Reise leben - Katharina Herrmann - E-Book

Reise leben E-Book

Katharina Herrmann

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Beschreibung

Wir wollten einfach unterwegs sein und schauen, was passiert... mit wenig Gepäck und kleinem Budget. Ohne genaues Ziel, dafür mit offenem Ende und der gemeinsamen Neugierde nach einem Leben auf Reise. Raus aus der gemütlichen Komfortzone - ohne schützendes Gehäuse außer unserem Zelt, immer nah an uns selbst, der Natur und den Menschen, denen wir begegnen würden. Unsere Motorräder fuhren auf einem Containerschiff nach Buenos Aires - dort begann unser neues, freies Leben mit drei Wochen intensivem Spanischunterricht in der Großstadt...

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Über das Unterwegssein in der Welt mit Zelt und 2x2 Rädern

Inhaltsverzeichnis

Vorwort und Danksagung

Teil 1: Wie alles begann

1.Kapitel: Die Vorgeschichte

2.Kapitel: Auf nach Afrika!

3.Kapitel: Geschäftstüchtige Menschen in Marokko

4.Kapitel: Westsahara- eine andere Welt

5.Kapitel: Wüstenabenteuer in Mauretanien

6.Kapitel: Durch den Schlamm von Rosso nach Senegal

7.Kapitel: St.Louis und Dakar

8.Kapitel: 1. kommt es anders und 2. als man denkt

9.Kapitel: neue Pläne

10.Kapitel: Richtung Norden

Teil 2 Weltreise

1.Kapitel: Vorbereitung

2.Kapitel: Ankunft auf der Südhalbkugel

3.Kapitel: Patagonien- Wind und Wale

4.Kapitel: Feuerland

5.Kapitel: Berge und Gletscher des Südens

6.Kapitel: Carretera Austral

7. Kapitel: die zwei Seiten des Vulkanismus

8.Kapitel: Chilenische Begegnungen

9.Kapitel: die trockenste Wüste der Welt- Atacama

10.Kapitel: Quer durch die Hochanden

11.Kapitel: Unheimliche Phänomene in Nordchile

12.Kapitel: Steigender Lebensstandard im Altiplano

13.Kapitel: Dicke Luft und exotische Tiere in den Yungas

14.Kapitel: Kurztrip nach Brasilien

15.Kapitel: Auf der Transozeanica nach Cuzco

16.Kapitel: Zu dritt unterwegs durch Peru

17.Kapitel: Ecuador

18.Kapitel: Diebe in Cuenca

19.Kapitel: wieder zu zweit in Ecuador

20.Kapitel: Kolumbien – zu gefährlich oder nicht?

21.Kapitel : Karibikflair in Kolumbien

22.Kapitel: ...und das mir?

23.Kapitel : mit der Stahlratte im karibischen Archipel

24.Kapitel: Zentralamerika im Schnelldurchlauf

25.Kapitel: In Mexiko angekommen

26.Kapitel: Reisepause in Valladolid

27.Kapitel: Yucatán, das Land der Maya

28.Kapitel: Berge und pazifisches Meer

29.Kapitel: De-Effe

30.Kapitel: Über die Sierra Madre zum Cañon de Cobre

31.Kapitel: Adios, Mexiko!

32.Kapitel: Kulturschock USA

33.Kapitel: New Mexico

34.Kapitel: Bunte Sandsteine in Arizona und Utah

35.Kapitel: Wüste und Riesenbäume in Nevada und Kalifornien

36.Kapitel: Benicia

37.Kapitel: Oregon- das Land der Fototapeten

38.Kapitel: Regen und Kekse in Idaho

39.Kapitel: Geysire und keine Bären in Wyoming

40.Kapitel: Independence Day in Montana

41. Kapitel: Kanada - aus Meilen werden Kilometer

42.Kapitel: Rocky Mountains

43.Kapitel: Der Alaska Highway

44.Kapitel: Alaska

45.Kapitel: Richtung Süden

46.Kapitel: Washington

47.Kapitel: Eine mobile Kirche in Oregon

48.Kapitel: Reifenreparatur spezial

49.Kapitel: ...und nun?

Epilog: Wie ging es weiter?

Vorwort und Danksagung

Wo fange ich an?

Warum schreibe ich dieses Buch überhaupt?

Eigentlich hat meine Kollegin Herta, die unsere Reise mittels meiner mehr oder weniger regelmäßig erscheinenden Newsletter interessiert verfolgt hat, mir diesen Floh ins Ohr gesetzt. Sie sagte, sie fände die Berichte so lebendig, dass ich unbedingt ein Buch daraus machen sollte.

Als wir nach vier Jahren Reise wieder in Deutschland sesshaft wurden, gab es allerdings, auch mit dem Wiedereinstieg ins Berufsleben, vieles, was dafür sorgte, dass die Idee, unsere Erlebnisse einmal in Textform aufzuarbeiten und interessierten Menschen zugänglich zu machen, in den Hintergrund geriet. So ganz hat sie mich aber doch nie in Ruhe gelassen.

Die Zeit unterwegs hat unser Leben so stark verändert und positiv geprägt, dass mir sehr daran liegt, andere Menschen zu ermuntern, sich selbst mal ein Stück aus der Komfortzone heraus zu trauen und hinter den Horizont zu schauen.

Wir wurden oft gefragt, wie wir eigentlich dazu gekommen sind, zuhause (fast) alle Zelte abzubrechen, um mit den Unbequemlichkeiten und auch dem limitierten Gepäck, das auf ein Motorrad passt, durch die Welt zu ziehen? Viele Leute hielten uns für besonders mutig (oder auch verrückt), aber das sind wir nicht! Unser Antrieb war und ist nur der intensive Wunsch, unsere fantastische Erde und uns selbst mit möglichst unvoreingenommenem Blick besser kennenzulernen. Und wir wollten uns der Landschaft, dem Wetter, den Menschen so offen aussetzen, wie es im geschlossenen Kasten eines Autos gar nicht geht. Es gab dadurch natürlich auch manche Härten, die wir hätten vermeiden können, aber auch so viele unendlich wertvolle Erfahrungen!

Gerade der nicht vorhersagbare, oft extreme Wechsel der Umstände macht das Reisen auf dem Motorrad für uns so unglaublich intensiv.

Eine andere Frage, die uns oft gestellt wird, ist die nach der Finanzierung so einer langen Zeit ohne feste Einkünfte. Da wir den Plan einer Langzeitreise schon lange hegten, haben wir über die Jahre natürlich immer etwas Geld zurückgelegt. Davon und von einer kleinen, aber regelmäßigen Einnahme zuhause haben wir unsere Ausgaben unterwegs gedeckt. Da wir lange Zeit keine Ahnung hatten, wie weit das Ersparte reichen müsste, haben wir die ganze Zeit über sehr sparsam gelebt.

Meistens schliefen wir in unserem kleinen grünen Zelt möglichst unsichtbar irgendwo in der Wildnis und das nicht nur, um Kosten zu sparen, sondern hauptsächlich, weil wir es lieben, fernab von allem menschlichen Gewimmel in der Natur zu erwachen. Nur ab und zu leisteten wir uns eine Übernachtung auf einem offiziellen Campingplatz oder in einem einfachen Hotelzimmer. Dort wurde dann geduscht und die wenige Wäsche, meist per Hand, gewaschen.

Auf kostspielige touristische Unternehmungen verzichteten wir weitgehend - manchmal mit großem Bedauern - gegessen wurde überwiegend aus der Bordküche.

Das Benzin für die Motorräder war in manchen Ländern sehr günstig, aber trotzdem war es an vielen Tagen der größte Kostenfaktor. Unsere „Jungs“ brauchen zusammen ca 8 l auf 100 Kilometer und kommen mit jedem Sprit, den es unterwegs zu kaufen gibt, zurecht. Fast alle unterwegs fälligen Reparaturen wurden von uns selbst erledigt, Ersatzteile entweder lokal improvisiert oder aus Deutschland geschickt.

Auf diese Weise kamen wir im Durchschnitt der Länder mit 500 € pro Mensch und Monat aus, inklusive aller Verschiffungen und Flüge!

Als das Geld dann doch mal knapper wurde, fanden wir in West-Australien eine passende Möglichkeit, die Reisekasse dadurch aufzubessern, dass wir uns in einem Wohnhaus als Anstreicher betätigten und die Farbe aller Wände mit dreimaliger Bearbeitung von Unter-Wasser-Blau in leuchtendes Weiß verwandelten. Drei Anstriche waren dafür nötig, entsprechend fürstlich entwickelte sich die Entlohnung.

Alleinreisende Menschen, die wir unterwegs trafen, beneideten uns häufig darum, dass wir zu zweit waren. Sie sagten, ihre Frau/ihr Mann hätte kein Interesse am Reisen oder jedenfalls nicht an dieser Art zu reisen und darum müssten sie entweder zuhause bleiben oder halt allein losfahren.

Ja, wir beide sind sehr dankbar dafür, einen Menschen an unserer Seite zu haben, der ebenso viel Neugierde auf die Welt und einen ähnlichen Level an Stressresistenz und Durchhaltevermögen mitbekommen hat. Nur so ist es möglich, mehrere Jahre 24/7 gut miteinander auszukommen und für jedes auftauchende Problem irgendwie eine gemeinsame Lösung zu finden.

Und wie wunderbar ist es, die Erinnerungen zu teilen! Kein noch so schönes Foto und keine noch so farbige Erzählung kann die Fülle der Eindrücke eines Momentes komplett wiedergeben, die außerhalb des rechteckigen Bildes mit dazugehören. Die Gerüche, Geräusche, das Wetter, die Stimmung des Augenblickes kann nur jemand wirklich mitfühlen und erkennen, der dabei war.

