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»Um eine Sache von vornherein klarzustellen: Das hier ist keine Liebesgeschichte.«
Als Logan seine neue Kollegin Flora kennenlernt, ist ihm sofort klar: Über diese Frau wird er niemals hinwegkommen! Doch so erfolgreich die gemeinsamen PR-Projekte laufen, so krachend scheitert ihre Liebesbeziehung. Am Ende bleibt nicht viel mehr übrig als zwei gebrochene Herzen.
Monate später müssen die beiden erneut zusammenarbeiten. Schnell wird klar, wie gut sie noch immer aufeinander eingespielt sind - trotz allem. Doch privat hat Flora hohe Mauern um sich gezogen. Und schließlich begreift Logan, dass nicht nur die verletzten Gefühle von damals dahinter verborgen liegen - sondern auch eine Wahrheit, an der Flora Stück für Stück zu zerbrechen droht ...
Anne Goldberg nimmt uns mit auf eine dramatische und intensive Achterbahn der Gefühle!
Der dritte Band der emotionalen und dramatischen Romance-Reihe von Anne Goldberg. Und wenn du nicht genug von Anne Goldberg bekommen kannst: Es gibt von ihr außerdem noch diese Romane im beHEARTBEAT-Programm:
Only One Song
Only One Letter
Only One Note
Remember when Dreams were born
Remember when Love was new
eBooks von beHEARTBEAT - Herzklopfen garantiert.
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Seitenzahl: 577
Cover
Titel
Widmung
Contentwarnung
Ende
Der grüne Burrito
Logan
Fick-dich-Schuhe
Logan
Der Duft von Irish Coffee
Logan
Babe
Flora
Keine scheiß Liebesgeschichte, nur alte Gewohnheiten
Logan
Auf dem Drahtseil
Logan
Der Feigling aus den Lowlands
Flora
Hey
Flora
Ich wiederhole: Keine Liebesgeschichte
Logan
Hamish Findlay
Logan
Das beste Steak in ganz Edinburgh
Flora
Auf den besten schlechten Sex
Logan
Kumpel
Logan
Mut zur maximaldramatischen Geste
Logan
Das Märchen von der rutschigen Terrasse
Logan
Bist du okay?
Logan
Fünf Minuten. Nichts weiter.
Flora
Maggie F. – Team London
Flora
Die Geschichte einer Heimkehr – in mintgrün
Logan
Macallan oder Aberfeldy
Logan
!
Flora
Alles. Ist. Okay.
Flora
Der Besuch des Floristen
Logan
Ärger in Disneyland
Logan
Zehn Meter vs. fünf Minuten
Logan
Das argumentative Gewicht von Rom
Flora
Plan A
Flora
Alkoholfreies Bier oder: Das wichtigste Versprechen von allen
Logan
Der Abgrund unter dem Drahtseil
Flora
Die ersten dreißig Meter
Logan
Schon okay
Logan
Siebzehn Nachrichten und ein Spiegel
Flora
Willkommen zu Hause
Logan
Nicht runterschauen
Logan
Nackt auf dem Sofa
Flora
Poppy
Logan
Eine Entschuldigung ... mehr oder weniger
Logan
59 Wünsche
Flora
Die Sache mit dem Stuhl und der Treppe
Flora
Der lange Weg nach unten und wieder hinauf
Flora
Die Magie einer ersten Sekunde
Flora
Anfang
Danksagung
Contentwarnung:
Über die Autorin
Weitere Titel der Autorin
Impressum
Anne Goldberg
Remember when Trust was found
Für Jenny
Happy Birthday, Süße.
Liebe Leserin, lieber Leser,
in dieser Geschichte wird oft beschrieben, dass Menschen über ein Drahtseil laufen müssen, um ihr Ziel zu erreichen.
Vor allem meine Protagonistin steht auf einem, das sehr hoch gespannt ist, ohne Netz und doppelten Boden, wie man so schön sagt. Da oben ist es windig, das Seil schwankt, und von außen betrachtet ist es einfach nur dumm, dort zu stehen.
Nur sieht die Lage aus ihrer Perspektive völlig anders aus ...
Ich weiß, dass viele Menschen diese Erfahrung machen. Manche sprechen darüber, die meisten leider nicht. Und da ich nicht weiß, ob du gerade auf so einem Drahtseil stehst, und wie es dir da oben geht, gibt es am Ende des Buches eine kleine Liste von Themen, die auf diesen Seiten dargestellt werden. Achtung, diese Liste enthält Spoiler. Entscheide also bitte selbst, ob du sie brauchst.
Pass auf dich auf und lass dich von Logan an die Hand nehmen. Er weiß es noch nicht, aber der Kerl kennt den Weg, der bis ins Tal hinab und am anderen Ende wieder hinauf führt.
Ganz ohne Drahtseilakt.
Alles Liebe
Anne Goldberg
Flora Brydan. Das ist mein Name und ist es immer gewesen.
Damals als Kind hat es Ärger bedeutet, ihn vollständig zu hören. Das ist bei vielen so, und ich frage mich, ob sich das bei jedem auf dieselbe Weise ändert, wenn man erwachsen wird ...
»Juniper!« Logans Stimme hinter mir klang lauter als sonst. Genauso wie das Krachen der Tür zum Treppenhaus. Wie seine Schritte, die mir die Stufen hinauf folgten. Wie mein Herz, das sich in einem hektischen Takt gegen meine Brust warf, an die ich den Karton mit all meinen Sachen drückte.
Ein Karton. Was für ein entsetzliches Klischee. Sobald Menschen beschließen, dass ein Lebensabschnitt oder auch nur eine Phase zu Ende geht, packen sie Dinge in Kartons, um sie mitzunehmen. Und das macht den Karton wohl zum führenden Symbol der Inkonsequenz.
»He! Juniper, warte!«
Ich schüttelte nur den Kopf. Auf keinen Fall würde ich warten und gleich gar nicht umkehren. Meinetwegen konnte er sich noch fünfzig weitere Namen für mich ausdenken und mir hinterherbrüllen. Oder singen oder meinetwegen auch tanzen. Auf keinen Fall würde ich ...
Ich hatte es gerade den ersten Treppenabsatz hinauf geschafft, als er mich einholte.
»Wo willst du denn mit dem ganzen Kram hin?«
In ein anderes Büro. In ein anderes Team. Aber vor allem weg. Weg von dir!
Ich musste so schnell wie möglich weg von dem Mann mit dem Lächeln, das es jedes Mal schaffte, allen Frohsinn dieser Welt zu bündeln und jedem zu schenken, den er mit diesem Lächeln bedachte. Weg von dem Mann, der sich jede Woche eine neue Pflanze überlegt hatte, nach der er mich benennen konnte. Der mit einem bloßen Seitenblick ein nervöses Kribbeln durch meine Adern schicken und mir im selben Moment das Gefühl geben konnte, unbesiegbar zu sein.
Weg von dem Kerl, in dessen Leben ich nicht mehr war als die Andere.
»Lass mich einfach in Ruhe, Logan!«
»Wenn es um die Präsentation geht, ich kann auch ...«
»Fass mich nicht an!«
Seine Hand hatte sich an meinen Oberarm gelegt – nur ganz leicht. Doch diese sanfte Berührung genügte. Ruckartig drehte ich mich zu ihm herum, um ihm alles ins Gesicht zu schreien, was ich an diesem Morgen erfahren hatte. Dabei knallte mein Ellenbogen gegen einen Widerstand. Es knackte. Und dieses Knacken verschluckte alle Worte, die mir auf der Zunge gelegen hatten. Ich hatte sie ihm entgegenschleudern und dann dabei zusehen wollen, wie dieses scheiß Strahlemanngrinsen von seinem Gesicht blätterte.
Doch da war kein Lächeln.
Sondern Blut. Überall war Blut.
»Fuck, du hast mir die Nase gebrochen!«
Scheiße! Das war ich. Das ist meine Schuld.
Der Gedanke ließ meinen Puls in die Höhe schießen. Genauso wie die Worte, die ich an diesem Morgen gehört hatte. »Sind Sie Flora Brydan? Logans Kollegin? Sind Sie die Frau, die mit meinem Freund schläft?«
»Aria«, murmelte ich den Namen der Person, von deren Existenz ich vor nicht einmal drei Stunden erfahren hatte.
Das Bild, wie Logans Augen sich weiteten, als hätte ich seine Nase noch einmal getroffen ... Mehr musste ich nicht wissen. Und mehr brauchte ich nicht, um das Blut zu ignorieren, das auf sein hellblaues Hemd tropfte.
»Die Nase ist nicht gebrochen. Übertreib nicht. Aber deine Freundin fährt dich sicher gern in die Klinik, um das abklären zu lassen.« Für eine Antwort ließ ich ihm keine Zeit, sondern wandte mich ab und lief die letzten Stufen nach oben, um mich in mein neues Büro zu flüchten. Zu Menschen ohne Sonnenscheingrinsen und unerschöpflich viele Namen für mich.
»Warte!«, hörte ich ihn rufen, als ich gerade die Tür erreichte.
Ich schüttelte den Kopf, drehte den Knauf der Tür und trat hindurch. Logans Stimme hörte ich ein letztes Mal, kurz bevor die Tür wieder in ihr Schloss fiel.
»Flora, warte!«
Flora ...
