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Seitenzahl: 308
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Daniel Defoe
Robinson Crusoe
Reichhaltig illustrierte Ausgabe mit 44 Abbildungen
Novelaris Verlag 2024
ISBN: 978-3-68931-008-0
Robinsons Jugend und erste Fahrten, von ihm selbst erzählt.
Robinsons Gefangenschaft und Flucht.
Robinson als brasilianischer Pflanzer.
Rettung nach dem Schiffbruch.
Robinsons Tagebuch.
Robinson als Handwerker und Ackersmann.
Robinson als Bäcker und Schiffbauer.
Robinsons unglückliche Bootfahrt.
Stillleben mit Unterbrechungen.
Zusammenstoß mit den Kannibalen.
Eine Zeit großer Ereignisse.
Durch Kampf zum Sieg.
Robinsons Abreise von seiner Insel.
Aufenthalt in England und neue Reise.
Die Schicksale der Kolonie.
Fortgang und Schluß von Robinsons Weltfahrt.
Cover
Table of Contents
Text
Robinsons Herkunft. – Hang zum Seeleben. – Unterredung mit seinem Vater. – Besuch in Hull. – Er geht zur See. – Sturm. – Des Schiffes Untergang auf der Reede zu Yarmouth. – Robinsons Unschlüssigkeit. – Reise nach London.
Im Jahr 1632 erblickte ich in der Stadt York das Licht der Welt. Mein Vater, aus der Familie Creutznaer in Bremen stammend, hatte sich als Kaufmann in Hull, in England, niedergelassen. Hier war ihm das Glück hold, so dass es ihm gelang, sich ein ansehnliches Vermögen zu erwerben. Darauf zog er sich von den Geschäften zurück und siedelte nach York über, um seine ferneren Lebensjahre in Ruhe zu verbringen. Dort führte er meine Mutter heim; sie zählte zu einer alten und angesehenen Familie, Namens Robinson. So kam es, dass ich den Doppelnamen Robinson Creutznaer empfing; letzterer Name wurde indes durch die Leute gewöhnlich in Crusoe umgewandelt, wie man es in England oft findet. Wir behielten auch in der Folge diesen Namen bei.
Ich hatte zwei ältere Brüder; der eine diente als Oberstleutnant in einem englischen Infanterieregiment in Flandern und fand seinen Tod, als die Engländer unter Cromwell Dünkirchen den Spaniern abgewannen. Was aus meinem zweiten Bruder geworden ist, habe ich niemals erfahren, ebenso wenig als meine Eltern je darüber Aufschluss erhielten, wie es mir selbst später ergangen ist.
Ich war also der dritte Sohn meiner Eltern und hätte eigentlich daran denken sollen, ihnen einmal eine Stütze zu werden. Ohne ernstlich die Wahl eines Lebensberufs zu erwägen, hing ich indessen abenteuerlichen Gedanken und Plänen nach; ich dachte nur an die Herrlichkeiten fremder Länder und träumte Tag und Nacht von Palmenwäldern, Goldbergen und den fabelhaften Schönheiten fremder Zonen. Nichts ging mir über das Leben eines Schiffers, der in seinem leichten Fahrzeug sich auf dem blauen Meere wiegen und alle jene von mir erträumten Wunder mit Augen schauen kann.
Zwar ließ es mein Vater an guten Lehren und an Schulunterricht nicht fehlen, zumal er wünschte, dass ich späterhin ein Rechtsgelehrter werden sollte. Allein der Hang zum Seeleben, den weder seine ernstlichen Warnungen noch die schmeichelnden Bitten der Mutter verdrängen konnten, nahm meine Gedanken unwiderstehlich gefangen und ließ mir alles, was die Heimat bot, gleichgültig erscheinen.
Eines Morgens rief mich mein Vater in sein Zimmer, das er infolge der Gicht hüten musste, und sprach zu mir in warmen und eindringlichen Worten.
»Mein Sohn«, begann er ernst und nachdrucksvoll, »du bist auf dem Wege, mir und deiner Mutter großen Kummer zu bereiten. Mein Sohn, ich meine es gut mit dir; lasse ab von deinen abenteuerlichen Plänen! Du willst den heimischen Herd, das Vaterland verlassen; glaubst du, dass du es anderwärts besser findest als hier, wo dir bei Fleiß und Kenntnissen eine sorgenfreie Zukunft erblühen wird? Täusche dich nicht! Nur solche, die arm und hoffnungslos sind, oder die ein ungebändigter Ehrgeiz treibt, mögen durch außergewöhnliche und kühne Unternehmungen Glück und Ruhm erjagen. Für dich sind alle diese Dinge entweder zu hoch oder zu niedrig. Gewöhne dich, den Mittelstand, dem wir angehören, als den glücklichsten Stand anzusehen. Ist er nicht der Wunsch aller? Gar manche Könige, in Glanz und Prunk aufgewachsen, hätten gern den goldenen Thron mit dem bescheidenen Handwerk vertauscht. Selbst der weiseste Herrscher hat einst den Mittelstand als den glücklichsten gepriesen, indem er Gott bat, ihm weder Reichtum noch Armut zu geben! Wer hier die Mittelstraße geht, den stacheln weder Neid noch glühende Wünsche des Ehrgeizes, noch wohnen in ihm Stolz und Missgunst.«
Robinson Crusoe wird von seinem Vater ermahnt.
So ermahnte mich mein Vater eindringlich, nicht mich selbst ins Elend zu stürzen. Er gab mir seine väterliche Absicht kund, dass er alles aufbieten würde, um mich auf der Laufbahn, die er für mich bestimmt habe, so freigebig zu unterstützen, als es mir in jeder Weise förderlich sein würde.
