Reise in die Zukunft der Führung -  - E-Book

Reise in die Zukunft der Führung E-Book

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Beschreibung

Was bewegt eine Führungskraft wirklich dazu, sich zu verändern? Wie kann sie dafür ihren Selbstwert entwickeln und tragfähige Beziehungen zu ihren Mitarbeitenden aufbauen? Wie wird Künstliche Intelligenz die zukünftige Führungskraft unterstützen? In diesem Werk navigieren Sie durch die facettenreichen Herausforderungen und Chancen der kommenden Führungskräfteentwicklung.

In diesem außergewöhnlichen Buch werden Sie von verschiedenen Expert:innen der Szene auf eine Heldenreise mitgenommen. Auf dem Weg zu zukunftsweisender Führung werden innere und äußere Konflikte sowie die emotionalen Höhen und Tiefen dieses persönlichen Entwicklungsprozesses nicht ausgespart. Und dies immer vor dem Hintergrund der zentralen Frage: Wie kriege ich innere und äußere Transformation ausbalanciert, persönliche und organisationale Veränderungen in Einklang?

Die Autorinnen und Autoren:
Den Herausgeberinnen Sonja Höhn und Stefanie Philippi ist es gelungen, kompetente Kolleginnen und Kollegen für die "Reise in die Zukunft der Führung" zu gewinnen: Erich B., Elizabeth Petzke, Heike Weil, Karin Gräppi, Christoph Koar, Sebastian Milczanowski, Nick Philippi.

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Seitenzahl: 367

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Sonja Höhn, Stefanie Philippi (Hrsg.)

Reise in die Zukunft der Führung

Zukunftsorientierte Führungskräfteentwicklung: Selbstwert stärken, Beziehungen gestalten, Impulse setzen

© 2024 managerSeminare Verlags GmbH

Endenicher Str. 41, D-53115 Bonn

Tel.: 0228-977910

[email protected]

www.managerseminare.de/shop

Der Verlag hat sich bemüht, die Copyright-Inhaber aller verwendeten Zitate, Texte, Abbildungen und Illustrationen zu ermitteln. Sollten wir jemanden übersehen haben, so bitten wir den Copyright-Inhaber, sich mit uns in Verbindung zu setzen.

Alle Rechte, insbesondere das Recht der Vervielfältigung und der Verbreitung sowie der Übersetzung, vorbehalten.

ISBN: 978-3-98856-384-2

Herausgeber der Edition managerSeminare:

Ralf Muskatewitz, Jürgen Graf, Nicole Bußmann

Lektorat: Jürgen Graf

Coverfoto: Depositphotos/lazyllama, Grafik: Stefanie Diers

Illustrationen: Stefanie Diers und Sonja Höhn

E-Book-Herstellung: Zeilenwert GmbH, Rudolstadt

Ihre Download-Ressourcen

Begleitend zum Buch stehen Ihnen Arbeitshilfen für die persönliche Verwendung zum Download im Internet zur Verfügung. Sie können die Vorlagen jederzeit über folgenden Link abrufen und einsetzen.

 www.managerseminare.de/tmdl/k,262865

Inhalt

Cover

Impressum

Einleitung

Darum geht’s

1. Gewohnte Welt oder Aufbruch?

Vorab

Veränderung bedeutet Unsicherheit

Reiseroute: Führungskraft oder Experte?

Leadership – einen Schritt weiter gedacht

Krisenerleben und Selbstwert

Abschied nehmen, heißt trauern

2. Die Reise ins Ich

Vorab

Sich selbst führen, heißt …

Kapitän Langstrumpf

Die Kunst, immer wieder aufzustehen

Führungsinstrument Selbstreflexion

Selbstwert entwickeln

3. Reisetagebücher

Vorab

Ein Baby-Boomer im öffentlichen Dienst: Von der Führungskraft zum Personaler

Generation X: Ein Aufstieg im privat-wirtschaftlichen Gesundheitswesen

Generation Y im Mittelstand: Eine neue Führungshaltung

4. Beziehungen gestalten

Vorab

Beziehungen gestalten, die tragen

Konflikte? – Ein Gestaltungsmittel!

Die machtvolle Magie des „?“

Aus Fehlern wird Mensch klug

Ein Fehler namens Fifi

Sicherheit geben

Alles, was Recht ist – wenn Spielregeln gebrochen werden

Wie Sie Selbstwirksamkeit fördern

5. Impulse und Verzahnung

Vorab

Nachhaltigkeit – das Zauberwort der Zukunft

Erkenntnisse aus Organisationsentwicklungen

Autonomie schützt

Die Sicht der Generation Z

„Es geht um mich” – Entwicklungsreisen junger Führungskräfte

HR und die Entwicklung von Führungskräften

6. Zukunftsvisionen und ein Ausblick

Vorab

Künstliche intelligente Führung – Retter der Menschlichkeit?

Rückblick und Ausblick

Danksagung

Anhang

Die Autorinnen und Autoren

Literatur- und Quellenverzeichnis

Stichwortverzeichnis

Einleitung

Darum geht’s

Was gibt es zum Thema Führung noch zu schreiben?

Wir wussten gleich: Dieses Buch ist das, was wir immer wollten, und es wird eine riesige Herausforderung. Was gibt es zum Thema „Führung“ schon noch zu schreiben, was nicht schon viel zu häufig geschrieben wurde? Auch unsere Vorgänger zweifelten daran, etwas Neues schreiben zu können. Doch genau das ist die Art von Sackgasse, aus der wichtige Veränderungen entstehen können.

Wir, das sind Stefanie und Sonja, haben uns also aufgemacht und darüber nachgedacht, was wir mit diesem Buch Führungskräften bringen könnten. Wir saßen vor Stefanies Wohnmobil und haben uns gefragt, worum es gehen müsste: Was ist Charisma? Was ist Haltung? Wie stabil muss eine Führungskraft sein? Wenn es um die Zukunft der Führung geht, müssen wir dann nicht wissen, wie die Zukunft aussieht? Wer kann das schon von sich behaupten? Und wer kann entscheiden, was wirklich gute Führung ist? Wie kann man das lernen?

Unser Interesse an diesem Buch ist einfach: Wir liefern einen Beitrag aus der Praxis für die Praxis – keine neuen Theoriegebilde, kein alter Wein in neuen Schläuchen, sondern Impulse, wie Führungskräfteentwicklung die Zukunft von Organisationen nachhaltig verändern kann. Und ein wichtiges Element dabei ist gerade, dass wir nicht allein die Führungskräfte ansprechen wollen, sondern immer die Führungskraft verzahnt im Kontext ihrer Organisation!

Wir waren uns sicher, dass wir sehr Hilfreiches zu bieten haben und machten uns auf die Reise. Bildlich gesprochen, begann unsere Reise auf einem Wohnmobilstellplatz bei einer Portion Spaghetti, die Stefanie in der Miniküche zubereitet hatte. So lecker!

Es hatte etwas von Lagerfeuer-Atmosphäre – nur ohne Feuer und mit Solarzellen auf dem Dach. Und der Gedanke daran kam auf, wie wohl in alten Zeiten neue Generationen am besten auf ihre Herausforderungen vorbereitet wurden. So kam uns das Bild von begnadeten Geschichtenerzählern am Lagerfeuer in den Sinn. Nur die Geschichten, die den Menschen was bedeuteten, die berührten, wurden überliefert und als hilfreich behalten. Welche Elemente müssten diese Geschichten enthalten?

Uns war klar: Es gibt eine Sehnsucht nach mehr Tiefe und (Be-)Rührung: Tiefe in Begegnungen, Gesprächen oder Beziehungen.

Es gibt den Gänsehauteffekt, wenn …

wir Lieder hören, die uns unter die Haut gehen.

wir Geschichten hören, die uns in ihren Bann ziehen.

wir im Coaching oder Training an einen Punkt kommen, der zutiefst berührt.

