Reisen und Entdeckungen in Nord- und Zentralafrika - Heinrich Barth - E-Book

Reisen und Entdeckungen in Nord- und Zentralafrika E-Book

Heinrich Barth

4,6

Beschreibung

Ohne ihn wäre uns die "Wiege der Menschheit" vielleicht noch heute ein Rätsel: Der deutsche Forschungsreisende Heinrich Barth stößt zu einer Zeit, da Afrika als unwägbares und gefahrenvolles Land galt, weit in das Innere des "Schwarzen Kontinents" vor. Am 25. März 1850 begibt er sich im Auftrag der britischen Regierung auf Entdeckungsreise durch Zentral-Afrika mit dem Ziel, für London Handelsmöglichkeiten anzuknüpfen. Nach insgesamt 2100 Tagen in der Sahara und im Sudan, betritt Barth fünfeinhalb Jahre später als einziger Überlebender der Expedition europäischen Boden - mit Informationen über Land und Leute im Gepäck, die der europäischen Wissenschaft einen neuen Erdteil aufschließen. In seinem umfangreichen schriftlichen Vermächtnis lässt der Forscher den Leser in sprachlich dichten Schilderungen an seinen Erkundungen teilhaben. Dabei gehen das eindringlich geschriebene Tagebuch, der fesselnde Reisebericht und die akribische wissenschaftliche Abhandlung eine beispiellose Verbindung ein.

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Heinrich Barth (1821-1865)

In der eigenen Heimat wissenschaftlich ambitioniert und hochgebildet, jedoch im Verhalten verschlossen und einzelgängerisch, tritter in Afrika als äußerst zugänglicher und feinsinniger Mensch auf, der sich den sagenhaften Ruf eines „Abd el Kerim“ („Diener des Allerhöchsten“) erwirbt. In sein Geburtsland zurückgekehrt, wird Barth zum Fremden, der wenige Jahre später völlig vereinsamt stirbt. Seine Leistungen auf dem Gebiet der interdisziplinären Erforschung Afrikas sind bis in die heutige Zeit hinein maßgeblich.

Dr. Heinrich Schiffers (1901-1982)

lebte in Köln und war Fachgeograph, Autor und Herausgeber verschiedener Standardwerke u.a. über die Sahara, Libyen und die Sahel-Zone.

Zum Buch

„(…) der Tod schien mehrere Minuten lang wirklich über unseren Häuptern zu schweben.“

Aus: Reisen und Entdeckungen in Nord- und Zentralafrika 1849-1855

Zu einer Zeit, da Afrika als faszinierendes, aber unwägbares und gefahrenvolles Land galt, stößt ein Mann weit in das Innere des „Schwarzen Kontinents“ vor: Heinrich Barth begibt sich im Auftrag der britischen Regierung mit einer drei Mann starken englischen Expedition auf Entdeckungsreise durch Zentral-Afrika mit dem Ziel, für London Handelsmöglichkeiten anzuknüpfen. Nach insgesamt 2100 Tagen in der Sahara und im Sudan, in denen er knapp 20.000 Kilometer zurücklegt und z.T. übermenschliche Strapazen erduldet, betritt der Forscher fünfeinhalb Jahre später als einziger Überlebender der Expedition europäischen Boden – mit Informationen über Land und Leute im Gepäck, die der europäischen Wissenschaft einen neuen Erdteil aufschließen.

Reisetagebücher üben eine starke Anziehungskraft aus. Sie lassen uns nicht nur an jenen Entdeckungen teilhaben, die ein Element unseres kulturellen Gedächtnisses geworden sind, durch die Beschreibung ferner Kontinente und fremder Sitten machen sie den Zugang zu einer anderen Mentalität erst möglich. Das Faszinierendean Barths Werk ist, dass hier das eindringlich geschriebene Tagebuch, der fesselnde Reisebericht und die akribische wissenschaftliche Abhandlung eine außergewöhnliche Verbindung eingehen. Neben der Dokumentation herausragender interdisziplinärer Leistungen etwa auf den Gebieten der Geographie, der Ethnologie und der Linguistik bestechen die Ausführungen durch ein Merkmal, das sie von der Mehrzahl anderer Entdeckerberichte unterscheidet: Barths Vermögen, in sprachlich dichten Schilderungen die Seele des afrikanischen Kontinents zu ergründen und im Leser lebendig werden zu lassen.

DIE 100 BEDEUTENDSTEN ENTDECKER

Abbildung 1: Heinrich Barth

Heinrich Barth

Reisen und Entdeckungenin Nord- und Zentralafrika

20.000 Kilometer durch Afrika

1849–1855

Herausgegeben von Heinrich Schiffers

Mit 54 Abbildungen

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über https://dnb.d-nb.de abrufbar.

Es ist nicht gestattet, Abbildungen und Texte dieses Buches zu scannen, in PCs oder auf CDs zu speichern oder mit Computern zu verändern oder einzeln oder zusammen mit anderen Bildvorlagen zu manipulieren, es sei denn mit schriftlicher Genehmigung des Verlages.

Alle Rechte vorbehalten

Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2013

Der Text basiert auf der Ausgabe Edition Erdmann, Wiesbaden 2012

Lektorat: Dietmar Urmes, Bottrop

Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH

nach der Gestaltung von Nele Schütz Design, München

Bildnachweis: Edri im südlichen Fessan (Lybien), Illustration

aus der Edition Erdmann Ausgabe 1977

eBook-Bearbeitung: Bookwire GmbH, Frankfurt am Main

ISBN: 978-3-8438-0291-8

www.marixverlag.de

INHALT

EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS

KAPITEL1Heinrich Barths Lebensweg bis zur großen Reise

KAPITEL2Vorwort im Reisewerk des Dr. Heinrich Barth

KAPITEL3Einleitung Heinrich Barths im Reisewerk

KAPITEL4Fertig zum Aufbruch

Reisegebiet bis Mursuk

KAPITEL5Aufbruch nach Inner-Afrika

Abschied nehmen

Unterwegs mit dem Boot

Aufstieg aufs Gebirge

Oase Misda

Zeugen der Vergangenheit

KAPITEL6Spuren der Römerzeit

KAPITEL7Die »Rote Hammada«

Endlich, der Brunnen

KAPITEL8Mühsamer Marsch durch das »Sandmeer« des Fessan

Aufbruch 2 Uhr morgens

Djerma-Garama, ein uraltes Kulturzentrum?

