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Ernest Clines Bestseller ›Ready Player One‹ ist DER Science-Fiction-Roman zur Virtual-Reality-Revolution und Vorlage für den großen Kinoblockbuster von Steven Spielberg. Im Jahr 2045 ist die Welt ein hässlicher Ort: Die Erdölvorräte sind aufgebraucht, ein Großteil der Bevölkerung lebt in Armut. Einziger Lichtblick ist die OASIS, eine virtuelle Ersatzwelt, in der man leben, arbeiten, zur Schule gehen und spielen kann. Die OASIS ist ein ganzes Universum, es gibt Tausende von Welten, von denen jede ebenso einzigartig wie phantasievoll ist. Und sie hat ein Geheimnis. Der exzentrische Schöpfer der OASIS hat tief im virtuellen Code einen Schatz vergraben, und wer ihn findet, wird seinen gesamten Besitz erben – zweihundertvierzig Milliarden Dollar. Eine Reihe von Rätseln weist den Weg, doch der Haken ist: Niemand weiß, wo die Fährte beginnt. Bis Wade Watts, ein ganz normaler Junge, der am Stadtrand von Oklahoma City in einem Wohnwagen lebt, den ersten wirklich brauchbaren Hinweis findet. Die Jagd ist eröffnet ... »›Ready Player One‹ ist absolut fantastisch – ein großer Spaß für den Geek in mir. Ich hatte das Gefühl, als sei das Buch nur für mich geschrieben worden.« Patrick Rothfuss
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Seitenzahl: 659
Ernest Cline
Ready Player One
Filmausgabe
Aus dem Amerikanischen von Hannes und Sara Riffel
FISCHER E-Books
Für Susan und Libby
Denn für den Ort,
an den wir gehen,
gibt es keine Karte
Jeder in meinem Alter erinnert sich daran, wo er war und was er gerade getan hat, als er zum ersten Mal von dem Wettbewerb hörte. Ich saß in meinem Versteck und schaute Zeichentrickfilme, als mir der Newsfeed dazwischenfunkte: In der vergangenen Nacht war James Halliday gestorben.
Natürlich wusste ich, wer Halliday war. Jeder wusste das. Er hatte das Massively Multiplayer Online GameOASIS entwickelt, ein Computerspiel, aus dem nach und nach eine global vernetzte Virtuelle Realität hervorgegangen war, die von den meisten Menschen tagtäglich genutzt wurde. Der beispiellose Erfolg der OASIS hatte Halliday zu einem der reichsten Menschen der Welt gemacht.
Anfangs verstand ich nicht, warum die Medien ein solches Theater um den Tod des Milliardärs machten. Schließlich hatten die Bewohner des Planeten Erde andere Sorgen. Die anhaltende Energiekrise. Der katastrophale Klimawandel. Hungersnöte, Armut und Krankheit. Ein halbes Dutzend Kriege. Sie wissen schon: »Vierzig Jahre Dunkelheit, Erdbeben, Vulkanausbrüche. Die Toten erheben sich. Menschenopfer. Hunde und Katzen leben miteinander. Massenhysterie!« Normalerweise werden die Leute in Ruhe gelassen, wenn sie vor ihren interaktiven Sitcoms oder Soaps sitzen, außer es ist wirklich etwas Wichtiges passiert. Wenn zum Beispiel ein neuer Killervirus entdeckt wurde oder sich wieder eine Großstadt unter einem Atompilz in Asche verwandelt hat. Schwerwiegende Dinge eben. Halliday war zwar berühmt gewesen, aber sein Tod hätte eigentlich als kurze Meldung in den Abendnachrichten abgehandelt werden sollen, damit die breite Masse der Zuschauer den Kopf schütteln konnte, wenn die Sprecher den obszön hohen Geldbetrag nannten, den seine Erben nun unter sich aufteilen würden.
Aber genau hier wurde es spannend. James Halliday hatte keine Erben.
Bei seinem Tod war er siebenundsechzig Jahre alt gewesen und Junggeselle, ohne lebende Verwandte und, dem Vernehmen nach, auch ohne Freunde. Die letzten fünfzehn Jahre seines Lebens hatte er in völliger Zurückgezogenheit verbracht, und wenn man den Gerüchten glauben konnte, war er in dieser Zeit völlig verrückt geworden.
Kein Wunder also, dass den Leuten an jenem Januarmorgen von Toronto bis Tokio die Kinnlade runterklappte, als bekanntwurde, was Halliday in seinem Testament verfügt hatte!
Halliday hatte eine kurze Videobotschaft vorbereitet, die nach seinem Tod auf der ganzen Welt ausgestrahlt werden sollte. Außerdem hatte er dafür gesorgt, dass jedem OASIS-Nutzer an ebendiesem Morgen per Mail eine Kopie dieses Videos zugestellt wurde. Ich kann mich noch gut an den wohlvertrauten Klingelton erinnern, als die Mail in meinem Posteingang landete, nur wenige Sekunden, nachdem ich die Nachricht im Fernsehen gesehen hatte.
Bei der Videobotschaft handelte es sich genau genommen um einen unglaublich raffinierten Kurzfilm mit dem Titel Anoraks Einladung. Exzentrisch, wie Halliday war, hatte er sein ganzes Leben lang eine Obsession für die 1980er gehegt, jenes Jahrzehnt, in dem er ein Teenager gewesen war, und in Anoraks Einladung wimmelte es nur so von obskuren popkulturellen Anspielungen, die ich zum Großteil gar nicht mitbekam, als ich den Film zum ersten Mal sah.
Das ganze Video war nur etwa fünf Minuten lang, und in den Tagen und Wochen nach Hallidays Tod wurden diese fünf Minuten so genau unter die Lupe genommen wie kein anderer Film zuvor. Selbst der Zapruder-Film dürfte nicht mit einer derartigen Akribie analysiert worden sein. Bald war jede Sekunde von Hallidays Botschaft meiner Generation in Fleisch und Blut übergegangen.
Anoraks Einladung beginnt mit Trompetenstößen, den ersten Takten eines alten Songs mit dem Titel »Dead Man’s Party«.
Während der ersten Sekunden ist nur die Musik zu hören, der Bildschirm bleibt noch schwarz, bis die Gitarren einsetzen. Dann taucht Halliday auf. Aber er ist kein siebenundsechzigjähriger Mann und auch nicht krank. Er sieht genauso aus wie auf dem Time-Cover, damals, im Jahr 2014 – ein großgewachsener, schlanker, gesunder Mann Anfang vierzig, mit zerzaustem Haar und der für ihn typischen Hornbrille. Er trägt sogar dieselben Kleider wie auf dem Time-Foto: ausgeblichene Jeans und ein klassisches Space-Invaders-T-Shirt.
Halliday befindet sich auf einer Highschoolparty, die in einer großen Turnhalle stattfindet, umgeben von Teenagern, deren Kleider, Frisuren und Bewegungen nahelegen, dass die Aufnahmen in den späten 1980ern gemacht wurden.[1] Auch Halliday tanzt – dabei hatte niemand ihn je tanzen sehen. Mit einem manischen Grinsen dreht er sich rasant im Kreis, schlenkert mit den Armen und wackelt mit dem Kopf, immer im Takt der Musik. Er hat es drauf und vollführt einige für die 80er typische Moves. Aber Halliday hat keinen Tanzpartner. Er tanzt, wie es in dem Song heißt, mit sich selbst.
In der linken unteren Ecke erscheinen wie bei einem alten MTV-Video kurz ein paar Textzeilen – der Name der Band, der Songtitel, die Plattenfirma und das Erscheinungsjahr: Oingo Boingo, »Dead Man’s Party«, MCA Records, 1985.
Als der Gesang einsetzt, bewegt Halliday synchron dazu die Lippen, wobei er sich weiter um die eigene Achse dreht: »All dressed up with nowhere to go. Walking with a dead man over my shoulder. Don’t run away, it’s only me …«
Unvermittelt hört Halliday auf zu tanzen, und als er mit der rechten Handkante durch die Luft fährt, bricht auch die Musik ab. Im selben Moment verschwinden die Tänzer und die Turnhalle hinter ihm, und die Kulisse wechselt schlagartig.
Jetzt steht Halliday in einem Bestattungsinstitut, unmittelbar neben einem offenen Sarg.[2] Darin liegt ein zweiter, weit älterer Halliday. Der Leichnam ist ausgemergelt und vom Krebs gezeichnet. Auf seinen Augen liegen blanke Vierteldollarmünzen.[3]
Der jüngere Halliday blickt mit gespielter Traurigkeit auf den Leichnam seines älteren Ichs hinab und wendet sich dann den versammelten Trauergästen zu.[4] Er schnippt mit den Fingern, und plötzlich hält er eine Schriftrolle in der rechten Hand. Mit großer Geste öffnet er sie; sie entrollt sich bis zum Boden und dann weiter den Mittelgang entlang. Halliday durchbricht die vierte Wand, spricht den Zuschauer direkt an und beginnt zu lesen.
