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Kern der geläufigen Erkenntnisauffassung und Grundlage der traditionellen Erkenntnistheorie ist der heuristische Kurzschluss des Inhalts mit dem Gegenstand der Erkenntnis, wie er sich in der Definition von Wahrheit als Übereinstimmung manifestiert. An diesen Kurzschluss schließen sich in logischer Konsequenz zwei weitere Kurzschlüsse an: Der theoretische Kurzschluss der grundlegenden Frage der Provenienz des Inhalts der Erkenntnis mit der Frage der Gewissheit dieses Inhalts, und der (dem Umstand, dass Gewissheit eine subjektive Kategorie ist, geschuldete) methodische Kurzschluss durch den konsequenten Ausschluss des Holismus der realen Erkenntnissituation aus der Erkenntnisreflexion. Das Ziel eines angemessenen (intelligiblen) Verständnisses der Erkenntnistätigkeit erfordert die Rückabwicklung aller drei Kurzschlüsse.
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Seitenzahl: 265
Veröffentlichungsjahr: 2025
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Dem Andenken an
Professor Robert Spaemann
und
Professor Kazutoshi (Johannes) Sugano
gewidmet
Prolog
Einleitung
Abschnitt 1: Logische Analyse (De- und Rekonstruktion) des Phänomens Erkenntnis
Abschnitt 2: Skizze des Weges zum Ziel einer naturalistischen Rekonstruktion der Phänomene Erkenntnis und Bewusstsein
Literaturverzeichnis:
»Das Wahre ist das Ganze.«
(G.W.F. Hegel)
Wir haben gewöhnlich eine gewisse Vorstellung von der Welt im Ganzen. Zu dieser gehören als Kernelemente die Vorstellungen: * Dass wir selbst Teil der Welt sind, ** dass wir nur einen Teil der Welt kennen, *** dass die Welt irgendwie unabhängig von uns existiert (und so, wie sie ist, da ist, auch wenn wir die Augen schließen, egal ob für den Moment oder für immer), und schließlich, **** dass es in der Welt (oder Natur) gewisse unveränderliche Gesetze gibt. Die Vorstellung von diesen unveränderlichen Gesetzen ist in unserer Zivilisation maßgeblich geprägt von den physikalischen Gesetzen. Im Gesamten ergeben diese Vorstellungen unsere Vorstellung von Realität.
Alle diese Vorstellungen stehen in enger Verbindung mit unserer Vorstellung von Erkenntnis, die in ihrem Kern geprägt ist von der Idee der passiven (und idealerweise objektiven) Wahrnehmung. Beide Vorstellungen, die der Realität, und die von Erkenntnis, bedingen einander, was dazu führt, dass ihr Schnittpunkt, die ontologische Grundannahme der unabhängigen Bestimmtheit der Dinge an sich (mit der Substanz als Trägerin der, als selbst-bestimmt wahrgenommenen, Eigenschaften) alternativlos erscheint. Diese Grundannahme findet ihren Niederschlag im heuristischen Kurzschluss des Inhalts mit dem Gegenstand der Erkenntnis als Ankerpunkt der traditionellen Erkenntnistheorie, und zwar gleichermaßen ihrer Rekonstruktion des Phänomens Erkenntnis, wie ihrer kritischen Reflexion über die Frage der Gewissheit als Maßstab der Erkenntnis im Sinne von Übereinstimmung zwischen Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis.
Einen Störfaktor im Kontext dieser Auffassung von Erkenntnis bildet allerdings der Holismus der realen Erkenntnissituation, der Umstand, dass das erkennende Subjekt sich selbst als ein Teil der Welt, d.h. als ein Element der Klasse der Gesamtheit der Erkenntnisgegenstände wahrnimmt, was dem Maßstab der Gewissheit den Boden entzieht und die Erkenntnistheorie zwingt, den Standpunkt der bloßen Reflexion und Beschreibung gegen den Standpunkt der Analyse einzutauschen, bezogen auf die reale Erkenntnistätigkeit. Da diese somit als Gegenstand der Erkenntnistheorie zugleich ihren eigenen analytischen Maßstab der Angemessenheit bildet, kann nicht Gewissheit, sondern nur Klarheit (Intelligibilität) das heuristische Ziel der Erkenntnistheorie sein.
