Robert S. Field 01: Das harte Gesetz - Robert S. Field - E-Book

Robert S. Field 01: Das harte Gesetz E-Book

Robert S. Field

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Beschreibung

Als Jim King in einem Nest in der texanischen Brasada im Jail landet, nimmt er die Sache noch gelassen. Obwohl ihn Bob Benton, ein Herumtreiber mit zwei Colts an den Hüften, davor gewarnt hat, sich in einen schwelenden Streit zwischen Großranchern, Kleinranchern und Heimstättern einzumischen, schlägt sich Jim auf die Seite der Mächtigen. Bob hingegen steigt für eine kleine Ranch in den Sattel.

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Robert S. FieldDAS HARTE GESETZ

In dieser Reihe bisher erschienen

4401 Robert S. Field Das harte Gesetz

4402 Robert S. Field Über den Todespass

Robert S. Field

Das harte Gesetz

Diese Reihe erscheint als limitierte und exklusive Sammler-Edition!Erhältlich nur beim BLITZ-Verlag in einer automatischen Belieferung ohne ­Versandkosten und einem Serien-Subskriptionsrabatt.Infos unter: www.BLITZ-Verlag.de© 2021 BLITZ-Verlag, Hurster Straße 2a, 51570 WindeckRedaktion: Jörg KaegelmannTitelbild: Rudolf Sieber-LonatiUmschlaggestaltung: Mario HeyerSatz: Harald GehlenAlle Rechte vorbehaltenISBN 978-3-95719-798-6Dieser Roman ist als Taschenbuch in unserem Shop erhältlich!

Texas Town

Über dem Buschland wölbte sich der wolkenlose Himmel.

Der holprige Karrenweg mit tiefen Radfurchen war zu beiden Seiten von Stacheldrahtzäunen gesäumt. Meilenweit schon ritt Jim King die im Sonnenlicht blinkenden Drähte entlang, von einem der krummen Zedernpfosten zum andern.

Auf dem höchsten Punkt einer Kuppe, im Schatten einiger Bäume zügelte Jim sein Pferd. Er streckte sich im Sattel, legte ein Bein über das Sattelhorn und musterte das Hügelland, das sich so friedlich um ihn herum ausbreitete, als hätte es nichts zu verbergen. Aber der Mann kannte das Land gut, hügelig wie es war, ein Flicken­teppich aus Gras- und Buschland, durchzogen von Arroyos, durch die nur zur Regenzeit Wasser floss.

Viel gab es sonst nicht zu sehen, ein paar vereinzelte Rinder, ein Kojote, der ein hartes Hautstück mit Fell­resten durch einen Arroyo schleifte, wohl weil er fürchtete, ein anderes hungriges Tier, einer der Büffelwölfe vielleicht, die manchmal diese Gegend durchstreiften, hätte ihm das gefundene Fressen streitig machen können.

Knapp eine Meile lag noch zwischen dem Reiter und einer Anzahl kleiner Bretterhäuser und Lehmhütten, die in der weiten Schleife eines ausgetrockneten Fluss­bettes standen. So unscheinbar und verloren, wie dieses Nest dem Auge eines Fremden erschien, so deutlich war es doch durch eine Straße mit der Außenwelt verbunden.

Jim vernahm das Geräusch eines Windrades, das sich leise quietschend drehte, als ginge ihm trotz des Windes die Stimme verloren. Wenige Meilen südlich der Ortschaft durchquerte die Straße das sandige Flussbett und führte hinaus ins Nichts. Nur wer über gute Augen verfügte, konnte in der Ferne zwischen Himmel und Erde eine Kette von aneinandergereihten Hügeln erkennen, ein Beweis dafür, dass dort draußen nicht Nichts war, sondern die Welt sich fortsetzte bis hin zur mexikanischen Grenze und noch weiter.

Dort unten jedoch, im alten Mexiko, hatte Jim nichts verloren, und so kehrten seine Blicke zurück zum Dorf in der Schleife des Flusses, das wie ausgestorben schien. Ein Überbleibsel aus einer anderen Zeit, errichtet von Menschen, die längst woanders hingezogen waren. Vereinzelte Hütten lagen wie das vergessene Spielzeug eines Riesen am nach Süden abfallenden Hang, zwischen ihnen einige Pferche und Korrals, die meisten aus ineinander verflochtenen Ästen von Mesquitebäumen gebaut. Pferde standen dort unten in der prallen Sonne, hielten sich mit Schweif und Mähnenhaar die Fliegen vom Leib und erduldeten die Hitze, den Durst und den leichten, alles austrocknenden Wind. Und draußen, im grenzenlos scheinenden Buschland, grasten träge Longhornrinder, suchten Schatten unter Bäumen oder hatten sich längst im Dornbuschdickicht hingelegt, um das gefressene Präriegras wiederkäuend zu verdauen.

Jim King nahm den staubigen Hut vom Kopf und klopfte ihn am Oberschenkel aus. Sein Pferd schnaubte und schüttelte seine Mähne.

„Reg dich nicht auf, Alter“, sagte Jim ruhig, während er mit den gespreizten Fingern seiner rechten Hand durch seinen blonden Haarschopf strich. Ein langer Weg lag hinter ihm und seinem Pferd. Obwohl mit fünfundzwanzig noch jung an Jahren, schmerzte sein Rücken. Außerdem hatte einer seiner oberen Stockzähne schon am Vortag ohne Warnung angefangen, Schmerzen zu bereiten. Die Hoffnung, dass es dort unten einen Zahnarzt gab, hatte er beim ersten Anblick des Dorfes gedanklich begraben, aber vielleicht konnte ihm auch ein Hufschmied mit der Beißzange helfen, oder eine schöne Frau mit einem kühlenden Kuss auf seine spröden Lippen. Dieser, wohl etwas zu optimistische Gedanke ließ ihn auflachen. Hier draußen, so weit weg von Dallas oder Fort Worth wie ein Stern von der Erde, und in diesem Nest einer schönen Frau zu begegnen, war eigentlich in diesem Moment nicht mehr als ein fadenscheiniger Traum. Das hier war ein für Männer gemachtes Land. Entweder brachten sie ihre Frau mit oder sie blieben allein. Freiwillig kam wohl keine hierher.