»Im Vollbesitz meiner geistigen Kräfte und aus freiem Willen erkläre ich, James Donovan Halliday, hiermit vor Zeugen, dass dies mein Testament und Letzter Wille ist, womit sämtliche Testamente und Nachträge, die bereits existieren mögen, ihre Wirkung verlieren …« Er liest weiter, immer schneller und schneller, ackert sich durch mehrere Absätze Juristenjargon, bis er so schnell spricht, dass man ihn nicht mehr versteht. Dann verstummt er unvermittelt. »Vergessen wir das«, sagt er. »Sogar bei diesem Tempo würde es einen Monat dauern, das Ding komplett vorzulesen. Bedauerlicherweise habe ich nicht so viel Zeit.« Er lässt die Schriftrolle fallen, und sie verschwindet in einer Wolke aus Goldstaub. »Beschränken wir uns auf das Wesentliche.«
Das Bestattungsinstitut verschwindet, und es erscheint eine neue Kulisse. Jetzt steht Halliday vor einer gewaltigen Tresortür. »Mein gesamter Besitz, einschließlich einer Mehrheitsbeteiligung an meiner Firma, Gregarious Simulation Systems, wird unter Treuhandverwaltung gestellt, bis eine bestimmte Bedingung erfüllt ist, die ich in meinem Testament genau definiert habe. Die erste Person, die diese Bedingung erfüllt, wird mein gesamtes Vermögen erben, das derzeit auf über zweihundertvierzig Milliarden Dollar veranschlagt wird.«
Die Tresortür schwingt auf, und Halliday tritt hindurch. Der Tresorraum ist riesig. In seinem Inneren türmen sich Goldbarren zu einem Block von der Größe eines Mehrfamilienhauses. »Hier ist die Kohle, um die es geht«, sagt Halliday mit einem breiten Grinsen. »Was soll’s? Schließlich kann ich nichts davon mitnehmen, oder?«
Halliday lehnt sich gegen den Stapel Goldbarren, und die Kamera zoomt sein Gesicht ganz nah heran. »Jetzt fragt ihr euch bestimmt, was ihr machen müsst, um an den ganzen Zaster ranzukommen? Immer mit der Ruhe, meine Freunde, das erkläre ich gleich …« Er legt eine dramatische Pause ein, und sein Gesicht nimmt die Miene eines Kindes an, das gleich ein großes Geheimnis enthüllen wird.
Halliday schnippt wieder mit den Fingern, und der Tresorraum verschwindet. Im selben Augenblick schrumpft Halliday und verwandelt sich in einen kleinen Jungen, der braune Cordhosen und ein Muppet-Show-T-Shirt trägt.[5] Der junge Halliday steht in einem unaufgeräumten Wohnzimmer mit einem leuchtend orangefarbenen Teppich, holzvertäfelten Wänden und einem kitschigen 70er-Jahre-Dekor. Neben ihm steht ein 21 Zoll großer Zenith-Fernseher, an den ein Atari 2600 angeschlossen ist.
»Das war meine erste Spielekonsole«, sagt Halliday mit Kinderstimme. »Ein Atari 2600. Den habe ich 1979 zu Weihnachten bekommen.« Er hockt sich vor den Atari, greift nach dem Joystick und beginnt zu spielen. »Und das war mein Lieblingsspiel«, sagt er und weist mit einer Kopfbewegung auf den Bildschirm, wo sich ein kleines Quadrat durch eine Folge einfacher Labyrinthe bewegt. »Es hieß Adventure. Wie viele frühe Videospiele wurde Adventure von einer einzigen Person entwickelt und programmiert. Damals nannte Atari seine Programmierer jedoch nicht, so dass der Name des Spieleerfinders nirgendwo auf der Verpackung erscheint.« Auf dem Fernsehschirm sehen wir, wie Halliday mit Hilfe eines Schwerts einen roten Drachen tötet; was aufgrund der primitiven Graphik und der niedrigen Auflösung des Spiels allerdings eher so aussieht, als würde ein Quadrat eine entstellte Ente mit einem Pfeil durchbohren.
»Also hat der Typ, der Adventure erfunden hat, ein Mann namens Warren Robinett, sich in dem Spiel selbst verewigt. In eines der Labyrinthe des Spiels hat er einen Schlüssel eingeschmuggelt. Wenn man diesen Schlüssel entdeckte – einen kleinen grauen Punkt von der Größe eines einzigen Pixels –, konnte man damit in einen geheimen Raum gelangen, in dem Robinett seinen Namen versteckt hatte.« Auf dem Bildschirm steuert Halliday seinen quadratischen Protagonisten in diesen geheimen Raum. In der Mitte des Bildschirms erscheinen die Wörter CREATED BY WARREN ROBINETT.
»Das«, sagt Halliday und deutet ehrfürchtig auf den Bildschirm, »war das allererste Easter Egg in einem Videospiel. Robinett versteckte es im Quellcode des Spiels, ohne einer Menschenseele davon zu erzählen. Und Atari produzierte Adventure und verschickte es in die ganze Welt, ohne von diesem geheimen Raum zu wissen. Erst Monate später fanden sie heraus, dass dieses Easter Egg überhaupt existierte, gleichzeitig mit den Kids, die das Spiel spielten. Ich war eins dieser Kinder, und als ich Robinetts Osterei das erste Mal entdeckte, war das eines der coolsten Videospiel-Erlebnisse meines ganzen Lebens.«
Der junge Halliday lässt den Joystick los und steht auf. Während er das tut, verblasst das Wohnzimmer, und die Kulisse verändert sich erneut. Halliday steht jetzt im Halbdunkel einer Höhle; das flackernde Licht von Fackeln, die sich außerhalb des Blickfeldes befinden, wird von den feuchten Wänden zurückgeworfen. Im selben Augenblick nimmt auch Halliday wieder eine andere Gestalt an – er verwandelt sich in seinen berühmten OASIS-Avatar Anorak, einen hochgewachsenen Zauberer. Sein Gesicht ist das von Halliday, wenn auch ein wenig attraktiver und ohne Brille. Wie immer trägt er ein langes schwarzes Gewand mit dem Emblem des Avatars (ein großes A in verschlungener Handschrift) auf beiden Ärmeln.
»Vor meinem Tod«, sagt Anorak mit einer viel tieferen Stimme, »habe ich selbst ein Easter Egg in meinem beliebtesten Videospiel versteckt – in der OASIS. Wer mein Osterei als Erster findet, erbt mein ganzes Vermögen.«
Eine weitere dramatische Pause.
»Das Ei ist allerdings gut versteckt. Ich habe es nicht einfach unter irgendeinen Stein gelegt. Man könnte sogar sagen, es ist in einem Tresor eingeschlossen, der in einem geheimen Raum vergraben ist, der wiederum mitten in einem Labyrinth verborgen ist, das sich irgendwo« – er tippte sich gegen die rechte Schläfe – »hier befindet. Aber keine Sorge. Ich habe ein paar Hinweise hinterlassen, damit jeder weiß, wo’s losgeht. Und hier ist der erste.«
Anorak macht mit der rechten Hand eine theatralische Geste. Drei Schlüssel erscheinen und drehen sich langsam vor ihm in der Luft. Allem Anschein nach bestehen sie aus Kupfer, Jade und durchsichtigem Kristall. Während die Schlüssel sich drehen, sagt Anorak ein paar Gedichtzeilen auf, die jeweils kurz als flammende Untertitel am unteren Rand des Bildschirms sichtbar werden:
Drei Schlüssel öffnen der Tore drei,
Und wer sich als würdig erweist dabei,
Muss alsbald auf sein Geschick sich besinnen,
Will er das »Ende« erreichen und den Preis gewinnen.
Die beiden Schlüssel aus Jade und Kristall verschwinden, und nur der Kupferschlüssel bleibt zurück – Anorak trägt ihn nun an einer Kette um den Hals.
Die Kamera folgt Anorak, der sich umdreht und tiefer in die dunkle Höhle hineinschreitet. Nach wenigen Sekunden bleibt er vor zwei massiven Holztüren stehen, die in die Felswand eingelassen sind. Die Türen sind mit Stahlbändern verstärkt, und auf ihnen prangen Bilder von Schilden und Drachen. »Ich konnte dieses Spiel nicht mehr in Ruhe austesten, weshalb ich mir Sorgen mache, dass ich mein Easter Egg vielleicht etwas zu gut versteckt habe. Ich weiß es nicht. Falls dem so ist, kann ich daran jetzt auch nichts mehr ändern. Wir werden sehen.«
Anorak stößt die beiden Türen auf. Dahinter kommt eine riesige Schatzkammer zum Vorschein, in der sich ganze Berge funkelnder Goldmünzen und mit Edelsteinen besetzter Kelche auftürmen.[6] Dann tritt er in den offenen Durchgang, wendet sich dem Zuschauer zu und streckt die Arme aus, um die beiden riesigen Türflügel aufzuhalten.[7]
»Lange Rede, kurzer Sinn«, ruft Anorak aus. »Möge die Jagd auf Hallidays Easter Egg beginnen!« Ein Blitz zuckt herab, und er verschwindet. Durch die Tür sind noch eine Weile die funkelnden Schätze zu sehen.
Dann wird der Bildschirm schwarz.
Es folgte ein Link auf seine private Internetseite, die sich am Morgen seines Todes drastisch verändert hatte. Seit über einem Jahrzehnt war dort nur eine kurze, sich ständig wiederholende Animation zu sehen gewesen: Hallidays Avatar Anorak, wie er in einer mittelalterlichen Bibliothek sitzt, tief über einen zerschrammten Arbeitstisch gebeugt, geheimnisvolle Zaubertränke mischt und sich in Folianten vertieft. An der Wand hinter ihm hing ein großes Gemälde mit einem schwarzen Drachen.
Doch diese Animation war nun verschwunden, und an ihrer Stelle befand sich eine Highscore-Liste, wie sie früher bei den Automatenspielen in den Spielhallen üblich gewesen war. Die Liste umfasste zehn nummerierte Plätze, und auf jedem standen die Initialen JDH – James Donovan Halliday – und dahinter eine Punktzahl mit sechs Nullen. Die Liste wurde bald als »Scoreboard« bekannt.
