Rechtliche Grundlagen Sozialer Arbeit - Johannes Falterbaum - E-Book

Rechtliche Grundlagen Sozialer Arbeit E-Book

Johannes Falterbaum

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Beschreibung

Das Lehrbuch vermittelt in leicht verständlicher Weise die rechtlichen Rahmenbedingungen Sozialer Arbeit. Ausgehend von der Bedeutung der Grundrechte werden u.a. das komplexe System der sozialen Sicherung inklusive Bürgergeld, Möglichkeiten der Rechtsdurchsetzung, Besonderheiten freier Träger, Neuerungen der rechtlichen Betreuung und die Jugendhilfe behandelt. Auch auf speziellere Rechtsfragen wie Aufsichtspflichten, Verwaltungsverfahren, Ermessensentscheidungen, Datenschutz und Leistungsvereinbarungen wird eingegangen. Zahlreiche Schaubilder und Verweise im Text erleichtern das Verständnis der Zusammenhänge. Übungsfälle ermöglichen die Wiederholung und Vertiefung. Die Darstellung beschränkt sich bewusst auf zentrale Themen, die sich aus der Praxis ergeben. Dadurch wird deutlich, wie Recht für die Interessen Sozialer Arbeit nutzbar gemacht und Handlungskompetenz gesteigert werden können.

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Inhalt

Cover

Titelei

Vorwort zur 6. Auflage

I Einführung

1 Spannungsverhältnis Recht und Soziale Arbeit

2 Recht als Rahmenbedingung und Grundlage Sozialer Arbeit

3 Recht und Demokratie

4 Definition von Recht

4.1 Geltungsbereiche

4.2 Inhaltliche Unterscheidung

4.3 Objektives/subjektives Recht

4.4 Formelles/materielles Recht

5 Öffentliche Verwaltung

6 Ethische Wertvorstellungen

II Allgemeine Grundsätze

1 Rechtsanwendung

1.1 Anspruchsgrundlagen

1.2 Vertragsauslegung

1.3 Anwendung von Gesetzen (Subsumtion)

2 Verfassungsrechtliche Grundlagen

2.1 Menschenrechte/Grundrechte

2.2 Funktionen der Grundrechte

2.3 Aktuelle Bezugspunkte/Unzulänglichkeiten

2.4 Sonderrechtsverhältnisse

3 Verfassungsprinzipien

3.1 Rechtsstaatsprinzip

3.2 Bindung an das Gesetz

3.3 Gleichbehandlungsgrundsatz

3.4 Weltanschauliche Neutralität

3.5 Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

3.6 Sozialstaatsprinzip

3.7 Subsidiaritätsprinzip

4 Abgrenzung öffentliches Recht und Privatrecht

4.1 Öffentliches Recht

4.2 Privatrecht/Zivilrecht

4.3 Überschneidungen beider Bereiche

4.4 Tendenzen

4.5 Beispiel Heimrecht

III Rechtsfähigkeit, Handlungsfähigkeit, gesetzliche Vertretung, juristische Personen

1 Rechtsfähigkeit

2 Geschäftsfähigkeit

3 Deliktfähigkeit und Haftung

4 Gesetzliche Vertretung

4.1 Minderjähriger

4.2 Volljähriger

5 Juristische Personen

5.1 BGB-Gesellschaft

5.2 Verein

5.3 Rechtsfähiger Verein

5.4 Andere Rechtsträger

IV Familienrecht

1 Verfassungsrechtliche Grundlagen

2 Eherecht

2.1 Rechtsfolgen der Ehe

2.2 Eheliche Güterstände

2.3 Ehescheidung

3 Eingetragene Lebenspartnerschaften

4 Andere Lebensgemeinschaften

4.1 Besondere Bedeutung individueller Vereinbarungen

4.2 Eheähnliche Gemeinschaften

5 Elterliche Sorge

5.1 Rechte und Pflichten der Eltern

5.2 Sorgeerklärung/Übertragung der elterlichen Sorge

5.3 Rechte und Pflichten anderer Personen

5.4 Gefährdung des Kindeswohls

6 Umgangsrecht

7 Unterhaltsrecht

7.1 Familienunterhalt

7.2 Ehegattenunterhalt

7.3 Verwandtenunterhalt

7.4 Bedürftigkeit und Leistungsfähigkeit

7.5 Reihenfolge der Unterhaltsverpflichteten und Unterhaltsberechtigten

7.6 Höhe des Unterhaltsanspruchs

7.7 Durchsetzung von Unterhaltsansprüchen

7.8 Verhältnis zu öffentlich-rechtlichen Sozialleistungen

V Verwaltungshandeln

1 Einheitlichkeit der Regelungen

2 Freie und gebundene Verwaltung

2.1 Überblick

2.2 Unbestimmte Rechtsbegriffe

2.3 Beurteilungsspielraum

2.4 Ermessensspielraum

3 Der Verwaltungsakt

3.1 Verwaltungsakt und öffentlich-rechtlicher Vertrag

3.2 Definition Verwaltungsakt

3.3 Nebenbestimmungen

3.4 Inhalt und Form des Verwaltungsaktes

3.5 Rechtsbehelfsbelehrung

3.6 Fehlerhafte Verwaltungsakte

3.7 Rücknahme, Widerruf und Aufhebung eines Verwaltungsaktes

4 Verwaltungsvorschriften

VI Soziale Sicherung

1 Überblick

2 Private Absicherung

3 Gesetzliche Sozialversicherungen

3.1 Krankenversicherung

3.2 Pflegeversicherung

3.3 Rentenversicherung

3.4 Arbeitslosenversicherung

3.5 Unfallversicherung

4 Regelnde Funktion des Staates

4.1 Wohlfahrtsverbände

4.2 Notwendigkeit einheitlicher Strukturen

4.3 Das Sozialgesetzbuch

5 Leistungen für Menschen mit Behinderung

5.1 Bedeutung des SGB IX

5.2 Eingliederungshilfe für behinderte Menschen

6 Familienbezogene Leistungen und Regelungen

6.1 Mutterschutz

6.2 Kindergeld/Kinderzuschlag

6.3 Elterngeld und Elternzeit

6.4 Unterhaltsvorschuss

7 Wohngeld

8 Soziales Entschädigungsrecht (SGB XIV)

9 Staatliche Fürsorgeleistungen/ Existenzsicherung

9.1 Bürgergeld – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II)

9.2 Sozialhilfe (SGB XII)

10 Leistungsträger

VII Kinder- und Jugendhilfe

1 Allgemeine Grundsätze

1.1 Elterliche Sorge und öffentliche Jugendhilfe

1.2 Selbstverständnis der Kinder- und Jugendhilfe

1.3 Wächteramt/Schutzauftrag bei Kindeswohlgefährdung

1.4 Rechte der Kinder und Jugendlichen

1.5 Trägervielfalt

1.6 Wunsch- und Wahlrecht

2 Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe

2.1 Förderung der Erziehung in der Familie

2.2 Tageseinrichtungen und Tagespflege

2.3 Hilfe zur Erziehung

2.4 Hilfeplanverfahren

2.5 Einzelne Hilfen zur Erziehung

2.6 Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung

3 »Andere Aufgaben« der Jugendhilfe

3.1 Inobhutnahme

3.2 Mitwirkung in gerichtlichen Verfahren

VIII Rechtsstellung und Bedeutung freier Träger

1 Rechtsstellung

2 Unterschiedlichkeit der freien Träger – Rechtsformen

3 Das sozialrechtliche Dreiecksverhältnis

4 Finanzierung

4.1 Möglichkeiten

4.2 Öffentliche Mittel

IX Aufbau und Funktionsweise des Staates

1 Zuständigkeit für Gesetzgebung

1.1 Zuständigkeit des Bundes

1.2 Zuständigkeit der Länder

1.3 Zuständigkeit der Städte und Gemeinden

1.4 Europäisches Recht

2 Zuständigkeit für die Ausführung der Gesetze

2.1 Gemeinsame Verwaltungsbehörden

2.2 Dienst-‍, Fach- und Rechtsaufsicht

3 Mittelbare und unmittelbare Staatsverwaltung

3.1 Unmittelbare Staatsverwaltung

3.2 Mittelbare Staatsverwaltung

3.3 Körperschaften des öffentlichen Rechts

3.4 Anstalten des öffentlichen Rechts

3.5 Stiftungen des öffentlichen Rechts

3.6 Erfüllung staatlicher Aufgaben durch juristische Personen des Privatrechts

4 Kommunale Selbstverwaltung

4.1 Verfassungsrechtliche Eigenständigkeit der Städte und Gemeinden

4.2 Eigener und übertragener Wirkungskreis

4.3 Organe der kommunalen Selbstverwaltung

4.4 Kommunalverbände

4.5 Interne Organisationsstrukturen

5 Neue Steuerungsmodelle

X Rechtsverwirklichung

1 Das sozialrechtliche Verwaltungsverfahren

1.1 Allgemeine Grundsätze

1.2 Untersuchungsgrundsatz

1.3 Mitwirkungspflichten des Sozialleistungsberechtigten

2 Rechtsschutzmöglichkeiten

2.1 Formlose Rechtsbehelfe

2.2 Petitionen, Bürgerbegehren, Volksentscheid

2.3 Förmliche Rechtsbehelfe

3 Widerspruch

3.1 Rechtsbehelfsbelehrung

3.2 Bedeutung des Widerspruchsverfahrens

3.3 Aufschiebende Wirkung

4 Gerichtsverfahren

4.1 Zuständigkeiten

4.2 Einstweiliger Rechtsschutz (Eilverfahren)

4.3 Kosten/Beratungs- und Prozesskostenhilfe

5 Unzulänglichkeiten bei der Rechtsverwirklichung

5.1 Kostenrisiko

5.2 Fehlende Eigeninitiative

5.3 Vertrauen in die Verwaltung

5.4 Beispiel Verfahrensbeistand/Verfahrenspflegschaft

5.5 Pfändungsschutz

6 Sozial- und Rechtsberatung

6.1 Pflichten öffentlicher Stellen

6.2 Beratung durch freie Träger

6.3 Erlaubte Rechtsdienstleistungen in fremden Angelegenheiten

7 Das »doppelte Mandat« des Sozialpädagogen/Sozialarbeiters

XI Datenschutz in der Sozialen Arbeit

1 Überblick

1.1 Eigener Rechtsbereich

1.2 Informationelle Selbstbestimmung als Grundrecht

1.3 Datenschutzgrundverordnung

1.4 Besondere Bedeutung für die Soziale Arbeit

2 Grundsätze des Sozialdatenschutzes

2.1 Generalnorm im SGB I

2.2 Übermittlung als Ausnahme

2.3 Spezialbestimmungen im SGB X

2.4 Schutzbereich

2.5 Einwilligung des Betroffenen

3 Informationsinteressen anderer Behörden (§ 68 ff SGB X)

3.1 Anzeige von Straftaten

3.2 Strafverfahren

3.3 Gefahrenabwehr

3.4 Soziale Aufgaben, Forschung und Planung

3.5 Verlängerter Datenschutz

4 Datenschutz bei freien Trägern

5 Berufspflichten des Sozialarbeiters/Sozialpädagogen

6 Notstand/Notwehr

7 Folgen bei Verstößen gegen Datenschutz

8 Zeugenaussagen vor Gericht

9 Schweigerecht gegenüber Eltern

Fälle und Lösungsskizzen

Fall 1: Eine ganz normale Familie

Fall

Lösung

Fall 2: »Auffällig!«

Fall

Lösung

Fall 3: Selbstständigkeit im Alter

Fall

Lösung

Fall 4: Misshandelt

Fall

Lösung

Fall 5: Der freundliche Polizist

Fall

Lösung

Fall 6: Gestaltungsfreiheit der freien Träger

Fall

Lösung

Literaturverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Der Autor

Prof. Dr. jur Johannes Falterbaum lehrt rechtliche Fächer in der Fakultät Sozialwesen der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (Heidenheim) und ist Studiengangleiter der Studienrichtung Kinder- und Jugendhilfe.

