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Nein, das Kanzleramt gibt uns keine Aufträge, das würde man dort nicht wagen. Sagt Claus Kleber. Er tritt den "Lügenpresse"-Schreiern entgegen mit einem schonungslos offenen Blick in das Innere der Redaktionsarbeit, ihre Freuden, Anfechtungen und Schwierigkeit. Ein flammendes Plädoyer für die Unabhängigkeit der Medien und gegen die Kampagnen der Hetzer.
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Veröffentlichungsjahr: 2017
Das Buch
Informationen sind die Währung des 21. Jahrhunderts. Doch die Wahrheit hat es derzeit schwer – im politischen und gesellschaftlichen Dialog zählen Emotionen heute offenbar mehr als belegbare Tatsachen. Was passiert mit einer Gesellschaft, in der Fake News Menschen manipulieren und das Vertrauen in die Politik und die Medien nachhaltig erschüttern? Was lässt sich tun, um der Orientierungslosigkeit und der Streuung von Unwahrheiten ein Ende zu setzen? Auch im Zeitalter von Social Media ist Lieferung und Aufarbeitung von Information eine Sache für professionelle Journalisten, die ihren Job ernst nehmen und sich nicht auf ungesicherter Wissensbasis in den bequemen Mainstream ziehen lassen. Jammern bringt nichts, wir müssen noch besser werden, fordert der Autor.
Der Autor
Claus Kleber ist promovierter Jurist und war von 1986 bis 2002 Hörfunk- und Fernsehkorrespondent der ARD in den USA und in London. Seit 2003 moderiert er das heute-journal im ZDF: Er produzierte preisgekrönte Dokumentationen und Reportagen für ARD und ZDF, zuletzt gemeinsam mit Angela Andersen die ZDF-Reportage Schöne neue Welt (2016) über das Silicon Valley. 2015 wurde Kleber zum Honorarprofessor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen ernannt. Er ist Autor der Bestseller Amerikas Kreuzzüge (2005) und Spielball Erde (2012).
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ISBN 978-3-8437-1700-7
© Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin 2017
Umschlaggestaltung: Sabine Wimmer, Berlin
Umschlagfoto: © Ingo Espenschied
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Am Anfang ein Tiefpunkt
Auf den Angriff war ich nicht vorbereitet. Nicht hier. Ich durfte mich unter Freunden wähnen. Der Hörsaal in Heidelberg war bis auf den letzten Platz gefüllt. Jeder im Raum hatte eine schöne Summe bezahlt, um mir zuzuhören. Das Geld ging an ein Hilfswerk in der Stadt, das von Armut bedrohte alleinstehende Frauen unterstützt. Von den Gästen des Abends kannte niemand solche Gefahr aus eigener Erfahrung. Hier versammelte sich die »bessere Gesellschaft«, um einem sozialen Zweck zu dienen und sich zu unterhalten. Die Gespräche beim Aperitif waren von Weltoffenheit und reichem Informiertsein geprägt. Hier war die verfluchte Elite unter sich, mit einem Mann der Mainstream-Media als Unterhaltungsprogramm.
Der Vortragsteil schien mir wunderbar zu laufen, ich schaute die ganze Zeit in offene, freundliche Gesichter, sie lachten von Herzen an den vorgesehenen Stellen und hörten ansonsten so gespannt zu, dass der Aufprall der sprichwörtlichen Nadel Unruhe erzeugt hätte. Erst im Frage-Antwort-Teil, als es um meine Arbeit an sich geht, um Journalismus, bemerke ich eine Dissonanz und beschließe, den Stier bei den Hörnern zu packen. Mit einer Provokation.
»Sie sorgen sich um die Staatsferne des Fernsehens?«, locke ich.