Jim nahm die Wasserflasche von seinem Packen, schüttelte sie am Ohr und öffnete den Schraubverschluss. Der Wasserrest roch schlecht und reichte nicht einmal dazu, den Staub von den Zähnen zu spülen.

„Jim Ned heißt dieses gottverlassene Nest, Alter“, sagte er mit einer Stimme, die ihn ein dünnes Stechen in Kehlkopf spüren ließ. „Die haben mir zwar für dieses Kaff meinen Vornamen geklaut, aber für dich gibt es dort bestimmt frisches Wasser und eine Handvoll Hafer, und für mich, ah, rate mal, was mich dort unten erwartet?“

Der Wallach bewegte ein Ohr, drehte den Kopf und gähnte.

Jim trommelte mit den Fingern gegen die leere Flasche. „Aus. Es hat gerade noch für mich gereicht. Die Welt ist gerecht, Alter.“ Mit diesen Worten befestigte er die Flasche wieder am Packen, nahm die Zügel auf und trieb den Wallach mit einem leichten Schenkeldruck aus dem Schatten hinaus ins Sonnenlicht. Langsam ritt er den Hügel hinunter und zügelte das Pferd erst wieder an einem Pfahl, an dem ein verwittertes Schild hing. Das Brandzeichen, ein U und ein S, war gut zu erkennen. Den Satz darunter, auf ein morsches Brett geschrieben, konnte Jim jedoch nur mit Mühe entziffern. Betreten des U-S Gebietes ist verboten!

U Bar S Gebiet. Als gäbe es mitten im Bundesstaat Texas noch ein Land, sozusagen eine Enklave der USA, getrennt vom Mutterland durch Grenzzäune.

Jim blickte zwischen den Drähten hindurch auf das weite Land von dem Jim Ned umgeben war. Soweit das Auge reichte nichts als Land. Weideland. Buschland. Mesquitewälder. Lebenseichen. Kakteen. Dornengestrüpp. Außer einem Schwarm Präriehühner, die aus einer Buschinsel im Flussbett aufflogen und ein Stück weiter auf einer anderen Buschinsel wieder landeten, konnte Jim keine anderen Lebewesen erkennen, die in dieser erdrückend schwülen Hitze mehr taten, als zum Überleben notwendig war.

*

Jim King erreichte Jim Ned am frühen Nachmittag. Die kleine Siedung duckte sich unter der Sonne wie ein erschöpftes Tier. Vor einigen Lehmhütten standen Türme übereinander gestülpter Weidenkörbe, bereit für die nächste Lieferung in eine der fernen Städte. Im Schatten einer brüchigen Lehmmauer lag ein Mexikanerjunge neben zwei kleinen Ziegen.

Jim überflog die Schilder, suchte sich das richtige heraus und lenkte den Wallach darauf zu. Es hing an einem Holzbau, offensichtlich dem einzig zweistöckigen in Jim Ned. Als Siedlung war dieses Nest so unwichtig, dass die Besitzer der Häuser sich nicht einmal die Mühe gemacht hatten, einem Fremden durch falsche Fassaden den Eindruck, sich am Ende der Welt zu befinden, abzunehmen.

Jim King kletterte aus dem Sattel. Während er sich umsah, klopfte er den Staub aus den Kleidern und zog den Waffengurt hoch. Irgendwo polterte ein schwerer Gegenstand zu Boden. Der graue Wallach schnaubte.

„Ein Zeichen, dass es in diesem gottverlassenen Nest Leben gibt, Alter“, erklärte ihm Jim, schnallte einen Leinenbeutel vom Sattel und betrat den Gehsteig. „Wasser bekommst du, sobald ich weiß, ob es hier überhaupt was zu trinken gibt.“

„Gibt es, Hombre“, meldete sich eine Stimme im breiten Tonfall, der den Leuten in Texas eigen war. Jim King wandte sich um. Der Sprecher saß auf einem Korbstuhl im Schatten des vorspringenden Daches. Der Mann hatte sein verwaschenes dunkelblaues Hemd bis zum Nabel geöffnet und die Beine über die schmutzigen Bretter des Gehsteiges gestreckt. Für Jim war von besonderer Bedeutung, dass der Mann seinen 45er Colt Revolver wie jemand trug, der damit umzugehen wusste und nicht wie einer dieser Cowboys, die das Schießeisen an ihrer Hüfte selten aus dem Holster angelten, außer an einer wilden Geburtstagsparty, wenn jeder meinte, er könnte die Sterne mit Kugeln vom Himmel holen.

Jim betrat den Gehsteig und musterte den Mann, der über seine sandfarbene Hose lederne Beinschützer trug, ein weißes Hemd und eine schwarze Weste.

Aus einer Türöffnung links des Mannes drang ein Geruch ins Freie, der Jim vermuten ließ, dass jemand einen Kochtopf mit Menudo über einem Kaminfeuer hängen hatte. Da sich der Mann auf dem Vorbau nicht rührte, nahm Jim an, dass er eben erst aufgewacht war und gleich wieder einschlafen wollte.

„Siesta, Hombre?“, erkundigte sich Jim.

Der Zeigefinger an der linken Hand des Mannes, der auf seinem linken Oberschenkel ruhte, zuckte drei Mal hintereinander.

„Dein Pferd hat mich aufgeweckt“, kam es nach einigen Sekunden unter der Hutkrempe hervor.