Johannes Falterbaum

Rechtliche GrundlagenSozialer Arbeit

Eine praxisorientierte Einführung

6., aktualisierte Auflage

Verlag W. Kohlhammer

Meinen Eltern

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6., aktualisierte Auflage 2024

Alle Rechte vorbehalten© W. Kohlhammer GmbH, StuttgartGesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:ISBN 978-3-17-045295-4

E-Book-Formate:pdf: ISBN 978-3-17-045296-1epub: ISBN 978-3-17-045297-8

Vorwort zur 6. Auflage

Die komplexen Strukturen der Sozialen Arbeit und ihrer rechtlichen Grundlagen führen ebenso zu einer anhaltend hohen Nachfrage nach »Rechtliche Grundlagen der Sozialen Arbeit« wie der Bedarf, die Materie sowohl im Studium als auch in der Praxis weitgehend eigenständig zu erschließen. In der 6. Auflage wird das Lehrbuch neben zahlreichen Aktualisierungen vor allem hinsichtlich der Leistungen sozialer Sicherung und zahlreicher Schaubilder erweitert. Das Vorwort zur 1. Auflage aus dem Jahr 2003 hat unveränderte Gültigkeit:

Das Recht gibt Strukturen vor, die in allen Bereichen Sozialer Arbeit von Bedeutung sind. Nicht nur Einschränkungen, sondern vor allem auch vielfältige Ansprüche auf Sozialleistungen ergeben sich aus rechtlichen Bestimmungen. An der Relevanz des Rechts, als Grundlage und Rahmenbedingung Sozialer Arbeit, kann deshalb kein Zweifel bestehen. Dennoch finden Studierende, Betroffene und Mitarbeiter von Sozialeinrichtungen häufig nur schwer einen Zugang zu dieser Materie. In der praktischen Arbeit ist es aber weder möglich noch sinnvoll, sich vollständig auf den Rat so genannter »Experten« zu verlassen. Eigene Rechtskenntnisse erhöhen vielmehr die Handlungskompetenz in allen sozialen Handlungsfeldern erheblich.

Das vorliegende Buch gibt eine Einführung, die sich in erster Linie an angehende Sozialpädagoginnen und Sozialarbeiter richtet. Es geht um eine möglichst ansprechende Vermittlung rechtlicher Grundstrukturen im Kontext Sozialer Arbeit. Besonderer Wert wurde deshalb auf eine verständliche Darstellung und eine Beschränkung auf das Notwendige gelegt. Zahlreiche Schaubilder erleichtern den Überblick und die Wiederholung. Umfangreich vorhandene Spezialliteratur kann durch dieses Studienbuch nicht ersetzt, sondern der Zugang hierzu soll erleichtert werden. Am Ende der einzelnen Kapitel wird auf weiterführende Titel hingewiesen. Aufgrund der grundlegenden Bedeutung öffentlicher Leistungen sowohl für die Betroffenen als auch für die im sozialen Bereich Tätigen steht die Darstellung der öffentlich-rechtlichen Grundlagen im Mittelpunkt.

Hervorgegangen ist das Manuskript aus einer mehrjährigen Lehrtätigkeit an der Universität Freiburg i. Br., der Hochschule für Sozialwesen Esslingen und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) Heidenheim. Dabei hat sich gezeigt, dass Rechtsgebiete nachhaltig nur erschlossen werden können, wenn sowohl der theoretische Zusammenhang verdeutlicht als auch die praktische Relevanz anhand praktischer Beispiele eingeübt wird. Im zweiten Teil des Buchs befinden sich deshalb Übungsfälle mit Lösungsskizzen, die sich auf die im ersten Teil behandelten Themen beziehen.

Zu danken habe ich zahlreichen Hinweisen aus dem Leserkreis, insbesondere von Studierenden, und hoffe auf weitere Anregungen, um die nicht ganz einfache Materie immer ansprechender gestalten zu können (E-Mail: [email protected]).

Tübingen, im April 2024Johannes Falterbaum

I Einführung

Zu Kapitel I: Übungsfall 1 (Eine ganz normale Familie)

1 Spannungsverhältnis Recht und Soziale Arbeit

In der Sozialen Arbeit geht es um Hilfe-Handeln zum Wohle einzelner Menschen und um die Schaffung gesellschaftlicher Bedingungen, die den Menschen angemessene Lebensverhältnisse ermöglichen. Ganz unterschiedliche Rechtsvorschriften sind hierbei eine unverzichtbare Rahmenbedingung. Sie sind vor allem Grundlage zahlreicher Leistungsansprüche der Klienten. Die abstrakten generalisierenden Normen werden in der Sozialen Arbeit aber häufig auch als Fremdkörper empfunden, mit denen man sich nur widerwillig beschäftigt. Auch bei Studentinnen/Studenten der Sozialarbeit/Sozialpädagogik stehen Rechtsfragen in aller Regel zunächst nicht im Mittelpunkt des Interesses. Die rechtliche Ebene kann auch als unmenschlich, störend oder zumindest lästig empfunden werden.

Wer in der Sozialen Arbeit beruflich oder ehrenamtlich tätig ist, sieht sich allerdings immer wieder vor Fragen gestellt wie: Darf ich hier Leistungen erbringen? Hat der Betroffene einen Anspruch auf Hilfe? Wer ist für dieses Anliegen zuständig? Wie kann man gegen Unrecht vorgehen? Für die berufliche Praxis ist deshalb von zentraler Bedeutung, bestehende Rechtsnormen für soziale Belange nutzbar machen zu können. Von Vorteil ist auch zu wissen, wie man unzulänglichen oder kontraproduktiven Rechtsnormen begegnen kann. Rechtsanwendungskompetenz der sozialpädagogischen Fachkraft ist in erheblichem Maße Voraussetzung für erfolgreiche Sozialarbeit. Sie steigert die Handlungskompetenz enorm.

Recht ist allerdings ein gesellschaftlich gewachsenes Kulturprodukt, welches nach eigenen Gesetzmäßigkeiten funktioniert. Deswegen sind gewisse Vorbehalte durchaus verständlich. Will man die Beantwortung für Soziale Arbeit relevanter Fragen nicht anderen Personen mit möglicherweise anderen Interessen überlassen, muss man sich zunächst – wohl oder übel – mit der Funktionsweise des Rechts vertraut machen. Einzelfragen können sich schnell ändern und werden erfahrungsgemäß auch schnell wieder vergessen. Das Sozialrecht ist in den letzten Jahren aber auch derart umfangreich geworden, dass eine umfassende Darstellung das Fassungsvermögen eines Lehrbuches und auch entsprechender Lehrveranstaltungen in Studiengängen des Sozialwesens übersteigen würde. Im Mittelpunkt steht in diesem Lehrbuch deshalb die Vermittlung solider Grundkenntnisse; auf dieser Basis kann sich auch der juristische Laie bei Bedarf relativ schnell Einzelfragen selbständig aneignen.

Im Dienste sozialer Aufgaben kommt es zunächst nicht darauf an, ob die relevanten rechtlichen Normen »gut oder schlecht«, »interessant oder langweilig«, »einfach oder schwierig« sind. Es geht in erster Linie um anwendungsbezogene Information. Je nach Standpunkt und Haltung des Betrachters werden die Bewertungen unterschiedlich ausfallen. Da Gesetzmäßigkeiten des Rechts nicht identisch sind mit denen der Sozialen Arbeit, muss bei aller Nutzanwendung eine kritische Haltung keineswegs aufgegeben werden. Unter den genannten Prämissen wird sich (hoffentlich) trotz allem zeigen, dass das Recht der Sozialen Arbeit nicht ganz so starr, lebensfern und langweilig ist, wie es für Außenstehende oft den Anschein hat.

2 Recht als Rahmenbedingung und Grundlage Sozialer Arbeit

In der deutschen Rechtsordnung, in der die Freiheitlichkeit jedes Menschen betont wird, ist nicht von einer »Allzuständigkeit« des Staates auszugehen, sondern im »Normalfall« handelt der Bürger eigenverantwortlich und selbständig. So ist das soziale wie das gesellschaftliche Leben grundsätzlich frei von staatlicher Kontrolle und gesetzlicher Reglementierung. Soweit keine besonderen Regelungen bestehen, ist auch in der Sozialen Arbeit von der Selbstversorgung und Eigenverantwortung der Menschen auszugehen.

Die Realität, jedenfalls soweit es um professionelles Handeln geht, sieht allerdings in vielen Bereichen anders aus. Der Grund hierfür ist, dass soziale Absicherung und Förderung auf dem Niveau der Bundesrepublik Deutschland nur durch staatliche Leistungen und allgemein verbindliche Rahmenbedingungen aufrechterhalten werden kann. Entscheidend kommt es auf die Definition an, welche Standards durch die Gemeinschaft garantiert werden und was der Eigenverantwortung überlassen bleibt. Dies unterliegt ständigen Wandlungen und ist von wirtschaftlichen Möglichkeiten und jeweils aktuellen politischen Diskussionen abhängig. Über den Gesetzgeber (Parlamente) werden hieraus Rechtsnormen, die die soziale Praxis bestimmen. Inwieweit Maßstäbe und Ziele der Sozialarbeit im Einzelnen rechtlicher Festschreibung bedürfen, ist immer wieder neu auszuhandeln und immer wieder Gegenstand heftiger sozialpolitischer Auseinandersetzungen. Sozialrecht kann darum keine statische Materie sein, sondern ist abhängig von sich ständig wandelnden Wertvorstellungen, finanziellen Ressourcen und vor allem politischen Entscheidungen.

Durch die gesetzlichen Festschreibungen werden der Umfang staatlich garantierter Sozialleistungen und der Spielraum für die inhaltliche Gestaltung von Leistungen (bis zu einer möglichen Gesetzesänderung) zu einer verbindlichen Rahmenbedingung für Soziale Arbeit. Dies ist Grundlage für mittel- und langfristige Planungen, bietet aber auch Sicherheit für die in diesem Bereich Tätigen. Darüber hinaus ist aber stets zu prüfen, wieweit Spielräume vorhanden sind für weitergehende Leistungen und spezifische Gestaltungsmöglichkeiten. Dies hängt zu einem großen Teil von der Frage ab, durch welche Personen und durch welche Einrichtungen soziale Leistungen erbracht werden. In Deutschland besteht ein vielfältiges, sich wechselseitig ergänzendes System.

Einerseits entfaltet das Recht einen absoluten Geltungsanspruch (soweit Regelungen erlassen wurden), der mit Rechtsmitteln durchgesetzt werden kann. Andererseits ist es zu relativieren, weil damit niemals die gesamte Wirklichkeit, jede individuelle Situation angemessen erfasst werden kann. Wichtig bleibt bei aller Beschäftigung mit dem Recht, dass es keineswegs einziger Bezugspunkt für Soziale Arbeit ist, sondern einer neben anderen. Sozialwissenschaftliche, pädagogische, psychologische, persönliche Qualifikationen und ethische Ziele haben je nach Tätigkeitsschwerpunkt ebenso große oder größere Bedeutung.

Es gibt auch Situationen, in denen die persönlich-fachliche Auffassung unvereinbar zu sein scheint mit der geltenden Rechtslage. Wichtig ist in diesen Fällen zunächst eine genaue Prüfung der Rechtslage. Daraus kann sich ergeben, dass Rechtsnormen unzweckmäßig oder unzutreffend angewendet wurden. Häufig helfen auch Ausnahmeregelungen, Anwendungs- oder Ermessensspielräume weiter. Das Recht gibt fraglos auch eindeutige Grenzen sozialen Handelns vor. Es hat Vor- und Nachteile, dass längst nicht alles rechtlich geregelt ist.

