Rom und die Barbaren - Roland Steinacher - E-Book

Rom und die Barbaren E-Book

Roland Steinacher

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Beschreibung

The Herules, Rugians and Gepids have usually been regarded as playing only a secondary role in history, overshadowed by the Goths and Huns. Unjustly, since these three peoples played major roles between the third and sixth centuries: the three barbarian groups fought with and against the Romans, allied themselves with the Huns and finally attempted to establish their own kingdoms along the Danube and in the Balkans on the edge of the Empire. Tracing this ?barbarian= history offers a better understanding of Roman history. The fate of these three peoples provides informative insights into a pioneering episode in Europe=s development.

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Roland Steinacher

Rom und die Barbaren

Völker im Alpen- und Donauraum (300–600)

Verlag W. Kohlhammer

Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwendung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und für die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

Die Wiedergabe von Warenbezeichnungen, Handelsnamen und sonstigen Kennzeichen in diesem Buch berechtigt nicht zu der Annahme, dass diese von jedermann frei benutzt werden dürfen. Vielmehr kann es sich auch dann um eingetragene Warenzeichen oder sonstige geschützte Kennzeichen handeln, wenn sie nicht eigens als solche gekennzeichnet sind.

Es konnten nicht alle Rechtsinhaber von Abbildungen ermittelt werden. Sollte dem Verlag gegenüber der Nachweis der Rechtsinhaberschaft geführt werden, wird das branchenübliche Honorar nachträglich gezahlt.

Titelbild: Großer Ludovisischer Schlachtsarkophag. Die große Schlachtenszene auf der Kastenfront zeigt Römer, die über Barbaren siegen. Das Stück stammt aus dem 3. Jh. n. Chr. und ist aus prokonnesischem Marmor gefertigt. Der Deckel befindet sich im Römisch-Germanischen Zentralmuseum Mainz (RGZM). Vorlage: Wikimedia Commons/Miguel Hermoso Cuesta.

1. Auflage 2017

Alle Rechte vorbehalten

© W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Gesamtherstellung: W. Kohlhammer GmbH, Stuttgart

Print:

ISBN: 978-3-17-025168-7

E-Book-Formate:

pdf:      978-3-17-025169-4

epub:   978-3-17-025170-0

mobi:   978-3-17-025171-7

Für den Inhalt abgedruckter oder verlinkter Websites ist ausschließlich der jeweilige Betreiber verantwortlich. Die W. Kohlhammer GmbH hat keinen Einfluss auf die verknüpften Seiten und übernimmt hierfür keinerlei Haftung.

Inhaltsverzeichnis

 

 

1 Einleitung: Die barbarischen Gesellschaften der Heruler, Gepiden und Rugier

2 Rom und die Barbaren

2.1 Die Ansichten der antiken Ethnographie über fremde Völker

2.2 Rom gestaltet seine Peripherie

2.3 Herkunftsgeschichten: Mythos oder Realität?

2.4 Völkerwanderung?

2.5 Ein alter Name: Die Rugier der Kaiserzeit

3 Neue Namen: Heruler und Gepiden im 3. Jahrhundert

3.1 Die archäologische Situation des 1. bis 4. Jahrhunderts

3.2 Rom und die Goten

3.3 Heruler und Gepiden formieren sich in der Mitte des 3. Jahrhunderts

3.4 »Skythische« Angriffe auf Griechenland (267–270)

4 »Westheruler« als Piraten und römische Soldaten im 4. Jahrhundert

4.1 Heruler als römische Soldaten

4.2 Das Beispiel des Charietto: Vom Räuber zum Offizier Julians

4.3 Räuber und Piraten: Das Problem der »West- und Ostheruler«

5 Das »Barbarenland« im 4. Jahrhundert

5.1 Das Schweigen der Quellen

5.2 Ermanarich und die Heruler

5.3 Heruler, Gepiden und Rugier wählen die »hunnische Alternative«

6 Heruler, Rugier und Gepiden unter hunnischer Herrschaft (406–454/455)

6.1 Die pannonischen Provinzen

6.2 Aëtius, Rom und die Hunnen (423–452)

7 Nedao – Das Ende der hunnischen Vormachtstellung (454/455)

7.1 Das Ende der Expansion

7.2 Die Schlacht am Nedao und die Auflösung des Hunnenreichs (454/455)

8 Das »System Nedao« (455–469)

8.1 Pannonien als Exerzierfeld des

Imperium

8.2 Regna am Rande des

Imperium

9 Barbaren als »Königsmacher« – Heruler und Rugier krönen Odoaker

9.1 Pannonier kämpfen um die Macht

9.2 Odoaker –

rex Italiae

oder

rex gentium

?

9.3 Odoaker und die Donaurugier (487/488)

9.4 Die Gepiden von Sirmium und der Krieg mit den Goten (488)

10 Heruler, Rugier und Gepiden zwischen Ostrom und Italien

10.1 Rugier in Italien (490–541)

10.2 Theoderich zerschlägt das Gepidenreich von Sirmium (504)

10.3 Die Donauheruler und die Langobarden (508)

11 Heruler auf dem Balkan und in Justinians Armeen: 6. Jahrhundert

11.1 »Ein Hauch herulischer Geschichte« (512–561)

11.2 Thule und

Scandza

: Wanderungen der Heruler?

11.3 Heruler in Justinians Armeen (530–566)

12 Gepiden im 6. Jahrhundert

12.1 Die Verlegung der sirmischen Gepiden nach Gallien (523/526)

12.2 Die Gepiden zwischen Langobarden, Konstantinopel und den Awaren

13 Barbarenstereotypen: Die Heruler als Kulturzerstörer, unerschrockene Kämpfer und als »Männerbund«

14 Abkürzungen

15 Quellen- und Literaturverzeichnis

15.1 Quellen

15.2 Literatur

16 Anmerkungen

17 Register

18 Abbildungsverzeichnis

 

Vorwort

 

 

Die Forschungsarbeiten zu diesem Buch konnten durch ein Stipendium der Gerda Henkel Stiftung am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften durchgeführt werden. Durch dieses Stipendium war es auch möglich – befreit von sonstigen Verpflichtungen – einen großen Teil des Manuskripts abzuschließen. 2015 und die erste Hälfte des Jahres 2016 konnte ich als Stipendiat der Alexander von Humboldt-Stiftung, zunächst am Lehrstuhl für Alte Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg und später am Friedrich-Meinecke-Institut der Freien Universität Berlin, das Manuskript weiterbearbeiten, korrigieren und abschließen. Walter Pohl ist für die hervorragenden Arbeitsbedingungen am Wiener Institut zu danken, Herwig Wolfram für viele Anregungen und Hinweise, Hans-Ulrich Wiemer und Stefan Esders für ihre Gastfreundschaft in Erlangen und Berlin.

