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Digitale Medien und Technologie verändern die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen und aufeinander reagieren. Kritik, Empörung und Kontroversen dominieren den gesellschaftlichen Diskurs, und leider sind auch viele Christen Teil dieses Chaos. Das steht in starkem Gegensatz zu den Worten Jesu in Johannes 13,35: »Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt.« Paul David Tripp möchte Gläubigen zeigen, wie sie soziale Medien und Technologie durch die Brille des Evangeliums betrachten und im Lichte dessen, wer Gott ist und was er für uns getan hat, miteinander kommunizieren können. Er erklärt, wie Gottes Wort uns einen praktischen Rahmen für den Umgang der Christen untereinander und mit der Kultur gibt. Auch warnt Tripp vor Versuchungen und Gefahren und ermutigt uns, in unseren Interaktionen mit Bedacht vorzugehen und ein Leuchtfeuer in diesem Zeitalter der destruktiven Reaktivität zu sein. Das Buch eignet sich hervorragend für Pastoren, Eltern und Jugendmitarbeiter sowie für jeden, der soziale Medien nutzt.
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Seitenzahl: 215
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PaulDavidTripp
Wie das Evangelium unseredigitale Kommunikation entgiftet
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über dnb.de abrufbar.
Das Werk ist in allen seinen Teilen urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung in und Verarbeitung durch elektronische Systeme.
TITEL DES ENGLISCHEN ORIGINALS:
Reactivity: How the Gospel Transforms Our Actions and Reactions
© 2022 by Paul David Tripp
Published by Crossway a publishing ministry of Good News Publishers Wheaton, Illinois 60187, U.S.A.
This edition published by arrangement with Crossway.
All rights reserved.
Wenn nicht anders angegeben, wurde folgende Bibelübersetzung verwendet:
Lutherbibel, revidiert 2017, © 2016 Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
© 2024 Verbum Medien gGmbH,
Bad Oeynhausen
verbum-medien.de
ÜBERSETZUNG:
Marion Gebert
LEKTORAT:
Florian Gostner
BUCHGESTALTUNG UND SATZ:
Annika Felder
DRUCK UND BINDUNG:
Finidr
1. Auflage 2024
Best.-Nr. 8652 111
ISBN 978-3-98665-111-4
E-Book 978-3-98665-112-1
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Dem besten Mitarbeiterteam aller Zeiten gewidmet. Ihr seid hingegeben, treu, und klüger als ich. Ich bin gesegnet, weil Gott euch mir über den Weg geschickt hat und weil ich diesen Dienst zusammen mit euch tun darf.
Einleitung
1. Reaktivität
2. Gesunde Kommunikation
3. Sünde
4. Gnade
5. Identität
6. Herrlichkeit
7. Ewigkeit
8. Selbstlosigkeit
9. Grenzen
10. Werte
11. Würde
12. Gegenwart
Ich bin kein ausgebildeter Kulturkritiker oder Analyst für digitale Medien. Ich halte es jedoch für wichtig und hilfreich, alle Dinge, mit denen wir selbst, unsere Gemeinden und die Kultur konfrontiert sind, anhand der Heiligen Schrift und insbesondere durch die Brille des Evangeliums zu betrachten. Es ist immer dieselbe Frage, die mich bei allen Büchern anleitet, die ich geschrieben habe: »Wie sieht diese Sache aus, wenn ich sie aus dem Blickwinkel des Evangeliums betrachte?« Für die meisten Menschen hat das Evangelium mit der Rechtfertigung in der Vergangenheit und unserer Bestimmung in der Zukunft zu tun, was natürlich stimmt. Das Evangelium bietet uns jedoch auch hier und jetzt schon eine neue Sichtweise auf alle Dinge. Es hilft uns, die Welt zu erklären, und zeigt uns, wie wir leben sollen. Die Wahrheiten des Evangeliums, sein Trost und sein Ruf führen zu einer gänzlich neuen Art und Weise, alles zu verstehen und mit allem umzugehen, was uns im Leben passiert. Das Evangelium ist die gnädige Gabe von dem, der versprochen hat, uns alles zu geben, was wir brauchen – nicht nur für das ewige Leben, sondern auch für ein Leben, das Gott ehrt. Das gilt ab dem Tag, an dem er uns als sein Eigentum annimmt, bis zu dem Tag, an dem wir nach Hause gehen, um bei ihm zu sein.