»Beherzige meine Worte!« fuhr er fort. »Dasselbe sagte ich auch deinen Brüdern, aber sie gingen ihren eignen Weg. Was war ihr Los? Fern vom Heimatshaus fiel dein ältester Bruder auf flandrischer Erde, und wo das Gebein deines zweiten Bruders modert, das weiß Gott allein. Glaube mir, deinem Vater, der nur auf das Glück deiner Zukunft bedacht ist; folgst du meinen Ermahnungen nicht, unternimmst du den unüberlegten Schritt, aufs Geratewohl in die weite Welt hinauszustürmen, so wirst du sicherlich eines Tages, wenn das Unglück bei dir einkehrt und niemand der Deinen um dich ist, bitter bereuen, dass du meine Mahnungen nicht beachtet hast.«
Tief ergriffen hielt er nach diesen Worten inne, während Tränen der Wehmut und Rührung seine Wangen netzten.
In jener Stunde nahm ich mir vor, gehorsam dem Willen meines Vaters mich zu beugen. Doch schon nach wenigen Tagen erwachte die alte Sehnsucht aufs Neue, und alle guten Vorsätze waren vergessen. Bei meinem Vater durfte ich nicht hoffen, mit meinen Bitten durchzudringen; deshalb versuchte ich meine Mutter günstig zu stimmen. Ihr stellte ich vor, dass mein Trieb, die Welt zu sehen, unüberwindlich sei, dass ich bereits im achtzehnten Jahre stehe und nun zu alt sei, um die juristische oder die kaufmännische Laufbahn zu betreten. Sie möge den Vater zu der Erlaubnis bewegen, mich wenigstens eine Reise unternehmen zu lassen; gefiele mir das Seemannsleben nicht, so wolle ich dann mit doppeltem Eifer das Versäumte nachholen.
Von diesen wiederholten Herzensoffenbarungen war meine besorgte Mutter durchaus nicht erbaut; sie sagte mir rundweg, dass es ganz zwecklos sei, mit dem Vater noch einmal über diesen leidigen Gegenstand zu sprechen. Trotzdem teilte sie gelegentlich die Unterredung dem Vater mit, und dieser gab ihr seufzend zur Antwort: »Der Junge könnte zu Hause ein ganz gutes Leben haben; geht er aber davon, so wird er der elendeste Mensch auf Erden. Ich gebe meine Einwilligung nicht!«
So verging abermals ein Jahr, währenddessen die wiederholten Ermahnungen meiner Eltern nur tauben Ohren gepredigt wurden. Eines Tages war ich nach Hull gegangen und traf dort zufällig mit einem alten Schulkameraden zusammen, der im Begriff stand, auf einem Schiffe seines Vaters nach London abzufahren. Er überredete mich, ihn zu begleiten, indem er mich nach Seemannsart mit den Worten lockte: »Die Fahrt soll dich nichts kosten, mein Junge.«
Mein Entschluss war gefasst. Unbekümmert um die Sorgen der Eltern, bestieg ich das Schiff; es war am 1. September 1651.
Selten hat die Strafe für den Leichtsinn so schnell begonnen und so lange gedauert wie bei mir. Kaum waren wir aus dem Hafen ausgelaufen, als es zu stürmen begann und die See hohl ging. Ich hatte noch nie eine Seereise mitgemacht, und so ergriff mich denn die unerbittliche Seekrankheit. Jetzt überfiel mich auch schon die Reue über meine unbesonnene Handlungsweise; meine Gedanken kehrten ins Elternhaus zurück, wo gewiss Vater und Mutter unter Tränen vergeblich meiner Wiederkehr harrten.
Der Sturm brauste immer heftiger, das Schiff sank bald in den Abgrund, bald wurde es hoch emporgeschleudert – mich überkam namenlose Angst. In diesen qualvollen Augenblicken gelobte ich, sofort wieder in das elterliche Haus zurückzukehren, wenn es nur Gott gefallen würde, mich aus der Gefahr zu erlösen. Als sich aber am nächsten Tage Sturm und Wellen gelegt hatten, waren auch alle meine guten Vorsätze dahin. Gegen Abend klärte sich das Wetter auf; die Sonne ging rein und glänzend unter, um am nächsten Morgen in gleicher Herrlichkeit wieder aufzugehen. Ihr heller Schein spiegelte sich auf der weiten Meeresfläche wider; ich konnte mich an diesem ungewohnten, prachtvollen Schauspiel nicht satt sehen.
Während der Nacht hatte ich gut geschlafen und mich auch von meiner Seekrankheit wieder erholt. Mein Blick schweifte über den glatten Spiegel des Meeres, dessen Wellen gestern noch so unheilvolles Verderben drohten. Eben stand ich in tiefes Sinnen versunken, da trat mein Freund, der mich zu dieser Seereise beredet hatte, an mich heran und sagte lachend:
»Nun, Robin, wie ist dir die Bewegung von gestern bekommen? Du hast dich doch wegen des kleinen Windstoßes nicht geängstigt?«
»Was? Windstoß? Ich habe in meinem Leben noch keinen solchen Sturm ausgestanden.«
»Das nennst du einen Sturm? Nichts war es. Hat man nur ein gutes Schiff und ist auf offener See, dann macht uns eine Mütze voll Wind mehr oder weniger nicht bange. Aber davon verstehst du noch nichts; du bist nur ein Süßwassermensch, mein Junge. Komm, wir wollen eine Bowle Punsch machen und alles vergessen. Sieh, was für prächtiges Wetter wir haben!«
Der Punsch wurde gebraut und ich musste tüchtig trinken, als sei ich schon seit Jahren Matrose. Da ging im Rausche alle Reue über meinen Ungehorsam unter; ich vergaß alle guten Vorsätze. Zwar kamen noch Augenblicke, in denen meine Vernunft widersprach, doch sah ich bald in solcher Regung nur eine Schwäche und bemühte mich, meine Grillen, wie ich es nannte, dadurch zu vertreiben, dass ich lustige Gesellschaft aufsuchte und fleißig den Kameraden zutrank. Nach wenigen Tagen hatte ich mein Gewissen beschwichtigt und die Erinnerung an alle väterlichen Lehren übertäubt.