Um dem Mann ins Gesicht sehen zu können, beugte sich Jim vor. Schmale Augen, die ihm nichts über den Gemütszustand des Mannes verrieten, blinzelten ihn an. „Howdy“, sagte Jim freundlich. „Jim King, mein Name.“

„Benton. Bob Benton.“ Der Mann auf dem Korbstuhl bewegte die Lippen kaum, als er seinen Namen nannte. „Da kommt einer daher, dessen Pferd wie ein Elefant auftritt, beginnt mit dem Tier eine tiefgründige Unterhaltung und stört mich dadurch in der heiligsten aller Beschäftigungen, dem Mittagsschläfchen. Gefällt mir nicht, King.“

Jim blickte sich kurz um. Ein alter Hund auf drei Beinen humpelte durch den Schatten der Kirche über die Plaza als suchte er sich einen Platz zum Sterben.

„Gibt’s hier was?“

„Was soll’s hier denn geben?“

„Irgendwas.“

„Irgendwas? Ich bin auch erst seit zwei Tagen hier.“

„Zwei Tage können eine Ewigkeit sein. Sogar der alte Hund dort hat offenbar die Schnauze voll.“

„Ich mag das, King. Ein kleines ruhiges Nest, wo niemand wissen will, wer du bist und woher du kommst. Aber wenn dein Bauch knurrt und dir nach einer guten Menudo ist, bist du hier sicher richtig.“

„Wie wäre es mit einem Zahnarzt?“

„Zahnarzt? Hier ist Curly der Zahnarzt, habe ich erfahren.“

„Und wer ist Curly?“

„Der Barkeeper im Lone Star Saloon. Ein kräftiger Mann. Der soll ohne Problem auch Pferdezähne ziehen. Kostet fünf Bucks und du bekommst nach der Prozedur einen Brandy. Das Pferd übrigens auch.“

„Ah, und wo kann ich hier mein Pferd unterstellen?“

Bob Benton richtete sich auf, zog die Beine an und stützte die Ellbogen auf die Knie. Mit schief geneigtem Kopf blinzelte er Jim King an. „Du willst doch hier nicht etwa Wurzeln schlagen?“

„Kommt drauf an.“

„Worauf denn?“

„Eine Stimme im Wind hat mir ins Ohr geflüstert, dass mir in diesem Nest keiner in den Teller spuckt, ganz gleich was drin ist, Erbsensuppe oder Menudo.“

„Der Wind hat dich angelogen, Jim. Hier spukt jeder jedem in die Suppe.“

Jim lachte auf. „Schaut alles ruhig aus.“

„Das ist die Ruhe vor dem Sturm. Weißt du was, bring deinen Gaul dort drüben in den Korral hinter der Schmiede. Dort bei Harlows Lagerschuppen ist der Mietstall. Aber pass auf, es gibt dort einen verrückten Greaser, der mit einem Sharps-Büffelgewehr herumfuchtelt und dir für jeden Schluck Geld abknöpft.“

Jim deutete mit dem Daumen auf einen farbenprächtigen Glasperlenvorhang, in dem die Sonnenstrahlen spielten. Über der Tür hing das Schild, das er schon vom Sattel seines Pferdes gesehen hatte. TINA’S BADASS CANTINA.

„Wer ist Tina?“

„Die Besitzerin der Cantina. Zu heiß zum Anfassen, King. Sie ist gerade dabei, einem jungen Priester den Kopf zu verdrehen.“

„Eine Nutte?“

„Kann sein, dass sie das ist, Junge, eine lebensfreudige Nutte. Aber sag ihr das besser nie ins Gesicht, mein Freund. Cowboys mit hungrigen Augen kommen von überall her, sagt man, um sie zu sehen.“

Jim starrte den Vorhang an, als hätte er ihn dadurch zwingen können, aufzugehen und ihm einen Blick auf Tina freizugeben, aber Wunder waren in Jim Ned wohl noch seltener als sonst wo auf der Welt. „Ist sie drin?“

Bob Benton nickte. „Mit Ignacio, dem Padre. Manchmal geht sie in die Kirche, um für ihre Sünden Buße zu tun, manchmal kommt der Padre für die Absolution zu ihr.“

„Absolution? Bist du sicher, dass die nicht was ganz anderes treiben?“

„Er ist der Padre hier!“, entrüstete sich Bob Benton scheinheilig. „Vielleicht kassiert er von ihr für seine priesterliche Arbeit auch einen kleinen Obolus für die Glocke seiner Kirche. Die Leute hier sind stolz darauf, dass es nun in Jim Ned eine Kirche gibt, die einzige zwischen Fort Worth, Brownwood und San Angelo.“

„Und wo gibt s hier was Anständiges zu trinken?“

„Dort drüben ist Harlows Tin Star Saloon.“ Benton zeigte auf den Eingang zu einem Hardwarestore auf der anderen Straßenseite. „Du gehst durch den Store und eine Seitentür in den Saloon. Oder durch die Schwingtür zwischen den beiden Fenstern. Ich war gestern Abend dort. Der Padre auch. Und Buck Harlow, der Townmarshal. Junge, dieses Nest hier ist der Käfig für die bunten Vögel in Texas.“

„Buck Harlow, von dem die Zeitung in Austin berichtet hat?“

„Ein sauberer Geschäftsmann mit ehrlichen Absichten.“

Jim drehte sich auf dem Absatz um und schwang sich in den Sattel. „Komm, Alter, du brauchst Wasser und ich einen Brandy vom Zahnarzt.“

*

Jim öffnete das Tor zum Korral vom Sattel aus, machte es wieder zu und stieg erst beim Stallbrunnen aus dem Sattel. Im Schatten eines Vordaches stand ein mageres Pferd in einer Box. Es spielte mit den Ohren und zeigte Jim schnaubend seine Zähne. „Siehst du, Alter“, sagte Jim zu seinem Pferd. „Hier gibt’s genau das, was wir beide brauchen, für dich einen alten Freund im Stall und für mich einen Drink im Saloon.“

„Claro que si, Gringo. Aber alles hier hat seinen Preis. Entweder du bezahlst Juan Lazario Umberto Aguilar einen Dollar, oder Tina ein paar Dollar mehr, oder was sich die wenigsten leisten können, den Teufel mit deiner Seele. Du hast die Wahl.“

Für eine Sekunde oder zwei blieb Jim regungslos stehen, aber dann drehte er sich um. Seine rechte Hand ließ den Pumpengriff los und näherte sich dem Griff seines Colts. Im Tor zu einem offenen Schuppen, in dem wahrscheinlich die Schmiede untergebracht war, stand ein kleiner krummbeiniger Mexikaner in weißen ­Tuchhosen und Sandalen. Ein schmutziges Hemd hing über der Hose herunter. Er grinste und wedelte mit dem Lauf einer Sharps-Büchse.