KAPITEL9Aufenthalt in Mursuk

Vor dem Aufbruch ins Unbekannte

Mohammed Boro zürnt

Schwierige Verhandlungen

KAPITEL10Das Geheimnis der Felsbilder

Erste Felsbild-Analyse

KAPITEL11Heinrich Barth in Lebensgefahr

10 Uhr morgens: Höchste Ermattung

KAPITEL12Über die Grenzstation Rhat hinaus ins Unbekannte

Endlich – Aufbruch!

KAPITEL13Ein Überfall in der Wüstenöde bereitet sich vor

Alarm!

Die Taktik der »Wüstenräuber«

KAPITEL14Gefährlicher Eintritt in das Alpenland der Wüste

»Liefert die Christen aus!«

Großer Kriegsrat

KAPITEL15Grenze des Sudans

Der Sturm bricht los!

Briefe nach Europa

Wert eines Rasiermessers

»Als Christen schuldbefleckt« im Aïr-Bergland

Regenzeit …

KAPITEL16»Ausflug« nach Agades

Erster Tag in Agades

Die Stunde der Versuchung

Abschied von Agades

Jahreswende (1850/51)

An einem Brunnen, südlich des Aïr-Berglandes

Zu den Abbildungen

Neue Landschaft

Trennung der Reisenden im Sudan

Die Reisenden durchziehen nun ein mit Dörfern und Feldern besetztes Land

KAPITEL17Im »Land der Schwarzen«

Vom »afrikanischen London« zum Tschadsee

Geld zählen

Plackereien in Katsena

KAPITEL18Einzug ins »afrikanische London«

In Kano

Banu, ein schlechter Verwalter

Große Pläne

Straßenleben einer sudanesischen Handelsstadt

Eines der glücklichsten Länder der Welt

Aufbruch von Kano nach Kukaua (Kuka)

Briefe aus der Heimat und – zwei ganze Taler

Eine unheilvolle Nachricht

Heuschrecken und Turmfalken

An Richardsons Grab

KAPITEL19Ankunft in der Residenz Kuka

Vor der Stadtmauer

Der erstaunte Wesir

»Blutsauger« und »Nichtstuer«

Ein gewagter Entschluss

Schicksal an seidenem Faden

»Schwarze Politik« – Wie die Residenzstadt Kuka entstand

Enttäuschung am Tschadsee

KAPITEL20Forschung und Abenteuer im »Herzen Afrikas«

Entdeckungen in Adamaua

In den Wäldern der Marghi

Der »gute weiße Gott«

Unfreundliche Tage in Yola

KAPITEL21Erkundungsritt im Altreich Kanem

Rückblick in graue Urzeiten

Seltsame Irrfahrt eines Reitervolkes

Aufbruch zum Raubzug

KAPITEL22In den Sumpfwäldern von Tuburi

Aufmarsch zum Kriegszug

Bescheidene Weihnacht in wildem Land

Barbarischer Besuch

Ein Wasserkampf

KAPITEL23Gefangen in Bagirmi

In Fesseln

Einzug des Sultans in Massenja

Post aus Europa!

Gefährlicher Verdacht

KAPITEL24Tod des Freundes und Vereinsamung

Die letzten Tage Dr. Adolf Overweg’s

Forscher-Tod

KAPITEL25Aufbruch nach dem »Fernen Westen«

Vom Tschadsee zum Niger-Strom

Wieder ein Abschied

120 Kilometer ohne Halt!

Geschenke für den Fürsten

Die Fulbe

Einzug in unbekanntes Land

Ins Unbekannte!

KAPITEL26Am Ufer des Niger

Reise durch die Landschaft des Nigerbogens

Barth wird Scherif

Barth als Messias

Schurkenstreiche

KAPITEL27Timbuktu oder »Die raue Wirklichkeit«

Im Hafen von Timbuktu

Aufregungen in Timbuktu

Protestversammlungen wider den »Christenhund«

Gelehrte Zwiegespräche im Wüstenlager

Nachruf auf einen Lebenden

Der Roman eines Briefpakets

KAPITEL28Heinrich Barths Anmerkungen zur Politik in Timbuktu und in Europa

KAPITEL29Rückreise vom Niger zum Tschad

Abschied von einem Todgeweihten

KAPITEL30Nordwärts auf gefahrvollen Wüstenwegen

Der Aufbruch durch die Sahara zur Küste

Im offenen Wüstenmeer

Wieder im Fessan

Im Aufstandsgebiet

Einzug in Tripolis

KAPITEL31Rückblick

KAPITEL32Heinrich Barths Lebensweg nach der großen Reise

Wieder in Europa

Lebensabend eines großen Forschers

Schrifttum

ANHANGAfrikanisch-europäisches Gespräch vor 125 Jahren

Vorbemerkung

Die Gespräche

Afrikanisches »Selbstverständnis« und afrikanische »Nationen«

Band III, Reisewerk 10.–12. August 1851, Kukaua

Aus dem Nachlass

Vorbemerkung

Itinerare

EINFÜHRUNG DES HERAUSGEBERS

Man kann über einen Forscher wie Heinrich Barth in der traditionellen Art berichten, angefangen vom Lebenslauf über die Darstellung der Hauptreise bis zur Wertung der Ergebnisse. Dabei umhüllen die Persönlichkeit meist der Schleier und der Reiz ferner Vergangenheit. Leben und Taten werden zum Inhalt einer Geschichte, neben vielen anderen. Sie haben für solche Leser, die an Entdeckungen interessiert sind, oft den Reiz des Kuriosen.

Das betrifft die Person selbst, den »Helden«, aber auch die Umwelt und wie sie auf das Erscheinen des »Fremden« reagierte. In jedem Fall werden die Worte »Abenteuer« und »Unterhaltung« recht groß geschrieben.

Hier aber beginnt unsere Überlegung, ob so etwas heute noch genügt. Vor 100 Jahren war der Erdteil Afrika für Europäer wie für Nordamerikaner, kurz für die »Weißen«, der »Dunkle Kontinent«. Es galt für die Forscher, sein »Herz«, die geheimnisvolle »Mitte« zu entdecken.

Dann wollte man den »armen Heidenkindern« den Segen des Christentums vermitteln und ebenso, wie schon zur Zeit der frühen Portugiesen des 16. Jahrhunderts, die allein gültige Lebensweise der »Weißen«. Man machte zugleich die Abschaffung des »abscheulichen Sklavenhandels« zum obersten humanitären Ziel. Für die »Schwarzen« wurde – aber keineswegs von allen »Weißen« der Status des Unterentwickelten, des »Primitiven« vorausgesetzt.