Am sechsten Tage unsrer Fahrt gelangte unser Schiff auf die Reede von Yarmouth; widrige Winde und Windstille hatten uns seit jenem Sturme nicht erlaubt, eine größere Strecke zurückzulegen, und wir sahen uns genötigt, vor Anker zu gehen. Der Wind, anfangs minder stark, wuchs aber bald bis zum Orkan; alle Hände mussten zugreifen, um die Stengen und Raaen zu streichen. Die Wellen schlugen über unser Schiff, und ein paarmal glaubten wir, unser Ankertau sei zerrissen. Auf Anordnung des Oberbootsmannes wurde nun der Taganker ausgeworfen, so dass wir sicherer vor zwei Ankern liegen konnten.
Der Sturm raste fort; Angst und Entsetzen lagerten sich auf den Gesichtern der Matrosen. Der Kapitän ließ alle Vorsichtsmaßregeln anwenden, sein Schiff zu erhalten; doch schien er schon selbst die Hoffnung aufzugeben, denn als er an meiner Schlafstelle vorüberkam, hörte ich ihn in die Worte ausbrechen: »Der Herr sei uns gnädig! Wir sind alle verloren!« – Da bemächtigte sich meiner eine solche Todesangst, dass ich für den ersten Augenblick wie gelähmt in der Kajüte liegen blieb. Ich vermag es nicht zu schildern, was ich fühlte! Dann aber sprang ich aus der Kajüte auf das Verdeck und schaute umher. Welch entsetzliches Schauspiel bot sich meinen Blicken! Die Wellen gingen bergehoch und brachen sich an unsern Schiffswänden nach je drei oder vier Minuten; wohin ich auch sehen mochte, erblickte ich nichts als Angst und Not. Zwei schwerbeladene Fahrzeuge, die sich in unsrer Nähe befanden, hatten ihre Masten am Fuße gekappt – – eine halbe Stunde von uns entfernt sahen wir ein Schiff untergehen. Zwei andre, von ihren Ankern losgerissen, wurden in die See hinausgeworfen. Die leichteren Fahrzeuge hatten weniger zu leiden; dennoch trieben zwei oder drei, nur mit dem großen Blindsegel versehen, bei uns vor dem Winde vorbei.
Gegen Abend baten der Hochbootsmann und der Steuermann den Kapitän um seine Einwilligung, den Vordermast zu kappen. Er musste es schon zugeben, da der Hochbootsmann versicherte, das Schiff sei sonst unrettbar verloren. Als nun der Vordermast gefallen war, stand der große Mast ohne Stütze und erschütterte das Schiff so sehr, dass man sich genötigt sah, auch diesen umzuhauen.
Der Zustand, in welchem ich mich damals bei meiner Unerfahrenheit mit den Gefahren des Seelebens befand, ist unbeschreiblich. Deutlich erinnere ich mich, dass mich während dieser qualvollen Stunden mehr die Reue marterte, von meinen guten Vorsätzen abgegangen zu sein, als mich die Furcht vor dem Tode schreckte. Der Gedanke, dass dieses Unglück eine Strafe Gottes für meinen Ungehorsam sei, stürzte mich in tiefe Betrübnis. Aber das Maß unsrer Leiden war noch nicht voll.
Der Sturm tobte mit solcher Wut, dass selbst die Matrosen gestanden, nie einen ähnlichen erlebt zu haben. Obschon unser Fahrzeug tüchtig war, schwankte es doch heftig hin und her, so dass die Matrosen jeden Augenblick ausriefen: »Wir kentern!« d. h. wir schlagen um. Ja, was bei Seeleuten nur selten vorkommt, der Kapitän, der Hochbootsmann und mehrere andre sanken betend auf die Kniee und starrten hoffnungslos dem Untergange entgegen.
Um Mitternacht rief plötzlich einer der Matrosen: »Ein Leck im Schiff!« Ein andrer schrie: »Das Wasser steht schon vier Fuß hoch im Raum!« Alles musste jetzt an die Pumpen. Ich war wie gelähmt und sank auf mein Lager zurück. Die Matrosen weckten mich unsanft aus meiner Erstarrung auf und meinten, wenn ich auch vorher zu nichts genutzt hätte, so könnte ich doch jetzt an den Pumpen mit helfen gleich den andern.
Mechanisch folgte ich dieser Aufforderung; ich erhob mich und arbeitete tüchtig. Während dieser Zeit erblickte der Kapitän einige leichte Fahrzeuge, die, weil sie wegen des Sturmes vor Anker nicht aushalten konnten, das Tau hatten schlüpfen lassen; sie sahen sich gezwungen, das offene Meer zu gewinnen, und wendeten alle Mittel an, um einen Zusammenstoß mit uns zu vermeiden. Der Kapitän ließ durch einen Kanonenschuss ein Notsignal geben. Da ich nicht wusste, was das zu bedeuten habe, und glaubte, das Schiff ginge krachend in Trümmer, fiel ich vor Schrecken besinnungslos nieder. Niemand achtete jetzt meines Zustandes.