Dabei muss dir bewusst sein, dass die Bibel zwar umfassend, aber nicht erschöpfend ist. Sie teilt uns nicht alles über alle Dinge mit. Wenn deine Bibel jedes Thema erschöpfend behandeln würde, müsstest du sie am Sonntag in fünf Sattelschleppern zur Kirche transportieren. Es gibt vieles, über das die Bibel nichts sagt. Sie ist jedoch umfassend – sie hat nicht zu allem etwas zu sagen, aber sie ist wie eine Brille, durch die du alle Dinge betrachten kannst. Mit diesem Verständnis habe ich dieses Buch geschrieben. Es soll dir helfen, unsere heutige Kultur zu verstehen, insbesondere unsere Gepflogenheiten rund um die sozialen Medien. Der Zweck dieses Buches ist es, die toxische und von Reaktivität geprägte Kultur, der wir vermutlich jeden Tag ausgesetzt sind, durch die Brille des Evangeliums zu sehen. Wenn wir auf diese Weise die vorherrschenden Themen in unserer Gesellschaft betrachten, gewinnen wir Verständnis und Klarheit, wir finden eine Berufung, eine Neuausrichtung und Hoffnung. Ich habe mein bisheriges Leben damit verbracht, die Herrlichkeit, Schönheit und Tiefe des Evangeliums zu ergründen. Auf diese Spur hat mich Gott gesetzt und auf ihr will ich bleiben, bis Gott mich zu sich holt.
Wir leben in einer lärmenden, verwirrenden Welt mit Tausenden Stimmen. In diesem ganzen Getöse ist es schwer, sich selbst denken zu hören. Angesichts der Macht der digitalen Medien ist es fast unmöglich, dieser Kakophonie zu entkommen und genug Ruhe zum Nachdenken und Reflektieren zu finden. Wir tragen ein kleines Gerät in unseren Taschen, das uns täglich mit unzähligen Meinungen zu unzähligen Themen verbindet. Selbsternannte Meinungsmacher sagen uns, was wir denken und wie wir reagieren sollen. Kein Thema, egal wie belanglos oder wie bedeutsam, bleibt davon unberührt. Es scheint, als ob jeder zu allem etwas zu sagen hätte. Das schafft Verwirrung – und Verwirrung ist kein gesunder oder sicherer Zustand.
Wir brauchen dringend etwas, das den Lärm all der Meinungen durchbricht, uns hilft, richtig zu denken und angemessen auf die Dinge zu reagieren, mit denen wir jetzt und künftig konfrontiert sind. Ich liebe es, wie Gott in Sprüche 1 von seiner eigenen Wahrheit spricht:
»Dies sind die Sprüche Salomos, des Sohnes Davids, des Königs von Israel, um zu lernen Weisheit und Zucht und zu verstehen verständige Rede, dass man annehme Zucht, die da klug macht, Gerechtigkeit, Recht und Redlichkeit; dass die Unverständigen klug werden und die Jünglinge vernünftig und besonnen. Wer weise ist, der höre zu und wachse an Weisheit, und wer verständig ist, der lasse sich raten, dass er verstehe Sprüche und Gleichnisse, die Worte der Weisen und ihre Rätsel. Die Furcht des HERRN ist der Anfang der Erkenntnis. Die Toren verachten Weisheit und Zucht.«
SPR 1,1–7
Was sagt Gott über seine Wahrheit und darüber, was sie für uns bedeutet? Erstens möchte er, dass wir wissen, dass seine Wahrheit in unserem realen Leben praktisch umzusetzen ist. Sie soll sich auf unseren Alltag auswirken und ihn prägen (»dass man annehme Zucht, die da klug macht«; »Wer weise ist, der höre zu und wachse an Weisheit«). Gott möchte dir bewusst machen, dass seine Wahrheit einen moralischen Rahmen vorgibt, anhand dessen du alles beurteilen kannst (»Gerechtigkeit, Recht und Redlichkeit«). Er möchte, dass du weißt, dass seine Wahrheit den Bedürfnissen aller Menschen entspricht (»dass die Unverständigen klug werden und die Jünglinge vernünftig und besonnen«). Abschließend möchte er, dass du weißt, dass sein Wort dir hilft, Geheimnisse zu verstehen, die dir sonst verborgen blieben (»dass er verstehe Sprüche und Gleichnisse, die Worte der Weisen und ihre Rätsel«). Genau dabei soll dir die Brille des Evangeliums helfen, wenn du dich den Problemen stellst, die dich täglich bedrängen.