Dieses Buch hat zwei Teile. Der erste, kürzere Teil erzählt die Geschichte, wie alles angefangen hat. Wie sich ein gut passendes Reise- (und Lebens-) Paar gefunden hat, was wir auf unserer ersten längeren Tour in den Nordwesten von Afrika erlebt haben und was dabei auch schief ging.

Wir haben aus den Erlebnissen dort viel gelernt und darum hielt ich es für richtig, diese Geschichte voranzustellen. Als Rückblick ist sie in der Vergangenheitsform geschrieben.

Im zweiten Teil erzähle ich von den ersten zwei Jahren der „großen“ Reise, die uns in vier Jahren durch 30 Länder der Welt geführt hat. Hier wechselt die Erzählform ins Präsens, um den Leser mitzunehmen in die unvorhersehbaren Erlebnisse jedes Reisetages.

Zum besseren Verständnis unserer Reiseroute habe ich jedem Kapitel der Weltreise ein Stück Landkarte vorangestellt.

An manchen Stellen habe ich Teile des Textes in Kursiv gestellt. Bei diesen Stellen handelt es sich um meist mehrteilige „Dramen“, die von den Schwierigkeiten sprechen, die einem unterwegs in Bezug auf z.B. die Bürokratie begegnen können. Wer sich dafür nicht interessiert, darf die entsprechenden Passagen gerne überspringen.

Gerne hätte ich noch viel mehr Bilder eingefügt – das scheiterte an den pro farbiger Seite rasch steigenden Kosten der Buchproduktion, aber ich hoffe, das das wenige vorhandene Bildmaterial trotzdem einen kleinen Eindruck vermittelt.

Und nun, bevor es richtig losgeht, möchte ich mich bei einigen Menschen bedanken, ohne die unsere Reise so oder überhaupt nicht möglich gewesen wäre.

Als Erstes gilt mein Dank meinen lieben Eltern, die in meiner Kindheit schon den Keim der Reiselust in mich eingepflanzt haben! Auf vielen Ferienreisen durfte ich, erst im Schutz der Familie, später auch allein, schon als Kind einige europäische Länder kennenlernen. Ich hatte die Möglichkeit, schon im 3. Schuljahr der Waldorfschule meine ersten Englisch-und Französischkenntnisse zu erwerben und damit die Scheu vor Fremdsprachen gar nicht erst aufzubauen.

Und als wir dann nach Afrika aufbrechen wollten, obwohl meine Kinder noch nicht selbständig waren, haben sie mir trotz ihrer Bedenken ihren Segen mit auf die Reise gegeben und waren immer für die Kinder da, wenn sie gebraucht wurden.

Während unserer Weltreise waren sie meine zentrale Anlaufstelle für alle Sorgen, sie verschickten Ersatzteile nach Irgendwo, kümmerten sich um meine Finanzen und um alles, was sonst noch nötig war. Für all dieses bin ich unendlich dankbar!

Meinen Kindern David und Miriam bin ich ebenso dankbar dafür, dass sie mir meine Reiselust verziehen haben. Ihr habt mir unterwegs oft sehr gefehlt und ich freue mich buchstäblich jeden Tag darüber, dass ihr so tolle, selbständige Menschen geworden seid!

Meiner Tochter Miriam danke ich außerdem für die graphische Unterstützung bei der Verwirklichung dieses Buches!

Meiner Patentante Gisela verdanke ich nicht nur viel von dem finanziellen Background, ohne den ich mir diese Reisen nicht hätte leisten können. Sie ging selbst mit mir als „Pubertier“ auf eine wunderbare Reise nach Frankreich, hat sich mit mir im hohen Gras versteckt, als wir beinahe beim Kirschenklauen erwischt worden wären und hat mich im Leben oft sehr hilfreich begleitet und unterstützt.

Für den weiteren Support unserer Reise sind wir auch unserer lieben Freundin Marion sehr dankbar, die sich um Thomas´ Belange in Deutschland kümmerte und uns so manches Päckchen mit notwendigen Dingen schickte.

Liebe Maren, lieber Herbert, euch ein großes Dankeschön für seelischen Beistand in schwierigen Zeiten und für das sehr hilfreiche Zurverfügungstellen eurer Garage für unser Geraffel!

Ein besonderer Dank gilt dir, lieber Walter. Damit wir die Verbindung zu den Menschen, die sich in Deutschland oder unterwegs für unsere Reise interessierten, halten konnten, hast du dich während der ganzen Zeit mit viel Arbeitsaufwand und Geduld als Administrator um unsere Homepage gekümmert, hast Newsletter online gestellt, mit mir aus der Ferne ein neues Design unserer Seite umgesetzt und viele Online-Probleme gelöst.

Bei meiner Arbeit an diesem Buch haben mich Marion und Michael sehr unterstützt, in dem sie die halbfertigen Texte korrekturgelesen haben.

Für diese wichtige Hilfe danke ich euch Beiden sehr!

Wir sind dem Universum dankbar dafür, dass wir in eine relativ friedliche und wohlhabende Welt hineingeboren wurden, in der solch freies Reisen überhaupt möglich ist.

Wir waren in allen nicht ungefährlichen Situationen wohl behütet und haben immer dann, wenn wir wirklich Hilfe brauchten, irgendeine Form der Unterstützung erfahren.

Und wir danken allen Menschen, die uns unterwegs zur Benutzung ihrer Dusche, ihrer Waschmaschine, ihres Werkzeugs oder eines Bettes eingeladen haben, die uns einen guten Rat, ihre Geschichten oder auch nur nette Gesellschaft geschenkt haben. Ihr seid das unverzichtbare Salz in unserer Reisesuppe!

...und, mein lieber Reisegefährte, natürlich wäre keine dieser Seiten ohne dich geschrieben worden. Danke, dass du für mich da bist und mich auf Reisen und im Leben begleitest!

Teil 1:

Wie alles begann...

und

Die erste größere Reise

1.Kapitel: Die Vorgeschichte

An einem ansonsten wenig ereignisreichen Tag Anfang Juni 2001 drückte ich endlich die Entertaste. Eine gute Freundin, die ich nur einmal im Jahr sehe, war auf Besuch und ich hatte ihr von dieser Annonce erzählt, die mir Monat für Monat in unserem regionalen Anzeigenblättchen aufgefallen war:

„Suche Motorradfahrerin mit eigenem Bike für Reise nach Afrika und weiter um die Welt“

stand da, unterschrieben von einem Menschen namens Thomas. Ich hatte mich immer wieder gewundert, warum es anscheinend so schwer war, für einen solch fantastischen Zweck jemand Passendes zu finden und konnte den Text längst auswendig.

Von dieser Anzeige erzählte ich Marion also und gemeinsam beschlossen wir, dass man nun endlich mal herausfinden müsse, wer und was dahinter stecke.

Ich selbst war zu diesem Zeitpunkt 41 Jahre alt, alleinerziehende Mutter zweier halbwüchsiger Kinder und arbeitete seit vielen Jahren als Krankenschwester bei einem ambulanten Pflegedienst. Nach langjähriger kräftezehrender Beziehung mit einem suchtkranken Mann war ich vor einiger Zeit endlich aus dem Wahn erwacht, ich könnte ihm helfen, ein glücklicher Mensch zu werden und interessierte mich wieder mehr für mein eigenes Leben. Verflixter Helferkomplex!

Ich sehnte mich nach der Zeit, wo meine geliebten Kinder flügge sein würden und ich auf Reise gehen könnte! Mal nicht für andere da zu sein, sondern einfach zu tun, was mir Spaß macht, davon träumte ich.

Und davon, frei durch die Welt zu ziehen, egal mit welchem Verkehrsmittel, egal wohin, nur raus aus meinem selbstgebauten Zuggeschirr der täglichen Notwendigkeiten und hinein in die Welt, von der ich noch viel zu wenig kannte.

Kurzentschlossen setzte ich also mit der moralischen Unterstützung meiner Freundin einen kurzen Text auf, in dem ich dem unbekannten Reiselustigen erklärte, ich sei zwar Motorradfahrerin und habe auch einen fahrbaren Untersatz (zu der Zeit fuhr ich eine recht neue Yamaha SR500), und ich würde liebend gerne mit auf Reisen gehen, aber ich sei noch etliche Jahre gebunden und könne ihm daher nicht folgen. Ob er mir erklären könne, warum er bislang noch niemanden zur Erfüllung seiner Reisewünsche gefunden habe, fragte ich.

Entertaste - und los!

Einige Tage später kam die Antwortmail: Der große Unbekannte schlug vor, wir könnten uns ja trotz meiner organisatorischen Unmöglichkeiten einfach mal treffen und übers Reisen und anderes quatschen. Nur so...

Ich konnte nicht widerstehen und rief ihn an. Was konnte schon Schlimmes dabei passieren?

Was passierte, war, dass ich nach dem Telefonat zum ersten Blind Date meines Lebens in einer Szenekneipe verabredet war.

Als ich am vereinbarten Tag mit Trine, meiner Hündin, die mich fast überallhin begleitete, in meinen alten weißen Golf stieg, musste ich feststellen, dass ich die ganze Geschichte doch ziemlich spannend fand. Mein Herz schlug deutlich schneller, als es einer „nur so“- Verabredung angemessen gewesen wäre. Wie gut, dass Trine dabei war mit ihrer unerschütterlichen freundlichen Ruhe! Wir waren pünktlich am vereinbarten Ort. Thomas hatte gesagt, ich würde ihn daran erkennen, dass er einen Collie dabei haben würde. Vorerst war noch kein Collie zu sehen. Ok, ich war sehr pünktlich!

