Rex Jordan 2 - Dominik Ruder - E-Book

Rex Jordan 2 E-Book

Dominik Ruder

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Beschreibung

Nach der erfolgreichen Aufklärung des Rosenringmörder-Falls wird Rex Jordan klar, dass er einen Tapetenwechsel braucht. Es zieht ihn nach San Nadjo, einer wunderschönen und chaotischen Wüstenstadt, in der man ihn auch direkt mit einem mysteriösen Fall konfrontiert. An Rex´ Seite ermittelt sein neuer Schüler Henry. In der Nachbarstadt häufen sich dramatische Ereignisse. Explosionen, Überfälle und seltsame Gestalten geben der dortigen Polizei Rätsel auf. Rex und Henry werden um Hilfe gebeten. Recht schnell findet Rex heraus, dass eine gewisse Mrs Abbanathy und ein Angestellter des ansässigen Pharmaunternehmens in diese Ereignisse verstrickt sind. In welchem Verhältnis die beiden jedoch zueinander stehen, scheint schwieriger zu knacken ...

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Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12

Rex Jordan 2

Der Fall der ewigen Liebe
Ein Roman von
Dominik Ruder
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek: Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
Rex Jordan 2 - Der Fall der ewigen Liebe Dominik Ruder
1. Auflage Oktober 2017
© 2017 DerFuchs-Verlag D-69231 Rauenberg (Kraichgau) [email protected] DerFuchs-Verlag.de Korrektorat/Lektorat: Sabrina Georgia, [email protected]
Alle Rechte vorbehalten. Das Werk, einschließlich aller Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Alle Rechte, insbesondere die der Vervielfältigung, Verbreitung, Übersetzung und Verfilmung liegen beim Verlag. Eine Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen ohne Genehmigung des Verlags ist strafbar.
ISBN 978-3-945858-46-2 (Taschenbuch)
ISBN 978-3-945858-47-9 (E-Book)

Dieses Buch widme ich meinen Großeltern, die sich eventuell selbst in der Geschichte wiederfinden könnten.

Kapitel 1

Ich rannte, so schnell ich konnte. In Windeseile setzte ich einen Fuß vor den anderen, musste dabei allerdings aufpassen, keine lauten Geräusche von mir zu geben.

Es war dunkel und stickig. Die Gasse zwischen zwei Häusern, durch die ich mich bewegte, war eng und feucht. Wir hatten eine nebelige Sommernacht und sogar das eigene Atmen trieb mir Schweißperlen auf die Stirn. Mir war zwar warm genug, trotz allem durfte meine schwarze Lederjacke nicht fehlen. Natürlich, sie hielt meine Körperwärme bei mir, was im Winter ein großer Vorteil war, doch jetzt half sie mir mich der Dunkelheit anzupassen.

In meiner rechten Hand hielt ich, dicht an meinen Körper gepresst, meine einsatzbereite Dienstwaffe. Ich war jederzeit bereit abzudrücken, sollte es nötig sein. In der Innentasche meiner Lederjacke spürte ich, wie die Dienstmarke und der Dienstausweis während meiner Schritte hin und her rutschten.

Dem Verdächtigen, den ich hier verfolgte, hatte ich sie natürlich bereits gezeigt. Das war wohl einer der Hauptgründe, wieso er so schnell das Weite suchte. Ich lief immer weiter und weiter, folgte den schweren Atemgeräuschen vor mir. Ich war beinahe erleichtert zu wissen, dass nicht nur mir in dieser Nacht das Atmen schwerfiel. Plötzlich wurden die Geräusche jedoch stetig leiser und meine eigenen übertönten sie.

Ich blieb kurz stehen und schaute mich um. Zu meiner Rechten und Linken sah ich Häuserwände, ansonsten gab es nur Dunkelheit. Ich sah weiterhin um mich und warf einen Blick auf den Boden. Dort war eine Pfütze aus Regenwasser. Ich beugte mich hinunter und konnte mein Spiegelbild darin erkennen. Durchdringend grüne Augen blickten mich an, wenn auch nur schwach in dieser dunklen Umgebung. Meine schmalen Lippen waren von der Hitze schon ganz rissig und meine kurzen dunkelbraunen Haare feucht vom Schweiß. Die Narbe auf meiner Stirn war nur schemenhaft zu erkennen.

Nach diesem kurzen Blick richtete ich mich erneut zu voller Größe auf und horchte weiter in die Dunkelheit. Konzentriert lauschte ich den Geräuschen des Flüchtigen. Einige Sekunden lang hörte ich nichts. Dann ertönte auf einmal ein lauter Krach und ich konnte sofort lokalisieren, aus welcher Richtung dieser kam.