Dieses Buch ist keine umfassende wissenschaftliche oder soziologische Untersuchung aktueller kultureller Ereignisse. Es soll uns vielmehr dazu bewegen, unsere Evangeliums-Brille aufzusetzen und einen Blick auf den Charakter und den Ton unserer Gespräche und vor allem unserer Interaktionen auf den Online-Plattformen zu werfen, auf denen wir täglich unterwegs sind. Wenn wir den Inhalt und die Art und Weise unserer Kommunikation anhand des Evangeliums prüfen, werden wir hoffentlich nicht nur besser informiert sein, sondern auch überführt und grundlegend verändert werden. Als Gemeinschaft, die vom Evangelium geprägt ist, können wir die fast allgegenwärtige toxische Kultur überwinden und wie eine Stadt auf dem Berg in einer beklagenswerten, verfinsterten Welt leuchten.
Meinen ersten Tweet postete ich im Februar 2009. Ich hatte den Aufstieg des Internets und die rasante Entwicklung dessen, was wir heute soziale Medien nennen, beobachtet. Dabei wurde mir klar, dass die Art und Weise, wie Menschen miteinander in Beziehung treten und kommunizieren, eine gewaltige Veränderung erfahren würde. Ich dachte, dass diese neuen, internetbasierten Medien mächtige Werkzeuge zur Verbreitung des Evangeliums von Jesus Christus sein könnten. Ich beschloss, nur Aussagen aus dem Evangelium zu posten (außer auf meiner persönlichen Instagram-Seite). Über dreizehntausend Tweets später stehe ich immer noch jeden Morgen auf, setze mich ins Wohnzimmer und teile drei Gedanken zum Evangelium auf X (ehemals Twitter). Ich werde das so lange tun, wie ich kann, denn ohne aus meinem Sessel aufzustehen, kann ich Menschen auf der ganzen Welt mit den großartigen Wahrheiten über die Person und das Werk Jesu Christi erreichen und ihnen helfen, diese Wahrheiten in ihrem Alltag anzuwenden. Millionen Menschen sind von meinem Sessel in diesem kleinen Raum in Philadelphia aus mit dem Evangelium in Kontakt gekommen. Welch unglaublich mächtige Werkzeuge sind uns damit in die Hände gelegt worden!
Es gibt jedoch ein Problem mit Werkzeugen. Der Hammer, mit dessen Hilfe man ein Haus baut, kann auch verwendet werden, um bei einem Raubüberfall ein Fenster einzuschlagen. Der Schraubenzieher, mit dem man etwas Nützliches zusammenbaut, kann auch benutzt werden, um jemanden in einem Wutanfall zu erstechen. So ist es auch mit den sozialen Medien. Das X von heute ist nicht das Twitter von 2009. Ich bin immer wieder schockiert über die Dunkelheit, die heute dort herrscht. Ein großer Teil dieser Finsternis zeigt sich darin, wie die Menschen hinter der schützenden Hülle eines weit vom Gegenüber entfernten Bildschirms miteinander kommunizieren. Obwohl ich nie etwas anderes poste als Gedanken zum Evangelium und dazu aufrufe, sie in unserem Alltag anzuwenden, erhalte ich die hässlichsten Reaktionen, die oft meinen Glauben, meinen Charakter und meine Motive verleumden. Mir wurde gesagt, dass ich ein Marxist sei, dass ich das Evangelium aufgegeben hätte und sogar, dass ich kein Christ mehr sei.