Die Frage der Gewissheit unseres Wissens ist aus wissenschaftlicher Sicht, d.h. nach dem heutigen Stand unseres Wissens, eine voreilige Frage. Denn sie setzt zu ihrer Sinnhaftigkeit ein Wissen über das Phänomen Erkenntnis voraus, d.h. darüber, was Erkenntnis und Wissen aus wissenschaftlicher Sicht sind, das wir offensichtlich noch nicht haben. Fakt ist allerdings auch, dass jede Art von Erkenntnistätigkeit und Wissen per se immer schon (notwendig und inhärent) eine Idee von Wissen und Erkenntnis involviert, und zwar zumindest in Gestalt der formalen Unterscheidung zwischen Inhalt und Gegenstand des Wissens als Minimalbedingung; wobei die (logische) Natur der Beziehung zwischen Inhalt und Gegenstand zunächst offen ist, und selbst einen möglichen Gegenstand von Erkenntnis bildet, eben den Gegenstand der Erkenntnistheorie. Fakt ist schließlich auch, dass es nicht die eine philosophische Erkenntnistheorie gibt, sondern verschiedene, miteinander konkurrierende Theorien. Dessen ungeachtet erhebt die philosophische Erkenntnistheorie traditionell den Anspruch auf den Primat gegenüber der empirischen, naturwissenschaftlichen Erkenntnis, im Sinne des Anspruchs ihrer ›kritischen Legitimation‹ nach dem Maßstab der Gewissheit.
Das wirft die Frage auf, worauf sich der Anspruch der philosophischen Erkenntnistheorie auf ihren Primat gegenüber den Naturwissenschaften (der sich im Meta-Status der Wissenschaftstheorie widerspiegelt) genau gründet. Die Begründung dieses Anspruchs kann offensichtlich nicht in der Weise der direkten Referenz auf die (jeweilige) Theorie erfolgen, die ja ihrerseits unter einem Legitimationszwang (hinsichtlich ihrer eigenen Angemessenheit) steht. Er gründet sich vielmehr darauf, dass die philosophische Erkenntnistheorie das Thema der Legitimation als solches zu ihrem Kernthema erkürt, zum Kernpunkt ihrer Reflexion, und zwar – das ist der entscheidende Punkt – im Wege der Postulation von Gewissheit zur heuristischen Norm von Erkenntnis.
Die theoretische Kernfrage der Erkenntnistheorie, nämlich die nach der Natur der Beziehung zwischen Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis, wird auf diese Weise heuristisch dem Meta-Gesichtspunkt der Frage der Gewissheit, als scheinbar kritischer Dreh- und Angelpunkt der Erkenntnisreflexion, untergeordnet. Dieser erlaubt es der Erkenntnistheorie, kontinuierlich im Modus der (scheinbar vorbehaltlosen, radikalen) Reflexion zu verharren. Allerdings blendet sie dabei aus, dass, so umfassend kritisch der Maßstab der Gewissheit prima vista auch anmutet, er dennoch (unkritisch) seine eigenen Annahmen mit sich führt, die davon nicht gedeckt sind. So vor allem die metaphysische Annahme der (autonomen) Bestimmtheit der Dinge an sich, die zu den unhinterfragten Grundannahmen der traditionellen Erkenntnistheorie gehört, ohne die die Frage der Gewissheit (und mit ihr der kritische Standpunkt der Erkenntnistheorie) von Anfang an keinen vernünftigen Sinn ergäbe.
Wir werden diesbezüglich vom heuristischen Kurzschluss des Inhalts mit dem Gegenstand der Erkenntnis sprechen (dem tief verankerten Denken des Inhalts der Erkenntnis vom Gegenstand her), der die geläufige Vorstellung von Erkenntnis und Wissen (gleichsam als Kern ihrer Definition) dominiert. So schreibt etwa Descartes: »… wir erkennen die Substanzen nicht unmittelbar …, sondern nur dadurch, daß wir bestimmte Formen oder Attribute auffassen. Da diese nun, um zu existieren, irgendeinem Etwas einwohnen müssen, so nennen wir dieses Etwas, dem sie einwohnen, die Substanz.« [Descartes, 1972, 202]. Dem korrespondiert eine materiale Wissensdefinition, wie sie auch in der Frage ›Was können wir wissen?‹ zum Ausdruck kommt,1 und auch die geläufige Rede von ›Erkenntnisvermögen‹, resp. unserem ›beschränkten Erkenntnisvermögen‹.