Jim nahm die Hand vom Colt. „Buenos Dias“, sagte er freundlich und zeigte auf die Sharps. „Hast du vor, einen Büffel schießen?“

Die Lippen des Mexikaners verzogen sich zu einem breiten Grinsen. „Madre de Dios, Señor, ich bin ein schlechter Schütze. Ich ziele auf den Bauch und treffe den Kopf. Oder ich ziele auf den Kopf und treffe den Bauch.“

„Dann wird es Zeit, dass du den Finger vom Drücker nimmst, Amigo. Ich bin zwar ein Gringo, aber trotzdem ein guter Mensch, verstehst du.“

„Oh, das kann ich sehen, Mister Gringo. Guter Mensch und Gringo passt überhaupt nicht zusammen. Wasser ist knapp hier. Der Fluss ist fast ausgetrocknet. Kein Wasser, kein Regen, nada. Du brauchst Wasser für dein Pferd und gibst mir dafür einen Dollar.

Jim sah den Mexikaner verblüfft an. „Einen Dollar für ein bisschen Wasser“, sagte er ungläubig. Dann lachte er. „Guter Scherz, Freundchen.“

„Nada Scherz, Mister Gringo. Hier muss jeder schauen, wie er durchkommt. Würde ich für das kostbare Wasser keinen Dollar verlangen, könnten ich und meine Familie bald nur Mais und ein wenig Hafer essen wie die Pferde.“

„Ich bin zu Tränen gerührt, Amigo. Weißt du was, du kriegst von mir einen Dollar und kümmerst dich dafür eine Woche um mein Pferd. Es hat einen langen Weg hinter sich. Und noch was, nenn mich nie wieder Mister Gringo, sonst gibt’s was aufs Ohr. Kennst du Bob Benton?“

„Si, Señor. Der Gringo ist seit zwei Tagen hier, und ich habe noch keinen Cent von ihm erhalten.“

„Ah, und was trinkt sein Pferd?“

„Mehr Wasser als drei Pferde zusammen. Ich sterbe, wenn ich Geld nicht bekomme von Señor Benton.“

„Nun gut, Juan.“ Jim griff in die Westentasche, nahm zwei Silberdollar heraus und warf sie dem Mexikaner zu. „Noch was, Amigo. Du kennst sicher auch Tina?“

Juan verdrehte die Augen. „Schsch“, machte er, indem er den Atem durch die Zähne drückte, von denen er nur noch wenige im Mund hatte. „Nicht nennen Name von Hexe. Viel Unglück. Viel Männer tot.“

„Du meinst sie tötet die Männer, die mit ihr schlafen “

„Wie Spinne. Kreuzspinne. Schwarz. Rotes Kreuz auf Bauch.“

„Sorge gut für die beiden Pferde. Ich bleibe vielleicht nur ein paar Tage.“

„Sagen tun alle“, stöhnte der Mexikaner und bekreuzigte sich schnell. „Ich bleibe nur ein paar Tage, und dann hierbleiben für immer.“

„Weißt du vielleicht, wo Benton her ist?“

Juan schüttelte den Kopf. „Er sagen, er finden bald Arbeit, aber er verschläft ganzen Tag dort drüben.“

Jim begann seinen Wallach abzusatteln. „Wo schläft er nachts?“

„Kein Geld für ein Bett. Er schläft unter Sternen.“ Juan Lazario Umberto Aguilar stellte die Sharps an die Bretter­wand und half Jim beim Absatteln.

„Das ist ein ruhiger Ort, meine ich“, sagte Jim King beiläufig.

„Am Tag schon.“

„Und in der Nacht?“

„In manchen Nächten auch.“

„Und in anderen?“

„Krieg.“

„Krieg um Wasser?“

„Krieg um alles.“

Sie führten den Wallach in den Stall, und Juan begann ihn abzureiben. King legte den Sattel über einen Sattelbaum und schulterte die Satteltaschen.

Juan zeigte auf den Leinensack, in dem sich eine Fiedel abzeichnete. „Machst du Musik, Amigo?“ Er grinste breit. „Sie liebt Musik. Tanz auf dem Tisch.“

Obwohl der Mexikaner keinen Namen nannte, war Jim klar, wen er meinte. Die hübsche Hexe von der Badass Cantina auf der anderen Straßenseite.

Jim King verließ den Stall und ging bis zur Straße. Es schien, als wären inzwischen zumindest die Hühner im Dorf aufgewacht. Um die Lehmhütten herum wimmelte es von ihnen. In einem der Pferche suhlten sich zwei Säue in einer Mulde voll mit Wasser und Pisse. Der alte Hund lag mitten auf der Straße, seine drei Beine von sich gestreckt. Die Zunge hing ihm aus dem Maul. Ein Junge ging zu ihm und schleifte den Kadaver zum Pferch mit den Säuen.

Jim bemerkte in einem der beiden Fenster über dem Eingang zu Tinas Cantina ein Gesicht, das rasch wieder verschwand. War das eben Tina gewesen? Oder vielleicht der Padre? Hatte sie ihm ihre tiefsten Geheimnisse verraten, um ihre Seele zu retten?