Rajko Bratož stellte mir ein unveröffentlichtes Manuskript zur Verfügung und half mit seinem reichen Erfahrungsschatz. Christian Barthel, Guido Berndt, Henning Börm, Jakob Ecker, Julia Ess, Kai Grundmann, Christian Mileta und Philipp von Rummel haben das Manuskript gelesen und wertvolle Hinweise gegeben. Daniel Kuhn vom Verlag Kohlhammer hat das Buch schließlich angenommen, publiziert und betreut.

Berlin im Sommer 2016

 

1

            Einleitung: Die barbarischen Gesellschaften der Heruler, Gepiden und Rugier

 

Dieses Buch beleuchtet die Geschichte der Gepiden, Heruler und Rugier. Die im Verhältnis zu anderen Verbänden kleinen Völker erhielten verhältnismäßig wenig Aufmerksamkeit in der Forschung und hatten in der Geschichtsschreibung meist nur eine Nebenrolle im Schatten der Goten und Hunnen inne. Zu Unrecht, denn die drei Völker spielten zwischen dem 3. und dem 6. Jahrhundert auf großen Bühnen: Sie kämpften mit und gegen die Römer, zogen mit den Hunnen und versuchten schließlich, an der Donau und auf dem Balkan am Rande des Reiches eigene Königreiche zu errichten. Folgt man dieser »barbarischen« Geschichte zwischen den Alpen, der Donau, dem Balkan und nach Italien, lässt sich die römische Geschichte besser verstehen. Das Schicksal der Gepiden, Heruler und Rugier bietet aufschlussreiche Einblicke in einen wegweisenden Abschnitt der Entwicklung Europas.

An den Grenzen des Reichs formierten sich im Laufe des 3. Jahrhunderts Heruler und Gepiden. Der Rugiername ist schon seit der römischen Kaiserzeit belegt. Zunächst hören wir von Raubzügen der Heruler gemeinsam mit gotischen Völkern in Kleinasien und Griechenland. Schon früh erhielt jedoch ein herulischer Anführer die Würde eines römischen Konsuls, und man darf annehmen, dass seine Männer fortan in der kaiserlichen Armee Dienst taten. Herulische Einheiten finden sich bis in das 6. Jahrhundert und kämpften für verschiedene römische Herrscher an vielen Fronten. Heruler zu sein bedeutete, einer schlagkräftigen zu Fuß kämpfenden Truppe mit dem Ruf guter Soldaten anzugehören.1

Die Ankunft der Hunnen im heutigen Ungarn veränderte im ausgehenden 4. Jahrhundert die Bedingungen an der mittleren und unteren Donau. Viele Rugier, Gepiden und Heruler kämpften nun jahrzehntelang gemeinsam mit den berüchtigten Reitern aus der Steppe. Ziel war es, sich von der römischen Regierung ausreichend bezahlen zu lassen, wenn man den Frieden hielt. Dabei entstanden zwischen Alpen und Donau auf Krieg und Soldatentum basierende Gesellschaften, die untereinander um Wohlstand, Macht und die Beziehungen zur römischen Regierung kämpften. Für ein weiteres Jahrhundert wurden die Donaugrenze und die pannonischen Provinzen ein wichtiger Rekrutierungsraum für das Reich. Nach langen Kämpfen zeigten sich schließlich die Goten als schlagkräftigster Verband. Erfolg bedeutete, in die römischen Provinzen zu gelangen.

Italien, das städtereiche Zentrum des römischen Westens, blieb das attraktivste Ziel für die Männer von der Donau. So trugen Rugier und Heruler das Königtum Odoakers in Italien seit dem Jahr 476 mit, während andere Angehörige dieser Völker weiter ihr Glück als Föderaten an der Donau suchten. Die Gepiden wiederum blieben außerhalb der römischen Grenzen und kontrollierten die ehemalige Provinz Dakien, die schon im 3. Jahrhundert von Rom aufgegeben worden war. Einzelne Männer wie die Gepiden Thraustila und Mundus oder die Heruler Philemuth und Sinduald machten Karrieren, die sie bis in hohe und höchste Offiziersränge brachten. Letztlich scheiterten die kleinen Reiche der Gepiden, Heruler und Rugier jedoch sowohl an der Konkurrenz der barbarischen Verbände untereinander als auch an der römischen Politik, die kein Interesse an zu starken und eigenständigen barbarischen Militärverbänden hatte. Schließlich reüssierten die Langobarden, die 568 die Nachfolge der Goten als Herren Italiens antreten konnten und die Gebiete zwischen Alpen und Donau Slawen und Awaren überließen, den neuen Nachbarn und Feinden Roms.

Im Spiegel der Quellen

Es ist jedoch nicht möglich, sich der Geschichte der drei »kleinen« Völker zu widmen, ohne zuvor verschiedene grundlegende Fragen zu stellen. Alleine die Tatsache, dass viele Gepiden und Rugier sich den Langobarden in Italien anschlossen, wirft Fragen zu deren Zuordnung und Selbstwahrnehmung auf. Warum verschwanden die Heruler nach der Mitte des 6. Jahrhunderts so schnell aus der Geschichte? Eines kann man feststellen: Ohne griechische und römische Berichte wüssten wir sehr viel weniger über die barbarischen Gesellschaften. Gleichzeitig macht alleine schon diese Quellenlage Heruler, Rugier und Gepiden zu einem Teil der römischen Geschichte. Die antike Völkerkunde, Ethnographie, hatte ganz bestimmte Lehrmeinungen über die außerhalb des eigenen Kulturraums lebenden Menschen, die als Barbaren gesehen wurden.

