13,99 €
Studienarbeit aus dem Jahr 2013 im Fachbereich Soziologie - Politik, Majoritäten, Minoritäten, Note: 1, Universität Trier, Veranstaltung: Seminar: Institutionenlehre, Sprache: Deutsch, Abstract: Organisierte Kriminalität wird generell ehr mit traditionellen Vergemeinschaftungsformen/ totalen Institutionen1 wie der italienischen Mafia, der sizilianische Cosa Nostra, der japanischen Yakuza, den chinesischen Triaden oder der Russenmafia in Verbindung gebracht, als mit Rockergruppen oder kleineren Zusammenschlüssen von Kriminellen. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass Clubs wie die Hells Angels ebenso wie bspw. die Cosa Nostra Gemeinsamkeiten mit jenen Organisationen haben, aus welchen unsere modernen Gesellschaften besteht. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich nicht nur in ihrem Aufbau, sondern auch in ihren Funktionen, ihrem Zweck und ihrer Entstehung feststellen. Da eine Rockergruppe bei ihrer Selbstinszenierung, ihrem Image, Wert darauf legt zu betonen, dass die Mitglieder außerhalb der Gesellschaft stehen, oder zumindest „besonders“ sind, erscheint es widersprüchlich, dass sie trotzdem Merkmale von Organisationen aufweisen die ja üblicher Weise gesellschaftliche Funktionen haben. Widersprüchlich also deshalb, weil Organisationen ganz egal mit Hilfe von welchem theoretischen Modell man sie betrachtet, sie die moderne gesellschaftliche Ordnung konstituieren und sich Gesellschaft und ihre Organisationen wechselseitig beeinflussen...
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Veröffentlichungsjahr: 2014
Impressum:
Copyright (c) 2015 GRIN Verlag / Open Publishing GmbH, alle Inhalte urheberrechtlich geschützt. Kopieren und verbreiten nur mit Genehmigung des Verlags.
Bei GRIN macht sich Ihr Wissen bezahlt! Wir veröffentlichen kostenlos Ihre Haus-, Bachelor- und Masterarbeiten.
Jetzt beiwww.grin.com
Inhaltsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
1. Organisierte Kriminalität: Hells Angels
2. Organisations- und kriminalsoziologische Theorien
3. Hells Angels
3.1. Club-Struktur
3.2. Hells Angels & sizilianische Mafia
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
Der Tatbestand „organisierte Kriminalität“ (OK) ist in Deutschland nicht durch eine bestimmte Rechtsnorm klar definiert. Vielmehr besteht der Begriff aus dem zusammenkommen mehrere Straftatbestände, wobei die Polizei die folgende Definition verwendet:
"Organisierte Kriminalität ist die von Gewinn- oder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung sind, wenn mehr als zwei Beteiligte auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig a)unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, b) unter Anwendung von Gewalt oder anderer zur Einschüchterung geeigneter Mittel oder c) unter Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft zusammenwirken."[1]
Bei den für die OK relevanten Verbrechen handelt es sich laut Bundeskriminalamt um Rauschgifthandel, Rauschgiftschmuggel, Kriminalita?t im Wirtschaftsleben, Eigentumskriminalita?t, Steuerdelikte, Zolldelikte, Schleuserkriminalita?t, Fa?lschungskriminalita?t, Gewaltkriminalita?t, Kriminalita?t im Nachtleben, Geldwa?sche, Cybercrime, Waffenhandel, Waffenschmuggel, Umweltkriminalita?t und Andere.[2] Rockerbanden wie die Hells Angels können häufig in Zusammenhang mit Verbrechen dieser Art gebracht werden, nicht zuletzt auch in medienwirksamen Prozessen wie bei der Festnahme des früheren höchsten Mitgliedes der deutschen Hells Angels, Frank Hanebuth, im Juli diesen Jahres (23. Juli 2013) auf Mallorca, wobei unter anderem die Straftatbestände Geldwäsche, Erpressung und Prostitution von Bedeutung waren .[3] OK wird aber generell ehr mit traditionellen Vergemeinschaftungsformen/ totalen Institutionen[4] wie der italienischen Mafia, der sizilianische Cosa Nostra, der japanischen Yakuza, den chinesischen Triaden oder der Russenmafia in Verbindung gebracht, als mit Rockergruppen oder kleineren Zusammenschlüssen von Kriminellen. Dabei wird häufig außer Acht gelassen, dass Clubs wie die Hells Angels ebenso wie bspw. die Cosa Nostra, Gemeinsamkeiten mit jenen Organisationen haben, aus welchen unsere modernen Gesellschaften bestehen. Diese Gemeinsamkeiten lassen sich nicht nur in ihrem Aufbau, sondern auch in ihren Funktionen, ihrem Zweck und ihrer Entstehung feststellen. Da eine Rockergruppe bei ihrer Selbstinszenierung, ihrem Image, Wert darauf legt zu betonen, dass die Mitglieder außerhalb der Gesellschaft stehen, oder zumindest „besonders“ sind, erscheint es widersprüchlich, dass sie trotzdem Merkmale von Organisationen aufweisen die ja üblicher Weise gesellschaftliche Funktionen haben. Widersprüchlich also deshalb, weil Organisationen ganz egal mit Hilfe von welchem theoretischen Modell man sie betrachtet, sie die moderne gesellschaftliche Ordnung konstituieren und sich Gesellschaft und ihre Organisationen wechselseitig beeinflussen.[5] Im folgenden wird deshalb der Rockerclub Hells Angels genauer unter einer organisationssoziologischen Perspektive betrachtet, wobei zur Abgrenzung, wie zur Verdeutlichung, die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra, herangezogen wird. Ziel ist es genauer zu verstehen welche Funktionen innerhalb einer Gesellschaft Rockerclubs haben, sowie wie diese zustande kommen.
