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Es war noch früh als Kommissar Rex Jordan einen Anruf seiner Kollegin erhielt. Im friedlichsten Viertel der Stadt wurde tatsächlich ein Rentner kaltblütig erschlagen. Der Täter hinterließ keinerlei verwertbare Spuren. Schlimmer noch, denn das Opfer war der Polizei gut bekannt als streitsüchtiger alter Mann. Die einzigen verwertbaren Hinweise versteckten sich in den Zeugenaussagen der Bewohner dieser einst so hochangesehenen Straße. Ob die Kommissaren Rex Jordan und Lana Deier den Fall lösen und diesen mysteriösen Mord aufzuklären können?
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Seitenzahl: 224
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Ich widme dieses Buch meinen Eltern, da sie manchmal selber wie Ermittler herausfinden müssen, wer ihnen ihr reserviertes Essen aus dem Kühlschrank gestohlen hat.
Kapitel 1: Der Mord
Brrrrrrrr ... Brrrrrr ... Brrrrrrr ...‹
Mein Handy vibrierte so laut, dass ich schon dachte, jemand würde mit einem Presslufthammer versuchen bei mir einzubrechen. Gequält drehte ich mich zur Seite und schaute auf den Wecker. Es war gerade einmal sechs Uhr in der Früh. Klasse, genau meine Zeit zum Aufstehen ...
Nur mühsam konnte ich mich aus der Bettdecke befreien und setzte mich aufrecht auf die Bettkante. Mir wurde ganz komisch dabei, da ich noch im Schlafmodus war. Mein Körper hatte wohl noch nicht realisiert, dass es jetzt Zeit war aufzustehen. Auch meine Augen schienen davon nichts zu wissen, denn als ich nach dem Handy griff und das Display einschaltete, bekam ich ein ungefähres Gefühl davon, wie sich wohl eine Lasertherapie zur Augenkorrektur anfühlen musste – ohne jegliche Anästhesie wohlgemerkt. Ich entsperrte es und sah den verpassten Anruf. Er war von Lana, meiner Kollegin und besten Freundin. Wenn sie mich um diese Uhrzeit anrief, musste etwas Ernstes passiert sein. Das war der Nachteil an meinem Job. Man war rund um die Uhr im Einsatz.
Ich stand auf und schlurfte hinüber in Richtung Bad, welches sich direkt neben dem Schlafzimmer befand. Der Lichtschalter war schnell gefunden und neben den weißen Kacheln, der kleinen Wanne und der mintfarbenen Toilette, stellte ich mich vor das dazu passende Waschbecken und blickte verpennt in den Spiegel.
Meine grünen Augen waren noch voller Schlafsand, den ich gähnend weg rieb, um mich kritisch betrachten zu können. Ja, heute war wieder einiges zu tun. Um meine schmalen Lippen wuchs ein Dreitagebart in voller Montur, dafür wurde das markante Erscheinungsbild meines Gesichts lediglich durch die Narbe, quer über der Stirn, gestört. Ich hatte sie beim Einsatz von einem Terroristen verpasst bekommen. Der hatte wirklich gut mit einem Messer umgehen können, unterschätzte jedoch Lana, die sich mit Waffen besser auskannte als ich. Ich starrte weiter auf mein Spiegelbild. Meine recht kurzen, dunkelbraunen Haare waren zerzaust und um meine Frisur ganz zu begutachten, musste ich mich vor dem Spiegel etwas verneigen. Nicht jeder hatte Durchschnittsgröße, doch leider konnte ich an der Einrichtung nichts ändern, auch wenn sie mich störte.
Ich wusch mir das Gesicht und putzte die Zähne. Deodorant und die wieder zurechtgemachten Haare wurden natürlich ebenfalls nicht vernachlässigt. Mann wollte schließlich nicht aussehen wie ein Vagabund und Frau würde es hoffentlich zu schätzen wissen.
Zurück im Schlafzimmer kramte ich eine dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt aus dem Kleiderschrank, in der Schublade fand ich dann noch passende Unterwäsche und Socken. Während ich mich umzog, lief in der Küche schon die Kaffeemaschine. Ich liebte dieses Ding! Sobald mein Handy bemerkte, dass ich morgens aufstand, wurde die Kaffeemaschine übers Internet benachrichtigt, dass sie mir schon einmal Kaffee aufsetzen konnte. Das war ein wahrgewordener Traum für mich als Kaffeejunkie.