Direkt unter dem Scoreboard befand sich ein Icon, das wie ein kleines, in Leder gebundenes Buch aussah. Von dort führte ein Link zu Anoraks Almanach, den man kostenlos herunterladen konnte – einer Sammlung Hunderter undatierter Tagebucheinträge Hallidays. Der Almanach bestand aus über tausend Seiten Text, aber er verriet so gut wie nichts über Hallidays Privatleben. Die meisten Einträge waren hingeworfene Bemerkungen über verschiedene Videospielklassiker, Science-Fiction- und Fantasy-Romane, Filme, Comicserien und die Popkultur der 80er Jahre oder gelegentlich eingestreute humorvolle Tiraden, die sich mit allem Möglichen beschäftigten, von organisierter Religion bis zu Diätlimonade.
Die »Jagd«, wie der Wettbewerb schließlich genannt wurde, wurde innerhalb kürzester Zeit ein fester Bestandteil der globalen Kultur. Hatten Erwachsene und Kinder früher davon geträumt, in der Lotterie zu gewinnen, träumten sie jetzt davon, Hallidays Easter Egg zu finden. An diesem Spiel konnte sich jeder beteiligen, und anfangs schien es keine richtige oder falsche Herangehensweise zu geben. Anoraks Almanach war lediglich zu entnehmen, dass eine gewisse Vertrautheit mit Hallidays Obsessionen unabdingbar war, um das Ei zu finden. Das führte zu einer weltweiten Faszination für die Popkultur der 1980er Jahre. Fünfzig Jahre nach dem Ende dieses Jahrzehnts waren Filme und Musik, Spiele und Mode der 80er wieder der letzte Schrei. Bis zum Jahr 2041 waren Irokesenschnitt und verwaschene Jeans wieder in, und Coverversionen von Hits aus den 80ern dominierten die Charts. Menschen fortgeschrittenen Alters, die in den 80er Jahren Teenager gewesen waren, machten die überaus seltsame Erfahrung, dass sich ihre Enkel die Moden und Marotten ihrer Jugend aneigneten.
Eine neue Subkultur war geboren, bestehend aus Millionen von Menschen, die ihre gesamte Freizeit darauf verwendeten, nach Hallidays Osterei zu suchen. Anfangs wurden diese Leute einfach als »Egg-Hunter« – Eijäger – bezeichnet, später wurden sie jedoch fast nur noch »Jäger« genannt.
Im ersten Jahr der Jagd war es schick, ein Jäger zu sein, und fast jeder OASIS-Nutzer nahm das für sich in Anspruch.
Doch als sich Hallidays Tod das erste Mal jährte, begann sich die Leidenschaft, mit der die Leute dem Easter Egg nachjagten, allmählich zu legen. Ein ganzes Jahr war vergangen, und niemand hatte etwas gefunden. Keinen einzigen Schlüssel, keine einzige Tür. Ein Teil des Problems war die schiere Größe der OASIS. Die Schlüssel konnten in Tausenden simulierter Welten verborgen sein, und ein Jäger konnte Jahre damit zubringen, auch nur eine von ihnen zu durchsuchen.
Obwohl einige »professionelle« Jäger auf ihren Blogs behaupteten, sie kämen dem Durchbruch mit jedem Tag näher, ließ sich die Wahrheit auf Dauer nicht verleugnen: Niemand wusste genau, wonach man eigentlich suchen oder wo man mit der Suche anfangen sollte.
Ein weiteres Jahr verstrich.
Und ein weiteres.
Und noch eines.
Die Allgemeinheit verlor das Interesse an dem Wettbewerb. Manche Leute kamen zu dem Schluss, dass sich irgendein verrückter Reicher einen Jux erlaubt hatte. Andere glaubten, dass niemand das Ei jemals finden würde, selbst wenn es wirklich existierte. Unterdessen entwickelte sich die OASIS immer weiter und wurde immer beliebter. Gegen Übernahmeversuche und juristische Anfechtungen wurde sie durch Hallidays hieb- und stichfestes Testament und eine Armee fanatischer Anwälte geschützt, die er mit der Aufgabe betraut hatte, sein Vermögen zu verwalten.
Hallidays Easter Egg wurde mit der Zeit zu so etwas wie einer urbanen Legende, und die schwindende Zahl der Jäger war zunehmend der Lächerlichkeit preisgegeben. Wenn sich Hallidays Todesjahr wieder einmal jährte, berichteten Nachrichtensprecher spöttisch, dass niemand auch nur einen Schritt weitergekommen sei. Und jedes Jahr schmissen mehr Jäger ihre Tastatur hin, weil sie zu dem Schluss gekommen waren, dass Hallidays Ei tatsächlich unauffindbar war.
Ein weiteres Jahr verstrich.
Und noch eines.
Und dann, am Abend des 11. Februar 2045, erschien der Name eines Avatars auf dem ersten Platz des Scoreboards, und die ganze Welt konnte ihn lesen. Nach fünf langen Jahren war der Kupferschlüssel endlich gefunden worden, und zwar von einem achtzehn Jahre alten Jungen, der am Stadtrand von Oklahoma City in einem Trailerpark lebte.
Dieser Junge war ich.
Dutzende von Büchern, Zeichentrickfilmen, abendfüllenden Streifen und Miniserien haben seither versucht, die ganze Geschichte zu erzählen, aber keiner ist der Wahrheit auch nur nahegekommen. Deshalb möchte ich berichten, was wirklich passiert ist, und die Dinge ein für alle Mal klarstellen.
Es ist wirklich ätzend, ein Mensch zu sein,
meistens jedenfalls.
Videospiele sind das Einzige,
was das Leben erträglich macht.
ANORAKS ALMANACH, KAPITEL 91, VERSE 1–2
Ich wurde von Schüssen aus dem Schlaf gerissen. Irgendwer da draußen rief etwas, ein paar gedämpfte Schreie ertönten, und dann herrschte wieder Stille.
Hier in den Stacks war das nichts Ungewöhnliches, aber mir setzte das trotzdem ziemlich zu. Ich wusste, dass ich wahrscheinlich nicht mehr würde einschlafen können, also beschloss ich, mir die Zeit mit ein paar Spielhallen-Klassikern zu vertreiben. Galaga, Defender, Asteroids. Digitale Dinosaurier, die schon lange vor meiner Geburt museumsreif gewesen waren. Aber ich war ein Jäger, also waren sie für mich keine Kuriositäten aus grauer Vorzeit, sondern geheiligte Artefakte, tragende Säulen meines Pantheons. Wenn ich die Klassiker spielte, tat ich das voller Ehrfurcht.
Ich hatte mich in einer Ecke der winzigen Wäschekammer des Wohnwagens, eingekeilt zwischen Wand und Trockner, in einem alten Schlafsack zusammengerollt. Im Zimmer meiner Tante auf der anderen Seite des Flurs war ich nicht willkommen, doch das war mir nur recht. Ich schlief sowieso lieber in der Wäschekammer. Hier war es warm, ich war einigermaßen für mich, und der Empfang war ganz in Ordnung. Außerdem roch es angenehm nach Flüssigwaschmittel und Weichspüler. Ansonsten stank es in dem Wohnwagen überall nach Katzenpisse und bitterer Armut.
Die meiste Zeit schlief ich in meinem Versteck. Aber in den letzten Nächten war die Temperatur unter null Grad gesunken, und sosehr es mir zuwider war, mich im Trailer meiner Tante aufzuhalten, war das immer noch besser, als zu erfrieren.
Hier lebten insgesamt fünfzehn Leute. Tante Alice schlief im kleinsten der drei Zimmer. Die Depperts wohnten direkt neben ihr, und die Millers hatten das größte Zimmer am Ende des Flurs. Sie waren zu sechst, und sie bezahlten den größten Teil der Miete. Unser Wohnwagen war nicht so überfüllt wie manche andere. Immerhin handelte es sich um ein übergroßes Modell, es gab genug Platz für alle.
Ich kramte meinen Laptop hervor und fuhr ihn hoch – ein ziemlich unhandliches, schweres Teil, fast zehn Jahre alt. Ich hatte ihn in einem Müllcontainer hinter einem verlassenen Einkaufszentrum auf der anderen Seite der Autobahn gefunden. Um ihn wieder zum Laufen zu bringen, hatte ich bloß den Arbeitsspeicher austauschen und das steinzeitliche Betriebssystem neu draufspielen müssen. Nach heutigen Standards war der Prozessor langsamer als ein Faultier, aber für meine Bedürfnisse reichte es. Der Laptop diente mir als tragbare Bibliothek, Spielhalle und Heimkino. Die Festplatte war randvoll mit alten Büchern, Filmen, Fernsehserien und Musikdateien. Außerdem besaß ich fast jedes Computerspiel, das im 20. Jahrhundert geschrieben worden war.
Ich startete den Emulator und klickte Robotron: 2084 an, eines meiner absoluten Lieblingsspiele. Das hektische Tempo und die brutale Schlichtheit hatten mir schon immer gefallen. Bei Robotron ging es fast nur um Instinkt und Reflexe. Wenn ich mich in ein altes Videospiel vertiefte, bekam ich immer einen klaren Kopf. Wenn ich deprimiert war, musste ich nur auf Player One drücken, und sobald ich mich auf das unerbittliche Bombardement der Pixel auf dem Bildschirm vor mir konzentrierte, lösten sich all meine Sorgen augenblicklich in Luft auf. Hier, in dem zweidimensionalen Universum der Spiele, war das Leben einfach: du gegen die Maschine. Mit der linken Hand steuern, mit der rechten schießen und dabei versuchen, so lange wie möglich am Leben zu bleiben.