Ja, allerdings, schweigen sie zurück – jetzt mit hochgezogenen Augenbrauen –, und ich nehme den Ball auf: »Ich verstehe Ihr Problem nicht. Wir sind öffentlich-rechtlich. Dem Gemeinwohl verpflichtet. Da ist es doch völlig normal, dass sich die Führung des Staates mit uns ins Benehmen setzt. Keine Anweisungen, um Gottes willen. Aber was ist denn schlecht daran, wenn wir uns austauschen, wenn sich die Kanzlerin oder Steffen Seibert, ihr Staatssekretär für Presse, früher ein sehr geschätzter Kollege, regelmäßig mit unserer Chefetage oder auch mit Arbeitern wie mir zusammensetzt und abklärt, wohin der Hase läuft. Wann es zum Beispiel doch mal Zeit ist zuzugeben, dass die vielen Flüchtlinge nicht nur eine Bereicherung sind, sondern auch einen Haufen Probleme bringen. Oder wann die dauernden Vorwürfe gegen Putin wegen seiner Ukraine-Politik – oder gegen Erdogan wegen der Unterdrückung der Menschenrechte – zu viel werden und es vielleicht Zeit wird, den Fuß mal vom Gas zu nehmen. Schließlich braucht Deutschland die beiden als Partner – den einen für den Frieden und den anderen gegen die Flüchtlingsströme.«
Wir sind in einem Medizin-Hörsaal. Die ansteigenden Sitzreihen bilden ein Amphitheater. Das Publikum schaut auf mich hinunter wie Studenten auf den Seziertisch. Ich spüre, dass es meinem absurden Gedankengang folgt, und lege nach: »Das sind nur Beispiele. Der Staat hat viele Interessen, manche sind für uns alle lebenswichtig, und natürlich muss die Presse insgesamt und müssen besonders wir als Öffentlich-Rechtliche darauf Rücksicht nehmen. Das ist doch unsere Pflicht und Schuldigkeit!«
Dann geht mir die Luft aus. Aus dem Publikum: kein Geräusch, kein Protest, niemand steht auf, keine Tür knallt. Ich kann es nicht fassen. Und behalte nur mühsam die Contenance. »Wer von Ihnen stimmt mir da einigermaßen zu?« Zwei-, dreihundert gestandene Frauen und Männer schauen sich erst einmal um. In diesen Kreisen neigt man wohl nicht zu spontanen Bekenntnissen. Dann trauen sich die Ersten, und langsam gehen immer mehr Hände nach oben. Es ist die ganz große Mehrheit, die der Kanzlerin so treue Gefolgschaft gönnt. Gegenprobe: »Findet das jemand verwerflich und schlimm?« Jetzt muss ich lange suchen, bevor ich eine Handvoll Opponenten ausmachen kann.
Es ist unglaublich. Sie meinen es offenbar nicht böse, aber das ist der schlimmste Angriff auf meine Journalistenehre, den ich mir vorstellen kann. Gerade weil er so freundlich und selbstverständlich daherkommt. Mein Entsetzen ist ernst, aber das Drama, das ich jetzt aufführe, schon ein bisschen übertrieben.
»Das kann doch wohl nicht wahr sein«, dröhne ich in den Saal. »Was kommen Sie überhaupt her, wenn Sie mir so was zutrauen? Natürlich tun wir das NICHT!« Ein paar verlegene Lacher kommen von Leuten, die gerade noch aufgezeigt hatten und Staatshörigkeit offenbar völlig in Ordnung finden. Wo ich jetzt schon mal dran bin, räume ich den Rest gleich mit ab, versuche es wenigstens. »Ich arbeite seit dreißig Jahren in Fernsehsendungen, die jeden Tag ein Millionenpublikum haben. Das heute-journal ist nach meinem Verständnis das einflussreichste Nachrichtenmagazin überhaupt. Ich stehe mit meinem Kopf dafür. Da läuft kein Beitrag, mit dem ich nicht einverstanden wäre. Wenn irgendjemand in Berlin die Sendung steuern wollte, hätte der mich in all den Jahren mal anrufen müssen. Da hat sich noch nie jemand gemeldet. Kann ich auch niemandem empfehlen. Wir würden das sofort an die große Glocke hängen. Und dann sage ich Ihnen das auch gleich: Ja, wir benutzen Teleprompter. Aber jedes Wort, jeden Gedanken, der da steht, habe ich reingeschrieben. Das ist mein Ding. Das hat kein Chef vorher zu genehmigen. Niemand. Erst recht keiner von denen, über die wir berichten. Und wenn wir einen Minister oder die Kanzlerin im Interview grillen, haben wir die Fragen nicht abgesprochen. Schon gar nicht mit den Interviewten. Das wäre ja, als würde Lewandowski dem Torwart zeigen, wohin er den Elfmeter zielt. Was wir da machen ist kein Theater. Wir meinen es ernst. Einen Unterschied zum Fußball gibt’s allerdings: Die Politiker sind für uns keine Gegner. Wir müssen sie nicht besiegen. Aber wir sind ihre Antagonisten. Es ist unser Job, sie mit Gegenpositionen zu konfrontieren und ihnen so wenig wie möglich Gelegenheit zu geben, sich rauszuwuseln, wenn ihre Argumente Schwächen haben. Wer sich das vornimmt, kann nicht vorher mit denen kungeln.«
Langsam sehe ich, wie in manchen Gesichtern ein Licht angeht. Eigentlich sollte das, was ich da sage, selbstverständlich sein. Jetzt, wo ich vor ihnen stehe und sie wohl merken, wie getroffen ich bin von ihrem Verdacht, kommt meine Botschaft an. Wahrscheinlich ist nicht jeder überzeugt, aber wir scheiden am Ende des Abends mit neuen Erkenntnissen. Auf beiden Seiten.