Ich rannte die Gasse hinunter und bog an einer Gabelung schließlich links ab. In diesem Moment war ich froh darüber, mit Anfang Dreißig noch so fit zu sein. Zugegebenermaßen war in meinem Job als Chefermittler die körperliche Fitness auch eine Grundvoraussetzung. Andernfalls wären solche Verfolgungsjagden, wie diese hier, nahezu undenkbar.

Die Wüstenstadt San Nadjo war bekannt für ihr extremes Wetter und die engen Häusergassen. Diese noch recht junge Stadt wurde damals von spanischen Einwanderern gegründet und wuchs aufgrund ihrer Wüstenlage recht schnell. Viele Touristen besuchen das Panorama jeden Tag und da sich ebenfalls das nationale Finanzzentrum hier niedergelassen hatte, kamen auch viele neue Leute in die Stadt. Ich selbst war einer dieser Menschen, da ich mich aus persönlichen Gründen hatte versetzen lassen. Meinen letzten Fall löste ich mit meiner ehemaligen Kollegin Lana noch auf, doch dann wurde mir klar, dass es Zeit für etwas Neues war. Etwas weniger Schmerzvolles, als diese nicht erwiderte Liebe.

Die Häusergassen San Nadjos waren deshalb so berühmt, weil es noch aus Gründungszeiten eine Stadtverordnung gab, welche besagte, dass zwischen jedem Haus mindestens fünf Meter Abstand sein mussten. Was damals relativ praktisch gedacht war, denn so konnten sich die Händler in der Stadt schnell und einfach bewegen, bot heute den idealen Platz für Kriminelle und solche, die es werden wollen.

Die schweren Atemgeräusche meines Verdächtigen wurden lauter und ich spürte am Kribbeln in meinen Fingern, dass ich ihm dicht auf den Fersen war. Das spornte mich zusätzlich an, noch einen Gang zuzulegen.

Plötzlich erkannte ich den Umriss einer innehaltenden Person, die in meine Richtung starrte. Doch als der große und stämmige Kerl mich ebenfalls lokalisiert hatte, rannte er weiter und bog um eine Ecke. Sofort hastete ich hinterher und folgte dem Flüchtenden in eine Gasse. Je näher ich kam, desto eher erkannte ich meinen Verdächtigen wieder. Er drehte sich, als ich ihn schließlich gestellt hatte, zu mir um und schaute mir zähneknirschend in die Augen.

»STOP! POLIZEI! Das Spiel ist aus, Carlos! Ergib dich und mach mir keine Schwierigkeiten!«, rief ich und richtete meine Waffe auf ihn.

Carlos rührte sich nicht. Er schien abzuwägen, ob eine Flucht oder die Kapitulation für ihn vorteilhafter wäre. Dieses Gedankenspiel erkannte ich und wollte ihm zuvorkommen. Ich ging einige Schritte vorwärts und taxierte ihn mit meinem Blick. Er blieb wie gelähmt stehen und starrte mich weiter schweigend an.

Als ich nur noch gute fünf Meter von ihm entfernt war, schien ich ihm zu nahe gekommen zu sein. Mit einer ruckartigen Handbewegung fasste er in seine Hosentasche und zog ebenfalls eine Waffe. Er richtete sie im selben Augenblick auf mich und schien bereit zum Schießen.

›Na super! Eine klassische Patt-Situation ...‹, dachte ich.

»Carlos!«, bemühte ich mich um einen ruhigeren Ton. »Leg die Waffe nieder und ergib dich. Erst dann kann ich beim Richter ein gutes Wort für dich einlegen. Für deine Taten als Drogendealer wirst du bestraft. Wenn nicht heute, dann auf jeden Fall später. Verkürze deinen eigenen Leidensweg und ergib dich!«

Er rührte sich nicht.

»Was habe ich davon? Ich habe gesehen, wie Sie meine Kollegen und Freunde alle einen nach dem anderen eingebuchtet haben! Bevor Sie in unsere Stadt kamen, Chefermittler Rex Jordan, ging es uns bestens! Doch plötzlich tauchen sie hier auf und vermasseln uns die Geschäfte! Sie zerstören unsere Lebensgrundlage!«

Carlos fluchte laut auf Spanisch und die Hand, mit der er die Waffe auf mich richtete, begann zu zittern. Manch ein anderer Kollege hätte jetzt möglicherweise Angst bekommen und etwas Dummes getan, aber ich war dazu entweder zu professionell oder lebensmüde. Ich ging weiter auf ihn zu.

