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Kurt Tucholskys Liebesgeschichte über ein junges, unverheiratetes Berliner Paar, das drei sorgenfreie Tage im brandenburgischen Rheinsberg verbringt, verursachte bei ihrer Erstveröffentlichung im Jahre 1912 einen Skandal. Heute erinnert sie an die Unbeschwertheit der Jugend sowie die unaufhaltbare Kraft der frischen Liebe.
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»Rheinsberg – ein Bilderbuch für Verliebte« verursachte einen mittleren Skandal, als es 1912 erschien, zumal Wochenendausflüge von unverheirateten Paaren im Wilhelminischen Kaiserreich als sittenwidrig galten. So ist wahrscheinlich den meisten LeserInnen von damals entgangen, dass der 22jährige Kurt Tucholsky, der darin seinen eigenen »sittenwidrigen« Aufenthalt in der brandenburgischen Provinzstadt verarbeitete, nicht nur eine wunderschöne und erstaunlich moderne Liebesgeschichte vorlegte, sondern auch augenzwinkernd der prüden und wenig spontanen deutschen Vorkriegsgesellschaft einen Spiegel vorhielt.
Kurt Tucholsky (1890-1935) war der bekannteste Satiriker und Gesellschaftskritiker seiner Epoche. Neben zahllosen Reportagen und Kritiken verfasste er mehrere Romane sowie Gedicht- und Liedersammlungen. Von den Nationalsozialisten vertrieben, starb er im schwedischen Exil. Seine Grabschrift lautet: »Hier ruht ein goldenes Herz und eine eiserne Schnauze. Gute Nacht!«
Unsern lieben Frauen
M. W.
K. F.
C. P.
… das beginnt nach der Liebeserfüllung; nicht vorher. Da entfalten die Seelen ihre volle Stärke, nicht vorher. Da geht der Kampf in voller Rüstung, nicht vorher. Da stehen die Charaktere auf gleichem Feld, nicht vorher. Da sind die Schranken zwischen zwei Menschen dahin, da erst, nicht vorher.
Alfred Kerr
Müde und bekränzt streckt sich der Sommer ins Gras.
Heinrich Mann
»Und hat es denn keine Fortsetzung–?«
– »Nein – solche Dinge haben keine Fortsetzung. Oder glaubten Sie, wir wollten nun Reihenbändchen herausgeben: ›Rheinsberg – III./IV. Teil‹ oder ›Die Claire als Großmama‹? Lieber nicht, wie? Aber erinnern – eine Erinnerung muss wohl erlaubt sein.«
Es war doch das, dass damals trotz Dienstpflicht, Katasterkontrolle und Einwohnermeldepflicht immer noch genügend grüne Plätzchen übrig blieben, auf denen du dich – ungestört vom Staat – tummeln konntest. Die Eisenbahnen fuhren im Lande umher, auch Müßiggänger benutzten sie – und kaum einer sah sie scheel an. Keine bestimmte Ration Haferkleie, tierische Fette, Fleisch, Wohnungskubikmeter und Öfen standen dir zu – nicht einmal die Lebensfreude war rationiert, und du durftest für preußische Verhältnisse schon eine ganze Menge. Vielleicht war es das–?
Oder war es die Unbeschwertheit des Alltags, das kleine billige Glück und die Möglichkeit, überall mit wenig Geld durchzukommen? So eingeengt es auch alles war, so klein im Ausmaß – an russisches Essen, an französische Flusslandschaften, an englische Rasenfelder durfte man gar nicht denken–: es hatte doch eine gewisse sorglose Atmosphäre.