Ich glaube, dass manches von dem, was wir so jeden Tag treiben und auf die Beine stellen, die Bedingungen, unter denen wir arbeiten, die Sorgen, die wir haben, bekannter werden müssen. Nicht alles ist erfreulich. Nicht immer sehen wir gut aus. Wir müssen besser werden. Auch das kann man ruhig erzählen. Offenheit ist das beste Mittel gegen Lügenfressen. Und ich bin überzeugt, dass unsere Demokratie nicht überleben kann ohne Medien, ohne Journalisten, denen man – bei allen berechtigten Zweifeln – im Grunde traut. Darauf wird es in Zukunft noch mehr ankommen als heute. Deshalb diese Streitschrift.
Null Anweisung – Ein Tag im journal
Wer entscheidet, was abends im heute-journal läuft? Die Frage wird oft gestellt. Ich kann sie nicht mit einem Satz beantworten. Aber ich kann berichten, wie ein Tag in der Redaktion abläuft. Nehmen wir 11/7/17 – den Dienstag nach dem Hamburger G20- und Krawallwochenende. Ein fast x-beliebiger Tag.
10.00 Uhr – Start mit einem weißen Blatt
Er beginnt damit, dass der Redakteur, der sich um die Planung gekümmert hat, hoffnungsvoll in die Runde sagt: »Vielleicht können wir uns einen Tag Hamburg-Pause gönnen.« Für einen Augenblick kann ich die Erleichterung spüren. Sehen kann ich sie nicht. Moderatoren sind bei der ersten Besprechung um zehn Uhr morgens meist telefonisch dabei. Der Glaskasten der Schlussredaktion im Sendegebäude ist dagegen schon gut besetzt: Redaktionsleitung, Planer/in, die beiden Schlussredakteur/innen, die für diesen Tag die Fäden in der Hand halten, die Produktion, die dafür sorgt, dass Reisen, Satellitenverbindungen und auswärtige Studios, Leitungen und Technik passend gemacht werden, der »Frühreporter«, der sich in die ersten Recherchen stürzt, usw. Manchmal acht, manchmal ein rundes Dutzend Redakteurinnen und Redakteure. Niemand sonst. Sie alle gehören zum eingeschworenen Kreis der journal-Redaktion. Einige von ihnen haben einen 14-Stunden-Tag vor sich. Aus eigenem Antrieb. Niemand will nach acht oder zehn Stunden eine halb vorbereitete Sendung an eine zweite Schicht, in andere Hände geben. Wer so weit gestürmt ist, will um 21.45 Uhr auch den Schuss aufs Tor machen und senden. Also werden sie bleiben.
Ein hamburgfreier Tag? Warum nicht? Es fühlt sich an, als hätten wir ewig nichts anderes als Hamburg gemacht. Von der außer Kontrolle geratenen »Welcome to Hell«-Demonstration am Donnerstag bis zum Montag der ersten Bilanzen. Die Regierungserklärung des angeschlagenen Bürgermeisters Olaf Scholz ist erst für Mittwoch angekündigt. Ein Dienstag ohne Bilder von vermummten Gestalten, brennenden Autos und Barrikaden, Wasserwerfern und martialisch aufgerüsteter Polizei würde Redaktion wie Zuschauern guttun. So unser Gefühl morgens um zehn. Unser Land und die Welt haben auch andere Sorgen, und wir wollen sie nicht noch länger unberichtet lassen und haben anders geplant.