Während Wissenschaftler die Erdteilerkenntnisse, die sie aus Abenteuer- und Forscher-Berichten und solchen der frommen Sendboten gewonnen hatten, in ihr System einpassten, wollte es das Schicksal, dass gleichzeitig der Imperialismus-Bazillus in den »herrenlosen Weiten« sich ungestüm ausbreitete. Er trübte alsbald das Bild harmlos-romantischen Fernwehs, missionarischen Sendungsbewusstseins und »wertfreien« Forscherbemühens.

Weit mehr als Amerika und Asien wurde im Europa des vergangenen Jahrhundert gerade der »Dunkle Kontinent«, der Nachbarerdteil im Süden des »Landes der Weißen«, ein Interessen- und Sorge-Ziel.

Wenn heutzutage soviel von »Kolonialismus« und »Rassismus« gesprochen wird, bleibt meist unbeachtet, in welchem Ausmaß der Begriff des »Mutter-Kontinents« (Europa) für Europäer eine Realität war, und es unterschwellig noch ist.

Nur, was heute manchem »Weißen« schwerfällt zu begreifen, dieser »Tochter-Kontinent«, ist inzwischen aus dem durch die Europäer mithilfe ihres kolonialpolitischen Zerstückelungswerkes herbeigeführten Zwangsschlaf erwacht. Er entsinnt sich der Identität, so wie es Heinrich Barth in der vergangenen Jahrhundertmitte erlebte, und, was weitaus wichtiger ist, durch seine in seltener Vollständigkeit erhaltenen Berichte (Tagebücher, Korrespondenz, Hauptreisewerk) uns vermitteln konnte.

Das Glück wollte es, dass dieser Mann, den man ohne Übertreibung als einen der besten, wenn nicht als den größten Afrikawissenschaftler seiner Zeit bezeichnen darf, sowohl ein scharfer als auch unvoreingenommener Beobachter war.

Für ihn gab es zwar Räuber, die sein Leben bedrohten, aber keine »Wüstenräuber« im Sinne »primitiver Afrikaner«. Ja, man kann ihn, so man seine oft schwierig zu lesenden Ausführungen gründlich studiert, kurzweg als einen modernen Autor bezeichnen. Einen, der uns auffordert, die »weiße«, europazentrische, altmodische Erforschungsgeschichte zu revidieren, am besten ganz neu zu schreiben, ohne einen Stanley länger als »Helden« und ohne das oft auch heute noch reproduzierte Bild »Stanley trifft Livingstone« als Dokument afrikanischer Geschichte aufzubauen.

Das Merkwürdige dabei ist, dass dieser Heinrich Barth in seiner Heimat nie volkstümlich wurde, wie Gustav Nachtigal oder Gerhard Rohlfs. Sein Hauptwerk sei über die Maßen »trocken« und verliere sich in Einzelheiten, sagte man. Obendrein wurde er als »unwirscher, rechthaberischer Einzelgänger« bezeichnet und er stand infolgedessen nach der Großen Reise dem verdienten beruflichen Aufstieg selber im Wege.

Der frühe Tod mit 44 Jahren brachte rasches Vergessen, abgesehen bei Spezialisten, die aus seinen Werken schöpften.

Doch in den Ländern seiner Forschungen, von Tripolis bis zum Tschadsee und in den Nigerländern blieb er unter Afrikanern sagenhaft berühmt als Abd el Kerim (Diener des Allerhöchsten), der Islamkundige und Weitgewanderte. Die armen Leute stellten sich an den Weg, den er kam, und baten um Handauflegung und Segen. (Man vergleiche damit das Auftauchen heutiger Entwicklungsexperten ebendort!) Im Jahr 1965 noch wurde die Erinnerung an seinen 100. Todestag im Sahel-Sudan mit Gedenktafeln und Festakten begangen.

Das große Reisewerk Heinrich Barths ist in letzter Zeit häufiger zu recht hohen Preisen aus Antiquariaten und auch aus Archiven aufgetaucht, zurate gezogen von denen, die das »wahre Afrika« aus jener Zeit kennenlernen möchten, »als die Weißen kamen«. Es besteht aus fünf Bänden. Ihr nur auf Genauigkeit bedachter Gesamttitel mag in unserer Bestseller-Ära nicht gerade aufregend formuliert sein. Er lautet: »Reisen und Entdeckungen in Nord- und Central-Afrika in den Jahren 1849 bis 1855 von Dr. Heinrich Barth. Tagebuch seiner im Auftrag der Britischen Regierung unternommenen Reise«. Gotha, Justus Perthes 1857. Die Bände (genau 120 Jahre alt) umfassen insgesamt in der deutschen Ausgabe 3.564 Druckseiten. Barth schrieb zuerst, mit der Hand natürlich, den englischen Text, mit millimeterkleinen, aber gut leserlichen Buchstaben, und unmittelbar danach den deutschen. Das waren zusammen über 7.000 Manuskriptseiten. Er füllte sie, umgeben von seinen Tagebüchern, von denen 20 erhalten sind, geschrieben teils in Deutsch, in Englisch und in Arabisch.

Viele Hunderte von Personen seiner Gegenwart und aus den verschiedensten Jahrhunderten ziehen, sachlich vorgeführt, manchmal auch grimmig kommentiert, auf den über 3000 Seiten mit kalter Computer-Genauigkeit an uns vorüber.

Den Spuren all dieser Kameltreiber, Fürsten, Ackerbauern und stillen Gelehrten in der Großen Wüste und im Sudan nachzufahren, fällt dem Landrover-Touristen von heute, dank der Barth’schen Tableau-Präzision, nicht schwer. Neben der Genauigkeit des Berichteten, für die Heinrich Barth besonders gerühmt wird, erfahren wir ebenso Szenen, die uns einen mitfühlenden Menschen zeigen, wie er zuvor daheim nicht zur Geltung kam. So ist die Präsentation von Geschichte, Grundriss und Sozialstruktur der Stadt Kano in Nordnigeria, als des »afrikanischen London«, eingehüllt in ergreifende, lebenswarme Alltagsszenen. Sie werden dadurch, im Gegensatz zu manchen modernen Strukturanalysen, auch für den »gemeinen Mann« annehmbar.