Bei den respektlosen Äußerungen über mich wird oft deutlich, dass die Leute nicht den ganzen Beitrag gelesen haben. Sie haben nur auf eine Überschrift oder einen einleitenden Satz reagiert. Es handelt sich um eine Blitzreaktion, die leider allzu normal geworden ist. Es wird einfach schnell etwas gepostet, und so ist die Kommunikation anklagend, lieblos und verletzend – und der Inhalt selten hilfreich. Ich versuche mein Bestes, um die Dinge Gottes demütig zu begreifen. Ich glaube nicht, dass ich keine Korrektur nötig habe und weiß, dass ich noch Vieles lernen muss. Ich bin zutiefst davon überzeugt, dass der Leib Christi bei der Heiligung eine entscheidende Rolle spielt. Ich bin überzeugt, dass mein Glaube und die ihn beschreibende Theologie Gemeinschaftsprojekte sind. Ich betrachte liebevolle Korrektur als eine Gnade. Eine Kommunikation, die von Verachtung und Abscheu geprägt ist, hilft hingegen niemandem. Respektlose Reaktionen bewirken selten Gutes beim Empfänger. Ein solches reaktionäres Verhalten entehrt nicht nur den Empfänger, sondern auch Gott. Wie kann es einem nicht das Herz brechen, wenn man die hässlichen, abweisenden, respektlosen und anklagenden Antworten auf Beiträge weiser und gottesfürchtiger Männer und Frauen liest?
Die Plattform, die ich einmal als ein wunderbares, mächtiges Werkzeug zur Verbreitung des Evangeliums gesehen habe, ist jetzt eine Kloake – ein finsterer und missbräuchlicher Ort. Es gibt sogar einen neuen Begriff, um diese Dunkelheit zu beschreiben. Eine Person, die wohlwollende Menschen mit beleidigenden Antworten angreift, wird in den sozialen Medien als »Troll« bezeichnet. Leider gibt es da draußen eine ganze Menge Trolle. Diese reaktionäre Dunkelheit ist so groß, dass meine befreundeten Kollegen oft das Bedürfnis haben, eine Twitter-Pause einzulegen und eine Zeit lang diese Dunkelheit zu meiden. Reaktionen ohne Weisheit oder jene, die nicht von Liebe geprägt sind, bringen niemals etwas Gottgefälliges und Gutes hervor. Dasselbe gilt für Reaktionen ohne Respekt oder solche, die nicht durch eine ehrliche Selbstprüfung gemildert werden; Reaktionen, die eher verurteilend als korrigierend sind; Reaktionen, die von Stolz und nicht von Demut geprägt sind; Reaktionen, die mehr von Emotionen als von wohlüberlegtem Nachdenken angetrieben werden.
Leider ist diese Kultur, die von Reaktivität geprägt ist, auch nicht auf die sozialen Medien beschränkt. Betrachten wir einmal unsere aktuelle politische Kultur. Ich habe den Eindruck, dass die Tage des durchdachten, respektvollen zivilen Diskurses vorbei sind. Der kooperative, von Würde und Respekt getragene Geist, der für das Funktionieren von Politik und Regierung notwendig ist, scheint entweder tot zu sein oder in den letzten Zügen zu liegen. Politiker scheinen besser darin zu sein, einander zu beschimpfen, als sich auf eine würdevolle und produktive Debatte einzulassen. Es ist nicht einfach für die Volksvertreter, die Arbeit zu erledigen, die sie im Namen der Bürger tun sollten, während sich politische Parteien gegenseitig beschimpfen. Wenn es in der Politik und in der Regierungsarbeit auf den Charakter ankommt, dann sollte uns das Vorherrschen dieser hässlichen Kommunikation traurig und besorgt stimmen.