Seit Wochen nähert sich diesem Dienstag ein Thema wie ein Riesentanker, sperrig und unausweichlich: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über das Tarifeinheitsgesetz der Bundesregierung. Es ist so kompliziert wie der Name und von enormem politischem Gewicht. Es geht darum, ob kleine Berufsgewerkschaften wie die der Lokführer, der Piloten oder der Klinikärzte weiterhin ganze Betriebe oder gar das ganze Land lahmlegen dürfen, um ihre Forderungen durchzusetzen. Jede Einschränkung ihres Streikrechtes berührt ein Grundrecht unserer Verfassung. Aber ganz ohne Einschränkung kann es aus praktischen Gründen kaum bleiben. Arbeitsministerin Andrea Nahles wäre schwer beschädigt, wenn »ihr« Gesetz für verfassungswidrig erklärt würde. Bei solchen Themen versucht das journal, besonders »journalig« zu sein, wie wir das nennen. Es gilt, die Interessenlagen transparent zu machen, die politischen Fallstricke zu zeigen und die rechtlichen Zusammenhänge zu erklären. Dieses Thema ist eine besondere Herausforderung. Nicht mal die Gewerkschafter sind sich einig. Der große DGB sieht das anders als die Organisation der Lokführer. Keine Seite dieses Konflikts soll am Ende sagen können, wir hätten ihre Argumente nicht fair dargestellt. Und jeder Zuschauer soll verstehen können, wie das Urteil sein Leben berührt. Die Kollegen der Redaktion »Recht und Justiz« sind tagsüber mit großem Besteck nach Karlsruhe gezogen, weil sie dort die Verfahrensbeteiligten beieinanderfinden. Es gab seit Tagen Überlegungen in der Grafik, wie sich die Interessen darstellen lassen. Wir können loslegen. Uns fehlt nur noch das Urteil. Das Thema wird mehr als nur einen Bericht über Urteil und Rechtsfragen brauchen. Wir werden Reaktionen abfragen. Und vielleicht ein Gespräch führen – je nachdem, wie das Urteil ausfällt, mit Frau Nahles oder mit einem der Gewerkschafter. Als die Runde sich auflöst, 10 Uhr 20, sind wir uns ziemlich sicher, dass Karlsruhe und die Folgen die Sendung beherrschen werden.
Es gibt noch eine ganze Reihe anderer Themen, um die sich Redakteure bei uns oder in den Studios in In- und Ausland kümmern. Der »Libero« des Tages – ein Redakteur, der sich plötzlich auftauchender, aktueller Storys annimmt – will sehen, ob sich zum Jahrestag des Auslaufens der »Exodus« etwas machen lässt. Das überladene Schiff voller jüdischer Migranten hatte an diesem Tag vor siebzig Jahren, 1947, den französischen Hafen Sète Richtung Palästina verlassen, feindselig eskortiert von britischen Kriegsschiffen, die Befehl hatten, das Flüchtlingsschiff nie in dem britischen Mandatsgebiet ankommen zu lassen. Es wurde ein besonderes Kapitel der europäischen Nachkriegsgeschichte, in dem Deutschland auch ein Schauplatz war. Das ist siebzig Jahre her, das Gegenteil von Aktualität, aber jemand hat den unauffälligen Jahrestag im Deutschlandfunk aufgeschnappt, und die Erinnerung könnte in die aktuelle Landschaft passen.
10.20 Uhr – Und nichts ist klar
Niemand hat irgendetwas beschlossen oder gar angewiesen. »Schau’n wir mal« ist meist das Ende dieser Besprechung, und wir ahnen, dass einige sich in den nächsten Stunden vergeblich eine Menge Arbeit machen mit Themen, die es nicht in die Sendung schaffen werden. Man weiß nur nie, welche. Manchmal sind Außenseiter im Hoffnungslauf des Morgens am Abend der »Aufmacher«, der erste Bericht der Sendung. »Der Tag ist ja noch jung« ist auch so ein Spruch in der Redaktion. Manchmal um 16.00 oder sogar um 20.00 Uhr noch. Es ist zum Verrücktwerden. Wir lieben es.
Katharina Wilms, an diesem Tag die »Chefin vom Dienst«, geht ein paar Räume weiter in die Morgenrunde der Aktualität, um anderen aktuellen Sendungen zu sagen, was das journal zurzeit plant, und zu hören, was in den anderen Redaktionen läuft.
Ich vertiefe mich zu Hause in die Tücken des Tarifeinheitsgesetzes. Auch um zu sehen, wen ich am Abend als Gesprächspartner am spannendsten finden würde. Irgendjemand wird wohl beim Urteil Federn lassen. Dann stellt sich die Frage, ob Sieger oder Verlierer das bessere Interview versprechen.
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