Dieser heuristische Kurzschluss als Kern der Definition von Erkenntnis führt, wie sich zeigen wird, in logischer Konsequenz zu einer (in theoretischer Hinsicht fatalen) Missachtung der grundlegenden (und zugleich wandelbaren) Rolle der Heuristik für die Erkenntnistätigkeit im allgemeinen (und ihre durchaus variablen rationalen Maßstäbe). Dem entgegen scheint gerade die Überzeugung von der Unentbehrlichkeit der betreffenden metaphysischen Annahme als heuristische Bedingung für ein rationales Verständnis der Erkenntnistätigkeit ein zentrales Motiv für diesen Kurzschluss zu sein. Denn schließlich kann sich die Erkenntnistheorie in Betreff dieser Annahme, die maßgeblich für ihre Auffassung von Erkenntnis (und ihre eigene Heuristik) ist, nicht auf Gewissheit berufen, im Gegenteil: Eine der wesentlichen Konsequenzen, die sich aus dieser Auffassung ergeben, ist bekanntermaßen die, dass die betreffenden ontologischen Grundkategorien (Substanz und Kausalität) epistemologisch nicht (oder im Kantischen Sinne nur bedingt) zu rechtfertigen sind.
Aus dem primären, heuristischen Kurzschluss ergibt sich in logischer Konsequenz ein sekundärer, theoretischer Kurzschluss, nämlich der Kurzschluss der theoretisch primären Frage nach der Genese des Inhalts der Erkenntnis mit der Frage nach der Gewissheit des betreffenden Inhalts, also die Deutung und Analyse des Erkenntnisvorgangs im (heuristisch dominanten) Horizont der Frage der Legitimation (Gewissheit) der Erkenntnisinhalte. Die traditionelle Erkenntnistheorie setzt damit gewissermaßen den zweiten Schritt (die Frage der Legitimation) vor dem ersten (der unvoreingenommenen Analyse der Generierung der Erkenntnisinhalte im Hinblick auf die konkrete Erkenntnistätigkeit).
Der Umstand, dass Gewissheit als ultimative Norm der Legitimation von Erkenntnisinhalten eine subjektive Kategorie ist, führt schließlich noch zu einem dritten, diesmal methodischen Kurzschluss, nämlich der konsequenten Negation des Holismus der realen Erkenntnissituation in der zugespitzten Form der Deutung der Erkenntnisbeziehung im Sinne eines Subjekt-Objekt-Gegensatzes, die auch im geläufigen Topos von der Erkenntnis der ›Außenwelt‹ zum Ausdruck kommt. Dieser methodische Kurzschluss impliziert im Hinblick auf den erkenntnistheoretischen Anspruch der kritischen Legitimation der empirischen Naturwissenschaften den konsequenten Ausschluss des empirischen (wissenschaftlichen) Wissens aus der Erkenntnisreflexion.
Das skizzierte Setting der traditionellen Erkenntnistheorie und ihr eigener heuristischer Fokus auf das Ziel der Gewissheit erweist sich letztlich als eine formidable Sackgasse. Und zwar, weil sich der Maßstab der Gewissheit auf die Erkenntnisinhalte bezieht, die Frage der Gewissheit dabei aber das gesamte Setting der Erkenntnistheorie vorgeben muss, weshalb sich die erkenntnistheoretische Reflexion letztlich in der Debatte erschöpft. Zieht man ins Kalkül, dass die Erkenntnistheorie (gleich welche) ihrerseits ein Produkt von Erkenntnistätigkeit, also ein Erkenntnisinhalt ist, so geht im Grunde jeder Anhaltspunkt der Reflexion über Gewissheit verloren.
Um zu einem angemessenen analytischen Verständnis des Phänomens Erkenntnis (als Vorbedingung für alles weitere) zu kommen, ist es demgegenüber naheliegend, den genau umgekehrten Weg zu beschreiten, d.h. die drei genannten Kurzschlüsse, den heuristischen, den theoretischen und den methodischen, in umgekehrter Reihenfolge rückabzuwickeln: Ausgehend von der affirmativen Kenntnisnahme des Holismus der realen Erkenntnissituation hin zur logischen Analyse der realen Erkenntnistätigkeit auf dieser Grundlage, und schließlich zur Analyse der grundlegenden Rolle der Heuristik für die Erkenntnistätigkeit, mit ihren wesentlichen Ausprägungen: der rein pragmatischen, der (an den Objekten orientierten) qualitativ deskriptiven, und der mathematisch dekonstruktiven.