Bedeutung des Rechts für Soziale Arbeit

Finanzierung

=> Mittels Recht wird die Aufbringung und Verteilung des Geldes geregelt, welches für die Erbringung sozialer Leistungen notwendig ist.

Institutionalisierung

=> Mittels Recht werden Institutionen geschaffen und deren Handlungsweise geregelt. Soziale Leistungen werden dadurch berechenbar, planbar und steuerbar.

Konfliktsteuerung

=> In Konfliktsituationen wird mittels Recht eine für alle Beteiligten verbindliche Klärung herbeigeführt.

Qualitätssicherung

=> Mittels Recht werden Qualitätsstandards beschrieben. Unter anderem geschieht dies durch Leistungsvereinbarungen, Ausbildungsordnungen und arbeitsrechtliche Regelungen.

3 Recht und Demokratie

Auch wenn dies an dem Geltungsanspruch des Rechts in konkreten Situationen nichts ändert, sollte man sich vor Augen halten, dass Rechtsnormen nicht »vom Himmel« fallen, sondern zeitbedingten Wandlungen unterliegen und auch immer wieder in grundlegender Weise geändert werden. Der Entstehungsprozess von Rechtsvorschriften ist in klaren Verfahren (Gesetzgebungsverfahren) geregelt. Bereits bei der Vorbereitung von Gesetzesentwürfen und beabsichtigten Gesetzesänderungen werden die unterschiedlichsten Experten, darunter auch die Wohlfahrtsverbände und andere Träger sozialer Einrichtungen, beteiligt. In den Parlamenten, d. h. dem Bundestag (teilweise mit Zustimmung des Bundesrates), den Landtagen und den Stadt- und Gemeinderäten werden die Gesetze beraten und verabschiedet (Legislative). Hier entstehen die Gesetze, die durch die Regierungen (Exekutive) umgesetzt werden. Die Verwaltung und nicht zuletzt die Gerichte (Judikative) sorgen dafür, dass die Vorschriften tatsächlich Anwendung finden und die abstrakten Vorschriften in der Praxis umgesetzt werden. In diesen geregelten Strukturen der Gewaltenteilung wird Recht konkret (siehe Schaubild). Seine Entstehung ist aber abhängig von Wahlen, Gesprächen mit den Volksvertretern und Stellungnahmen von Experten und auch Bürgerinitiativen sowie Öffentlichkeitsarbeit von Interessengruppen.

Gewaltenteilung

Die staatliche Macht ist auf drei »Gewalten« mit getrennten Zuständigkeiten aufgeteilt.

Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung sind aufeinander angewiesen und kontrollieren sich gegenseitig.

Gesetze sind der entscheidende, verbindliche Bezugspunkt für alle drei Gewalten.

Der Grundsatz der Gewaltenteilung ergibt sich aus Art. 20 Abs. 2 Grundgesetz.

Soziale Arbeit im Zusammenhang des Rechts

Recht zielt auf allgemeine Durchsetzung.

Rechtsnormen werden ständig geändert (z. B. entsprechend den aktuellen Vorstellungen von Familie, sozialen Bedürfnissen etc.).

Recht setzt unterschiedliche Lebensbereiche, Weltanschauungen, Generationen, soziale Schichten verbindlich in Beziehung zueinander.

Konflikte mit Rechtsnormen sind unvermeidlich. Etwa bei Wandlung der Lebensverhältnisse (Rechtsanpassung braucht Zeit), Gesetzeslücken, von Normen abweichenden individuellen Interessen oder Vorstellungen.

Bei der Umsetzung von Rechtsnormen, der Nutzung von Gestaltungsspielräumen hat der SA/SP teil an der Gestaltung der Rechtswirklichkeit. Die Kenntnis der rechtlichen Möglichkeiten – als Rahmenbedingung und Grundlage sozialer Arbeit – ist hierzu unverzichtbar.

Das juristische »Know-how« ist neben den sozialwissenschaftlichen, pädagogischen, psychologischen und persönlichen Qualifikationen Basis der beruflichen Handlungskompetenz.

Durch Einflussnahme als Bürger, Institution oder Experte auf politische Entscheidungsträger können – gerade auf kommunaler Ebene – rechtliche Rahmenbedingungen mitgestaltet werden.

Unterschiedliche Interessen und divergierende Wertvorstellungen lassen sich hierdurch allerdings nicht vollständig zusammenführen. Bestehen gebliebene gegensätzliche Auffassungen können in Rechtsnormen aber Berücksichtigung finden und so entschärft werden. Eine wesentliche Bedeutung des Rechts besteht darin, dass ganz unterschiedliche Lebenssituationen (Arbeitsloser – Arbeitgeber, Alleinstehender – kinderreiche Familie, Behinderter – Sportass) miteinander in Beziehung gesetzt werden. Durch die Gesamtheit der Rechtsordnung werden die unterschiedlichen Interessen und Realitäten der gesamten Gesellschaft in den Blick genommen und es wird versucht, sie in angemessener Weise (was immer das konkret heißen mag) zum Ausgleich zu bringen. So gesehen sind Rechtsfragen Kristallisationspunkte innergesellschaftlichen Ausgleichs und als solche Anlass, die eigenen Interessen und Rechte im Verhältnis zu denen anderer Personen und Gruppen zu sehen.

Da solche gesellschaftlichen und demokratischen Prozesse wegen meist langwieriger Gesetzgebungsverfahren viel Zeit in Anspruch nehmen, hinkt das Recht aktuellen Entwicklungen fast immer hinterher. Gerade, wenn sich Rechtsstrukturen über Jahrzehnte eingespielt haben, wird erkennbar, dass Recht prinzipiell konservativ ist und konservierende Eigenkraft entfaltet. Gleichzeitig wird durch das Recht aber das Zusammenleben der Menschen verbindlich geordnet und damit verlässliche Lebensplanung erst möglich.

4 Definition von Recht

Es ist schwierig, klar zu definieren, was »Recht« ist. Es handelt sich hierbei vielmehr um einen komplexen Begriff, der einer Präzisierung bedarf. Vor allem sind mit Recht Normen gemeint, die durch den Staat bestimmt sind und seitens der Bürger und Einrichtungen beachtet werden müssen. Aber es gibt auch Rechtsnormen, die von Bürgern oder Organisationen selbst, mit lediglich interner Wirkung, erlassen werden (Vereinsrecht, Hausordnungen) und Vereinbarungen zwischen Bürgern/Unternehmen, welche Kraft dieser Vereinbarung verbindliche Rechtswirkungen nur für die Beteiligten entfalten (Vertragsrecht).

4.1 Geltungsbereiche

Hinsichtlich des staatlichen Rechts ist zunächst zu beachten, für welches territoriale Gebiet Rechtsnormen gelten. Auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland gibt es unterschiedliche Hoheitsgebiete (Bundesrepublik Deutschland, Bundesländer, Kommunen), die nebeneinander bestehen. Daraus ergeben sich unterschiedliche Zuständigkeiten, zum Beispiel Europarecht, Bundesrecht, Landesrecht und Kommunalrecht. Im Konfliktfall besteht eine Hierarchie der Rechtsvorschriften. Dabei gehen zwar meistens Rechtsnormen der höheren Ebene denen der niederen Ebene vor. Dies gilt aber nicht immer. So hat z. B. die Bundesrepublik Deutschland gegenüber der Europäischen Union unantastbare Regelungskompetenzen; ebenso die Kommunen gegenüber den Bundesländern (vgl. Art. 28 Abs. 2 GG).

Geltungsbereiche des Rechts:

Vereinte Nationen (UN)

Europäische Union

Bundesrepublik Deutschland

Bundesländer

Kommunen (Städte und Gemeinden)

Stets ist zu prüfen, für welche Personen und welches Territorium Rechtsnormen gelten (Geltungsbereich).

Wenn sich Vorschriften unterschiedlicher Ebenen widersprechen, spricht man von Gesetzeskonkurrenz.

Vorschriften der übergeordneten Ebene haben keineswegs immer Vorrang. So bestehen z. B. unantastbare Zuständigkeiten für den Bund (gegenüber der EU und UN), aber auch der Kommunen (gegenüber Bund und Land), vgl. Art. 28 Abs. 2 GG.

4.2 Inhaltliche Unterscheidung

Weiter kann man unterscheiden zwischen unterschiedlichen Gegenstandsbereichen, in denen die jeweiligen Rechtsnormen Anwendung finden. Zum Beispiel unterscheidet man zwischen Familienrecht, Strafrecht, Baurecht, Bankrecht, Kinder- und Jugendhilferecht, Sozialversicherungsrecht, Sozialhilferecht und anderem. In den Rechtsbereichen gelten unterschiedliche Zielsetzungen, weshalb in den jeweiligen Einzelgesetzen/Gesetzbüchern spezielle Bestimmungen geregelt sind, die nicht auf andere Rechtsbereiche übertragbar sind.

Diese Rechtgebiete stehen allerdings nicht beziehungslos nebeneinander, sondern greifen in vielfältiger Weise ineinander. So ist etwa das Arbeitsrecht teilweise im BGB geregelt (Individualarbeitsrecht), wesentliche Teile gehören aber auch zum öffentlichen Recht (kollektives Arbeitsrecht). Das Sozialrecht ist ein weit verzweigter Gegenstandsbereich mit Regelungen im Zivilrecht (z. B. Arbeitnehmer-‍, Mieter- und Verbraucherschutzbestimmungen) wie im öffentlichen Recht (vom Steuerrecht bis zum Ausländer- und Prozesskostenhilferecht). Das Sozialleistungsrecht (Sozialversicherungsrecht, Bürgergeld – Grundsicherung für Arbeitssuchende, Sozialhilfe, Kinder- und Jugendhilfe, BAföG etc.) ist Teil des öffentlichen Verwaltungsrechts. Das Verfassungsrecht gehört zwar zum Öffentlichen Recht, hat aber Bedeutung auch für das viel ältere und eigenständige Zivilrecht. Von grundlegender Bedeutung ist die Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht/Zivilrecht (hierzu ausführlich unten ▸ Kap. II.4).

Zu beachten ist weiter, dass nicht nur in den Parlamenten verabschiedete förmliche Gesetze in verbindlicher Weise Rechtsverhältnisse regeln, sondern dies auch durch Rechtsverordnungen der Regierungen, Verträge zwischen Bürgern bzw. Bürger und staatlichen Organen geschieht.

Rechtsgebiete

Zu beachten ist weiter, dass nicht nur in den Parlamenten verabschiedete förmliche Gesetze in verbindlicher Weise Rechtsverhältnisse regeln, sondern dies auch durch Rechtsverordnungen der Regierungen, Verträge zwischen Bürgern bzw. Bürger und staatlichen Organen geschieht.