Damals als Kind hat es immer Ärger bedeutet, wenn ich mit meinem Namen angesprochen wurde. Ich hatte Mist gebaut, und mein Name war die erste der Konsequenzen, die mir dafür blühten. Dann bin ich erwachsen geworden, und die Sache hat sich ein wenig geändert.
Wenn Logan McIntyre mich mit meinem richtigen Namen ansprach, hatte ich nichts falsch gemacht. Nein, das hieß nur, dass ihm klargeworden war, dass er einen riesengroßen Fehler begangen hatte.
Keine Ahnung, ob das besser ist.
An diesem Freitagmorgen fühlte es sich nicht besser an.
Nicht einmal ein bisschen.
Um eine Sache von vornherein klarzustellen: Das hier ist keine Liebesgeschichte.
Ich weiß nicht viel über Liebesgeschichten, aber die guten von ihnen beginnen auf keinen Fall in einer schmalen Gasse irgendwo in Edinburgh. Und nie im Leben starten sie mit hektischen Küssen, die nach Tequila und Rauch schmecken, während man sich in einen Hauseingang quetscht, um dem Regen zu entkommen. Es tropft einem kein Wasser aus einer Regenrinne auf die Schulter – was man versucht zu ignorieren, um die Stimmung aus dem Pub bis nach Hause zu retten.
Eine Liebesgeschichte hatte ich auch gar nicht im Sinn. Man geht nicht an einem Mittwochabend in einen Pub, um dort die Liebe seines Lebens zu treffen. Whisky und Spaß findet man dort aber durchaus.
Oder Tequila. An diesem Abend waren es Shots, Salz und Zitronen gewesen, die mich mit dieser Frau zuerst ins Gespräch und uns beide am Ende hierhergebracht hatten. Und nun presste sich meine linke Schulter gegen die Holztür eines Ladens, der bei Tageslicht den Touristen Kaschmirschals, Kilts und Whisky verkaufte. Derweil sickerte das Regenwasser, das auf meine rechte Schulter tropfte, allmählich durch meine Jacke. Doch ich mochte, wie Julia mich küsste, und ihre Brust fühlte sich gut in meiner Hand an. Das entschädigte für Wetter und Location.
»Meine Wohnung ist gleich ...« Weiter kam ich nicht, da waren Julias Lippen schon wieder auf meinen. Ich hätte dem Kuss ausweichen können, aber ich war ja nicht bescheuert. Stattdessen vertraute ich darauf, dass sie die richtigen Schlüsse aus den paar Wörtern gezogen hatte. Frauen überhörten diese Art von Andeutung selten, wenn sie es nicht wollten.
Und ich behielt recht.
Nur ein paar Sekunden später löste sie sich von mir, nickte heftig, als würde sie mir nicht nur zustimmen, sondern auch versuchen, ihren Kopf klar zu kriegen.
»Wie weit ist das von hier?«
»Vielleicht fünfhundert Meter hier hoch.« Ich deutete die Gasse entlang, die nicht das Glück gehabt hatte, mit einer Million Stufen ausgestattet zu sein wie die breiteren Nebenstraßen in der Nähe vom Castle. »Und dann nach links.«
Wieder nickte sie. Und in einer dieser Liebesgeschichten, die Max so gern las, hätte sie sich ihre hohen Schuhe ausgezogen, meine Hand genommen und wäre lachend mit mir über das Kopfsteinpflaster und durch den Regen gerannt. Lachend oder knutschend oder tanzend wie in einem warmen Schauer im Sommer ...
»Hast du noch was zu trinken da?«, war Julias erste Frage. Ihre Schuhe behielt sie dabei an.
»Whisky. Eine kleine Auswahl.«
»Und Kondome?«
»Da ist die Auswahl größer.« Ich setzte mein breitestes Grinsen auf und legte meinen Kopf leicht schief, was seine Wirkung nicht verfehlte.
Julia lächelte und nickte wieder. Aber sie lachte nicht und nahm auch nicht meine Hand oder rannte wie eine hormon- und alkoholgeschwängerte Bekloppte mit mir durch den Regen. Sie sagte nicht viel mehr als »Okay«. Also liefen wir los. Julia wankte an meiner Seite ein wenig, was ich allerdings ihren Schuhen und dem unebenen Boden zuschrieb.
Wir erreichten den Hauseingang ohne romantisches Gelächter. Dass ich ihre Lippen an meinem Ohr spürte, während ich den Schlüssel herauskramte und ins Schloss steckte, unterstrich meine Vorfreude nur. Ihr warmer Atem auf meiner Haut, ihre Hände, die über meine Brust nach unten glitten und ihre Stimme ... Die Worte spielten gar keine Rolle, der rauchige Klang ihrer Stimme allein ließ mich kurz darüber nachdenken, ob Sex in einem Hauseingang eine lohnenswerte Erfahrung sein könnte.
»Ich wusste gar nicht, dass hier wirklich Leute wohnen ... in der Altstadt.«
Was hätte ich darauf denn erwidern sollen? Dass es neben Touristen sicher noch eine Handvoll anderer seltsamer Vögel wie mich gab, die sich den finanziellen Luxus kurzer Arbeits- und Vergnügungswege gönnten? Bullshit. Also küsste ich sie und drängte sie durch die Tür in den trockenen, alten Hausflur. Eine meiner Hände tastete nach dem Lichtschalter, die andere nach Julias Brust, die sich eben schon so gut angefühlt hatte. Und die Art, wie sie meinen Kuss und meine Berührung erwiderte, genügte mir, um zu wissen, dass sie keinen Wert auf die Fortführung ihres kleinen Gesprächseinstiegs legte. Vielleicht nicht einmal mehr Wert auf den Drink. Den konnten wir genauso gut nehmen, wenn wir es die schmale Treppe hinauf in die erste Etage geschafft und es in meinem Flur getrieben hatten.
Sie hatte längst meine Jacke geöffnet und die ersten Knöpfe meines Hemdes gelöst, als wir das Stockwerk erreichten, auf dem ich wohnte, während ich herausgefunden hatte, dass ihr Hintern sich genauso geil anfühlte wie ihre Brüste – vor allem, wenn ich meine Hand unter ihren Rock schob und ...
»Daddy! Da bist du ja!«
Ich stolperte über nichts Geringeres als diese Worte und meine eigenen Füße und wäre fast auf die Schnauze geflogen. Das rotblonde Mädchen, das vor meiner Tür saß, hätte damit vermutlich noch mehr Spaß gehabt als ohnehin schon.
Von der Frau an meiner Seite musste ich mich gar nicht lösen. Sie wich von ganz allein eine ganze Stufe zurück. Klar, ein Mädchen vor der Tür ihres One-Night-Stands war ein klares Zeichen für den sofortigen Abbruch der Mission.
Meinen wütenden Blick hatte dieser sommersprossige Störfaktor also redlich verdient. »Was machst du hier?«
»Ich warte auf dich, Daddy.« Sie strahlte mich an, dieses kleine missgünstige Biest. »Diese Woche bin ich bei dir, hat Mummy dir das nicht gesagt?« Ich musste mich sehr anstrengen, nicht zu vergessen, dass ich die Kleine gernhatte und dass sie mir fehlen würde, wenn ich sie jetzt rauswarf, und sie von irgendeinem besoffenen Touri als Souvenir verschleppt wurde.
»Ich geh wohl besser ...« Julia. Ich sah zu ihr und erkannte noch, wie sie ihren Rock wieder glatt strich. »Hätte ich gewusst, dass du eine Tochter hast ...«
Oh bitte, als ob so was eine Rolle spielte, wenn man nur eine Nacht miteinander verbringen wollte. Ätzend war nur, dass dieses Kind hier war und nicht dort, wo es hingehörte.
»Ich hab nicht ...«, setzte ich an, aber weiter brauchte ich gar nicht zu reden.
Julia schüttelte längst den Kopf und zog ihre Jacke enger um diese wundervollen weichen Brüste. »Mach’s gut, Logan.«
»Hey, aber das ist doch ...« Nur war sie längst um den ersten Absatz der Treppe verschwunden. Wohin sonst hätte sie auch gehen sollen? Wir konnten wohl kaum eine Nummer im Flur schieben, wenn eine Fünfzehnjährige uns dabei zusah.
Mit dem Krachen der Haustür wandte ich mich wieder um und sah ein breites triumphierendes Grinsen, das meinem viel zu ähnlich war. Gott, wenn ich Leute in frustrierenden Situationen genauso angrinste ... Vermutlich war es ein Wunder, dass ich bisher so selten eine aufs Maul bekommen hatte.
»Bist du wieder von zu Hause abgehauen?«
»Ich bin nicht abgehauen.« Sie verschränkte die Arme vor dem, was immer noch keine Brust war und damit in ihrem Ranking der zweitätzendste ihrer Körperteile. Platz eins hatten ihre Augen inne. Strahlende blau-grüne Augen wie meine, die nur leider die Sehkraft eines Maulwurfs hatten.
»Klar bist du abgehauen.« Ich deutete auf ihre Reisetasche. Darauf lag ihre Lieblingsdecke und daneben der Schulrucksack. »Genau genommen sieht das verdächtig nach einem Umzug aus.«
»Ich bin nicht abgehauen«, bekräftigte sie.