Als endlich das Outfit saß, füllte ich meinen Coffee-to-Go-Becher mit dem tiefschwarzen Wachmacher und schlüpfte in meine Lederjacke. Diese Kombi konnte man mittlerweile als mein Markenzeichen ansehen, denn man erwischte mich nur selten ohne. Im Flur lagen noch die Schlüssel und meine Marke. Auf dem kleinen Stück Metall stand: ›Erster Detektive - Rex Jordan‹. Ja, ich war ziemlich stolz, dieses Ding mein eigen zu nennen ...
Auf dem Weg durchs Treppenhaus suchte ich Lanas Nummer im Handy. Hinter ihrem Namen hatte ich das Symbol einer Pistole eingespeichert. Dass sie mir damals das Leben rettete, würde ich wohl niemals vergessen, dennoch zog sich jedes Mal, wenn ich dieses Symbol sah, mein rechter Mundwinkel zu einem kleinen Grinsen nach oben. Lana würde für mich immer genau diese Lana bleiben.
Ich wählte die Nummer und räusperte mich. Von Natur aus hatte ich bereits eine eher rauere Stimme, aber morgens war das noch wesentlich schlimmer.
»Hey Rex!«, sagte sie nach dem Rangehen. »Das hat ja diesmal gar nicht so lange gedauert, bis du zurückrufst. Eigentlich dachte ich, du wirst langsam alt. Aber Anfang dreißig müsste man doch noch recht fit sein.«
Ich liebte und hasste sie gleichermaßen für ihren Humor. Meistens trug ich es mit Fassung und die Kollegen hatten sich nach ein paar Monaten ebenfalls schnell daran gewöhnt.
»Dir auch einen guten Morgen, Lana. Zwischen uns liegen nur ein paar Jahre und trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, dass man dir nicht rechtzeitig Bescheid gegeben hat, wann die Pubertät für gewöhnlich vorbei ist.«
Mit einem pseudoverächtlichen Schnauben nahm sie meinen Konter zur Kenntnis und kam auf das Wesentliche zu sprechen.
»Wir haben einen neuen Fall«, sagte sie diesmal mit ernsterem Ton, »Rosenweg 5. Ermordeter Rentner. Beeil dich!«
»Alles klar. Ich bin unterwegs«, antwortete ich und legte auf.
Ich eilte die Stufen hinab. Unten vor der Haustür des Wohnhauses lauerte leider das Schreckgespenst der Mietgemeinschaft. Der alte Drachen des Hausmeisters war furchtbar! Nachdem ihr Mann gestorben war, hatte sie die Hausmeistertätigkeiten übernommen und machte uns nun allen gleichermaßen das Leben zur Hölle.
Sie beschwerte sich, wenn man nachts um zwei Uhr früh durchs Treppenhaus schlich und schimpfte lauthals über den ganzen Hof, wenn die Kinder nachmittags draußen auf der Rasenfläche Fußball spielten. Bereits als sie mich erblickte, glänzten ihre grauen Augen. Sie stierte in meine Richtung und ihr Haar sah mal wieder aus, wie ein verlassenes Vogelnest. Sobald sie sprach, bewegten sich normalerweise passend zum Mund auch alle Gesichtsfalten im Rhythmus und jede Pustel schien dabei zu tanzen. Es war jedes Mal ein schauriger Anblick und selbst ich, der einiges gewohnt war, schüttelte es ab und an dabei.
»Na, Herr Jordan. Mal wieder ein seltsamer Fall?«, begrüßte sie mich mit sarkastischem Unterton.
Sie hielt nicht viel von unserer Polizei. Nachdem die Kollegen ihr versichert hatten, dass ihr Mann nicht vergiftet worden war, wovon sie allerdings bis heute fest davon ausging, hatte sie den Glauben an das Rechtssystem verloren und hielt dadurch auch meinen Job für absolut überflüssig. Ich kannte den Kollegen, der den Fall damals bearbeitet hatte. War ein netter Kerl, bis der Drachen ihn mit Klagen und Beschwerden so fertigmachte, dass er sich versetzen ließ. Seitdem herrschte zwischen ihr und der Polizei Funkstille, worüber meine Kollegen und ich auch heilfroh waren.