Ich verbrachte einige Stunden damit, böse Roboter zu killen, schließlich musste ich unbedingt »die letzte Menschenfamilie retten«. Irgendwann bekam ich jedoch einen Krampf in den Fingern und geriet aus dem Takt. Wenn einem das in den höheren Leveln passiert, ging alles ratzfatz den Bach runter. Innerhalb von wenigen Minuten fackelte ich meine sämtlichen Leben ab, und dann erschienen die beiden Worte auf dem Bildschirm, die mir am meisten zuwider waren: GAME OVER.
Ich klickte den Emulator weg und stöberte in meinen Videodateien herum. Im Laufe der letzten fünf Jahre hatte ich jeden einzelnen Film, jede Fernsehserie und jeden Zeichentrickfilm runtergeladen, der in Anoraks Almanach erwähnt wird. Natürlich hatte ich mir noch nicht alles angeschaut. Dafür würde ich wahrscheinlich Jahrzehnte brauchen.
Ich wählte eine Folge von Familienbande aus, einer Sitcom aus den 80er Jahren über eine bürgerliche Familie, die in Ohio wohnt. Ich hatte mir die Serie besorgt, weil Halliday von ihr begeistert gewesen war – vielleicht war in einer der Folgen ja ein Hinweis versteckt, der etwas mit der Jagd zu tun hatte. Ich war sofort süchtig geworden, und inzwischen hatte ich mir alle 180 Folgen mehrmals angesehen. Irgendwie wurden sie mir nie langweilig.
Wenn ich so im Dunkeln saß und mir die Serie auf meinem Laptop anschaute, stellte ich mir oft vor, ich würde in diesem hell erleuchteten Haus wohnen und diese lächelnden, verständnisvollen Menschen seien meine Familie. Es gab kein Problem, das sich nicht innerhalb von einer halbstündigen Folge lösen ließ (oder innerhalb von einer Doppelfolge, wenn es mal wirklich ernst wurde).
Mein eigenes Leben hatte zu keinem Zeitpunkt auch nur die geringste Ähnlichkeit mit Familienbande gehabt – deshalb liebte ich die Serie wahrscheinlich auch so sehr. Ich war das einzige Kind zweier Teenager, beides Flüchtlinge, die sich in den Stacks kennengelernt hatten, und dort war ich auch aufgewachsen. An meinen Vater erinnere ich mich nicht. Er ist erschossen worden, als er während eines Stromausfalls einen Lebensmittelladen plünderte, und da war ich erst ein paar Monate alt gewesen. Ich weiß über ihn nur, dass er ein großer Comicfan gewesen war. In einem Karton mit seinen Sachen habe ich ein paar alte USB-Sticks gefunden, und darauf waren The Amazing Spider-Man, The X-Men und Green Lantern. Komplett! Meine Mama hat mir erzählt, mein Vater hätte mir einen alliterativen Namen gegeben, weil er fand, das klänge nach der Geheimidentität eines Superhelden. Deshalb hieß ich also Wade Watts. Wie Peter Parker oder Clark Kent. Er musste ziemlich cool gewesen sein, auch wenn sein Tod alles andere als glorios war.
Meine Mutter Loretta hat mich alleine großgezogen. Gewohnt haben wir in einem kleinen Wohnwagen in einem anderen Teil der Stacks. Sie hatte zwei Ganztagsjobs in der OASIS, einen als Telefonverkäuferin und einen als Hostess in einem Bordell. Deshalb musste ich auch immer Ohrenstöpsel tragen, damit ich nicht hörte, wie sie im Zimmer nebenan mit Freiern in anderen Zeitzonen redete. Allerdings taugten die Ohrenstöpsel nicht viel, also sah ich mir ständig alte Filme an, die Lautstärke voll aufgedreht.
Die OASIS kenne ich, solange ich denken kann, denn meine Mutter benutzte die virtuelle Welt als Babysitter. Kaum war ich alt genug, eine Videobrille und haptische Handschuhe zu tragen, half mir meine Mama, meinen ersten Avatar zu erschaffen. Dann setzte sie mich in irgendeine Ecke und wandte sich wieder ihrer Arbeit zu, während ich mich daranmachte, eine Welt zu erforschen, die sich grundlegend von allem unterschied, was ich bis dahin gekannt hatte.
Von da an wurde ich mehr oder minder von dem interaktiven Erziehungsprogramm der OASIS großgezogen, auf das jedes Kind kostenlosen Zugriff hatte. Einen großen Teil meiner Kindheit verbrachte ich in einer Simulation der Sesamstraße, sang zusammen mit liebenswerten Muppets Lieder, spielte interaktive Spiele und lernte so laufen, reden, rechnen, lesen und schreiben sowie mit anderen zu teilen. Nachdem ich das alles konnte, brauchte ich nicht lange, bis ich herausfand, dass die OASIS außerdem die größte öffentliche Bibliothek der Welt war, wo sogar ein Kind, das keinen Cent besaß, Zugriff auf jedes Buch hatte, das je geschrieben worden war, und auch auf jeden Song, jeden Film, jede Fernsehserie, jedes Gemälde. Ob Wissen, Kunst oder Unterhaltung – mir stand alles zur Verfügung. Allerdings war das nicht immer nur ein Segen. Denn langsam öffnete mir die Lektüre die Augen, und ich begriff, was Sache war.
Natürlich macht nicht jeder die gleichen Erfahrungen. Aber für mich kam es einem Tritt in die Fresse gleich, im 21. Jahrhundert auf dem Planeten Erde aufzuwachsen. Existentiell gesprochen.
Das Schlimmste war, dass mir niemand erklärte, was wirklich los war. Im Gegenteil. Und natürlich glaubte ich jedes Wort, schließlich war ich nur ein Kind und wusste es nicht besser. Ich meine ja nur – mein Gehirn war noch im Wachstum begriffen, wie sollte ich da merken, dass ich von vorne bis hinten verarscht wurde?
Also schluckte ich den ganzen Schwachsinn. Jedenfalls für eine Weile. Als ich älter wurde, bekam ich langsam aber sicher mit, dass mich so ziemlich jeder über so ziemlich alles angelogen hatte, und zwar seit ich das Licht der Welt erblickt hatte.
Eine äußerst beunruhigende Feststellung.
Mein Grundvertrauen in die Welt war von diesem Moment an, nun ja, angekratzt.
Die hässliche Wahrheit dämmerte mir allmählich, als ich begann, mich in den kostenlosen OASIS-Bibliotheken umzusehen. Ich las die alten Bücher, die von Leuten geschrieben worden waren, die keine Angst davor hatten, die Wahrheit auszusprechen. Künstler und Wissenschaftler, Philosophen und Dichter, viele von ihnen schon lange tot. Während ich ihre Worte verschlang, wurde mir nach und nach klar, was eigentlich los war. Was mit mir los war. Mit uns. Heilige Scheiße!
Ich wünschte, jemand hätte mich irgendwann beiseitegenommen und mir klar und deutlich die Wahrheit gesagt:
»Hör mal zu, Wade. Du bist das, was man als ›menschliches Wesen‹ bezeichnet. Das ist ein ziemlich kluges Tier. Wie alle anderen Tiere auf diesem Planeten stammen wir von einzelligen Organismen ab, die vor Millionen von Jahren lebten. Diesen Vorgang nennt man ›Evolution‹, und darüber wirst du später mehr erfahren. Aber glaub mir, das ist der Grund, weshalb wir jetzt hier sind. Beweise dafür gibt es jede Menge, meist in versteinerter Form, tief in der Erde vergraben. Diese andere Geschichte? Von wegen, irgend so ein allmächtiger Typ namens Gott, der oben im Himmel lebt, hätte uns erschaffen? Völliger Quatsch. Ein uraltes Märchen, das die Leute einander seit Tausenden von Jahren erzählen. Das haben wir erfunden. Wie den Weihnachtsmann und den Osterhasen. Tut mir leid, mein Junge, ist halt so. Musst du mit klarkommen.
Wahrscheinlich fragst du dich, was passiert ist, bevor du hier aufgetaucht bist. Ziemlich lange Geschichte. Nachdem wir uns erst mal zu Menschen entwickelt hatten, wurde es richtig interessant. Wir haben gelernt, Nahrungsmittel anzupflanzen und Tiere zu zähmen, damit wir nicht mehr die ganze Zeit jagen mussten. Unsere Stämme wurden immer größer, und wir haben uns wie ein unaufhaltsamer Virus auf dem ganzen Planeten ausgebreitet. Dann, nachdem wir einen Haufen Kriege um Land, Ressourcen und erfundene Götter geführt hatten, ist so etwas wie eine ›globale Zivilisation‹ entstanden. Aber so richtig zivilisiert ging es auch weiterhin nicht zu. Wir haben immer noch andauernd Kriege gegeneinander geführt. Aber wir sind auch mit den Naturwissenschaften weitergekommen, und daraus resultierte der technologische Fortschritt. Dafür, dass wir nur ein paar haarlose Affen sind, haben wir einige erstaunliche Dinge erfunden. Computer. Medikamente. Laser. Mikrowellenherde. Künstliche Herzen. Atombomben. Und ein globales Kommunikationsnetz, das es uns ermöglicht, miteinander zu reden, jeder mit jedem, zu jeder Zeit. Ziemlich beeindruckend, was?
Tja, aber so glatt lief es dann doch nicht. Für unsere globale Zivilisation haben wir einen enorm hohen Preis bezahlt. Wir brauchten unglaublich viel Energie, und dafür haben wir jede Menge fossile Brennstoffe abgefackelt, die tief in der Erde vergraben waren. Der größte Teil davon war schon vor deiner Geburt aufgebraucht, und jetzt ist so ziemlich alles futsch. Weshalb wir nicht mehr genug Energie haben, um die Zivilisation auf dem bisherigen Niveau am Laufen zu halten. Also mussten wir uns einschränken. Und zwar nicht zu knapp. Das Ganze nennt sich ›Globale Energiekrise‹, und damit schlagen wir uns jetzt schon eine ganze Weile herum.