»Mackenzie ...«
»Ah!« Oh Gott, sie kreischte richtig auf, als hätte ich sie beschimpft oder geschlagen oder sie mit stinkender Gülle eingesprüht. »Hör auf, mich so zu nennen! Ich heiße Max!«
Ich schnaufte, stieg die letzten Treppenstufen nach oben und hockte mich vor sie hin. »Hör zu. Ich hatte einen richtig miesen Tag, klar? Und ich hatte diese winzige Chance, dass wenigstens die Nacht besser wird, und dann ...« Ich deutete zuerst auf sie und dann in einer ausladenden Bewegung auf das ganze Repertoire, was so eine Fünfzehnjährige brauchte, wenn sie keinen Bock mehr auf ihr Zuhause hatte.
Sie rollte mit den Augen und zog ihre Arme enger um ihren Oberkörper. Wie man es von Teenagern eben erwarten konnte.
»Wie lange sitzt du schon hier rum?«
Sie zuckte mit den Schultern, ihre Mimik völlig unberührt von Schuldbewusstsein. »Zwei Stunden oder so.«
Ich fuhr mir mit der Hand über das Gesicht, um mein genervtes Grollen wenigstens ein bisschen zu dämmen. »Und in zwei Stunden bist du nicht auf die Idee gekommen, mich anzurufen? Oder mir zu schreiben?«
»Kann ich nun bei dir pennen oder nicht?«
Ich seufzte. »Na los, hoch mit dir.«
Das erleichterte Aufatmen verriet sie und die Tatsache, wie wenig Coolness in Wirklichkeit in Mackenzie McIntyre steckte. Hatte sie ernsthaft befürchtet, ich würde sie wegschicken?
Ich schloss auf, während der Zwerg seine Sachen zusammenklaubte. Das Schloss klickte, aber ich schob die Tür nur einen winzigen Spalt breit auf. »Eine Bedingung«, hob ich an und wartete, bis sie mich ansah.
»Nenn mich nie wieder Daddy.«
»Aber das war mega. Hast du ihr Gesicht nicht gesehen?«
»Ihr Gesicht hab ich den ganzen Abend schon gesehen. Eigentlich wollte ich endlich mal andere Körperteile kennenlernen ...«
»Logan!«, fuhr sie mich an und hielt sich sogar die Ohren zu. »Das ist widerlich! Oh Gott! Wieso bist du so eklig?«
Nun war ich der mit unserem Grinsen auf dem Gesicht. »Ist meine Aufgabe als großer Bruder. ‚Eklig‘ steht ganz weit oben auf dem Anforderungsprofil.« Außerdem machte »eklig« sagenhaften Spaß. Es war wie ein unerschöpflicher Joker, einen Teenager mit Sex zu triggern, ohne selbst rot zu werden. »Du nimmst das Sofa.« Mit diesen Worten öffnete ich die Tür richtig und ließ Max den Vortritt. Ich selbst schnappte mir ihren Rucksack und ... »Scheiße, was hast du da drin?«
»Bücher«, erklärte sie, als wäre das etwas, was man nun einmal brauchte. Wie Klamotten, Zahnbürste oder Tampons.
»Plural?« Ich hob den Rucksack prüfend an, während ich die Tür hinter mir schloss. »Wie lange willst du denn hierbleiben?«
»Weiß ich noch nicht.« Die gespielte Gleichgültigkeit hinter diesen Worten untermalte Max indem sie sich wie ein nasser Sack auf das Sofa fallen ließ. Noch ein Grunzen, und es wäre perfekt gewesen.
Ich nickte. Weiß-ich-noch-nicht bedeutete in der Regel zwei bis vier Nächte. Damit konnte ich leben. Und spätestens nach dem Wochenende konnte ich Max wieder heimbringen, mir von Mum den Dank anhören, dass ich mich um meine Schwester gekümmert hatte, und brav zum Essen bleiben. Das war okay. Anders war es bei mir damals auch nie gelaufen, nur dass ich zu Grandma geflüchtet war, um mir anzuhören, dass Ehepaare nun einmal stritten und das nichts zu bedeuten hatte. Grandma war schon vor sieben Jahren gestorben, also war es eben meine Couch, auf die Max sich flüchtete, um Abstand zu kriegen und sich nicht denselben Bullshit anzuhören wie ich damals. Ich hatte meine Grandma geliebt, keine Frage, aber es gibt einige, sehr wenige Dinge, die jüngere Menschen besser verstehen als die alten.
»Also ... schieß los.« Das war der Deal: Sie konnte herkommen, wenn sie mal raus musste. Aber es gab ein paar Regeln. Die, mich vorher wenigstens anzurufen, hatte sie diesmal gebrochen. Also würde sie um Punkt zwei nicht herumkommen.
»Will nicht drüber reden.« Das machte sie deutlich, indem sie sich ihre riesige Decke nicht nur über die Schultern, sondern sogar über ihren Kopf zog, bis sie aussah, wie ein plüschiger, grüner Burrito.
Ich seufzte, lief an ihr vorbei, wobei ich über Rucksack und Reisetasche stieg, und steuerte den Kühlschrank an. »Du kennst die Regel: Die Wohnung ist winzig. Gerade groß genug für uns beide. Keine Geheimnisse, die brauchen zu viel Platz.«
Mir war klar, dass ich wie ein Dad klang, der mal irgendwann was von Psychotherapie gehört hatte. Dabei war ich nur ein Typ, dessen Schwester gerade dieselben Erfahrungen machte wie er selbst damals. Dreißig Jahre Lebenserfahrung und der Abstand hatten mir ein paar Erkenntnisse mitgegeben, jedoch keine grenzenlose Weisheit. Und auch keine unerschöpfliche Geduld. Ich kam mit einem Teenager klar, mit dem ich Popcorn futtern und Serien schauen konnte, aber nicht mit einer pubertierenden Frau ... Mädchen ... irgendwas dazwischen, die innerlich brodelte. Max hatte großes Talent dafür, sich in der Wut auf unsere Eltern zu suhlen, sich regelrecht damit zu panieren und dann in heißes Frittierfett zu werfen. Und wenn das spritzte, weil ihr Bruder sie nur blöd ansah, dann bekam ich die ganze Ladung ab. Darauf hatte ich schlicht und ergreifend keinen Bock.
»Das ist kein Geheimnis«, nuschelte sie in ihre Decke, die sie sich mittlerweile bis unter die Nase gezogen hatte. Ihre Brille lag längst neben ihr, also standen die Chancen wohl gut, dass sie in ein paar Minuten einfach komplett in diesem Ding verschwinden würde. »Du weißt, dass Mum und Dad scheiße sind.«
»Sind sie nicht«, widersprach ich. »Hab ich dir doch erklärt. Sie sind nicht scheiße, sie sind nur unglücklich.«
»Doch, sie sind scheiße!« Diese Worte hörte ich deutlicher, aber ich drehte mich nicht zu Max um, sondern ließ mir viel Zeit damit, eine Flasche Coke für sie zu suchen und ein Bier für mich. »Weißt du, was Dad heute zu Mum gesagt hat?«
Aha. »Was denn?«
»Dass sie ja nicht mehr lange durchhalten muss. Nur noch drei Jahre. Und dass sie das längst hinter sich haben könnte.«
»Mh.« Mehr fiel mir dazu auf die Schnelle nicht ein. Vor sechzehn Jahren hatten Freya und Caleb McIntyre beschlossen, ihrer Ehe noch eine letzte Chance zu geben und zu diesem Zweck einen zweiten Menschen zu zeugen. Und nun hatte ich hier eine kleine Schwester sitzen, die alt genug war, um zu kapieren, dass sie als letzte Chance versagt hatte, aber zu jung, um das nicht persönlich zu nehmen. Was sagt man da? »Ich hab keine Coke mehr. Willst du auch ein Bier?«
»Was? Echt?«
»Klar. Im Sommer wirst du eh sechzehn. Scheiß auf die paar Monate. Sag’s halt keinem.«
»Wirklich?« Sie klang regelrecht fassungslos. Oder euphorisch. Das war zuweilen schwer auseinanderzuhalten. »Aber noch bin ich fünfzehn.«
Ich wandte mich zu ihr um und musterte sie kurz. »So wie ich das sehe, bist du eine grüne Raupe. Schlimmer kann es betrunken auch nicht werden.«
»Oh mein Gott, wie ultra krass ist das denn?« Sie schob sich sogar dieses Deckenkapuzending wieder vom Kopf und strahlte mich an. Und ich fand, dass ich damit das maximal Beste aus der Situation gemacht hatte. Das letzte Mal waren es Tränen gewesen und tiefe Verzweiflung, weil wieder eine von Dads Affären aufgeflogen war, die Mum so satt hatte, aber nie satt genug. Und am Ende hatte Max auf meinem Sofa gesessen und sich die Augen ausgeheult, weil sie glaubte, nicht genug zu sein, um aus dieser Familie wieder eine richtige Familie zu machen. Zu dem Zeitpunkt war es ein paar Wochen her gewesen, dass Aria eine Nachricht von Flora auf meinem Handy gefunden hatte. Damit war der beschissenste Fehler aufgeflogen, den ich je gemacht hatte. In diesem Kontext neben Max zu sitzen, ihren Flüchen über Dad beizupflichten und mich dabei ziemlich scheinheilig zu fühlen ...
Bier war besser.
Bier war sogar um Welten besser.