Und das passiert, wenn …

die menschliche Zuwendung über den Instrumenten steht.

die innere, stimmige Haltung wichtiger ist als die angewandte Technik.

es weniger um Daten und Fakten, sondern mehr um das Erleben des Menschen geht.

Wir kamen auf „die Heldenreise“ (Campbell, 1949). Sie ist eine Erzählstruktur von erfolgreichen Legenden, Mythen, Märchen und Filmen. Sie ist die Dramaturgie der inneren Reifung eines Menschen, der sein Leben gestaltet und meistert. Genau das war es! Nur, dass Führungskräfte die Hauptfiguren der „Heldenreise“ sein sollten.

Führung ist ein sozialer Reifungsprozess – und ähnelt einer Heldenreise.

Sie kommt von einer reinen Abfolge von Handlungen zu einer inneren Entwicklung der Figuren. Solche Geschichten „bewegen“ uns, weil sie Relevantes transportieren. Und wir merken schnell, wenn die Handlungen einer Figur nicht „stimmig“ sind. So wie wir im Berufsleben schnell merken, wenn Führungskräfte sich „geschult“ und nicht mehr authentisch verhalten.

Auch in Coaching und Training wird zunehmend mit der Heldenreise als Strukturierungshilfe und Sinnstiftung gearbeitet. Die eigene Reifung wird dadurch als Mittel und (!) Zweck verstanden. Und das Mensch-Sein wird wieder zum Schwerpunkt.

Wer konnte uns bei unserem Projekt unterstützen? Wir fanden:

Führungskräfte, die auf die eigene, langjährige Entwicklung zurückblicken oder gerade in die Führungslaufbahn eingestiegen sind

Personaler, die vor neuen Herausforderungen stehen oder aus dem Ruhestand zurückschauen

Führungskräfte-Coachs und -Berater mit jahrzehntelanger Erfahrung

Junge Menschen am Beginn ihres Berufslebens

Diese wollten sich als Autoren und Autorinnen einbringen oder interviewen lassen oder als Beispiel-Stiftende zum Inhalt beitragen. Um zu sehen, was sich daraus ergibt, hatten wir ihnen unser Leitmotiv vorgestellt und Fragen dazu formuliert. Dies ist die Beschreibung der „Heldenreise“ und ein Auszug aus dem Fragenkatalog:

Die „Heldenreise“ stellt eine zentrale Erzählstruktur dar, die sich in erfolgreichen Mythen, Märchen, Büchern, Filmen, … wiederfinden lässt. Die psychologischen Prozesse werden deutlicher herausgearbeitet als bei einer nur beobachtbaren Abfolge von Handlungen.

Die Erzählstruktur der Heldenreise

1. Gewohnte Welt: Die Hauptfigur startet unperfekt, mit einer Schwäche, die der Figur noch nicht bewusst ist. Die gewohnte Welt wird beschrieben (Komfortzone).

2. Auslöser: Die Figur wird durch ein Ereignis aus dem Alltag herausgerissen.

3. Weigerung: Die Figur weigert sich, sich zu verändern oder sich auf den (unbekannten) Weg zu machen. Es gibt innere/äußere Widerstände.

4. Entscheidung und Reise: Durch einen Mentor oder andere Umstände trifft die Figur die Entscheidung für die Veränderung. Sie geht auf die Reise und es gibt ab jetzt keinen Weg mehr zurück. Dort muss sie Bewährungsproben (Prüfungen, Zerreißproben) bestehen, Verbündete finden, Gegner erkennen, Entschiedenheit und Zweifel wechseln sich ab, es gibt innere und äußere Hindernisse, Herausforderung und Ruhepol wechseln sich ab …

5. Katastrophe: Der absolut schwärzeste Moment. Der schlimmste Feind scheint zu gewinnen. Die Figur scheitert. Alles sieht verloren aus.

6. Überraschende Wende: Die Figur nimmt all ihren Mut zusammen – aus der Verzweiflung heraus. Sie entwickelt eine entscheidende Ressource. Die Figur wird belohnt (mit einer zusätzlichen Kraft, einem Zauberstab, …). Die persönliche Reifung führt dazu, die Katastrophe zu überstehen und gestärkt daraus hervorzugehen. Meist wird hier auch der „Mentor“ überflüssig.

7. Rückkehr: Die Figur kehrt als anderer Mensch zurück und muss sich wieder in ihre Welt einfinden oder die Welt ändern – oder verlassen …

Fragen, die wir uns und unseren Mitautor:innen stellten

Nach dieser Einleitung mit den wichtigsten Phasen der Heldenreise lassen sich die folgenden Fragen, die wir den Beteiligten stellten, besser verstehen:

Welche Zweifel, inneren oder äußeren Widerstände gab es vor, während und nach der Teilnahme an der Führungskräfteentwicklung (FKE)?

Welche Gewohnheiten/Persönlichkeitseigenschaften mussten überdacht/auf den Prüfstand gestellt/sortiert werden?

Was war Deine größte Erkenntnis/der schlimmste Moment? Was hatte Deine Vorstellung von Realität am meisten zum Wanken gebracht? Gab es so etwas überhaupt?

Was war für Dich eine Schlüsselsituation in der FKE/in Deiner beruflichen Praxis, die Dich entscheidend weitergebracht hat?

Was hat letztlich den größten Einfluss auf Deine Persönlichkeitsentwicklung – auch hinsichtlich der Wirkung auf Eure Organisation – gehabt?

Was hat Dein Handeln nachhaltig verändert?

Womit wurdest Du persönlich/Deine berufliche Organisation für Deine Veränderung belohnt?

Was war Dein persönlicher Gewinn? (Innere Sicherheit, Kompetenzsicherheit, Urvertrauen in eigene Einschätzung/Vision, Selbstläufer anstoßen, Selbstverlässlichkeit, Schwierigkeiten aushalten können, …)

Was ist für Dich persönlich heute die zentrale handlungsleitende Vision und wie hängt sie mit Deiner Arbeit zusammen?

Was hat sich für Dich im Hinblick auf das Thema „Mitarbeiterführung“ verändert? Was machst Du heute in Deiner Arbeitspraxis anders?

Was hältst Du für die entscheidenden Herausforderungen und Aufgaben von Führungskräften in Zukunft?

Wie sollten Organisationen diesen begegnen? Worauf müssten sie unbedingt achten?

Einige entschlossen sich, lieber anonym zu bleiben und trotzdem ihre Führungsgeschichte zu erzählen. Denn es gab auch hier Zwickmühlen: Wie könnten wir in einem Fachbuch so in die Tiefe gehen, ohne uns selbst oder andere aus unserem Umfeld bloßzustellen?

So ergab sich ein Ratgeber, der Führungskräften ihre ganz persönliche Reise ermöglichen soll.

Was gehört in welchen Koffer? Brauche ich einen Helm? Was braucht man, wenn man eingefahrene Gleise wirklich verlassen und nicht „wie bestellt und nicht abgeholt“ am Gleisbett stehen will? Wie stelle ich meine Reisegefährten zusammen, damit sie auch im Scheitern an meiner Seite bleiben? Wie bringe ich andere dazu, uns zu unterstützen? Und ganz nebenbei: Wie retten wir die Welt?

Der Reisezyklus

Daraus ergab sich eine inhaltliche Struktur, die wir als Reisezyklus bezeichnen:

Inhalte und Kapitel dieses Buchs

1. Gewohnte Welt oder Aufbruch: In Kapitel 1 geht es um den Aufbruch ins Unbekannte, aus der gewohnten Welt heraus. Diese unverzichtbare Entscheidung lässt sich nur ganz oder gar nicht treffen. Wenn ich eine notwendige Grenze überschritten habe, gibt es kein Zurück mehr. Manche Veränderungen gehen aber auch von sich aus nicht mehr weg und erzeugen Druck, etwas zu tun. Was braucht es, um die alte Welt hinter sich zu lassen? Meistens erkennen Sie solche Wendepunkte an (inneren) Konflikten, Dilemmata, Zwickmühlen, persönlichen Sackgassen.