Diese Vorgangsweise entspricht in Summe einer logischen De- und Rekonstruktion der traditionellen Erkenntnistheorie und sie zwingt zugleich dazu, deren Anspruch auf den Primat gegenüber der empirischen Naturwissenschaft (der mit der Idee der Unhintergehbarkeit des Subjekts verbunden ist) zu revidieren.2 Aufgabe und Ziel der Wissenschaftstheorie kann es nicht sein, der empirischen Wissenschaft (auf Basis einer bestimmten Erkenntnistheorie) methodische Normen vorzugeben, sondern die Wissenschaftstheorie muss ihrerseits an der realen, heuristisch angeleiteten Erkenntnistätigkeit der Wissenschaftler Maß nehmen und sich folglich auch ihrerseits an dem angemessenen Verständnis dieser Tätigkeit messen lassen. Ihr primäres Ziel kann nur die rationale Nachvollziehbarkeit dieser Tätigkeit auf Basis (und zugleich als eigener Test) der jeweiligen Erkenntnistheorie sein. Sie eröffnet damit zugleich auch die Perspektive einer rational nachvollziehbaren Anknüpfung der Erkenntnistheorie an die Ergebnisse der Physik als Grundlagenwissenschaft, in dem Setting, das durch die beiderseitige dekonstruktive Vorgangsweise vorgegeben wird; dieses impliziert das Ziel der rationalen Nachvollziehbarkeit nach dem heuristischen Maßstab der Dekonstruktion, der einzig in der Angemessenheit der darauf aufbauenden Rekonstruktion der betreffenden Phänomene besteht.
Dieser heuristische Maßstab der Legimitation ist auch der einzige, der sinnvoll auf die Erkenntnistheorie selbst angewendet werden kann. Geht man davon aus, dass der Gegenstand der Erkenntnistheorie das Phänomen Erkenntnis, die reale Erkenntnistätigkeit, ist – nicht eine vorgefertigte Vorstellung von diesem Phänomen –, und stellt man zudem in Rechnung, dass jede Erkenntnistheorie (egal, ob in der Gestalt einer rudimentären, naiven Idee oder einer elaborierten Theorie) ihrerseits ein Produkt von Erkenntnistätigkeit ist, so folgt daraus dass ihr einziger eigener Maßstab nur in der Angemessenheit der Theorie an ihren Gegenstand, die reale Erkenntnistätigkeit, bestehen kann. Die Differenz zwischen Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis trifft auf die Erkenntnistheorie nicht weniger zu, als auf beliebige andere Erkenntnisinhalte. Was notwendig zu dem Schluss führt, dass nicht Gewissheit, sondern einzig rationale, analytische Klarheit bezüglich des Phänomens Erkenntnis, d.h. bezüglich der realen Erkenntnistätigkeit in all ihren Formen und Facetten, das Ziel und der originäre Maßstab der Erkenntnistheorie sein kann. Erst auf dieser Grundlage lässt sich das Thema Gewissheit überhaupt in vernünftigem Rahmen (ohne präjudizierende Annahmen) erörtern.3 An die Stelle des Zieles der inhaltlichen Gewissheit als irrealem Fluchtpunkt der Erkenntnisreflexion (weil eben die Erkenntnistheorie selbst ein Produkt von Erkenntnistätigkeit ist) tritt somit notwendig die intrinsische Bindung an das Kriterium der Angemessenheit der theoretischen Rekonstruktion der realen Erkenntnistätigkeit und ihrer (je nach Heuristik unterschiedlichen) Ratio.
Die zentrale These dieser Abhandlung wird sein, dass die affirmative Kenntnisnahme des Holismus der realen Erkenntnissituation (d.h. der Betrachtung des Erkennenden als eines Elements der Klasse der Erkenntnisgegenstände) die notwendige Bedingung für eine angemessene Analyse, bzw. ein angemessenes logisches Verständnis der realen Erkenntnistätigkeit ist. Diese wird folgerichtig auf der These aufbauen, dass Differenzierung die fundamentale, transzendental-logische Bedingung von Erkenntnis (in vorgegebenem holistischem Rahmen) ist. Als solche Bedingung bildet sie den Schlüssel zu einer logischen Dekonstruktion der traditionellen Erkenntnisauffassung ineins mit einer logischen Rekonstruktion der realen Erkenntnistätigkeit; und zwar anhand des Leitfadens der Frage der Quelle des Inhalts der Erkenntnis, die daher ihren eigenen Maßstab mit sich führt, nämlich die Adäquatheit der epistemo-logischen Rekonstruktion der Genese (resp. Generierung) dieser Inhalte. Dabei (ohne heuristisches Präjudiz) anknüpfend an die rein formale Unterscheidung zwischen Inhalt und Gegenstand der Erkenntnis, bzw. des Wissens, als logischer Kern und als Minimalbedingung von deren Definition (im Gegensatz zur geläufigen materialen Definition von Wissen).4
Die affirmative Kenntnisnahme des Holismus der realen Erkenntnissituation als Schlüssel für die Lösung der Aufgabe der logischen Rekonstruktion der realen Erkenntnistätigkeit bedingt in ontologischer Hinsicht, dass die Erkenntnisbeziehung nicht anders, denn als unilaterale Bezugnahme analysiert werden kann. Die Darstellung von Erkenntnis als Beziehung hat zwar ihre Berechtigung, aber nur als formale, vom Meta-Standpunkt der Reflexion, nicht im Hinblick auf das konkrete Ziel der Analyse und logischen Rekonstruktion der Erkenntnistätigkeit.