Jim ging etwas langsamer und ließ das Fenster nicht mehr aus den Augen. Aber das Gesicht blieb verschwunden, und er konnte nicht einmal sagen, ob es das einer Frau oder eines Mannes gewesen war.

Der Fiedelmann

Buck Harlow hatte den Raum im Erdgeschoß seines Hauses mit einer dünnen Bretterwand unterteilt. Eine Seite nannte er Saloon, die andere Store. Man konnte den Saloon entweder direkt vom Gehsteig aus betreten oder vom Store aus durch eine schmale Verbindungstür und durch eine Hintertür wieder hinaus ins Freie gelangen. Dieses einzigartige Dreitürensystem ermöglichte es hin und wieder nicht nur einigen wenigen rechtschaffenen Bürgern von Jim Ned ihren Brandy in Gesellschaft anderer Männer zu trinken, sondern auch der neue junge Priester betrat hin und wieder den Laden, um Weihrauchknoten zu kaufen, legte dann im Saloon einen kurzen oder längeren Zwischenstopp ein und verließ das Haus durch die Hintertür, hin und wieder in ziemlicher Schieflage.

An diesem Nachmittag waren Bob Benton und Jim King die einzigen Gäste. Curly machte hinter der Theke sauber. Er hatte sich kurz Jims schmerzenden Zahn angesehen und festgestellt, dass dieser völlig in Ordnung war.

Bob und Jim saßen an einem kleinen Tisch. Eine halbleere Flasche stand mitten auf dem Tisch. „Gibt es hier in der Gegend keine Arbeit für anständige Cowboys, Curly?“, erkundigte sich Jim King.

„Arbeit schon, aber die Rancher schauen jedem genau unter den Hut, bevor sie ihn einstellen.“

Jim lachte auf. „Diese verdammte Hitze macht einen verrückt. Ich denke schon die ganze Zeit an Tina von der Cantina.“

„Und fällt dir dabei was ein?“

„Ich könnte ihr ein Ständchen bringen“.

„Du?“

„Ich hab’s dir doch gesagt, ich bin ein Wander­musikant, Bob.“

Benton zog die Stirn in Falten und warf einen schiefen Blick auf den Leinenbeutel, der neben Jim King auf einem Stuhl lag.

„Willst du damit sagen, dass du in dem Sack dort tatsächlich eine Fiedel in Texas herumschleppst, mit der du dir deinen Lebensunterhalt verdienst?“

„Ich bin ein friedfertiger Mensch und spiele lieber auf der Fiedel als mit dem Colt.“

„Du behauptest also, Freundchen, dass du tatsächlich ein Fiedelspieler bist?“, lachte Curly und kam mit einem leeren Glas zum Tisch herüber. Er rückte einen Stuhl an den Tisch heran, setzte sich und griff nach der Flasche

„Der Unterschied zwischen einem Revolver und einer Fiedel ist gar nicht so groß“, sagte Jim. „Ich bekomme einen Auftrag, und werde dafür bezahlt. Bei Hochzeiten, bei Begräbnissen, Taufen und sonstigen Festen sind die Leute besonders großzügig.“

„Und wozu trägst du dann deinen Schießprügel?“

„Ah, den brauche ich nur hin und wieder, falls einem meine Musik nicht gefällt.“ Jim hob die Schultern. „Man kann sich doch nicht einfach erschießen lassen.“

„Natürlich, du hast Recht. Aber sag mal, hast du denn hier einen Auftrag angenommen?“

„In Jim Ned?“ Jim lachte laut auf. „Ich bin doch nicht verrückt. Hier bezahlt man für jeden Schluck Wasser. Da bleibt für einen Fiedelspieler kein Geld mehr übrig. Drüben im Stall zielte ein kleiner Mexikaner mit einem Büffel­gewehr auf mich. Dachte wohl, ich trage einen spanischen Brustpanzer unterm Hemd.“

Curly trank sein Glas leer. „Hast du Juan einen Dollar gegeben?“

„Zwei.“

„Er ist geschäftstüchtig.“

„Was ist mit Cowboyarbeit?“ Bob Benton schaute einer Fliege zu, die auf dem Flaschenhals tanzte. „Nicht jeder hier ist ein Künstler.“

Curly sah sich schnell um und beugte sich dann vor. „Gehört ihr beide etwa zusammen?“

Bob lachte auf. „Warum fragst du?“

„Es gibt Leute hier, die warten darauf, dass bald ein paar Texas Ranger auftauchen werden.“

„Das sind wir, Curly. Wir haben uns die Abzeichen zwischen die Arschbacken gesteckt. Willst du sie sehen.“

Bob stand tatsächlich auf und nestelte an seiner Hose herum.

Curly winkte ab. „Lass mal, Bob, aber die Cowboyarbeit, nach der du dich erkundigt hast, wird bald mal mit dem Schießprügel erledigt, denke ich. Die Rancher brauchen gute Cowboys, auch wenn sie gegenüber Fremden ziemlich misstrauisch sind. Sie wollen genau wissen, mit wem sie es zu tun haben. Keiner traut keinem mehr.“

„Es drohe in Brown County ein Zaunschneiderkrieg, habe ich in einer Zeitung gelesen“, erklärte Jim.