»Hier.« Ich reichte ihr eine der zwei Flaschen und ließ mich neben sie auf das Sofa fallen. »Weiß wenigstens irgendwer, dass du hier bist?«
Max nickte und sah dabei ihre Flasche andächtig an. Und ich hätte schwören können, dass das keinesfalls ihr erstes Bier sein würde. Sie war fünfzehn. Es musste doch mindestens schon zwei oder drei Partys in ihrem Leben gegeben haben, auf denen getrunken worden war. Wahrscheinlich sogar härteres Zeug als Bier. Und dann fiel mir wieder ein, dass Teenager kleine beschissene Arschlöcher waren, und dass es diese Partys sicher gegeben hatte. Nur hatten die anderen Kids nicht im Traum daran gedacht, die rothaarige Leseratte mit der Brille einzuladen, die ihr eigentlich ziemlich gut stand. In fünf Jahren würde sie das vielleicht selbst kapieren und in zehn Jahren auch die Kerle um sie herum, wenn die langsam rafften, dass es auch oberhalb von Titten optische Merkmale an Frauen gab, die ihren Reiz hatten.
»Ich hab Mum geschrieben, dass ich zu dir fahre. Sie hat irgendwas geantwortet, aber das hab ich ignoriert.«
»Alles klar.« Ich nippte an meinem Bier, wohl wissend, dass es Mum nicht allzu sehr umtreiben konnte, dass Max zu mir geflüchtet war. Andernfalls hätte sie nicht nur Max geantwortet, sondern auch ihrem Erstgeborenen geschrieben. Aber das war kein Floh, den ich der Kleinen auch noch ins Ohr setzen würde. »Aber nur, dass das klar ist, du gehst zur Schule. Ich will mir nicht vorwerfen lassen, dass ich ...« Weiter kam ich nicht. Max hatte ihren ersten Schluck aus der Flasche genommen und ihr Gesicht verzogen wie ein Kind, das das erste Mal in eine Zitrone biss. Und als großer Bruder war es meine verdammte Pflicht, sie dafür auszulachen.
»Oh Gott!«, stieß sie aus. »Wie kann man so was trinken?«
»Einfach runterschlucken.«
»Aber das ist widerlich!«
Ich lachte. »Warte ab, bis du den Dialog in einem anderen Kontext führst.«
»Was?«
»Vergiss es.« Ich nahm ihr das Bier ab. »Ich glaube, es ist noch Eis da. Irgendwas mit Brownies.« Mit einem Nicken deutete ich zur Küchenecke.
»Vegan?«
»Keine Ahnung, denke schon. Du hast es gekauft.«
»Gott sei Dank.« Sie wickelte sich aus dieser Decke heraus, was kinderleicht aussah, obwohl es vorher gewirkt hatte, als wäre sie mit einer unfassbar komplexen Technik darin eingewickelt gewesen. »Zuhause haben wir kein Eis mehr.«
»Macht Mum wieder eine Diät?« So lief das vermutlich. Wenn ein Mann eine Frau betrog, und sie diese neunzig oder hundert untreuen Kilos nicht loswerden konnte, schaffte sie wenigstens fünf bis zehn von sich selbst aus dem Weg. Als ob sich je ein Problem wie dieses gelöst hätte, weil ein bisschen weniger von einem selbst existierte.
»Mh«, machte Max. Ihre Aufmerksamkeit galt ab jetzt vordergründig dem Inhalt meines Tiefkühlers, bis sie gefunden hatte, was sie suchte. »Oder sie bestraft Dad und lässt einfach alles verschwinden, was er gern hat. Vielleicht schläft er ja gar nicht mit anderen Frauen, vielleicht isst er da nur.«
Ich lachte. Weil ich für den Moment diesen winzigen Funken kindlicher Hoffnung überhörte und mich über diese viel zu treffende Theorie freute.
»Meinst du, sie vertragen sich wieder?« Und mit dieser Frage konnte ich es nicht mehr ignorieren. Max war clever, manchmal ziemlich vorlaut, und sie hatte schon recht früh ein feineres Gespür für Sarkasmus entwickelt als andere in ihrem Alter. Aber sie war ein Kind. Bier schmeckte ihr nicht, und sie ertrug es nicht, wenn Mum und Dad sich die Köpfe wegen Dingen einschlugen, für die sie gar nichts konnte. Es würde noch ein paar Jahre dauern, bis sie damit aufhören konnte, alles, was um sie herum passierte, auf sich zu beziehen. Und bis dahin gab es dieses riesige grüne Ding, das manchmal ein Kokon war und manchmal nur eine Decke. Und sooft ich diesen Quälgeist auch an die Wand klatschen wollte, ich hätte ihr gern beigebracht, dass nichts von dem, was zwischen unseren Eltern passierte, ihre Schuld war. Und dass niemand außer sie selbst das glaubte.
»Sie haben sich immer wieder vertragen. Für eine Weile, wenigstens«, seufzte ich. »Das ist wie ein Naturgesetz. Köpfe einschlagen, vertragen. Wie Ebbe und Flut. Ich glaub, das wird nie aufhören.«
Max zuckte mit den Schultern und trottete mitsamt dem Eis wieder zurück zum Sofa und zu mir. »Und was, wenn nicht?« Sie setzte sich neben mich und zog ihre riesige grüne Decke über ihre Beine.
»Was soll passieren? Wenn sie sich scheiden lassen, ist endlich mal Ruhe. Und wenn nicht, kommst du her. Aber du weißt, ab mehr als einer Woche nehme ich Miete.«
Max kicherte und rutschte etwas zur Seite, bis ihr Oberkörper an meinem Arm lehnte und ihr Kopf an meiner Schulter. Dann öffnete sie die Eispackung und hielt mir einen Löffel entgegen.
»Nein, das Eis gehört dir. Ich hab schon zwei Bier, die ich jetzt trinken muss.«
»Aber du hast gesagt, dass du einen üblen Tag hattest.«
Richtig, dachte ich. Deshalb das Bier. Und die Frau. Und die Tequilashots davor. Aber ehe ich das erklärt hätte, war es leichter, die Flasche zur Seite zu stellen und nach dem Löffel zu greifen.
»Jetzt musst du mir auch erzählen, warum der Tag so mies war«, stellte Max klar, nachdem ich den ersten Löffel von dem Eis genommen hatte. Gott, dieses Mädchen wusste, wie man einem selbst Vanilleeis mit Brownies versaute.
»Muss ich nicht. Das verstehst du eh nicht.«
»Bullshit.« Ob ich mich je daran gewöhnen würde, mit wie viel Inbrunst solche Worte über ihre Lippen kamen? »Dann erklär es halt ordentlich.«
»Na schön ...« Dann saß ich halt als erwachsener Dreißigjähriger mit Eis auf einer Couch und erzählte einer Fünfzehnjährigen und ihrer grünen Traumadecke von dem Schlamassel, in dem ich mich aktuell befand. Was war schon dabei? »Ich hab dieses neue Projekt. Grob gesagt: Der Ruf von einem Unternehmen ist gerade ziemlich im Arsch, und ich soll das mit meinem Team wieder geradebiegen. Wir haben auch richtig gute Ideen. Aber die Leute, die in diesem Unternehmen arbeiten, finden es kacke, dass wir uns einmischen. Denen ist scheißegal, was deren Chefs sich dabei gedacht haben, uns zu holen. Und das wiederum findet mein Chef kacke, also muss ich morgen Nachmittag zu ihm zum Gespräch. Mit dem ganzen Team. Ich musste sogar eine Präsentation vorbereiten, um noch mal alles zu erklären, was wir bisher gemacht und was wir geplant haben.« Ich seufzte. »Ich glaube, dass er das als eine Art Übergabe plant und mich von dem Projekt abzieht, um es jemandem zu geben, der schneller Ergebnisse liefert.«
Ich spürte, wie Max nickte. »Cool, jetzt hast du mir das erklärt, als wäre ich zwölf.« Mit dem Eis, das sie dabei im Mund hatte, klang sie eher wie eine Achtjährige. Damit war zwölf ein guter Kompromiss, fand ich. »Aber ist doch gut, wenn du dann nicht mehr das Projekt machen musst, oder? Wenn die so bescheuert sind.«
Für ein Schulprojekt mochte das einleuchten, allerdings ... »Das Thema ist aber ziemlich spannend. Mal was völlig anderes. Eigentlich will ich es zu Ende bringen. Ich fürchte nur ...« Ich seufzte, ehe ich die Erkenntnis äußerte, die mich an diesem Abend zum Tequila und in Julias Arme getrieben hatte. Und nun in die Fänge meiner kleinen Schwester und Eiscreme. »Ich will diesen Auftrag wirklich hinkriegen, aber ich fürchte, ab morgen bin ich aus dem Projekt raus. Also ...« Ich überlegte kurz, aber am Ende fiel mir nicht mehr als noch ein Seufzen ein, um den Satz zu beenden.
Umso besser war Max darin, die richtige Antwort zu finden. Sie breitete ihre Decke über meinen Beinen aus, nahm meinen Löffel, schaufelte einen riesigen Berg Eis darauf und gab ihn mir zurück. »Hier.« Mehr sagte sie nicht.
Hin und wieder ist das vermutlich alles, was man tun kann, und das Einzige, das hilft.
Wenn man zu früh zu einem Termin kommt und vor dem Besprechungsraum wartet, hat man viel Zeit, darüber nachzudenken, wie man einen Laptop hält, ohne dabei albern auszusehen.