Jeder war nur für sein eignes Leben besorgt; ja ein Matrose, der mich für tot hielt, schob mich mit dem Fuße seitwärts und trat an meine Stelle. Es dauerte geraume Zeit, ehe ich wieder zu mir selbst kam.
Trotz der angestrengtesten Arbeit stieg das Wasser im Schiffe immer höher. Es war gewiss, dass wir sanken. Obgleich der Sturm ein wenig nachgelassen hatte, konnten wir doch kaum hoffen, einen rettenden Hafen zu erreichen. Fort und fort erdröhnten die Notschüsse; ein leichtes Fahrzeug in einiger Entfernung wagte es, uns ein Boot zu Hilfe zu senden. Nur durch einen glücklichen Zufall kam das Boot in unsre Nähe; aber es war uns lange nicht möglich, an Bord zu kommen, da es nicht anlegen konnte. Die Leute im Boot ruderten unter Lebensgefahr mit allen Kräften. Als sie endlich nahe genug gekommen waren, konnten wir ihnen ein Tau zuwerfen.
Sie fingen es auf und legten an Bord. Im Nu waren wir alle im Boot; doch mussten wir es aufgeben, jenes Schiff zu erreichen, das uns so menschenfreundliche Hilfe gesendet hatte. Daher beschloss man, das Boot treiben zu lassen, indem man vorsichtig nach der Küste zu steuerte. Der Kapitän versprach, es zu ersetzen, wenn es durch Stranden zertrümmert werden sollte. So, teils rudernd, teils mit dem Wind treibend, steuerten wir dem Lande zu, gegen das Vorgebirge von Winterton-Neß.
Wir hatten das Schiff kaum eine Viertelstunde verlassen, als wir es sinken sahen. Meine Augen umflorten sich, als die Matrosen auf das untergehende Schiff hinzeigten. Schon von dem Augenblicke an, wo ich in das Rettungsboot mehr geworfen worden als gestiegen war, legten sich auch Furcht und Gewissensangst wie Blei auf mein Herz.
Des Schiffes Untergang.
Die Schiffsleute ruderten rastlos, um das Land zu erreichen. Sobald unser Boot sich hoch aus den Wellen emporhob, bemerkten wir eine Menge Menschen längs der Küste, die alle bereit waren, uns Hilfe zu leisten, wenn wir nahe genug gekommen sein würden. Allein unsre Fahrt ging nur sehr langsam von statten. Erst nachdem wir den Leuchtturm von Winterton umschifft hatten, wo das Ufer sich westwärts gegen Cromer umbiegt und die Wogen deshalb nicht mehr so heftig sind, gelangten wir mit unsäglicher Anstrengung glücklich ans Land. Wir gingen dann nach Yarmouth, wo wir Schiffbrüchigen mit aller Menschenfreundlichkeit behandelt wurden. Die Obrigkeit wies uns gute Quartiere an, und die Kaufleute und Reeder der Stadt steuerten eine Summe Geldes zusammen, die jeden von uns in den Stand setzte, entweder nach London zu gehen oder sich nach Hull zurückzubegeben.
Hätte ich meinen Menschenverstand zusammengenommen und wäre nach Hull zurückgekehrt – alle Not würde zu Ende gewesen sein. Mein Vater hätte, um mich der Worte der Heiligen Schrift zu bedienen, in der Freude seines Herzens ein gemästetes Kalb geschlachtet.
Wie mir später mitgeteilt ward, hatte er erfahren, dass das Schiff, auf welchem ich mich befand, auf der Reede von Yarmouth untergegangen sei, und erst lange danach wurde ihm Gewissheit darüber, dass ich aus dem Schiffbruch gerettet worden. Aber es schien, als hätte ein schlimmer Geist meinen Sinn verblendet. Zwar regte sich manchmal die Vernunft in mir und mahnte mich, die Schritte wieder zum väterlichen Hause zu lenken; dennoch hielt mich ein Etwas ab, dieser inneren Stimme zu gehorchen. Zu der Lust an Abenteuern und am Wandern, die mich zu dem ersten Schritt des Ungehorsams gegen meine Eltern verleitet hatte, gesellte sich jetzt die Scham; umkehren wollte ich nicht mehr, und so trieb mich das Schicksal weiterem Unglück entgegen.
Mein Kamerad, des Schiffsherrn Sohn, der mir vorher Anleitung gegeben, mein Gewissen zu beruhigen, war jetzt mutloser als ich. Erst einige Tage nach unsrer Ankunft in Yarmouth kam ich wieder mit ihm zusammen, da unsre Quartiere weit auseinander lagen. Jetzt schlug er einen anderen Ton an als vorher; mit trüber Miene fragte er mich, wie es mir gehe. Als sein Vater dazu kam, teilte er diesem mit, wer ich sei, dass diese Reise nur ein Versuch für mich gewesen sei, und dass ich weiterreisen wolle. In dem Kapitän mochten die Erinnerungen an durchlebte gefahrvolle Tage des Seelebens emporsteigen, er wurde ernst, fast streng und sagte zu mir: »Junger Mann, Ihr dürft nicht wieder aufs Meer gehen; die kaum überstandenen Ereignisse müssen Euch die Überzeugung aufdringen, dass Ihr nicht zum Seemann geboren seid.«
»Wie, mein Herr«, erwiderte ich verwundert, »wollen Sie denn auch nicht mehr zur See gehen?«
»Bei mir ist das etwas andres; das ist mein Beruf, meine Pflicht, Ihr aber habt mit dieser Reise nur einen Versuch machen wollen, und ich dächte, Ihr hättet einen hinlänglichen Vorgeschmack dessen bekommen, was Euch bevorsteht. Doch sagt mir, wie kommt es eigentlich, dass Ihr zur See gehen wollt?«
Die Schiffbrüchigen auf dem Boot.