Während Barth dieses Standardwerk schuf, hauste er in einer bescheidenen Wohnklause zu London.

Im Nachfolgenden bringen wir Auszüge, die durch überleitende Worte des Herausgebers verbunden sind. Die Original-Texte sind so ausgewählt, dass sie das vorher prätendierte »Moderne« erweisen, eine Tiefe der Erkenntnis, eine Kraft der Darstellung und der Deutung, die über das Zeitgebundene hinausreichen in die Gegenwart. Europäer und Afrikaner mögen daraus Einsichten gewinnen in das Wesen weiter Teile des Riesenkontinents, seiner Menschen und ihrer Verhältnisse.

Es entsteht vor uns unverfälscht die Zeit, als Afrika noch unabhängig war und afrikanische Entwicklungen ablaufen konnten. Störungen durch Einflüsse des »Mutterkontinents« zeichnen sich aber schon ab.

Das erneut unabhängige Afrika unserer Gegenwart steht, dank Heinrich Barth, wie vor einem klaren Spiegel seiner selbst. Dieser Spiegel wirft ein Bild jener Epoche zurück, als Afrika noch hundert Jahre jünger war.

Zur näheren Betrachtung sind einige Überlegungen nützlich.

Mit den Augen der Afrikaner von damals gesehen, waren Europäer die bei ihnen auftauchten, seltsame Leute. Am meisten wunderte Oasenbewohner und Nomaden, dass die Fremden unentwegt nach allem fragten, Berge anzustaunen schienen und sich über Wasserlöcher beugten. »Seid ihr so arm, dass ihr in eurem kalten und dunklen Norden keine Berge wie die unsrigen habt?«, hieß es. Einige der Besucher schleppten Unmengen von Kisten mit. Die aus Metall dienten dem Wassertransport. Aber die Wüstenleute waren fest davon überzeugt, dass es sich um Gold handelte. Sie weckten naturgemäß »Erwerbsfreude«. Der reichen Holländerin Alexandrine Tinne brachten sie im Fessan (Südlibyen) den Tod (1869).

Außerdem waren die Fremden keine Moslems. Der Islam hüllte jede Regung und Bewegung und die gesamte Lebensweise ein. Allüberall im Raume der 12 Millionen Quadratkilometer des nördlichen Afrika sahen die »Nasrani«, die Christen, an jeder Wasserstelle, in jeder Stadt, in einsamen Gebirgstälern, die Männer den Tagesablauf zum Gebet unterbrechen. Die Nasrani standen dabei oder hielten sich in der Ferne und mussten empfinden, welche Mauer sie auch von den wohlwollendsten Reisebegleitern trennte.

Einige der europäischen Besucher tarnten sich als Moslems und sprachen sogar arabisch, was aber von den gewieften alten und weit herumgekommenen Händlern rasch erkannt wurde.

Von ihnen ging daher zuerst der Verdacht aus, es handele sich ganz einfach um Spione, zumal sie, wie es manchen der Einheimischen schien, in geradezu krankhafter Weise nach den Fragen immerzu schrieben. Wenn Kamele und Menschen draußen auf der mondüberglänzten Sandtenne schliefen, konnten misstrauische Karawanenleute die Fremden hinter Felsvorsprüngen versteckt und mit merklicher Hast Zauberinstrumente (den Kompass) und Schreibstifte hervorholen sehen. Ohne Zweifel wollten sie alles ausspähen.

Abbildung 2. James Richardson, der erste Leiter der African Mission. Geboren am 3. November 1809 in Schottland, gestorben am 4. März 1851 im Sudan.

Abbildung 3 (links unten). Dr. Adolf Overweg. Geboren am 24. Juli 1822 in Hamburg, gestorben am 27. September 1852 am Tschadsee.

Abbildung 4 (rechts unten). Dr. Eduard Vogel. Geboren am 7. März 1829 in Krefeld, erschlagen 1856 in Wadai.

Zu Barths Zeit musste das für die Franzosen geschehen, die schon seit 1830 in Algier saßen, und auch am Senegal. Das erschien den allein Rechtgläubigen wie eine Zange. Den Nordafrikanern drohten fremde Herrschaft und Ende der gewohnten Lebensweise, was sich in der Störung des uralt eingewurzelten Karawanenhandels bereits bemerkbar machte. Auch an der Institution des Sklavenhandels wollten diese »Christenhunde« rütteln. Einige waren so tollkühn, es offen zu sagen. Heinrich Barth, der Mann, der sich kleidete und sprach wie sie, tat sogar Sklavenarbeit, als er selber während des Marsches sich bückte, eine lange Kette legte, sie aufhob, wiederum legte und das stundenlang. Die Sklaven der Karawane staunten ebenso darüber wie ihre Herren. Es war die Messkette, die der unerschrockene Mann zur Kontrolle von Wegdistanzen benutzte.

Glaubte er obendrein den Angaben des Kabir, des Karawanenführers, nicht, wenn dieser sagte: »Den Berg, den du da siehst, werden wir erst in zwei Tagen erreichen?« Und er hatte recht damit bei der unwahrscheinlichen Transparenz saharischer Luft.

Es gab demnach, außer Sonnenglut und Sandsturm, manche Barriere, die die »novarum rerum cupidi«, die neugierigen Abendländer, zu überwinden hatten.

Andere Schwierigkeiten lagen für die Fremden in ihrer Isolierung, der seelischen, die auch erhalten blieb, wenn es durch dicht besiedelte Sudanzonen ging. Doch hatte es der Reisende, ob in der Wüste, ob in der Residenz eines Sultans, meist mit Einzelnen zu tun, mit den Karawanenchefs oder Ortsgewaltigen. Sie entschieden über eine Lagererlaubnis, ob der Fremde Nahrung erhielt und ebenso oft über dessen Leben.

Psychologisches Einfühlungsvermögen, Einstellung auf die jeweilige Mentalität, war absolut erforderlich. Die Reisenden mussten die gewünschten Reaktionen bei einem Stammesführer hervorrufen, damit er sie, vielleicht nach zermürbendem, wochenlangem Warten endlich ziehen ließ. Dazu gab es Bedingungen, diese oder jene Stadt zu meiden, die womöglich gerade als wichtiger Punkt auf dem Reiseplan des Europäers stand.

Nerven kosteten – auch und gerade bei einer Reise im amtlichen Auftrag, wie die von Heinrich Barth, der für das Foreign Office um Anknüpfung von Handelsmöglichkeiten mit London besorgt sein sollte – die Briefkontakte mit der Heimat. Antworten und Geldsendungen langten mitunter erst nach einem Jahr und mehr, und meist nur durch puren Zufall, in seine Hände.