Über Jahrhunderte wandten griechische und römische Autoren Bilder, Muster und Stereotypen an, die in vielen Fällen auch die moderne Forschung beeinflusst haben. In den einleitenden Kapiteln wird etwa die Frage gestellt, welche Bedeutung die Erzählungen vom Wandern der Völker im Mittelmeerraum in der antiken Geschichtsschreibung und Völkerkunde hatte. Die Frage nach einer Urbevölkerung und einer Einwanderung bzw. einer gemischten Bevölkerung war häufig, derartige Annahmen begründeten in der Literatur die eigene griechische und römische, städtische und staatliche Identität und Geschichte. Wie aber erklärte sich die griechische und römische Welt die Herkunft der Fremden, der Völker, gentes, und Barbaren? Aus dem kalten Norden kamen in der Vorstellung vieler Autoren unüberschaubar viele und wilde Völker und drängten ins Reich. Die antiken Berichte über die Herkunft der Heruler wurden sehr ernst genommen. Die uns vertrauten Bilder von wandernden und landsuchenden Völkern, von seefahrenden Barbaren, die plündernd die römischen Städte verheeren und das dunkle Mittelalter einläuten, treffen jedoch so nicht zu. Natürlich gab es auch Wanderungen und die drei Jahrhunderte, um die es in diesem Buch geht, waren auch eine Zeit von Kriegen und Gewalt. Erstens aber darf man die literarischen Hintergründe der Ursprungsberichte nicht unterschätzen, und zweitens waren die Kämpfe der Zeit viel öfter innerrömische, als man gemeinhin annimmt. Die barbarischen Völker nahmen, wenn man so will, an römischen Bürgerkriegen teil, nicht ohne die eigene Position zu verbessern. Heruler, Gepiden und Rugier kämpften nicht nur gegen, sondern häufig auch mit den Römern und verdingten sich als Soldaten in der Armee des Reichs.

Das römische Reich war ein politischer, militärischer und wirtschaftlicher Block, der die angrenzenden Gesellschaften stark beeinflusste. Barbarische Völker entstanden auffällig oft in der Nähe der Reichsgrenzen, ihre Identität und Geschichte war in vielen Fällen eine Reaktion auf römische Bedürfnisse. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, darf man die barbarische und die römische Gesellschaft nicht jeweils alleine betrachten, sondern muss sie als gemeinsames System analysieren, ein Modell von Zentrum und Peripherie anwenden. Ziel der barbarischen Verbände war es letztlich, in die römischen Provinzen zu gelangen und dort die Rolle des Militärs zu übernehmen. Da die Barbaren auf Reichsboden nun sowohl sich selbst als gentil, als ethnisch, definierten als auch in der spätrömischen Welt so wahrgenommen wurden, ist es oft kaum möglich, zwischen einem Heer und einem Volk zu unterscheiden. Goten, Vandalen, Burgunder, Langobarden, Gepiden, Rugier, Heruler und andere darf man getrost als Militärverbände mit einer ausgeprägten ethnischen Identität bezeichnen.

Gliederung des Buches

Dieses Buch behandelt Begegnungen zwischen der Mittelmeerwelt und ihr benachbarten Gesellschaften, zwischen Rom und den Barbaren. Das Kapitel 2 ist deshalb der antiken Völkerkunde, Ethnographie, und der Prägung barbarischer Gesellschaften durch Rom gewidmet, um der Geschichte der Heruler, Gepiden und Rugier einen Rahmen zu geben.

Seit homerischer Zeit setzte sich die griechische Literatur mit fremden Völkern auseinander. Über Jahrhunderte entstanden Sichtweisen und Lehrmeinungen, die über bemerkenswert lange Zeiträume eine Rolle spielen sollten. Schließlich wandten römische Schriftsteller und Militärs auch griechisches Wissen an, wenn sie über die Menschen an den Reichsgrenzen bzw. in den geplanten Expansionsräumen schrieben. (2.1)

Europa wurde bis an die Flussgrenzen des Rheins und der Donau in Provinzen eingeteilt, und ein dichtes Netz durch Verkehrswege verbundener Städte entstand. Die Völker außerhalb der Grenzen aber orientierten sich in vielerlei Hinsicht am wirtschaftlich, kulturell und militärisch überlegenen imperialen Zentrum. Die jahrhundertelangen römischen Aktivitäten prägten barbarische Gesellschaften. Der Einfluss Roms auf die Menschen jenseits seiner Grenzen war so stark, dass sich größere Barbarenvölker mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund römischer Bedürfnisse bildeten. Das 3. Jahrhundert war eine Zeit des Wandels im Mittelmeerraum, aber auch östlich des Rheins und nördlich der Donau veränderten sich die Dinge rasch. Neue große Völker wie Goten, Vandalen, Franken und Alemannen formierten sich nahe der römischen Grenzen neu. (2.2)

Dass grundlegende Kategorien der griechisch-römischen Völkerkunde ein langes Nachleben hatten, wurde schon gesagt. Historischen Wandel erklärten antike Autoren häufig mit Migrations- und Wanderungsberichten. Kombiniert mit ethnographischem Wissen entstanden Herkunftssagen, die Goten, Gepiden und Heruler aus Skandinavien stammen ließen. Diese hatten ein manchmal erstaunliches und lebendiges Nachleben bis in die moderne Forschung. (2.3) Im vorletzten Teil der allgemeinen Einleitung ist die Epochenbezeichnung »Völkerwanderung« zu besprechen und zu hinterfragen, denn sie hat mehr mit frühneuzeitlichen als mit antiken Vorstellungen zu tun. (2.4) Schließlich kommt der schon bei kaiserzeitlichen Autoren belegte Rugiername zur Sprache. (2.5)

Im Gegensatz zu den Rugiern erscheinen Heruler und Gepiden erst im 3. Jahrhundert in den Quellen. Mit dem Kapitel 3 beginnt die Geschichte dieser beiden Völker am Schwarzen Meer. Kapitel 4 bespricht jene herulischen Verbände, die im Westen des Reichs in der römischen Armee dienten.

In den Kapiteln 5 und 6 geht es um die Verhältnisse zwischen dem Schwarzen Meer und der pannonischen Tiefebene im späteren 4. und der ersten Hälfte des 5. Jahrhunderts, als zunächst die Hunnen die gotische Vorherrschaft in diesen Gebieten beendeten. Heruler, Gepiden und Rugier wurden Teil einer konkurrierenden Völkergemeinschaft, die unter hunnischer Vorherrschaft an den Reichsgrenzen agierte.