Wie sich herausstellte, hatte der exzessive Energieverbrauch auch ein paar unangenehme Nebenwirkungen. Die Temperatur auf unserem Planeten ist angestiegen, und die Natur hat darunter gelitten. Die Polkappen schmelzen, der Meeresspiegel steigt, und das Wetter läuft aus dem Ruder. Pflanzen und Tiere sterben im Rekordtempo aus, und ein Haufen Leute sind obdachlos und verhungern. Und wir führen noch immer Kriege gegeneinander, vor allem um die wenigen Ressourcen, die noch übrig sind.
Um es kurz zu machen: Das Leben ist ein ganzes Stück härter geworden als früher, in der ›guten alten Zeit‹, bevor du auf die Welt gekommen bist. Da ging es uns wirklich verdammt gut, doch davon können wir heute nur noch träumen. Wenn ich ehrlich bin, sieht die Zukunft nicht eben vielversprechend aus. Du bist in eine ziemlich beschissene Zeit hineingeboren worden. Und ich vermute, alles wird noch schlimmer. Die menschliche Zivilisation befindet sich auf dem absteigenden Ast. Manche Leute reden sogar von einem Kollaps.
Wahrscheinlich fragst du dich, was dir bevorsteht. Das ist einfach. Das Gleiche wie allen anderen Menschen, die je gelebt haben. Du wirst sterben. Wir sterben alle. Das ist der Lauf der Dinge.
Was nach dem Tod kommt? Nun ja, so genau wissen wir das nicht. Aber alles spricht dafür, dass dann alles vorbei ist. Du bist tot, in deinem Gehirn wird’s zappenduster, und du hörst auf, nervige Fragen zu stellen. Die Geschichten, von wegen da gäbe es einen wundervollen Ort, der ›Himmel‹ heißt, wo kein Schmerz und kein Tod existieren und wo man in ewiger Glückseligkeit lebt? Völliger Quatsch. Wie der ganze andere Kram über Gott. Es gibt keinen einzigen Hinweis darauf, dass es so etwas wie einen Himmel geben könnte. Wir haben ihn einfach erfunden. Reines Wunschdenken. Du hast den ganzen Rest deines Lebens Zeit, dich damit abzufinden, dass du eines Tages sterben wirst und nichts von dir übrig bleibt.
Tut mir leid.«
Okay, vielleicht ist Ehrlichkeit auch nicht immer der Weisheit letzter Schluss. Möglicherweise ist es keine gute Idee, jedem Neuankömmling auf dem Planeten Erde gleich zu erzählen, dass die Welt, in die er hineingeboren wurde, nichts als Chaos, Leid und Armut für ihn bereithält. Ich habe das alles erst nach und nach herausgefunden, im Laufe mehrerer Jahre, und manchmal wäre ich trotzdem am liebsten von der nächstbesten Brücke gesprungen.
Glücklicherweise hatte ich Zugang zur OASIS, was in etwa einer Rettungsluke in eine andere Welt gleichkam. Die OASIS hat mich davor bewahrt, den Verstand zu verlieren. Sie war mein Spielplatz und meine Vorschule, ein magischer Ort, an dem alles möglich war.
Die OASIS ist der Schauplatz meiner glücklichsten Kindheitserinnerungen. Wenn meine Mama nicht arbeiten musste, loggten wir uns gleichzeitig ein, spielten gemeinsam dasselbe Spiel oder liefen durch ein interaktives Bilderbuchabenteuer. Abends musste sie mich zwingen auszuloggen, denn ich wollte nicht in die Realität zurückkehren. Die Realität war ätzend.
Ich habe meiner Mutter nie für irgendetwas die Schuld gegeben. Sie war ein Opfer des Schicksals und grausamer Umstände, wie alle anderen auch. Ihre Generation traf es am härtesten. Sie war in eine Welt des Überflusses hineingeboren worden und musste dann mit ansehen, wie alles den Bach runterging. Mir ist vor allem im Gedächtnis geblieben, wie leid sie mir tat. Sie hatte beständig Depressionen, und das Einzige, was sie glücklich machen konnte, waren ebendiese Drogen. Das hat sie dann natürlich umgebracht. Als ich elf Jahre alt war, hat sie sich irgendwelchen Scheiß in den Arm gejagt und ist auf unserem schäbigen Schlafsofa verreckt, während sie auf einem alten MP3-Player, den ich repariert und ihr zu Weihnachten geschenkt hatte, Musik hörte.
Tja, und dann musste ich zur Schwester meiner Mutter ziehen. Tante Alice nahm mich allerdings nicht aus Freundlichkeit oder familiärem Verantwortungsgefühl bei sich auf. Sie hatte es auf die Essensgutscheine abgesehen, die die Regierung monatlich ausgab. Meistens musste ich mir selbst etwas zu essen suchen. Für gewöhnlich war das kein Problem, denn ich hatte ein Talent dafür, alte Computer und OASIS-Konsolen aufzuspüren und zu reparieren, die ich dann im Pfandhaus verkaufte oder gegen Essensgutscheine eintauschte. Damit verdiente ich immerhin so viel, dass ich nicht hungern musste, im Unterschied zu vielen meiner Nachbarn.
In dem Jahr nach dem Tod meiner Mutter suhlte ich mich in Selbstmitleid. Aber ich versuchte auch, meinem Leben etwas Positives abzugewinnen, mir vor Augen zu führen, dass es mir, obwohl ich ein Waisenkind war, besser ging als den meisten Kindern in Afrika. Und in Asien. Oder auch in Nordamerika. Ich hatte immer ein Dach über dem Kopf gehabt und mehr als genug zu essen. Und ich hatte OASIS. So mies war mein Leben gar nicht. Zumindest redete ich mir das ein, in dem vergeblichen Versuch, die entsetzliche Einsamkeit zu lindern, die ich jetzt empfand.
Dann begann die Jagd auf Hallidays Easter Egg. Ich glaube, das hat mich gerettet. Plötzlich hatte ich etwas, für das ich mich begeistern konnte, einen Traum, dem ich nachjagen konnte. Während der letzten fünf Jahre hatte mein Leben einen Sinn. Ich begab mich auf Schatzsuche und hatte damit jeden Morgen einen Grund aufzustehen.
Von dem Moment an, als ich anfing, nach dem Ei zu suchen, schien die Zukunft nicht mehr ganz so trostlos zu sein.
Ich war etwa bei der Hälfte der vierten Folge von Familienbande angekommen, als sich die Tür der Wäschekammer mit einem Quietschen öffnete und meine Tante Alice hereinkam, eine unterernährte Harpyie in einem Hauskleid, einen Korb mit schmutziger Wäsche in den Händen. Sie wirkte klarer als gewöhnlich, was kein gutes Zeichen war. Wenn sie high war, kam ich viel besser mit ihr klar.
Sie warf mir wie üblich einen verächtlichen Blick zu und fing an, Wäsche in die Maschine zu stopfen. Dann veränderte sich ihre Miene, und sie sah noch einmal hinter den Trockner, um mich eingehender zu betrachten. Als sie meinen Laptop sah, wurden ihre Augen groß. Ich klappte ihn rasch zu und wollte ihn in meinen Rucksack schieben, aber dafür war es bereits zu spät.
»Her damit, Wade«, sagte sie im Befehlston und griff nach dem Laptop. »Den kann ich verpfänden und damit die Miete bezahlen.«
»Nein!«, schrie ich und riss ihn ihr aus der Hand. »Den brauch ich doch für die Schule!«
»Was du brauchst, ist eine Tracht Prügel!«, fauchte sie. »Damit du endlich etwas mehr Dankbarkeit lernst! Hier muss jeder Miete bezahlen. Ich habe es satt, dich die ganze Zeit durchzufüttern!«
»Du behältst doch schon alle meine Essensgutscheine. Das ist mehr als genug, um meinen Anteil an der Miete abzudecken.«
»Von wegen!« Sie versuchte, mir den Laptop zu entreißen, aber ich ließ ihn einfach nicht los. Also drehte sie sich auf dem Absatz um und stapfte hinaus. Ich wusste, was jetzt kommen würde, deshalb tippte ich rasch einen Befehl in den Laptop, mit dem die Tastatur gesperrt und die Festplatte gelöscht wurde.
Kurz darauf kam Tante Alice zusammen mit ihrem Freund Rick zurück, der sich noch im Halbschlaf zu befinden schien. Rick rannte grundsätzlich mit nacktem Oberkörper herum, weil er mit seiner beeindruckenden Sammlung von Tattoos protzen wollte. Ohne ein Wort zu sagen, marschierte er auf mich zu und hob die Faust. Ich zuckte zusammen und händigte ihm den Laptop aus. Daraufhin gingen er und Tante Alice hinaus, wobei sie bereits laut überlegten, wie viel sie dafür im Pfandhaus bekommen würden.
Den Laptop zu verlieren war keine große Sache. In meinem Versteck hatte ich noch zwei weitere. Aber sie waren bei weitem nicht so schnell, und ich würde alle meine Dateien vom Sicherungslaufwerk rüberspielen müssen. Schöne Scheiße. Allerdings war ich selbst schuld. Ich wusste, wie riskant es war, irgendetwas von Wert hierher mitzunehmen.
Durch das Fenster der Wäschekammer sah ich, dass es draußen allmählich hell wurde. Vielleicht sollte ich heute einfach etwas früher zur Schule gehen.