Dazwischen galt es, Gewaltritte oder -märsche, meist nachts, von zwanzig und mehr Stunden hinter sich zu bringen, um Zonen von regional-kriegerischem Hin und Her mit heiler Haut zu überwinden. In solchem Gebiet fand sich nur der zurecht, der die dort gesprochene Sprache beherrschte, vor allem, wenn es sich um noch nie von Europäern besuchtes Gebiet handelte.

Häufig mussten die Reisetiere gewechselt werden (Pferde, Kamele, Esel, Ochsen). Gleiches galt für Reisediener und Dolmetscher. Man hatte sich auf immer andere Ernährungsweisen umzustellen, auf andere Kleidung; und ständig waren neue Reiserichtungen zu projektieren, und zwar während der 2.100 Tage, die Barth in der Sahara und im Sudan1 reiste. Nachschub oder Ersatz von »daheim« gab es während dieser 70 Monate nur 8- bis 10-mal, wenn Kisten oder Packen mit Geld, Briefen, Schreibpapier und Büchern anlangten. Ersatz für zerbrochene Messgeräte kam nie an.

In Europa wurden während der fünf Jahre die behördliche Aufmerksamkeit und das allgemeine Interesse von zahlreichen anderen Unternehmen in Anspruch genommen. Überdies galt Barth monatelang als verschollen. Es erschienen Todesanzeigen und Nachrufe. Der Forscher erfuhr davon durch Andeutungen in Briefen. Er notierte jedoch: »Das muss ein gewaltiger Tod sein, der mich zu Boden zwingt.« Sein Selbstbehauptungswille blieb ungebrochen. Der »Ferne Westen«, das Land am Niger, mit der in Europa von einer Gloriole des Märchenhaften, aber auch dem Hauch des Gefährlichen umgebenen Stadt Timbuktu, sein Ziel nach Erreichung des Tschadsees, erforderte erhöhte Vorsicht.

Das macht es verständlich, warum Barth in seinem Werk seitenlang anführt, wie er sich über Tage hinweg auf das Gespräch mit einem Fulbe-Chef vorbereitete. Sachkundig musterte er, und verwarf auch, kostbare Kleidungsstücke (Toben) vom Markt, die als Geschenk dienen sollten.

Das Geld dazu musste er sich häufig von sudanesischen Händlern ausleihen. Diese standen in engem »Überweisungs«-Austausch über die ganze Sahara hinweg mit ihren Kollegen im fernen Norden (Marokko, Tuat, Ghadames). Man wusste, dass Englands politische Agenten bereits in Mursuk, in Südlibyen, saßen. Vom »Inglesi«, wie Barth als Emissär Londons auch genannt wurde, war zu erfahren, dass er wochenlange Umwege nicht scheute, um einen seiner Kreditgeber wegen Rückzahlung irgendwo aufzustöbern, sobald eine Kiste mit Talern aus London Barth selber erreicht hatte. Der Sudan-»Telegraph« war es, der über weite Distanzen Meldungen zur Kreditwürdigkeit besorgte. Er bestand aus dem ständigen, auch zu Kriegszeiten kaum unterbrochenem Strom der Ost-West- und West-Ost-Wanderer im Sudan. Durch ihn erfuhr man in Timbuktu 1852 »alles über« Abd el Kerim am Tschad, seit 1851 Gast des Sultans Omar, bevor der nicht mehr so ganz Fremde, nach 2.610 Wege-Kilometern, 1853 ebendort anlangte.

Abbildung 5. Das Bilad es Sudan, »Land der Schwarzen«, am Südrand der Sahara. Von diesem Raum mit seinen Ländern, Städten und vor allem den Abgrenzungen existierten vor 1850, d.h. vor den Reiseerkundungen und schriftlichen Darstellungen des Dr. H. Barth, keinerlei Kartenbilder, die einen brauchbaren Überblick geboten hätten. Nach seinen Vorlagen wurde diese Karte von H. Schiffers gezeichnet. Sie findet sich interpretiert in »Heinrich Barth, ein Forscher in Afrika«, Wiesbaden, 1967.

Ein weiterer Beweis der geradezu stupenden Sorgfalt für sein Fortkommen und auch für die Bewahrung des Gesehenen und Erlebten ist der Raum, den in seinem Reisewerk jene Ausführungen einnehmen, die uns Tag für Tag mitteilen, wie er sich fühlte, und wovon er sich ernährte. H. Weinand, Düsseldorf, hat viele Monate damit verbracht, die einschlägigen Einzelheiten aus den über 3.000 Druckseiten zu exzerpieren, und es ist daraus ein wichtiges wissenschaftliches Arbeitsmittel für historische Medizin und Geschichte der Ernährung geworden.

Gleiches gilt für die Durchforstung der Barth’schen Textmassen durch Eberhard Jany, Sulzbach, der über die tausend von Heinrich Barth erwähnten Tiere und Pflanzen(-Namen) berichtet. (Beiträge in »Heinrich Barth, ein Forscher in Afrika«, Wiesbaden 1967, 564 S.)

Erst wenn wir uns dies alles klar vor Augen halten, bekommt das nachfolgende Biographische die rechte Dimension, und die erbrachte Reiseleistung erhält, zumal im Vergleich mit der Art, wie man heute reist, das gebührende Gewicht.

Noch ist darauf hinzuweisen, dass die Unternehmung, die für uns eng mit dem Namen Heinrich Barth verknüpft ist, ein Gruppenwerk bildete, eine offizielle »African Mission« der englischen Regierung, die auch nicht-englische Teilnehmer aussandte. Sie bestand, abgesehen von wenig hervorgetretenen englischen Helfern (Soldaten) aus vier Mitgliedern.

Es waren Männer verschiedenen Alters, verschiedener Allgemeininteressen, unterschiedlicher wissenschaftlicher Vorbildung und differierender Temperamente.

Als Leiter bestimmte das Foreign Office einen Schotten, den ehemaligen Missionar James Richardson, beim Aufbruch 40 Jahre alt, dem vor allem die Abschaffung des Sklavenhandels am Herzen lag. Er hatte das Unternehmen angeregt, er besaß auch Landeserfahrung, da er vorher bereits mehrere Monate im westlibyschen Raum (Ghadames–Ghat) zubrachte.