Die Kapitel 7 und 8 beschreiben die Veränderungen dieses Systems in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts, als der pannonische Raum zu einem Achsenraum für die römische Geschichte wurde.

Kapitel 9 berichtet von Odoakers Umfeld und der Rolle, die Heruler und Rugier in diesem spielten. Gleichzeitig errichteten Rugier an der Donau und Gepiden an der Theiß und in Sirmium eigene politische Herrschaften. Kapitel 10 widmet sich dem Schicksal der drei Völker, die zusehends zwischen den Italien kontrollierenden Goten und dem Ostreich ihre Unabhängigkeit verloren.

Kapitel 11 konzentriert sich auf die Berichte des Historikers Prokop über die Heruler im 6. Jahrhundert. Kapitel 12 schildert die Geschichte der Gepiden an der Donau und Theiß, die sich letztlich nicht gegen die Langobarden, Konstantinopel und die neu erscheindenden Awaren durchsetzen konnten. Heruler, Gepiden und Rugier verschwanden mit wenigen Ausnahmen um das Jahr 600 aus der Geschichte. Schließlich werden im Kapitel 13 Stereotypen und Geschichtsbilder über die Heruler diskutiert.

 

2

            Rom und die Barbaren

 

2.1       Die Ansichten der antiken Ethnographie über fremde Völker

Wer oder was sind eigentlich Barbaren? Wie wurde Ethnizität in den kaiserzeitlichen, spätantiken und frühmittelalterlichen Quellen verstanden? Antike Beobachter kannten Völker und deren Namen, die sie sammelten und in Gruppen einteilten, um das Fremde zu beschreiben. Gleichzeitig waren ethnische Bezeichnungen nicht die erste Wahl, wollte man Differenz und Andersartigkeit betonen oder die eigene Zugehörigkeit definieren. Griechische und römische Autoren wussten von unterschiedlichen Ursprüngen und konzipierten vielschichtige Identitätsentwürfe. Eines lässt sich allerdings feststellen: Ethnisch waren stets die Anderen. Das erklärt sich zum Teil aus der Widersprüchlichkeit der verwendeten und ursprünglich griechischen Begriffe.1 Im Griechischen bezeichnete so das Wort ἔθνος, ethnos, verschiedene soziale Gruppen ebenso wie politische Organisationsformen und – fremde – Völker. Daneben konnte der Begriff aber auch einen Berufsstand, eine Menschenmenge, ja sogar einen Bienenschwarm meinen, während im 2. und 3. Jahrhundert Appian und Herodian auch eine römische Provinz ethnos nannten. Ein fremdes, barbarisches Volk ist also nur eine von mehreren möglichen Bedeutungen des Begriffs.2

Die »Barbaren«

Die Sichtweise der griechischen Völkerkunde auf das Phänomen fremder bzw. barbarischer Völker kann man unter Hinweis auf Aristoteles vielleicht folgendermaßen zusammenfassen: Die Griechen lebten meist in πόλεις, poleis, also in relativ kleinen, doch jeweils unabhängigen »Stadtstaaten«, während die kulturell und sprachlich anders gearteten Barbaren in έθνη, ethne, in Völkern, organisiert waren. Diese έθνη begriffen die griechischen Gelehrten als größere, übergeordnete Gruppen bzw. Reiche, die jeweils weiter in »Stämme« (φύλαι, phylai) untergliedert waren.3

Der bereits erwähnte Begriff des Barbaren taucht als Kompositum schon in den homerischen Epen auf. Dort werden die kleinasiatischen Karer, die eine andere Sprache als die Griechen – aus deren Sicht also ein Kauderwelsch – sprachen, deshalb lautmalerisch als »Bar-bar-Sprechende«, βαρβαρόφωνοι, barbarophonoi, bezeichnet. Die Entstehung des Barbarenbegriffes hing demnach eindeutig mit der Fremdsprachigkeit bzw. den mangelhaften Griechischkenntnissen der Anderen zusammen.4 Ein Barbar war für die Griechen, wie das auch der Sprachgebrauch Herodots zeigt, der Sprache und damit auch der Kultur nach ein Nicht-Hellene. Dabei konnte man durchaus die fremde Lebensweise kritisch sehen, zugleich aber die exotischen Gebräuche, den Schmuck und die Schönheit der Karer oder die alte Kultur und Weisheit der Ägypter bewundern.5 Doch insbesondere unter dem Eindruck der großen Kriege der Griechen gegen die Perser im 5. Jahrhundert v. Chr. gewann der Barbarenbegriff eine überwiegend fremdenfeindliche Bedeutung. Die Barbaren, zu denen man ja auch die Perser rechnete, wurden nun meist als ungebildet, grausam und roh dargestellt. Überhaupt wurde betont, dass nicht nur die Sprache, sondern auch die Sitten und Gesetze der Barbaren ganz anders und vor allem minderwertiger seien als jene der Griechen. Auf diese Weise wurde die Bezeichnung »Barbar« »zu einem Kulturbegriff, der die gesitteten Griechen von den ungesitteten Fremden, die Angehörigen der griechischen Kultur von den kulturlosen Völkern scheidet.«6 Immer gab es in der griechischen Literatur aber den Einwand der Gleichheit der Menschen. Aischylos bezeichnet in seinem Drama Die Perser die persischen Schiffe unter dem Perserkönig Xerxes I. zwar als barbarische Flotte, zeichnet dann aber die Menschen, deren Schicksal und das Empfinden der Perser am Hof des Großkönigs nicht anders, als er es für Griechen getan hätte.7