Ich zog mich so schnell und so leise wie möglich an. Eine abgetragene Cordhose, ein weites Sweatshirt und eine Jacke, die mir viel zu groß war, bildeten meine gesamte Wintergarderobe. Dann schulterte ich meinen Rucksack und kletterte auf die Waschmaschine. Nachdem ich mir meine Handschuhe übergestülpt hatte, öffnete ich das mit Frost bedeckte Fenster. Der arktische Morgen brannte auf den Wangen, während ich über das Meer von Wohnwagendächern hinwegblickte.
Der Trailer meiner Tante war die oberste Wohneinheit in einem Stapel, der zweiundzwanzig Wagen hoch war, womit er eine oder zwei Ebenen höher lag als die meisten anderen in der unmittelbaren Umgebung. Die Wohnwagen der untersten Ebene standen auf der Erde oder auf einem Betonfundament, aber die Einheiten über ihnen hingen an einem Gerüst, das im Laufe der Jahre stückweise und aufs Geratewohl weitergewachsen war.
Wir wohnten in den Portland Avenue Stacks, einem riesigen Bienenstock aus blechernen Schuhschachteln, die am Rand der I-40, unmittelbar westlich des Stadtkerns von Oklahoma City mit seinen verfallenen Wolkenkratzern, vor sich hin rosteten. Die über fünfhundert Stapel waren durch ein behelfsmäßiges Geflecht aus recycelten Rohren, Stahlträgern, Stützpfeilern und Fußgängerbrücken miteinander verbunden. Ein Dutzend uralter Baukräne stand am Rand des sich immer weiter ausdehnenden Viertels – sie leisteten die eigentliche Stapelarbeit.
Die oberste Ebene, das »Dach« der Stacks, war mit einem Flickwerk aus alten Sonnenkollektoren bedeckt, die die Wohneinheiten mit Energie versorgten. Ein Bündel aus Schläuchen und geriffelten Rohrleitungen schlängelte sich an den Seiten der Stapel hinauf, versorgte die Trailer mit Wasser und diente der Abwasserbeseitigung (ein Luxus, den sich nicht alle Stacks in der Stadt leisten konnten). Bis zu den unteren Ebenen, dem Bodensatz, gelangte nur wenig Sonnenlicht. In den dunklen, schmalen Streifen Erde zwischen den Stapeln standen zahllose Autowracks, deren Benzintanks geleert worden waren und die sich nicht mehr von der Stelle bewegten.
Einer unserer Nachbarn, Mr Miller, hatte mir einmal erklärt, dass in Trailerparks wie dem unseren früher nur einige Dutzend Wohnwagen in ordentlichen Reihen nebeneinandergestanden hatten. Nach dem Ölcrash und dem Ausbruch der Energiekrise waren die großen Städte mit Flüchtlingen aus den umliegenden Vororten und den ländlichen Gegenden überschwemmt worden, was zu einem enormen Wohnraummangel geführt hatte. Grundbesitz im Umkreis einer der großen Städte wurde viel zu wertvoll, um nur ein paar Wohnwagen darauf abzustellen, und so war jemand auf die brillante Idee verfallen, die, wie sich Mr Miller ausdrückte, »Scheißteile einfach übereinanderzustapeln«, um die Flächennutzung zu optimieren. Die Idee setzte sich allgemein durch, und die Trailerparks im ganzen Land entwickelten sich rasch zu »Stapeln« wie diesem hier – sonderbaren Hybriden aus Elendsviertel, illegaler Siedlung und Flüchtlingslager. Inzwischen gab es am Rand sämtlicher Großstädte solche Stacks, und es wimmelte darin nur so von entwurzelten Provinzlern wie meinen Eltern. Verzweifelt auf der Suche nach Arbeit, etwas Essbarem, Elektrizität und einem verlässlichen Zugang zur OASIS waren sie aus ihrer verfallenden Kleinstadt geflohen und hatten den letzten Rest Benzin aufgebraucht, um ihre Familien und ihren Wohnwagen zur nächsten Metropole zu karren.
Die meisten Stapel in unserer Siedlung – gelegentlich hatte sich ein altes Wohnmobil, ein Container oder ein VW-Bus zwischen die Trailer verirrt – waren mindestens fünfzehn Einheiten hoch. In den letzten Jahren waren manche sogar bis zu einer Höhe von zwanzig Einheiten oder mehr angewachsen. Das machte eine Menge Leute nervös. Es war nicht ungewöhnlich, dass ein Stapel einstürzte, und wenn die Gerüststützen im falschen Winkel nachgaben, konnte der Dominoeffekt vier oder fünf benachbarte Stapel mit sich zu Boden reißen.
Unser Trailer befand sich am nördlichen Rand der Stacks in der Nähe einer baufälligen Autobahnüberführung. Von meinem Aussichtspunkt am Fenster der Wäschekammer aus konnte ich einen spärlichen Strom von Elektrofahrzeugen sehen, die über den rissigen Asphalt krochen und Waren oder Arbeiter in die Stadt beförderten. Während ich auf die trostlose Skyline blickte, schob sich allmählich die Sonne über den Horizont. Wie immer, wenn ich sie aufgehen sah, dachte ich daran, dass es sich um einen Stern handelte – einen von einer Milliarde Sterne in unserer Galaxis. Die ebenfalls nur eine von Milliarden von Galaxien im Universum war. Dieses kleine Ritual half mir, die Dinge in einem größeren Zusammenhang zu betrachten. Angefangen hatte ich damit, als ich einmal eine Wissenschaftsdoku aus den frühen 80ern gesehen hatte, die Unser Kosmos hieß.
So leise wie möglich schlüpfte ich durch das Fenster hinaus, hielt mich am Rahmen fest und ließ mich über die kalte Verkleidung des Trailers nach unten gleiten. Die Stahlplattform, auf der der Trailer ruhte, war nicht viel größer als dieser selbst, so dass nur ein Vorsprung von einem halben Meter blieb. Ich ließ mich vorsichtig hinab, bis meine Füße Halt fanden, und schloss das Fenster. Dann packte ich das Seil, das ich zur Sicherheit an der Außenverkleidung angebracht hatte, und schob mich seitwärts die Plattform entlang bis zur nächsten Ecke. Von dort aus konnte ich am Gerüst hinunterklettern. Diese Route nahm ich fast immer, wenn ich den Trailer meiner Tante verlassen oder zu ihm hinaufsteigen wollte. An der Seite des Stapels war zwar eine Treppe befestigt, aber sie war wenig vertrauenerweckend und schrammte gegen das Gerüst, wenn man sie betrat, was ziemlich viel Lärm machte. Keine gute Idee. In den Stacks war es am besten, nicht gehört oder gesehen zu werden. Hier waren eine Menge gefährliche und verzweifelte Menschen unterwegs – Leute, die einen erst vergewaltigten, dann ermordeten und schließlich die Organe auf dem Schwarzmarkt verkauften.
Wenn ich das Geflecht aus Stahlträgern hinunterstieg, musste ich immer an alte Videospiele wie Donkey Kong oder BurgerTime denken. Die Idee war mir gekommen, als ich vor ein paar Jahren mein erstes Spiel für den Atari 2600 schrieb (für Jäger ein Initiationsritus wie für Jedi die Konstruktion ihres ersten Lichtschwerts). Es handelte sich um ein Pitfall-Plagiat mit dem Namen The Stacks, in dem man auf dem Weg zur Schule durch ein vertikales Labyrinth aus Trailern steuern, Computerteile einsammeln, sich Essensgutscheine und Powerups schnappen und Methsüchtigen und Pädophilen ausweichen musste. Mein Spiel machte deutlich mehr Spaß als die Realität.
Auf dem Weg nach unten legte ich neben dem Airstream-Trailer drei Einheiten tiefer, in dem Mrs Gilmore wohnte, eine Pause ein. Sie war eine äußerst liebenswerte Dame Mitte siebzig, und sie stand immer total früh auf. Ich warf einen Blick durchs Fenster und sah sie in ihrer Küche herumschlurfen und das Frühstück richten. Als sie mich entdeckte, begannen ihre Augen zu leuchten.
»Wade!«, rief sie und öffnete das Fenster. »Guten Morgen, mein Junge.«
»Guten Morgen, Mrs Gilmore«, erwiderte ich. »Hoffentlich habe ich Sie nicht erschreckt.«
»Ach was!«, sagte sie und zog ihren Morgenmantel fester zu. »Aber da draußen ist es ja eisig! Warum kommst du nicht rein und frühstückst mit mir? Es gibt Sojaschinken. Und dieses Eipulver ist nicht übel, wenn man es ausreichend salzt …«
»Vielen Dank, aber heute kann ich nicht, Mrs Gilmore. Ich muss in die Schule.«
»Na gut. Dann ein andermal.« Sie warf mir eine Kusshand zu und machte sich am Fenster zu schaffen, um es wieder zu schließen. »Pass bloß auf, dass du dir beim Runterkraxeln nicht den Hals brichst, okay, Spider-Man?«
»Aber klar! Bis später, Mrs Gilmore.« Ich winkte ihr zum Abschied zu und setzte meinen Abstieg fort.