2. Die Reise ins Ich: In Kapitel 2 schauen wir in unser Inneres. Es ist eine ganz spezielle Reise. Nur wenn wir uns selbst sicher und positiv gegenüberstehen, können uns andere vertrauen. Wie führe ich mich selbst? Wie stehe ich immer wieder auf? Selbstreflexion als Selbstführungsinstrument und wie ich meinen eigenen Selbstwert entwickeln kann, sind wichtige Themen in diesem Kapitel.

3. Reisetagebücher: In Kapitel 3 berichten Führungskräfte aus drei verschiedenen Generationen, zwei Männer und eine Frau, aus ihrem Führungsleben. Sie blicken zurück – aus dem Ruhestand, nach dem Ausstieg in die Selbstständigkeit oder nach einer eigenen Entwicklungsreise. Diese drei geben wie Mentoren und Mentorinnen ihren Erfahrungsschatz weiter. Entdecken Sie, was davon Sie anspricht und welche Entwicklung sich über die Generationen abzeichnet.

4. Beziehungen gestalten:Kapitel 4 beschreibt, wie Sie tragfähige Beziehungen zu Mitarbeitenden aufbauen können und welche Rolle Konflikte dabei spielen. Die fragende Grundhaltung wird beleuchtet und auch der Umgang mit Fehlern und Sich-sicher-Fühlen im Miteinander neu gedacht. Sie erhalten Hinweise auf wichtige rechtliche Spielregeln und auch, wie Sie das Selbstwirksamkeitserleben Ihrer Mitarbeitenden fördern.

5. Impulse und Verzahnung:Kapitel 5 beinhaltet aktuelle Impulse, die sich für die Entwicklung von Führungskräften ableiten lassen. Wichtig dabei ist uns, den Blick auf die Verzahnung im Unternehmen im Auge zu behalten. Deshalb haben wir verschiedene Perspektiven eingefangen: erfahrene Personaler, Nachwuchsführungskräfte, die Generation Z – und ChatGPT. Entscheiden Sie selbst, welchen Erfahrungen und Perspektiven Sie mehr Relevanz geben.

6. Zukunftsvisionen und ein Ausblick bilden das Abschlusskapitel, Kapitel 6. Obwohl es das Ende des Buches darstellt, könnte es neue „Aufbrüche“ für Sie beinhalten. Lassen Sie sich überraschen.

Und jetzt viel Spaß mit diesem Reiseführer!

Zu diesem Buch gibt es begleitende Arbeitshilfen zum Herunterladen. Die Download-Ressourcen sind im Buch durch das nebenstehende Symbol gekennzeichnet. Den Link hierzu finden Sie in der inneren Umschlagklappe des Buchs (Print) bzw. auf Seite 2 unter den bibliografischen Angaben (E-Book).

1Gewohnte Welt oder Aufbruch?

Hier lesen Sie

Vorab

Veränderung bedeutet Unsicherheit(Heike Weil)

Reiseroute: Führungskraft oder Experte?(Erich B.)

Leadership – einen Schritt weiter gedacht(Sonja Höhn und Stefanie Philippi)

Krisenerleben und Selbstwert(Sonja Höhn)

Abschied nehmen, heißt trauern(Elizabeth Petzke)

Vorab

In diesem Kapitel geht es um die grundlegenden Entscheidungen. Wir fangen aber erst mal im gewohnten Stil an: Was ist eigentlich Führung? Führung findet in einer Organisation auf verschiedenen Ebenen statt:

Sachbezogene Unternehmensführung (strategisch)

Wertebezogene Unternehmensführung (kulturell)

Personenbezogene Führung (im engeren Sinn: Führung von Mitarbeitenden)

„Personalführung ist die ziel- und ergebnisorientierte, wechselseitige und aktivierende, soziale Beeinflussung zur Erfüllung gemeinsamer Aufgaben in und mit einer strukturierten Arbeitssituation.“ (Wunderer, 2001)

Personalführung heißt also, menschliches Verhalten im Sinne des Erfolgs der Organisation zu ermöglichen und zu beeinflussen. Auf diesen Zweck bezogen, ergeben sich für Führungskräfte anspruchsvolle Aufgaben und immer wieder herausfordernde Situationen. Letztlich lässt sich aus unserer Sicht sogar sagen, dass die Funktion der Führungskraft nur zu rechtfertigen ist durch das Vorhandensein von anspruchsvollen und herausfordernden (Entscheidungs-)Situationen. Sie sind die Basis der Existenzberechtigung für Führungskräfte. Provokant formuliert: Gäbe es in Unternehmen keine solchen Situationen, bräuchte man keine.

Und: Was lässt sich heute über die „gewohnte Welt“ der Führung sagen? Wie stellt sich die „gewohnte Welt“ denn überhaupt dar?

Führungstheorien haben sich in den vergangenen 40 Jahren kaum verändert.

Auf jeden Fall aus unserer Sicht das eine: Seit den 1980er-Jahren ist die Diskussion in diesem Feld eher stabil. Die Idee weg von persönlichkeitsorientierten Ansätzen (Trait-Theorien) hin zu eher situations- und verhaltensorientierten Ansätzen (State-Theorien und Führungsstilen) hat in den vergangenen 40 Jahren lediglich Verfeinerungen erfahren, nicht aber grundlegend Innovatives zum Vorschein gebracht: „Transformational“ war lange das Zauberwort und in diesem Kontext vielleicht der letzte neue Ansatz.

Immer noch ging und geht es darum, die Möglichkeiten des Führungshandelns zu erweitern. Oft war und ist der Ansatz ein vorwiegend methodisch-technischer: die Führungskraft als Anwenderin „guter“ Führungsinstrumente.

In den vergangenen zehn Jahren hat „Agilität“ die Führungswelt erobert, nachdem sie seit Anfang des Jahrtausends mit dem Agilen Manifest in der Softwareentwicklung Einzug gehalten hat. Einmal mehr geht es um Methode und Technik, vielleicht sogar stärker als jemals zuvor. Agilität ist eine Sammlung von Werten und Prinzipien, um flexibel, anpassungsfähig und reaktionsfreudig auf Veränderung zu reagieren. Scrum und Kanban sind die bekanntesten Methoden aus der agilen Welt. Daneben gibt es eine Vielzahl von klassischen Projektmethoden wie PRINCE2, Six Sigma oder das Wasserfallmodell. Die meisten Modelle sind bis zur Ebene von Projektleitung, Projektmanagement und Teamleitung beschrieben. Sie geben wenig Antworten auf die menschlichen Komponenten der Personalführung.

Agile Führung: nicht Menschen, sondern Rahmenbedingungen steuern

Was „Agile“ so attraktiv macht, ist die Autonomie der Teamarbeit und vielleicht auch die Idee, dass Führung sich wegbewegt von der Steuerung von Menschen hin zur Steuerung von Rahmenbedingungen. Hinweise auf wichtige Wendepunkte sind die Betonung von Autonomie und der Verzicht auf die klassisch-hierarchische Führung. Wir gehen davon aus, dass eine neue Form der Führung dennoch unverzichtbar sein wird, weil die oben bereits beschriebenen herausfordernden Situationen weiterhin auftreten werden. Und das heißt: Die Führungskraft als strategische Impulsgeberin ebenso wie als „schnelle“ Entscheidungsinstanz in komplexen Konfliktsituationen wird so lange ihre Existenzberechtigung behalten, wie es Situationen dieser Art gibt.

Wir haben uns die Frage gestellt: Woher kommen entscheidende Veränderungsimpulse? Und haben Führungskräfte, HR-Leute, Mitarbeitende, Externe wie wir die gleiche Perspektive? Wir denken „nein“ und lassen deshalb in diesem Buch mehrere Meinungen zu Wort kommen.

Immer wieder – wenn wir über den Ausgangspunkt von Veränderungen gesprochen haben – war die Frage: Welche sind es denn, die Menschen so entscheidend in Bewegung bringen, dass daraus dauerhaft Neues entsteht und auch Bestand hat?