Das Ding hatte ich schon gegen meine Brust gedrückt oder lässig an meiner Hüfte gehalten, unter meinem Arm ... Aber auch nach drei Minuten des Wartens blieb es ein Fremdkörper, auf der die Präsentation schlummerte, mit der ich »Projekt Feenstaub« an irgendwen übergeben würde – drei Wochen, nachdem ich das Projekt angenommen hatte. Niall hatte mich sogar zum Projektleiter gemacht – einem Projektleiter, dem entfallen war, wie zur Hölle man einen Laptop hielt, ohne zu wirken wie ein nervöses zwölfjähriges Mädchen oder wie ein Zuhälter, der sich als Geschäftsmann tarnte.
»Können wir schon rein?«
Mein Kollege war um die Ecke gebogen. Er hatte die Arme vor der Brust verschränkt und sah meinen Laptop mit einem leichten Hauch von Nervosität an, wenn mich nicht alles täuschte. Glyn mimte gern den nervenstarken Iren – mit seiner Glatze, dem roten Bart und der riesigen Statur, neben der ich wirkte wie ein blonder Dreijähriger. Inklusive Grübchen. Dabei hatte ich nicht einmal Grübchen – außer in der Nähe dieses sympathischen, aber eindeutig zu maskulin geratenen Bastards.
»Ich glaube, wir warten lieber draußen.« Ich deutete mit dem Laptop auf die Tür neben mir. »Niall hat wohl noch eine Besprechung.« Keine Ahnung, welches Team unser Chef gerade in die Mangel nahm. Vielleicht holte er sich auch nur von irgendwem einen Zwischenbericht ein, ehe er uns zerpflückte. »Wo steckt Lara?« Sie war die Dritte in unserer Gruppe.
Glyn zuckte mit den Schultern, ohne dabei seine Arme zu lösen. »Keine Ahnung.«
»Keine Ahnung? Wir sitzen alle im selben Büro. Wie kannst du nicht wissen, wo sie steckt?« Ich hatte mich doch bloß die letzte halbe Stunde in einen anderen Raum abgesondert, um die Präsentation noch mal durchzugehen. Wenn ich nicht nur das Projekt verkackte, sondern es sogar schaffte, meine Kollegin zu verlieren ... Ich war so was von am Arsch.
»Sie musste aufs Klo. Soll ich ihr nachlaufen, oder was?«
»Nein. Schon okay.« Nichts war okay daran, dass Lara nicht da war und ich keine Ahnung hatte, wo sie sich herumtrieb. Aber was sollte es bringen, mit Glyn darüber zu diskutieren?
»Was meinst du, was Niall vorhat? Er wird den Feenstaub nicht canceln ...«
»Hm«, machte ich und sah zu der Tür, hinter der sich die Antworten auf solche Fragen versteckten. »Ich nehme an, ihr kriegt einen neuen Projektleiter.«
Glyn nickte. Er verschwendete keine Zeit für tröstende Worte wie: »Unsinn, der tauscht dich nicht aus.« Auf seine erfrischend unempathische Art nickte er nur und fragte: »Irgendeine Ahnung, wen er nimmt?«
Ich zuckte mit den Schultern. Mittlerweile würde sich herumgesprochen haben, dass »Team Feenstaub« Probleme mit seinem Projekt hatte. Es würde so einige geben, die ihre Chance darauf witterten zu zeigen, dass sie es besser hinbekamen.
Glyns Pranke knallte auf meine Schulter. Was eine aufmunternde Geste sein sollte, konnte einem auch gut und gern mal das Schlüsselbein brechen. »So oder so – Pub heute Abend?«
»Auf jeden Fall. Ich muss nur noch ein paar Sachen einkaufen.« Haferflocken. Bis zu diesem Morgen war mir nicht klar gewesen, dass die Abwesenheit von Haferflocken zu einem Tobsuchtsanfall bei Fünfzehnjährigen führen konnte. Daher mussten Gegenmaßnahmen ergriffen werden. Aber im Anschluss ... »Danach Bier und Whisky.«
»Das klingt nach einem Plan. Wollen wir Lara auch ...«
Die Tür vor uns öffnete sich so plötzlich, dass der Koloss neben mir sogar zur Seite sprang, während ich meinen Laptop reflexartig an meine Brust drückte. Damit begegnete ich meinem Boss also in der 12-jähriges-Schulmädchen-Version. Großartig.
Niall sah erst mich an, dann Glyn und schließlich an uns vorbei in den Flur, ehe er einen Blick auf seine Uhr warf, nickte und dann die Tür so weit öffnete, dass die Geste unmissverständlich war. »Rein mit euch.«
Ich warf meinem Kollegen noch einen Blick zu und betrat zuerst den Besprechungsraum. Zwei Schritte weit kam ich, ehe ich die Frau erkannte, die bereits am Tisch saß – die Arme unter der Brust verschränkt. Ihr Gesicht zeigte eine abwartende Miene. Kein gutes Zeichen. Sie war angepisst und versuchte jetzt, das nicht zu zeigen, um sich nicht die Blöße zu geben. Wenn mich nicht alles täuschte, versuchte sie sich sogar an einem Lächeln, während sie sich ihre schwarzen Haare über die Schulter strich. »Da seid ihr ja.« Als hätte sie die letzten Minuten nur hier herumgesessen und auf uns gewartet.
»Was machst du denn hier? Ich dachte, du wolltest aufs Klo.«
Ich sah zu Glyn. War das sein Ernst? »Und genau deshalb bist du nicht der Redner von uns ...«
»Setzt euch«, wies Niall uns an. »Lara und ich hatten schon ein kleines Vorabgespräch.«
Ich nickte, packte den Laptop vor mich auf den Tisch und nahm gegenüber von Lara Platz. »Soll ich mich schon mal mit dem Beamer verbinden?«
»Gleich. Erst will ich mit euch reden.« Er wartete, bis jeder von uns sich gesetzt hatte, blieb aber selbst stehen, die Hände auf die Lehne seines Stuhls gestützt und mit dem obligatorischen musternden Niall-Blick, den er jedem von uns nacheinander schenkte. Ich nahm an, dass man mit Anfang fünfzig so einen Blick brauchte, wenn man es ausschließlich mit Millennials oder Jüngern der Generation Z zu tun hatte, die Public Relations als ihre Spielwiese betrachteten und sich weigerten, Anzüge zu tragen.
»Ich hab mir euren letzten Bericht zum Projekt angesehen, und ich denke, ich muss nicht lange um den heißen Brei herumreden: Es läuft nicht, und wir müssen reagieren. Ich denke ... Lass den Laptop zu, Logan.«
Ich hatte das Ding geöffnet, um die Präsentation zu starten, aber nach Nialls Anweisung hob ich meine Hände zu einer ertappten Geste in die Luft und lehnte mich wieder zurück.
»Eure Strategie erfüllt das Ziel, was sich die Geschäftsführung vorstellt. Ich will, dass dabei geblieben wird. Aber eure Kommunikation zum internen Team funktioniert nicht, und dem Unternehmen laufen die Kooperationspartner weg. Wir müssen schnell reagieren, daher ... Ja?«, wandte er sich an Glyn, der dazu angesetzt hatte, etwas zu sagen. Und statt jetzt einen Ton herauszubringen, sah er mich fragend an. Also warf ich ihm nur meinen Halt-bloß-die-Klappe-Blick zu. Was Niall am meisten hasste, waren Rechtfertigungen.
»Siehst du das anders, Glyn?«
Der Muskelprotz nickte. Hatte er den Verstand verloren? »Die ziehen nicht mit, ich meine ...« Wieso zur Hölle deutete er dabei auf mich? Scheiße, Mann, lass das! Ich hab dir nichts getan! »Die Grinsebacke da ist ein Sonnenschein. Ehrlich, ich hab keine Ahnung, wieso sie nicht alles machen, was unser Prince Charming vorschlägt. Denen kann man nichts verkaufen.«
Niall nickte – viel zu gelassen für meinen Geschmack. Als hätte er längst mit diesem Argument gerechnet. Und als würde sein Plan exakt auf diese Problematik abzielen – auf mich. Obwohl ich sowieso längst damit gerechnet hatte, spürte ich, wie mein Puls sich beschleunigte.
»Zu demselben Schluss bin ich auch gekommen. Ihr knackt das Team vor Ort nicht mit Charme. Manche Kunden brauchen einen Vorschlaghammer. Und das ist keiner von euch.«
»Du meinst, niemand von uns ist ein unsensibles Miststück«, präzisierte Lara, und ich schenkte ihr ein kurzes Lächeln dafür, Nialls Bewertung in ein ganz anderes Licht zu rücken.
Der Boss allerdings überging diesen Kommentar. »Ich habe mit Lara vorab gesprochen. Sie wird das Team wechseln. Ihr beide ...« Er deutete auf Glyn und mich. »Ihr bleibt. Ich möchte keine gesamte Mannschaft auswechseln. Das gibt Gerede, und davon brauchen wir nicht noch mehr. Ihr bleibt die Ansprechpartner und werdet das Projekt weiter vorantreiben. Aber ich stelle euch jemanden zur Seite, der euch vor Ort den Rücken stärkt.«
»Ernsthaft?« Die Frage war mir über die Lippen gekommen, ohne den Umweg über meinen Kopf zu nehmen. »Du lässt ausgerechnet Lara gehen?« Immerhin konnte ich gerade so noch eine Notbremsung hinlegen, ehe ich fragte, wieso er nicht mich aus dem Team zog.