Barbarentypologie

Nördlich ihrer Welt gab es aus Sicht der Griechen zwei Typen von Barbaren. Im Westen lebte die Völkergruppe der zwar mutigen, doch teilweise auch wilden Kelten, die keine Städte hatten, jedoch sesshaft waren und Landwirtschaft betrieben. Im Unterschied dazu lebten in der Vorstellung der antiken Ethnographen im kalten Norden unüberschaubar viele völlig wilde Völker. Das ergab sich aus der dort herrschenden Kälte, die, so glaubte man zu wissen, gesund sei und die Fortpflanzung fördere.8 Zu diesen Völkern gehörten auch die im Nordosten lebenden Skythen, die von Herodot im 5. Jahrhundert v. Chr. als Nomaden beschrieben wurden, welche durch die Steppen wanderten und gefürchtete Reiter und Bogenschützen waren.9 Geographisch wurde das Barbarenland in zwei Bereiche geteilt: in die Κελτική, Keltike, im Westen und die Σκυθική, Skythike, im Osten, wobei der Fluss Tanais, der heutige Don, diese beiden Zonen trennte.10 Insbesondere die letztere Auffassung hatte weitreichende Auswirkungen. Denn über die Antike hinaus bis weit ins Mittelalter hinein griffen Gelehrte auf diese Vorstellungen von den Skythen und ihrem Siedlungsgebiet zurück. Das erklärt, wieso auch Heruler, Gepiden, Rugier, Goten, Vandalen, Hunnen, Awaren und Ungarn als Skythen aufgefasst werden konnten.11

Im Süden kannten Griechen und Römer Afrikaner und Äthiopier, während im Osten als große Feinde der Griechen und sodann auch der Römer die Perser (bzw. Iraner) standen. Diese charakterisieren die Quellen zwar als grausam und despotisch, doch sah man sie, anders als die wilden und ausschweifenden Araber in den Wüsten jenseits der Ostgrenze, nur teilweise bzw. nicht durchgehend als Barbaren an.12 Am äußersten östlichen Rand der bekannten Welt beschrieben die Ethnographen und Geographen Indien und China mit all ihren Reichtümern.13

»Barbaren« aus der Sicht Roms

Dem griechischen ethnos entsprechen im Lateinischen die Begriffe gens und natio. Seit dem 2. vorchristlichen Jahrhundert verwendete man in Rom die Bezeichnungen für auswärtige Völker, nationes oder gentes externae, und den Barbarenbegriff synonym.14 Diesem Sprachgebrauch lag eine gleichsam politisch abgestufte Sichtweise zu Grunde. Fremde waren entweder Verbündete, Freunde des römischen Volkes, amici populi Romani, Bundesgenossen, foederati, oder aber zu besiegende Feinde.15 Zwar wurde auch eine größere Familie als gens bezeichnet und der Begriff in dieser Bedeutung sogar häufiger verwendet, wobei natio streng genommen eine Gemeinschaft von gentes meinte. Doch in der alltäglichen Sprachpraxis wurden beide Begriffe parallel verwendet. Hinzu kommt, dass die antike Terminologie generell nicht eindeutig und präzise war. Damit ist die Übersetzung der oben erwähnten Begriffe in moderne Sprachen problematisch. Während man heute beim deutschen Stamm und dem englischen tribe in der Regel an frühe und primitive Gesellschaften denkt, hatte im Lateinischen der Plural gentes derartige Implikationen nur dann, wenn der Kontext klar anzeigte, dass man von Nicht-Römern sprach.16 Demgegenüber ist es heute so, dass die Übersetzung von gens als »Volk« oder »Nation« erstens Assoziationen mit der jüngeren Geschichte weckt und zweitens auf eine – freilich inhaltlich eingeschränkte – antike Entsprechung verweist. Gleichwohl ist, wie Patrick Geary gezeigt hat, die in der modernen Forschung übliche Unterscheidung zwischen dem Volk nach der Verfassung (»people by constitution«), populus, und dem Volk nach der Abstammung (»people by descent«), gens, eine wichtige und ausgesprochen nützliche Kategorie beim Verständnis der Quellen. Denn Rom hatte ähnlich den Griechen den Schritt von der gens zum verfassten Volk, hier dem populus, vollzogen, dessen Identität sich in einer gemeinsamen politischen Kultur manifestierte. Das bedeutete auch, dass der populus Romanus im Unterschied zu den feindlichen und unterentwickelten fremden Völkern eine Geschichte hatte, während die fremden, also nichtrömischen gentes höchstens mythische Ursprünge hatten. So gesehen bekamen solche Völker nur dann eine Geschichte, wenn sie in Kontakt mit Rom kamen.17

Das Beispiel der Goten

Beispielsweise traten die Goten laut Isidor von Sevilla (um 600) erst dann »offiziell« in die Geschichte ein, als sie mit den Römern in Berührung kamen. Ebenso bleibt im Werk seines älteren Zeitgenossen Gregor von Tours die Geschichte der Franken vor ihrem Übertritt über den Rhein und die römische Grenze schemenhaft.18 Betrachtet man den Sprachgebrauch der römischen Autoren in Bezug auf die verwendeten Volksbezeichnungen etwas genauer, so war dieser vor allem ein praktisches Mittel, mit dessen Hilfe man die Barbaren als militärische und politische Einheiten beschreiben konnte. In diesem Kontext spielte die Tätigkeit der einzelnen barbarischen Anführer eine bedeutend wichtigere Rolle bei der Definition einer gens als etwaige kulturelle oder sprachliche Gemeinsamkeiten bzw. Unterschiede ihrer Mitglieder.19 Das aber unterstreicht, dass die in den römischen Quellen auftauchenden barbarischen Völker, wie Ian Wood dies für die Burgunden gezeigt hat, »[were] defined not by blood, but by those who wrote about them.«20

Klassifizierung unbekannter Völker durch Exklusion

Griechen und Römer waren Angehörige ihrer Stadtgemeinde, der πόλις oder civitas (in letzterem Fall samt dem Gemeinwesen, der res publica). Die außerhalb dieser geordneten und bekannten Welt lebenden Menschen versuchten griechische und römische Beobachter in auf griechisch gesagt ethnische, und auf lateinisch gesagt gentile Gruppen zu gliedern. Diese Herangehensweise ist freilich nicht nur aus der Antike bekannt. Schließlich beschäftigt sich auch die moderne Ethnographie mit Völkern am Rand der »zivilisierten« Welt. Ethnische Zuweisungen betrafen und betreffen demnach vor allem jene Menschen, die jeweils außerhalb des eigenen Territoriums leben und sich damit durch Exklusion auf ihre Ethnizität reduzieren lassen.21