»Ja, Frau Schnatt«, sagte ich ihr im Vorbeigehen, ohne sie auch nur anzusehen.
Ich wunderte mich nicht, dass sie so früh auf den Beinen war. Sie streifte nachts gegen zwei genauso durchs Treppenhaus wie auch morgens um fünf. Vielleicht benötigten Drachen nicht so viel Schlaf? Ich wusste es nicht. Aber was ich wusste, war: Mit dieser Frau gab es nur Ärger, also hielt ich mich so weit von ihr entfernt, wie nur irgendwie möglich! Ich blickte also gestresst auf meine Uhr und tat so, als würde ich ihr Murren nicht hören, als ich von ihr weg hastete.
Draußen ging ich einmal ums Haus und stieg anschließend in meinen schwarzen Golf. Ich liebte das Autofahren! Gut, da war ich sicherlich als Mann nicht alleine mit dieser Vorliebe. Nur das Radio ertrug ich so früh am Morgen noch nicht. Diese pseudofröhlichen Moderatoren, die mir mit aufgeputschter Stimme vorlogen, dass heute ein wunderbarer Tag werden würde und alles auf dieser Welt in Ordnung wäre.
Ich hatte bereits so viele Morde gesehen und die Abgründe der Menschheit soweit erforscht, dass ich anderer Meinung war. Diese Welt war alles andere als in Ordnung!
Ich startete den Wagen und während ich langsam durch die Straße fuhr, gab ich dem Navigationssystem über die Spracheingabe die Adresse durch. Mein Kaffeebecher befand sich im Getränkehalter und zwischendurch nahm ich einen kräftigen Schluck, um wieder etwas Klarer zu werden. Draußen herrschte tristes Wetter. Dieser Morgen war kalt, nebelig und mit dicken grauen Wolken behangen. Ich war gespannt, wie der neue Fall wohl diesmal aussehen würde.
Das Navigationsgerät gab mir entsprechende Anweisungen und während der Fahrt sah ich bereits mehr Menschen auf den Beinen, als ich vermutet hätte. Vor dem Supermarkt erblickte ich eine junge Frau mit Kind. Das Kuriose dabei war, dass sie selbst fast noch ein Kind zu sein schien. Vielleicht höchstens Anfang zwanzig und musste morgens um diese Uhrzeit mit ihrem Kind unterwegs sein. Was sie wohl taten und wohin die beiden wollten? Ich bekam es leider nicht raus, sah nur, wie sie das Kind etwas abgehetzt hinter sich her zog. Irgendwie traurig.
Nur wenige Minuten später fuhr ich an einem Haus vorbei, das mittlerweile die besten Jahre bereits hinter sich hatte. Davor jätet eine Rentnerin ihren Vorgarten und pflanzte neue Blumen. Ich fand das ›krass‹, wie man früher bei uns zu sagen pflegte. In meinem Alter war ich in der Lage ohne Kaffee direkt hinter dem Steuer einzuschlafen, sie jedoch konnte putzmunter den Vorgarten pflegen. Ich wusste noch aus dem Biologieunterricht, dass das Schlafbedürfnis des Menschen mit fortschreitendem Alter abnahm, trotzdem fand ich den Unterschied zwischen ihr und mir recht extrem.
Schließlich erreichte ich mein Ziel, wie mein Navi erfreut verkündete, parkte eine Straße vom Tatort entfernt und ging den Rest zu Fuß, um mir einen Eindruck der Umgebung zu verschaffen. Schon vor dem Betreten sprang mir das strahlend weiße Straßenschild förmlich ins Auge. ›Rosenring‹ konnte ich dort lesen.
Ja, diese Straße war mir wohlbekannt. Dieser Teil der Stadt war besonders bei amerikanischen Immigranten ein beliebter Ort zum Niederlassen. Sie genoss den Ruf, die schönste und ruhigste Straße der ganzen Stadt zu sein, ähnlich wie eine typische amerikanische Vorstadt. Nun gut, jedenfalls hatte sie diesen bis vor ein paar Jahren noch gehabt. Dann begann der Terror des Rentners, welcher auch in dieser Straße wohnte. Auf der Wache nannten wir ihn nur ›den Alten‹.