»Lara ist mit dieser Entscheidung einverstanden. Ich wollte sie nur gern noch dabei haben, wenn ich mit euch spreche.«
Ich war nicht sicher, ob das die Antwort auf meine Frage war, aber ich hielt die Klappe.
»Kann ich jetzt also ...« Lara deutete zur Tür.
»Sicher.« Mein Boss nickte und setzte ein dankbares Lächeln auf, das Lara nicht erwiderte. Sie stand einfach nur auf, nahm sich ihren Blazer, der über der Stuhllehne gehangen hatte, und verließ den Raum. Dabei sah sie Glyn und mich nicht einmal an. Das war sensationell wenig Interaktion für einen Abschied, für den weder er noch ich etwas konnten.
»Und jetzt zu euch«, hob Niall an und stützte sich wieder auf seine Stuhllehne. Allmählich glaubte ich, dass Sitzen etwas war, das dieser Typ grundsätzlich für sich ablehnte. »Ihr bekommt eine neue Projektleitung. Logan, ich hoffe, es ist okay für dich, da etwas zurückzutreten.«
Ich zuckte mit den Schultern. »Klar.« Im Prinzip war dieser Titel ohnehin nicht mehr als die Verantwortung für alles, was schieflief. Als Gegenleistung gab es ein paar Pfund mehr. Die konnte ich auch gut und gern abtreten.
»Gut. Dann ist das geklärt. Wenn du willst, kannst du deinen Rechner schon mal mit dem Beamer verbinden und die Präsentation mit dem Update starten. Flora müsste jeden Moment hier sein.« Er sah auf seine Uhr und sagte danach noch ein paar Dinge wie Teamaufstellung und Strategie, die völlig an mir vorbeigingen.
»Halt, Moment ... Flora? Flora Brydan?«
»Ganz genau. Ich erwarte, dass ihr eure privaten Angelegenheiten aus der Welt schafft. Wir brauchen jemanden wie Flora, um dieses interne Team zu knacken.«
Wir brauchten nicht jemanden wie Flora, wir brauchten Flora. Sie war eine Superheldin. Nur ...
»Aber sie redet nicht mit mir.« Das war eine ziemlich plumpe Zusammenfassung für: Sie hasst mich. Jeder hier weiß das!
»Heißt das jetzt, ich kann mich auf deine Professionalität verlassen oder nicht?«
»Sicher.« Ich nickte etwas zu heftig. »Logisch, ich ... Weiß sie, dass ich in diesem Team bin?«
»Selbstverständlich weiß sie das. Wärst du jetzt so nett?«
Ich sah ihn nur stirnrunzelnd an.
»Die Präsentation.«
»Klar.« Hektisch schaltete ich meinen Laptop ein und suchte im Netzwerk nach dem Beamer. Ich gab mir echt Mühe, mich ausschließlich auf diese technischen Banalitäten zu konzentrieren. Beamer suchen, Koppeln, Präsentation öffnen. Aber das war nicht komplex genug, um meine Gedanken abzulenken.
Nie, nie wieder und unter keinen Umständen. Soweit ich wusste, hatte Flora genau das zu Niall gesagt, ehe sie ihre Sachen gepackt und mir die Nase gebrochen hatte. Nie, nie wieder und unter keinen Umständen wollte sie noch mal mit mir zusammenarbeiten. Und noch viel weniger hatte sie mit mir über das Warum reden wollen. Da war sie ziemlich deutlich gewesen.
Ich hätte im Leben nicht gedacht, dass »Nie, nie wieder und unter keinen Umständen« nur ein Dreivierteljahr andauern würde.
Der Beamer warf die erste Folie meiner Präsentation an die Wand, als ich die Schritte auf dem Flur hörte. Absätze. Ich hatte nur ein Mal erlebt, dass Flora bei einer Veranstaltung hohe Absätze getragen hatte. Und ihr war es unangenehm gewesen, damit zwei Zentimeter größer gewesen zu sein als ich. Ich hatte es ziemlich heiß gefunden, trotzdem war sie mir seitdem nur noch in flachen Schuhen begegnet.
Vielleicht war ich paranoid. Doch für mich klang das Geräusch dieser Absätze daher verdächtig nach einem »Fick dich«. Und falls ich damit richtiglag, war dieses hier gigantisch. Flora schwebte mühelos auf vielleicht fünfzehn Zentimetern bedrohlich schmalem »Fick dich« in den Raum. Als sie mich sah, hob sie ihre Augenbrauen hoch genug, dass sie unter ihrem Pony verschwanden.
Ich nickte. Und das war‘s.
Das war der Überschwang, mit dem neun Monate endeten, in denen wir uns nur hin und wieder auf dem Flur begegnet waren und in denen sie bei keiner Feier, bei keinem Pub-Besuch mit den Kollegen dabei gewesen war. Neun Monate, in denen ich immer wieder mit dem Gedanken gespielt hatte, zu ihr zu gehen und mich zu entschuldigen. Aber was hätte ich sagen sollen? »Sorry für die Sache mit Aria. Ich hätte dir vermutlich erzählen sollen, dass ich eine andere Frau date. Ich konnte ja nicht ahnen, dass du ernsthaft Gefühle für mich hast. Vielleicht hätte ich fragen sollen. War blöd von mir.« Selbst ein simples »Es tut mir leid« wäre nicht richtig gewesen. Mir war klar, dass man sich so nicht entschuldigte, wenn man es ernst meinte. Nur hatte ich noch nicht herausgefunden, wie sonst.
Also hatte ich es bleiben lassen und nun saß ich mit ihr in einem Besprechungsraum und hatte keine Ahnung, ob ihre Absätze eine Botschaft waren oder ein Accessoire.
So oder so – das Gefühl, das sich in mir breitmachte, blieb das gleiche: Ich war am Arsch.
»Ich denke, eine Vorstellungsrunde erübrigt sich«, ergriff Niall wieder das Wort. »Ihr alle kennt euch längst aus anderen Konstellationen. Flora, ich habe Logan und Glyn bereits darüber in Kenntnis gesetzt, dass du ab heute die Projektleitung übernehmen wirst.«
»Sehr gut, also können wir direkt starten?« Sie lächelte, während sie das sagte, und schlug mir damit eine Flut an Erinnerungen ins Gesicht. Da war diese leise Heiserkeit, die immer in ihrer Stimme mitschwang, und die ich völlig vergessen hatte. Ihre Schneidezähne, die ein bisschen zu groß waren und der starke Akzent der Highlands. Mit einem Mal wusste ich wieder, dass sie Whisky mit einem Spritzer Wasser trank und auf Autofahrten laut und schief mitsang, wenn sie müde wurde.
»Logan?«
Ich starrte sie an. Ihr Lächeln war in der Sekunde von ihrem Gesicht abgefallen, in der sie sich von Niall ab- und mir zugewandt hatte, und ich glotzte sie an, als hätte sie mir noch mal ihren Ellenbogen gegen den Schädel gerammt.
»Bin startklar«, murmelte ich, wandte mich lieber dem Desktop meines Laptops zu und versuchte zu vergessen, wessen grün-braune Augen mich von der gegenüberliegenden Tischseite dabei beobachteten. »Projekt Feenstaub. Es geht um das Unternehmen A Pinch of Pixie Dust. Die arbeiten mit Krankenhäusern und Hospizen zusammen und erfüllen Kindern und Teenagern letzte Wünsche. Vor einem Jahr ...« Ich wechselte die Folie mit einer groben Skizzierung der Ausgangslage. »Vor einem Jahr etwa wurde ein Betrugsfall im Unternehmen aufgedeckt. Diebstahl von Spendengeldern durch Veruntreuung. Eine Mitarbeiterin aus der Buchhaltung hat sich sechsstellige Beträge aus den Spendenkonten gezogen. Allerdings ist das bis heute nicht offen kommuniziert worden – aus verschiedenen Gründen. Wir haben hier also ein Paradebeispiel von Vertrauensbruch zwischen Unternehmen und Zielgruppe.«
»Hm.« Das war Floras Kommentar dazu. Genauso gut hätte sie sagen können: Vertrauensbruch von jemandem, bei dem man dachte, man kann sich auf ihn verlassen? Kenn ich. Scheint mir, als wäre ich hier die perfekte Ansprechpartnerin.
»Jedenfalls ...« Wo war ich? Scheiße, wo war ich gerade gewesen? Ich skippte weiter und hangelte mich an den Stichpunkten meiner Präsentation entlang. Und ich kam mir dabei vor wie mit acht, als ich vor der Klasse gestanden und ein Gedicht abgelesen hatte, weil ich gerade den ersten Blackout meines Lebens erfahren, mein Lehrer aber darauf bestanden hatte, dass ich meinen Vortrag durchzog. »Der Laufplan für diese Kommunikation ist unser Job. Und es gibt noch zwei Punkte, die erschwerend hinzukommen: Die Spendeneingänge sind rückläufig, also geht man davon aus, dass sich die Sache bereits rumspricht.«
»Man geht nur davon aus? Sind die nicht in Kontakt mit ihren Ansprechpartnern?«
»Das ist Punkt Nummer zwei. Der Vertriebsleiter ist der Mann dieser Buchhalterin. Man hat ihn freigestellt und mittlerweile verabschiedet. Sein halbes Team ist daraufhin auch gegangen. Solidarität vermutlich, keine Ahnung. Damit fehlt uns der Hauptkontakt für die wichtigsten Spender. Vertrieb und Marketing stellen sich derzeit für Akquise auf, um neue Geldgeber zu erschließen. Für einen frischen Start. Die PR-Abteilung denkt sogar über eine Umbenennung nach.«
»Das ist bescheuert.« Das war es. Genauso bescheuert wie mein Gefühl von Erleichterung, weil wir uns in diesem einen Punkt einig waren, und weil das wohl hieß, dass wir in einem Boot saßen. Und ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, wie ein Boot kentern sollte, in dem Flora Brydan saß. »Und wie ist eure Strategie?«
Konfrontation.