Durch folgende unterschiedliche Arten von Normen entsteht verbindliches Recht:

Rechtsquellen

Art der Norm

Entstehung durch

Geltung

Verfassung

Volksentscheid

für alle Bereiche bindend

Gesetze

Parlamente

für Bürger, öffentliche Verwaltung, Rechtsprechung

Rechtsverordnungen

Bundes/‌Landes-Regierungen

nur auf der Grundlage von Gesetzen

Satzungen

Selbstverwaltungs-Körperschaften, Vereine

für die Mitglieder

Verwaltungsvorschriften/ Dienstanweisungen

Verwaltung

für die Mitarbeiter

Verträge

Vertragsparteien

für die beteiligten Parteien

Gerichtsurteile sind keine Rechtsnormen. Durch sie werden lediglich einzelne Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage der Gesetze verbindlich entschieden. Von Urteilen der obersten Gerichte geht aber gleichwohl eine allgemeine Bindungswirkung aus, die Gesetzesnormen vergleichbar ist.Verwaltungsakte werden nicht zu den Rechtsquellen gezählt. Sie haben zwar verbindliche Geltung für den Bürger, dies ist aber keine rechtsschöpferische Tätigkeit der erlassenden Behörde, sondern Ausführung der bestehenden Gesetze.Richtlinien haben eine Orientierungsfunktion, begründen aber allein keine rechtliche Verbindlichkeit.Erlasse sind Verwaltungsvorschriften einer obersten Behörde (Ministerien) mit interner Verbindlichkeit für die untergeordneten Stellen und Bediensteten.Ungeschriebenes Recht (Gewohnheitsrecht) hat heute kaum noch Bedeutung

4.3 Objektives/subjektives Recht

Zu unterscheiden ist weiter zwischen objektivem Recht und subjektivem Recht. Zum objektiven Recht gehört die Summe aller Rechtsnormen, die in irgendeiner Weise das Verhalten der Menschen regeln. Davon zu unterscheiden ist das subjektive Recht, wozu lediglich die Vorschriften gehören, die dem Einzelnen (dem Rechtssubjekt) einen konkreten Herrschaftsbereich, vor allem Rechtsansprüche auf Leistungen oder Abwehransprüche gegen Eingriffe, gewährleisten. Mit dieser Unterscheidung wird deutlich, dass es Rechtsvorschriften gibt, die Lebensverhältnisse und Verwaltungshandeln (objektiv) ordnen, ohne dass der Einzelne erwirken kann, dass diese Vorschriften auch eingehalten werden. Subjektive Rechte sind hingegen stets damit verbunden, dass der Einzelne die Beachtung bestehender Regelungen beanspruchen kann. Bei Verstößen können subjektive Rechte (und in aller Regel nur solche) im Klageverfahren durchgesetzt werden. Gerade im sozialen Bereich gibt es zahlreiche Vorschriften, die die Verwaltung objektiv-rechtlich zu bestimmten Verhaltensweisen im Interesse der Bürger verpflichten, auch ohne dass der Bürger einen subjektiv-rechtlichen Anspruch hierauf hat (z. B. die Art und Weise der Amtsausübung). Für die Soziale Arbeit ist von erheblicher Bedeutung, im Einzelfall unterscheiden zu können, welche rechtlichen Regelungen mit einem konkreten Leistungs- oder Unterlassungsanspruch für die Betroffenen verbunden sind.

Vor allem im Zivilrecht, aber auch im öffentlichen Leistungsrecht ist diese »subjektive Berechtigung« von entscheidender Bedeutung (andere Grundsätze gelten im Polizei- und Strafrecht).Macht z. B. ein Vermieter eine Mieterhöhung geltend, die das gesetzlich zulässige Maß übersteigt (vgl. § 556d BGB), so kann keine andere Person als der Mieter sich hiergegen rechtlich wirksam wehren. Hat der Mieter dennoch die überhöhte Miete gezahlt, gleich ob aus Gutmütigkeit oder Unwissenheit, hilft die Klage eines altruistisch handelnden Nachbarn nicht weiter. Eine solche Klage würde als unzulässig abgewiesen, auch wenn sie in der Sache begründet ist. Der Vermieter verstößt zwar gegen objektives Recht, betroffen und damit subjektiv berechtigt dagegen vorzugehen ist aber lediglich der Mieter. Etwas anderes gilt nur, wenn der Betroffene ausdrücklich einen anderen (z. B. einen Rechtsanwalt) beauftragt: Dann nimmt der Betroffene seine Rechte wahr, wenn auch vertreten durch einen anderen (Vertreter). Die problematischen Konsequenzen werden unter anderem deutlich bei alten und behinderten Menschen, die ihre Interessen nicht mehr selbst wahrnehmen können. Die rechtlichen Möglichkeiten (insbesondere Bestellung einer rechtlichen Betreuung ▸ Kap. III.4.2 und Regelungen im Heimgesetz ▸ Kap. II.4.5) gleichen diese Defizite nur sehr unzulänglich und punktuell aus. Auch der Sozialarbeiter kann die Klienten nur ermuntern, ihre Rechte wahrzunehmen, dies aber nicht an ihrer Stelle tun.

Unsere Rechtsordnung geht davon aus, dass grundsätzlich jeder seine Rechte selbst wahrnimmt (Eigenverantwortung). In Deutschland gibt es keine Popularklage. Mit einer grundsätzlichen Änderung würde die Verantwortung des Staates steigen, er müsste verstärkt Zugang haben in private Lebenszusammenhänge, wodurch neue Probleme entstehen würden (Stichwort: »Überwachungsstaat«). Ist der Bürger nicht in seinen subjektiven Rechten verletzt, stehen ihm lediglich »formlose Rechtsbehelfe« zur Verfügung (▸ Kap. X.2.1).1

Recht wird häufig nicht realisiert, weil der subjektiv Berechtigte

seine Rechtansprüche nicht kennt

aus persönlichen Gründen auf eine Durchsetzung verzichtet (z. B. innerhalb der Familie)

aus Scham (z. B. versteckte Altersarmut)

aus gesundheitlichen Gründen hierzu nicht in der Lage ist

der Aufwand / das Kostenrisiko zu hoch ist

4.4 Formelles/materielles Recht

Schließlich ist auf die Unterscheidung zwischen formellem und materiellem Recht hinzuweisen. Das materielle Recht bezieht sich auf die inhaltliche Gestaltung der Rechtsordnung, also darauf, was innerhalb eines Rechtsgebietes Recht und was Unrecht sein soll. Unter formellem Recht versteht man die Verfahrensvorschriften, mit deren Hilfe das materielle Recht umgesetzt wird. Die Bedeutung des formellen Rechts wird bei Nichtjuristen häufig unterschätzt, obwohl die entsprechenden Regelungen, angefangen von Fristen, Prozesskostenhilfe bis hin zur sachlichen und örtlichen Zuständigkeit einer Behörde oder eines Gerichts, von erheblicher Bedeutung sind für die Durchsetzung eines bestehenden (materiellen) Anspruchs.

Hiervon zu unterschieden ist der Begriff »förmliches Gesetz« (▸ Kap. I.4.4). Mit diesem zuletzt genannten Begriff ist lediglich gemeint, dass ein Gesetz in einem vorgegeben förmlichen Verfahren zustande gekommen ist. Dies ist in aller Regel Voraussetzung für die Wirksamkeit formeller und materieller Rechtsnormen (Ausnahme z. B. Rechtsverordnungen).

5 Öffentliche Verwaltung

Für den gesamten, vielfältigen Bereich Sozialer Arbeit ist von grundlegender Bedeutung, ob dieses Handeln öffentlich, also durch den Staat, verantwortet wird, oder durch Privatpersonen bzw. Zusammenschlüsse von Privatpersonen (z. B. Vereine, GmbHs, gGmbHs, BGB-Gesellschaften, aber auch die großen Wohlfahrtsverbände).Die staatliche Verantwortung für soziale Belange hat bis in die jüngere Vergangenheit ständig zugenommen. Seit einiger Zeit wird allerdings eine umgekehrte Tendenz immer deutlicher sichtbar.

Nur zu einem geringen Teil handelt es sich hierbei aber um staatliches Handeln im eigentlichen Sinn. Zu einem großen Teil erfolgt soziale Sicherung durch die Kommunen und die Sozialversicherungssysteme. Diese sind aber nicht Teil des Staates im Rechtssinne, sondern haben eigene Strukturen der Selbstverwaltung, was zu einer relativen Eigenständigkeit gegenüber staatlicher Macht führt. Dies wird unter anderem daran deutlich, dass sich insbesondere die Sozialversicherungen weitgehend nicht aus Steuern, sondern aus Mitgliedsbeiträgen finanzieren (hierzu ausführlicher ▸ Kap. VI.3). Der Leistungsumfang, die Standards und Rahmenbedingungen werden aber auch hier vom Gesetzgeber vorgegeben – auch wenn die Leistungen nicht unmittelbar durch Organe des Staates erbracht werden. Soweit das Gemeinwesen durch verbindliche Regelungen bestimmt wird (z. B. Pflichtmitgliedschaft bei Sozialversicherungen) und die zuständige Behörde mit »hoheitlicher Macht« ausgestattet ist, d. h., Aufgaben einseitig und notfalls mit Zwang erfüllt werden können, spricht man von »Öffentlichem Recht«, »Öffentlicher Verwaltung«, »Öffentlicher Hand« oder »Öffentlichen Angelegenheiten« und »Öffentlichem Interesse«.

Leistungen im sozialen Bereich werden erbracht durch

privatrechtliche Träger=> Selbstverantwortung=> evtl. interne (z. B. vereinsrechtliche) Vorgaben

Privatpersonen

Ehrenamtliche

Selbständige

Wohlfahrtsverbände

andere Zusammenschlüsse

öffentlich-rechtliche Träger=> hoheitliche Macht=> öffentlich-rechtliche Pflichten

Staatsverwaltung

Bund

Länder

Europäische Union

andere öffentliche Träger(staatl. Vorgaben, rechtlich eigenständig)

Kommunen

Sozialversicherungen

u. a.

Eine griffige Definition, welche Bereiche zur »Öffentlichen Verwaltung« gehören, gibt es nicht. Die Begrifflichkeit hat sich aber vor allem im rechtlichen Kontext durchgesetzt, auch wenn mit »öffentlich« oder »Öffentlichkeit« häufig ganz andere Zusammenhänge umschrieben werden als die des »Öffentlichen Rechts« oder der »Öffentlichen Verwaltung«. Durch den Begriff wird aber auch klar, dass der »öffentliche Rechtsbereich« nicht allein durch staatliche Macht bestimmt sein kann, sondern auf vielfältige gesellschaftliche Partizipation angelegt ist.

Zur Verwirklichung der Staatszwecke, insbesondere zur Gestaltung des Sozialwesens und der Erbringung von Dienstleistungen, aber auch zur hoheitlichen Kontrolle und Erfüllung polizeilicher Aufgaben, bedient sich der Staat eigener Organisationsstrukturen. Innerhalb der Öffentlichen Verwaltung, aber auch im Verhältnis zu den Bürgern gelten weitgehend eigene Regeln, die deutlich abweichen von der grundsätzlich freien Rechtsgestaltung zwischen Privatpersonen und Firmen (genauere Unterscheidung zwischen Öffentlichem Recht und Privatrecht ▸ Kap. II.4).

Dieser große Bereich öffentlicher Verwaltung, der teilweise staatlich und teilweise durch Mitglieder finanziert, in jedem Fall staatlich verantwortet und kontrolliert wird, ist zu unterscheiden von nicht-öffentlicher (privater) Verwaltung z. B. in Wirtschaftsunternehmen, Verbänden oder privater Finanzverwaltung. Auch kirchliche Sozialeinrichtungen (Caritas und Diakonie) unterliegen nicht dem staatlichen öffentlichen Recht. Diese karitativen Einrichtungen handeln zwar auch im öffentlichen Interesse, für sie gelten aber eigene kirchenrechtliche Bestimmungen, die staatlicherseits respektiert werden (Selbstbestimmungsrecht der Kirchen▸ Kap. II.3.4, ▸ Kap. VIII). Für weitere Verwirrung sorgt, dass sich für diese Einrichtungen die Bezeichnung »nichtstaatliche Träger« eingebürgert hat. Denn der Unterschied zu den Kommunen und Sozialversicherungen, die ebenfalls nichtstaatlich sind, aber dem öffentlichen Recht unterliegen, wird damit nicht deutlich.