Der Impuls zur Veränderung ist selten nur intrinsisch motiviert.

Und uns ist eines sehr klar geworden: Aus der individuellen Komfortzone entwickelt sich kein entscheidender Impuls für Veränderung. Es braucht die Anforderung von außen, die uns in innere Konflikte, Dilemmata, persönliche Sackgassen führt. Seien es die wirtschaftliche Verschlechterung der Unternehmenssituation, eine besondere gesellschaftliche Herausforderung (wie zum Beispiel in den vergangenen Jahren durch die Corona-Pandemie) oder eine persönliche Krise (z.B. durch den Verlust eines geliebten Menschen).

Und gleichzeitig braucht es Mut, bisherige Grenzen zu überschreiten. Nicht nur, weil etwas Unbekanntes wartet, vielleicht sogar „lauert“, sondern auch, weil das bisher Bekannte nie mehr so sein wird, wie es war.

Wir diskutierten in unserer größeren Runde ein exemplarisches Beispiel einer Führungskraft: In einem Unternehmen, das sehr schnell gewachsen war, war eine Besprechung mit allen Mitarbeitenden als Tradition beibehalten worden. Der Chef, der früher mit fünf Leuten zusammensaß, musste jetzt 30 unter einen Hut bringen – und das auch noch online. Die Beschwerden der Mitarbeitenden über dieses Format wuchsen. Die Stimmung verschlechterte sich rapide. Der zeitfressende Aspekt wurde mehr kritisiert als die damit in der Absicht verbundene Wertschätzung anerkannt werden konnte. Der Chef löste das Problem, indem er nun mehrere gleichartige Besprechungen leitete, an denen aber nur jeweils wieder fünf Leute teilnehmen sollten.

Elizabeth (Autorin) fasste es in ihrer einzigartigen Weise für uns zusammen (ihren amerikanischen Akzent muss man sich dazu denken): „Der Chef will seine alte Welt zurück!“ Wir saßen da mit offenem Mund und nickten dann. Ja, genau – und so verständlich! Nur, nach wirklichen Wendepunkten geht das einfach nicht mehr.

Und ein weiterer wichtiger Hinweis: Man kommt nicht mit den gleichen Methoden und Denkweisen, mit denen man in eine Sackgasse geraten ist, wieder aus dieser heraus. Es braucht dazu etwas komplett anderes. Wann ist es an der Zeit, etwas zu verändern, seine Komfortzone zu verlassen?

Dazu die Minigeschichte einer Führungskraft: Sie war vor ungefähr 25 Jahren die einzige weibliche Führungskraft unter mehreren älteren, männlichen Führungskräften. Gewohnheitsmäßig übernahmen die Frauen vor ihr das Kaffeekochen, das Telefon und das Protokoll. Als dann am ersten Tag in einer Besprechung das Telefon klingelte, ruhten alle Blicke auf ihr. Das Telefon stand aber viel näher an einem ihrer männlichen und viel erfahreneren Kollegen. Dieser sprach sie vorwurfsvoll an: „Frau Pille, das Telefon!“ und Frau Pille gab zurück: „Bitte nehmen Sie ab, Sie sitzen viel näher dran als ich!“ Empört nahm er nach mehreren Schrecksekunden ab, antwortete kurz und zackig und betonte danach: „Es war für mich!“ Und Frau Pille: „Dann ist es ja gut, dass Sie drangegangen sind!“

Wichtig: Die Rückendeckung eines Mentors

Frau Pille war schon immer gerechtigkeitsliebend und sie wollte die alte Art der Rollenerwartungen beenden. Sie konnte weder weiter wie selbstverständlich den Telefonservice übernehmen, noch war es einfach, sich zu weigern. Eine Weigerung würde bedeuten, dass sich etwas Entscheidendes änderte und es nie wieder so würde, wie zuvor. Das macht Angst und braucht starke Nerven. Die meisten würden sich anpassen. Was ihr aber geholfen hatte, in dieser Situation standfest zu bleiben, war die Rückendeckung ihres Mentors, Herr Jemand. Er gehörte zu ihren männlichen Führungskollegen und blinzelte ihr, während das Telefon noch klingelte und auch danach, ermutigend und „schlitzohrig“ zu. So erhielt sie gleich zwei Bestätigungen für ihr Verhalten. Bestätigungen, die Sie sich irgendwann nur noch selbst geben können.

Gewohnte Welt oder Aufbruch? Diese Entscheidung ist unverzichtbar. Erst, wenn wir uns zu einer Reise entschlossen haben, bereiten wir uns und andere wirklich darauf vor, packen unsere Sachen, und verabschieden uns von dem, was uns wichtig war – und von wichtigen anderen.

Sie finden in diesem Kapitel einen Beitrag von Heike Weil zur Verunsicherung, die Veränderungen mit sich bringen und uns am Umdenken hindern. Auch die Entscheidung für eine bestimmte Laufbahn wird von Erich B. veranschaulicht. Wie weit Leadership gehen sollte, zeigt der Beitrag von Sonja Höhn und Stefanie Philippi. Daran knüpft auch der Teil von Sonja Höhn an: „Krisenerleben und Selbstwert”. Und Elizabeth Petzke hat eine Idee für den Abschied.

Veränderung bedeutet Unsicherheit

von Heike Weil

Was mir half, als Führungskraft mit Komplexität umzugehen und für Veränderung bereit zu sein.

Woher kommt die zunehmende Komplexität im Alltag einer Führungskraft und welcher Veränderungsdruck wird dadurch ausgelöst?

Veränderung bedeutet Unsicherheit und natürlich auch Anstrengung – sich in einer Welt des permanenten Wandels nicht zu verändern, aber ebenfalls. Was passiert also, wenn ich meine Herangehensweise stetig beibehalten will? Das war eine zentrale Frage, die mich umtrieb.

Google-Buzzword: die „komplexer werdende Welt”

Mitte 2022 findet sich die Behauptung, dass wir in einer immer „komplexer werdenden Welt“ leben, laut Google wortgleich 54.000-mal im deutschsprachigen Internet. Die englische Übersetzung liefert sogar über 33 Millionen Treffer für die wortexakte Suche nach „Increasingly Complex“ (complexity-research.com). Zurückgeführt wird wachsende Komplexität z.B. auf die zunehmende Verflechtung der Weltwirtschaft, globale Informations- und Kommunikationssysteme oder technische Innovationen.

Der technologische Fortschritt in Kombination mit der globalen Vernetzung von Unternehmen und Märkten führt zu einer schnelleren Verbreitung von Informationen und Ideen und zwingt Unternehmen dazu, schneller auf Veränderungen zu reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Komplexe Bedingungen führen daneben außerdem zu einer Zunahme widersprüchlicher Anforderungen, die auch als „Paradoxien“ bezeichnet werden (Tuckermann, Schumacher und Krautzberger, 2023). Smith & Lewis beschreiben sie als „interdependente, widersprüchliche und andauernde Elemente, welche von individueller bis zur global gesellschaftlichen Ebene sichtbar werden“ (Smith & Lewis, 2011).

Führung heißt, Widersprüche und Spannungsfelder zu managen.

Konkret zählen hierzu unter anderem widersprüchliche Erwartungen, wie sie im betrieblichen Alltag einer Führungskraft gang und gäbe sind: Spannungsfelder wie das gleichzeitige Verfolgen von Effizienz und Innovation, hohen Qualitätsanforderungen bei gleichzeitig hoher Umsetzungsgeschwindigkeit oder ein gleichzeitiges Verfolgen von ökonomischen und gesellschaftlichen Zielen.

So viel zu den Begriffen „Komplexität“ (Gabler Wirtschaftslexikon, 2023) und „Paradoxie“ – aber was hat das nun mit Mitarbeiterführung zu tun? Wie beeinflussen diese Rahmenbedingungen den Alltag von Führungskräften und deren Teams und insbesondere: Wie haben sie mich beeinflusst?