Transparente, direkte und individuelle Ansprache.
Das war die Strategie, die Glyn und ich uns für das Projekt Feenstaub vorgenommen hatten. Zwei Wochen hatte ich versucht, ein Team aus sieben PR-Mitarbeitern dafür zu begeistern.
Und nun saß ich hier, hatte dieses elende Meeting mit meinem Boss überstanden und war nicht aus dem Projekt geschmissen worden. Doch das Gefühl von Erleichterung stellte sich nicht ein. Im Gegenteil. Ich war zurück an meinem Arbeitsplatz, hatte mich hinter meinem Laptop verschanzt und warf mir ratlose Blicke mit meinem Kollegen zu. Und ich gab mir redlich Mühe damit, Flora nicht einmal anzusehen, während sie sämtliche Protokolle und Präsentationen durchging, die wir seit Beginn des Projekts erstellt hatten.
Als Flora genervt aufstöhnte, sah Glyn mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, und ich zuckte mit den Schultern. Dann warfen wir einen möglichst unauffälligen Blick zu unserer Kollegin, die drauf und dran schien, ihrem PC Schmerzen zuzufügen. Vielleicht hätte sie mir gesagt, was genau sie aufregte, hätte ich nachgefragt, aber ich hielt meine Klappe. Das machte mich wohl zum Paradebeispiel für das Konzept von Konfrontation und direkter Ansprache.
»Ich weiß nicht, wie es euch geht, aber ich brauch einen Kaffee.« Glyn. War das sein Ernst? Er wollte mich hier allein lassen? Mit ihr?
»Für mich nicht.« Das musste ich sagen, damit ich heftig den Kopf schütteln und ihn mit einem Wehe-du-haust-jetzt-einfach-ab-Blick ansehen konnte, ohne dass es Flora auffallen würde.
Doch entweder drückte mein Gesicht sich ziemlich undeutlich aus, oder Glyn war schlichtweg blind geworden. »Und du, Flora?«
Sie sah auf und schaute uns an, als wäre sie erstaunt, dass wir im selben Raum saßen. Immer noch. »Ja, gerne. Danke.«
Glyn nickte. »Milch? Zucker?«
Irish Coffee, dachte ich. Diesen süßen Scheiß mit mehr Milch als Kaffee, einer Tonne Zucker und künstlichem Whisky-Aroma, nach dem dann das ganze Büro riecht.
»Schwarz«, antwortete Flora, als hätte sie meine Gedanken gehört und müsste ihnen in aller Deutlichkeit widersprechen. »Und wenn du so lieb bist, noch mit einem extra Espresso.«
Bullshit. Ihre Taste am Kaffeeautomaten war auf der untersten Reihe, zweite von rechts. Penetrant riechender Irish Coffee, den ich ihr morgens immer schon an den Platz gestellt hatte. Ich hatte diesen Geruch nie gemocht, dafür aber das Lächeln, mit dem Flora die Tasse neben ihrem Laptop entdeckte.
»Schwarz und Espresso, alles klar«, brummte Glyn und raffte sich auf. »Sicher, dass du nichts willst?«
»Sicher.«
»Verschenkte Chance, Mann ...« So vage seine Worte sich auch anhörten, so direkt war sein Blick: Mehr kann ich nicht tun. Jetzt bist du dran.
Nur ... Dran womit?
Ich sah Glyn dabei zu, wie er verschwand und weiß Gott wann wiederkommen würde. Ab dem Klicken des Türschlosses wurde es seltsam. Flora fixierte weiter den Bildschirm vor sich, und ich saß auf meinem Platz und gab mir Mühe, sie nicht anzustarren. Keine Ahnung, wann wir das letzte Mal allein in einem Raum gewesen waren und nichts weiter miteinander geteilt hatten als Schweigen. Kein Grinsen, keine Gesten, keine Berührungen und erst recht keine Körperflüssigkeiten. Nur Stille.
»Also ...«, hob ich an, als Flora mich so abrupt unterbrach, als hätte sie längst damit gerechnet, dass ich meine Klappe nicht halten konnte.
»Nein«, sagte sie kühl.
»Aber ich hab doch noch gar nicht ...«
»Wie geht es eigentlich Aria?«, unterbrach sie mich. Und Fuck, ich kannte diesen Blick, mit dem sie mich ansah. Es war derselbe wie vor ein paar Monaten im Treppenhaus, als ich mit blutender Nase vor ihr gestanden hatte. »Hat sie sich damit arrangiert, dass du Kolleginnen fickst? Am Telefon damals klang es nicht so, aber hey, wir entwickeln uns alle weiter.«
Das war eine Sackgasse. Und Flora hatte keine Minute dafür gebraucht, mich dort reinzudrängen. »Ich hab keinen Kontakt mehr mit Aria«, antwortete ich knapp.
»Gut für sie.«
Ich nickte. Und vermutlich hätte ich es auch dabei belassen und dann weiter meinen eigenen Bildschirm angeglotzt, wäre da nicht mein Kollege gewesen, der mir auf seine wenig dezente Art zu verstehen gegeben hatte, dass er keinen Bock darauf hatte, zwischen einer Flora Brydan und einem Idioten wie mir zu stehen. Einen Moment lang wand ich mich unter der Vorstellung, Flora noch mal anzusprechen. So eine gebrochene Nase war sicher nicht der Endgegner, wenn es um Schmerzen ging. Allerdings gehörte sie auch nicht zu den Dingen, die ich unnötig häufig wiederholen wollte.
»Was das Projekt angeht ...«
Diesmal unterbrach Flora mich nicht direkt. Sie atmete nur sehr schwer und unfassbar genervt durch. Das reichte, um mich lieber meinen Mund halten zu lassen. Doch Floras Blick lag längst auf mir.
»Wie eine Fee«, hatte Maggie mal gemeint. Sie hatte nur zwei Tage mit Flora und mir zusammenarbeiten müssen, um diese Einschätzung zu treffen. Und um für mich, vor allem aber für Flora, zu einer Person zu werden, die ... ja. Die nun, da sie nicht mehr hier war, ziemlich fehlte. »Sie sieht aus, wie eine Fee mit diesem süßen Puppengesicht. Eine zarte Elfe, die dir eiskalt die Kehle aufschlitzen würde, wenn du sie provozierst.«
Shit, Maggie hätte gewusst, wie ich mit Flora reden konnte. Nur war sie nicht mehr da – weder als Freundin für Flora noch als Rückendeckung für mich.
»Also?« Flora sah mich noch immer an und schien darauf zu warten, dass ich mich endlich um Kopf um Kragen redete. »Was gibt es so Wichtiges zu dem Projekt, das du mir augenscheinlich erst sagen kannst, wenn Glyn nicht hier ist?«
Ach Scheiße. Bei dieser Ausgangslage hatte ich verloren. Egal, was ich sagte. Ich schüttelte den Kopf. »Vergiss es.«
Flora nickte, murmelte »Das dachte ich mir« und wandte sich wieder dem Bericht zu, den sie studierte – schweigend.
Und ich Trottel konnte nicht anders, als sie anzusehen und daran zu denken, wie Niall mir verkündet hatte, dass ich mein nächstes Projekt mit Maggie, der kleinen Engländerin, und der Neuen aus den Highlands bestreiten würde. »Flora«, hatte sie sich vorgestellt und dabei die Augen über ihren eigenen Namen gerollt. »Meine Eltern konnten sich nicht für eine Pflanze entscheiden, deshalb ist es ein Sammelbegriff geworden.«
Also war sie für mich Rose gewesen. Oder Violet. Daisy ...
»Logan, hör auf, mich anzustarren.«
Iris, Lavender, Ivy ... Ich versuchte, mir das Grinsen ins Gedächtnis zu rufen, mit dem Flora mich jedes Mal bedacht hatte, wenn ich ihr einen neuen Namen gegeben hatte. Aber keine Chance. Nicht, solange sie mich ansah, als würde ich sie allein dadurch beleidigen, dass ich dieselbe Luft atmete. Damit stand außer Frage, dass es eine beschissene Idee wäre, sie auf unseren alten Insider mit den Namen auch nur anzusprechen.
Allerdings quittierte meine Cleverness nach dieser Erkenntnis den Dienst und ließ mich mit dem Bedürfnis zurück, stattdessen an irgendetwas anderes anzuknüpfen. »Kein Irish Coffee mehr?« Mit einem Nicken deutete ich auf die Tür, durch die Glyn gegangen war.
»Was geht dich das an?«
Nichts, gar nichts, nur ... Ich hab mich gefragt, ob das jetzt einfach so ist. Oder ob du mir damit etwas sagen willst. Dann sag’s mir, okay? Ich kann es mir nicht leisten, versteckte Botschaften nicht zu raffen. Du bist jetzt der Boss.