Organisationen, ebenso wie Institutionen sind begrifflich je nach theoretischer Perspektive die man einnimmt um diese Formen zu untersuchen, verschieden definiert, obgleich es häufig Ähnlichkeiten gibt. Organisationen haben in Gesellschaften eine instrumentelle Funktion und bestimmen welche Form eine Gesellschaft hat. Das bedeutet auch, dass sich die Kultur einer Gesellschaft in Ihren Organisationen widerspiegelt. Was sich daran verdeutlichen lässt, dass sie in der Regel einem gesellschaftlichen Zweck dienen. Organisationen und gesellschaftliche Entwicklung hängen somit zusammen und sind nicht getrennt voneinander zu betrachten. [6] Organisationen weisen außerdem einige Merkmale auf die im folgenden wichtig sein werden:
Der Eintritt ist vertraglich geregelt und auch die Austrittsbedingungen sind in diesem Vertrag festgehalten, sodass beides zu jeder Zeit möglich ist. Die Organisation hat immer nur Zugriff auf einige Teilbereiche im Leben ihres Personals, bspw. steht häufig das Privatleben von diesem außerhalb des Bereiches der für die Organisation zugänglich ist. Organisationen dürfen nicht gegen das Recht verstoßen was daraus folgt, dass die Handlungsfähigkeit einer Organisation auf Herrschaft beruht und damit auf Legitimität.[7]
Hier liegt das Problem wenn man bspw. die Mafia als Organisation, oder Institution untersuchen möchte. Kriminelle Organisationen sind zwar häufig durchstrukturiert und das Personal ist vertraglich in irgendeiner Weise gebunden, doch geht bei der Mafia mit dem Austritt in der Regel auch das Ende des eigenen Lebens einher. Zudem ist der Zugriff der Mafia auf das Leben der Mitglieder nicht auf einen Teilbereich beschränkt, sondern bezieht den ganzen Menschen mit ein und häufig auch noch dessen Familie.[8] Des weiteren können gerade solche kriminellen Organisationen dadurch gekennzeichnet sein, dass sie Funktionen innehaben, die normalerweise der Staat übernimmt, sie jedoch unter anderen Bedingungen und Wertvorstellungen ausführt(siehe 3.2).[9] Dies hat zur Folge, dass die Regeln der kriminellen Organisation einen höheren Stellenwert für ihrer Mitglieder haben, als jene die vom Staat vorgegeben werden. Somit ist die Legitimität dieser kriminellen Organisation anders begründet als die des Staates. Diese Liste ließe sich noch weiter führen, aber der Grundgedanke hier ist, dass kriminelle Organisationen aufgrund dieser vertraglichen Regelungen totale Institutionen, oder traditionelle Vergemeinschaftungsformen darstellen und sich so von den im Staat legitimen Organisationen unterscheiden.[10] Dies gilt jedoch nicht für alle Gruppierungen die in irgendeiner Weise mit der OK in Zusammenhang stehen, sondern insbesondere für die Mafia.