Nach wenigen Minuten kam ein schwarzer VW-Golf, ebenso alt wie meiner, auf den Hof der Kneipe gefahren. Heraus hüpfte ein Collie, mein Herz schlug bis zum Hals in banger Erwartung, was sonst noch aus diesem Auto auf mich zukommen würde und dann standen wir uns zum ersten Mal gegenüber:

Wenige Jahre älter und ein Stückchen größer als ich, mit einem freundlichen Gesicht unter etwas schütterer grauer Haarpracht, stand Thomas in seiner schwarzen Lederhose vor mir. Die Hunde machten sich auf ihre Weise bekannt - Trine in ihrer immer freundlich-verspielten Art kam bei Brandy erst mal nicht so gut an. Wahrscheinlich war der alte Herr von ihrer Größe und ihrem jugendlichen Übermut überfordert. Um den Hunden das Kennenlernen zu erleichtern, beschlossen wir, vor dem Kneipenbesuch einen Spaziergang über die nahegelegenen Wiesen zu machen. Das kam mir entgegen, denn im Gehen fiel auch mir das Kennenlernen leichter...

Als man uns sehr spät abends aus der Kneipe fegte, hatten wir uns in der folgenden Woche zu einem ersten gemeinsamen Ausritt auf unseren Motorrädern verabredet.

Der ersten Tour folgten weitere, wir verbrachten viele Stunden mit interessanten Gesprächen und ehe wir es uns versahen, hatten wir einen gemeinsamen dreiwöchigen Motorrad-Urlaub nach Schottland und Irland geplant. Sozusagen eine Testfahrt für unsere grundsätzliche Kompatibilität auf Reisen.

Meine Kinder hatten Sommerferien und waren in verschiedene Richtungen aus dem Haus entfleucht - ich war frei für die erste, über ein Wochenende hinausgehende Motorradreise meines Lebens. Die wenig geländetaugliche Yamaha hatte ich inzwischen gegen die Honda Transalp eingetauscht, die Thomas bisher gefahren hatte - er selbst hatte für seine geplante "große" Reise schon ein neueres Modell derselben bewährten Reiseenduro angeschafft und sattelte nun darauf um.

Das Endurofahren war für mich ein völlig neues Erlebnis: noch nie war ich auf zwei Rädern über Schotterstraßen gefahren, geschweige denn durch schwereres Gelände.

So war Schottland für mich ziemlich aufregend.

Die Freude, endlich mal wieder fremde Landschaften zu sehen, im Zelt zu schlafen und an jedem Tag frei entscheiden zu können, wohin wir fahren wollten, war deutlich größer als meine Angst vor den fahrerischen Herausforderungen, die auf mich zukamen.

Trotzdem machte ich ziemlich große Augen, als ich das erste Mal auf einem schmalen Schotterweg enge Haarnadelkurven bewältigen oder abends auf der Suche nach einem Zeltplatz über eine holperige Wiese fahren musste.

Die Transalp war, zumal reisemäßig bepackt, mit geschätzten 250kg nicht ganz leicht und ich kam bei meiner imposanten Körperlänge von 167cm nur eben so mit den Zehen auf den Boden. Es folgten dementsprechend auch einige Situationen, in denen PJ (so hatte ich ihn in Anlehnung an sein "amtliches Kennzeichen" getauft) und ich ungewollten Bodenkontakt bekamen. Zum Glück war ich nicht allein unterwegs und Thomas half mir beim Aufheben des schweren Eisenhaufens.

Ich übte und lernte, mit dem schottischen Gelände umzugehen und Spaß dabei zu haben. In der Landschaft der Highlands mit ihren majestätischen grünen Bergen und Tälern fühlten wir uns klein und unwichtig wie Ameisen, kampierten irgendwo abseits der Straße, wuschen uns morgens in eiskalten Bächen und steuerten unsere Motorräder vorsichtig durch Schafherden mitten auf den Fahrwegen.

Thomas und ich testeten unterwegs unsere Teamfähigkeit auf Reisen und stellten fest, dass wir uns in vielen Bereichen ähnlich sind und auch jenseits des Reisens gut zusammenpassen.

Wir hatten auf dieser ersten gemeinsamen Reise viel Spaß miteinander, verstanden uns gut und stellten fest, dass wir auch in extremeren Situationen nicht dazu neigen, uns gegenseitig anzustressen. Eine gute Voraussetzung dafür, weitere gemeinsame Pläne auszuhecken.

Irgendwann in dieser Zeit beschloss Thomas, dass er mit seinem Lebenstraum, einer Weltumrundung auf dem Motorrad, lieber auf mich warten wollte, als allein zu fahren.

Er wartete 6 Jahre.

Inzwischen zog er mit auf den Resthof im Norden Schleswig-Holsteins, den ich seit vielen Jahren gemietet hatte und auf dem meine Kinder und ich mit einigen Freunden in lebhafter, wenn auch nicht unproblematischer Hofgemeinschaft lebten. Er kaufte einen alten Mercedesbus und baute sich diesen in sorgfältiger Arbeit zur Wohnung aus.

Ich ging weiter meiner Arbeit nach und hatte gute und nicht so gute Zeiten mit meinen pubertierenden Sprösslingen. Besonders zwischen mir und meiner damals 13-jährigen Tochter hatten sich Machtkämpfe entwickelt, die mich häufig an meine Grenzen brachten.

Alleinerziehende Eltern können wahrscheinlich gut nachvollziehen, wie nervenaufreibend es sein kann, mit aufmüpfigen oder bocklosen Teenagern im eigenen Saft zu schmoren. Ich fühlte mich oft überfordert und wünschte mich an manchen Tagen einfach nur weg!

Unerträglich erschien es mir, noch mehrere Jahre ohne Pause mit dem täglichen Kleinkrieg zuhause durchzuhalten. Auf diesem gefühlsmäßigen Boden fingen Thomas und ich an, eine erste längere Reise zu planen: eine Afrika- Durchquerung von Nord nach Süd, das wäre doch was!

Ich wollte versuchen, die häusliche Organisation für ein paar Monate von mir unabhängig zu machen und dachte Tag und Nacht darüber nach.

Gutgemeinte Ratschläge von verschiedenen Seiten, doch mit solch einer Unternehmung noch ein paar Jährchen zu warten, konnten mich in meiner Vorfreude nicht bremsen. Stattdessen forcierte ich meine Planung und suchte per Anzeige nach einer "Mama-Vertretung" auf unserem Hof. Mehrere ernstzunehmende Antworten kamen, einige Anwärterinnen und Anwärter stellten sich vor. Anita, eine Frau Anfang Dreißig mit einer 10-jährigen Tochter, zog schließlich bei uns ein.

Nun bereiteten wir uns konkret auf die Reise vor.

Auch auf Thomas´ Seite gab es Probleme aus der Welt zu schaffen, die uns noch bis zum letzten Tag vor der Abreise zu schaffen machten.

Er hatte sein schönes, selbstgebautes Haus auf dem Land an eine Gemeinschaft von fünf jungen Leuten mit Kindern und Hund vermietet, die sich "was Eigenes" aufbauen wollten.

Tja, diese Leute gehörten, wie wir bald feststellen mussten, zu der in Deutschland offenbar wachsenden Gruppe der sogenannten Mietnomaden. Sie zahlten anfänglich zumindest einen Teil der vereinbarten Miete, bald aber gar nichts mehr, forderten stattdessen, dass Thomas ihnen den leer geheizten Öltank auffüllen solle und wurden, direkt proportional zu den wachsenden Mietschulden, immer dreister und unfreundlicher.

Schließlich ließen sie ihn nicht mehr ins Haus und antworteten nicht mehr auf seine Gesprächsangebote, Anfragen und schließlich Mahnungen.

Mein unbezahlter Urlaub hatte schon angefangen, die Zeit lief und wir konnten nicht losfahren, weil Thomas sein Haus natürlich dieser Bande nicht einfach überlassen konnte. Wie schnell die deutschen Gerichte in Mietsachen arbeiten, hatten wir von einschlägigen Erfahrungen aus unserem Umkreis erfahren. Darauf konnten wir auf keinen Fall warten!

Ich beschloss, aktiv zu werden, packte Sonnenschirm, Gartenstuhl und was zu Trinken ein, kündigte bei einigen lokalen Zeitungen an, ich würde vor besagtem Haus einen Sitz- und Hungerstreik beginnen und mich gerne mit jemandem über meine Gründe für diese ungewöhnliche Maßnahme unterhalten. Ein Bekannter stellte mir zwei Stellwände zur Verfügung, die ich mit entsprechenden Informationen zum Thema versah, und brachte mich gegenüber des Hauses in Stellung.

Im Laufe des ersten Tages kam der erste Reporter und interviewte mich, ein großer Artikel erschien, der andere Redaktionen aufmerksam machte.

Da ich auch meine Freunde eingeladen hatte, mir bei meiner Aktion Gesellschaft zu leisten, wurde es nicht langweilig. Immer mal wieder kam jemand angefahren, brachte eine Thermoskanne Tee oder Ähnliches mit und blieb für einige Zeit solidarisch bei mir sitzen. Um die Dringlichkeit meines Anliegens deutlich zu machen, hatte ich beschlossen, auch nachts vor Ort zu bleiben und einen Schlafsack mitgebracht. Als es am ersten Abend dämmerte, wickelte ich mich auf meinem Gartenstuhl in den Schlafsack. Die immer mal wieder hinter den Fenstern des Hauses auftauchenden Gesichter der Mieter wirkten zu fortschreitender Stunde immer ratloser. Ich versuchte zu schlafen, was mir nicht wirklich gut gelang. Zu allem Überfluss fing es an zu regnen. Ich rückte meinen Liegestuhl möglichst weit unter den Sonnenschirm und blieb halbwegs trocken.

Einige Tage blieb ich hartnäckig vor Ort, wurde interviewt - inzwischen war auch der Rundfunk aufmerksam geworden - unterhielt mich mit Freunden oder auch völlig fremden Leuten, die vorbeikamen und sich für eine Weile bei mir niederließen. Die Mieter wurden nervös und fingen an, mich im Vorbeigehen zu beschimpfen. Mir wurde etwas mulmig und daher bat ich einen Freund, mir auf der angrenzenden Koppel, wo ich nun im Zelt übernachtete, des Nachts beizustehen. Thomas, so hatten wir beschlossen, sollte möglichst wenig Projektionsfläche bieten, da er bei einem seiner Besuche schon tätlich angegriffen worden war.