»Meinst du, wir sollten über die Sache reden? Also ... damit wir normal miteinander ... Du weißt schon. Es wär ätzend für Glyn, wenn er die nächsten Wochen in einer scheiß Stimmung ...«
»Für Glyn, ja?« Flora lachte, jedoch nicht das schöne, dreckige und herzliche Lachen, das sie zum Besten gab, wenn ein trockener Witz sie kalt erwischte. »Gott, du hast dich echt kein Stück verändert.«
Du auch nicht, dachte ich. Es ist nur ziemlich seltsam, nicht mehr zu den Menschen zu gehören, die du magst. Sondern zu den anderen. Und ich kann dir sagen, auf dieser Seite ist es ziemlich kacke. »Also reden wir nicht darüber?«, hakte ich noch mal nach. Ein letzter, wenig optimistischer Versuch.
»Worüber willst du reden, hm? Darüber, wie du mich monatelang gevögelt hast? Oder lieber über die Tatsache, dass dir dabei entfallen ist, mir von deiner Freundin zu erzählen?«
»Sie war nicht wirklich ...«
»Stopp«, unterbrach sie mich. »Du hast mich missverstanden. Das waren rhetorische Fragen. Ich will nicht darüber reden.«
»Aber ...«
»Nein, Logan. Kein Aber. Die Sache ist durch, hörst du?« Keine Ahnung, warum sie dabei zur Tür deutete. »Das spielt keine Rolle mehr. Ich hab meine Lektion gelernt, und die sagt, dass Logan McIntyre ein Arschloch ist. Wir können miteinander arbeiten, aber spar dir den Small Talk.«
Ich seufzte. Weil ich wusste, dass ich Mist gebaut hatte. Sogar riesengroße Scheiße. Dennoch ... »Ich bin kein Arschloch. Das weißt du.«
Flora zuckte leicht mit den Schultern und wandte sich wieder ihrem Bildschirm zu. »Ansichtssache.«
Und ich hatte gedacht, Mackenzies Anfall von Verzweiflung heute Morgen wäre herausfordernd gewesen. Aber wenn ich es recht betrachtete, war eine pubertäre Emotionseskalation, die man nur mit Haferflocken bestreuen musste, ein Scheiß gegen ... Tja, gegen eine erwachsene Frau, auf deren Stirn sich zwei Konzentrationsfalten zeichneten, während sie den Bildschirm vor sich anstarrte. Mittlerweile nagte sie sogar am Ende eines Bleistifts.
Ich sah zur Tür, durch die Glyn jeden Moment hereinkommen konnte – mit seinem Cappuccino und einem albernen schwarzen Kaffee mit Espresso für die Kollegin, deren Genervtheit das Level »Bleistift« erreicht hatte. Und so gern ich diesen empörend hochgewachsenen Iren hatte, eine kleine Engländerin wäre mir lieber gewesen. Sie würde den Bleistift bemerken, mich und mein ahnungsloses Schulterzucken ansehen und dann irgendwas sagen, um Flora binnen weniger Worte aus diesem Level rauszukriegen. Keine Ahnung, was für Worte sie gefunden hätte. Vermutlich spielte das keine Rolle, solange ich nicht Maggie Forrester war, sondern eben ich. Mir blieb daher gar nichts anderes übrig, als dieses Schweigen auszuhalten oder mich weiter um Kopf und Kragen zu reden.
Ich entschied mich für Option zwei.
»Ich stell mir gerade vor, wie Maggie hier reinläuft und uns so sieht. Sie würde sich totlachen.«
Flora hob erst ihre Augenbrauen, dann entließ sie den Bleistift aus der Gewalt ihrer Zähne. Erst als Allerletztes sah sie mich an. »Maggie kann hier gar nicht mehr reinlaufen.« Das sagte sie, als wäre sie überzeugt davon, ich hätte dieses Detail einfach vergessen. Meine Güte, sie ging wirklich davon aus, dass ich ein Arschloch war, oder?
»Das ist mir klar.« Ich fühlte mich genötigt, das zu sagen. »Das war auch nicht das, was ich meinte. Eigentlich ...«
»Lass sie da einfach raus.«
»Ich wollte doch nur ...«
»Lass sie da raus. Verstanden?« Sie betonte jedes einzelne Wort, während sie das sagte. So wichtig war ihr das also.
Oder so schmerzhaft.
Flora hatte geweint. Als sie mir erzählt hatte, dass unsere Freundin und Kollegin im Krankenhaus lag und es nicht gut aussah, hatte ich sie das erste Mal weinen sehen. Ich hatte sie in den Arm genommen – wegen ihrer Tränen und wegen des eigenen Gefühlsklumpens, der sich in meinen Magen gepresst hatte. Und ich hatte ihr vorgeschlagen zusammen hinzufahren und nach Maggie zu sehen. Oder uns zu verabschieden. Je nachdem.
Dazu war es nie gekommen. Drei Tage später hatte Aria sich dazu genötigt gesehen, Nachrichten auf meinem Handy zu lesen und Flora zu kontaktieren.
Ich hatte keine Ahnung, ob sie je zu Maggie gefahren war. Ich wusste nur, dass ich selbst mich erst vor ein paar Wochen dabei ertappt hatte, mir Maggie in mein Team zurückzuwünschen. Und Flora – was allerdings noch unwahrscheinlicher schien als die Zusammenarbeit mit einer Frau, die vor gefühlten zehn Minuten noch im Koma gelegen hatte.
»Alles klar«, gab ich nach. Ich würde also weder Maggie thematisieren. Noch Kaffee. Noch Fick-dich-Schuhe. Vielleicht wäre Whisky eine bessere Wahl, aber darauf ließ ich es an diesem Nachmittag lieber nicht mehr ankommen. »Hast du ...« Ich räusperte mich, als ich merkte, dass ich angepisst klang. Dabei war ich nicht sauer, nur frustriert. Und ich liebäugelte mit der Vorstellung, Flora mit Haferflocken zu bewerfen. »Hast du schon irgendeine brillante Idee, wie wir den Karren aus dem Dreck ziehen?«
»Nicht brillant«, murmelte Flora. Dabei klang sie völlig normal. Zum ersten Mal, seit sie in diesen Besprechungsraum spaziert und zu meiner vorübergehenden Chefin geworden war. »Ich würde genau den Ansatz verfolgen, den ihr zuerst hattet.«
Okay. Ich hatte keine Ahnung, ob das eine Zustimmung oder gar ein Lob war oder ein Seitenhieb wegen mangelnder Brillanz. »Und zwar?«, fragte ich nach.
Und da waren sie wieder – zwei in die Höhe gezogene Augenbrauen und ein Blick, der auf dem Skepsislevel das Prädikat »bravourös« redlich verdient hätte. »Findest du nicht, dass wir auf Glyn warten sollten, bevor wir unsere Strategien besprechen?«
Ich nickte und gab ein zustimmendes »Hm« von mir. Dabei hatte ich große Mühe, keinen sehnsüchtigen Blick zur Tür zu werfen.
»Was ich dir eigentlich noch ...«
»Was hältst du davon, wenn wir beide einfach den Mund halten, bis Glyn da ist, mh?«
Ich seufzte. Frustriert, nicht angepisst. Darauf achtete ich penibel. »Alles klar.«
Und ab da schaffte ich es sogar, meine Klappe zu halten. Allein schon aus dem Grund, weil mir rein gar nichts mehr einfallen wollte, was nicht klang wie »Und du bist wirklich noch dieselbe Frau, die sich über alkoholfreies Bier freut und es mag, wenn man ihr beim Sex leicht in den Nacken beißt, ja?«. Selbst mir war klar, dass das eine grenzenlos beschissene Idee gewesen wäre. Wenn nicht sogar meine letzte.
Glyn tat mir – oder eher uns beiden – den Gefallen, sich unnötig lange, aber nicht bis in alle Ewigkeit Zeit mit dem Kaffeeholen zu lassen. Ganze sieben Minuten war ich dazu verdammt gewesen, Floras Schweigen und dem Klicken ihrer Maus zu lauschen und dabei so leise wie nur möglich zu atmen. Das weiß ich so genau, weil ich in diesen sieben Minuten absolut nichts anderes zu tun gehabt hatte, als auf die Uhr zu starren und zu hoffen, dass mein Kollege bald zurückkam.
Als er mit zwei Tassen durch die Tür trat, sah er zuerst mich fragend an. Doch ich konnte ihm nicht mit mehr als einem ratlosen Schulterzucken antworten. Keine Ahnung, ob ihm das die vollständige Botschaft überbrachte: Keine Ahnung, Mann. Sie hasst mich. Aber sie hat einen Plan, und mit dem klingt sie ziemlich normal. Glaub nicht, dass uns Haferflocken hier viel bringen werden, aber vielleicht andere Sachen aus Getreide.
So oder so – Glyn nickte, stellte Floras Tasse vor ihr ab und setzte sich mit seiner eigenen an den Laptop zu meiner Rechten. »Also?«, murmelte er dabei. Und trotz seiner vier Meter Körpergröße wirkte er wie ein Junge, der in einen Raum zurückkam, in dem seine Eltern gestritten hatten.
»Also ...« Flora lehnte sich etwas zurück, die Arme vor der Brust verschränkt. Ihr Blick lag dabei immer noch auf dem Desktop vor ihr. Dabei hatte sie jetzt sogar Glyn hier, um nicht mich ansehen zu müssen, wenn sie mit uns redete. »Ich versteh die ganzen Strategien, die das interne Team zusammengestellt hat, aber die sind Unsinn.«