»Das, was ihr da macht, ist keine ehrliche Arbeit. Ihr versorgt Junkies mit Drogen. Ihr helft anderen, verzweifelten Menschen dabei, ihr eigenes Leben zu zerstören! Damit kann man keinen ehrlichen Lebensunterhalt verdienen. Das ist Blutgeld!«, konterte ich.

In seinen Augen erkannte ich einen Funken Zweifel und wusste, dass ich ihn bald soweit haben würde. Mit einem Mal hörten wir allerdings Polizeisirenen in der Ferne laut aufheulen. Die Basis musste mein GPS-Signal geortet haben und wusste daher, wo ich mich befand.

»Carlos, geben Sie auf! Versauen Sie sich hier nicht ihre einzige Chance, noch glimpflich aus der Sache raus zu kommen!«

Der Zweifel in seinen Augen war dank der Sirenen verschwunden und Angst machte sich stattdessen breit. Das war gefährlich, denn Angst trieb Menschen zu Taten, die sie sich selbst nicht zugetraut hätten. Carlos kniff die Augen zusammen und war ganz offensichtlich drauf und dran abzudrücken. Glücklicherweise war ich schneller. Mit einem lauten Knall schoss ich und zielte dabei auf sein Bein.

Sein lauter Schrei verriet mir, dass ich trotz der Dunkelheit richtig gezielt und getroffen hatte. Vorsichtig ging ich auf ihn zu. Er lag am Boden und krümmte sich vor Schmerzen. Ich kickte zuerst die Waffe aus seiner Reichweite und riss danach einen Teil seines T-Shirts ab, um ihm damit notgedrungen die Wunde zu verbinden.

»Entschuldige bitte, Carlos. Du hast mir jedoch keine andere Wahl gelassen. Man wird sich gleich um dich kümmern«, sagte ich zu ihm mit sanfter Stimme und forderte über mein Funkgerät Verstärkung und einen Krankenwagen an.

Etwa nach einer Stunde war das Spektakel auch wieder vorbei. Ich beobachtete von Weitem die Sanitäter dabei, wie sie Carlos unter Polizeibewachung in den Krankenwagen luden. Er warf mir noch einen Blick zu, einen, der eine Mischung aus Wut und Verzweiflung innehatte. Ich war tief in mir sicher, dass es nicht das letzte Mal war, Carlos in dessen Job über den Weg zu laufen. Es war definitiv noch nicht vorbei.

»Rex, das war mal wieder unglaublich!«, rief mir jemand mit fröhlicher Stimme entgegen.

Ich drehte mich um und erkannte Henry Chen, meine rechte Hand und neuer Partner. Eine der Sanitäterinnen verrenkte sich bei seinem Eintreffen beinahe den Hals. Ich grinste. Es war kein Wunder, denn er war schlank, wenn auch etwas kleiner als ich. Seine schwarze Weste und die schlichte Jeans waren zwar ebenfalls nicht sonderlich auffällig, aber das Outfit stand ihm unglaublich gut. Seine blauen Augen leuchteten förmlich in der Dunkelheit, wobei sie unter den Gläsern seiner Brille sogar noch größer wirkten, als sie es tatsächlich waren. Mit der Hand fuhr er einmal durch seine schwarzen, kurzen und stets eigenartig zerzausten Haare. Er kam auf mich zu.

»Danke, Henry«, antwortete ich mit einem zufriedenen Lächeln.

Er war ein sehr ungewöhnlicher Partner. Als ich nach San Nadjo versetzt worden war und den Posten als Chefermittler bekam, erzählten mir die Kollegen schnell von ihm. Henry war Anfang Zwanzig und bewarb sich jedes Jahr aufs Neue um eine Stelle bei der Polizei. Die Polizeischule hatte er abbrechen müssen, weil seine Mutter an einer schweren Krankheit litt und er sich für eine gewisse Zeit um sie hatte kümmern müssen. Als er hinterher seine Ausbildung wieder aufnehmen wollte, verweigerte man ihm dies aus bürokratischen Gründen.

Seitdem hatte er jedes Jahr dieselbe Absage des Präsidiums von San Nadjo erhalten. Ich bewunderte allerdings seinen Ehrgeiz und bot ihm eine Stelle als mein Gehilfe an. Ich vermute, als ich ihm diese Nachricht in einem Schreiben schickte, bescherte ich dem jungen Mann damit den glücklichsten Tag seines Lebens. Bisher arbeiteten wir auch gut zusammen und ich hatte diese Entscheidung nicht bereut. Uns war aber beiden klar, dass er seine Ausbildung irgendwann wieder aufnehmen musste, denn nur als mein Gehilfe hätte er niemals die Chance, selbstständig einen angesehenen Posten zu erreichen. Das war uns glücklicherweise beiden bewusst.