Um im weiteren den theoretische Rahmen etwas einzugrenzen ist es sinnvoll den organisationssoziologischen Ansatz der neuen Institutionentheorie wie bei Meyer, Rowan und Zucker[11] genauer zu betrachten. Im neuen Institutionalismus ist besonders der Aspekt der gesellschaftlichen Legitimität von Bedeutung[12]. Organisationen sind, wie oben erwähnt, zweckdienlich und sie eröffnen einen Möglichkeiten innerhalb einer Gesellschaft, zum Beispiel bestimmte Funktionen zu übernehmen. Dies tuen sie zum Teil dadurch, dass sie gesellschaftliche Ansprüche formalisieren und und so Legitimität schaffen. Dadurch wird gesichert, dass Personal, Vorgänge, etc. bestimmten Normen entsprechen, oder auch den Anforderungen gerecht werden. Diese Art der Rationalisierung bringt eine gewisse Starre mit sich, da Neuerungen in Prozessen erst als legitim anerkannt werden müssen. Andererseits sichert sie die Handlungsfähigkeit von Organisationen auch dann, wenn einzelne Mitglieder des Personals im Interessenkonflikt mit dieser stehen.[13] Zuvor wurde wiederholt der Begriff des Personals verwendet. In Organisationen beschreibt der Begriff laut neuer Institutionentheorie „Eine gesellschaftlich institutionalisierte Form der Mitgliedschaft, an institutionalisierten Erwartungen orientiert“[14] Das Personal besteht aus Personen. Person bezieht sich hier auf ein Bild von uns selbst, das wir orientiert an gesellschaftlichen Normvorstellungen und Erwartungen selbst von uns nach außen hin erzeugen. [15] Betrachtet man kriminelle Organisationen, wird klarer wie genau das gemeint ist, da innerhalb dieser andere Normvorstellungen geltend gemacht werden als in der sonstigen Gesellschaft und somit auch die Erwartungen an die Person und das Personal anders sind. Die genauere Bedeutung davon wird im Folgenden dargelegt.
Die Hells Angels bestehen seit 1948. Damals schlossen sich ehemalige Air Force Soldaten zusammen und gründeten den Motorradclub in Kalifornien. In Deutschland treten sie erstmals 1978 auf (Hamburg). Der Club betätigt sich zunächst im Türsteher-Geschäft und im Rotlichtmilieu, später kommt andere Bereiche hinzu.[16] Die Mitglieder werden häufig verhaftet und „Europol berichtet dazu, dass 60% der Mitglieder der Hells Angels vorbestraft sind.“[17] Des weiteren ist ein für alles Folgende wichtiger Aspekt, dass die Hells Angels um ein gewisses Club-Image bemüht sind. Wie bereits oben erwähnt, ist eine 'Person' etwas sozial erzeugtes und in gewisser Weise auch als Bild von uns zu verstehen, das wir nach außen hin repräsentieren. Die Mitglieder des Rockerclubs verstehen sich nicht nur durch bspw. die Einordnung durch die Polizei, als Aussenstehende der Gesellschaft, sondern provozieren diese Wahrnehmung gezielt. Die Behörden verwenden im Zusammenhang mit auffälligen Rockergruppierungen wie den Hells Angels die Bezeichnung OMCG ( Outlaw Motorcycle Gang). Damit wird auf die Club- Philosophie Bezug genommen in welcher das Recht für viele Mitglieder weniger Bedeutung hat, als die Clubrichtlinien. Zu den Richtlinien zählen bspw. die „World-Rules": Die geheimen, geschriebenen Regeln der Hells Angels. Für die Mitglieder sind sie heilig, jeder muss sich an sie halten. Pro Charter gibt es maximal ein Exemplar.”.[18] Für die Mitglieder steht bei dem Begriff „Outlaw“ vor allem die Konnotation „Freiheit“ im Vordergrund. Eng im Zusammenhang mit dieser Bezeichnung steht der Titel 1%er. Diese Bezeichnung entstand durch eine Stellungnahme der AMA (American Motorcyclist Association), in welcher nach Ausschreitungen bei einem Treffen von Motorradfahrern angegeben wurde das nicht alle Motorradfahrer stigmatisiert werden sollten, da lediglich ein Prozent dieser tatsächlich verantwortlich wären, wenn es zu derartigen negativen Auffälligkeiten käme. Bei dieser Stellungnahme handelt es sich vermutlich um eine Reaktion auf die öffentliche Entrüstung, welche dem Ruf aller Rocker, bzw. dem von Motorradclubs schadete. Um ein gewisses Image zu verkörpern, tragen seit dem einige Mitglieder von Rockerclubs das 1% Abzeichen, obgleich es auch innerhalb des Clubs Uneinigkeit darüber gab, ob das Abzeichen getragen werden darf, oder sollte.[19]
Weiter ist es üblich Patches für das Verüben bestimmter Straftaten an Mitglieder zu vergeben. Darunter fällt das oben abgebildete 'Dequiallo' Abzeichen welches bedeutet, dass der Träger mit Gewalt gegen einen Polizeibeamten vorgegangen ist. Im Falle, dass ein Mitglied für ein anderes getötet hat, ist das Abzeichen 'Fifty Few' vorgesehen.[20] Das Image, welches hier durch Personen verkörpert wird gibt die Erwartungen innerhalb der Gruppe wieder und zeigt die Organisationskultur auf. Unter Organisationskultur wird in diesem Kontext die
„'Gesamtheit gemeinsam geteilter Grundannahmen, Werthaltungen, Normen und Orientierungsmuster, die von Menschen in einer Organisation zur Bewältigung der Probleme der äußeren Anpassung und der inneren Integration entwickelt wurden und die sich nach gemeinsamer Überzeugung so bewährt haben, dass sie an neue Mitglieder weiterzugeben sind, damit diese in der richtigen Weise wahrnehmen, denken, fühlen und handeln.'“[21],verstanden.