Ich erzählte dem Kapitän den Verlauf meines bisherigen Lebens. Als ich geendigt hatte, fuhr er in unmutigem Tone und tief erregt auf: »Womit habe ich verdient, dass solch ein Unbesonnener zu mir an Bord kommen musste? Um keinen Preis möchte ich je wieder mit Euch meinen Fuß auf dasselbe Schiff setzen!«
Das Unglück, welches ihn betroffen, hatte den Kapitän ganz außerordentlich heftig gestimmt. Indessen sprach er später liebevoller mit mir und stellte ganz eindringlich mir vor, wie töricht das Beginnen sei, die Vorsehung tollkühn versuchen zu wollen; ich täte sicher besser, zu meinem Vater zurückzukehren.
»Seid überzeugt, junger Mann«, schloss er seine wohlgemeinten Ermahnungen, »dass, wenn Ihr nicht zurückkehrt, Eurer überall nichts als Täuschungen und Elend harren, und dass die ernsten Worte Eures Vaters in Erfüllung gehen werden.«
Ich erwiderte nichts, sondern verabschiedete mich von dem wohlmeinenden Manne. – Ich habe ihn leider nicht wiedergesehen.
Da ich etwas Geld besaß, begab ich mich zu Lande nach London, unentschlossen, was ich eigentlich tun sollte. Nach Hause zu gehen verbot mir, wie gesagt, die Scham; auch fürchtete ich das höhnische Gerede der Nachbarn. Wie töricht ist doch die Jugend! Sie schämt sich oft mehr der Reue als der Sünde und stemmt sich mit Gewalt gegen die Weisungen des Verstandes. Sowie die Erinnerung an die ausgestandenen Gefahren schwand, trat auch der Gedanke an die Heimkehr in den Hintergrund; zuletzt gab ich ihn ganz auf und entschloss mich kurz, an Bord eines überseeischen Schiffes zu gehen.
Mein größtes Unglück auf allen meinen Reisen war die Hartnäckigkeit, mit der ich mich weigerte, als Matrose zu dienen. Zwar hätte ich dann gleich den andern tüchtig die Hände rühren müssen, aber ich hätte auch Aussicht gehabt, im Laufe der Zeit zum Steuermann, Hochbootsmann, Leutnant, ja vielleicht gar zum Kapitän emporzusteigen. Allein ich hatte ein besonderes Geschick, überall das Ungünstige zu wählen, und da mein Geld noch ausreichte und meine Kleider sich in leidlich guter Beschaffenheit befanden, so begab ich mich als Passagier an Bord, wobei ich freilich nichts zu tun hatte, aber auch nichts lernen konnte.
Ich kam also nach London. Dort hatte ich das Glück, in gute Gesellschaft zu geraten, was bei einem lockeren, leichtsinnigen Burschen, wie ich war, sicherlich selten genug ist. Meine erste Bekanntschaft war der Kapitän eines Schiffes, welches von der Küste von Guinea zurückgekehrt und im Begriff stand, wieder dorthin abzusegeln. Dieser treffliche Mann fand Wohlgefallen an mir und schlug mir vor, auf seinem Schiffe die Reise nach Guinea zu unternehmen. Er meinte, es solle mich nichts kosten, und wenn ich einige Waren einkaufen wollte, um sie in Afrika mit Vorteil loszuschlagen, so würde ich dadurch vielleicht einen erklecklichen Gewinn machen.
Wer war froher als ich? Ich nahm des Kapitäns Anerbieten ohne Bedenken an. Auf seinen Rat hatte ich für etwa 40 Pfund Sterling (800 Mark) Glaswaren und andre kleine Gegenstände eingekauft. Diese Geldmittel hatte ich durch Hilfe einiger Verwandten aufgebracht, mit denen ich in Briefwechsel geblieben, und letztere hatten auch meinen Eltern mein Schicksal und mein Vorhaben mitgeteilt, ja dieselben wohl vermocht, etwas zu meinem ersten Unternehmen beizusteuern.
Dies war die einzige Reise, von der ich sagen kann, dass sie glücklich ablief. Allerdings hatte mich das Missgeschick nicht gänzlich unberührt gelassen; infolge der allzu großen Hitze in den Tropen verfiel ich in ein heftiges Fieber, so dass ich längere Zeit in Afrika krank daniederlag; aber die Reise war doch nicht erfolglos für mich gewesen. Dies hatte ich lediglich der Rechtschaffenheit meines Freundes, des Kapitäns, zu danken, unter dessen Anleitung ich nicht unbedeutende Kenntnisse in der Mathematik und der Seemannskunde erlangte. Ich lernte ein Schiffstagebuch führen, nautische Beobachtungen anstellen, kurz Dinge, die ein Seemann wissen muss. Er fand ein gleiches Vergnügen daran, mich zu unterrichten, wie ich, von ihm zu lernen, und so bildete mich die Reise zum Kaufmann und Seemann. Mein Tauschhandel ging gut; ich brachte über fünf Pfund Goldstaub zurück, gegen die ich in London 300 Guineen (6000 Mark) erhielt. Dieser Erfolg erfüllte mich mit hochfliegenden Gedanken; aber Hochmut kommt stets vor dem Falle, und dieser Hochmut war die Ursache, dass ich eine dornenvolle Bahn durchwandern musste!
Da ergriff ich die zweite Flinte und traf den Löwen
Gefangenschaft in Saleh. – Flucht mit Xury.
So war ich also ein Guineakaufmann geworden. Zu meinem größten Leidwesen starb mein Freund bald nach unsrer Rückkehr, und ich entschloss mich, auf eigne Faust dieselbe Reise noch einmal zu unternehmen, und zwar auf demselben Schiff, welches jetzt der frühere Oberbootsmann führte. Es ward eine der unglücklichsten Fahrten.