Viel zu wissen, legitimiert für die Führungsfunktion

Ich komme aus einer sehr fachlich geprägten Organisationskultur und aufbauend auf meiner Laufbahn und wegen meiner weitreichenden Fachkenntnisse und meiner Motivation wurden mir daher relativ schnell Führungsaufgaben übertragen.

Die alte Welt: Führungsanspruch resultiert aus Wissensvorsprung.

Dies zeigt mir auch, dass der Führungsanspruch auch heute noch – mitten im 21. Jahrhundert – in vielen Branchen auf Wissen und umfangreicher fachlicher und beruflicher Erfahrung aufgebaut wird. Viel zu wissen – ja, mehr zu wissen, als die eigenen Mitarbeitenden –, gibt Sicherheit und legitimiert für die Führungsfunktion. Diese Erwartungen kommen nicht nur von den Führungskräften selbst, sondern auch Mitarbeitende erwarten eine besonders hohe fachliche Kompetenz von ihren Vorgesetzten. Dies habe ich nicht nur einmal erlebt und auch ich war lange Anhängerin dieses Glaubenssatzes.

Vor einigen Jahren noch war es von Führungskräften sogar „leistbar“, mehr als ihre Mitarbeitenden zu wissen, zumindest in ausgewählten Bereichen. Häufig haben Führungskräfte ja auch einen höheren Berufsabschluss als ihre Mitarbeitenden.

Durch die zunehmende Komplexität und Veränderungsgeschwindigkeit wird es jedoch immer komplizierter, diesen „Wissensvorsprung“ zu halten oder gar Widersprüche aufzulösen und Zusammenhänge zu verstehen. Ständig tauchen neue Dinge auf, die unvorhersehbar waren. Hinzu kommt, dass die Komplexität in allen Lebensbereichen steigt, selbst bei vermeintlich einfachen Alltäglichkeiten. Wie soll es Führungskräften gelingen, in diesen Situationen fachlich mehr zu wissen als ihre Teams? Fachliches Wissen ist faktisches Wissen und Komplexität und Veränderungsdruck fordern eine hohe Flexibilität im Denken und ein Aushalten von „Nicht-Wissen“. Ich gehe davon aus, dass die Anforderungen an Führungskräfte in diesem Sinne weiter steigen werden und sich damit auch Stressgefühle und -symptome verstärken. So habe ich es auch bei mir erlebt, gerade weil fachliches Wissen und fachliche Souveränität auch für mich aus meiner persönlichen Entwicklungsgeschichte heraus einen hohen Stellenwert hatten.

Peter Drucker, ein US-amerikanischer Ökonom und meines Erachtens einer der einflussreichsten Management-Vordenker des 20. Jahrhunderts, hat bereits 1959 den Begriff des „Knowledge Workers“ geprägt (Drucker, 1959). Wissensarbeiter sind Arbeiter, deren Hauptkapital Wissen ist. Beispiele hierfür sind Programmierer, Ärzte, Apotheker, Architekten, Ingenieure, Wissenschaftler, Wirtschaftsprüfer, Rechtsanwälte, Redakteure und Akademiker, deren Job es ist, „für den Lebensunterhalt zu denken“. Drucker geht sogar weiter und sagt, dass Wissensarbeiter mehr über ihre Arbeit wissen als jeder andere in der Organisation, sei Teil der Definition von Wissensarbeitern.

Und in diesem Moment wird deutlich, dass wir bisher in vielen Branchen alle – auch Führungskräfte – zu den sogenannten Wissensarbeitern zählten.

Was folgt daraus für die Zukunft im Hinblick auf das Managen von Veränderungen und den Umgang mit zunehmender Komplexität? Aus meiner Sicht, dass der Anspruch, mehr zu wissen als die Mitarbeitenden, absurd ist.

Noch ist aber in Unternehmen nicht deutlich genug angekommen, dass diese – sehr eingeschränkte – Sicht auf Führung zukünftigen Anforderungen nicht gerecht werden wird. Die Ursache hierfür sehe ich auch darin, dass sich Komplexität in vielen Industriezweigen zwar disruptiv und mit einer deutlichen Veränderung zeigt, sie in anderen Bereichen, wie z.B. Verwaltungsbereichen, eher schleichend passiert. Vorausgesetzt natürlich, Ereignisse wie die jüngsten globalen Krisen führen uns nicht dramatisch vor Augen, dass letztlich keine Branche und kein berufliches Feld davon verschont werden wird – zu (global) vernetzt ist unsere Wirtschaftswelt.

Führungskräfte können nicht länger „fachlich auf der Höhe” sein.

Und diese verzögerte Erkenntnis führte auch für mich als Führungskraft zu einer längeren Phase des Leidens: ein Hadern mit meinen Kompetenzen, Jahre des Rackerns und Mich-Bemühens, um fachlich immer „auf der Höhe“ zu sein. Bis es eindeutig zu viel wurde und Veränderung auch für mich persönlich unausweichlich war, wollte ich unter den Anforderungen nicht zusammenbrechen.

Muster erkennen, statt hinterherzuhecheln

In dieser Zeit, die ich heute als Leidensphase bezeichne, las ich einen Artikel des Zukunftsforschers Harry Gatterer, der in mir starke Resonanz erzeugte: „Sie sollten Komplexitäten lieben lernen und das bedingt, dass Sie eine andere Form von Mustererkennung haben, dass Sie die Zusammenhänge neu erkennen. Wir denken jetzt sehr kausal und linear. Das lineare Denken nützt uns in Zukunft nichts, da denkt man immer falsch, da hat man in einer komplexen Welt immer mehr nicht gesehen als gesehen. Also besser die Wahrnehmung verändern, dem Geschwindigkeitswahn nicht unterliegen, sondern verstehen, dass es die Rücknahme des Tempos und Geduld braucht, um sich in einer höheren Komplexität zu bewegen“ (Gatterer, 2022).

Allerdings machte mich zunächst die Frage, wie ich diese Veränderung angehen sollte, noch unsicherer. Mich nicht zu verändern in einer Welt des permanenten Wandels, war definitiv und offensichtlich keine Alternative. Unsicherheit jedoch ein weiteres unangenehmes Gefühl, das ich auch nicht eintauschen wollte.

Würde ich also in dieser veränderten Arbeitswelt zurechtkommen? Auch hier fühlte ich mich von dem bereits zitierten Harry Gatterer verstanden: „Menschen verändern sich, um gleich zu bleiben. Es gibt ja keinen Veränderungsdrang per se, sondern der Veränderungsdrang entsteht dann, wenn mir klar wird, ich muss mich verändern, um letztlich der Gleiche zu bleiben, damit nicht die Umstände mich zu einem anderen machen“ (Gatterer, 2022).

Sich verändern, um in der Komfortzone bleiben zu können?

Dieser Satz hat einiges in mir angestoßen, greift heute aber für mich zu kurz. Gatterer spricht aus meiner Perspektive eher von Veränderung als einem Anpassungsprozess, um in der eigenen Komfortzone zu bleiben. Die heute notwendigen Veränderungsprozesse führen jedoch mehr als deutlich aus der gewohnten Welt hinaus – wir können (und dürfen vermutlich) gar nicht die gleichen bleiben: Denken Sie bloß an den Klimawandel und die Digitalisierung. Wenn wir uns verändern, um gleich zu bleiben, bedeutet das vielleicht, dass wir uns selbst abschaffen.

Eigene Ressourcen entdecken und daraus schöpfen

Und anstatt weiterhin viel Energie darauf zu verwenden, der zunehmenden Komplexität mit meinen alten Handlungsmustern gerecht zu werden, fing ich an, Komplexität als neuen Anteil meines beruflichen Alltags zu akzeptieren.

Ich begann, über meine Kraftquellen und Ressourcen nachzudenken – mich zu besinnen. War das vielleicht mit der „Rücknahme des Tempos“ gemeint?