Die Organisationskultur die bei den Hells Angels anzutreffen ist, zeichnet sich, betrachtet man die eben angeführten Punkte, dadurch aus, dass sie dem Versuch Ausdruck verleiht der Freiheitseinschränkung durch den Staat und durch gesellschaftliche Konventionen, die vom Club als nicht mehr akzeptabel angesehen werden, etwas entgegenzusetzen. Auch das Motorradfahren an sich ist hier nicht alleine durch den Spaß am Fahren begründet, sondern zusätzlich durch den Zusammenhang von Freiheit und Gefahr. Gemeint ist damit, dass ein Zugewinn an Freiheit aus sich selbst heraus auch immer mit einem Verlust an Sicherheit verbunden ist. 2012 sind 586 Motorradfahrer tödlich verunglückt. Damit weisen sie die zweithöchste Anzahl an Toten in diesem Jahr unter den Verkehrsteilnehmern auf. Mehr Tote gab es nur bei Personenkraftwagen und hierbei handelt es sich lediglich um die absoluten Werte.[22] Die Selbstdarstellung der Mitglieder der Hells Angels ist also insgesamt sehr stark von gemeinsamen Vorstellungen und einem gemeinsamen Lebensgefühl bestimmt. Sie reproduzieren die Organisationskultur.
Bisher sind wir davon ausgegangen, dass es sich bei den Hells Angels in irgendeiner Form um eine Organisation handelt. Eine Organisation zeichnet sich, wie zuvor beschrieben, besonders durch die Art ihrer Strukturierung und der Legitimität dieser aus. Bei einer Organisation erwarten wir eine hierarchische Ordnung, da ohne eine solche ein strategisches und rationales Vorgehen der Organisation erschwert werden würde. Da die Hells Angels aber häufig mit der OK in Verbindung gebracht werden können, kann man von einem strategischen Vorgehen ausgehen, wobei der Zweck hier nicht eindeutig festzulegen ist und von der Art und Weise des Tatbestandes, sowie den Zielen des Clubs abhängig ist. Im Vordergrund stehen aber die Generierung von finanziellen Mitteln und Macht. Letzteres hängt häufig von Ersterem ab und bezieht sich auch darauf in wie weit kriminellen Tätigkeiten nachgegangen werden kann, ohne mit rechtlichen Konsequenzen rechen zu müssen. Auch hier steht also der Aspekt Freiheit wieder im Fordergrund.