Die uns überlieferten, meist beschreibenden Völkernamen, Ethnonyme, tauchen in beinahe allen Fällen bereits in den Werken griechisch oder lateinisch schreibender Ethnographen und Historiker auf. Zu nennen sind hier zunächst Strabon (63 v.–23 n. Chr.),22 Plinius (23/24–79 n. Chr.), Tacitus und Ptolemaios (um 100–nach 160 n. Chr.).23 Plinius war als junger Mann Offizier am Rhein und widmete in seiner groß angelegten Enzyklopädie, der Naturalis Historia, den Völkern und der Geographie der bekannten Erdteile einzelne Kapitel.24 Tacitus Germania ist eine sehr ausführliche Beschreibung der Gebiete rechts des Rheins und nördlich der Donau, die, um 98 n. Chr. geschrieben, auf die einzelnen Völker eingeht und diese von Norden nach Süden und von Westen nach Osten in Anlehnung an Herodots Bericht (logos) über die Skythen ordnet. Ähnliche Berichte, hier in der Form von Exkursen, verfasste Tacitus für Britannien und Judäa.25

Es bleibt eine offene Frage, ob diese Autoren nicht in manchen Fällen die Bezeichnung von Personenverbänden als Ersatz für exaktere geographische Bezeichnungen einsetzten. Allerdings erscheinen einige Völkernamen, die in den ersten beiden Jahrhunderten unserer Zeit Erwähnung in der antiken Ethnographie finden, in der Spätantike erneut oder zumindest in ähnlicher Form: Goten und Gauten, Vinniler und Vandalen, Angeln und Sachsen, Langobarden, Hasdingen und Rugier.26 Wie und in welcher Weise Beziehungen zwischen den so bezeichneten gentes, Krieger-, Kult- oder Sozialverbänden über die Jahrhunderte bestanden haben, bleibt allerdings zu großen Teilen ungeklärt. Trotzdem oder gerade deshalb gibt es in der Geschichtswissenschaft, Archäologie und Frühgeschichte viele Annahmen und Debatten hinsichtlich möglicher Kontinuitäten. So kann etwa nicht ausgeschlossen werden, dass die römischen und griechischen Autoren Ethnonyme eingeführt haben, die dann im Laufe von Jahrhunderten eine Eigendynamik entwickelten und unter Umständen auch von sich eben formierenden neuen Gruppen als Selbstbezeichnung aufgegriffen wurden. Das würde freilich bedeuten, dass ein überlieferter Name, der den Römern alt und wichtig erschien, so bekannt geblieben wäre, dass er nun auch für die Barbaren wichtig und bedeutsam werden konnte. Auf jeden Fall ähneln sich die uns überlieferten ethnischen Bezeichnungen aus der klassischen Antike und der Spätantike bzw. dem frühen Mittelalter in vielen Fällen sehr, wobei es über die Lokalisierung und die gegenseitigen Bezüge der betroffenen Gesellschaften im Laufe der Jahrhunderte höchst unterschiedliche Aussagen gab.27

Barbarische Selbstzeugnisse sind selten

Schriftlich überlieferte Selbstaussagen von Menschen aus den sogenannten Barbarenländern sind selten, weshalb wir uns in erster Linie auf antike bzw. von diesen beeinflusste mittelalterliche Quellen stützen müssen. Walter Pohl sprach in solchen Zusammenhängen von einer »römischen Brille«, die wir nicht einfach abnehmen können.28 Konkret bedeutet das, dass die Quellenaussagen zu den so viel diskutierten Gruppen, die sich ethnischer Bezeichnungen bedienten, fast ausschließlich auf literarische oder epigraphische Quellen römischer bzw. griechischer Provenienz zurückgehen. Eine der wenigen Ausnahmen stellen die Grabsteine römischer Soldaten barbarischer Herkunft dar. Beispiele wären etwa die Grabsteine der herulischen Hilfstruppen, des herulischen auxilium (numerus Erulorum seniorum), die Teil der auxilia Palatina in Italien waren. Es sind mehrere Inschriften von Epitaphen bekannt, die Individuen dieser Einheit nennen, die dann entweder als Mitglied des numerus Erulorum oder eben als Heruler bezeichnet werden.29

Größere Gruppen werden manchmal von ihren Nachbarn benannt. So fassten die römischen Autoren die nordwestgriechischen Ethnonyme Γραικοί und Γραῖκες, die ursprünglich nur kleinen Gruppen in Euboia als Selbstbezeichnung gedient hatten, als den Namen aller Hellenen auf und leiteten daraus den lateinischen Völkernamen Graeci ab.30 Volksbezeichnungen konnten durchaus auch abschätzig und wertend sein. Ein Beispiel hierfür ist der Grieche Olympiodor, der zu Beginn des 5. Jahrhunderts berichtete, die Vandalen hätten die Goten als Trouloi (Τρούλοι) verspottet, weil diese so hungrig waren, dass sie den Vandalen einen ganzen Solidus für eine trulla, eine Schöpfkelle, Getreide bezahlten.31 Ähnlich phantastisch, mindestens aber ironisch ist der Bericht, die Goten hätten die Gepiden »die Trägen« genannt.32 Manche Verbände trugen anscheinend sprechende Namen wie die Franken, »die Kämpferischen«, oder die Pikten, »die Bemalten«.33

Drei Ebenen des historischen Gebrauchs von Völkernamen sind demnach zu unterscheiden: Erstens die Nennung ethnischer Bezeichnungen in der antiken Ethnographie für die Peripherieräume des Imperium mit den genannten ungenauen geographischen Verortungen,34 wobei Völkernamen zum Teil gleichzeitig auch innerhalb der Reichsgrenzen in Gebrauch sind;35 zweitens die Verwendung dieser Bezeichnungen auf Reichsboden oder an den römischen Grenzen seit dem 3. Jahrhundert mit dem Erscheinen neuer Ethnoynme wie Franken, Alemannen und später Baiuwaren;36 schließlich drittens die Rezeptionsgeschichte dieser Ethnonyme bis ins 19. Jahrhundert mit ihren vielseitigen geistes- und wissenschaftsgeschichtlichen Implikationen bis in unsere Gegenwart.37