»Ich kann kaum glauben, dass du schon wieder einen Drogendealer hochgenommen hast! Wenn du so weitermachst, gibt es in dieser Stadt bald keine mehr!«, meinte er begeistert.

»Doch, glaub mir, Drogendealer wird es immer geben. Die Kriminalität lässt sich nicht dadurch bekämpfen, indem wir einfach alle Verbrecher festnehmen. Es wird immer Leute geben, die das Verbrechen als letzte Maßnahme ansehen. Das Einzige was man tun kann, um die Kriminalitätsrate zu senken, ist den Menschen freien Zugang zu mehr Bildung, Aufklärung, einer besseren Grundversorgung und einem zufriedenen und gesicherten Leben zu verhelfen.«

Henry schaute mich mit großen Augen an, zückte anschließend in Windeseile sein Notizbuch und notierte meine Worte. Das war eine seiner eher nervigen Eigenschaften, denn er schrieb wirklich fast alles auf, was ich sagte. Einerseits war es gut, da er so tatsächlich etwas lernte, andererseits nervte es mich irgendwie tierisch.

Nachdem er fertig war, schaute er wieder auf.

»Das Leben hier in der Großstadt ist schon etwas anders, als das, was du so kennst, oder Rex?«

Ich musste als Reaktion auf die Frage zunächst einmal schmunzeln. Diesen Gedanken hatte ich selbst immer wieder gehabt. Ich fragte mich oft, wie sehr sich mein alter Arbeitsplatz von meinem neuen Unterschied.

»Weißt du, Henry, selbstverständlich gibt es einen Unterschied zwischen einer Kleinstadt und dieser hier. Ich würde nicht unbedingt sagen, dass die Großstadt interessanter wäre. Ich glaube, die schlimmsten und kompliziertesten Verbrechen geschehen genau da, wo man sie niemals erwartet. Beispielsweise im Hause des friedlichen Nachbarn mit dem Gartenzaun, oder aber im Ferienhaus der netten alten Dame, die einen schon ein paar Mal dorthin eingeladen hat.«

Wieder machte sich Henry Notizen und während er eifrig das Papier vollkritzelte, sah er auch nicht, wie ich mit einem Lächeln auf den Lippen die Augen rollte. Die Sanitäterin, die uns beobachtet hatte, war es allerdings aufgefallen und sie kicherte.

Nach kurzer Zeit schaute er wieder auf und wir beide beobachteten, wie sich der Krankenwagen mit Carlos auf den Weg zur Klinik machte.

»Und was machen wir nun?«, fragte Henry aufgeregt.

»Wir fahren zurück zur Wache. Schließlich müssen wir noch den Papierkram erledigen.«

Henry nickte zustimmend und wir machten uns beide auf den Weg zu meinem schwarzen Golf. Ich sah an seinem Blick, dass ihm nicht ganz wohl war. Er war nicht sonderlich gern bei uns auf der Wache. Die Kollegen spotteten ständig über ihn, da er die Polizeischule abgebrochen hatte. Sie wollten ihm die Geschichte mit seiner kranken Mutter einfach nicht abkaufen. Natürlich könnte ich ihn stets in Schutz nehmen und ihn verteidigen, doch das tat ich ganz bewusst nicht. Ich wollte, dass Henry die Stärke besaß, sich selbst zu behaupten. Früher oder später würde ihm das gelingen.

Ich hatte keine Zweifel daran, dass aus Henry einmal ein großartiger Chefermittler werden würde. Er zeigte bereits jetzt großes Talent.

Wir beide setzten uns schließlich in meinen Wagen und fuhren durch die hell erleuchteten Straßen von San Nadjo. Ich liebte das nächtliche Treiben und die vielen bunten Lichter der Großstadt.

Kapitel 2

Langsam aber sicher erreichten wir die Polizeidienststelle. Auch die nächtliche Dunkelheit wich allmählich und die ersten Sonnenstrahlen kämpften sich über den Horizont. Henry und ich hatten Frühschicht, weshalb unser Tag noch lang nicht vorbei war, obwohl wir schon ordentlich was geleistet hatten.