Also besorgte ich mir lieber anderweitige Unterstützung.

Am fünften Tag meines Hungerstreiks, meine Hosen waren schon ordentlich am Rutschen, bekam Thomas eine einstweilige Verfügung zugestellt, die ihm die Annäherung an sein Haus verbot. Gleichzeitig wurde ihm allerdings auch ein Gerichtstermin in der nächsten Woche mitgeteilt, bei dem über die Räumung des Hauses verhandelt werden sollte.

Bingo! Ich hatte mit meiner Aktion offenbar genug Aufmerksamkeit erzielt, um das Gerichtsverfahren zu beschleunigen! Mehr konnte ich nicht erwarten und so beendete ich meinen Streik. Gerade noch rechtzeitig:

auch das Fernsehen hatte schon nach einem Termin für ein Interview angefragt...

Der Gerichtstermin fand statt, die Mieter sahen offensichtlich ein, dass ihr Plan, das Haus umsonst zu bewohnen, während sein Besitzer mit dem Motorrad durch Afrika fahren würde, gescheitert war, und zogen innerhalb einer weiteren Woche aus. Die finanziellen Verluste, die Thomas gemacht hatte, waren schmerzhaft, aber jedenfalls war endlich die Blockade vorbei, die unsere Abfahrt inzwischen schon um zwei Monate verzögert hatte. Nun mussten wir das Haus nur noch renovieren, was etliche Tage strammer Mal- und Reparaturarbeit bedeutete. Die enttäuschten Mietparasiten hatten sich richtig Mühe gegeben, das Haus in schlechtestmöglichem Zustand zu hinterlassen, hatten fest installierte Lampen mitgehen lassen, die Teppichböden verschmutzt und ihre Kinder offensichtlich ermuntert, die Wände zu bemalen. Nach einer Woche Arbeit fast rund um die Uhr hatten wir das Haus wieder in einen zumutbaren Zustand gebracht und konnten es zur weiteren Vermietung übergeben.

Wir konnten endlich losfahren!

Als wir Mitte Juli 2002 tatsächlich unsere Motorräder packten und aufbrachen, kam dieser Aufbruch mir wie eine Flucht vor. Da wir so beschäftigt damit gewesen waren, uns freizustrampeln, waren wir auf die Reise selbst kaum vorbereitet. Wir hatten nur wenig Ahnung von den Ländern und Kulturen, die wir besuchen wollten.

Dazu kam, dass mir der Abschied von meinen Kindern unendlich schwer fiel. Ich heulte ungefähr bis Hamburg mit dem Himmel um die Wette, der uns auf den ersten 450 km über deutsche Autobahnen einen kräftigen Dauerregen bescherte. Jedes überholende Fahrzeug übergoss uns beim Vorbeifahren mit einem Schwall Regenwasser, die Sicht hinter dem nassen Helmvisier war schon ohne Tränen nahe Null. Denkbar ungünstige Startbedingungen!

Drei Tage später sah es alles schon ganz anders aus: wir fuhren im Sonnenschein durch Frankreich, das Rhônetal hinab der iberischen Halbinsel entgegen, und ich konnte die Landschaft allmählich wieder wahrnehmen und genießen. Wir hatten es tatsächlich geschafft und waren unterwegs, die Organisation zuhause war geregelt, alles würde gut werden...

2.Kapitel: Auf nach Afrika!

Es wurde nicht alles gut: nach ein paar Reisetagen stellte Thomas ein beunruhigendes Geräusch aus dem Getriebe seines Motorrades fest und beschloss, vor dem Verlassen der europäischen Zivilisation nachzuschauen, was da los war. Später wäre es wahrscheinlich schwierig bis unmöglich, an Ersatzteile heranzukommen, abgesehen von den Problemen, die wir bekommen würden, wenn sein Motorrad mitten in der Wüste stehenbleiben würde.

Im Süden Portugals, in den trockenen Bergen nördlich von Monchique, fanden wir die Möglichkeit, bei einem deutschen Aussteigerpaar unser Zelt aufzustellen.

Wir durften dort direkt neben einem großen Geflügelgehege wohnen.

Eine Hühnerherde samt schönem, in den frühen Morgenstunden lautstark und melodisch krähenden Hahn, von mir darum Caruso getauft, ging hier ihren Geschäften nach. Sie teilten sich das Gehege mit einer Gruppe halbwüchsiger Perlhühner, die uns morgens mit nicht enden wollenden:

„Petaak-petaak!” Rufen aus dem Schlafsack tröteten.

Hier wollte Thomas den Motor öffnen und den Fehler suchen. Die Bedingungen für eine "Operation am offenen Herzen" waren nicht wirklich ideal, denn sie musste unter freiem Himmel, wenige Meter unterhalb der Schotterstraße stattfinden, auf der jedes vorbeifahrende Auto eine große Wolke feinen Staubes aufwirbelte, der sich überall absetzte.

Nach zwei Tagen hatte Thomas den Motor, vor Staub etwas geschützt durch eine über seinen Arbeitsplatz gespannte Zeltbahn, aus- und auseinandergebaut. Alles, was er fand, waren zwei leicht ausgewaschene Zahnräder im Getriebe, die wahrscheinlich in zehn Jahren keine ernsthaften Probleme bereitet hätten! Aber da der Motor nun einmal offen war, sollten sie natürlich auch ausgetauscht werden.

Zur Bestellung der Ersatzteile brauchten wir die Unterstützung eines Freundes in Deutschland, dem wir per Handy die Bestellung übermittelten. Auch das war nicht ganz einfach, denn im Tal hatten wir keinen Empfang. Darum wanderten wir jeden Abend, der Aufstieg dauerte jeweils etwa eine halbe Stunde, auf einen nahen Berg, um den Status der Bestellung zu checken und andere Emails abzurufen.

So vergingen drei Wochen, in denen wir manchmal auf dem verbliebenen Motorrad über die holperige Gebirgsstraße an die ca 20km entfernte portugiesische Atlantikküste fuhren oder in die nahegelegenen Berge wanderten, während wir auf die Ersatzteile warteten.

Ich versuchte zwischendurch, mich nützlich zu machen, entkrautete den großen Gemüsegarten oder half unserer Gastgeberin beim Einkochen der reichlich vorhandenen Tomaten. Im Gegenzug durften wir uns aus dem Garten nach Herzenslust bedienen und es gab auf unserem Speiseplan frisch geernteten Spinat, Gurken, Tomaten, Salat und Kohlrabi und was dort sonst noch wuchs.

Eigentlich hatten wir es also dort ziemlich gut, doch meine Gefühlslage war mehr oder weniger unterschwellig von Heimweh geprägt. Zu viel Zeit zum Grübeln!

Nach drei Wochen Unterbrechung war „Foster", Thomas´ Transalp, endlich wieder fahrbereit und wir konnten nach Afrika aufbrechen.

Gespannt auf neue Landschaften und Abenteuer fuhren wir durch den heißen Süden Portugals und Spaniens, machten Station in der historischen Stadt Sevilla mit ihren maurischen Gebäuden und nahmen dann Kurs auf Algeciras, der spanischen Küstenstadt nahe Gibraltars, unser Tor nach Afrika!

Wir buchten die nächste Fähre und verbrachten eine letzte Nacht auf europäischem Boden, auf einem gut gepflegten Campingplatz in Tarifa an der windigen spanischen Südküste zwischen vielen Surfern, die wegen der besonders schönen Wellen hierher gekommen waren.

Im abendlichen Dunst konnten wir schon die Umrisse der afrikanischen Küste erahnen...

3.Kapitel: Geschäftstüchtige Menschen in Marokko

Aufgeregt standen wir am nächsten Tag am Hafen, erledigten unsere Ausreiseformalitäten und fuhren in den Bauch der großen Fähre hinein. Etwa 3 Stunden schaukelten wir über die leicht bewegte Straße von Gibraltar, begleitet von einigen Delfinen, die in der Bugwelle des Schiffes spielten.

Allmählich tauchte die bergige Nordküste Marokkos aus dem Dunst auf - der erste richtige Blick auf einen neuen Kontinent, wir grinsten uns mit Herzklopfen zu: „Nun geht es richtig los!"

Marokko war ein echter Kulturschock für uns. Es fing mit einer langwierigen Einreiseprozedur und besorgten Mienen der Zöllner in Tanger an.

Hatten wir das falsche Formular bekommen? Wir haben es nicht erfahren - irgendwann war doch alles gut und wir durften das Hafengelände auf unseren Motorrädern verlassen.

Der Stadt Tanger empfing uns mit Tausenden drängelnder und stinkender Autos, durch die hindurch wir unseren Weg nach Süden suchten.

Lebend spuckte uns das Verkehrsgetümmel auf einer Ausfallstraße Richtung Süden wieder aus. Wir bemühten uns, auf der vielbefahrenen, holperigen Strecke zu überleben, bis wir gegen Abend ein handgemaltes Schild fanden, das auf einen Campingplatz hindeutete. Ein Mann empfing uns auf Französisch (natürlich, Französisch ist nun mal die Amtssprache des Landes!), wir verstanden seine Worte nicht, aber dafür seine Gesten, die uns sagten, dass wir nicht ganz verkehrt sein konnten.

Durch tiefen Sand mahlten sich die schweren Motorräder zu einem schattigen Platz unter niedrigen Bäumen oberhalb des Atlantikstrandes, wo wir unser Zelt aufstellten. Der freundliche Mann brachte uns zur Begrüßung ein erstes Glas des typisch marokkanischen Teegetränkes aus frischer Pfefferminze und grünem Tee, mit viel Zucker angereichert, das wir dankbar annahmen.