Den Kernpunkt der logischen De- und Rekonstruktion der Erkenntnistätigkeit wird die These bilden, dass nicht die unmittelbaren Sinneseindrücke per se, sondern deren Differenzierung die Quelle des Inhalts der Erkenntnis bildet. An die Differenzierung der Sinneseindrücke als logische (bzw. transzendental-logische) Bedingung der Möglichkeit von Erkenntnis (ebenso wie von konkreter Bezugnahme) werden sich schließlich in logischer Konsequenz zwei weitere (›transzendentale‹) Bedingungen von Erkenntnis knüpfen, nämlich unilaterale Bezugnahme (im Rahmen des Holismus der Situation) als onto-logische Bedingung der Möglichkeit von Differenzierung, und Kriterien der Differenzierung (die Heuristik) als trans-logische Bedingung.5
Den Prüfstein dieser Ergebnisse der rein logischen Analyse bildet, wie bereits betont, die Aufgabe der rationalen Rekonstruktion der realen Erkenntnistätigkeit in concreto. Besonderer Stellenwert wird dabei der sorgfältigen Einlösung dieser Aufgabe im Hinblick auf das dekonstruktive Erkenntniskonzept der Physik als Grundlagen-Wissenschaft zukommen, das sich hinsichtlich aller drei genannten Bedingungen markant vom deskriptiven Erkenntniskonzept unterscheidet.
Und zwar auch und besonders im Hinblick auf die sich konsequent daraus ergebenden ontologischen Schlussfolgerungen. Denn die pure Logik der Dekonstruktion entbindet die physikalischen Theorien vom ontologischen Korsett der Deskription, der Zuschreibung von Eigenschaften, und rückt vielmehr die grundlegenden physikalischen Konzepte selbst in den Fokus der ontologischen Reflexion. Diese Reflexion wird, vermittels eines reinen Vernunftschlusses, zur ontologischen These vom Primat der Konstellation vor den Elementarteilchen (in puncto deren Verhaltens) führen und, in weiterer Konsequenz, zur ontologischen These vom Prinzip der Autarkie als Prinzip der Vereinzelung, der physikalischen Konstitution konkreter, struktureller Einheiten.
In Kombination mit dem, der These vom Primat der Konstellation entsprechenden, analytischen Verständnis der totalen Immanenz der physikalischen Ebene (als Ebene ohne unilaterale Bezugnahme und folglich ohne Differenzierung) wird sich das ontologische Prinzip der Autarkie (im Wege der trans-logischen Unterscheidung von kontingenter und prekärer Autarkie) als Schlüssel für ein angemessenes Verständnis der Phänomene Erkenntnis und Bewusstsein auf naturwissenschaftlicher Grundlage erweisen (ebenso wie als Anhaltspunkt für eine natürliche Erklärung, vermittels des Fokus auf die Frage der natürlichen Genese von Differenzierung, d.h. von unilateraler Bezugnahme und Heuristik, als elementares Prinzip von Erkenntnistätigkeit).
Die logische Analyse, bzw. De- und Rekonstruktion des Phänomens Erkenntnis bildet auf diese Weise also zugleich die analytische Grundlage und den Anknüpfungspunkt für eine De- und Rekonstruktion der Phänomene Erkenntnis und Bewusstsein auf naturwissenschaftlicher Grundlage, m.a.W., die analytische Grundlage für eine angemessene (nicht reduktionistische) Philosophie und Phänomenologie des Geistes, entsprechend dem rationalen Anspruch und Maßstab der De- und Rekonstruktion, nämlich der rational nachvollziehbaren Klarheit in Betreff der realen Erkenntnistätigkeit in allen ihren Erscheinungsformen, inklusive der Logik der traditionellen Erkenntnisvorstellung.