Ich nahm für 100 Pfund Sterling (über 2000 Mark) Waren auf die Reise mit und ließ 200 Pfund in den Händen der Witwe meines Freundes zurück, die denn auch das Übergebene treulich bewahrte und mein Vertrauen in ihre Redlichkeit nicht getäuscht hat.
Reich an Hoffnungen steuerten wir zwischen den Kanarischen Inseln und der afrikanischen Küste hin. Da wurden wir plötzlich eines Morgens, noch in der Dämmerung, von einem maurischen Seeräuber überrascht, der bald, alle Segel aufhissend, auf uns Jagd machte.
Gegen 3 Uhr nachmittags kam er uns nahe und warf auf unser Deck 60 Mann, die sofort unser Tau- und Takelwerk zusammenhieben. Es kam zum Kampfe. Nachdem aber von unseren Leuten drei getötet und acht verwundet waren, mussten wir andern uns der feindlichen Übermacht ergeben. Wir wurden nach Saleh gebracht, einem unbedeutenden Hafen an der Küste der Barbareskenstaaten. Man führte mich jedoch nicht, wie meine übrigen Schicksalsgenossen, in das Innere des Landes, nach der Residenz des Kaisers, sondern der Kapitän behielt mich bei sich selbst zurück, weil ich ihm dienstbar sein sollte. So waren denn alle hochfliegenden Pläne des jungen »Guineakaufmanns« mit einem Schlage vernichtet. Ich war jetzt nichts als ein unglücklicher Sklave, und meines Vaters mahnende Stimme trat oft vor meine Seele; niemand war da, der mir rettenden Beistand geleistet hätte.
Indessen stieg die Hoffnung in mir auf, dass mich mein neuer Herr an seinen Seeunternehmungen werde teilnehmen lassen. Ich malte mir schon im Geiste meine Errettung durch ein spanisches oder portugiesisches Kriegsschiff aus. Eine derartige Gelegenheit sollte indes noch lange auf sich warten lassen. Inzwischen musste ich meinen Herrn häufig auf seinen Spazierfahrten begleiten, die er in einem kleinen Fahrzeug auf dem Meere unternahm, um nahe der Küste zu fischen. Einst hatte er zu einer gleichen Fahrt als Gäste mehrere vornehme Mauren eingeladen und traf hierzu außerordentliche Vorbereitungen.
Schon am Tage vorher musste ich in die Schaluppe mehr Lebensmittel als gewöhnlich bringen, ebenso drei Flinten mit Pulver, Kugeln und Schrot für die Jagd auf Seevögel. Als ich am nächsten Morgen mit dem blankgeputzten Boot auf das Erscheinen meines Herrn wartete, kam letzterer allein und erklärte, dass seine Gäste wegen unerwarteter Geschäfte behindert seien; ich möchte nur mit dem Maurenjungen auf den Fischfang fahren, da seine Gäste des Abends bei ihm speisen würden. Dann ging mein Herr und ließ mich mit dem Boot und dem Jungen allein.
Welche günstige Gelegenheit zur endlichen Ausführung meiner Fluchtpläne! Wir fuhren hinaus, und ich fischte anscheinend eine Zeitlang, sprach dann aber zum Jungen: »Wir fangen heute nichts, wir müssen weiter hinausfahren.« Als wir fern genug von der Küste uns befanden, sagte ich plötzlich zu dem Jungen: »Xury, wenn du mir treu sein willst, so werde ich dich zu einem großen Manne machen; schlage dich ins Gesicht und schwöre mir bei Mohammed und dem Barte deines Vaters Treue, sonst werfe ich dich in die See.« Der Junge lächelte mich in voller Unschuld an und versprach, mit mir zu gehen bis an das Ende der Welt.
Bei dem frischen Wind ging unsre stille Wasserfahrt so schnell vor sich, dass wir am nächsten Tage, nachmittags 3 Uhr, als wir uns dem Lande näherten, längst über das Gebiet des Kaisers von Marokko hinaus sein mussten, denn wir sahen keine Spur von Menschen an der Küste.
Die Furcht, wieder in die Hände der Mauren zu fallen, hielt mich indes ab, an das Land zu steigen oder die Anker auszuwerfen. Vielmehr segelte ich fünf Tage lang ununterbrochen fort und warf erst dann, als ich mich außer aller Verfolgung glauben durfte, den Anker nicht weit von der Mündung eines kleinen Flusses, ohne zu wissen, wo ich mich eigentlich befand. Es kam mir niemand zu Gesicht, und ich wollte auch niemand sehen; alles, was ich bedurfte, war frisches Wasser. Wir liefen am Abend in die Bucht ein und beschlossen, mit einbrechender Nacht zu landen, um die Küstengegend zu untersuchen.
Von meiner ersten Reise her wusste ich, dass die Kanarischen Inseln und die Inseln des Grünen Vorgebirges nicht weit entfernt sein konnten. Da ich aber die Lage nicht genau kannte, so hatte ich nur die Hoffnung, vielleicht einem englischen Schiffe zu begegnen, das uns aufnehmen könnte. Nach meinem Vermuten lag das Land, welches ich gesehen hatte, zwischen dem Kaisertum Marokko und Nigritien, dessen weite Einöden nur von wilden Tieren bewohnt sein sollten. Die Schwarzen hatten sich von hier aus südwärts gezogen, aus Furcht vor den Mauren; letztere aber betraten diese unfruchtbaren Landstriche nur, um in Haufen von Tausenden große Jagden abzuhalten. Löwen und Leoparden, Schakale und Hyänen fanden wir auf der ganzen Strecke, die wir an der Küste hinfuhren, äußerst zahlreich, und während der Nacht musizierten diese wilden Bestien in allen Tonarten.