Wir bogen mit meinem Golf in eine weitere Seitenstraße ein und erreichten schlussendlich unsere Basis. Ich stellte mich auf meinen Parkplatz, nicht weit vom Haupteingang entfernt und warf einen Blick in den Rückspiegel, um das Gebäude zu betrachten. Ich fand es meist recht unspektakulär. Es hatte große graue Klinker und die Fenster waren mit einem besonderen Stein, vermutlich Sandstein, umrahmt. Die Tür bestand aus einer modernen, automatischen Glasschiebetür, die sich öffnete, sobald man nah genug dran war. Den Altbau – schon seit seiner Stadtgründung war das Polizeirevier von San Nadjo immer in diesem Gebäude gewesen – hatte man mittlerweile ordentlich saniert und auch ausgebaut. Früher war es nicht größer als ein normales Einfamilienhaus. Heute hatte es sage und schreibe fünf Stockwerke, wobei die beiden Obersten als reine Wohnungsetagen für die hier angestellten Personen und Gäste dienten.

»Na dann, auf zur Arbeit«, sagte ich freudig und Henry nickte mir zustimmend zu.

Wir beide machten uns auf den Weg zum Haupteingang. Wie gewohnt öffneten sich uns die Türen und wir betraten das große Gebäude. Auch der Empfangsbereich war großzügig angelegt. Mehrere besetzte Schalter kümmerten sich hier um die Belange der Bürger. Henry und ich verließen die große Eingangshalle und nahmen den Seiteneingang für das Personal, bis wir den kleinen schmalen Flur erreichten, der uns zu unserem Büro führte.

Henry folgte mir stetig auf Schritt und Tritt, obwohl ihm noch immer mulmig zu Mute war, wenn er an den Büroräumen der Kollegen vorbeiging. Plötzlich tauchte einer von ihnen vor mir auf und schaute uns beide skeptisch an. Hector Ramiréz trug einen Vollbart, wilde zerzauste Haare, war etwas stämmiger und steckte stets voller stolz in seiner Polizeiuniform. Mit einem breiten Lächeln auf den Lippen klopfte mir dieser kurz vor der Pensionierung stehende Kollege auf die Schulter.

»Ah, Rex Jordan, der Star unseres Reviers!«, rief er laut. »Ich habe gehört, dass du schon wieder einen Kriminellen erwischt hast! Ich bin ganz begeistert! Zugegeben, als du hier angefangen hast, dachte ich nicht, dass du etwas drauf hättest, aber mittlerweile hast du fast schon mehr Verbrecher dingfest gemacht als ich! Gratulation!«

»Vielen Dank«, sagte ich ruhig und musste leicht schmunzeln.

Jedes Mal, wenn Ramiréz sprach, musste ich an seinen Tischtanz auf der letzten Betriebsfeier denken. Er war zu betrunken gewesen, um sich daran erinnern zu können, doch die anderen Kollegen hatten genügend Beweismaterial, um ihm das ständig unter die Nase reiben zu können.

»Wenn wir nicht aufpassen und du so weitermachst, bist du bald unser neuer Polizeipräsident! Na, ob ich das noch erlebe, bevor ich meinen wohlverdienten Ruhestand genieße?«

Er strich sich nachdenklich über seinen Vollbart und musterte mich. Das tat er allerdings immer, wenn er in Gedanken etwas durchging. Dann fiel sein Blick auf Henry, der daraufhin ein wenig in Panik zu geraten schien. Jedenfalls sah es seinem Gesichtsausdruck nach so aus.

»Mein kleiner junger Mann, dass du es nach so vielen fehlgeschlagenen Versuchen doch tatsächlich noch in unser Team geschafft hast, grenzt auch an ein Wunder!«, sagte Ramiréz und grinste hämisch.

Henry antwortete nicht darauf, schaute einfach nur betroffen zu Boden. Zugegeben, für sein Alter hatte er sehr wenig Selbstvertrauen und auch sonst schien er noch nicht so ganz erwachsen geworden zu sein. Dennoch wollte ich ihm eine Chance geben und hoffte, dass er unter meiner Führung doch noch seinen Traum, bei der Polizei Karriere zu machen, erfüllen könnte.

»Naja, was soll´s. Ich muss dann mal weiter. Bin gespannt, was du als Nächstes von dir hören lassen wirst!«, sagte mein älterer Kollege, klopfte mir noch einmal kräftig auf die Schulter und ging den schmalen Flur entlang.

Nachdem er verschwunden war, warf ich einen kurzen Blick zu Henry. Er wirkte noch immer eingeschüchtert.

»Henry, lass dich doch von dem alten Kauz nicht so aus der Bahn werfen. Du musst lernen dich zu behaupten. Denk daran: Wie soll dich ein entlaufener Verbrecher für voll nehmen, wenn es nicht einmal deine Kollegen tun?«, meinte ich und blickte ihn skeptisch an.