Bei den Hells Angels ist die Struktur aber nicht nur durch ihre kriminellen Tätigkeiten zu begründen. Zum einen haben die Hells Angels ihren Ursprung bei ehemaligen Mitgliedern des Militärs. Das Militär kann man als totale Institution bewerten, da es in der Regel über alle Lebensbereiche der Soldaten bestimmt, ihre gesamte Zeit in Anspruch nimmt, ggf. den Tod im Einsatz fordert und der Austritt außerhalb der Verpflichtungszeit nur bedingt, und meist unehrenhaft, ermöglicht. Desweiteren ist der Austritt, sowie der Ungehorsam, je nach Umständen, mit negativen Konsequenzen verbunden. Diese können auch die Überstellung in ein Gefängnis beinhalten. Die Personen die den Club gegründet haben, hatten also eine sehr bestimmte Vorstellung von Strukturen, Gehorsam, Disziplin etc. Aus diesen Wertvorstellungen ist zum Teil dann die Organisationskultur hervorgegangen auf welcher die Struktur aufbaut. Die Organisationskultur hat laut neuer Institutionentheorie die Funktion der Anpassung der Organisation an ihr Umfeld.[23] Nun zeigt das Image der Hells Angels aber klar auf, dass sie sich von der Gesellschaft abgrenzen und nach eigenen Regeln leben möchten. Dies bedeutet aber nicht, dass keine Anpassung seitens des Clubs an die kulturelle Umwelt geschieht. Der Club muss gewissen Rationalitätsansprüchen gerecht werden, damit Funktionalität und nicht zuletzt Wirtschaftlichkeit garantiert sind. Bei Funktionen ist zum einen die Rede von Tätigkeiten innerhalb der OK und zum anderen von gesellschaftlichen Funktionen. Bei diesen handelt es sich um mehrere: Die Hells Angels bieten Motorradliebhabern eine Möglichkeit sich zusammenzuschließen und ihrem Hobby unter Gleichgesinnten nachzugehen, dann arbeiten sie effizient in Bereichen, in welchen der Staat bei der Organisation und der Verfassung von adäquaten Normen, sowie der Umsetzung dieser, keine optimalen Ergebnisse erzielt (siehe 3.2), hier ist bspw. der Drogen- und Waffenhandel zu erwähnen.[24] Im konkreten Fall der Hells Angels wurde der Club deshalb streng hierarchisch und an klaren Vorgehensweisen orientiert aufgebaut: Die lokalen Zusammenschlüsse der Hells Angels nennt man Charter. Diese gibt es in den „U.S.A, Canada, Brazil, Argentina, Australia, South Africa, New Zealand, Spain, France, Belgium, Holland, Germany, Italy, Switzerland, Liechtenstein, Austria, England/Wales, Finland, Norway, Sweden, Denmark, Greece, Russia, Bohemia, Portugal, Chile, Croatia, Luxembourg, N.Ireland, Hungary, Dominican Republic, Turkey, Poland , Iceland ,Ireland, Malta, Thailand, Latvia, Lithuania, Caribbean, Serbia, Slovakia, Estonia and Romania“.[25] 2012 gab es in Deutschland 49 Charter des Motorradclubs. Damit gab es nur in den USA mit 77 Chartern noch mehr Zusammenschlüsse.[26]In Ländern die keine eigenen Charter haben, nennt man die Mitglieder „Nomads“ (eng.: Nomaden). [27] Innerhalb eines Charters ist die Hierarchie streng festgelegt und zum einen daran wie lange man Mitglied ist, zum anderen daran wie anerkannt man innerhalb des Clubs ist, also als wie legitim man erachtet wird, orientiert. Legitimität drückt sich vor allem dadurch aus mit wie viel Überzeugung man die Ideale des Clubs auslebt und bereit ist, diese dann auch nach außen hin zu vertreten. Zuvor war im Bezug auf die Organisationskultur häufig die Rede von einem Image als „Outlaw“ und Freiheit. Das ist das Image, welches von den Mitgliedern durch ihr persönliches Auftreten vermittelt wird. In der Medienpräsenz des Clubs selbst wird jedoch ein anderes Bild erzeugt: Auf der Homepage der Hells Angels verwiesen Links und Beiträge wiederholt darauf, das die negative Sichtweise welche durch die Polizei und die Medien bezüglich der Hells Angels verbreitet wurde, nicht korrekt sei. Dabei wird stark betont, dass die Hells Angels sich als Bruderschaft sehen. Damit ist gemeint, dass die Mitglieder loyal zueinander und damit zum Club stehen und sie eine Art Familie bilden. Zum Begriff der Bruderschaft