„So nennen sie es. Haben angefangen, sich die Bärte auszureißen. Nachts knallt es dort draußen. Und hin und wieder findet man einen, der erschossen im Stacheldraht hängt oder am Ast eines Baumes.“

„Dann ist ja alles wie immer und überall“, sagte Bob. „Die Kleinen werden von den Großen gepiesackt, und wenn sie sich zur Wehr setzen, bringt man sie um. Mir geht das am Arsch vorbei. Ich bin ein Cowboy. Es soll hier einige Kleinrancher geben, die für eine ehrliche Arbeit gern einen anständigen Lohn bezahlen.“

„Besonders einem, der mit dem Colt umgehen kann.“

„Zäune ziehen ist was für die Großen, Zäune durchschneiden eher was für die Kleinen? Cowboyarbeit ist mein Ding. Stacheldraht und Zaunpfosten gehören nicht dazu.“

Curly erhob sich von seinem Stuhl und ging zur Theke zurück. „Und wozu trägst du deinen Schießprügel?“

„Das ist genau wie beim Fiedelspieler, Curly. Nicht jedem passt meine Nase.“

„Um solche Probleme zu lösen, habe ich mir diese Parker zugelegt.“ Curly langte unter die Theke und brachte eine Parker-Schrotflinte mit Doppellauf zum Vorschein, ließ sie aber gleich wieder verschwinden, als Jim nach dem Leinensack griff und seine Fiedel auspackte.

„Pass auf, in spätestens einer Stunde bricht der Laden auseinander, weil jeder Jim King spielen hören will.“ Jim begann das Instrument zu stimmen.

„Junge, ich hätte nichts dagegen, wenn es hier mal so richtig kracht, aber ich bin leider nicht der Boss. Wenn du hier musizieren willst, frag besser Mister Harlow.“

„Wo die Musik spielt, herrscht gute Laune. Sag mir welches Lied du hören willst, und ich spiele es dir vor, Curly? Drops of Brandy oder lieber The Irish Washerwoman?“

„Kenne ich nicht. Spiel den Yankee-Doodle nur, wenn du in Jim Ned begraben werden willst, Junge.“

Jim strich mit dem Bogen über die Saiten und spielte zum Aufwärmen und mit Hingabe Pretty Polly, eine alte irische Ballade. Dabei lehnte er sich im Stuhl zurück und legte beide Beine gekreuzt auf den Tisch. Curlys Gesicht verzog sich immer mehr zu einem Grinsen, er ging und öffnete die beiden Fenster sperrangelweit, einerseits, damit das Gefiedel auch draußen zu hören war und andererseits, dass sich die stickige Luft nach draußen verzog. Viel Zeit verging nicht, bis die ersten Gäste den Saloon betraten und Curly hinter dem Tresen alle Hände voll zu tun bekam. Jim wunderte sich, woher plötzlich so viele Leute kamen. Er spielte einige schottische und irische Tanzlieder und wurde von grölenden Männerstimmen begleitet. Einige von ihnen tanzten in der Menge herum, als wären sie Mann und Frau, andere tanzten für sich allein. Hinter der Theke rann Curly der Schweiß in Strömen übers Gesicht und ins Hemd, das klitschnass an ihm klebte. Irgendwann, Jim und Bob waren beide schon ziemlich betrunken, hörten die Männer auf zu singen, als hätte ihnen der plötzliche Auftritt einer jungen Frau allen gleichzeitig die Stimme verschlagen.

Bob stieß Jim mit dem Ellbogen an. „Das ist sie“, lallte er.

Jim erhob sich vom Stuhl, und die Männer traten vor ihm zurück. Eine Gasse entstand zwischen ihm und der Frau, die im schmalen Durchgang zwischen dem Laden und dem Saloon stand, umwallt vom Tabakqualm, in Jim Kings Augen eine dunkelhäutige Göttin aus irgendeinem finsteren Dschungel seiner Träume. Sie hielt ihn mit ihrem glühenden Blick gefangen, während sie auf ihn zukam. Vor ihm blieb sie stehen, und in diesem Moment hätte man tatsächlich eine Stecknadel zu Boden fallen hören können, aber das einzige Geräusch kam von der Theke her, wo Curly einen Pfriem treffsicher in den Messing­napf spuckte.

Und dann die Stimme der Frau: „Du spielst hier und nicht bei mir“, sagte sie, und obwohl es kein Vorwurf sein sollte, klang es wie einer.

Jeder konnte es hören und jeder verstand die Herausforderung, nur Jim nicht. „Heute hier, morgen bei dir“, reimte er. „Komm ich tanze mit dir in den Himmel, oder, wenn du willst, in die Hölle.“ Bevor sie ihm darauf eine Antwort geben konnte, begann er um sie herumzutanzen, spielte dabei die Fiedel und forderte sie auf, beim Refrain des Liedes Root, Hog, or Die mitzusingen.

Bob Benton klopfte mit dem Stiefel den Takt und klatschte mit den Händen den Rhythmus. Harlows kleine Kneipe verwandelte sich innerhalb kürzester Zeit in einen Hexenkessel, der erst lange nach Mitternacht vom Feuer genommen wurde, als Jim seine Fiedel einpackte.

„So ein Tag!“, rief Jim in die Runde. „Ich bleibe für immer hier. Los Bob, abkassieren.“ Er nahm den Hut von seinem blonden Haarschopf und übergab ihn Bob. „Die Kunst ist es, die den Menschen über sich selbst erhebt.“

Bob zeigte den Hut herum. „Damen und Herren“, rief er in die Runde. „Wer mit einem einzigen Dollar, einer einzigen Münze nach Hause geht, betrügt sich selbst. Holt den Geldbeutel hervor und schüttet ihn aus. Greift tief in eure Hosentaschen, damit euch kein Cent entgeht, und lasst den Mann und seine Fiedel hochleben.“

Die ersten Geldstücke flogen durch den Raum, der Hut füllte sich. Jim King überreichte Tina behutsam seine Fiedel, als handle es sich um ein eben zur Welt gekommenes Baby und taumelte zur Theke, wo Bob Benton stand und mit ungläubigem Blick in den Hut starrte. „Na, Bob, her mit den Kröten!“

Bob lachte. „Da sind gut und gern zwanzig Dollar drin.“

„Und was ist mit dem Geld, das in deiner Hosentasche steckt!“

Bob taumelte weg von der Theke. Einige Männer wichen zur Seite. Plötzlich schien alle Freude verflogen. Dieser Junge, der mit seiner Fiedel eben noch alle zum Tanzen gebracht hatte, schien auf einen Schlag ein anderer.