Umgang mit Komplexität: vor allem eine Einstellungssache

Das erste Gefühl, das sich einstellte, war Erleichterung. Erleichterung, weil ich offensichtlich nichts Zusätzliches machen musste. Erleichterung auch, weil ich zu meiner Freude feststellte, dass es doch einige Ressourcen gab, aus denen ich Kraft schöpfen konnte – für eine Veränderung und um Neues auszuprobieren:

1. Meine Ressourcen: In meinem Fall war dies mein „Heimathafen“, d.h. Menschen, die mir immer und zu jeder Zeit die Sicherheit gaben, in Ordnung zu sein. Darüber hinaus meine Zukunftsorientierung und Liebe zur Technik, die ja täglich neue Inspiration bekam. Und nicht zuletzt mein Team, mit dem ich mich sehr verbunden fühlte und auf dessen Fähigkeiten ich bauen konnte. Und auch der Rückblick auf meine eigene berufliche Laufbahn, die mich dahin gebracht hatte, wo ich heute stehe. Meine Quintessenz: Mit diesen Ressourcen – gepaart mit meiner Werthaltung im Rücken – bin ich auch in Zukunft stark.

2. In dieser Reflexionsphase las ich viel und wurde „literarisch“ bestätigt: u.a. Werte dienen uns als Orientierungshilfe. Sie beeinflussen, welche Entscheidungen wir treffen und wie wir unser Leben gestalten; sie sind Grundlage unserer Überzeugungen und Einstellungen zum Leben.

3. Eigenverantwortung und Erleben von Selbstwirksamkeit: Mich nicht mehr länger inkompetent oder als Opfer widriger Umstände zu fühlen, gibt mir noch mehr Kraft und Tatendrang. Wer zu eigenen Entscheidungen steht und für eigenes Verhalten in Verantwortung geht, wird mit wertvollem Erfahrungswissen belohnt. Dieses kann durch keinen „Ratgeber“ so detailliert beschrieben werden, wie es durch Erfahrung gelehrt wird. So lernen wir aus den positiven wie negativen Erfahrungen, aus vorherig getroffenen Entscheidungen für künftige Entscheidungen (in Anlehnung an: changify.de). Verantwortung für mein Handeln habe ich immer übernommen. Meine neue Aufgabe besteht darin, auch meinen Mitarbeitenden mehr Freiheit, mehr Raum für Eigenverantwortung und damit die Chance zu geben, ihre eigene Selbstwirksamkeit zu erleben.

4. Gemeinsamkeit macht stark: Haben Sie schon von dem Gleichnis „Die blinden Männer und der Elefant“ gehört? In diesem untersucht eine Gruppe blinder Männer einen Elefanten, um herauszufinden, um was für ein Tier es sich handelt. Jeder untersucht ein anderes Körperteil (aber jeder nur einen Teil), wie zum Beispiel den Rüssel oder einen Stoßzahn. Dann vergleichen sie ihre Erfahrungen untereinander. Derjenige, der am Rüssel steht, behauptet: „Ganz klar: Ein Elefant ist wie eine Schlange.“ Derjenige, der den Stoßzahn untersucht, entgegnet: „Nein, ein Elefant ist wie ein Speer.“

Sie stellen fest, dass jede individuelle Erfahrung zu einer eigenen, vollständig unterschiedlichen Schlussfolgerung führt (Psychologische Handanalyse 2016/01). Um es wissenschaftlicher zu erläutern: In einem komplexen System kann das jeweilige Element immer nur (s)einen Teil des Systems sehen und dieser Perspektive entsprechend reagieren. Um ein komplexes System vollständig sehen zu können, benötigt man theoretisch die Perspektiven aller Elemente.

5. Die Parabel der blinden Männer und des Elefanten lehrt mich, dass ich die Komplexität am besten erfassen kann, wenn ich eine Vielzahl von Perspektiven berücksichtige. Genau dafür habe ich doch mein großartiges Team, nicht wahr?

Umgang mit Komplexität erfordert ein anderes Fundament des Führens

Welche Relevanz hatten diese Erkenntnisse und Ressourcen nun für meinen Arbeitsalltag? Was habe ich geändert?

Mehr Halt durch Haltung

1. Werte sind grundlegender Art. Wer sich klar ist über die eigenen Werte, versteht sich selbst besser und trifft leichter Entscheidungen. Für meinen Arbeitsalltag übersetzt: Gemeinsam mit meinem Team haben wir unsere Werte und die Werte unseres Unternehmens und Bereichs herausgearbeitet. Der dabei entstandene Wertekanon gibt uns gemeinsam Halt und Perspektive.

2. Die Besinnung hat mich stark gemacht. Ich bin meiner Umwelt nicht ausgeliefert, sondern kann bestimmen, wie ich auf sie reagieren will.

3. Die Erleichterung und das Wissen im Gepäck, nicht alles selbst wissen zu müssen.

4. Komplexität kann ich am besten gemeinsam mit anderen bewältigen – jeder denkt mit und inspiriert die anderen. Wir arbeiten heute viel partizipativer und erproben neue Methoden wie „Design Thinking“ zur Ideenfindung, verproben agile Praktiken und beschreiten neue Wege.

5. Immerwährende Reflexion über das eigene Handeln, die eigenen Möglichkeiten, den eigenen Einfluss auf Situationen und die eigenen Ressourcen: Dadurch nehme ich meine eigene Entwicklung selbst in die Hand.

Meine Quintessenz: Die Komplexität unserer Arbeitswelt ist kein vorübergehendes Phänomen, sondern eine dauerhafte Rahmenbedingung unseres Arbeitens. Der Schritt aus der gewohnten Welt ist daher, nicht mehr nur darauf zu reagieren, sondern diese Komplexität aktiv in den eigenen Handlungen zu berücksichtigen.

Sich gemeinsam mit dem eigenen Team auf den Weg zu machen, heißt, sich gegenseitig in der Veränderungsbereitschaft zu fördern, sich intensiv auszutauschen und im Diskurs Impulse für Veränderungen zu generieren. Das ist Inspiration und mutiges Vorangehen.

Reiseroute: Führungskraft oder Experte?

von Erich B.

Nicht selten erweist sich die Karriereleiter als Sackgasse. Führungskompetenz ist keine Sache der Vergütung, sondern des Könnens und Wollens.

Wie wichtig es ist, auch eine Entscheidung über die Richtung zu treffen, zeigt ein Beispiel von Erich B., den Sie in Kapitel 3 besser kennenlernen. Er blickt auf ein ganzes Berufsleben als Führungskraft im öffentlichen Dienst zurück und berichtet über zentrale Erkenntnisse aus dieser Zeit. Er schreibt unter Pseudonym, um Rückschlüsse auf Personen aus seinen Fallbeispielen zu verhindern.

Der „Personaler“ Erich B. hat in seinem Berufsleben immer wieder das Spannungsfeld zwischen der Kompetenz im fachlichen Sinne und der Führungskompetenz kennengelernt, mit allen Hürden und Risiken, die damit einhergehen – insbesondere auch im Hinblick auf einen „eignungsgerechten Einsatz“ von Mitarbeitenden. Schöner formuliert, könnte man vielleicht sagen: Wie schaffen es Unternehmen, Menschen mit den Aufgaben zu betrauen, die ihnen liegen und die ihren Kompetenzen entsprechen? Dazu nun die Erfahrung von Erich B.:

Wenn die „Falschen” in die Führungsposition drängen …

Zur Personalauswahl möchte ich einen Fall etwas näher beleuchten, weil er mir, bezogen auf die Besetzung von Führungspositionen, besonders wichtig und idealtypisch erscheint. Herr C., der im IT-Bereich eine Schlüsselposition wahrnimmt, ist ein ausgesprochener Experte auf seinem Gebiet. Diese Expertise kultiviert er seit vielen Jahren. Er hat sich inzwischen eine Alleinstellung aufgebaut, die ihn, wie er meint, unersetzlich macht und für herausgehobene Aufgaben mit Führungsanspruch empfiehlt. In Besprechungen monologisiert er häufig und nutzt dabei ein Fachchinesisch, das außer ihm keiner der Gesprächspartner versteht.