Gerade im Bereich der sozialen Dienstleistungen zeigt sich auch, dass heute eine strenge Trennung zwischen öffentlicher Verwaltung und privaten, wirtschaftlichen und freigemeinnützigen Leistungserbringern nicht immer möglich ist (▸ Kap. II.4.3). Denn in erheblichem Umfang werden soziale Leistungen, für die der Staat letztlich verantwortlich ist und die auch von ihm finanziert werden, von nichtstaatlichen Einrichtungen erbracht. Ob eine Einrichtung, etwa der Jugendhilfe oder eine Sozialstation, in staatlicher oder privater Trägerschaft besteht, ist gleichwohl von entscheidender Bedeutung. Soweit sie nicht zur öffentlichen Verwaltung gehören, sind sie z. B. wesentlich freier in der Entscheidung, welche Leistungen sie an wen erbringen. Auch die interne Organisation, Art der Leistungserbringung, Zusatzleistungen und ggf. weltanschauliche Prägung liegen in ausschließlicher Verantwortung des nichtstaatlichen (freien) Trägers (Leistungserbringung von öffentlichen Leistungen durch freie Träger ▸ Kap. VIII).

Außerdem gibt es Bereiche, in denen Aufgaben der öffentlichen Verwaltung an private Unternehmen übertragen wurden. So ist häufig die Müllentsorgung in Städten geregelt; in jüngster Zeit gibt es sogar privat geführte Strafvollzugsanstalten. Im sozialen Bereich hat diese Mischung aus staatlicher und nichtstaatlicher Verantwortung und entsprechende Kooperationen eine lange Tradition. An vielen Stellen greift öffentliche Verwaltung und privates, privatwirtschaftliches und freigemeinnütziges Handeln ineinander. Man spricht heute in weiten Bereichen von einem »welfare mix«. Auch wenn nach außen diese unterschiedlichen Rechtsstrukturen oft nicht deutlich werden, ist für die Entscheidung konkreter Rechtsfragen häufig von erheblicher Bedeutung, ob Vorschriften des öffentlichen Rechts Anwendung finden.

6 Ethische Wertvorstellungen

Bisher ging es – und dies wird auch den weiteren Fortgang der Abhandlung bestimmen – um die Relevanz geltender Rechtsnormen für Soziale Arbeit, ohne die Frage zu stellen, ob diese Normen ethischen Maßstäben genügen. Nicht nur aufgrund der extremen historischen Erfahrungen in Deutschland, sondern auch aufgrund alltäglicher Erfahrungen der praktischen Arbeit steht außer Frage, dass Rechtsnormen ungerecht, unsinnig und auch menschenverachtend sein können. Es kann sein, dass geltendes Recht in einzelnen Bestimmungen oder als Ganzes den Namen Recht nicht verdient. Unsere Rechtsordnung ist zwar in eindeutiger Weise an ethischen Maßstäben, wie sie im Grundgesetz unter Bezugnahme auf universell gültige Menschenrechte konkretisiert sind, orientiert. Immer neu ist aber zu prüfen und darüber zu reflektieren, ob das geltende Recht in seinen einzelnen Bestimmungen diesen ethischen Maßstäben genügt bzw. ob es schlicht (noch) sachgerecht ist. Ein kritischer Umgang mit staatlicher Gewalt und rechtlichen Vorschriften ist ethisch geboten und eröffnet die Perspektive für ständig notwendige Verbesserungen der bestehenden Rechtsvorschriften.

Spannungsfelder des Rechts

geltendes Recht ⇔ ethisch-philosophische Erkenntnisgenerelle Normen ⇔ individuelle Auffassungenallgemeingültige Gesetzte ⇔ nicht beachteter EinzelfallDurchsetzung mit staatlicher Gewalt ⇔ Eigenverantwortung / FreiheitRechtssicherheit ⇔ gesellschaftlicher Wandel

Ebenso wie auf der politischen Ebene Rechtsnormen an Wertmaßstäben und Ethik zu messen sind, kommt auch das individuelle berufliche Handeln ohne persönliche Wertmaßstäbe und ein berufliches Ethos nicht aus. Erst hierdurch bekommt Soziale Arbeit ein menschliches Gesicht. Recht darf nicht darauf abzielen, dies zu verhindern, ebenso wie auch der Sozialarbeiter/die Sozialpädagogin nicht der Versuchung erliegen sollte, sich völlig hinter Rechtsvorschriften zu verstecken. Diese Zusammenhänge sind Grundlage für ein rechtes Verständnis der Sozialarbeit und sollten bei der Beschäftigung mit Rechtsfragen und Rechtsanwendung stets präsent sein. Rechtsvorschriften unterschiedlichster Art sind Grundlage und Rahmenbedingung Sozialer Arbeit – nicht mehr und nicht weniger. (ausführlicher hierzu ▸ Kap. X.7)

Diese philosophische, politische und ethische Frage nach den »richtigen Normen« ist aber zu unterscheiden von dem in einer konkreten Situation verbindlich geltenden Recht. Soweit begünstigende Leistungen und einschränkende Maßnahmen in Rechtsvorschriften geregelt sind, ist jede abweichende Handhabung rechtswidrig. Jedes funktionierende Rechtssystem verlangt nach Beachtung rechtlicher Vorschriften (Rechtsdurchsetzung). Durch die allgemeine Gültigkeit und die zuverlässige Anwendung rechtlicher Normen wird Recht der Beliebigkeit entzogen, was Voraussetzung ist für Rechtssicherheit und Gerechtigkeit. Dabei ist von entscheidender Bedeutung, dass die Gesetze in der Demokratie in einem geordneten Verfahren durch die gewählten Vertreter der Bevölkerung zustande kommen. Hier spielen ethische Fragen eine wichtige Rolle, und die Allgemeinheit ist auf diesem Wege an der Rechtsbildung beteiligt. Zwischen dem Entstehungs- (bzw. Veränderungs-)‌prozess, der ethischen Begründung und der praktischen Anwendung von Rechtsnormen ist daher stets zu unterscheiden.

Weil es aber unmöglich ist, eine unabsehbare Zahl von Einzelfällen durch abstrakte Normen angemessen zu regeln, hat der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, alle Lebensbereiche vollständig zu regeln. Auf eine Beurteilung »innerer Werte« verzichtet das Recht vollständig und nimmt allein Bezug auf äußere Verhaltensweisen. Außerdem werden die an sich starren Normen durch Ermessensspielräume, allgemeine Prinzipien und der vorrangigen Bedeutung der Menschenrechte und sich daraus ergebende Handlungsfreiräume relativiert. Die allgemein gültigen Rechtsnormen bedeuten keine Negierung ethischer Maßstäbe, sondern sind Konsequenzen kollektiver Wertmaßstäbe, wobei gleichzeitig erheblicher Raum bleibt für persönliche Verantwortung bzw. unterschiedliche Leitbilder sozialer Einrichtungen. Das geltende Recht, welches im Folgenden bezogen auf soziale Arbeitsbereiche dargestellt wird, gibt den derzeitigen Stand dieser gesellschaftlichen und ethischen Prozesse wieder, die durch die rechtliche Festlegung allgemeingültige Beachtung beanspruchen. Als Kulturprodukt ist es wandelbar und wertorientiert zugleich, unterliegt aber auf Grund des demokratischen Gesetzgebungsverfahrens nicht der Beliebigkeit des Einzelnen.

Literaturhinweise zur Vertiefung:

Beyer, T. (2022): Recht für die Soziale Arbeit, 3. Auflage, Baden-Baden

Cornel, H. / Trenczek, T. (2019): Strafrecht und Soziale Arbeit, Baden-Baden

Falterbaum, J. (2004): Sozialarbeit und Polizei. Entwicklungen in einem schwierigen Verhältnis, in: Archiv für Wissenschaft und Praxis der sozialen Arbeit, 35. Jg., Heft 3 / 2004, Berlin, Seite 98 – 121

Frings, D. / Schweigler, D. (2021): Sozialrecht für die Soziale Arbeit. 5. Auflage, Stuttgart

Herborth, R. (2014): Grundzüge des Sozialrechts für die Soziale Arbeit, Freiburg i. Br.

Hinrichs, K. / Öndül, D. E. (2017): Soziale Arbeit – das Recht, Opladen und Toronto

Klie, T. (2020): Rechtskunde. Das Recht der Pflege alter Menschen, 12. Auflage, Hannover

Kreft, D. / Münder, J. (1994): Soziale Arbeit und Recht, 4. Auflage, Weinheim

Lehmann, M. K. (Hrsg.) (2002): Recht sozial. Rechtsfragen der Sozialen Arbeit, 2. erweiterte Auflage, Hannover

Oxenknecht-Witzsch, R. / Ernst, R. / Horlbeck, M.-L. (2009): Soziale Arbeit und Soziales Recht. Festschrift für Helga Oberloskamp, Köln

Reinhardt, J. (2023): Grundkurs Sozialverwaltungsrecht für die Soziale Arbeit, 3. Auflage, Stuttgart

Stock, C. / Schermaier-Stöckl, B. / Klomann, V. u. a. (2024): Soziale Arbeit und Recht, 3. Auflage, Baden-Baden

Trenczek, T. / Tammen, B. / Behlert, W. / von Boetticher, A. / Beetz, C. (2024): Grundzüge des Rechts. Studienbuch für soziale Berufe. 6. Auflage, München und Basel

Wabnitz, R. J. (2021): Grundkurs Recht für die Soziale Arbeit, 6. Auflage, München und Basel

Zobrist, P. / Kähler, H. (2017): Soziale Arbeit in Zwangskontexten. Wie unerwünschte Hilfe erfolgreich sein kann, 3. Auflage, München

Endnoten

1Nach langem Ringen wurden etwa im Bundesnaturschutzgesetz vor allem aber im Behindertenrecht (vgl. § 85 SGB IX und § 13 Behindertengleichstellungsgesetz) Klagen durch Interessenverbände (sog. Verbandsklagen) zugelassen. Die Befugnisse dieser Verbände sind aber mit erheblichen Einschränkungen verbunden, so dass hierdurch die genannten Grundsätze bisher nicht wirklich in Frage gestellt werden.

II Allgemeine Grundsätze

Zu Kapitel II: Übungsfall 2 (»Auffällig!«)

1 Rechtsanwendung

Längst nicht jede Aktivität von Menschen oder Organisationen ist rechtlich von Bedeutung. Wenn im sozialen Bereich ehrenamtlich soziale Dienste und Leistungen angeboten werden, stellt sich die Frage nach der Rechtslage oft gar nicht. Das Recht kommt dann ins Spiel, wenn bestimmte Leistungen eingefordert werden oder sich jemand gegen ein bestimmtes Verhalten wehren möchte.

Im Unterscheid zu ethischen Maßstäben liegt rechtlich relevanten Rechten und Pflichten immer eine Rechtssetzung zu Grunde. Soweit Recht nicht formuliert wurde, bestehen auch keine rechtlichen Pflichten. Nicht was geregelt werden müsste, sondern das, was tatsächlich geregelt wurde, ist Bezugspunkt für das Recht. Solche Rechtsetzung erfolgt durch staatliche Gesetze und private Vereinbarungen (Verträge) (▸ Kap. I.4.1). Da es deshalb von entscheidender Bedeutung ist, feststellen zu können, was wie genau geregelt wurde, ist in vielen Fällen eine schriftliche Formulierung sinnvoll und oft auch vorgeschrieben (bei Gesetzen immer). Dieser Rechtspositivismus hat zur Folge, dass Ansprüche, die nicht positiv begründet werden können, weil es an einer wirksamen Regelung fehlt (z. B. Gesetzeslücken, nichtige Verträge), rechtlich keine Relevanz haben.