und Loyalität gehört auch der der Verschwiegenheit. Was auch daran zu erkennen ist, dass zwar öffentlich Kritik seitens des Clubs geäußert wird, aber selten konkrete Sachverhalte aus eigener Sicht beschrieben werden, oder Namen genannt werden. In einem Interview mit einem der Hells Angels Gründern in Deutschland, erklärte dieser außerdem, dass es strenge ethische Ansprüche an die Mitglieder gebe, welche durchgesetzt werden: Klein Hells Angel darf jemanden verraten, sich an Tieren oder Kindern vergehen, oder Drogen nehmen. Dabei geht er aber nicht weiter auf ethische Ansprüche des Clubs ein.[28] Hier wird klar, dass es nicht eindeutig möglich ist die Clubideale konkret und eindeutig zu benennen. Wesentlich ist aber, dass die Legitimität durch Loyalität zum Club gekennzeichnet ist. Wie genau dabei solche Widersprüchlichkeiten im Auftreten entstehen, wird später noch genauer thematisiert. Im Folgenden wird erst einmal die Clubhierarchie von unten nach oben dargestellt: Man kann nicht als Fremder bei den Hells Angels aufgenommen werden, da bei einem Fremden nicht klar ist, in wie weit soziale Nähe besteht, bzw. es wird erst einmal davon ausgegangen, dass keine besteht.[29] Die bedeutet für den Interessierten, dass er eine „Hangaround-Phase“ durchläuft. Dabei handelt es sich um eine Zeit in welcher der Interessierte sich auf dem Clubgelände aufhält und Kontakt zu Mitgliedern aufbaut. Wird der Anwärter als ausreichend vertrauenswürdig und als mit den Clubidealen vorerst kompatibel erachtet, wird er ein „Prospect“. Als „Prospect“ erledigt man alle weniger wichtigen Aufgaben im Club, hat aber keine Rechte inne. Danach, wenn man dann immer noch als loyal eingestuft wird, wird man zum „Member auf Probe“. Dieser Status hält ein Jahr lang an. Man darf in diesem Jahr noch keine Ämter übernehmen oder an Meetings teilnehmen. Erst dann wird man zum „Member“ ernannt. Ein „Member“ kann auch Ämter innerhalb des Clubs annehmen. Bei solchen Ämtern handelt es sich bspw. um den „Sergant-at-Arms“, welcher die Verwaltung der Waffen für den Club übernimmt, den „Secretary“, er kümmert sich um die Bürokratie, den „Charter-Treasurer“, jemanden der die Finanzen verwaltet, oder auch den Präsidenten, bzw. Vize- Präsidenten, welcher dem Club vorsteht.[30] Gerade mit letzterem Amt wird an Positionen in der Regierung erinnert und auch nach außen hin ein Eindruck von Legitimität erzeugt, da man mit diesen Posten in der Gesellschaft auch die dazugehörige Regierungskompetenz verbindet. Die Struktur bildet nicht nur eine Hierarchie, sondern auch ein funktionales Netzwerk. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich die Internetpräsenz des Clubs (in Deutschland: www.hells-angels-germany.de ) genauer anschaut. Mittels Links kann man sich auf viele Seiten weiterleiten lassen, welche bspw. sorgfältig sämtliche Beiträge der Medien zum Club archivieren, auf das Rotlichtmilieu verweisen, Szenenachrichten veröffentlichen und Treffen ankündigen. Desweiteren verweist die Seite www.hellsangelsmedia.com auf ein Anwaltsverzeichnis und unter dem Schlagwort „Big Brother“ ,auf Behörden, die Polizei, die Nation, etc. Wobei derzeit, zumindest für Außenstehende die Inhalte nicht abrufbar sind. Auch ist die Rede von einem sogenannten „Pony-Express“, was die persönliche Benachrichtigungskette beschreibt, welche für vertrauenswürdige Nachrichten genutzt wird, wobei vertrauenswürdig nicht zwingend kriminell heißen muss, aber kann.[31] Dies verdeutlicht, dass sich Loyalität und Verschwiegenheit nicht alleine im rechtlichen Rahmen bewegen, sondern auch Mittel zur Verfügung gestellt werden, die Mitglieder beim Vergehen von Straftaten schützen und keine Auslieferungen an die Polizei stattfinden. Wie genau dieses Netzwerk jedoch arbeitet, kann nur vermutet werden, da kaum vertrauenswürdige Quellen zur Verfügung stehen. Da der Nachweis sich schwierig gestaltet, wird auch oft nur von einem Verdacht der OK gesprochen.