„Ich habe gesehen, wie du mein Geld in deine Tasche gestopft hast“, stieß er hervor.

„Red keinen Mist, Jim! Du bist betrunken, verdammt.“

Tina, deren Kleid schief von ihren nackten Schultern hing, drückte den Sack mit der Fiedel an ihre Brust. Bei ihr lag einer am Boden und umarmte den Spucknapf.

Jim taumelte auf Bob zu, packte ihn bei der Weste und zog ihn von der Theke weg. „Ich werde dir beibringen, einem Künstler das Geld zu klauen, Und vor allem bin ich kein Yankee, verdammt! Ich bin nicht aus Kansas. Ich bin aus Houston!“

Alle im Saloon sahen, dass Jim King und Bob Benton sturzbesoffen waren, und in diesem Zustand leicht in Streit geraten konnten und wichen von ihnen zurück, sodass sich zwischen den Tischen ein Platz öffnete.

„Kein Yankee spielst so wundervoll, Jimmy Boy“, lachte Bob Benton. „Du hast uns alle ...“

Ein schlecht gezielter Faustschlag traf Bob Benton aufs linke Ohr. Während er über sein Standbein strauchelte und hinfiel, hörte er Glocken läuten. Erst als er hart auf die Bretter knallte, verstummten sie. Wie durch ein Wunder blieb der Hut mit dem Geld unversehrt. Bob hielt ihn mit beiden Händen und streckte ihn Jim entgegen. „Da ist alles drin, Jim!“, rief er. Seine Stimme quietschte, als hätte es ihm durch den Aufprall den Atem verschlagen.

Jim trat auf ihn zu. Seine rechte Hand blutete. Nur mit Mühe konnte er sich noch auf den Beinen halten, und so fiel er ebenfalls hin, als er Bob den Hut aus den Händen zerren wollte. Ein Versuch, wieder aufzustehen, ging schief und so kniete er auf dem mit Sägemehl bestreuten Fußboden, als in der Türöffnung zum Laden ein Mann erschien, der einen braunen Kapuzenrock trug und ein Kreuz vor der Brust. Jim rieb sich die Augen. Träumte er, oder stand dort tatsächlich ein Priester? Der Lärm verstummte, als der Mann im Kapuzenrock zur Theke ging und Curly nach dessen Schrotflinte fragte.

Curly holte eine Parker mit zwei abgesägten Läufen unter der Theke hervor. „Sie ist geladen, Padre“, warnte er, bevor er die Waffe dem Priester übergab.

Der Priester, offenbar ein noch junger Mann, spannte die Hähne und ging mit einem Lächeln im Gesicht auf den Tisch zu, auf dem Tina saß. Dort blieb er stehen und wandte sich den beiden Männern zu.

„Sähe ich nicht, dass ihr keine Schwanzfedern habt, würde ich euch für zwei verrückte Gockel halten.“

„Und wer sind Sie, Padre?“, erkundigte sich Bob Benton.

„Bruder Ignacio darfst du mich nennen, Cowboy. Leider war mir nicht möglich, mich in der Kirche in ein Gebet zu vertiefen. Und da bin ich mal hierhergekommen, um zu sehen, wer euch alle zu diesem ­Höllenspektakel ­verführt hat.“ Für einen Moment fasste er Tina ins Auge, dann blickte er auf die vor ihm knienden Männer, die kaum älter waren als er selbst.

„Will mir einer von euch beiden erklären, worum es hier geht?“

Bob zeigte auf Jim. „Er hat Musik gemacht, und alle haben gesungen und getanzt, Padre.“

Bruder Ignacio blickte sich um. Einige der Männer grinsten. Andere senkten ergeben den Kopf und einige, die in der Nähe der Hintertür standen, stahlen sich davon.

Tina lachte auf und legte die Fiedel auf den Tisch. Beim Anblick ihrer beinahe entblößten Brüste schloss Bruder Ignacio beide Augen.

„Wir hatten unseren Spaß, mi Padrito!“, rief Tina ihm zu. „Jim King hat uns alle mit seiner Musik mitgerissen.“

Bruder Ignacio öffnete sogleich wieder die Augen, aber seine ganze Aufmerksamkeit galt jetzt den beiden Kampfhähnen. „Welcher von euch ist Jim King.“

„Er ist Bob Benton“, sagte Jim. „Jim King, das bin ich. Und der Teufel soll mich holen, wenn ich mich um meinen Lohn bringen lasse, auch wenn der da mein Freund ist.“

„Dein Lohn, mein Sohn, ist also in diesem Hut?“

Jim zerrte am Hut, aber Bob ließ nicht los.

„Und wieviel Geld glaubst du, mein Sohn, ist in diesem Hut?“

„Ah, mindestens zwanzig Dollar. Und er hat einige Münzen in seiner Hosentasche verschwinden lassen, dieser Betrüger.“

„Hast du nicht eben gesagt, dass Bob dein Freund ist?“

„War er. Jetzt ist er es nicht mehr. Lass los, du Hühnerdieb. Der Hut gehört mir und das Geld darin auch.“

Der Priester machte noch zwei Schritte auf sie zu und streckte seine rechte Hand aus. „Ich nehme den Hut, damit ihr euch nicht gegenseitig umbringt. Ihr habt ja beide eure Revolver, mit denen ihr jedes Problem lösen könnt, nicht wahr? “

„Ich hatte nicht die Absicht, ihn zu erschießen“, lallte Bob und ließ die Hutkrempe los, blieb aber auf seinen Knien.

Der Priester lächelte wieder, wie er zuvor gelächelt hatte. „Und was ist mit dir, Jim King? Ich habe dich hier noch nie gesehen? Wo kommst du her und was sind deine Absichten?“

„Absichten?“ Jim warf einen Blick zu Tina hinüber. „Ich habe eben das schönste Mädchen der Welt entdeckt und verrate meine Absichten niemandem, auch nicht einem Priester.“

„Du bist also bereit, dich vor den Augen Gottes zu versündigen?“

Jim starrte auf das Kreuz, das an einer Kette vom Hals des Priesters hing.