Mrs Gilmore war wirklich ein Schatz. Immer wenn ich nicht wusste, wohin, durfte ich mich auf ihrem Sofa breitmachen, was ich aber nicht oft tat, weil ich dort wegen der ganzen Katzen nicht einschlafen konnte. Mrs Gilmore war furchtbar religiös und verbrachte die meiste Zeit in der OASIS, wo sie bei einer der großen Online-Megakirchen die Messe besuchte, Kirchenlieder sang, sich Predigten anhörte und virtuelle Reisen ins Heilige Land unternahm. Einmal habe ich ihre uralte OASIS-Konsole repariert, als sie den Geist aufgegeben hatte, und zum Dank beantwortet sie seitdem meine endlosen Fragen darüber, wie es gewesen war, in den 1980ern aufzuwachsen. Über diese Zeit wusste sie fast alles – auch Sachen, die man nicht aus Büchern oder Filmen erfahren konnte. Außerdem betete sie dauernd für mich. Tat ihr Bestes, um meine Seele zu retten. Ich brachte es einfach nicht übers Herz, ihr zu sagen, dass ich organisierte Religion für kompletten Schwachsinn hielt. Schließlich schadete ihr Glaube ja niemandem, sondern gab ihr Hoffnung und die Kraft weiterzumachen – und hatte damit für sie dieselbe Bedeutung wie die Jagd für mich. Um den Almanach zu zitieren: »Leute, die in Glashäusern wohnen, sollten das Maul halten.«
Als ich die unterste Ebene erreichte, sprang ich die letzten anderthalb Meter vom Gerüst auf den Boden. Meine Gummistiefel knirschten im Schneematsch. Hier unten war es ziemlich dunkel, also holte ich meine Taschenlampe hervor und machte mich durch das Labyrinth auf den Weg nach Osten. Ich tat mein Bestes, nicht gesehen zu werden, und achtete darauf, nicht über Einkaufswagen, Zylinderblöcke oder irgendwelchen anderen Müll zu stolpern, der in den schmalen Gassen zwischen den Stapeln herumlag. Um diese frühe Uhrzeit begegnete ich nur selten jemandem. Die Pendelbusse fuhren nur alle paar Stunden, deshalb warteten die Leute, die einen Job hatten, bereits an der Haltestelle an der Autobahn. Die meisten von ihnen arbeiteten als Tagelöhner in den riesigen Fabrikfarmen am Stadtrand.
Nachdem ich einen knappen Kilometer gelaufen war, kam ich zu einem riesigen Berg alter Autos. Vor Jahrzehnten hatten die Kräne möglichst viele Wracks vom Gelände entfernt, um Platz für noch mehr Stapel zu schaffen, und diese hatten sie ein paar hundert Meter außerhalb der Siedlung zu gewaltigen Hügeln aufgetürmt. Viele davon waren fast so groß wie die Stapel selbst.
Ich ging zum Rand des Hügels, und nachdem ich mich rasch umgeschaut hatte, um mich zu vergewissern, dass mir niemand gefolgt war, schlüpfte ich in einen Spalt zwischen zwei zusammengedrückten Autos. Ich schob mich weiter in den wackeligen Berg aus verbogenem Blech hinein, bis ich eine kleine »Lichtung« hinter einem Lieferwagen erreichte. Nur das hintere Drittel des Wagens war sichtbar, der Rest war unter anderen Fahrzeugen verborgen. Zwei umgestürzte Pick-ups lagen schräg auf seinem Dach. Der größte Teil ihres Gewichts wurde jedoch von den Autos getragen, die rechts und links aufgetürmt waren, wodurch so etwas wie ein Bogengewölbe entstanden war, das den Lieferwagen vor dem Gewicht der Fahrzeugmassen über ihm schützte.
Ich zog eine Kette hervor, die ich um den Hals trug und an der ein einzelner Schlüssel hing. Ein Glücksfall – der Schlüssel hatte noch in der Zündung gesteckt, als ich den Lieferwagen entdeckt hatte. Viele der Fahrzeuge waren noch funktionstüchtig gewesen, als sie aufgegeben worden waren. Die Leute konnten sich das Benzin nicht mehr leisten, also hatten sie ihre Autos einfach irgendwo abgestellt und waren davongegangen.
Ich steckte die Taschenlampe ein und schloss die Hecktüren des Lieferwagens auf. Sie öffneten sich etwa einen halben Meter weit, gerade genug Platz für mich, um hineinzuschlüpfen. Ich zog sie hinter mir zu und schloss wieder ab. Die Hecktüren des Wagens hatten keine Fenster, und so kauerte ich in völliger Finsternis, bis ich das alte Stromkabel ertastete, das ich mit Klebeband an der Decke befestigt hatte. Ich drückte auf einen Schalter, und eine alte Schreibtischlampe erfüllte den winzigen Raum mit Licht.
Die Windschutzscheibe des Lieferwagens war zerbrochen, und das eingedellte grüne Dach eines Kleinwagens steckte in der Öffnung, aber der Ladebereich war unbeschädigt geblieben. Jemand hatte auch die Vordersitze ausgebaut (wahrscheinlich, um sie als Möbel zu benutzen), und so hatte ich jetzt ein kleines »Zimmer«, das etwa zwei Meter breit, anderthalb Meter hoch und drei Meter lang war.
Das war mein Versteck.
Ich war vor vier Jahren bei der Suche nach ausrangierten Computerteilen darauf gestoßen. Als ich zum ersten Mal die Tür öffnete und in den Lieferwagen hineinschaute, war mir sofort klar, dass ich etwas unglaublich Wertvolles gefunden hatte: mein eigenes Zimmer. Niemand wusste etwas davon, also war ich hier sicher vor der Schikane meiner Tante oder der Loser, mit denen sie immer zusammen war. Hier konnte ich meine Sachen aufbewahren, ohne befürchten zu müssen, dass sie gestohlen wurden. Und, was am wichtigsten war, ich konnte mich in aller Ruhe in die OASIS einloggen.
Der Lieferwagen war meine Zuflucht. Meine Bat-Höhle. Meine Festung der Einsamkeit. Hier ging ich zur Schule, machte meine Hausaufgaben, las Bücher, schaute Filme und spielte Videospiele. Außerdem begab ich mich von hier aus auf die Suche nach Hallidays Easter Egg.
Wände, Boden und Decke hatte ich mit Eierkartons und Teppichstücken abgeklebt, um den Lieferwagen so schalldicht wie möglich zu machen. In einer Ecke standen mehrere Kisten mit kaputten Laptops und Computerteilen neben einem Regal mit alten Autobatterien und einem Heimtrainer, den ich zu einem Ladegerät umgebaut hatte. Das einzige Möbelstück war ein Klappstuhl.
Ich ließ meinen Rucksack fallen, streifte meine Jacke ab und sprang auf den Heimtrainer. Ich strampelte, bis an der Anzeige abzulesen war, dass die Batterien voll waren (so bekam ich jeden Tag zumindest ein bisschen Bewegung), setzte mich dann auf meinen Stuhl und schaltete den elektrischen Heizstrahler an, der danebenstand. Ich zog die Handschuhe aus und rieb die Hände vor den Heizdrähten, die allmählich hellorange glühten. Lange konnte ich den Heizstrahler nicht anlassen, er verbrauchte zu viel Strom.
Ich klappte die rattensichere Stahlkassette auf, in der ich mein Essen aufbewahrte, und nahm eine Flasche Wasser und ein Päckchen Milchpulver heraus. In einer Schüssel rührte ich alles zusammen und kippte eine Ladung Fruit Rocks hinein. Nachdem ich mein Frühstück hinuntergeschlungen hatte, holte ich eine alte Star-Trek-Brotdose hervor, die ich unter dem zerdrückten Armaturenbrett des Lieferwagens versteckt hielt. Darin befanden sich meine OASIS-Konsole, die haptischen Handschuhe und die Videobrille, die ich von der Schule erhalten hatte. Das waren bei weitem die wertvollsten Dinge, die ich besaß. Viel zu wertvoll, um sie mit mir herumzutragen.
Ich zog die elastischen Handschuhe an und streckte und dehnte meine Finger. Dann schnappte ich mir die OASIS-Konsole, ein flaches, schwarzes Rechteck von der Größe eines Taschenbuchs. Darin war eine WLAN-Antenne eingebaut, aber der Empfang im Lieferwagen war ziemlich mies, weil er unter einem riesigen Berg zusammengepressten Metalls begraben lag. Deshalb hatte ich mir eine externe Antenne gebastelt und auf der Motorhaube des obersten Wagens auf dem Schrotthaufen montiert. Das Antennenkabel schlängelte sich durch ein Loch in der Decke des Lieferwagens herein. Ich steckte es in einen Port an der Seite der Konsole und setzte die Videobrille auf. Sie schloss sich so dicht um meine Augen wie eine Schwimmbrille und ließ mich in vollkommene Schwärze eintauchen. Kleine Ohrhörer fuhren links und rechts aus der Videobrille aus und stöpselten sich automatisch in meine Ohren. Außerdem waren in die Brille zwei Stereomikrofone eingebaut, die alles aufnahmen, was ich sagte.
Ich schaltete die Konsole ein und startete den Log-in-Vorgang. Es blitzte kurz rot auf, als die Brille meine Netzhaut scannte. Dann räusperte ich mich und sagte, wobei ich jede Silbe sorgfältig betonte: »You have been recruited by the Star League to defend the Frontier against Xur and the Ko-Dan armada.«
Meine Passphrase wurde ebenso bestätigt wie mein Stimmmuster, und damit war ich eingeloggt. Der folgende Text erschien in der Mitte meines virtuellen Displays:
Identifikationsüberprüfung erfolgreich.
Willkommen in der OASIS, Parzival!
Log-in beendet: 07:53:21OST-2.10.2045
Der Text verblasste und wurde durch eine kurze Nachricht ersetzt, die nur aus drei Wörtern bestand. Sie war von Halliday selbst im Log-in-Vorgang verankert worden, als er angefangen hatte, die OASIS zu programmieren, und zwar als Hommage an die direkten Vorfahren der Simulation – die Videospielautomaten seiner Jugend. Diese drei Wörter waren immer das Letzte, was ein OASIS-Nutzer sah, wenn er die reale Welt verließ und die virtuelle betrat:
READY PLAYER ONE
Mein Avatar nahm vor meinem Spind im zweiten Stock der Highschool Gestalt an – genau hier hatte ich gestanden, als ich mich gestern Abend ausgeloggt hatte.