Zu Anfang war schon vereinzelt die Rede von der Mafia, ohne dabei jedoch weiter auf das Thema einzugehen. Grund dafür ist, dass die Mafia zwar als totale Institution, oder traditionelle Vergemeinschaftungsform betrachtet werden kann, aber nicht die Kriterien einer Organisation in einer rationalisierten, bürokratischen Gesellschaft, bzw. einem Staat erfüllt. Aber gerade deshalb kann man an ihr, zum einen gut den Nutzen von kriminellen Organisationen und der OK für die Gesellschaft herleiten, zum anderen ermöglicht sie es genauer zwischen Gruppierungen wie den Hells Angels, und Organisationen deren Tätigkeitsfeld alleine in den rechtlichen Grauzonen, oder wirtschaftlichen, aber kriminellen Gebieten liegt, zu unterscheiden. Unter Mafia ist dabei nicht eine bestimmte Gruppe zu verstehen. Deshalb ist das Folgende auf die sizilianische Mafia, die Cosa Nostra (it.: unsere Sache) beschränkt. Man kann sie als eine Art Wirtschaftsunternehmen verstehen, welches mit der Ware „Schutz“ oder „Sicherheit“ handelt.[32] Dabei geht die Mafia aber nicht so vor wie bspw. eine Sicherheitsfirma, welche vertraglich gebundenes Sicherheitspersonal zur Verfügung stellt, welches dann legal entlohnt wird und sich innerhalb des rechtlichen Rahmens des Staates bewegt. Auch die Hells Angels beteiligen sich im Sicherheitsgeschäft und nutzen ihre Position dort um ihren Einflussbereich zu vergrößern und wirtschaftlich zu profitieren, wobei es auch vorkommen kann, dass Straftaten begangen werden.[33] Bei der Anstellung handelt es sich jedoch um ein legales Angebot, welches mit einem Vertrag beschlossen wird und legal zustande kommt, somit also auch wieder einfach beendet werden kann. Die Straftaten stehen nicht im Vordergrund der Anstellung. Im Vergleich dazu bietet die Mafia Schutz als Gegenleistung für Bezahlung, Gefallen, Informationen,...[34] Dabei nutzen sie zum erreichen Ihrer Ziele bspw. Gewalt, Korruption und Vermittlung. Gewalt steht häufig im Vordergrund, da sie ein wichtiger Bestandteil der Machtsicherung ist und auch die Androhung ausreicht um entsprechende Resultate zu erzielen. Zudem ist das Sicherheitsangebot nicht immer eines, welches man freiwillig als Privatperson in Anspruch nimmt. Vielmehr beherrscht die Mafia ein bestimmtes Gebiet und ist dort stark mit Politik und dem Rechtssystem verwoben. Die sizilianische Mafia besteht aus Familien, was ebenso wie bei der Bruderschaft der Hells Angels nicht gänzlich wörtlich zu verstehen ist, obgleich jemand der in eine Mafiafamilie geboren wurde dementsprechend geprägt ist. Vielmehr handelt es sich um Männer die einer Gemeinschaft beitreten, welcher sie dann mit ihrem Leben verpflichtet sind, wobei Verschwiegenheit, wie auch bei den Hells Angels, einer der wichtigsten Grundsätze ist. Ein Unterschied bildet sich aber noch klarer heraus wenn man genauer betrachtet was unter der Ware Schutz verstanden wird. Die Hells Angels bieten, bspw. als Türsteher, Schutz zu festgelegten wirtschaftlichen Konditionen, können jedoch keine Garantie für diese vergeben und sie befinden sich dort üblicher Weise in einem Beschäftigungsverhältnis, was sie zu Personal macht. Die Mafia bietet Schutz, Sicherheit und Informationen, wobei sie für diese auch garantiert, was den gezielten Einsatz von Straftaten und auch Kapitalverbrechen miteinschließt. Bei Mafiosi handelt es sich zudem nicht um Personal, welches sich nur zum Teil einer Organisation verpflichtet und sich für die Ziele dieser nicht unter Bedrohung des eigenen Wohls einsetzt. Von einem Mafiosi wird erwartet, das er sein Leben für die Familie, also die Mafia, und deren Ziele, jederzeit aufgeben würde. Damit hat die Mafia einen Vorteil gegenüber jeder staatlichen Behörde im Bezug auf die Handlungsfähigkeit.[35]Der Unterschied zu den Hells Angels ist graduell, bezogen darauf was als Einsatz für die Interessen der Organisation erwartet wird. Da ein Hells Angel keinen Bruder verraten darf, ist die Erwartungshaltung ggf. zumindest Straftaten geheim zu halten, was ebenfalls ein Tatbestand ist, inbegriffen. Die Mafia bietet aber Gewalt nun als Teil ihrer Leistungen an. Aber „from Machiavelli to Hobbes, the organization and monopolization of the means of violence has been regarded as the quitessential activity of governments.