„Wer mit einer Schrotflinte auf mich zielt, versündigt sich auch, Padre.“

„Nun, dann gib mir den Hut, mein Sohn.“

Jim blickte sich um. Die Leute und ihn herum nickten ihm zu, die meisten von ihnen mit ernstem Gesicht.

Und Curly kam von hinter der Theke hervor und bahnte sich einen Weg durch die Menge. „Mach besser was er sagt, Jim“, knurrte er. „In der Schrotflinte sind zwei Patro­nen mit Sauposten drin. Wenn die losgehen, gibt’s hier ein Gemetzel.“

Jim warf einen Blick zu Tina hinüber. Sie leckte sich mit der Zunge die Lippen.

Das sah auch der Priester. „Am vergangenen Sonntag waren nur eine Handvoll von euch zur Messe in meiner Kirche, doch ich habe für euch alle gebetet, für Curly genauso wie für dich, Lester. Und für deine Frau, die in wenigen Wochen einen Sohn oder eine Tochter gebären wird. Und für dich, Tom, dass die Schmerzen in deinen Knochen für immer verschwinden. Ich dachte, ihr kommt alle zur Kirche, aber die Kollekte ist so dürftig ausgefallen, dass ich an eurer Gottesfürchtigkeit zweifeln muss. Ihr wisst doch, dass wir für eine Glocke sammeln, aber es ist euch nicht wichtig genug, um für eure kleinen und großen Sünden Buße zu tun und einen kleinen Obolus zu entrichten. Ein paar Cents nur, die es mir leichter machen, euch alle von euren Sünden freizusprechen.“

„Und was soll das mit dem Geld im Hut zu tun haben, Padre?“, fragte Jim King argwöhnisch.

Der Priester griff mit der Hand in den Hut und wühlte darin herum. „Etwa zwanzig Dollar, sagst du, sind in diesem Hut. Geld, das du von meinen Schäfchen bekommen hast. Was hältst du davon, wenn du unserer schönen Kirche freiwillig fünfzig Prozent deiner Einnahmen entrichtest, für Gott und unsere Glocke?“

„Fünfzig Prozent. Wieviel ist das?“

„Eine Handvoll, mein Sohn. Nur eine Handvoll.“

Jim studierte kurz die Hände, mit denen Bruder Ignacio die Schrotflinte hielt. Sie waren eher von kleiner Art.

„Nur eine Handvoll“, hakte er nach. „Nicht zwei Hände voll.“

„Eine Handvoll“, versicherte ihm Bruder Ignacio salbungsvoll.

Da nickte Jim, denn er hatte schon als Junge gelernt, einem Mann Gottes zu vertrauen. Aber der Priester ging mit dem Hut zum größten Mann im Saloon, Mighty John Mickelson, und bat ihn, mit seiner riesigen Pranke einmal in den Hut zu langen. Das tat Mickelson mit Hingabe, rührte in den Münzen herum als wäre seine Hand eine Schöpfkelle und holte alle Münzen heraus, die er zu fassen kriegte.

Der Priester zauberte einen Beutel aus einer Rockfalte, öffnete ihn und ließ die Münzen aus Mickelsons Hand in den Beutel schlittern. Dann machte er ihn zu und ließ ihn wieder in seinem Rock verschwinden. „Erhebet euch und gebt euch die Hand, damit zwischen euch wieder Frieden herrscht“, gebot er Jim und Bob, die sich beide gegenseitig beim Aufstehen helfen mussten, bis jeder für sich sein eigenes Gleichgewicht fand. Als sie schließlich schwankend vor dem jungen Mann in der braunen Mönchskutte standen, gaben sie sich die Hand. Die Leute im Saloon klatschten und grölten wieder los.

Der Priester hob beide Hände, bis wieder Ruhe einkehrte, dann schlug er mit der linken Hand das Kreuz. „Ich bedanke mich bei Jim King im Namen meines Herrn, dessen Diener ich bin. Er hat einen kleinen Beitrag zur Summe geleistet, die wir für die Glocke brauchen. Dafür sind wir ihm alle dankbar, und wir werden für ihn beten, damit der Herr ihn auf allen seinen Wegen beschützen wird.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und sah Tina an, die von seinen Worten zutiefst beeindruckt schien. „Meine Tochter, dich erwarte ich morgen zur Beichte, falls du in dieser Nacht gesündigt hast oder dich noch versündigen solltest.“

Tina schlug ergeben die Augen nieder, der Padre drehte sich um und verließ den Saloon durch den Hintereingang, so wie er es auch tat, wenn er hier gewesen war und nach Hause eilte, um Gott um Vergebung zu bitten.

Sobald der Padre draußen war, brach die Hölle los. So genau wusste später keiner der Augenzeugen mehr, wie es angefangen hatte, aber für viele war es allein die Anwesenheit von Tina, die das Blut einiger Männer zum Kochen brachte. Bob Benton war es, der auf Jim King losging. Die Fäuste flogen, und Bobs wilder Schwinger durchbrach Jims Deckung.

Jim taumelte rückwärts in die Arme Curlys, eine blutende Schramme unter dem linken Auge. „Rette meine Bohne“, keuchte er, und weil er seine Fiedel an diesem Abend so oft meine Bohne genannt hatte, wusste auch Curly, dass er den Geldbringer dieses Abends in Sicherheit bringen musste. Ein Fußtritt traf den heranstürmenden Benton in den Bauch, und Curly bahnte sich einen Weg zur Theke, während der Kampf weitertobte, bis Jim von einem kurzen trockenen Haken in die Seite getroffen wurde. Krachend ging er zwischen Tischen und Stühlen zu Boden.

„Hast du endlich genug?“, keuchte Bob.