1.1 Anspruchsgrundlagen

Für die Bürger besteht im freiheitlichen Staat grundsätzlich Vertragsfreiheit. Das heißt, rechtliche Verbindlichkeiten können grundsätzlich mit beliebigem Inhalt mit jedermann frei eingegangen werden. Eine Beschränkung dieser Vertragsfreiheit ist systematisch betrachtet die Ausnahme, auch wenn der Gesetzgeber z. B. im Mietrecht, Arbeitsrecht und beim Verbraucherschutz weitgehende Vorgaben gemacht hat. Verträge sind im Zivilrecht typische Grundlage für einseitige oder wechselseitige Ansprüche. Man spricht von Anspruchsgrundlagen. Neben Verträgen kann im Zivilrecht ausnahmsweise ein Anspruch auch durch eine gesetzliche Norm begründet sein (Schadenersatz wegen unerlaubter Handlung (§§ 823 ff BGB) oder Herausgabe wegen ungerechtfertigter Bereicherung (vgl. §§ 812 ff BGB)). In der Regel gibt das Gesetz im Privatrecht aber lediglich Modalitäten vor, was bei Abschluss eines Vertrages zu beachten ist und in welcher Weise er zu erfüllen ist. Im öffentlichen Recht ist dies genau umgekehrt: in der Regel ergeben sich öffentlich-rechtliche Ansprüche aus einer Gesetzesnorm und nur ausnahmsweise aus einem Vertrag. In beiden Rechtsbereichen gilt, dass nur der einen rechtlich durchsetzbaren Anspruch auf Leistungen hat, der diesen auf eine Anspruchsgrundlage (vertraglicher oder gesetzlicher Natur) stützen kann (Gedanke des Rechtspositivismus, vgl. oben). Ebenso gilt umgekehrt, dass man nur dann einen Eingriff in seine Rechtssphäre dulden muss, wenn die Gegenseite (Privatperson oder öffentliche Hand) hierzu durch eine Anspruchsgrundlage ermächtigt ist.

1.2 Vertragsauslegung

Soweit Verträge maßgeblich sind, muss in Streitfällen im Wege der Auslegung festgestellt werden, was die Parteien geregelt haben. Auch die Zivilgerichte, die zur Streitschlichtung angerufen werden können, haben sich an dem Willen der Vertragspartner zu orientieren. Vor unsinnigen Geschäften und Übervorteilung ist der Bürger nur in dem Rahmen geschützt, wie entsprechende Schutzgesetze vorhanden sind. Ein Verstoß gegen »gute Sitten« (§ 138 BGB) bedeutet nur in extremen Fällen eine Grenze der Vertragsfreiheit (▸ Kap. II.2.2.6).

1.3 Anwendung von Gesetzen (Subsumtion)

Bei der Anwendung von Gesetzen gelten andere Grundsätze. Gesetze, Rechtsverordnungen und Satzungen werden grundsätzlich einseitig durch den Gesetzgeber erlassen. Sie sind abstrakt-generell, also allgemeingültig und (im Unterschied zu Verträgen) nicht bezogen auf konkrete Einzelfälle formuliert. Sie sind aber von jedermann unbedingt zu beachten. Es besteht die Pflicht, sich selbst über die Rechtslage kundig zu machen (Unkenntnis schützt vor Pflichten nicht). Außerdem haben öffentliche Einrichtungen entsprechende Informationspflichten.

Auch bei Gesetzen ist für den Bürger und den Rechtsanwender aber häufig unklar, ob in einer konkreten Situation eine Norm zur Anwendung kommt. Deshalb ist es nötig, sich damit vertraut zu machen, wie Rechtsnormen anzuwenden sind (die Frage nach der Gesetzgebungsbefugnis wird hier vernachlässigt, ▸ Kap. I.4.1, ▸ Kap. II.3.1, ▸ Kap. IX.1).

Von besonderer Bedeutung sind Rechtsnormen, die auf Bürger bezogene Regelungen enthalten, also Ansprüche oder Pflichten des Bürgers begründen. Hierzu bedarf es zu Gunsten des Bürgers (bei Rechten) oder zu Gunsten der Verwaltung (bei Pflichten) einer Anspruchsnorm als Anspruchsgrundlage. Anspruchsnormen sind die entscheidenden Bezugspunkte für alle Rechtsverhältnisse zwischen öffentlicher Hand und Bürger. Normen, die lediglich Definitionen, Verweisungen, Ausnahmen oder Erläuterungen enthalten, bleiben hier unbeachtet (ausführlicher hierzu ▸ Kap. V.1, ▸ Kap. V.2).

Anspruchsnormen bestehen aus zwei Teilen, der Beschreibung eines Tatbestandes2 und einer Rechtsfolge, die in einem kausalen Verhältnis zueinander stehen. Bei dem Tatbestand handelt es sich um die verallgemeinernde Beschreibung einer unbestimmten Anzahl von Lebenssituationen (Sachverhalten). Liegen diese vor, so wird durch die Vorschrift eine ganz bestimmte Rechtsfolge ausgelöst. Diese durch das Recht umschriebene Folge (Rechtsfolge) liegt nicht »in der Natur der Sache« (dann würde es der Rechtsnormen nicht bedürfen), sondern wird gerade durch die Rechtsnorm als Teil der rechtlichen Wertordnung/Sollensordnung bewirkt.

Dies sei an einem Beispiel erläutert:

Art. 16a Abs. 1 GG lautet: »Politisch Verfolgte genießen Asylrecht«. Hier ist klar umschrieben, dass unter einer bestimmten Voraussetzung (politische Verfolgung) eine bestimmte Rechtsfolge (Recht auf Asyl) eintritt (»Wenn-Dann-Verknüpfung«).

Wenn der beschriebene Tatbestand vorliegt, hat als Konsequenz – quasi unausweichlich – die beschriebene Rechtsfolge einzutreten. Sucht etwa eine Familie aus Syrien eine neue Heimat in Deutschland, ist zu prüfen, ob sie in ihrem Heimatland politisch verfolgt wurde. Den Vorgang der Überprüfung, ob ein bestimmter, konkreter (Lebens-)‌Sachverhalt der abstrakten Tatbestandsbeschreibung zuzuordnen ist, nennt man Subsumtion.

Subsumtion

Hierzu muss die konkrete (immer einmalige) Lebenssituation auf die Merkmale »abgeklopft« werden, die für die Tatbestandsbeschreibung erheblich sind. Im Beispiel ist also zu prüfen, ob eine politische Verfolgung vorliegt. Nur auf diese im gesetzlichen Tatbestand formulierten Kriterien kommt es bei der rechtlichen Betrachtung an. Wirtschaftliche Notsituationen etwa oder Verfolgung aus anderen als politischen Gründen finden durch diese Rechtsnorm keine Beachtung, sind also für die Anwendung der Rechtsnorm nicht relevant. Subsumtion bedeutet letztlich immer Selektion umfassender Wirklichkeitserfahrungen auf das rechtlich Erhebliche. Ist diese Subsumtion erfolgt, ergibt sich die Rechtsfolge aus dem Gesetz (hier: Recht auf Asyl). Ein abweichendes Verhalten/eine abweichende Handhabung wäre rechtswidrig.

Die Aufgabe des Gesetzesanwenders besteht somit darin, festzustellen, ob durch einen bestimmten Lebenssachverhalt ein Gesetzestatbestand erfüllt und ggf. die beschriebene Rechtsfolge herbeizuführen ist. Nicht aber geht es darum zu beurteilen, ob ein rechtlich umschriebener Tatbestand auch auf andere Situationen angewendet werden sollte (z. B. auch auf wirtschaftliche Notsituationen, Folterung etc.) oder eine andere Rechtsfolge angemessen wäre (z. B. Recht auf Einbürgerung). Diese Aufgabe kommt vielmehr allein dem Gesetzgeber zu.

Nicht alle Rechtsnormen sind in dieser klaren Weise wie das Grundrecht auf Asyl als Tatbestand und Rechtsfolge formuliert. Oft hilft eine Umformulierung, um diese »Wenn-Dann Struktur« zu erkennen. Z. B. die Formulierung »Sozialdaten sind beim Betroffenen zu erheben« (§ 67a Abs. 2 SGB X) ist zu lesen: Wenn Sozialdaten zu erheben sind, müssen sie beim Betroffenen erhoben werden. Hinsichtlich der Hilfe zur Erziehung nach dem SGB VIII begründet § 27 Abs. 1 einen Rechtsanspruch auf Hilfe allein für »Personensorgeberechtigte« eines Kindes oder Jugendlichen, nicht aber für den hilfebedürftigen Minderjährigen selbst (!). Der Umfang der Hilfe zur Erziehung darf nach Abs. 2 allein vom »erzieherischen Bedarf im Einzelfall« abhängen, nicht aber von finanziellen oder anderen Erwägungen.

Bei der Prüfung der Rechtslage bezogen auf einen konkreten Fall arbeitet man in der Regel zielorientiert. Das heißt, man versucht zunächst Vorschriften zu finden, die eine gewünschte Rechtsfolge vorgeben (Wie kann der Familie ein Aufenthalt in Deutschland ermöglicht werden?). Erst dann prüft man, ob sämtliche im Gesetz geregelten Tatbestandsmerkmale im konkreten Fall erfüllt sind. Häufig wird man erst durch diese Subsumtionsbemühungen veranlasst, die genaueren, tatbestandsrelevanten Umstände des Sachverhalts aufzuklären (z. B. detaillierte Befragung aller Familienmitglieder nach Umständen, die eine politische Verfolgung bedeuten könnten).

Diese Anwendung des Tatbestands auf einen konkreten Lebenssachverhalt ist längst nicht immer in einer so eindeutigen und nachvollziehbaren Weise möglich, wie es nach der bisherigen Darstellung den Anschein haben könnte. Dies schon deshalb, weil die Subsumtion häufig von Begriffen abhängig ist, deren Bedeutung durch den Gesetzestext allein nicht eindeutig bestimmbar ist. So ist in Art. 16a GG der Begriff »politische Verfolgung« in seinem Ursprung kein Rechtsbegriff und erhält seine juristische Bedeutung erst durch eine Interpretation, die über die rein juristische Argumentation hinausgeht. Dasselbe gilt z. B. für die Begriffe »Wohl des Kindes« oder »Gefährdung des Kindeswohls« (Problematik unbestimmter Rechtsbegriffe▸ Kap. V.2.2).

Häufig ergibt sich aber auch erst aus dem Gesetzeszusammenhang oder anderen Rechtsnormen (Definitionsnormen,Ergänzungsnormen) die Bedeutung einer bestimmten Vorschrift. Bezogen auf das Grundrecht auf Asyl ergeben sich aus Abs. 2 und 3 des Art. 16a GG Konkretisierungen des Asylrechts (Einschränkungen), die durch den Gesetzgeber verbindlich vorgegeben sind. Es ist nicht die Aufgabe des Rechtsanwenders, diese gesetzlich vorgegebenen Konkretisierungen zu beurteilen. So ist es zwar beim Thema Asyl durchaus fraglich, ob es sinnvoll und verfassungsgemäß ist, die Gewährung des Grundrechts davon abhängig zu machen, aus welchem Land der Flüchtling einreist (Art. 16a Abs. 2 GG) und ob der Gesetzgeber »politische Verfolgung« in bestimmten Staaten grundsätzlich ausschließen kann (Art. 16a Abs. 3 GG). Die unbestimmten Rechtsbegriffe sind aber immer in der Auslegung anzuwenden, die das Gesetz durch dessen Sinnzusammenhang vorgibt. Die politische und ethische Diskussion über die mögliche Änderung von Gesetzen (auch die Frage, ob nichtstaatliche Verfolgung auch ein Asylgrund sein kann) ist an anderer Stelle (im Parlament) zu führen. Auch über die Verfassungsmäßigkeit einer Rechtsnorm hat nicht der Rechtsanwender zu entscheiden, sondern gegebenenfalls das Bundesverfassungsgericht.