Heinrich Barth, der 28-jährige Wissenschaftler, wurde zu dem Zweck der Unternehmung beigegeben, um die Raum- und Wirtschaftserkundung zu pflegen, auch die Sprachen zu studieren.

Dazu kam Adolf Overweg, 22 Jahre alt und Hamburger wie Barth, ein Naturwissenschaftler, der die geologischen Kenntnisse seines Landsmannes erweitern half.

Richardsons Gesundheit war nicht die beste. Überdies vertrugen sich die drei nicht immer so recht, und, im Sahel angelangt, trennte man sich. Am Tschad wollten sie sich vereinigen. Aber nahe diesem See erlag der Expeditionsleiter den Strapazen (1851). Wenn er auch nicht die umfassende wissenschaftliche Vorbildung der »preussischen Herren« besaß (so wurden Barth und Overweg in einem FO-Dokument genannt), wenn manche Richardson als bigott bezeichnet haben, überzeugt uns doch ein Blick in sein »Narrative of a Mission to Central-Africa« (1853, 2 Bde.), dass er, im Schatten Barths, bisher nicht die genügende Würdigung gefunden hat.

Mit Overweg verband Barth im Laufe der Reise eine Art väterliche Zuneigung. Der durch eigenen Leichtsinn hervorgerufene Tod des Jüngeren am Tschadsee (1852) erschütterte ihn zutiefst. Auch bedauerte er, dass Overweg seine Notizen unregelmäßig und fast nur auf ungeordneten Zetteln machte. Während Barth mit eisern durchgeführter Regelmäßigkeit umfangreiche Ausführungen Tag um Tag niederschrieb, sie sogar vor Absendung nach Europa (mit einer Handelskarawane) kopierte und sie auch nicht unterbrach, als er einmal in Bagirmi, einer Landschaft südlich des Tschad, in Ketten gelegt wurde.

Wie die Ernennung Barths zum Nachfolger Richardsons in der Expeditionsleitung durch das FO über Wüsten und Savannen hinweg erfolgte, wird noch zu schildern sein.

Ein weiterer Teilnehmer, den man von London aus 1853 nachsandte, als die Trauerbotschaft vom Tod Richardsons und Overwegs bis dorthin gelangte, war Eduard Vogel aus Krefeld (24 Jahre alt), ein hoch befähigter Naturwissenschaftler, aber ebenfalls ein Opfer seiner eigenen Unvorsichtigkeit. (Er wurde erschlagen im damals fremdenfeindlichen Wadai, weil er sich zu wenig um die Mentalität der Bewohner und Vorgänge am »Hofe« kümmerte.) Leider haben wir von ihm gleichfalls nur Berichts-Bruchstücke, vor allem von der Reise bis weit nach Nigeria hinein.

Einiges lässt sich glücklicherweise bei Overweg wie bei Vogel aus der erhaltenen Korrespondenz ergänzen.

Man muss daher als Bedeutsamsten der »African Mission« Heinrich Barth bezeichnen. Die Kunst des Überlebens hat er, trotz harter Prüfungen, am vollkommensten entwickelt. Sein wissenschaftliches Werk umfasst mehrere Disziplinen, in jeder mit überragenden Leistungen. Um dies zu erweisen, schließen wir in unsere Betrachtung auch das die Mittelmeerländer betreffende Reisewerk (1849) mit ein, ebenso das umfangreiche Sprachenwerk von 1862.

Dank der weitgehenden Erhaltung seiner Niederschriften vermögen wir das vielschichtige Gesamtwerk gut zu analysieren und es im Rahmen des damaligen allgemeinen Wissensstandes zu beurteilen.

Im »Économiste français« vom 25.1.1866 bemerkt Dr. A. Warnier aus Algier: »In Timbuktu schrieb er (H. Barth) arabisch an den Scheich El Bakay, englisch an Lord Palmerston (London), deutsch an Dr. Petermann (Gotha) und sprach mit den Barbaren (hier: Einheimischen), unter welchen er in Afrika lebte, in zehn verschiedenen Sprachen.« Heinrich Barth bewegte sich als wandernde »Ein-Mann-Universität« durch die Räume von elf der heutigen selbstständigen Staaten: Marokko, Algerien, Tunesien, Libyen, Tschad, Kamerun, Niger, Nigeria, Obervolta und Mali.

Er schuf von diesen Räumen eine Gesamtkarte, die die Teilgebiete abgrenzte und die wichtige Orte und die Verbreitung von Völkerschaften zeigte: ein zuverlässigeres und weitaus besser gefülltes Kartenwerk als alles, was vorher existierte. Es ist ein bislang kaum beachtetes Lehrstück und Anlass zum Nachdenken beim Vergleich mit den Karten gegenwärtiger Verhältnisse.

Es sei hier auch auf einen Staatsvertrag hingewiesen, seit seiner Unterzeichnung bis zum Jahr 1965 nirgendwo in den Quellen seiner Bedeutung entsprechend (außer von Albert Adu Boahen) gewürdigt. Im letztgenannten Jahr zogen wir ihn aus dem Nachlass im Hamburger Staatsarchiv in einer Originalkopie von damals hervor. Er behandelt »Entwicklungshilfe«, die von zwei Staatsoberhäuptern abgehandelt wurde, einem europäischen und einem afrikanischen, nämlich der Königin von England und dem Bornu-Souverän Omar in der Residenz Kuka. Heinrich Barths Hand schrieb den englischen Part, und seine Hartnäckigkeit bewirkte es, nach vielen Mühen, dass er ratifiziert wurde (3.9.1852).

Auf den folgenden Seiten:Abbildung 6: Staatsvertrag, den H. Barth im Auftrag Englands mit dem Herrscher von Bornu in dessen Residenz, Kukaua, nahe dem Tschadsee, am 3.9.1852, schloss. Der englische Text ist von Barths Hand, der arabische wahrscheinlich im britischen Konsulat zu Tripolis geschrieben. – Ein Konsulat wurde in Kukaua nicht eingerichtet. (Nachlass H. Barth im Staatsarchiv Hamburg)

1Damals umgriff der »Sudan« für Araber wie Europäer alles Land südlich der Sahara (etwa bis zur Regenwaldzone – summarisch: Guinea-Länder). Heute reserviert die Republik Sudan diesen Namen für sich allein.