Er rief fast täglich an und meldete die absurdesten Gesetzesverstöße, die ich jemals gehört hatte. Einmal wollte er seine Nachbarn anzeigen, da deren Baum mit dem Geäst etwas über deren Grundstücksgrenzen hinausragte und das wohl gegen die Bauschriften verstieß. Er hätte es mit einem Lineal nachgemessen. Ein weiteres Mal wollte er seine Nachbarin anschwärzen, weil er mitbekam, dass sie Bioabfall in der Restmülltonne entsorgte.
Ich hatte seit dem Betreten der Straße ein ungutes Gefühl im Bauch, dass er etwas mit dem aktuellen Fall zu tun haben könnte, und mein Bauchgefühl hatte mich bislang noch nie enttäuscht.
Zudem war es seltsam ruhig. Zu ruhig! Klar, die meisten schliefen wohl um diese Uhrzeit noch, aber hier war es etwas anderes. Die Mülltonnen waren alle reingeholt worden, jede Jalousie war ausgefahren, in keinem der Häuser sah man Licht. Außerdem lag eine seltsame Stille über der Straße. Es kam mir vor, als ob jeder wüsste, was hier passiert war und sie sich nun versteckten. Die Polizei mit dem Blaulicht sorgten ja normalerweise eher für die gegenteilige Reaktion. Die Leute kamen meist aus den Häusern und wollten wissen, was passierte und wieso wir da waren. So war es hier allerdings nicht. Niemand zu sehen. Kein Kind, kein Erwachsener. Verdächtig!
Ich ging die Straße weiter hinunter und sah vor dem Haus mit der Hausnummer 5 die Polizeiwagen sowie Lanas Dienstwagen stehen. Sie wartete bereits auf mich. Ihr schulterlanges, blondes Haar leuchtete bei diesem Wetter beinahe und ich glaubte, ihre blauen Augen leicht aufblitzen zu sehen. Ihr schmaler Körperbau wurde vom üblichen Outfit umrundet: Eine enge Jeans und ein ebenso enges Oberteil. Beides in dunklen Farben, wie meine Klamotten auch. Das typische Aussehen für eine junge Ermittlerin.
Die Jungs von der Spurensicherung waren ebenfalls eingetroffen und taten ihr Bestes. Als ich auf Lana zuging, die mich bereits mit sehr ernstem Gesichtsausdruck fixierte, bemerkte ich, wie das tote Opfer in dem typischen schwarzen Leichensack ins Auto befördert wurde, um anschließend in der Gerichtsmedizin zu landen.
Das Haus sah von außen betrachtet eigentlich unscheinbar aus. Es hatte rote Ziegel, ein schwarzes Dach und auch lediglich eine Etage. Meiner Meinung nach das typische Haus, um sich zur Ruhe zu setzen. Was mich auf meine Theorie mit dem Alten zurückbrachte. Was war hier denn nur geschehen?
Endlich erreichte ich Lana. Sie musste noch schnell ein Formular unterschreiben, welches ihr der Typ von der Spurensicherung in die Hand drückte. Lana seufzte.
»Ja, danke. Dann sammel dein Team wieder ein und analysiert die Beweise«, sagte sie leise und der Typ nickte. Wie hieß er nochmal? Ich und mein Namensgedächtnis.
»Dir auch einen schönen guten Morgen«, sprach ich Lana an.
»An diesem Morgen ist gar nichts gut, Rex! Wir haben einen Mord. Es handelt sich um einen gewissen Artur Deich. Und rate mal: Ja, es handelt sich um denselben Rentner aus dieser Straße, der ständig wegen Lappalien bei uns angerufen hat um Nachbarn anzuschwärzen.«
»Na klasse!«, ächzte ich. »Dann haben wir also eine ganze Straße voller Verdächtiger.«
»Ja, leider. Aber es kommt noch besser: Ist dir schon einmal aufgefallen, wie sich die Leute hier verhalten, seitdem wir da sind?«, fragte sie und verzog dabei den schmalen Mund.
»Welche Leute denn? Ich hab keine gesehen.«
»Ja, eben!«, schnaubte sie und schnippte mit dem Finger vor meiner Nase. »Genau das ist der Punkt. Normalerweise können wir uns doch vor Gaffern kaum retten. Hier sind scheinbar alle ausgeflogen und das ist mehr als ungewöhnlich.«
Ich konnte nur zustimmen. Das waren schließlich die gleichen Gedanken gewesen, die mich beschäftigt hatten. Wir betraten also gemeinsam den Tatort und schauten uns um.