Weiter ist zu beachten, dass gesetzliche Bestimmungen häufig durch Ausnahmeregelungen (Gegennormen) relativiert werden. So regelt § 67a Abs. 2 S. 2 SGB X durch Aufzählung mehrere Sondersituationen, wann Sozialdaten in anderer Weise als beim Betroffenen erhoben werden dürfen.

Diese Methode der Rechtsanwendung macht deutlich, dass die Anwendung rechtlicher Normen nicht abhängig sein soll von subjektiven Interpretationen und situationsbedingter freier Rechtsgestaltung. Einen solchen Umgang mit dem Recht muss man einüben. Allzu viel »Flexibilität« würde vor einer rechtlichen Überprüfung keinen Bestand haben. Weiter unten (▸ Kap. V) werden weitere Grundregeln der Rechtsanwendung beschrieben.

Diese deduktive, an den Gesetzen der Logik orientierte Methode der Subsumtion (Schluss vom allgemeinen Grundsatz auf den Einzelfall) wird auch in grundsätzlicher Weise in Frage gestellt. So gibt es Vorschriften, in denen nach einhelliger Meinung nicht die im Gesetz verwendeten Begriffe der letztlich entscheidende Maßstab sind, sondern auch auf den Zweck der Vorschrift bzw. die rechtlich erheblichen Interessen abzustellen ist (teleologischeAuslegung). Diese teleologischen (am Ziel und nicht am Wortlaut des Gesetzes orientierten) Ansätze sind aber insgesamt für die Rechtsverwirklichung nicht bestimmend geworden, sondern haben lediglich korrigierende und ergänzende Funktionen für einzelne Normen.

Bei einer rechtlichen Argumentation muss man sich immer zunächst auf die Subsumtionsmethode einlassen. Es ist also zu unterscheiden zwischen der Auslegung eines gesetzlichen Tatbestands, der Deutung eines Lebenssachverhalts, mit dem man konkret befasst ist, und der Umsetzung der Rechtsfolge. Nur wenn so ein sinnvolles Ergebnis schlechterdings nicht zu erreichen ist, kann in Ausnahmefällen eine Argumentation herangezogen werden, die diese abstrakt-generalisierende Subsumtion überschreitet. Die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und von Treu und Glauben können ein Abweichen von dieser starren Gesetzesanwendung in Einzelfällen (!) rechtfertigen (▸ Kap. II.3.5, ▸ Kap. II.2.2.6).

2 Verfassungsrechtliche Grundlagen

Die Verfassung, das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, hat grundlegende Bedeutung für alle Bereiche des deutschen Rechts. Die dort festgeschriebenen Maßstäbe bestimmen das Verständnis des gesamten deutschen Rechts und seine Funktionsweise. Wichtigster Teil der Verfassung sind die Grundrechte. Aus der Verfassung ergeben sich nicht nur grundlegende Rechte und Pflichten der Bürger, sondern auch die Befugnisse des Staates und dessen Grenzen. Hieraus ergeben sich die Leitlinien für die gesamte öffentliche Verwaltung, einschließlich der Sozialverwaltung. An dem historisch gewachsenen Spannungsverhältnis zwischen individuellen Freiheitsrechten und staatlicher Verantwortung, wie es das Grundgesetz widerspiegelt, werden die Grundprinzipien unserer Sozialordnung verständlich.

2.1 Menschenrechte/Grundrechte

Die rechtliche Bedeutung der Grund-/Menschenrechte erschließt sich durch ihre Entstehungsgeschichte. In der Französischen Revolution (1789 – 1799) und der amerikanischen »Virginia Bill of Rights« (1776) wurde erstmals proklamiert, dass jeder Mensch unveräußerliche Rechte hat. Es ging darum, staatliche Macht mit einem uneingeschränkten Machtanspruch gegenüber seinen Bürgern (totalitärer Staat) zu begrenzen. Das Bekenntnis zu den Menschenrechten bedeutet, dass jedem Menschen von Natur aus, unabhängig von seiner Abstammung, Rasse, Religion, Geschlecht oder anderen Merkmalen, gleiche Freiheitsrechte zustehen, die durch staatliche Macht nicht aufgehoben werden dürfen (vorstaatliche, unveränderliche Rechte). Hierbei handelte es sich zunächst um eine philosophisch-ethische Proklamation, die der rechtlichen Durchsetzung bedarf.

Im Rahmen des Grundgesetzes wurden sie zu Grundrechten, die für die gesamte staatliche Ordnung grundlegende und verbindliche Bedeutung haben. Die hinter den Menschenrechten stehende anthropologische Sichtweise ist verbindliche Orientierung für jedes staatliche Handeln. Hierdurch wird einerseits das Demokratieprinzip begrenzt (ein Gesetz, welches die Persönlichkeitsrechte eines Menschen oder einer Gruppe ignoriert, wäre verfassungswidrig). Gleichzeitig kommt hierin zum Ausdruck, dass wesentliche Bereiche des menschlichen Lebens auch für den Staat nicht verfügbar sind und dessen Handeln einer institutionalisierten Kontrolle bedarf (Prinzip der Gewaltenteilung, insbesondere Unabhängigkeit der Gerichte). Die sich daraus ergebende Absage an eine umfassende staatliche Verantwortlichkeit, die Betonung der Freiheitlichkeit und Eigenverantwortlichkeit jedes Menschen sind bis heute prägend für die Rolle des Staates und haben erhebliche Auswirkungen auf die Struktur des Sozialwesens.

Durch die Erfahrungen des Nationalsozialismus wurde die Notwendigkeit einer zuverlässigen Beschränkung staatlicher Macht besonders bewusst und die Betonung der Freiheitsrechte weiter gefördert. Darüber hinaus gibt es zahlreiche internationale Pakte zum Schutze der Menschenrechte. Insbesondere sind dies die Menschenrechtskonventionen der Europäischen Union und der Vereinten Nationen. Auf diesem Wege haben sich die meisten Staaten der Welt zur Beachtung von Menschenrechten verpflichtet. Auch die für die Soziale Arbeit relevanten Maßstäbe des internationalen »Code of Ethics« (▸ Kap. X.7) gründen in zentraler Weise auf diesen Menschen- und Grundrechten. Ein grundlegendes Problem besteht allerdings darin, dass die internationalen Strukturen zur Durchsetzung dieser Bürgerrechte schwach ausgeprägt sind. Ein weiteres Problem ergibt sich daraus, dass über die Substanz der Menschenrechte keineswegs Einigkeit besteht. Im Laufe der Geschichte haben sich vielmehr unterschiedliche Sichtweisen und Verständnisse herausgebildet. Auch die Grund- und Menschenrechte unterliegen einem Bedeutungswandel. So haben sich das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof immer wieder damit zu beschäftigen, welche konkreten Rechtsansprüche aus den Grund-/Menschenrechten herzuleiten sind (z. B. steuerliche Vergünstigungen für Familien, Zugang zur Bundeswehr für Frauen, Abhören von Telefongesprächen zwecks Terrorbekämpfung u. a.). Die im Jahr 2000 in Kraft getretene Grundrechtscharta der Europäischen Union enthält Grundsätze, die in Deutschland – im Gegensatz zu anderen europäischen Ländern – so bisher nicht anerkannt waren. Unter anderem werden hier garantiert ein Grundrecht auf Arbeit (Art. 15), Rechte des Kindes auf Schutz und Fürsorge (Art. 24), Rechte alter Menschen auf würdiges Leben (Art. 26) und das Recht auf eine gute Verwaltung (Art. 41).

Das Grundgesetz hat für Deutschland unverändert grundlegende Bedeutung. In Art. 1 – 19 GG wird unter anderem garantiert: das Grundrecht auf Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit der Person (Art. 2 GG), Gleichberechtigung, insbesondere von Männern und Frauen (Art. 3), Schutz von Ehe und Familie (Art. 6), Vereinigungs- und Koalitionsfreiheit (Art. 9), Schutz des Brief-‍, Post- und Fernmeldegeheimnisses(Art. 10), Berufsfreiheit (Art. 12), Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13) und das Grundrecht auf Asyl (Art. 16a). Im Zentrum steht die Würde eines jeden Menschen (Art. 1 GG). Über diese Grundrechte kann der Staat grundsätzlich nicht verfügen, dennoch gelten sie aber auch nicht völlig uneingeschränkt. Insbesondere wenn die Grundrechtsausübung einzelner Personen andere in ihren Rechten beeinträchtigt oder wichtige Gemeinschaftsinteressen berührt sind, ist eine Güterabwägung und teilweise Einschränkung der Grundrechte des Einzelnen unvermeidlich (z. B. Versammlungsfreiheit gegenüber Gefährdung anderer Menschen und Sachen). Es muss immer wieder neu geklärt werden, welcher Kernbereich tatsächlich unantastbare Gültigkeit beansprucht und welche Bereiche zur politischen Disposition stehen (vgl. z. B. die Diskussion über das Grundrecht auf Asyl, Datenschutz, Demonstrationsfreiheit).

Fest steht, dass die Grundrechte weder grenzenlos noch beliebig eingeschränkt werden dürfen. Der Staat ist vielmehr in grundlegender Weise auf die Beachtung und Verwirklichung der Menschenrechte in der Fassung der Grundrechte verpflichtet. Sie haben damit vorrangige Bedeutung vor allen anderen Rechtsnormen und sind deren Maßstab. Die öffentliche Verwaltung ist als vollziehende Gewalt in all ihren Bereichen verpflichtet, bei jeder Verwaltungshandlung die Grundrechte zu achten und zu fördern. Deshalb dürfen zum Schutz der Persönlichkeitsrechte z. B. Daten von Klienten nicht ohne weiteres weitergeleitet werden, und zur Feststellung oder Überprüfung eines Anspruchs auf Sozialleistungen ist das Betreten einer Wohnung ohne Zustimmung des Bewohners unzulässig. Soweit Sozialarbeiter/Sozialpädagogen in der öffentlichen Verwaltung arbeiten, sind sie unmittelbar an die Grundrechte gebunden. Verstoßen Maßnahmen der Verwaltung gegen die Grundrechte, können die Betroffenen dagegen mit Rechtsmitteln, bis hin zur Verfassungsbeschwerde vorgehen (▸ Kap. X.2).

2.2 Funktionen der Grundrechte

Ein Blick ins Grundgesetz führt zu Fragen, wie diese Normen zu verstehen sind und wie die Umsetzung im Einzelnen zu erfolgen hat. Ohne große Mühe ist aber auch ein Widerspruch zwischen den Formulierungen und der Wirklichkeit festzustellen. Etwa Art. 1 Grundgesetz (GG) lautet »die Würde des Menschen ist unantastbar«, obwohl tagtäglich auch in Deutschland die Würde von Menschen verletzt wird. In Art. 2 GG heißt es, »jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit«, obwohl jedem von uns häufig die Grenzen der eigenen Entfaltung viel bewusster sind als deren Möglichkeiten. In Art. 6 GG ist bereits unklar, was unter dem Begriff »Familie« heute zu verstehen ist. Gehören auch so genannte Einelternfamilien, unverheiratete Paare mit Kindern und gleichgeschlechtliche Partnerschaften dazu? Bei der Betreuung pflegebedürftiger Menschen oder bei der Feststellung des Bedarfs an Grundsicherungs- bzw. Sozialhilfeleistungen stellt sich die Frage, wie hier die in Art. 13 GG garantierte Unverletzlichkeit der Wohnung zum Tragen kommt. Im Zusammenhang mit Art. 12 GG schließlich stellt sich die Frage, wie es mit dem Recht auf Berufsfreiheit bei vergeblich Arbeit suchenden Menschen bestellt ist.