KAPITEL 1

HEINRICH BARTHS LEBENSWEGBIS ZUR GROSSEN REISE

Der jahrelange Weggenosse von Moslems, der mit Fürsten wie ein moderner Botschafter verhandelte, wuchs unter dem an Wolken und Nebel reichen Himmel der alten Hafenstadt Hamburg auf. Giebelhäuser der Seehandelsleute säumten die Straßen. Fischhändler, Schiffsbauer und Stellmacher waren die Nachbarn. Tiefe protestantische Gottesfurcht und strenge Pflichterfüllung in geregeltem Lernablauf für die Jüngeren erfüllten die geistige Welt in dem sich industrialisierenden Abendland. Die ersten Photographier-Ungetüme kamen auf den Markt. Vater Barth gab das Geld, damit der Sohn Heinrich auf einer Bildungsreise ums Mittelmeer diese letzte Neuigkeit zur Verfügung hatte.

Heinrichs Geburtsjahr war das Todesjahr Napoleons. Goethe war damals schon 72 Jahre alt, Alexander von Humboldt 52, Caspar David Friedrich 47. David Livingstone war ein Junge von 8 Jahren, der, wie viele seines Alters damals, in einer englischen Baumwollspinnerei Geld verdienen musste. Kurz bevor Heinrich Barth nach Tripolis kam, um zu seiner großen Reise aufzubrechen, erschien das Kommunistische Manifest von Friedrich Engels und Karl Marx. Revolutionen erschütterten Europa, und während der Krimkrieg tobte, hatte Heinrich Barth Mühe, sich in Timbuktu zu behaupten.

Trotz der spärlichen Kontakte mit Europa ist es interessant, in den Briefen zu verfolgen, was sich von den so fernen Ereignissen dennoch darin spiegelt.

Das meiste, was wir von Heinrich Barths Lebensweg wissen, überlieferte sein Schwager Gustav von Schubert (Kgl. Sächs. General-Lieutenant z. D.) in »Heinrich Barth, der Bahnbrecher der deutschen Afrikaforschung. Ein Lebens- und Charakterbild, auf Grund von ungedruckten Quellen entworfen«, Berlin 1897.

Die Eltern entstammten beide dem Handwerker-Milieu. Der Vater, im Thüringer Wald zu Hause, wurde, früh verwaist, von einem in Hamburg ansässigen Onkel mit 14 Jahren aufgenommen. Seit 1801 wohnte er am Hopfenmarkt. Er war als Knochenhauer (Schlachtermeister) tätig, danach Kaufmann in überseeischen Geschäften. Er galt als »streng solider, sparsamer, rechtschaffener, dabei wagemutiger und tätiger Mann.« Die Mutter war eine Schuhmacherstochter aus Hannover, »eine schlichte und häusliche Frau«. Sie überlebte ihren Mann um sechs Jahre.

Von vier Kindern der Familie war Heinrich, am 16.9.1821 geboren, das dritte. Eine der beiden Töchter heiratete Gustav von Schubert, des späteren Forschers ersten Biographen und Erben von dessen Nachlass.

Als Heinrich Barth ihn kennenlernte, meinte er in seiner impulsiven Art: »Wenn Sie meine Schwester nicht glücklich machen, schieße ich Sie tot!«

Der Vater wünschte im Sohn »strenge Moralität, Gewissenhaftigkeit, peinliche Ordnungsliebe, Sinn für Häuslichkeit und Familienleben zu wecken.« Da er zu Wohlstand gelangte, konnte er Heinrich eine gute Erziehung angedeihen lassen, seine ersten Bildungsreisen finanzieren und auch zu den Kosten der Hauptexpedition beitragen.

Mit elf Jahren kam Heinrich 1832 auf die angesehene Hamburger Gelehrtenschule des Johanneums. Mit den Klassenkameraden hatte er kaum Kontakt. Seine Liebe galt einer eigenen Bücherei. Er arbeitete die wichtigsten Schriftsteller des griechischen und römischen Altertums durch, sprach mit 14 fließend englisch und begann danach mit dem Studium des Arabischen.

Der verschlossene junge Mann entwickelte früh ein ausgeprägtes Selbstgefühl. Es fehlte die »nach außen hin sichtbare Lebensfreude.« Nach Erlangung des Reifezeugnisses (1839) begann er im gleichen Jahr das Universitätsstudium zu Berlin (bis 1844). Er studierte Altertumswissenschaft, Germanistik, Jura, Handelsgeschichte und Geographie (bei Carl Ritter). Eine erste Reise (1840/1841) führte durch Italien und verstärkte seine Neigung zur Archäologie. »Es bildete sich in mir der Plan aus, dieses Bassin (das Mittelmeer) womöglich in seinem ganzen Umfang zu durchwandern und seine Gestade rund umher aus eigener Anschauung kennenzulernen«, schrieb er 1849. Als Student pflegte er wenig Kontakt mit den Kommilitonen. Er war kein »flotter Bursch« wie Gustav Nachtigal.

Ohne sich irgendwie ablenken zu lassen, arbeitete er auf das früh erkannte Lebensziel hin: »Zu sehen, wie man von Stunde zu Stunde … tiefer … in die Wissenschaft eindringt, … ist ein unendliches Vergnügen. Freilich kann es in … Egoismus … ausarten … Ich habe ein ungeheures Streben in mir …, den Menschen etwas zu nutzen, sie anzuregen …, das ist mein einziges Streben … In diesem Bewusstsein sehe ich, … dass mich die meisten verkennen, dass mich andere schändlich verleumden … Ich bin zu stolz, mich vor anderen, vor oft erbärmlichen Menschen zu rechtfertigen … Mir kommt es allein … auf meine innere Tüchtigkeit an, um so den Menschen so viel wie möglich nützen zu können, wofür ich dann freilich Anerkennung und womöglich etwas Ruhm ernten möchte.«

Noch zehn Jahre später musste sein Schwager, bei Heinrichs wenig erfolgreichem Bemühen um eine angemessene Lebensstellung, seinem Tagebuch anvertrauen: »Er ist bei allem Gemüt zu schroff … und ohne Weltklugheit …, ist ein kühner und ausdauernder, aber kein gewandter Schwimmer auf dem Strome des Lebens.«

Seine Doktorarbeit mit dem Prädikat »Doctrina conspicua« (durch Gelehrsamkeit ausgezeichnet) war den Handelsbeziehungen des alten Korinth gewidmet (1844).