Artur Deich lebte ziemlich schlicht. Im Wohnzimmer standen nur eine Couch, ein breiter Röhrenfernseher und ein kleines Bücherregal. Auch in der Küche schien jegliche moderne Technik zu fehlen und im spartanisch eingerichteten Schlafzimmer fand sich nur eine Matratze auf dem Boden. Kein Bett. Eigenartig! Dafür war sein Garten topgepflegt. Überall wuchsen die verschiedensten Blumen und Büsche, der Rasen schien akkurat gemäht und jede Hecke war perfekt geschnitten, zumindest soweit ich das beurteilen konnte.
Selbst einen kleinen Springbrunnen hatte er im Vorgarten stehen. Zwei Engel, die Wasserkrüge in den Himmel hielten. Nett, wenn auch etwas kitschig.
Lana führte mich nach hinten zur Terrasse, wo ich an der Markierung erkennen konnte, dass hier die Leiche gelegen haben musste. Neben der Markierung befanden sich zerbrochene, bunt bemalte Tonscherben und eine kaputte, alte Hornbrille.
Der Typ von der Spurensicherung – Mist! Wie war nun sein Name? – kam zurück und klärte uns auf.
»Hier wurde die Leiche gefunden. Erschlagen wurde er, allem Anschein nach, mit diesem Gartenzwerg. Wenn ich mir die anderen dort drüben ansehe, könnte es aus seiner eigenen Sammlung sein. Die Brille fiel dabei wohl herunter. Gestorben ist er, laut dem Gerichtsmediziner vor Ort, vermutlich nach an einem kräftigen Schlag auf dem Hinterkopf. Das wird aber durch die Obduktion nochmals überprüft. Es wurden keine Anzeichen eines Kampfes gefunden, weswegen wir davon ausgehen, dass das Opfer vom Täter überrascht wurde. Eventuell kannte er ihn oder sie. Mehr wissen wir leider noch nicht. Ob sich Fingerabdrücke auf den Tonscherben befinden und die definitive Todesursache, erhaltet ihr dann im Bericht.«
Lana kniff die Augen zusammen. Das tat sie immer, wenn sie unzufrieden war.
»Gibt es keine Hinweise auf den Täter?«, fragte sie.
»Nein, leider nicht. Wir haben weder Fingerabdrücke gefunden noch fremde DNA-Spuren. Es scheint so, als gäbe es keinen Täter. Es wurden auch keine Einbruchspuren oder andere Gewalteinwirkungen in der näheren Umgebung gefunden. Also scheint man das Opfer hier auf der Terrasse von hinten überrascht zu haben und der Täter konnte danach unbemerkt flüchten, ohne auch nur eine einzige Spur zu hinterlassen. Sowas hatte ich bis jetzt echt selten.«
»Hm ... Okay, danke erstmal. Wir melden uns, sollten wir noch Fragen haben«, sagte ich und beendete das Gespräch damit. Der Typ von der Spurensicherung nickte Lana zu und verschwand. Ich grübelte noch immer wegen seines Namens, doch nun hatte ich wirklich anderes zu tun.
»Einen Täter, den es scheinbar nicht gibt?«, wandte sich Lana ungläubig an mich.
»Es gibt keinen Täter auf der Welt, der absolut keine Spuren hinterlässt. Jeder Mensch hinterlässt Spuren! Wenn keine Physischen, dann eben andere. Ich denke, die Nachbarn wären eine Möglichkeit«, brummte ich und Lana nickte dabei ernst.
Wir machten uns allerdings erst einmal auf den Weg zurück zum Revier. Da Lana bei mir mitfahren sollte, brachte ein Kollege ihren Dienstwagen zurück zum Präsidium, damit es nicht am Tatort zurückblieb. So machten wir uns zusammen zurück auf den Weg zu meinem Auto. Als wir jedoch an einem Haus vorbeikamen, flüsterte Lana plötzlich:
»Schau mal nach links, Hausnummer 3.«
Langsam und unauffällig drehte ich den Kopf nach links. Ich sah, dass im oberen Stockwerk Licht brannte und ein Schatten am Fenster zu sehen war.
»Wie es aussieht, sind doch nicht alle ausgeflogen«, raunte ich Lana zu.