Was jedoch den Anstoß zum Schreiben dieses Buches gegeben hat, ist die Tatsache, dass es diese Kultur der Reaktivität auch in einem anderen wichtigen Bereich gibt. Traurigerweise hat diese destruktive und dysfunktionale Kommunikationskultur auch bereits die Kirche infiziert und beschmutzt. Als Jesus seine Jünger bei seinem Abschied liebevoll unterwies, um sie auf ein Leben im Glauben nach seiner Himmelfahrt vorzubereiten, sagte er: »Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid, wenn ihr Liebe untereinander habt« (Joh 13,35). Lass diese Worte auf dich wirken. Jesus sagt, dass das Kennzeichen eines Jüngers und das wichtigste Indiz dafür, dass du Gnade erfahren hast, gerettet und verwandelt wurdest, nicht deine theologische Kompetenz ist. Es ist auch nicht deine Schlagfertigkeit, deine Fähigkeit, einen Streit zu gewinnen, dein Erfolg im Dienst, die Zahl deiner Follower, deine Expertise, um viele Klicks zu bekommen, deine Fähigkeit, jemanden in die Schranken zu weisen oder deine kommunikative Stärke. Nein, es ist nur eines: Liebe.
Die Liebe zu anderen Menschen ist uns nicht in die Wiege gelegt. Aufgrund unserer sündigen Selbstzentriertheit ist demütige und menschenfreundliche Liebe, die Gott Ehre macht, immer das Ergebnis göttlichen Eingreifens. Wie Johannes sagt, sind wir nur deshalb überhaupt in der Lage, einander zu lieben, weil wir zuerst von Gott geliebt worden sind (vgl. 1 Joh 4,19). Er geht sogar so weit, zu sagen: »Ihr Lieben, lasst uns einander lieb haben; denn die Liebe ist von Gott, und wer liebt, der ist aus Gott geboren und kennt Gott. Wer nicht liebt, der kennt Gott nicht; denn Gott ist Liebe« (1 Joh 4,7–8).
Da Gott Liebe ist, sollte jeder, der Gott kennt und Gemeinschaft mit ihm hat, ein Leben führen, das von Liebe geprägt ist. Halte einen Moment inne, lege dieses Buch weg, hole deine Bibel und lies 1. Johannes 4. Das Argument, das Johannes hier als zentrale Motivation für jedes Gotteskind anführt, anderen mit Liebe zu begegnen, könnte nicht deutlicher sein. Besitzt du dieses zentrale Kennzeichen als Jünger? Ist alles, was du sagst, von Liebe geprägt? Ist jede deiner Reaktionen von ihr bestimmt? Ist dies deine hervorstechende Charaktereigenschaft? Machst du deinen Standpunkt deutlich, aber in Liebe? Oder reagierst du, ohne dir die nötige Zeit zu nehmen, es liebevoll zu tun? Bist du eher geneigt, eine schlagfertige Abfuhr zu erteilen als demütig, geduldig, sanft und liebevoll zu antworten? Viele von uns reagieren auf eine Art und Weise, die weit unter dem Standard liegt, der uns in 1. Johannes 4 gegeben wird.
Viele der boshaften Reaktionen auf X, die ich vorhin erwähnte, passierten leider unter Christen. Täglich lese ich Antworten von Christen auf Beiträge, die ohne Liebe sind: harte, verletzende, selbstverherrlichende Dolchstöße, die anderen versetzt werden, ohne Rücksicht darauf zu nehmen, ob sie dem Autor, dem Leser und dem Ruf des Volkes Gottes Schaden zufügen. Ich möchte aber noch einmal betonen, dass dieser Mangel an Liebe nicht nur in den sozialen Medien zu beobachten ist. Wir erleben ihn auch täglich in den Reaktionen im Leib Christi.
Ich betreue einige junge Männer, die im pastoralen Dienst stehen, und treffe mich regelmäßig mit ihnen. Das ist vermutlich die wichtigste Arbeit, die ich im Moment mache. Jedes Mal, wenn ich mich mit einem von ihnen treffe, fühle ich mich geehrt. Dass Gott mich für diesen Dienst gebrauchen möchte und dass ich diesen Männern überhaupt etwas zu bieten habe, spricht für die Macht von Gottes eingreifender und verwandelnder Gnade. In meinen Gesprächen mit diesen wunderbaren Männern habe ich zahlreiche Geschichten über die hässlichen und respektlosen Reaktionen gehört, die sie von Menschen erhalten haben, die sie lieben und denen sie dienen. Was mich am meisten schockiert, beunruhigt und traurig macht, ist jedoch, dass viele dieser lieblosen Reaktionen in Gestalt einer SMS erfolgten, die während der Predigt eines Pastors geschrieben wurde. Denk einmal darüber nach. Die Person war nicht einmal bereit, ihre Reaktion durch den Rest der Predigt abzumildern. Der Schreiber hat sich nicht die Zeit genommen, darüber nachzudenken, wie es für den Pastor sein würde, diese Textnachricht zu lesen, kurz nachdem er in der Predigt sein Herz ausgeschüttet hat.