Auffällig ist die Häufung von Konflikten in seinem Umfeld. Er wird sowohl von Mitarbeitenden und Kollegen als auch von Anwendern der IT-Produkte kritisch gesehen. Es gelingt ihm aber bisher, seine Stellung mit den beschriebenen Mitteln zu behaupten. Auch hat er sehr vereinzelt Anhänger, die ihn gegenüber seinen Kritikern in Schutz nehmen. Interessant ist, dass diese Parteigänger (mit mäßigem Erfolg) ganz ähnliche Strategien verfolgen, um ihre Position zu festigen.

Statusdenken ersetzt Führungskompetenz.

Mit diesem Fall habe ich mich über einen langen Zeitraum intensiv beschäftigt. Offensichtlich fehlen ihm persönliche Eigenschaften, über die Führungskräfte verfügen sollten. Es mangelt an der Fähigkeit zur Selbstreflexion und Empathie gegenüber seinen jeweiligen Partnern. Ich bin inzwischen davon überzeugt, dass seine Aufgabe und Stellung die wesentliche Grundlage seines Selbstwertgefühls sind. Er hat keine Familie. Über außerberufliche Neigungen und Aktivitäten ist wenig bekannt.

Ich führe viele sehr offene (und anstrengende) Gespräche mit Herrn C. und kann ihn schließlich dafür gewinnen, wenn auch wohl nicht gänzlich davon überzeugen, eine anspruchsvolle Aufgabe außerhalb des Sachbereichs IT zu übernehmen, in der seine fachliche Expertise gefordert ist. Mir ist klar, dass ihm aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur dabei auch die Gelegenheit zur Darstellung seiner wertvollen Arbeitsergebnisse nach außen gegeben werden sollte.

Herr C. wird schließlich mit seinem Einverständnis zum zentralen Berater eines unserer bedeutenden internen Kunden an der Schnittstelle zwischen Fachseite und IT.

These

Es ist ein verbreiteter Irrglaube, dass die Bedeutung einer Aufgabe und die Reputation der Stelleninhaber von der Wahrnehmung von Führungsaufgaben abhängt. Es gibt Personen mit hohem fachlichem Potenzial, denen aber die Fähigkeiten fehlen, die sie zu erfolgreichen Führungskräften machen würden. Es ist Aufgabe der Personalsteuerung und -entwicklung, dies bei der Besetzung von Führungspositionen zu beachten. Es ist eine gute Idee, in der Organisationsentwicklung neben den Führungslaufbahnen auch Expertenkarrieren mit entsprechenden Aufstiegsperspektiven zu schaffen und vor allem in der Organisation bekannt zu machen.

Später wird Herr C. einer der Fälle in meiner Liste fehlbesetzter Führungspositionen sein, um die sich mein Team und ich uns kümmern. Dieses Kümmern beginnt mit der Wahrnehmung, dass und wo anhaltend Führungsmängel auftreten.

Ohne Selbstreflexion wird keine Führungskraft zum „Leader”.

Über viele Jahre war bereits dieser erste Schritt ein schwieriger. Ich kann zwar behaupten, dass es vielfach ein offenes Geheimnis ist, wo hier Handlungsbedarf besteht. Es hapert aber häufig an objektiven Belegen dafür. Gerade wenn es der betroffenen Führungskraft an der Fähigkeit zur Selbstreflexion mangelt, braucht es nachvollziehbare objektive Befunde, um in eine wirksame Kommunikation und Lösungsstrategie einsteigen zu können.

Leider ist der Umgang mit Befunden zum Leistungs- und Führungsverhalten im öffentlichen Dienst (nur da?) vielfach nicht offen genug und von Misstrauen gegenüber den Personalverantwortlichen und falsch verstandenen Datenschutzüberlegungen belastet.“

Das Beispiel von Herrn C. zeigt auch, dass bestimmte Persönlichkeitseigenschaften dazu führen, ausschließlich wegen der Statuserhöhung in die Führungslaufbahn zu gehen. Das kann ein Hinweis auf eine Selbstwertproblematik sein, die authentisches „Leadership“ verhindert.

Leadership – einen Schritt weiter gedacht

von Sonja Höhn und Stefanie Philippi

Warum Leadership Beziehungsarbeit bis hin zu mehr „Intimität” erfordert.

Schon seit den 1980er-Jahren werden die beiden Begriffe „Management” und „Leadership” deutlich voneinander abgegrenzt. Sie können sich ergänzen und gleichzeitig funktional getrennt in Unternehmen zugeordnet werden.

Unsere Auseinandersetzung mit der Führung von morgen fokussiert sicher stärker auf Aspekte, die dem Begriff „Leadership” zuzuschreiben sind. Nach J. P. Kotter „definiert Leadership, wie die Zukunft aussehen soll, richtet Menschen daraufhin aus und inspiriert sie, die Vision wahr werden zu lassen – trotz aller Hindernisse“. (Kotter, 2012) Schon 1980 schrieb Kotter, „dass es keine Erfolgsformel mehr ist, das zu tun, was man gestern getan hat, oder es um fünf Prozent zu verbessern. Bedeutende Veränderungen sind mehr und mehr notwendig, um in diesem Umfeld zu überleben und effektiv zu konkurrieren. Mehr Wandel erfordert immer mehr Leadership.“

Was aber genau ist Leadership? Und was daran ist so anders zu klassischen Vorstellungen von Führung? Betrachten wir eine klassische Grafik unterschiedlicher menschlicher Kompetenzfelder: Wie ist dort der Begriff „Leadership” zu verorten (siehe Abb. 1)?

Abb. 1: Kompetenzkuchen der Führung, Stefanie Philippi

Entscheidend ist die „menschliche Komponente”.

Wir verorten ihn auf dem Feld der sozialen Kompetenz. Es geht um die „menschliche Komponente” der Führungsfunktion, die funktionalen Bereiche der Führung, die dazu beitragen, dass Mitarbeitende erfolgreich und gemeinsam die Aufgaben erledigen, die das Unternehmen zum Erfolg führen und damit seine Existenz sichern.

Ein Mensch alleine, eine Führungskraft, sichert den Erfolg eines Unternehmens nicht durch die Erfüllung operativer Aufgaben! Sich dies bewusst zu machen, heißt gleichzeitig, sich auf den Weg in eine massive Persönlichkeits- und Kompetenzentwicklung zu machen! Es geht darum, den entscheidenden Schritt in die neue Welt zu wagen.

Um welche Entscheidungen, die „Leadership” entwickeln, kann es dabei gehen (siehe auch Bernd Schmid, 2021)?

Was Leadership vom Management unterscheidet

Prozess- statt Aufgabenorientierung

Lösungs- statt Problemorientierung

Strategische Planung statt operatives Handeln

Erfolgs- statt Misserfolgsorientierung

Sinnvolle Innovation statt Stabilität

Zukunftsbild statt Kennzahlen

Proaktives statt reaktives Handeln

Menschliche Nähe statt Distanziertheit

Verletzlichkeit statt Unverwundbarkeit

Veränderung statt Dauer

Emotionale Intelligenz statt Emotionslosigkeit

Systemisches Denken statt lineares Denken in Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen

Selbstwertstärkung von Mitarbeitenden statt Disziplinierung

Zu jedem dieser Aspekte ließe sich ein weiteres Kapitel in diesem Buch schreiben. Wir würden an dieser Stelle gerne den Begriff, den Tina Ochs (siehe Danksagung) uns in einem von zahlreichen Gesprächen „geschenkt” hat, aufgreifen. Sie geht so weit, die Notwendigkeit eines Wechsels von der professionellen Distanz zur professionellen Beziehung hin zu mehr „Intimität“ in der Führungsbeziehung zu fordern.

„Intimität” als zentraler Bestandteil von Autonomie

Schon der Begriff „Intimität“, da sind wir sicher, wird in unseren vielfach rationalen Organisations- und Unternehmenswelten zu erheblicher Irritation führen. Allein dies kann schon als Hinweis auf die Bedeutsamkeit von „Intimität” gewertet werden: Irritation entsteht dann, wenn die gewohnte Welt verlassen wird, wenn der Weg aus der Komfortzone in die Lernzone führt.