»Scheint so. Ich glaube, diese Straße hat ihren guten Ruf in der Stadt damit heute ein für alle Mal verloren.«
Anschließend gingen wir schweigend, aber die Umgebung beobachtend weiter, bis wir meinen Golf erreichten. Während der Fahrt fragte ich Lana, ob es ihr gut ginge und ob es etwas Neues aus ihrem Leben gäbe. Solche Momente waren selten. Ich meinte damit die, in denen wir nicht nur über die Arbeit sprachen, oder über irgendwas, was auch nur entfernt damit zu tun hatte. Als normale Freunde miteinander reden zu können ... Plötzlich aber schrie sie:
»Pass auf das Mädchen auf!«
Mit einem Satz riss ich das Lenkrad rum und hupte einmal kräftig, um etwas gegen das Adrenalin tun zu können. Es half nichts.
»Ist die denn verrückt geworden?!«, brüllte ich erschrocken und stinksauer zugleich.
Ein braunhaariges Mädchen war völlig gedankenverloren mitten auf die Straße gefahren. Als ich an ihr vorbei kurvte, funkelte sie mich nur empört und wütend an, während ich am Überlegen war, anzuhalten und ihr einen Strafzettel oder sowas zu verpassen. Vom Adrenalin her hätte es aber auch eine Tracht Prügel sein können. Lana entspannte die Situation jedoch, indem sie auf einmal laut auflachte.
»Wo hast du denn deinen Führerschein gemacht, Rex?«, spottete sie. »Hat man dir in der Fahrschule nicht beigebracht, immer gut auf den Verkehr zu achten? Zum Glück bist du kein Verkehrspolizist!«
Ich seufzte einmal laut auf und durfte mir dann für den Rest der Fahrt Lanas Spott und Sticheleien gefallen lassen. Daran war ich ja schon gewöhnt. Irgendwann würde ich ihr das alles heimzahlen, das war gewiss!
Vor dem Präsidium angekommen, sagte Lana, dass sie durch die Pathologie gehen würde. Sie wollte vom Gerichtsmediziner die Todesursache bestätigt bekommen. Während Lana bereits die Treppe zum Keller des Gebäudes entlangging, verschloss ich das Auto via Funk und betrachtete kurz das Gebäude, dem ich tagtäglich einen Besuch abstattete. Es sah unspektakulär aus, obwohl es für mich wichtig war. Ein großes, altes Haus aus rotem Backstein, mit blauem Polizeischild über dem Haupteingang.
Zügig marschierte ich darauf zu und hinein, musste mich allerdings zunächst durch den Tumult im Besucherbereich quälen. Dieser mysteriöse Mordfall hatte natürlich die Presse der Stadt auf den Plan gerufen. Noch bevor sie versuchten, sich dem Tatort zu nähern, dachten die meisten Reporter und Journalisten, dass sie besser Informationen aus offizieller Quelle abtippen sollten. Auch wenn die meisten selbst nach Jahren noch nicht verstanden hatten, dass wir aus ermittlungstechnischen Gründen nur auf offiziellen Pressekonferenzen Details nannten, war es mir nur recht. So machten sie zumindest nicht unseren Tatort unsicher und vergraulten die Zeugen.
Auf dem Weg zum Labor drückte mir ein Kollege mit blondem, kurzem Haar einen Bericht in die Hand.
»Ich dachte, ich mache die Standardüberprüfung schon einmal für dich, Rex«, sagte er mit freundlichem Lächeln.
»Jo, danke Meyer«, antwortete ich ohne ihn anzusehen, denn mein Blick wanderte sofort zum Bericht. Aber auch dieser half mir nur wenig.
›Hm ... keinerlei Auffälligkeiten in der Anruferliste‹, dachte ich.
In meinem Büro angekommen setzte ich mich an den Schreibtisch und ließ den Blick durch den Raum schweifen. Ich teilte es mir mit Lana, weswegen auch in der Mitte des Raumes zwei sich gegenüberstehende Schreibtische standen, direkt vor dem großen Fenster. Gegenüber des Fensters befand sich an der Wand ein großes White-Board, auf dem wir die Ermittlungsergebnisse festhielten und Lanas insgesamt 6 – ja, Tatsache, 6 Stück – große Zimmerpalmen standen in nahezu jeder Ecke. Sie war unglaublich pflanzenbegeistert und das bekam auch ich hier zu spüren.