Erlebnis und Schreiben waren ja – wie immer – zweierlei, und was in den drei Tagen leicht und grün vorübergeglitten war, wurde an der See in ebenso viel Wochen würgend langsam in kleine Notizbücher geschrieben. Es wollte gar nicht vom Fleck – es wäre viel lustiger gewesen, zur Claire ins Nebenzimmer zu gehen, ihr ein paar alte Socken um den Hals zu binden und ein bisschen »Arzt und krankes Kind« zu spielen, anstatt an dem Salat da herumzuschreiben… Aber es wurde doch durchgebissen, und in einem September kam ich mit den Bücherchen müde zu Hause an. Ich weiß noch, wie ich den Kram zuerst dem Szafranski vorlas – er sprang alle Nase lang auf, feixte fürchterlich und erklärte schließlich, das Ganze sei ja ganz nett, aber er müsse es leider völlig umarbeiten… (Aber daß einer nicht zeichnen kann, ist doch kein Grund, sich das Schreiben zuzutrauen.) Und dann tranken wir viele Schnäpse und einigten uns auf die Hälfte.
War es die Zeit, dass es in jeder Beziehung so klappte–? Heute sind die Worte schwer geworden, und wenn einer »Blut« oder »Tod« sagt, dann ist das alles nahegerückt und verdammt real. Und wir sind doch abgestumpft dagegen und hören kaum noch hin, wenn eine neue große Umwälzung herankommt.
Von uns aus–! Eine fette Überschrift in der Zeitung mehr.
Da hat es denn die Erotik nicht leicht. Sie muss sich verkrampfen, wenn sie von diesen Menschen etwas will, oder verkitschen oder verkriechen. Man unterschätzt sie, wenn man sie so überschätzt…
Und damals–? Vielleicht war es nur einfach das, dass wir jung waren. –
So soll denn das fünfzigste Tausend des kleinen Abenteuers hinausgehen und den Leuten ein bisschen Spaß machen.
Ich habe den Wortlaut des ersten Manuskripts wiederhergestellt.
Die Privatsprache, die da in dem Buch geredet wird, hat sich allerdings längst gewandelt. Das sind ihre Uranfänge, und den fertig ausgebildeten Dialekt würdet ihr gar nicht verstehen. »Nuh deh alleliebsse Pumbusch es bikenke, weil sölm bifundsteint« – Ja, da staunst du! Ich staune auch, wie sich erwachsene Menschen mit solchem Klimbim die Zeit vertreiben können. Ich bitte Sie, der Ernst des Lehms…!
Was der Satz da oben heißt–? Das ist beinahe so problematisch wie der Inhalt jenes Pakets im Hotel, der mich schon so viele Briefe gekostet hat. Was war in dem Paket–?
Möchte ein gerecht und ernsthaft wägender Philologe des einundzwanzigsten Jahrhunderts diese Kernfrage der unsterblichen Claire zum Thema einer Doktorarbeit machen. Ich weiß es nicht.
Aber was in dem Buch da ist: das weiß ich schon.
Eine bessere Zeit, und meine ganze Jugend.
Berlin, den 25. Dezember 1920
S einen eigentlichen Anfang nahm das Abenteuer erst, als sie in Löwenberg ausstiegen. Der D-Zug ruhte lang und dunkel in der Halle unter dem Holzdach — sie durchschritten einen Tunnel, oben, in hellem Sonnenlicht, stand die Kleinbahn, wie aus Holz gefügt, steif und verspielt.
Sie stiegen ein.
„Claire?“
„Wolfgang?“
„Diese Bahn scheint noch lange hier zu stehen … machen wir einen kleinen Spaziergang?“
„Setz dich hin und falte die Hände! Sie geht gleich ab.“ Der Zug ruckte und ruckelte sich gemächlich durch Salatgärten, Hofmauern. Der Horizont flimmerte blendend weiß … War es eine Schönheit, diese Landschaft? — Nein: da standen Baumgruppen, durch nichts ausgezeichnet, das Land wurde wellig in der Ferne, versteckte ein Wäldchen und zeigte ein anderes — man freute sich im Grunde, dass alles da war … Das Maschinchen schnob und klingelte zornig, durch den staubigen Rauch hindurch klingelte es melodisch, wie eine läutende Kirchturmsglocke bei Sturm.
„Wolf, den Reiseführer!“
Sie hatten ihn im D-Zug liegen lassen — er hatte ihn im D-Zug liegen lassen.