Dass er uns am nächsten Morgen den Tee mit auf die Rechnung schrieb, fanden wir weniger nett, aber damit war es unsere erste Lektion in marokkanischer Geschäftstüchtigkeit.

Eine weitere Lektion in Sachen marokkanischer Lebensart waren die nicht funktionierenden Sanitäranlagen des Campingplatzes. Ein zweiter junger Mann wies uns ein: statt der Dusche, die leider „im Moment“ außer Betrieb sei, könnten wir uns mit einem alten Farbeimer und dem etwas bräunlichen Wasser aus der Zisterne abduschen. Egal, Hauptsache flüssig!

Als wir abends im warmen Sand saßen und unseren ersten Sonnenuntergang über den donnernden Wellen der marokkanischen Atlantikküste erlebten, sickerte die Erkenntnis tröpfchenweise in unser Bewusstsein, dass wir tatsächlich in Afrika angekommen waren.

In den nächsten Wochen war ich zu beschäftigt für Heimweh. Wir fanden unseren Weg durch Marokko und versuchten uns mit den Menschen auf Französisch rudimentär zu verständigen. In der Schule hätte ich es lernen sollen und durchaus auch wollen, aber meine Lehrer erwiesen sich entweder als nicht mit mir kompatibel oder waren langzeitkrank und erschienen gar nicht zum Unterricht. Daher habe ich mit dem Französischen so meine Probleme.

Aber da Thomas es mit Fremdsprachen generell schwerer hat als ich, blieb die Verständigung mit der Außenwelt im Wesentlichen an mir hängen und ich lernte die wenigen wichtigen Sätze des Reiselebens nun auf Französisch: Woher kommt ihr? Wohin wollt ihr? Wieviel Kubik haben die Motorräder?

Nachdem ich den Job der Kommunikatorin einmal übernommen hatte, blieb es auch auf unseren weiteren Reisen bei der bewährten Arbeitsteilung.

Die marokkanische Kultur war uns allerdings, auch abgesehen von den sprachlichen Hürden, so fremd, dass wir nur schwer einschätzen konnten, wie sicher oder gefährdet wir uns auf unserer Tour durch das Land realistischerweise fühlen sollten. Vorsichtshalber rechneten wir mit Allem und sicherten uns nach allen Seiten ab, so gut wir konnten.

Wir beschlossen, dass wir unsere Bikes niemals aus den Augen lassen wollten - was sich allerdings gleich in der ersten Stadt, in der wir ein Hotelzimmer nehmen wollten, als nicht durchführbar erwies.

Die Altstadt von Ouazzane besteht aus einem Gewirr von kleinen Sträßchen, in denen es von Menschen wimmelt. Wir waren dort mit unseren schweren Motorrädern natürlich eine besondere Sehenswürdigkeit.

Als wir anhielten, wurden wir sofort umringt von einer Gruppe Männer und neugieriger Kinder. Ein kleiner, drahtiger Mann namens Thami sprach etwas Englisch, fühlte sich damit sofort für uns verantwortlich und ging mit Thomas in ein nahegelegenes Hotel, um dort einen guten Preis für uns auszuhandeln.

Stolz kam er wieder heraus: “Das Zimmer kostet 150 Dirham (15 Euro).

Weiter konnte ich den Wirt nicht herunterhandeln, aber das ist ein guter Preis. Eure Motorräder dürfen in der Hotelhalle stehen. Dafür müsst ihr sie nur an der Seite des Hotels durch die kleine Tür hineinfahren...“, berichtete er. Wir freuten uns, bis wir bei genauerer Betrachtung feststellten, dass die Seitenstraße über eine Freitreppe abwärts zum Nebeneingang des Hotels führte (mit Schwierigkeiten machbar) und dann durch eine schmale Tür (ebenfalls noch im Rahmen des Möglichen), einen ebenso schmalen Korridor entlang und dort noch um eine 90-Grad-Kurve (definitiv absolut unmöglich!) in die sehr orientalisch wirkende Halle (schade, dort hätten sich die Motorräder sicher gut gemacht).

Es blieb uns daher nichts anderes übrig, als unserem dermaßen um unser Wohl besorgten neuen Freund auf einen nahegelegenen kleinen Marktplatz zu folgen, der, wie er uns wortreich und mit ernsthaftem Nicken beteuerte, rund um die Uhr von dem Kellner des dort ansässigen Restaurants bewacht würde.

Das Restaurant war allerdings dauerhaft überfüllt, der Kellner entsprechend gefordert, auch ohne Bewachung unserer Fahrzeuge..

So richtig gut fühlten wir uns nicht mit dieser Lösung, doch was konnten wir tun? Wir ließen also die Motorräder über Nacht dort stehen, legten dem besagten Kellner unser Hab und Gut nochmal ans Herz und schenkten Thami zum Dank für seine Hilfe ein paar der mitgebrachten Luftballons für seine fünf Kinder. Dann verabschiedeten wir uns höflich und zogen uns zurück.

In der Dämmerung schauten wir vom Fenster des schlichten Hotelzimmerchens über die weißgetünchten Flachdächer der Stadt. Man hätte denken können, die Zeit sei hier vor zweihundert Jahren stehengeblieben, wären das Hupen der Autos in den engen Gassen und der Wald der Satellitenschüsseln auf den Dächern nicht gewesen.

Wir schliefen schlecht in dieser Nacht. Nicht nur wegen der Sorge um die Sicherheit unserer Motorräder, sondern auch wegen des unerwarteten Gesanges des örtlichen Muezzins, der uns morgens um halb vier Uhr von einem Minarett in unserer direkten Nachbarschaft herabquäkend verzerrt daran erinnerte, dass wir uns in einem muslimischen Land befanden.

Man sollte sich das Hotel in muslimischen Ländern nach der Entfernung zur nächsten Moschee aussuchen- das haben wir jetzt gelernt. Eine Feuersirene ist nichts dagegen!

Als wir später zusammengepackt hatten und das Hotel verlassen wollten, fand Thomas seinen Motorradschlüssel nicht mehr wieder! Erst noch ruhig, dann immer hektischer suchten wir all unsere Sachen wieder und wieder durch - der Schlüssel blieb verschwunden.

Schließlich gingen wir in höchster Sorge los zum Parkplatz und malten uns unterwegs aus, wie uns jemand den Schlüssel aus der Tasche entwendet haben könnte. In diesem Fall würden wir Foster samt Packtascheninhalt wohl nie wieder sehen.

Doch da stand er, unberührt - das Schlüsselbund mit allen Schlüsseln für unsere beiden Motorräder steckte im Schloss eines Alukoffers: Thomas hatte ihn einfach in der Hektik dort vergessen und niemand hatte die Gelegenheit genutzt! Uns fiel ein sehr großer Stein vom Herzen vor Erleichterung und wir leisteten den Menschen von Ouazzane heimlich Abbitte für unsere dunklen Gedanken.

Thami hatte uns für diesen Vormittag zu sich nach Hause eingeladen, zum Frühstück, wie er gesagt hatte. Er wartete schon auf uns, als wir zum Hotel zurückkamen und führte uns bergauf durch die kleinen Gassen der Stadt zu seinem Zuhause.

Auf dem Weg zeigte er uns die Straßen der einzelnen Handwerke, wie zum Beispiel die Straße der Schweißer. Ruß- und ölverschmierte dunkelhäutige Männer, mit nacktem Oberkörper schwitzend, arbeiteten dort in oder vor ihren kleinen dunklen Werkstätten. Wir schauten neugierig zu: die Werkzeuge war sehr veraltet und viele Male mit einfachsten Mitteln repariert worden oder auch komplett selbst konstruiert, aber irgendwie funktionsfähig.

Aus den Tiefen der unbeleuchteten, höhlenartigen Räume hörten wir es hämmern, untermalt von arabischer Radiomusik, während diejenigen, die vor den Türen werkelten, ihre Arbeit kurz unterbrachen, um ihrerseits neugierig auf uns Touristen zu schauen. Wir waren froh, durch diese, nur den Locals bekannten Gassen geführt zu werden!

Eine weitere Straße gehörte der Textilbranche. Dort hingen die weißen oder hellblauen Alltagsgewänder und Kopftücher der marokkanischen Männer an quer über die schmale Gasse gespannten Leinen zur Schau aus. Wir bahnten uns unseren Weg durch diesen Dschungel und folgten Thami weiter.

Als er uns die niedrige Holztür zu seiner winkeligen engen Wohnung in einem alten Haus öffnete, wurden wir etwas scheu und irritiert von seiner Frau begrüßt: er hatte sie offensichtlich nicht über unser Kommen informiert und von dem angekündigten Frühstück war auch nichts zu sehen.

Schnell setzte die sichtbar überrumpelte Frau einen Kessel Wasser aufs Feuer und servierte uns bald unter kleinen Verbeugungen eine Tasse Tee in dem kleinen Wohnraum, in dem wir uns höflich und etwas hilflos mit Thami unterhielten. Dann bekamen wir noch etwas trockenes Weißbrot serviert - Frühstück auf Marokkanisch.

Nach kurzer Vorstellung seiner, uns gegenüber schüchternen Kinder, die sich nach väterlicher Aufforderung artig für die Luftballons bedankten und dann schnell wieder aus dem Raum huschten, begann Thami, das Gespräch langsam, aber sicher, in geschäftliche Bahnen zu bringen.

Ach so, wir verstanden: wir waren hier, um Teppiche zu kaufen!!

Augenblicklich schminkten wir uns, etwas enttäuscht, unseren „Freund" Thami wieder ab und stellten uns mental darauf ein, unerwünschte Käufe zu vermeiden. Beharrlich zeigte er uns einen großen, einmaligen Teppich nach dem anderen, allmählich wurden die Schaustücke kleiner und auch billiger, doch wir schüttelten ebenso beharrlich die Köpfe.