Scheitern nicht verstecken

Eric Berne definiert Intimität als wesentlichen Bestandteil von Autonomie. Die Fähigkeit zur Herstellung von Intimität setzt voraus, dass ich im Hier und Jetzt – frei von „Spielen” – Beziehungen gestalten kann (Berne, 2001). Zu diesen typischen Spielen zählt Berne beispielsweise Machtspiele und Konkurrenzkampf. Damit dies gelingen kann, ist es Aufgabe von Führungskräften, „Scheitern” nicht zu verstecken, sondern sich vielmehr mit allen Facetten des menschlichen Seins zeigen zu können.

Krisen sind Entwicklungstreiber

Weshalb sind wir überzeugt, dass dies nicht nur philosophische Überlegungen zur Führung von morgen sind, sondern dass praktisches Handeln daraus folgen wird? Wir haben in der Begleitung von jungen Führungskräften immer wieder die Erfahrung gemacht, dass die größten Entwicklungsschritte in Phasen großer Krisen gemacht wurden – und hier geht es nicht um die Krise, dass ein Umsatzziel nicht erreicht werden konnte.

Krisen in diesem Sinne sind Lebenskrisen, sie fordern uns existenziell (Tod naher Angehöriger, schwere Erkrankungen, Trennungen etc.). Wenn es Leadern gelingt, diese schweren Lebenssituationen auch im beruflichen Feld zu „halten”, dann wachsen Menschen an- und miteinander, dann entstehen Entwicklungsreisen, deren Ergebnisse die gesamte Organisation voranbringen können. Etwas pragmatischer dargestellt sind diese Überlegungen in Abbildung 2.

Management

Leadership

Vorgesetzter sein – Arbeit

Vorbild sein – Mensch sein

Vertrauen schaffen, Menschen etwas zutrauen, fördern und entwickeln

Anweisung und Kontrolle

Fragen selbst erkennen

Erledigen, Risiken vermeiden

Wege gehen, Chancen sehen

Ziele umsetzen

Ziele entwickeln

Pläne erstellen, überwachen, steuern

Sinn stiften

Fachliche und operative Kompetenz

Soziale und systemische Kompetenz

Präsenz als funktionale Führungskraft – Distanziertheit

Präsenz als Mensch – Intimität

Abb. 2: Gegenüberstellung Management und Leadership, teilweise in Anlehnung an Kotter, 2012

Wir haben erlebt, dass allein das Bewusstsein zu dieser Unterscheidung Nachwuchsführungskräfte schnell auf Stufe 2 des folgenden Modells (Stufen der Kompetenzentwicklung – Burch, 1970er-Jahre) bringt:

1. Unbewusste Inkompetenz: In dieser Stufe befinden wir uns, wenn wir kein Bewusstsein über unser Nichtwissen haben. Insofern ist diese Stufe auch eine komfortable – noch gibt es keinen Veränderungsimpuls oder gar Veränderungsdruck. Das Problemerleben ist gering bis gar nicht vorhanden.

Der schmerzhafte Schritt vorwärts

2. Bewusste Inkompetenz: Uns wird klar, dass wir bestimmte Dinge bisher nicht wussten oder über bestimmte (vielleicht sinnvolle, hilfreiche, wichtige) Kompetenzen nicht verfügten. Mit großer Wahrscheinlichkeit im Erleben der meisten Menschen die Stufe, die mit den unangenehmsten Gefühlen verbunden ist. Die gute Nachricht ist: Wir sind einen Schritt weiter!

3. Bewusste Kompetenz: Die meisten Menschen im Erwachsenenalter sind der Auffassung, diese Stufe könnte übersprungen werden – wir erkennen einen Bedarf an Weiterentwicklung/ Kenntniserweiterung und denken, mit der Einsicht sei dieser bereits vollzogen. Weit gefehlt: Wir stehen am Anfang und jetzt wird es anstrengend, weil wir sehr bewusst handeln müssen – die Veränderung ist uns noch nicht in „Fleisch und Blut“ übergegangen. Die Frustration über häufige Fehlversuche kann so hoch sein, dass wir wieder aufgeben. Wie schön wäre es, wenn wir jetzt noch die Lernhaltung von Kleinkindern besäßen: tausendfach aufstehen, bevor wir sicher gehen, rennen, springen können – stets mit gleicher Motivation und weit weg von Frustration.

4. Unbewusste Kompetenz: Jetzt haben wir es geschafft! Die Veränderung ist selbstverständlich geworden, wir denken nicht mehr darüber nach, was genau wir sagen oder tun müssen, wir handeln einfach. Schwierig könnte es jetzt nur noch werden, wenn wir vergessen, dass wir diese veränderte/neue Kompetenz besitzen, weil uns jetzt ja alles „wie von selbst“ von der Hand geht. Der lange Weg dahin und die damit gekoppelten Anstrengungen wandern ins Unterbewusstsein (siehe auch Abb. 3, S. 31).

Abb. 3: Stufen der Kompetenzentwicklung nach Burch

Die folgende Abbildung (Abb. 4) soll noch einmal verdeutlichen, welche Entwicklungsrichtung wir für entscheidend halten.

Abb. 4: Führungskreuz, Sonja Höhn: Mikro und Makro benennen die verschiedenen Ebenen im Unternehmen

Mitarbeiterbindung als wichtigste Leadership-Kompetenz

Die wichtigste Leadership-Kompetenz in der aktuellen demografischen Situation ist aus unserer Sicht, Mitarbeitende zu binden. Diese Bindung können Sie als Führungskräfte erreichen, wenn Sie in der Lage sind, den Selbstwert von Mitarbeitenden zu stärken, statt zu senken. Das ist eine heftige Anforderung. Das schaffen Sie nur, wenn Sie sich mit Ihrem eigenen Selbstwertgefühl, den eigenen Unzulänglichkeiten, dem eigenen Wiederaufstehen und Wachsen und dem Zustandekommen des eigenen Selbstwertgefühls auseinandersetzen (mehr dazu in Kapitel 2 ab S. 42).

Krisenerleben und Selbstwert

von Sonja Höhn

Warum ein positives Selbstwertgefühl entscheidend ist, um Krisenzeiten zu meistern und neue Herausforderungen anzunehmen.

In einem Familienunternehmen wird der Sohn verpflichtet, in die Nachfolge zu gehen. Der hat aber eigentlich ganz andere Interessen und Berufswünsche. Der fehlende Selbstwert führt dazu, dass er die Nachfolge erträgt. Für ihn und die Mitarbeitenden beginnt eine schwere Zeit. Er schwankt in seinem Führungsstil zwischen herzlos autoritär und vernachlässigend. Das negative Selbstwertgefühl drückt sich in der Abwertung seiner Mitmenschen aus und in der Vermeidung von Entscheidungen.

Wenn wir erfahren haben,

geliebt und beschützt zu werden (Bindung),

dass unsere Wünsche eine Rolle spielen (Selbstbestimmung, Autonomie),

dass wir unseren Fähigkeiten vertrauen können (Kompetenzerleben, Selbstwirksamkeit),

Abb. 5: Drei Säulen unseres Selbstwerts

dann entsteht ein positives Selbstwertgefühl (Chmielewski & Hanning, 2021). Das Selbstwertgefühl, oder kurz der Selbstwert, basiert auf mindestens drei Säulen: Kompetenz, Bindung und Autonomie (siehe Abb. 5).

Ein niedriger Selbstwert wird durch negative Erfahrungen gespeist, die drei Grundbedürfnisse betreffen:

Bindung: ungeliebt, unerwünscht ungeschützt sein Selbstbestimmung, Autonomie: fremdbestimmt und hilflos sein, eigene Wünsche spielen keine Rolle

Kompetenz: zu viel und übertrieben oder nichts wird zugetraut, alles wird abgenommen

Die Bürde des „Soll-Ichs”