Danach folgte eine weitere Studienreise ums Mittelmeer (von Spanien über Marokko, nach Ägypten und weiter nach Konstantinopel und Griechenland, wie damals allein üblich, vorwiegend zu Pferd), aus der ein heute nur noch in wenigen Exemplaren erhaltenes, aufschlussreiches Werk hervorging: »Wanderungen durch die Küstenländer des Mittelmeeres, ausgeführt in den Jahren 1845, 1846 und 1847« (Berlin 1849, 556 S.). Er führte eine umfangreiche Reisebibliothek mit. Eine Ausgabe des Koran und des Herodot waren seine »Baedeker« auf dieser und der Großen Reise.

Die Unternehmung verlief nicht ohne Zwischenfälle. Im Juni 1846 wurde er im unruhigen libysch-ägyptischen Grenzgebiet von beutelustigen Arabern überrumpelt. »Obgleich ich an Mut vielleicht nur eine zu starke Portion besitze, fehlte mir doch die Erfahrung und Übung, um mit Erfolg … in solcher Einsamkeit auf die Dauer meine Sache durchzuführen«, notierte er. Am 7. Juni wurde er angeschossen. Der kostbare Photoapparat samt Platten ging zu Bruch. »Ich stürzte mich in wilder Verzweiflung mit meinem Säbel auf die Angreifer … Ich war entschlossen, bis zum letzten Augenblick mich zu wehren und mich dann selbst zu töten.«

Halb verhungert, nach nächtlichen Gewaltritten und Verlust fast aller seiner Aufzeichnungen, gelangte er am 17. Juni 1846 nach Alexandria. Eine Kugel fand sich 1865, bei der Sektion des Verstorbenen, im linken Oberschenkel eingekapselt.

Vom Vater wieder mit Geld versehen, setzte Heinrich die Reise fort. Im Dezember 1847 war er wieder daheim. 14.000 Taler waren verausgabt worden. Die Reise hatte seiner Persönlichkeit den »Stempel des Gebieterischen, Abgeschlossenen und Asketischen aufgedrückt.« (W. Koner).

Die Universität Berlin nahm 1848 den Bericht über diese erste große Reise zur Habilitation an. Da Heinrich Barth als Privatdozent 1849 mit Vorlesungen über die »Bodengestaltung Afrikas« wenig Erfolg hatte, auch sein Mittelmeerwerk in der aufgeregten Revolutionszeit schlechten Absatz fand, ergriff er impulsiv die unvermutet auftauchende Möglichkeit einer neuen und noch ausgedehnteren Reise.

James Richardson bedrückte der Mangel an wissenschaftlicher Durchbildung, als das Londoner Foreign Office ihn mit der Durchführung der Sahara-Sudan-Expedition beauftragte. Der vielseitig interessierte preußische Gesandte zu London, von Bunsen, stellte über die Berliner Universität (C. Ritter) die Verbindung mit dem Privatdozenten Heinrich Barth her, der sogleich am 5. Oktober 1849 zusagte. Aber der besorgte Vater weigerte sich, die von jedem Teilnehmer aufzubringenden 200 Pfund zur Bestreitung der Privatbedürfnisse zuzuschießen, »… wenn ihm nicht für die Zeit nach seiner Rückkehr eine Professur mit 800 preuß. Talern garantiert würde.« (Prothero, 1958).

Der gehorsame Sohn sagte ab. August Petermann, der Begründer der heute noch erscheinenden, weit bekannten »Petermanns Geographische Mitteilungen« zu Gotha, damals Astronom an der Londoner Sternwarte, vermittelte nun Adolf Overweg. Die englische Regierung verpflichtete ihn und auch Barth, dem es gelang, den Vater umzustimmen. Der preußische Kultusminister erteilte den erbetenen »wenigstens zweijährigen Urlaub.«

Der Expeditions-Vertrag wurde zu London am 30.11.1849 abgeschlossen. Die beiden Deutschen reisten aber nicht als Angestellte der britischen Regierung.

Das Foreign Office formulierte folgendes Programm:

1. Weg, Art der Reise und Zeit sollten vom Leiter bestimmt werden.

2. Richardson sollte vom Tschad nach England zurückkehren.

3. Den beiden Begleitern sollte es freistehen, ebenso zurückzukehren, oder den Nil, wenn möglich gar stattdessen Mombasa (die Ostküste), als Endziel ins Auge zu fassen.

4. Man sollte Art und Menge der Waren feststellen, die im Inneren Afrikas verlangt würden, und was man dafür erhalten könne.

5. Es sollten mit dem Sultan von Bornu und anderen Herrschern Handelsverträge abgeschlossen werden.

Richardson erhielt ein besonderes Schreiben von Lord Palmerston, dem Leiter des englischen Außenamts, nach dem er nur in Übereinstimmung mit den übrigen Mitgliedern handeln sollte.

Die Admiralität stellte ein Boot aus Mahagoni bereit, das zerlegt auf Kamelrücken glücklich den Tschadsee erreichte und Overweg bei dessen Befahrung diente.

Im November 1849 reisten Barth und Overweg von London nach Paris, um Instrumente anzukaufen. Von da ging es über Marseille, Philippeville und Bône nach Tunis.

Die Neujahrsnacht auf den 1.1.1850 sah beide auf einem Eilritt nach Tripolis, wo sie am 18.1. anlangten. Fast ein halbes Jahr seit dem Aufbruch von London war verstrichen, als auch Richardson eintraf und die Zentralafrika-Expedition zur südlibyschen Landschaft Fessan, und damit in das »Innere des Dunklen Kontinents«, aufbrechen konnte. Es war der 25. März 1850.

KAPITEL 2

VORWORT IM REISEWERK DESDR. HEINRICH BARTH

Es war am 5. Oktober 1849, als mein verehrter Lehrer und Freund, Herr Professor Carl Ritter, dem ich gerade einen Besuch machte, mir mitteilte, dass die englische Regierung im Begriff stehe, Herrn James Richardson auf eine Mission nach Zentralafrika zu schicken, und dass sie durch den preußischen Gesandten in London, Herrn Ritter Bunsen, das Anerbieten gestellt hätte, einem deutschen Reisenden erlauben zu wollen, sich dem Unternehmen anzuschließen, falls er zweihundert Pfund Sterling zur Bestreitung seiner persönlichen Reiseunkosten mitbringe.

Gerade in jenen Tagen hatte ich die Herausgabe der Beschreibung meiner Wanderungen in den Nordgestade-Ländern Afrikas abgeschlossen.

Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!

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