Ein Pastor nach dem anderen hat mir von seiner Angst vor den E-Mails am Montagmorgen erzählt, in denen allzu oft seine Motive, seine Theologie oder sein Charakter infrage gestellt werden, weil er etwas in einer Predigt gesagt, eine Ankündigung gemacht, ein Gespräch im Flur geführt oder etwas anderes während oder nach dem Gottesdienst getan (oder nicht getan) hat. Ein Pastor sagte zu mir: »Der Montag ist der härteste Tag für mich, nicht nur, weil der Sonntag emotional und körperlich anstrengend ist, sondern wegen der E-Mails und SMS, die ich von den Menschen bekomme, die ich liebe und denen ich diene.« Immer, wenn ich einen Pastor so etwas sagen höre, höre ich im Hintergrund die Worte Jesu: »Daran wird jedermann erkennen, dass ihr meine Jünger seid.« Natürlich ist jeder Pastor ein Mensch, der selbst noch im Prozess der Heiligung steht und nicht perfekt ist. Natürlich wird jeder Pastor irgendwann einmal falsche Dinge sagen und tun. Natürlich hat jeder junge Pastor Bereiche in seinem Herzen, seiner Kommunikation, seinem Charakter und seinem Verhalten, in denen er noch reifen muss. Und natürlich ist jeder Pastor ein Glied des Leibes Christi und braucht – wie jeder andere auch – den Dienst dieses Leibes, um zu wachsen. Trotzdem sollte es keine reaktionären, respektlosen, verurteilenden und verletzenden Reaktionen auf ihn und seinen Dienst geben.
Ich fürchte, diese destruktive Kultur ist auch in unseren Familien anzutreffen, wo unsere Reaktionen aufeinander oft mehr von aufgewühlten Emotionen als von demütiger, vergebender und geduldiger Liebe geprägt sind. Sogar hier sind Irritationen, Ärger, Verletzungen und Ungeduld weitaus häufiger der Auslöser für unsere Reaktionen aufeinander, als wir zugeben wollen. Seien wir ehrlich: Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Kommunikation zwischen Eheleuten eher reaktiv als konstruktiv ist. Diesen Reaktionen mangelt es an biblischer Besonnenheit. Sie sind mehr von Emotionen als von Nachdenken geprägt. Das Gleiche gilt für den Bereich der Erziehung. Es ist so einfach, als Eltern emotional auf eine Art und Weise zu reagieren, die nicht förderlich ist und nicht den wichtigen Bemühungen um Herzensveränderung dient, die unsere Kinder brauchen.
Das ist das Anliegen dieses Buches. Reaktivität ist nicht neu. Man kann sie bis in den Garten Eden zurückverfolgen. Neu ist, dass diese Art zu reagieren immer normaler geworden ist. Ich fürchte, wir haben uns daran gewöhnt, was aus den sozialen Medien geworden ist. Wir haben verunglimpfende Bemerkungen in unserem politischen Diskurs oft passiv hingenommen. Pastoren haben sich an die Attacken gewöhnt, denen sie regelmäßig ausgesetzt sind, wenn Gemeindeglieder sie und ihren Dienst kommentieren. Wir wären beschämt, wenn viele unserer Gespräche als Familie in der Öffentlichkeit wiedergegeben werden würden. Wir können und dürfen nicht zulassen, dass eine Kultur der Reaktivität, die mehr Schaden anrichtet, als Gnade schenkt, zum Normalfall wird.