Ich legte den Bericht gerade auf Lanas Schreibtisch, als sie auch schon durch die Tür trat und sich an ihren Schreibtisch setzte.
»Keinerlei Neuigkeiten vom Gerichtsmediziner. Wir wissen bis jetzt nur, dass das Opfer braune Augen, eine Hakennase, schmale Lippen, sowie eine Glatze mit auffälligen Muttermalen darauf hat und eine Hornbrille trug. Am Tatabend stand er in einem Hemd mit kurzen Ärmeln, sowie einer khakifarbenen Cargohose auf der Terrasse. Das Opfer starb sehr wahrscheinlich an dem erlittenen Schlag auf den Kopf. Sollte es Neuigkeiten geben, meldet er sich bei mir«, sagte sie fast schon enttäuscht und heftete ein Bild des Opfers an das White-Board.
»Okay. Auch aus seiner Anruferliste ergeben sich keine Auffälligkeiten«, ergänzte ich und deutete dabei auf den Bericht auf Lanas Schreibtisch, den sie kurz überflog.
»Das ist ein sehr seltsamer Fall«, meinte Lana, setzte sich wieder an den Schreibtisch und begann, auf ihrer Tastatur herum zu tippen.
»Ich habe hier bereits die ersten groben Erkenntnisse des Spurensicherungsberichts. Frank aus der forensischen Abteilung schreibt, dass auf den Tonscherben definitiv keine Fingerabdrücke zu finden waren. Lediglich auf dem Opfer hat man Spuren von Maismehl gefunden. Es wird dazu genutzt, um Einmalhandschuhe gleitfähiger zum Anziehen zu machen«, erklärte sie mir.
»Na gut«, überlegte ich laut. »Also wissen wir, dass der Täter Einmalhandschuhe bei der Ausführung der Tat getragen haben muss. Bloß gut, dass man die in keinem Haushalt findet.«
»Nun sei mal nicht so pessimistisch, Rex! Wir wissen jetzt immerhin schon mal eine ganze Menge über Artur Deich.« Lana schloss kurz die Augen, ehe sie mit der Aufzählung begann. »Er wohnte im Rosenring 5, war unglaublich unbeliebt in der Straße, lebte allein, wurde ermordet und schien ein echter Choleriker gewesen zu sein. Hat er denn Familie?«
Es war eine rhetorische Frage. Lana redete anfangs meist nur mit sich. Sie tippte währenddessen den Namen des Opfers in den PC ein und fand heraus, dass er keinerlei Familie mehr hatte.
Seine Frau war früh gestorben und ihre Ehe kinderlos gewesen. Geschwister hatte er auch keine gehabt und über andere Familienangehörige gab es hier keinen Eintrag. Er lebte allein, zurückgezogen und von seiner kleinen Rente.
»Das bedeutet, dass irgendjemand Herrn Deich am Tatabend auf der Terrasse aufgelauert und ihn schlicht mit seinem eigenen Gartenzwerg ins Jenseits befördert hat, richtig?«, fragte ich nochmal nach. Ich war bemüht, nicht allzu sarkastisch zu klingen, denn im Grunde hatte man uns das nun mehrfach so zusammengefasst, nur mit anderer Wortwahl.
Lana nickte. Sie stand vom Schreibtisch auf, ging herüber zum White-Board und begann, die wichtigsten Fakten dort festzuhalten. Nach etwa zwei weiteren Stunden der Diskussion kamen wir zu dem Entschluss, dass als Täter wohl nur einer der Nachbarn infrage kommen konnte. Ein Einbrecher wäre mehr als unwahrscheinlich gewesen, da im Haus selbst keinerlei Wertsachen fehlten. Auch andere typische Verbrechen konnten wir guten Gewissens ausschließen.
»Außerdem hat er seine Nachbarn ja regelrecht tyrannisiert«, meinte Lana.
Vermutlich war einem der Nachbarn der Geduldsfaden gerissen. Das Gefühl hatte ich schon beim Betreten der Straße gehabt und wie bereits gesagt, täuschte sich mein Bauchgefühl äußerst selten.
