dort eine geschützte Bucht gab, die einem kleinen Naturhafen gleichkam.

„Donnerwetter!“, rief Walker. „Ein wirklich idealer Ort für unser Vorhaben. Noch besser als der, an dem wir vor ein paar Wochen unsere Rumfässer entladen hatten.“

Chris Bolton, der sich zu den beiden hinzugesellt hatte, meinte misstrauisch: „Mhm, ich könnte mir gut vorstellen, dass Zöllner diese Bucht nur zu gut kennen. Und dann?“

Mit fragenden Blicken sah er seinen Kommandanten und dann den Dänen an.

„Dann müssen wir so schnell wie möglich von hier verschwinden“, antwortete Walker gelassen, da er sicher war, einen günstigen Zeitpunkt gewählt zu haben. Bei günstigen Lichtverhältnissen würde die Jaguar in die Bucht einlaufen, um dort vor Anker zu gehen. Aber schon bald darauf würde es zu dämmern beginnen und wenn alles glatt lief, konnte man bei Anbruch der Nacht in See stechen.

Die Rahsegel des Schoners waren bereits aufgegeit und soeben wurden die Klüver von den emsig werkelnden Matrosen eingeholt. Gemächlich passierte die Jaguar die Einfahrt in die von Felsen umgebene Bucht, welche zur Seeseite durch einen nur mit Kiefern bewachsenen Landzipfel geschützt wurde – so wie ein Hafen durch eine Mole.

„Klar zum Ankern!“, brüllte der Bootsmann.

„Anker ist klar!“, erscholl es vom Vorschiff. Dort hatten sich die Matrosen schon längst am fest gelaschten Anker und am Bratspill zu schaffen gemacht.

„Holt nieder das Großsegel!“, hieß es und dann folgten die Kommandos zum Halsen.

Jetzt standen am Schonermast nur noch Gaffel- und Stagsegel. Gemächlich ging der Bug der Jaguar durch den Wind. Die beiden Segel fingen zu killen an und das Schiff trieb auf eine nahezu senkrechte Felswand zu. Von oben gafften neugierige Gesichter zu ihnen herunter, die das Manöver beobachteten. Albrecht war unter den Leuten.

Dieser hatte schon zuvor mit einer schwingenden Fahne das Zeichen dafür gegeben, dass alles in Ordnung war und, dass es weit und breit keine Anzeichen für etwaige Unannehmlichkeiten gab.

Kurz vor der Steilwand klatschte der Anker ins reichlich tiefe Wasser und die Jaguar trieb durch den ablandigen Wind langsam achteraus. Schon rauschten die letzten beiden Segel herunter. Am Heck wurde gleichzeitig ein zusätzlicher Draggen ausgebracht, der verhindern sollte, dass bei einer Änderung der Windrichtung das Heck des Schoners zur Felswand treiben konnte.

Aber noch war die Arbeit nicht getan. Jetzt musste alles möglichst schnell ablaufen. Aus diesem Grund waren sowohl an Deck, als auch an Land die entsprechenden Vorkehrungen schon längst getroffen worden.

Albrecht warf von oben eine Wurfleine aufs Vorschiff. Gleich darauf kam eine zweite heruntergeflogen, welche ein Stück vor den Großmastwanten aufs Deck fiel. Beide Leinen wurden sofort von den bereitstehenden Seeleuten aufgenommen, welche die bereitgelegten Taue daran befestigten.

Am Kliff standen bereits genügend Männer bereit, welche die Taue an den Leinen unverzüglich nach oben zogen. So entstanden in kurzer Zeit zwei Seilbahnen, die zur schnellen Übernahme der Schmuggelware dienten. Das Quietschen und Knarren von Wagenrädern, sowie das Schnauben von Pferden oder Maultieren kündigte an, dass nun die Kisten mit den Waffen zum Klippenrand geschafft wurden.

Kurz darauf gondelte die erste Kiste aus zwölf Metern Höhe zum Schiffsdeck. Die schwere Kiste rollte an einem Block hängend an dem kräftigen Tau hinab, wobei sie mit einer Leine von Albrechts Männern gebremst wurde. Nachdem die Kiste an Deck abgesetzt worden war, wurde der Block an seiner Leine wieder nach oben geholt. So konnten die Kisten an beiden Seilbahnen aufs Schiff geladen werden, was den ganzen Vorgang wesentlich beschleunigte. Alles lief wie am Schnürchen – zumindest bis jetzt.

 

Die Dämmerung gab sich redlich Mühe den Toppsegelschoner mit all seiner Schmuggelware in einem Schleier zu umhüllen. Eine ganze Menge der heißen Ware stand vorerst auf dem Oberdeck der Jaguar, denn von den in Kisten verpackten Waffen war bisher nur ein Teil im untersten Deck verstaut worden. Dann zerriss ein Schuss die Luft.

„Was ist los?“, brüllte Walker und sah nach oben.

Zu sehen war nichts, dafür war Albrechts Stimme umso lauter zu hören. Der feuerte seine Leute zur Eile an. „Macht schon, Männer! Trödelt nicht so herum! Es wird Zeit, dass wir von hier verschwinden!“

Erst dann sah Walker wie sich Albrecht über die Klippe beugte.

Ungeduldig wiederholte Walker seine Frage: „Was zum Teufel ist los? Was hat der Schuss zu bedeuten?“

Dieses Mal antwortete Albrecht sofort. „Das war ein Signal. Ich glaube, ein Schiff nähert sich uns. Nur noch drei Kisten – und ich natürlich – dann haben wir's geschafft!“ Für weitere Erklärungen hatte er keine Zeit.

„Radcliff!“, rief Walker dem Bootsmann zu

„Capt'n?“

„Sie haben es mitbekommen. Es wird höchste Zeit, dass wir von hier verschwinden. Lassen Sie das Schiff zum Ankerlichten und zum Segelsetzen klarmachen!“

„Aye Capt'n!“

Diesmal sparte sich der Bootsmann jede Kritik an der Mannschaft. Stattdessen gab er die notwendigen Kommandos an die hastig arbeitenden Männer weiter. Obwohl die letzten Kisten noch nicht das Deck erreicht hatten, wurden bereits die ersten Segel am Schonermast gehisst. Gleichzeitig wurde das Bratspiel bemannt, um den Anker zu lichten.

„Hier bin ich!“, rief Albrecht, als er sicheren Fußes auf dem Deck der Jaguar ankam. Er war genauso wie die Kisten abgeseilt worden. „Besser wir verschwinden jetzt!“

„Was zum Teufel hatte dieser Schuss zu bedeuten?“, wollte Walker wissen.

„Nun, ich habe drei Männer an verschieden Stellen postieren lassen. Einer hält sich ein paar Kilometer nordwärts an einem Küstenvorsprung auf und ein zweiter im Süden. Bei beiden Männern brennen sichtbare Feuer, welche der dritte Mann beobachtet, der dort draußen an der Landzunge der Bucht steht. Bei Annäherung eines Kriegsschiffes oder Zollschoners werden die Feuer rhythmisch verdunkelt. Ein Schuss bedeutet, dass sich ein Schiff aus dem Süden nähert.“