Ich brauche dich und du brauchst mich, aber wenn wir einander weiter bekämpfen, werden wir früher oder später aufhören, miteinander zu reden. Diese Entgleisung der Kommunikation und ihre Auswirkungen auf die Beziehungen, von denen die Bibel sagt, dass sie für Gottes fortwährendes Werk der Rettung und Verwandlung wesentlich sind, sind nicht in Ordnung.
Durch die Kraft von Gottes erstaunlicher Gnade ist Veränderung möglich. Ich möchte zunächst Dinge in unserem Umgang miteinander benennen, die wir nicht als normal ansehen dürfen. Im weiteren Verlauf des Buches möchte ich dann einen besseren Weg vorschlagen. Was ich empfehlen werde, ist nicht neu, denn es hat seine Wurzeln in der alten Weisheit des Wortes Gottes und in seinem zentralen Thema, dem Evangelium von Jesus Christus.
Gott hat deutlich gemacht, dass die Norm, an der sich seine Kinder ausrichten sollen, die Liebe ist. Daran sollte uns die Welt, die uns hört und sieht, erkennen. Wir sollten uns nicht nur durch die Reinheit unserer Lehre, sondern auch durch beständige Liebe auszeichnen. Diese Liebe ist das neue Gebot, das Jesus seinen Jüngern in den letzten Tagen seines Wirkens hinterlassen hat: »Ein neues Gebot gebe ich euch, dass ihr euch untereinander liebt, wie ich euch geliebt habe, damit auch ihr einander lieb habt« (Joh 13,34). Der Maßstab für unser Verhalten gegenüber anderen besteht nicht nur in einer Kultur der Nettigkeit oder in menschlicher Liebe. Der Maßstab ist nichts Geringeres als die großzügige, opferbereite, reine, vergebende und treue Liebe, die Gott in der Person seines Sohnes so gnädig über uns ausgegossen hat.
Ich spreche hier über mich selbst: Diese Liebe ist mir nicht angeboren. Wenn ich das leben möchte, was Gott als Norm für seine Kinder festgelegt hat, dann muss ich als Erstes bekennen, wie fremd mir diese Art von Liebe ist, und mich nach seiner rettenden und verwandelnden Gnade ausstrecken. Ich muss nicht in erster Linie von den Menschen um mich herum befreit werden, die nicht liebenswert sind, und stattdessen in eine Gemeinschaft von netteren Menschen versetzt werden. Nein, ich muss vor mir selbst gerettet werden, denn bis unser Herr wiederkommt, werde ich ein unvollkommener Mensch bleiben, der in einer gefallenen Welt mit lauter unvollkommenen Menschen lebt und zu ihnen in Beziehung steht. In der Welt, die ich hier beschreibe, ist das Leben in Übereinstimmung mit Gottes Norm immer nur durch das mächtige Wirken seiner Gnade möglich.
Weil Gott uns so klar dazu aufgerufen hat, einander zu lieben, und weil er versprochen hat, uns durch seine Gnade dazu zu befähigen, gibt es Dinge in unserem alltäglichen Umgang, die wir nicht als normal ansehen dürfen.
1. Die Normalisierung von emotional getriebenen Reaktionen
Als unvollkommene Menschen, die mitten im Prozess der Heiligung stehen, sind wir Emotionen ausgesetzt, die uns motivieren und antreiben. Manchmal sind es Verletzungen, manchmal Angst, manchmal Irritation, manchmal Wut. Wenn du dich von diesen Gefühlen leiten lässt, wirst du Dinge tun und sagen, die du nicht tun oder sagen solltest. Wenn du also so reagieren willst, wie Gott es von dir möchte, dann musst du lernen, Nein zu sagen. Damit meine ich nicht das Nein gegenüber anderen Menschen in Form einer Cancel Culture. Du sollst vielmehr Nein zu dir selbst sagen. Sage Nein zu dem, wohin der spontane Zorn dich führt, Nein zu dem, wohin die Angst dich führen könnte, und Nein zu dem Schmerz, der dich oft dazu bringt, andere zu verletzen. Wie schaffst du das? Gott wusste, dass dein Kampf mit deiner innewohnenden Sünde zwischen dem »schon jetzt« unserer Wiedergeburt und dem »noch nicht« unserer Vollendung so groß sein würde, dass er mehr tat, als dir nur Vergebung zu versprechen. Gott ist durch seinen Geist in dich hineingekommen. Der Geist, der in dir lebt, segnet dich mit der Kraft, Nein zu sagen, wohin dich rasende Emotionen führen könnten, und umzukehren und in eine andere, gemäßigtere und liebevollere Richtung zu gehen. Was für dich unmöglich wäre, wird durch die Gegenwart und die Kraft des Geistes möglich, und das ist wunderbar und ermutigend.