2.2       Rom gestaltet seine Peripherie

Zentrum und Peripherie

Der Freiburger Archäologe Heiko Steuer hat darauf hingewiesen, dass das außerrömische Barbaricum erstens verhältnismäßig dünn besiedelt war, dort zweitens stets Güter- und Nahrungsmittelknappheit herrschte, und drittens die Siedlungsdichte und -strukturen von der La-Tène-Zeit bis ins hohe Mittelalter oftmals erstaunlich wenig variierten. Dabei war insbesondere die Güterknappheit einer der Hauptgründe für die Attraktivität, die das Reich als Zentrum auf seine Peripherie ausübte.38 Unter diesen Umständen versuchte die römische Seite seit der Kaiserzeit durch Föderatenverträge, die Anwerbung von Soldaten und den Handel mit Gewerbe- und Luxusgütern auf friedlichem Weg eine Form von Hegemonie zu erreichen, die militärisch mit den Offensiven der augusteischen Zeit nicht herstellbar gewesen war. Damit stellte das Imperium einen stabilen wirtschaftlichen und politischen Raum dar, dessen Außenwirkung lange stark genug war, das seit Caesar und Tacitus als Germania bezeichnete mitteleuropäische Barbaricum zu integrieren.39 Dieses System hat sich jahrhundertelang mehr oder weniger bewährt und hatte zudem weitreichende Folgen für die europäische Geschichte. Die zunehmenden Möglichkeiten, entweder in römischem Dienst oder aber im Kampf gegen die Römer Prestige zu gewinnen, führten zu einem starken Anreiz auf barbarische Gesellschaften. Dabei legen insbesondere die Grabfunde nahe, dass die barbarischen Eliten nach dem Erwerb von Prestigegütern aus römischer Produktion oder nach römischem Vorbild strebten. Um diese Zusammenhänge zu untersuchen, darf man die barbarische und die römische Gesellschaft nicht jeweils alleine betrachten, sondern muss sie als gemeinsames System analysieren, letztlich also ein Modell von Zentrum und Peripherie anwenden.40 Gesellschaftsstrukturen änderten sich unter dem Einfluss römischer Politik. Barbarische, gentile Identitäten, zumindest jene, von denen wir römischerseits unterrichtet werden, entstanden überhaupt nur in Auseinandersetzung mit römischen Strukturen. Und das imperiale System der Römer erforderte detailliertes Wissen über die Verhältnisse unter den Barbaren. Die gesammelten Informationen hatten große Bedeutung für die machtpolitische Kontrolle der Peripherie des Imperium.41

Es gab kaum eine gens an den Grenzen des Imperium, die im Laufe der Jahrhunderte nicht friedlich oder kriegerisch mit Rom in Berührung gekommen wäre. Römische Autoren, Politiker und Militärs gingen davon aus, dass Rom rechtmäßig die Welt beherrschen solle. Verträge und andere Formen militärischer und politischer Bindung regelten den Status der Völker außerhalb der Grenzen und banden sie an das Zentrum. Manchmal musste Rom Krieg führen, um aufsässige Völker wieder unter Kontrolle zu bekommen. Die Welt, orbis terrarum, und Rom, orbis romanus, waren eins, weshalb abhängige und durch Verträge, foedera, an Rom gebundene Klientelstaaten oder gentes seit der Kaiserzeit eigentlich als Teil des Reiches angesehen wurden.42

Barbarische Verbände waren verpflichtet, im Bedarfsfall militärische Dienste zu leisten, und die Reichsbehörden übten auch über die Völker jenseits der Grenzen Gewalt aus. Beziehungen zwischen Rom und barbarischen Gruppen waren mit einer Reihe von Rechtsformen geregelt. Gentile Verbände wurden als recepti in legis ins römische System hereingenommen, wobei sie eine tatsächliche oder formelle Unterwerfung vollziehen mussten, eine deditio.43 Ein zwischen Rom und einer gens oder einem Staatsgebilde geschlossener Vertrag wurde als foedus bezeichnet.44 In einem foedus konnte etwa die Verpflichtung zur Stellung von Rekruten für die römische Armee enthalten sein. Um solche Verträge überhaupt schließen zu können, benötigten die Römer allerdings klare Führungsstrukturen und damit verlässliche Ansprechpartner bei den Barbaren. Deshalb vergaben Römer Titel und Rangbezeichnungen an die Anführer von Barbarenvölkern oder -gruppen. Im Laufe der Jahrhunderte organisierten sich die barbarischen Gesellschaften dann mehr und mehr nach römischen Bedürfnissen, wobei sich auch die gesellschaftlichen Hierarchien stärker ausprägten. Eine von Rom legitimierte gesellschaftliche Führungsposition war in dem von Nahrungs- und Güterknappheit gekennzeichneten Barbaricum attraktiv, ging es hier doch für die Betroffenen nicht allein um Prestigegewinn, sondern auch um den Erhalt römischer Zahlungen in nicht unbeträchtlicher Höhe. Römischerseits war eine bestimmte Rechtsstellung barbarischer Partner – und sei es nur im terminologischen Schein – wichtig. Denn römische Kaiser und Generäle wollten Könige als Partner und Verbündete haben. Gewann man einen solchen rex als Partner, war das dem römischen Publikum einfach als Erfolg präsentierbar. Kam es aber zum Krieg, war der Triumph über reges schließlich ruhmreicher als ein solcher über kleine Anführer mit exotischen Bezeichnungen. Insgesamt gesehen war dies eine Entwicklung, die mit römischen Bedürfnissen zu tun hatte. Einfach gesagt wollten die römischen Generäle im Vorfeld der Reichsgrenzen Ansprechpartner und Verbündete mit einer ausreichenden Kampfkraft, die ihnen bei der Sicherung der Grenze gegen Plünderer halfen. Für die Barbaren wiederum war es vor allem in ökonomischer Hinsicht äußerst attraktiv, mit den Römern zusammenzuarbeiten. Allerdings konnten aus Verbündeten und Söldnern schnell Feinde werden, denn alle Soldaten, egal welcher Herkunft, neigen dazu, sich im Zweifelsfall zu nehmen, was sie begehren.45

Mit den Föderatenverträgen regelte Rom die Zuweisung von Land oder Steueranteilen, Nahrungsmittellieferungen seitens des Staatsapparats, Prämienzahlungen, donativa, für besondere Leistungen und manchmal auch ein gewisses Maß an Autonomie. Allerdings herrscht in der Forschung über Inhalt und Bedeutung solcher Verträge keineswegs Einigkeit. Man darf von einer großen Varianz bei einzelnen Verträgen zu verschiedenen Zeiten und unter unterschiedlichsten Bedingungen ausgehen. Doch erst die Vereinbarungen mit den Goten von 382 führten zur Etablierung von als Föderaten bezeichneten Armeeeinheiten auf Reichsboden.