Es wird zwischen folgenden Funktionen der Grundrechte unterschieden:

2.2.1 Abwehrfunktion

Aus der geschichtlichen Entstehung der Grund- und Menschenrechte ergibt sich, dass die in Art. 1 ff Grundgesetz genannten Grundrechte vorrangig den Bürger vor unrechtmäßigen Eingriffen des Staates in seine Persönlichkeitssphäre schützen. Diese Abwehrfunktion der Grundrechte ergibt sich unmittelbar aus der Entstehungsgeschichte der Grund- und Menschenrechte (vgl. oben) und wird deshalb auch die primäre Funktion der Grundrechte genannt. In ihrer zentralen Bedeutung ist diese Abwehrfunktion der Grundrechte allgemein anerkannt. Besondere Bedeutung hat sie für die freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 GG), ungestörte Religionsausübung ohne staatliche Beeinflussung (Art. 4 GG), die Versammlungsfreiheit (Art. 8 GG) und den geschützten Wohnraum (Art. 13 GG). Den Menschen wird hierdurch ein staatsfreier Bereich gesichert, in dem sie ihre individuellen Rechte frei von staatlichem Einfluss entfalten können. So verstößt es z. B. gegen Art. 2 Abs. 1 GG, wenn einem Obdachlosen verboten wird, in einer Notunterkunft Besuch zu empfangen, oder wenn persönliche Daten eines Klienten länger als unbedingt notwendig gespeichert werden. Ebenso kann ein Mitarbeiter des Sozialamtes, aufgrund Art. 13 GG, nicht von einem Sozialhilfeempfänger Zutritt zur Wohnung verlangen, um dessen Bedürftigkeit überprüfen zu können (allerdings kann fehlende Mitwirkung Einschränkungen der Leistung zur Folge haben). Insoweit ergibt sich unmittelbar aus den Grundrechten ein einklagbarer Rechtsanspruch auf umfassenden Schutz vor staatlichen Eingriffen.

2.2.2 Wertentscheidende Grundsatznormen

Die Grundrechte garantieren aber nicht nur eine Unabhängigkeit von staatlichem Einfluss, sondern sind auch als Werteordnung zu verstehen. Staatliches Handeln ist hierdurch insoweit gebunden, dass jedenfalls bei Ermessensentscheidungen und jeder Auslegung von Rechtsbegriffen die Wertungen der Grundrechte zu berücksichtigen sind. Aus dieser wertentscheidenden Funktion der Grundrechte ergeben sich Pflichten des Staates zur aktiven Einflussnahme und zur Umsetzung in allen Rechtsbereichen. So gewährleistet z. B. das Strafrecht einen weitgehenden Schutz vor Persönlichkeitsverletzungen (Sachbeschädigung, Körperverletzung, Hausfriedensbruch, Sexualdelikte ...) und aus dem Zivilrecht ergeben sich Schadensersatzansprüche bei Beschädigung entsprechender Rechtsgüter (§§ 823 ff BGB).

Immer wieder wird auf die gesellschaftliche Bedeutung einer sich aus den Grundrechten und dem gesamten Grundgesetz ergebenden Werteordnung hingewiesen. Diese Rechtsgrundsätze sind allerdings nur sehr bedingt zur weltanschaulichen Orientierung geeignet. Die wesentlichen Merkmale der Verfassung, Freiheit des Einzelnen, Gleichbehandlung und Pluralität, sind zwar zweifellos wesentliche ethisch begründete Werte. Für das gesellschaftliche Leben und persönliche Identitätsbildung bedeutet dies aber vor allem wichtige Rahmenbedingungen. Konkrete Orientierung für das eigene Leben sucht man im an der individuellen Freiheit orientierten Grundgesetz jedoch weitgehend vergebens. Bemühungen um eine stärkere inhaltliche Konsensbildung auf Verfassungsebene waren in der Vergangenheit wenig erfolgreich. Verfassungssystematisch ist dies auch keineswegs erforderlich, aber – je nach Verfassungs- und Rechtsverständnis – kann man darüber kontrovers diskutieren. (Bedeutung ethischer Wertvorstellungen ▸ Kap. I.6, weltanschauliche Neutralität des Staates ▸ Kap. II.3.4, Auseinandersetzungen über die Rechtsstellung eheähnlicher Gemeinschaften ▸ Kap. IV.4.2)

2.2.3 Institutionelle Gewährleistungen

Als Folge der wertentscheidenden Bedeutung sichern die Grundrechte bestimmte Rechtsinstitute, ohne welche die Wertordnung nicht bestehen kann. So müssen Eigentumsrechte und das Erbrecht gesichert sein (vgl. Art. 14 GG), Strukturen vorhanden sein, die die Familienbildung in geordneter Weise ermöglichen (Art. 6 GG), und Wissenschaftsfreiheit muss gewährleistet sein (Art. 5 Abs. 3 GG). Der Staat ist nach herrschender Meinung verpflichtet, Maßnahmen zur Erhaltung und zum Schutz dieser Institute zu treffen.

Das Verständnis dieser Institutionen kann allerdings einem erheblichen Bedeutungswandel unterliegen. So begründet der institutionelle Schutz von Ehe und Familie unter anderem steuerliche Begünstigung von Ehepartnern und zahlreiche Vergünstigungen für Familien mit Kindern. Diese Förderungspflicht des Staates hat das Bundesverfassungsgericht immer wieder bestätigt. In der rechtlichen Beurteilung hat sich der Begriff der Familie aber erheblich gewandelt. So ist hierunter längst nicht mehr die Großfamilie zu verstehen, aber auch eine Ehe zwischen Mann und Frau muss nicht mehr Grundlage jeder Familie im rechtlichen Sinn sein. Bei vielen Sozialleistungen wird vielmehr auf die Sorgeverantwortung für Kinder abgestellt, so dass auch sogenannte »Restfamilien« und unverheiratete Eltern erfasst werden. Hier zeigt sich, dass die Inhalte der Werteordnung einer allmählichen Wandlung unterliegen. Darin, dass seit dem Jahr 2017 auch gleichgeschlechtliche Paare eine Ehe schließen können, kommt diese Entwicklung ebenfalls zum Ausdruck (▸ Kap. IV.2).

2.2.4 Teilhabe an staatlichen Leistungen

Der Staat ist verpflichtet, dem Bürger die Teilhabe an staatlichen Leistungen zu ermöglichen, wenn nur durch Leistungen des Staates die Ausübung von Grundrechten möglich ist. Insbesondere in den Bereichen, in denen der Staat ein Monopol hat, ist diese Funktion der Grundrechte von Bedeutung. Im Mittelpunkt steht hier die allgemeine Zugangsmöglichkeit zu staatlichen Einrichtungen (z. B. Hochschulen). Ebenso gehört hierzu das Recht der in Sozialversicherungen Versicherten, sich durch Wahlen an der Selbstverwaltung der Sozialversicherungen beteiligen zu können. Aktuell geht es auch darum, die Teilhabe bürgerschaftlichen Engagements bei Entscheidungen der Kommunalverwaltung zu ermöglichen. Teilweise wird auch gefordert, dass Leistungssuchende und Leistungsempfänger hinsichtlich der Auswahl bestimmter Sozialleistungen einen Anspruch auf Teilhabe an der Entscheidungsvorbereitung und Entscheidungsfindung haben sollen. Insoweit bestehen nicht immer einklagbare subjektive Rechte für den Bürger, aber die öffentliche Verwaltung ist grundsätzlich verpflichtet, zur Verwirklichung der Grundrechte die Leistungserbringung möglichst weitgehend entsprechend den individuellen Bedürfnissen zu gestalten.

2.2.5 Grundrechte als Anspruchsnormen

In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob der Staat auf der Grundlage der Grundrechte verpflichtet ist, bestimmte Leistungen, insbesondere Sozialleistungen, in einem bestimmten Mindestumfang zu erbringen (z. B. Wohngeld, Kindergeld, Grundsicherungsleistungen etc.). Als Argument wird angeführt, dass persönliche Entfaltung im Sinne der Menschenrechte überhaupt erst möglich ist, wenn die notwendigen materiellen, aber auch sozialpädagogischen und therapeutischen Voraussetzungen gegeben sind. Dagegen wird eingewandt, dass mit dieser Argumentation Leistungsansprüche ins Uferlose wachsen würden. Vor allem lässt sich aus der primären Schutzpflicht vor staatlicher Einmischung (Abwehrfunktion der Grundrechte) ein Recht auf soziale Leistungen nicht ohne weiteres herleiten.

Ob und wieweit der Staat verpflichtet ist, Daseinsvorsorge zu sichern, hat immer wieder die Gerichte beschäftigt. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass die Bedrohung der menschlichen Existenz gem. Art. 1 GG zu einem Anspruch auf Sicherung der minimalen Lebensgrundlagen durch die staatliche Gemeinschaft führt – solange der Staat leistungsfähig ist. Dies ergibt sich aus den Grundrechten im Zusammenwirken mit dem ebenfalls im Grundgesetz (Art. 20 Abs. 1 GG) grundgelegten Sozialstaatsprinzip (▸ Kap. II.3.6). Darüber hinaus gehend ist aber nach der herrschenden Meinung aus den Grundrechten ein Anspruch auf Einzelleistungen nicht herleitbar.3

Wenn und soweit gesetzliche Einzelbestimmungen durch die Gesetzgeber in Kraft gesetzt wurden, hat der Bürger einen Anspruch darauf, dass entsprechende Leistungen auch erbracht werden, und kann die Erfüllung dieser gesetzlichen Pflichten (nicht aber eine Änderung der Gesetze) einklagen.

2.2.6 Drittwirkung der Grundrechte

Bei den bisher genannten Funktionen geht es um die Gestaltung des Rechtsverhältnisses Staat – Bürger. Soweit die Grundrechte auch Auswirkungen auf die Rechtsverhältnisse zwischen Bürgern (auch Unternehmen und Vereine) haben, spricht man von einer Drittwirkung der Grundrechte. Umstritten ist, wieweit die Grundrechte auch im Verhältnis unter Bürgern und im Verhältnis der Bürger zu nichtstaatlichen Einrichtungen rechtlich relevant sind. Traditionell geht von den Grundrechten eine solche Drittwirkung (über die primäre Bedeutung Bürger – Staat hinaus) nicht aus (vgl. Art. 3 Abs. 3 GG). Denn der Rechtsverkehr unter den Bürgern ist von wechselseitiger Freiheit und Unabhängigkeit geprägt, nicht aber von Schutzpflichten, Strukturen der Daseinsvorsorge und Gleichbehandlung. Menschen und private Einrichtungen erhalten durch die Grundrechte Rechte, während sich hieraus Verpflichtungen für Träger staatlicher Macht ergeben.

So sind die Menschen aufgrund der Religionsfreiheit (Art. 4 GG) befugt, sich ohne jede staatliche Kontrolle zu Religionsgemeinschaften zusammenzuschließen und von den Mitgliedern eine bestimmte Weltanschauung zu verlangen. Die religiöse Gemeinschaft darf – anders als der zur religiösen Neutralität verpflichtete Staat – Personen mit abweichender Glaubenshaltung ausschließen. Es wäre widersinnig, wenn auch innerhalb der Religionsgemeinschaft Glaubensfreiheit bestehen müsste. Ebenso gilt im privaten und geschäftlichen Leben der Gleichbehandlungsgrundsatz