Unser Argument, wir seien am Beginn einer langen Reise und hätten absolut keinen Platz für Souvenirs auf den Motorrädern, beeindruckte ihn nicht im Geringsten: „..ihr könnt doch ein Paket nach Hause schicken!" konterte er unbeirrt. Aber schließlich musste er doch einsehen, dass wir ihm tatsächlich nichts abkaufen würden.

Um ihn nicht ganz enttäuscht zurück zu lassen, fantasierten wir drauf los, wir würden sicher bald wieder einmal nach Marokko kommen und dann könnten wir aus Deutschland ein paar hier benötigte Werkzeuge oder andere Dinge mitbringen, die er uns dann, gegen eine angemessene Provision, verkaufen helfen könne.

Diese vage Aussicht beschwichtigte seinen kaufmännischen Fehlschlag etwas, seine Miene erhellte sich wieder und er brachte uns immerhin wieder zurück zu unserem Hotel, das wir alleine wahrscheinlich nie wiedergefunden hätten.

Eine von vielen Erfahrungen, die uns damit konfrontierten, dass wir uns in einer fremdartigen Kultur befanden.

Zum Beispiel fiel uns auf, dass auf der Straße fast überhaupt keine Frauen zu sehen waren - das Stadtbild war beherrscht von Männern, meistens in hellen, langen Baumwollgewändern, die gemeinsam an Straßenecken standen, in Cafés saßen und rauchten oder Geschäfte machten.

Wenn man überhaupt ein weibliches Wesen sah, dann huschte es verschleiert und mit gesenktem Blick vorbei, um unauffällig im nächsten Hauseingang zu verschwinden.

Viele Männer waren uns gegenüber sehr kontaktfreudig und schienen mich in eine andere Kategorie einzuordnen als ihre "eigenen" Frauen.

Eine Europäerin, ohne Schleier, und dann auch noch auf einem Motorrad, das größer und schwerer war, als sie je ein Motorrad gesehen hatten - ich musste ihnen wie ein Wesen von einem anderen Stern erscheinen.

Und so fragten sie mich, als die etwas Sprachgewandtere von uns beiden, immer wieder, wo wir herkämen, was für Motorräder das seien und, ob wir irgend etwas Nützliches, wie z.B. Musikkassetten oder T-Shirts dabei hätten, was sie uns abkaufen könnten.

Wir lernten Stück für Stück, uns in dieser Kultur zu bewegen. Die Horden von Kindern, die uns überall umringten und um "Cadeaus", Geschenke anbettelten, wurden freundlich, aber bestimmt, abgewehrt und die Geschäfte, die die Männer überall mit uns machen wollten, lernten wir rechtzeitig als solche zu erkennen, bevor es teuer wurde.

Wir begannen, wie es sich gehört, um Preise zu feilschen und rechneten jede uns präsentierte Rechnung nach, bevor wir bezahlten, denn oft versuchte man, uns übers Ohr zu hauen.

Und wir mussten immer wieder feststellen, dass jedes auf der Straße begonnene Gespräch, das uns Neulingen erst wie freundliches Interesse am Mitmenschen vorgekommen war, unweigerlich nach einiger Zeit in einem Teppich- oder Schmuckladen endete.

Eines Tages, als wir in einem kleinen Ort in einem Straßencafé eine Pause machten, bekamen wir ein Paradestück marokkanischen Geschäftswesens geliefert: ein Junge kam an unseren Tisch und fragte, ob wir für ihn auf Deutsch einen Brief schreiben könnten.

An ein Mädchen, die mal mit ihm eine Dromedartour in die Wüste gemacht habe.

Kein Problem, tat ich natürlich gerne.

Danach wollte er mir zum Dank ein paar Häuser weiter Fotos von dem Mädel zeigen und mich zum Tee einladen. Auch in Ordnung.

Er führte mich in einen Laden für Schmuck und Tücher, wo ich gefragt wurde, ob ich Medikamente gegen Schmuck eintauschen würde (der Junge war inzwischen verschwunden...). Ich dachte mir, ein paar Kopfschmerztabletten kann man ja mal investieren, holte ein paar Ibuprofen und fragte, was sie ihm wert seien.

Er meinte, ich solle nur sagen, was mir gefallen würde. Mir gefiel eine wunderschöne Kette mit allen möglichen Steinen dran, die war ihm aber zu teuer für die Tabletten. Also verhandelten wir weiter, es stellte sich heraus, dass er für alle gezeigten Schmuckstücke noch Geld dazu haben wollte.

Erst als er mir endlich glaubte, dass ich kein zusätzliches Geld bezahlen würde, sondern, wenn überhaupt, dann nur tauschen wollte, gab er mir einen kleinen verstaubten Ohrring aus dem Sammelsurium in einem Korb.

Danach bestand ich darauf, die angekündigten Fotos von dem Mädchen zu sehen, für die ich eben den Brief geschrieben habe und wegen derer ich doch in den Laden geführt worden sei? Keiner der Leute im Laden zeigte noch Interesse an mir, doch ich bekam zur Gesichtswahrung eilig und lieblos einige beliebige Bilder gezeigt.

Nun konnte ich mich endlich loseisen (ohne den versprochenen Tee..) und kam zurück zum Café, wo Thomas inzwischen, etwas unruhig, alleine herumsaß. Von ihm erfuhr ich, dass der Briefschreibe-Knabe mittlerweile zu ihm gekommen sei, um ihn in meinem Auftrag (!) zu dem Schmuckladen zu holen, damit er auch einen Tee bekäme. Das konnte aber nicht sein, weil wir beide wissen, dass immer einer bei den Motorrädern bleiben muss, daher war Thomas nicht darauf hereingefallen. Netter Versuch!

Wer weiß, wie das Abenteuer sonst weitergegangen wäre...

Einige Tage später erreichten wir die historische Königsstadt Fez, auf die wir sehr gespannt waren. Ein Taxifahrer zeigte uns den Weg durch das Verkehrsgetümmel auf staubigen Vorstadtstraßen zum örtlichen Campingplatz „Le Diamant Vert“ (der grüne Diamant), der in unserem Reiseführer als besonders empfehlenswert gekennzeichnet war. Tatsächlich fanden wir einen erstaunlich grünen, hoch eingezäunten Platz unter großen Eukalyptusbäumen vor, dem ein belebtes öffentliches Schwimmbad angeschlossen war. Eine kleine, ständig bewachte Pforte verband die beiden Komplexe, so dass wir das Schwimmbad nutzen konnten.

Den ganzen Tag über dröhnte laute arabische Popmusik zu uns herüber, die uns auch am nächsten Morgen früh aus dem Schlaf holte.

Das war praktisch, denn wir wollten uns in der berühmten Medina der Stadt umschauen.

Wir ließen unsere Motorräder in der Obhut anderer Camper zurück und nahmen uns ein Taxi, das uns vor die Tore der Stadtmauer brachte. Von dort aus stürzten wir uns in das Getümmel des großen arabischen Marktes, der die gesamte Altstadt von Fez ausmacht.

Ein undurchschaubares Gewirr von Gassen und Gässchen öffnete sich, wir spazierten aufs Geratewohl hinein und ließen die ganz besondere Atmosphäre, die an Geschichten aus 1001 Nacht erinnerte, auf uns wirken.

Entgegen unseren Erwartungen waren wir fast die einzigen Touristen, die sich bis in die kleinsten der Gässchen vorgewagt hatten - die knipsenden Horden von Amerikanern in Hawaiihemden oder asiatischen Touristen blieben uns erspart. Einige Kinder machten uns natürlich gleich als Opfer ihres erwachenden Geschäftssinnes aus und überfielen uns mit Angeboten und Bitten. Meine Gesprächsversuche in lückenhaftem Französisch liefen ins Leere, da die Kids noch weniger Französisch sprachen als ich, dafür hatten sie mit ein paar aus der Tasche gezauberten Luftballons ihren Spaß. Ein barfüßiger, etwa 8-jähriger Junge blieb bei uns und begleitete uns durch die ganze Medina. Unterwegs blies er seinen Luftballon auf, ließ ihn davon zischen, rannte hinterher, sammelte ihn aus dem Schmutz und Eselsmist der Straße wieder auf, steckte ihn fröhlich grinsend in den Mund und pustete ihn von Neuem auf.

Inzwischen waren die Wege, auf denen wir uns bewegten, nur noch etwa eineinhalb Meter breit. Das Sonnenlicht kam nur sehr spärlich bis auf den Grund dieser Schluchten, durch die sich geschäftige Marktleute, mit und ohne Esel, bewegten. Zu beiden Seiten die hohen Wände der umliegenden Häuser. Kleine, verschlossene Pforten führten hinter diese Mauern. Zu gerne hätte ich einmal selbst einen Blick in die teilweise sehr reichen und prunkvollen Häuser geworfen, die wir auf Bildern gesehen hatten!

Dann endete der Weg in einer Sackgasse und wir mussten umkehren. Wir hatten keine Ahnung, wo wir uns befanden, machten uns darüber aber keine Sorgen, sondern ließen uns einfach mit dem Strom der Menschen treiben. Nach einigen Stunden, in denen wir an Hunderten kleinster Marktstände vorbeigelaufen waren und von vielen Händlern mit „Salem Aleikum“ begrüßt worden waren, spuckte uns das Labyrinth der Medina unversehrt wieder aus. Wir fanden uns auf einem größeren Platz mit einem malerischen Brunnen in der Mitte wieder. Hier gab es Autoverkehr, dem wir folgen konnten, bis wir eins der vier Tore in der historischen Stadtmauer wiedergefunden hatten. Dort warteten viele Taxifahrer auf Kundschaft, einer von ihnen brachte uns mitsamt dem Obst, das wir unterwegs gekauft hatten, (1 kg Tomaten für 20 Cent, eine 5 kg schwere Wassermelone für 90 Cent) zurück zum „grünen Diamanten“.