“[36] Die Mafia übernimmt also eine Aufgabe, welche sonst exklusiv dem Staat vorbehalten ist, übt sie jedoch mit einer Herangehensweise nach anderen Gesetzten und ethischen Auffassungen aus. Diese sind meist zumindest teilweise kriminell, werden aber dennoch still akzeptiert. Dies bezieht sich hauptsächlich auf die Bevölkerung, um zwar nicht nur, weil diese keine Wahl hat, sondern, weil die Mafia auch dann für Gerechtigkeit bzw. Sicherheit sorgt, wenn der Staat keine akzeptable Alternative bietet, wie im Falle von illegalen Geschäften in denen der Geschäftsabschluss lediglich auf gegenseitigem Vertrauen beruht, da man vor Gericht keine vertraglichen Ansprüche über ein kriminelles Geschäft stellen kann.[37] Die Cosa Nostra erfüllt damit eine gesellschaftliche Funktion, welche ihr sogar ein gewisses Ansehen bis hin in Regierungskreise und die Rechtsprechung eingebracht hat. Dies liegt daran, dass durch die Arbeit der Mafia Kriminalität bzw. kriminelle Geschäfte reguliert werden, was zu einer Entlastung der Gesellschaft und des Staates führt. Je größer also bspw. die wirtschaftlichen Schwierigkeiten sind und je unzufriedener die Menschen mit den Vorgehensweisen des Staates sind, desto ehr wenden sie sich an die Mafia. Dies scheint auf den ersten Blick ein Problem zu sein, da es die staatliche Autorität untergräbt, aber genauer betrachtet kann ein vermehrtes Auftreten der Mafia in solchen Situationen sogar stabilisierend auf die gesellschaftliche Gesamtsituation wirken, da keine Unruhen entstehen und es Ansprechpartner für die Bevölkerung gibt. Die Hells Angels sind nun keine Mafia, aber ihre Strukturen und ethischen Vorstellungen bezogen auf Ehre und Zusammenhalt ähneln denen dieser. Zudem bewegen sie sich bis zu einem gewissen Grad im gleichen Wirtschaftszweig wie die Mafia, besonders wenn es um OK (siehe 1.) geht. In dieser übernehmen die Hells Angels ebenso wie die Cosa Nostra und andere Mafiafamilien eine regulierende Funktion die in der übrigen Gesellschaft der Staat innehat.
Man kann die Hells Angels, nicht mit der Mafia gleichsetzten. Bei dem einen handelt es sich primär um eine Gemeinschaft gleichgesinnter Motorradliebhaber, die es seit knapp 66 Jahren gibt, bei der anderen um eine traditionelle Form der Vergemeinschaftung deren Hintergrund im wesentlichen kriminell ist und welche es seit mindestens 150 Jahren, oder länger, gibt.[38] Trotzdem sind die Hells Angels nicht einfach nur eine Gruppe von Männern, welche ihr Hobby mit sehr viel Hingabe ausleben. Polizeiliche Berichte, das öffentliche Auftreten des Clubs, vermehrte Festnahmen und Verstrickungen in die OK, sowie die starke Inklusion der Mitglieder in den Club lassen darauf zurückschließen, dass der Club Ähnlichkeit mit dem Organisationsgrad der Mafia hat und von ihm kriminelle Energie ausgeht, wobei es hier nicht möglich ist, genau festzustellen, ob diese Energie vom Club als Einheit ausgeht, oder mehr von kleineren Zusammenschlüssen der Mitglieder, oder kriminellen Mitgliedern unabhängig vom Club. Die Hells Angels scheinen sich also in Hinsicht auf Organisation, Ziele, Ansichten und Wertvorstellungen von der Mafia ehr graduell als kategorisch zu unterscheiden.
Um zurück auf die Ausgangsfrage: Der Bedeutung von Rockergruppen für die Gesellschaft unter Berücksichtigung ihrer Organisationsstrukturen zu kommen, lässt sich vor allem feststellen, dass es schwierig ist die Hells Angels und ihre Pendants als strikt negativ für die Gesellschaft zu bewerten, oder eben auch sie als nicht fragwürdig bezüglich ihrer Methoden und Einstellungen zu hinterfragen. Besonders auffällig ist aber, dass es sich schwierig gestaltet zuverlässige Informationen über die tatsächlichen Hergänge in der Organisation zu bekommen und sich eine fundierte Meinung durch Fakten zu bilden. Die Berichte der Polizei und Medien beziehen sich ehr auf negative Auffälligkeiten, der Club selbst ist verschwiegen und dessen Selbstinszenierung, zielt auf die Erstellung eines gewissen Image ab. Dies erschwert eine fundierten Rückschluss von außen.
2 Dfp, AFP (2013):Nach Festnahme auf Mallorca – Rocker-Boss drohen 23 Jahre Haft,http://www.n24.de/n24/Nachrichten/Panorama/d/3290902/rocker-boss-drohen-23- jahre-haft.html, Stand: 2013, Abruf: 09.11.2013.
Durkheim, Emile(1895):Die Regeln der soziologischen Methode – Herausgegeben und eingeleitet von René König, 4. Auflage, Frankfurt am Main.