Der vorliegende Titel ›Rehabilitation der reinen Vernunft‹, als des klassischen Vermögens der Transzendierung der Erkenntnis des Einzelnen (der individuellen Gegenstände) hin auf die umgebende Totalität, verweist auf eine Agenda, die bereits unausweichlich in der elementaren Erkenntnistätigkeit der Differenzierung als solcher grundgelegt ist, und in der dekonstruktiven Heuristik der Physik ihren (und zwar en detail) ganz spezifischen methodischen Ausdruck findet.
Er ist gleichzeitig, in bewusster Anspielung auf Kants ›Kritik der reinen Vernunft‹, zu verstehen als Plädoyer gegen den – dem prinzipiellen Holismus der Erkenntnissituation in keiner Weise angemessenen – Maßstab der Gewissheit als Ankerpunkt der Erkenntnisreflexion, der einem angemessenen analytischen Verständnis der realen Erkenntnistätigkeit im Wege steht. Nicht die ›objektive‹ mentale Repräsentation, sondern vielmehr die sukzessive Erschließung der (auch den Erkennenden selbst umfassenden) Gesamtheit (der ›Welt‹) von einem immanenten Standpunkt aus ist – mit welcher heuristischen Zielsetzung auch immer – der logische Kern der Erkenntnistätigkeit. Mentale Repräsentation ist nur ein sekundärer Aspekt, ein fluides Ergebnis dieser Tätigkeit, nicht mit dieser gleichzusetzen. Die Frage der Gewissheit ist primär an die Analyse dieser Tätigkeit, in Form der Frage ihrer eigenen Angemessenheit, zu richten. Deren Maßstab ist die detaillierte logische Rekonstruktion der Genese spezifischer Arten von Erkenntnisinhalten und deren eigenständiger heuristischer Ratio (in evolutionärem und historischem Kontext).
Die vorliegende Abhandlung ist gegliedert in 20 Thesen und fünf durchgängig zusammenhängende, aber dennoch unabhängig voneinander rezipierbare und verstehbare Teile. Jeder der ersten vier Teile verfügt über ein eigenes Abstract sowie ein als ›Fazit und Ausblick‹ betiteltes Kapitel, um einen unabhängigen Einstieg bei jedem der Teile zu ermöglichen. Der Grund für diese ungewöhnliche Gliederung besteht in dem Ziel, auch Menschen, nicht zuletzt Wissenschaftlern, die sich (mangels Vertrautheit) nicht mit dem philosophiehistorischen Kontext auseinandersetzen wollen, einen rascheren Einstieg bei den sie interessierenden Teilen, bzw. Themen zu bieten.
1 Formuliert man die Frage ›Was können wir wissen?‹ in der konkreteren Form der Frage ›Was können wir über die Gegenstände wissen?‹ so vermeidet man die heuristische Gleichsetzung von Wissen mit Gewissheit, denn zu den Gegenständen des Wissens gehört (zumal im Kontext der Erkenntnistheorie) auch das erkennende Subjekt selbst.
2 In klassischen Termini: Die sog. ›Endlichkeit unseres Erkenntnisvermögens‹ muss endlich ernst genommen werden als Prinzip der Erkenntnistätigkeit, ohne den Fluchtpunkt der Annahme eines göttlichen Standpunkts der Erkenntnis.
3 Ein angemessener Ansatzpunkt für die Reflexion über die Frage der Gewissheit ist die Frage, was das erkennende Subjekt mit Sicherheit über sich selbst weiß.
4 Der Skeptizismus greift übrigens auf dieser Ebene nicht, vielmehr macht sie die eigenen, unhinterfragten metaphysischen Voraussetzungen der Logik des Skeptizismus deutlich.
5 Daraus wird sich, rein logisch, auch ein anderes Verständnis der Sprache ergeben, nämlich als Vehikel der gemeinsamen, vermittelten Bezugnahme auf die Gegenstände, die von sich aus, qua ihrer verbindlichen Regeln des Gebrauchs, eine normierende Funktion ausübt. Sie gibt ihre eigenen Wahrheitsbedingungen im Rahmen der Kommunikation vor. Diesem Verständnis der Sprache korrespondiert wiederum das Verständnis von Erkenntnis als Erschließung, nicht (bzw. nur sekundär) als mentale Repräsentation.