Besonders charakteristisch für Marokko, und wissenschaftlich sehr erstaunlich, fanden wir die spontane Materialisation von Kindern aus dem absoluten Nichts, die wir häufig erleben durften.

Um mittags einmal ungestört unser einfaches Müsli genießen zu können, suchten wir uns auf dem Weg nach Agadir einen Platz in der menschenleeren flachen, steinigen Wüste und setzten uns in den Schatten eines kleinen trockenen Strauches, der einzigen Erhebung weit und breit.

Kaum hatten wir uns hingesetzt, poppten vor uns fünf kleine Mädchen zwischen 5 und etwa 12 Jahren ganz offensichtlich aus dem Boden und fielen erbarmungslos mit ihren Fragen und neugierigen Fingern über uns her. Wo kamen sie plötzlich her? Hier gab es nichts!!

Es war unmöglich, einfach weiter dort zu sitzen und zu essen, denn die Mädchen zerrten und zupften an uns herum, wollten meine Kette, mein T-Shirt, meinen Teller haben. Ruck-zuck öffneten sie alle in Reichweite befindlichen Reißverschlüsse und steckten ihre kleinen braunen Hände hinein auf der Suche nach allem, dessen sie habhaft werden konnten.

Wir versuchten einen geordneten Rückzug: Thomas packte unsere Teller ein, ich lenkte die Kinder ab, fütterte sie mit Keksen, behielt ihre geschickten Finger gut im Auge und erzählte ihnen in meinem schlechten Französisch, was mir gerade so einfiel. Dann schwangen wir uns in die Sättel und "galoppierten" fluchtartig in die nach wie vor menschenleere Wüste hinein.

4.Kapitel: Westsahara- eine andere Welt

Als wir weiter nach Süden, in die ehemalig spanisch kolonialisierte Westsahara, kamen, änderte sich die Kommunikation mit der Bevölkerung schlagartig.

Eines Abends, nach einem langen Tag auf dem Motorrad durch die windige und karge Wüste, kamen wir müde in der kleinen Küstenstadt Tarfaya an. Wir fuhren durch sandverwehte Straßen, vorbei an flachen, unscheinbaren Häusern, an deren Mauern ebenfalls kleine Sanddünen emporwuchsen: die ganze Stadt kämpft täglich gegen die Bedrohung durch die Wüste an, die mit großen Wanderdünen ständig bereit ist, alle Spuren menschlichen Lebens unter sich zu begraben. Wir konnten hier weder ein Hotel noch einen Campingplatz finden und fragten darum bei der lokalen Polizeistation, wo wir wohl campen könnten.

Man riet uns ohne Zögern, unser Zelt auf dem Platz zwischen Strand und Kaserne aufzuschlagen. Dort seien wir sicher, hieß es.

Wir fanden die besagte Kaserne, davor gab es einen geteerten Parkplatz.

Hier sollten wir schlafen? Der Torwächter der Kaserne bestätigte uns: ja, hier würden alle durchreisenden Leute übernachten. Man würde gut auf uns aufpassen.

In der Mitte des Parkplatzes stand auf einem Betonsockel das rostige Modell eines kleinen Doppeldeckerflugzeuges. Wie auf einem Schild am Sockel zu lesen war, war es als Erinnerung an einen französischen Postflieger hier aufgestellt worden. Er hatte gegen Ende der 1920er Jahre auf diesem einsamen Posten sein Leben eingesetzt und war später bei einem Flugzeugabsturz vor der französischen Mittelmeerküste ums Leben gekommen.

Besser bekannt wurde dieser Mann später als Autor eines weltweit berühmt gewordenen Kinderbuches, das auch ich als Kind von meiner Mutter vorgelesen bekommen habe und dessen einfache Weisheiten mein Leben bis heute begleiten: "Der kleine Prinz".

Sein Name war Antoine de Saint-Exupéry.

So hatte dieses Städtchen, eigentlich nicht mehr als eine Ansammlung von kleinen Betonhäusern im treibenden Wüstensand, doch eine Besonderheit, mit der wir etwas anfangen konnten.

Als das Zelt aufgebaut war, ging ich an den Strand.

Es war inzwischen kurz vor Sonnenuntergang, ich saß im warmen Sand, schaute aufs Meer und erholte meine Augen nach langem Tag mit dem Blick zum Horizont. Ein paar hundert Meter vor der Küste, von Wellen umtobt und mit leeren Fensterhöhlen, erinnerte ein altes, aus großen Felsblöcken erbautes spanisches Gefängnis an die koloniale Vergangenheit der Gegend.

Als sich ein junger Mann zu mir setzte und ein Gespräch anfing, beantwortete ich die üblichen Fragen nach dem Woher und Wohin etwas einsilbig, denn ich befürchtete, dass ich wie gewohnt nach der obligatorischen höflichen Fragerunde in den nächsten Laden geschleppt werden sollte.

Doch dann fing mein Gesprächspartner an, in recht gutem Englisch von sich und seiner Familie zu erzählen und machte überhaupt keine Anstalten, zum üblichen Verkaufsgespräch überzuleiten! Ich wurde neugieriger und sicher auch freundlicher und saß lange mit ihm im salzigen Wind des Ozeans und hörte zu.

Er war es auch, der mir sagte, dass die Menschen der Westsahara mehr Stolz und Ehrgefühl hätten, als die Leute weiter im Norden. Es läge ihm fern, mich zu irgendwelchen Geschäften zu verleiten, lieber wolle er von mir etwas über Deutschland erfahren!

Als wir uns verabschiedeten, lud er Thomas und mich für den nächsten Tag zu seiner Familie nach Hause ein. Die Einladung konnten wir leider nicht annehmen, weil wir eine lange Etappe vor uns hatten und früh aufbrechen mussten, aber unser angeknackstes marokkanisches Menschenbild hatte eine äußerst erfreuliche Erfahrung dazugewonnen.

In der Sicherheit der nahen Militärs schliefen wir abends ein, wachten aber mitten in der Nacht erschrocken auf, als zwei Autos auf den Parkplatz gefahren kamen und Leute sich in unserer Nähe zu schaffen machten. Was waren das für Leute und was wollten sie hier mitten in der Nacht? Wir linsten angespannt durch die Zelttür, konnten aber außer einigen sich bewegenden Lichtkegeln nicht viel erkennen. Nach einer Weile wurde es still und wir beruhigten uns wieder.

Im Morgengrauen erwachten wir und sahen zwei weitere Zelte, die die nächtlichen Ankömmlinge aufgestellt hatten. Ach so, nur andere Reisende, kein Grund zur Besorgnis! Wir kamen mit Antonio, einem englisch sprechenden Portugiesen, ins Gespräch: "Wir sind unterwegs vom Heimaturlaub in Portugal in das mauretanische Naturschutzgebiet an der Küste, wo wir arbeiten und waren gestern Abend wegen einer Autopanne viel zu spät noch unterwegs." erzählte er. "Haben wir euch gestört?"

Sehr herzlich lud er uns ein, ihn doch in Mauretanien aufzusuchen. Dann waren er und seine Kollegen schon wieder im Auto und weg, während wir noch versuchten, unser Zelt zu trocknen. Es war, wie auch die Motorräder, durch das weit stiebende, klebrige Salzwasser der nächtlichen Gischt tropfnass geworden. So wollten wir es nicht einpacken und warteten darum noch auf die automatische Sonnentrocknung.

Dann grüßten wir das Denkmal des Piloten, der so schöne Bilder von Elefanten in Riesenschlangen zeichnete und fuhren weiter nach Süden.

Unterwegs machten wir die ersten Erfahrungen mit großen Sanddünen, die sich durch das Vorhandensein einer Straße nicht von ihrer einmal eingeschlagenen Richtung hatten ablenken lassen wollen und quer über den Teer gewandert waren. Mehrere Radlader waren mit dem Abtransport des Sandes beschäftigt, aber noch lagen dicke Sandschichten über dem Teer und wir mussten hindurch. Das wäre allein nicht schlimm gewesen, mit genug Zeit und Ruhe, aber vor dem Hindernis hatte sich inzwischen beidseits der Verkehr aufgestaut, die Autofahrer waren ungeduldig und drängelten sich rücksichtslos an uns vorbei, was zu einigen kräftigen Adrenalinausstößen führte.

Wir passierten die Stadt Laayoune, geprägt durch hohe Militärpräsenz.

Bei der Einfahrt in die Stadt eine Kontrolle: "Bonjour, votre passport, s'il vous plaît!"

Wir stiegen ab, folgten dem Beamten in sein Kontrollhäuschen, beantworteten höflich alle Fragen. Nach Übernahme der persönlichen Daten aus den Pässen durch eine klapprige Schreibmaschine fragte der Beamte uns nach den Vornamen unserer Eltern, nach unseren Berufen, alles wurde schriftlich festgehalten, dann durften wir weiterfahren.

Einige Kilometer hinter der Stadt das gleiche Spiel: Passkontrolle, absteigen, in einen kleinen Raum hinein treten, klapprige Schreibmaschine auf ebensolchem Holztischchen: „Vorname des Vaters..? Beruf...?“

Wollt ihr vielleicht auch noch die Schuhgröße unserer Eltern wissen?

Weiter fuhren wir auf endloser Straße, immer geradeaus durch die windige, steinige Leere der Wüste. Jede noch so unbedeutende Kurve wurde durch auffällige Schilder angekündigt, um die Lastwagenfahrer, die den Süden des Landes versorgen, aus ihrem Halbschlaf am Steuer zu wecken, bevor sie von der Straße abkämen.

Die gähnende Langeweile auf den Motorrädern wurde ab und zu unterbrochen durch einige sehr willkommene Kurven, wenn die Straße ein Flusstal kreuzte. Dann ging es wieder stundenlang schnurgeradeaus.