Eines Morgens legten wir, um frisches Wasser einzunehmen, an einer kleinen, ziemlich hohen Landzunge an; die Flut stieg höher und höher, und wir wollten sie eben benutzen, um weiter vorwärts zu treiben, als Xury, der ein schärferes Auge hatte als ich, mir zuflüsterte: »Herr, wir müssen fort, dort an dem Felsen ist ein fürchterliches Tier.«
Ich blickte hin und erkannte in der Tat einen großen Löwen, welcher sorglos schlief.
Nachdem ich meinem Jungen bedeutet hatte, still zu sein, lud ich unser größtes Gewehr mit zwei Kugeln und legte es neben mich, hierauf machte ich auch meine zweite Flinte schussfertig und lud die dritte mit fünf Posten. Wohl zielte ich beim ersten Schuss genau nach dem Kopfe des Löwen; aber da er die Tatzen über die Schnauze hielt, so traf der Schuss eine derselben über dem Gelenk und zerschmetterte sie. Er fuhr auf, sank aber wieder nieder und erhob sich von neuem auf drei Pfoten, indem er ein entsetzliches Gebrüll ausstieß. Da ergriff ich die zweite Flinte und traf ihn so sicher durch den Kopf, dass er sich in Todeszuckungen wälzte. Jetzt fasste Xury sich ein Herz und wollte ans Ufer gehen; er sprang ins Wasser und schwamm, während er mit der einen Hand die Flinte über seinem Kopfe hielt, mittels der andern an das Ufer. Als er in der nächsten Nähe des Tieres war, setzte er ihm das Gewehr an das Ohr und tötete es vollends.
Da fiel mir ein, dass uns vielleicht das Fell des Löwen von Nutzen sein könnte. Wir machten uns sofort an die Arbeit. Obwohl Xury recht geschickt damit umzugehen wusste, plagten wir uns dennoch einen ganzen Tag lang, ehe wir die Haut vollständig abgestreift hatten; darauf ließen wir sie zwei Tage auf dem Dache der Kajüte ausgebreitet trocknen, und ich bediente mich dann ihrer zum Lager.
Nach diesem Aufenthalt steuerten wir wieder mehrere Tage südwärts. Sorgsam schonten wir unsern Mundvorrat, der bald zu Ende gehen musste, und landeten nur, um frisches Wasser einzunehmen. Meine Absicht ging dahin, den Fluss Senegal oder den Gambia zu erreichen, d. h. die Höhe des Grünen Vorgebirges, um vielleicht ein europäisches Fahrzeug zu treffen; denn ich wusste, dass alle nach der Küste von Guinea, nach Brasilien oder Ostindien bestimmten Schiffe das Grüne Vorgebirge umsegeln mussten.
An einigen Orten kamen nackte schwarze Menschen an den Strand, um uns anzustaunen. Einmal wollte ich zu ihnen ans Land gehen, aber der kluge Xury riet mir davon ab. Die Wilden waren ohne Waffen, nur ein einziger trug einen langen Stab; Xury belehrte mich, es sei eine Lanze, welche diese Schwarzen auf weite Entfernungen mit wunderbarer Sicherheit schleudern können. Ich hielt mich daher in angemessener Entfernung und suchte nur durch Zeichen ihnen zu verstehen zu geben, dass wir Lebensmittel wünschten. Sie winkten mir darauf, mit dem Boot still zu halten, ich legte bei und näherte mich dem Ufer, während zwei der Männer landeinwärts liefen und nach einer halben Stunde zwei Stücke getrocknetes Fleisch nebst etwas Korn zurückbrachten. Gern hätten wir zugegriffen, wir wagten uns jedoch nicht unter die Schwarzen. Allein diese hegten ebenso große Furcht vor uns; sie legten die Lebensmittel am Strande nieder, zogen sich dann zurück und warteten, bis wir das Niedergelegte geholt hatten, worauf sie sich wieder dem Ufer näherten.
Wir dankten ihnen durch Zeichen, da wir ihnen etwas andres nicht zu bieten hatten; doch sollte sich bald eine Gelegenheit finden, durch die wir ihnen einen großen Dienst erweisen konnten. Zwei furchtbare Tiere, von denen das eine das andre verfolgte, rannten von den Bergen gegen die See herab. Die Schwarzen liefen in hastigem Laufe davon, nur der Mann mit der Lanze blieb stehen. Die beiden Bestien dachten indes nicht daran, die Schwarzen anzufallen, sondern stürzten in das Wasser, als seien sie nur gekommen, um sich an einem frischen Bade zu erquicken. Ich lud unsre drei Gewehre, und da eines der Tiere nahe genug gekommen war, schoss ich dasselbe gerade durch den Kopf, so dass es untersank. Bald aber kam es wieder in die Höhe, tauchte bald auf, bald unter und schien mit dem Tode zu ringen. Das andre Tier, von dem Blitz und Knall des Gewehres abgeschreckt, schwamm an das Ufer und lief nach der Wildnis zurück.
Unmöglich lässt sich das Staunen der Schwarzen beschreiben, das sie bei dem Knalle und dem Feuer meiner Flinte befiel. Als sie aber das Tier tot auf dem Wasser schwimmen sahen und ich ihnen winkte, ans Ufer zu kommen, fassten sie wieder Mut. Ich schlang dem Tier einen Strick um eine Pfote und warf dessen Ende den Schwarzen zu, welche dann den Leichnam ans Land zogen. Jetzt erst bemerkte ich, dass es ein kräftiger, schön gefleckter Leopard war. Die Schwarzen gaben mir zu verstehen, dass sie nicht übel Lust hätten, das Fleisch des Leoparden zu essen; und da ich ihnen durch Zeichen ausdrückte, dass ich ihnen diese Beute zum Geschenk machen wolle, schienen sie außerordentlich dankbar zu sein und gingen sogleich daran, dem Tier die Haut abzuziehen.