Ich ließ meinen Blick über den Korridor schweifen. Meine virtuelle Umgebung sah fast (wenn auch nicht ganz) real aus. Alles in der OASIS war wunderschön dreidimensional gerendert. Sofern man nicht an der Bildschärfe drehte oder allzu genau hinschaute, konnte man leicht vergessen, dass man sich in einer computergenerierten Welt befand. Und das mit meiner klapprigen Schulkonsole! Wenn man die Simulation mit einem supermodernen Ganzkörperanzug betrat, war es dem Vernehmen nach fast unmöglich, die OASIS von der Wirklichkeit zu unterscheiden.
Ich berührte meinen Spind, und er öffnete sich mit einem leisen, metallischen Klicken. Innen war er nur spärlich ausgeschmückt. Ein Bild von Prinzessin Leia mit einer Blasterpistole. Eine Gruppenaufnahme der Mitglieder von Monty Python in ihren Kokosnuss-Kostümen. Das Time-Cover mit James Halliday. Ich streckte den Arm aus und tippte die Schulbücher an, die sich im obersten Fach stapelten. Sie verschwanden und tauchten in der Inventarliste meines Avatars wieder auf.
Außer den Schulbüchern besaß mein Avatar nicht viel: eine Taschenlampe, ein eisernes Kurzschwert, einen kleinen Bronzeschild und eine Lederrüstung mit Arm- und Beinschienen. Alles nichtmagischen Ursprungs und von schlichter Qualität, aber etwas Besseres konnte ich mir nicht leisten. Gegenstände in der OASIS kosteten genauso viel wie in der Wirklichkeit (manchmal sogar mehr), und man konnte nicht mit Essensgutscheinen bezahlen. Der »Credit« war die Landeswährung der OASIS. Selbst in unseren finsteren Zeiten war sie verhältnismäßig stabil und wurde höher bewertet als Dollar, Pfund, Euro oder Yen.
In der Tür meines Spinds war ein kleiner Spiegel angebracht, und als ich sie schloss, erhaschte ich einen Blick auf meinen Avatar. Gesicht und Körper hatte ich mehr oder minder der Realität nachempfunden. Mein virtuelles Ich hatte eine etwas kleinere Nase, und es war insgesamt größer. Und schlanker. Und muskulöser. Außerdem hatte es keine Akne. Von diesen unbedeutenden Kleinigkeiten einmal abgesehen, glichen wir einander jedoch wie ein Ei dem anderen. Der streng kontrollierte Dresscode der Schule sah vor, dass alle Avatare Menschen und vom gleichen Alter und Geschlecht sein mussten wie ihre Besitzer. Hermaphroditische Dämoneneinhörner mit zwei Köpfen waren nicht erlaubt. Jedenfalls nicht auf dem Schulgelände.
Man konnte seinem Avatar jeden beliebigen Namen geben, solange er einmalig war. Will sagen, man musste sich einen Namen aussuchen, den nicht bereits jemand anderes benutzte. Der Name deines Avatars war gleichzeitig deine E-Mail-Adresse und deine Chat-ID, also sollte er möglichst cool und leicht zu merken sein. Promis blätterten gerüchteweise auch schon mal gewaltige Summen dafür hin, um irgendeinem Cybersquatter einen Namen abzukaufen, den dieser für sich reserviert hatte.
Als ich meinen OASIS-Account einrichtete, taufte ich meinen Avatar »Wade-the-Great«. Danach änderte ich den Namen alle paar Monate, meistens in etwas ähnlich Albernes. Inzwischen hatte mein Avatar jedoch schon seit fünf Jahren denselben Namen. Als die Jagd begann, beschloss ich noch am selben Tag, mich ihr anzuschließen, und benannte meinen Avatar in »Parzival« um, nach dem Ritter aus der Artus-Legende, der den Heiligen Gral gefunden hat.
Die Leute verwendeten online nur selten ihren richtigen Namen. Anonymität war einer der großen Vorteile der OASIS. In der Simulation wusste niemand, wer man wirklich war, außer man gab seine Identität freiwillig preis. Ein Großteil der Popularität und Kultur der OASIS beruhte auf dieser Tatsache. Der richtige Name, der Fingerabdruck und das Netzhautmuster eines Users waren in seinem Account gespeichert, aber Gregarious Simulation Systems behandelte diese Informationen streng vertraulich. Nicht einmal die Angestellten von GSS konnten die wahre Identität eines Avatars herausfinden. Vor einiger Zeit, als Halliday noch an der Konzernspitze stand, hatte GSS in einem bahnbrechenden Verfahren vor dem Obersten Gerichtshof das Recht erstritten, die Identität aller Nutzer geheim zu halten.
Als ich mich das erste Mal bei einer staatlichen Schule in der OASIS eingeschrieben hatte, musste ich meinen wahren Namen, den Namen meines Avatars, meine Postanschrift und meine Sozialversicherungsnummer angeben. Diese Informationen wurden in meinem Schülerprofil gespeichert, waren jedoch nur dem Direktor der Schule zugänglich. Keiner meiner Lehrer oder Mitschüler wusste, wer ich wirklich war, und umgekehrt.
Schülern war es nicht gestattet, in der Schule den Namen ihres Avatars zu verwenden. Damit sollte vermieden werden, dass Lehrer so alberne Dinge sagen mussten wie: »Pimp_Grease, pass bitte besser auf!« oder »BigWang69, komm bitte nach vorne und erzähle uns, was für ein Buch du gelesen hast.« Stattdessen wurde von den Schülern verlangt, ihre echten Vornamen zu verwenden, gefolgt von einer Zahl, um sie von anderen Schülern mit demselben Namen zu unterscheiden. Als ich mich einschrieb, gab es an der Schule bereits zwei andere Schüler mit dem Namen Wade, also wurde mir die Schüler-ID »Wade3« zugeteilt. Dieser Name schwebte über dem Kopf meines Avatars, wann immer ich mich auf dem Schulgelände befand.
Die Schulglocke läutete, und am Rand meines Displays blinkte eine Warnung, dass mir noch vierzig Minuten bis zum Beginn der ersten Unterrichtsstunde blieben. Mit einer Abfolge kleiner Handbewegungen steuerte ich meinen Avatar durch den Korridor. Falls meine Hände einmal anderweitig beschäftigt waren, konnte ich ihm auch Sprachbefehle erteilen.
Ich ging in Richtung des Klassenzimmers, in dem Weltgeschichte unterrichtet wurde, lächelte und winkte mir bekannten Gesichtern zu. In ein paar Monaten würde ich meinen Abschluss machen. Ich wusste jetzt schon, dass ich die Schule vermissen würde. Ich hatte nicht das Geld, um aufs College zu gehen, nicht einmal in der OASIS, und für ein Stipendium waren meine Noten nicht gut genug. Mir würde nichts anderes übrigbleiben, als ein Vollzeitjäger zu werden. Meine einzige Chance, die Stacks zu verlassen, bestand darin, den Wettbewerb zu gewinnen. Andernfalls musste ich einen Fünfjahresvertrag bei irgendeinem Konzern unterschreiben, der mich dann nach Lust und Laune ausbeuten konnte. Und das war ungefähr so verlockend, wie mich nackt in einem Haufen Glassplitter zu wälzen.
Während ich den Korridor entlangschlenderte, nahmen vor den Spinden weitere Schüler Gestalt an, gespenstische Erscheinungen, die sich rasch verfestigten. Das Geplapper von Teenagern hallte alsbald über den Flur. Und es dauerte nicht lange, bis mir die erste Beleidigung zugerufen wurde.
»Hey, hey! Das ist doch Wade3!«, schrie eine Stimme. Ich drehte mich um und sah Todd13 vor mir, einen fiesen Avatar aus dem Matheunterricht. Er stand mit mehreren Freunden zusammen. »Scharfe Klamotten, Alter«, sagte er. »Wo hast du die denn aufgetrieben?«
Mein Avatar trug ein schwarzes T-Shirt und Bluejeans, eine der kostenlosen Voreinstellungen, die man auswählen konnte, wenn man einen Account einrichtete. Todd13 und seine Neandertaler-Kumpels trugen teure Designerklamotten, die sie wahrscheinlich in irgendeinem Offworld-Einkaufszentrum gekauft hatten.
»Hat mir deine Mutter geschenkt«, erwiderte ich, ohne meine Schritte zu verlangsamen. »Richte ihr doch meinen Dank aus, wenn du mal wieder zu Hause bist, um an ihrer Brust zu nuckeln und dein Taschengeld abzuholen.« Kindisch, ich weiß. Aber auch wenn hier alles virtuell war – wir befanden uns auf der Highschool, und je kindischer eine Beleidigung war, umso wirkungsvoller war sie.
Einige der Freunde von Todd13 und die anderen Schüler, die in der Nähe herumstanden, lachten. Todd13 sah mich wütend an, und er wurde sogar rot – ein Zeichen dafür, dass er es versäumt hatte, die Echtzeitgefühlsfunktion seines Accounts zu deaktivieren, die dafür sorgte, dass ein Avatar den Gesichtsausdruck und die Körpersprache des Originals widerspiegelte. Er wollte etwas antworten, aber ich schaltete ihn stumm, so dass ich nicht hören konnte, was er sagte. Ich lächelte nur und ging weiter.
Dass ich meine Mitschüler stummschalten konnte, war wirklich ein tolles Feature der OASIS