In den kommenden Tagen wollten wir die Nachbarn einzeln verhören. Jede Partei für sich. Wir beschlossen einstimmig, die bis jetzt eingegangenen Anzeigen von Herrn Deich systematisch zu analysieren und die Nachbarn in der Reihenfolge zu verhören. Derjenige mit dem meisten Anzeigen war zuerst dran. Dieser hatte wahrscheinlich auch das größte Tatmotiv. Hoffentlich würden wir dadurch endlich weitere Erkenntnisse erlangen.
Kapitel 2: Collen & Janett Jackson
Seit dem Mord an Artur Deich war mittlerweile ein Tag vergangen. Neue Erkenntnisse lagen bislang nicht vor. Ich stieg gerade aus dem Golf, den ich mal wieder auf dem Präsidiumsparkplatz abgestellt hatte, und machte mich auf den Weg zum Büro, als Lana mich bereits auf der Straße aus dem Fenster heraus anpfiff.
»He! Du bist spät dran. Jetzt beeil dich gefälligst!«, rief sie mir zu. »Wir haben heute einiges vor und du trödelst rum!«
Genervt machte ich mich nun im Eilspurt auf den Weg zu unserem Büro. So viel Verspätung hatte ich nun auch wieder nicht. Nun gut, vielleicht ein bisschen. Mich morgens zu motivieren, war nicht immer erfolgreich. Ich hastete am üblichen Presserummel und den genervten Kollegen vorbei, die versuchten diesen zu bändigen. Mich sprach schon lange kein Lokalreporter mehr an. Egal, welchen Fall ich auch hatte. Seitdem ich einem sehr nervigen Reporter vor ein paar Jahren eins auf die Nase gegeben hatte, ließen die mich in Ruhe. Das Disziplinarverfahren war es mir wert gewesen!
»Guten Morgen«, gab ich mir Mühe halbwegs freundlich zu klingen. »Irgendetwas Neues?«
Lana schüttelte nur den Kopf.
»Nein, aber heute starten wir die Verhöre. Als Erste sind Janett und Collen Jackson dran. Sie wohnen dem Opfer direkt gegenüber und haben auch die meisten Anzeigen seinerseits erhalten. Ganz nette Sachen. Einmal zeigte Herr Deich Frau Jackson an, weil sie mit dem Düngen ihres Vorgartens wohl gegen Umweltrichtlinien verstieß und sie zeigte ihn des Öfteren wegen rassistischer und diskriminierender Beleidigungen und Ausführungen an.«
»Also ist unser Opfer auch noch ein Rassist gewesen?«, fragte ich. Bei diesem Typen wunderte mich mittlerweile echt nichts mehr.
»Ja, scheint so. Des Weiteren ist Herr Jackson vom Beruf Klempner und unser Opfer stand mit der Zahlung eines Auftrages im Rückstand. Das geht aus den Unterlagen hier hervor«, erklärte sie und tippte auf ein weiteres Schriftstück, das ich noch nicht gelesen hatte. »Es scheint, richtig zur Sache gegangen zu sein, wohl auch mit Handgreiflichkeiten.«
»Das hieße, dass beide ein Motiv hätten«, überlegte ich laut und Lana nickte.
Wir suchten noch einige Zeit in den Tiefen der Datenbanken, auf die wir Zugriff hatten. Mir fiel noch etwas anderes auf, als ich weiter in der Vergangenheit der Jacksons forschte.
»Schau mal hier ... Vor einigen Jahren gab es in Frau Jacksons ehemaliger Uni einen Vorfall«, raunte ich und starrte weiterhin auf den Bildschirm meines Computers, während Lana vom Platz aufstand und zu mir herüberkam.
»Zeig mal her!«, sagte sie und stellte sich hinter mich. Ihr Körper strahlte Hitze ab.
»Ich habe hier noch eine Anzeige aus alten Zeiten. Ihr Professor wollte wohl damals aus rassistischen und diskriminierenden Gründen ihr Diplom nicht ausstellen. Sie war deswegen anscheinend ausgerastet, jedenfalls laut dieser Anzeige des Professors«, erklärte ich und scrollte durch den Bericht.
»Welch ein Glück für Frau Jackson«, meinte Lana stumpf. »Dann hatte sie damals bereits mit Rassisten zu tun und zog anschließend zu einem in die Nachbarschaft.«
»Ja, scheint so. Manche Menschen haben wohl einfach Pech. Hattest du denn schon einmal einen Fall mit rassistischem Hintergrund?«, wollte ich von Lana wissen, denn mir selbst war so etwas eher fremd.