Von dem Fleische, das sie mir anboten, nahm ich nichts an, sondern verlangte nur das Fell, das sie mir gern überließen. Noch begehrte ich von ihnen Wasser, indem ich einen Krug mit der Hand umkehrte, um anzudeuten, dass er leer sei. Sofort riefen sie einige Weiber herzu, die dann ein großes irdenes Gefäß herbeibrachten. Sie stellten es an das Ufer, wie früher die Lebensmittel, und ich schickte Xury los, um unsre drei Krüge aus diesem Gefäße mit Wasser zu füllen. So war ich denn mit Fleisch, Korn und Trinkwasser versehen, nahm daher von den freundlichen Schwarzen Abschied und segelte wiederum in der bisherigen Richtung zehn Tage lang, ohne zu landen, bis ich endlich vier oder fünf Stunden entfernt das Land weit in das Meer vorspringen sah. Die See war still; ich umsegelte diese Landspitze in einer Entfernung von ungefähr zwei Stunden. Bei dieser Fahrt sah ich ganz deutlich das andere Ufer des Kaps und vermutete – wie ich erfuhr, mit Recht – dass es das Grüne Vorgebirge sei und die Kapverdischen Inseln. Ich machte keinen Versuch, nach den letzteren zu steuern, da ich fürchtete, ein widriger Wind könnte mich in den offenen Ozean treiben.
In dieser Lage ging ich in die Kajüte und hing meinen Gedanken nach. Plötzlich rief Xury, der am Steuer saß: »Herr, ein Schiff mit Segeln!« Er war ganz außer sich vor Schrecken, weil er glaubte, unser maurischer Herr setzte uns mit einem Fahrzeug nach. Ich sprang aus der Kajüte und sah sofort, dass das Schiff ein portugiesisches war. Ich segelte und ruderte, so sehr ich konnte, um es einzuholen; endlich bemerkte man uns und zog die Segel ein, um uns herankommen zu lassen.
Man fragte mich auf portugiesisch, auf Spanisch und auf Französisch, wer ich sei, allein ich verstand keine dieser Fragen. Zuletzt erkundigte sich ein schottischer Matrose, der sich an Bord befand, auf englisch nach meinen Verhältnissen, und diesem sagte ich, dass ich ein Engländer und aus der Sklaverei der Mauren in Saleh entflohen sei. Man ließ mich nun an Bord kommen und nahm uns beide samt meiner Habe freundlich auf.
Ich empfand über meine Rettung unaussprechliche Freude und bot dem Kapitän als Beweis meiner Dankbarkeit mein ganzes Besitztum an. Allein er erwiderte mir großmütig, dass er nichts annehmen wolle: »Nein, Senhor Inglese (Herr Engländer), ich bringe Euch aus reiner Christenliebe nach Brasilien, und die Gegenstände, die Ihr mir anbietet, werden Euch dort zum Lebensunterhalt und zur Rückreise dienen.«
So edelmütig sein Vorschlag war, so pünktlich erfüllte er ihn auch. Keiner seiner Matrosen durfte etwas von meiner Habe anrühren. Als er mein Boot in gutem Zustande sah, machte er mir den Vorschlag, es ihm zu verkaufen. Ich antwortete ihm, er habe sich so edelmütig gegen mich gezeigt, dass ich es mir zur Ehre schätze, ihm mein Boot umsonst zu überlassen. Der Kapitän nahm jedoch das Anerbieten nicht an, sondern bezahlte das Boot und gab mir 80 Stück Dublonen; ebenso bot er 60 Stück für meinen Jungen Xury. Er wollte sich verpflichten, Xury nach zehn Jahren freizugeben, wenn er zum Christentum überginge; der Maure willigte freudig ein, und ich überließ ihn dem Kapitän.
Nach einer glücklichen Fahrt, die ohne Unfälle von statten ging, liefen wir in die Allerheiligenbai ein. Der edelmütige Kapitän ließ mich nichts für die Überfahrt bezahlen; er gab mir 20 Dukaten für das Fell des Leoparden und 40 für das des Löwen; er lieferte mir alle meine Sachen aus und kaufte mir alles ab, was ich ihm ablassen wollte, so z. B. den Flaschenbehälter, zwei meiner Flinten. Dies brachte mir gegen 220 Stück Dublonen ein; mit diesem Kapital ging ich in Brasilien ans Land.
Kurze Zeit darauf empfahl mich der Kapitän dem Hause eines Mannes, der ebenso rechtschaffen war, wie er selbst, und eine Zuckerpflanzung mit Siedewerk betrieb. Ich blieb einige Zeit bei ihm und machte mich bald mit dem Verfahren der Zuckerpflanzung vertraut. Dabei hatte ich Gelegenheit, das bequeme Leben der Pflanzer sowie ihren schnell emporblühenden Reichtum zu beobachten, so dass in mir der Wunsch aufstieg, mich ebenfalls als Pflanzer niederzulassen. Ich dachte nun an Mittel, mein in London gelassenes Geld hierher kommen zu lassen, kaufte so viel Land, als meine Mittel erlaubten, und entwarf einen Plan zur Errichtung meiner Pflanzung.
Robinson als Pflanzer.
Robinsons Aufenthalt in Brasilien als Pflanzer. – Eine neue Reise. – Schiffbruch.