2. Die Normalisierung von wutgesteuerten Reaktionen
Obwohl ich oben bereits die Wut erwähnt habe, möchte ich noch einmal gesondert auf sie eingehen. Man muss kein besonders guter Beobachter sein, um festzustellen, dass wir in einer Wutkultur leben. Empörung jeder Art, die sich gegen andere richtet, die in irgendeiner Weise Anstoß erregt haben und nun dafür bezahlen sollen, begegnet uns tagtäglich. Das Ausmaß an reizbarer Intoleranz selbst gegenüber kleinen Schwächen, Fehlern oder Verfehlungen sollte uns alle beunruhigen. Wir sind sauer, und nun sollen das auch alle wissen. Sei sehr vorsichtig mit dem, was du postest oder sagst, denn es gibt viele wütende Leser und Zuhörer, die auf Rache aus sind.
Wenn ich über diesen ganzen Ärger und Zorn nachdenke, fallen mir immer wieder die Worte von Jakobus ein: »Ihr sollt wissen: Ein jeder Mensch sei schnell zum Hören, langsam zum Reden, langsam zum Zorn. Denn des Menschen Zorn tut nicht, was vor Gott recht ist« (Jak 1,19–20). Mögen wir als diejenigen bekannt sein, die bereit sind, zuzuhören, mit Bedacht reden und nicht zu zornigen Schnellschüssen neigen.
3. Die Normalisierung von respektlosen Reaktionen
Das Ausmaß an Gehässigkeit, Geringschätzung und regelrechter Verhöhnung, das auf X (und anderen Plattformen) innerhalb der christlichen Gemeinschaft herrscht, ist unglaublich und erschütternd. Theologisch korrekt zu sein, gibt einem nicht das Recht, gemein zu sein. Wenn man eine biblische Wahrheit verteidigt, ist es nicht in Ordnung, die Person, mit der man uneins ist, zu verspotten. Für seine Überzeugungen einzutreten, gibt einem nicht das Recht, das Denken und die Integrität der Person infrage zu stellen, die eine andere Position vertritt. Richtig verstandene und gelebte Theologie führt niemals zu Gemeinheit, Frauenfeindlichkeit, Respektlosigkeit, Spott oder Bosheit jeglicher Art. Sie bewirkt genau das Gegenteil.
Wir sollten auf Paulus hören, der sagt: Wenn die Wahrheit, die du glaubst und verstehst, keine Liebe hervorbringt, dann verstehst du sie vielleicht nicht wirklich. »Das Ziel der Unterweisung aber ist Liebe aus reinem Herzen und aus gutem Gewissen und aus ungeheucheltem Glauben. Davon sind einige abgeirrt und haben sich hingewandt zu unnützem Geschwätz, wollen das Gesetz lehren und verstehen selber nicht, was sie sagen oder was sie so fest behaupten« (1 Tim 1,5–7).
Das sind klare und aufrüttelnde Worte. Bitten wir um Gnade, sodass wir Wahrheit und Liebe immer zusammenhalten und niemals das eine um des anderen willen aufgeben.
4. Die Normalisierung von selbstgerechten Reaktionen
Demut verändert radikal die Art und Weise, wie du auf die Sünde, die Schwäche, das Versagen, die Unreife, den Irrtum oder den Widerstand anderer antwortest. Wenn du dir eingestehst, wie sehr auch du dich irren kannst, wie unbesonnen und hochmütig du sein kannst und wie schwer es dir fällt, geduldig zu sein, dann wirst du andere nicht so leicht attackieren. Und wenn du mehr weißt, tiefer verstehst und biblischer zu denken gelernt hast – dann nur durch das Eingreifen der göttlichen Gnade.