Über die Steilküste des nahen Ozeans, auf deren Abbruchkante wir vereinzelt kleine Blechhütten stehen sahen (wer lebt hier, mehrere Autostunden von der nächsten menschlichen Siedlung entfernt?), quollen wabernd weiße Nebel herauf und ins Land hinein. Ein eindrucksvolles Schauspiel!

In der Nähe der Wolken war es richtig kalt!

Unser nächster Halt war die kleine, sehr lebendige Stadt Boujdour, nur noch eine Tagesreise von Dakhla entfernt, der südlichsten Stadt Marokkos, die das Tor zu allen Reisen nach Mauretanien darstellt.

Es gab dort keinen Campingplatz, darum mieteten wir uns in einem kleinen Hotel ein, wovon wir uns die Annehmlichkeit eines Bettes und einer Dusche versprachen. Eine Garage gab es nicht, aber der findige Hotelbesitzer wusste Abhilfe: für die Sicherheit unserer Motorräder konnte in einem leerstehenden Bäckerladen in der Nachbarschaft gesorgt werden, wo sie zwischen großen Mehlsäcken stehen durften.

Unser Zimmer hatte einen kleinen Balkon, von dem wir einen guten Ausblick auf die Hauptkreuzung des Ortes hatten. Ein guter Platz, um das Treiben auf der Straße unauffällig beobachten und fotografieren zu können!

Ein Eselskarren zuckelte vorbei, auf dem ein Mann mit baumelnden Beinen geduldig darauf wartete, dass die Straße frei wurde und er weiterfahren konnte. Vier Männer schoben einen ausgeschlachteten Landrover die Straße entlang, unzählige schwarze Plastiktüten trieben mit dem Wüstenwind dahin.

Auf der Kreuzung tat ein Polizist Dienst und regelte mit seiner Trillerpfeife den Verkehr. Zu genau nahm er seinen Job allerdings nicht: es blieb ihm immer genug Zeit für ein Schwätzchen mit Freunden, die vorbeigefahren kamen. Auch unsere Videokamera brachte ihn nicht aus der Ruhe:

als er entdeckte, dass ich ihn filmte, winkte er mir amüsiert lächelnd zu.

Überhaupt erschien uns die Stimmung in dieser Stadt sehr entspannt - wir sahen hier erstmalig sogar unverschleierte Frauen auf der Straße! Unter bunten, knöchellangen Wickelkleidern trugen sie westliche Kleidung, die sie für die Öffentlichkeit nur notdürftig bedeckten. Als wir später durch den Ort schlenderten und in einem Straßenrestaurant einen Tee trinken wollten, wurden wir sogar von einer Frau bedient, die uns mit offenem Lächeln empfing, erstaunlich!

Auf unserem Spaziergang fragten wir bei einer Reifen-Werkstatt, ob wir dort unsere Stollenreifen aufziehen lassen könnten? Die Reifen waren mit Hilfe des ADAC nach Agadir eingeflogen worden und wir hatten sie seitdem jeden Morgen als ziemlich lästiges, zusätzliches Gepäck auf den Bikes verstauen müssen. Kein Problem, hieß es: wir sollten am Morgen vorbeikommen. Also holten wir unsere mehlbestäubten Fahrzeuge morgens aus ihrer Garage und fuhren zur Reifen-Werkstatt.

Sieben abenteuerliche Stunden später verließen wir die Werkstatt mit den Stollenreifen auf den Felgen wieder.

Das Problem waren ein paar Reifenhalter, die, auf der Innenseite der Felgen angebracht, dafür sorgen sollten, dass sich bei Sandfahrten mit niedrigem Reifendruck und dadurch stärkerem Walken die Reifen auf der Felge nicht verdrehen würden. Das wiederum verhindert, dass die Ventile abreißen und man mitten in der Wüste einen irreparablen Platten erleidet.

Die Reifenhalter erschweren allerdings das Ausrichten der sowieso extrem störrischen Stollenreifen und so hebelten und zerrten die drei jugendlichen Arbeiter der Werkstatt mit allen verfügbaren Werkzeugen an unseren Rädern herum, zerstachen dabei versehentlich mehrfach (!) meinen nagelneuen, extra starken Schlauch, vulkanisierten jedes Mal große, aus alten Schläuchen geschnittene Flicken auf die Löcher und versuchten ihr Glück weiter. Erstaunlicherweise verloren sie, im Gegensatz zu mir, ihre gute Laune auch beim dritten Loch im Schlauch nicht!

Spanisches Gefängnis vor Tarfaya

Klimaschonende Nutzung eines Landrovers in Boujdour

Nach den ersten drei Stunden war eins unserer vier Räder fertig und die Jungs beschlossen, nun sei erst mal Mittagspause. Wir saßen mit ihnen auf dem Fußboden der Werkstatt, schauten ihnen zu und warteten, während sie aßen und zum Nachtisch einen Joint rauchten. Wir sollten dem Chef bloß nicht erzählen, dass sie hier während der Arbeitszeit kiffen würden, baten sie uns kichernd. Nach dieser motivierenden Pause hatten sie noch mehr Spaß bei den restlichen drei Rädern!

Am späten Nachmittag waren sie tatsächlich fertig, wir bauten die Räder wieder ein und fragten den Chef, der rechtzeitig zum Feierabend in der Werkstatt aufkreuzte, nach dem Preis für die Arbeit. Als er uns 70 Dirham, also etwa 7 Euro abverlangte, waren wir angenehm überrascht, denn wir hatten schon mit einem immens hohen Preis für die stundenlange Arbeit gerechnet.

Unsere Bikes waren nun bereit für die bevorstehende Fahrt durch die mauretanische Sahara.

Wir kehrten für eine letzte Nacht in unser Hotel zurück. So dreckig, wie wir nach der Arbeit waren, denn wir hatten natürlich kräftig mitgeholfen, freuten wir uns auf die wohlverdiente Dusche. Mit Handtuch und Seife bewaffnet ging ich in freudiger Erwartung durch die dunklen Flure zum Badezimmer, stellte dann, als ich nackt in der nicht ganz sauberen Duschwanne stand, fest, dass sich beim Aufdrehen des Wasserhahns nichts tat.

Hallo? Jemand zuhause? Es kam kein Wasser!

Enttäuscht zog ich mich wieder an und ging hinunter zur Rezeption. Dort erfuhr ich, dass wir am Vortag beim Duschen das gesamte Wasser aufgebraucht hätten und es erst morgen wieder welches geben würde. Wie peinlich - dabei hatten wir uns doch für unsere Verhältnisse nur kurz abgeduscht! Für ein Leben in der Wüste müssen wir noch viel lernen.

Am nächsten Abend rollten wir in Dakhla ein.

Noch vor wenigen Jahren war die Strecke von hier aus durch die Wüste nach Mauretanien wegen ständiger Grenzkonflikte so gefährlich, dass sich alle Reisenden einem Militärkonvoi anschließen mussten, der den Trupp bis zur Grenze geleitete. Seit einem Jahr bestand keine Konvoi-Pflicht mehr, doch es empfahl sich trotzdem, die 500km nicht allein zu fahren, da es unterwegs nur steinige Wüste, trocken, heiß und ohne jede Infrastruktur gab. Ein Liegenbleiben mit dem Fahrzeug konnte man hier schnell mit dem Leben bezahlen.

Darum war es unter den Reisenden weiterhin üblich, auf dem örtlichen Zeltplatz von Dakhla nach Gleichgesinnten Ausschau zu halten und einen privaten Konvoi zu bilden.

Dieser „Campingplatz“ war ein, durch eine hohe Mauer von den umliegenden Kamelpferchen abgegrenzter, kahler Platz mit schmutzigem Boden aus staubiger Erde. Es stank dort so intensiv nach Kamelmist, dass wir unser Zelt noch Wochen später mit verbundenen Augen hätten finden können.

Gegen die zahlreich herumlaufenden Hunde, die gerne das Bein an den Zelten hoben, entwickelten wir unsere später häufig genutzte Methode der Pinkelstöcke: Etwa einen Meter entfernt von jeder Zeltecke steckten wir einen Stock in den Boden. die Stöcke wurden von Thomas „markiert“ und alle Rüden hinterließen ihre Nachrichten zukünftig dort und nicht am Zelt. Funktioniert hervorragend!

Zwei Tage verbrachten wir in Dakhla, dann hatten wir eine kleine Truppe zusammen.

Zwei junge Französinnen, jede in einem schrottreifen Diesel-PKW, die sie in Gambia verkaufen wollten, um sich damit Geld für einen Urlaub und den Rückflug zu verdienen, erzählten, sie seien diese Route schon mehrfach gefahren und würden sich auskennen.

Die Autoschieberei ist ein ein verbreitetes Phänomen auf dieser Route, denn der Bedarf an billigen Autos ist hoch in Westafrika und, obwohl die Fahrzeuge, als Touristenautos eingeführt, eigentlich wieder ausgeführt werden müssen, gibt es mit Hilfe von „Schmiermitteln“ offensichtlich Wege an den Behörden vorbei.

Das dritte Auto war ein größeres Wohnmobil, gefahren von vier französischen Studenten, drei jungen Frauen und einem Mann, die einen karitativen Auftrag hatten: den Wagen selbst, in dem sie große Mengen von medizinischem Material transportierten, wollten sie in Dakar, der Hauptstadt von Senegal, der freiwilligen Feuerwehr übergeben, nachdem sie einer anderen Hilfs-Organisation in Burkina Faso die mitgebrachten Medikamente ausgeliefert haben würden.

Diese Tour galt als Auslandssemester in ihrem Design-Studium und sie freuten tessich sehr auf die exotischen Länder weiter im Süden.

Mit dieser Truppe wollten wir uns am nächsten Morgen auf den Weg machen.