»So bezeichnete z. B. Jordanes im 6. Jahrhundert die Goten als foederati wegen ihres foedus von 332 mit Constantin dem Großen und dessen Erneuerung durch Theodosius I., wobei traditioneller Föderatenstatus und spätere Ansiedlung auf Reichsboden im Rückblick teleskopisch zusammengezogen und verbunden werden. Der Terminus selbst findet sich erst in einer Novelle Valentinians über die Küstenverteidigung gegen die Flotte der Vandalen. Der Vertrag von 382 war in vieler Hinsicht richtungsweisend für die Zukunft, aber auch Ausdruck des Bemühens, eine der Situation angepasste politische Lösung mit dem Herkommen und der Wahrung traditioneller Rechtsformen zu verbinden.«46

Im 5. Jahrhundert bedeutete der Begriff »Föderaten« dann meist nicht viel mehr als Soldaten barbarischer Herkunft mit schlechterem Sold.47

Transformationen des 3. Jahrhunderts

Waren es aber nur äußere Faktoren, die die römische Welt veränderten? Was geschah während des 3. Jahrhunderts innerhalb und außerhalb der Reichsgrenzen? Hier steckte Rom in der sogenannten »Reichskrise des 3. Jahrhunderts«, womit meist der Zeitraum zwischen dem Ende der severischen Dynastie 235 und dem Regierungsantritt Diokletians 284/85 bezeichnet wird. Kaiser Severus Alexander (222–235) war 235 bei Mogontiacum (Mainz) von aufständischen Truppen getötet worden. Es folgten vor allem seit 249 zahlreiche weitere Usurpationen und die zeitweilige Unabhängigkeit einzelner Reichsteile, nämlich Britanniens, Galliens und Spaniens (Gallisches Sonderreich) sowie großer Gebiete im Osten. So waren Syrien, Ägypten und der Osten Kleinasiens zeitweise im Teilreich von Palmyra organisiert. Die langen Kriege der Epoche bedingten ökonomische Probleme, und insgesamt traten die seit Beginn des Prinzipats bestehenden Schwächen der römischen Staatlichkeit klar zu Tage. Erst die tiefgreifende Umgestaltung der Reichsverwaltung und der Armee unter Diokletian (284–305) und Konstantin (306–337) am Ende des dritten und in den ersten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts stabilisierten dann das System. Während der Krisenjahre aber veränderten der rasche Herrscherwechsel und die Kriege im Reich auch die gesellschaftlichen Strukturen an den Peripherien. Mehrere neue Großverbände formierten sich an Rhein und Donau, und mit dem Neupersischen Reich der Sasaniden kam es zu verlustreichen Auseinandersetzungen um Armenien und Mesopotamien. Betrachtet man diese Epoche insgesamt, so ist sich die Forschung nicht einig, ob der Begriff der »Reichskrise« überhaupt berechtigt ist. Grob gesagt betonen manche Forscher militärische, politische und wirtschaftliche Krisenphänomene, während Karl Strobel und Christian Witschel von einer Transformationsphase der antiken Welt hin zur Spätantike ausgehen. In der Tat machten die zur Bewältigung der Probleme des 3. Jahrhunderts von vielen Soldatenkaisern angewandten Strategien und Lösungen Neuerungen und Reformen möglich, die auch von den Eliten angenommen und getragen wurden. Zudem betrafen die Probleme nicht alle Reichsgebiete gleichzeitig oder gleich stark.48

Neue Völker an den römischen Grenzen

Jene Völker, die dann in der Spätantike und dem Frühmittelalter eine bedeutende Rolle spielen sollten, also die Goten, Vandalen, Franken, Alemannen, Gepiden, Heruler und andere Völker, begannen gerade im 3. Jahrhundert hervorzutreten. Aus späterer Sicht wurde das 3. Jahrhundert deshalb zum Beginn eines unaufhaltsamen Niedergangs des Römischen Reichs stilisiert. Diese Ansicht kollidiert mit dem Umstand, dass die genannten Völker in den Quellen verhältnismäßig selten Erwähnung finden. Dagegen berichten die Quellen viel häufiger über römische Usurpationen, Bürgerkriege und Thronkämpfe,49 und überdies waren die sasanidischen Perser wichtigere äußere Feinde als irgendeine gens an Rhein oder Donau. Ein Sieg über sie brachte unvergleichliches Prestige, so dass gerade »Soldatenkaiser«, deren Position im Inneren bedroht war, nicht selten bewusst den Schlagabtausch im Osten suchten, um sich als Persicus Maximus gegen die Opposition zu immunisieren.50 Dem widerspricht nicht, dass kaiserliche Siegesnamen wie Germanicus, Gothicus oder Alamannicus häufig vergeben wurden. Denn als Grundlage einer triumphalistischen Rhetorik taugten die oben erwähnten Völker allemal.51 In der Forschung wird oft der Eindruck vermittelt, der Druck auf die römischen Grenzen sei in der Spätantike immer größer und letztlich nicht mehr aufhaltbar geworden. Auch sind in den Quellen wie in der modernen Literatur die Zunahme der barbarischen Bevölkerung und Hungersnöte die häufigsten Erklärungen für raschen Wandel und die Probleme des Reichs.52 Ein weiteres geläufiges Erklärungsmuster kann man als »Dominotheorie« bezeichnen. Im letzten Viertel des 4. Jahrhunderts seien die Hunnen aus den Steppen Asiens nach Europa gestürmt. Durch ihren Druck seien nun die Goten und kurz darauf weitere sogenannte Germanenstämme ins Römerreich gedrängt oder gestoßen worden. Schnell sei Chaos ausgebrochen, weshalb man nicht habe verhindern können, dass die römischen Grenzen von fliehenden Germanenhorden überschwemmt wurden.53

Was sich tatsächlich während des 3. Jahrhunderts tiefgreifend änderte, waren die ethnischen Verhältnisse jenseits von Rhein und Donau. An Stelle der großen Zahl kleiner Verbände, die sich in den ethnographischen Werken eines Plinius oder Tacitus für die ersten beiden Jahrhunderte finden lassen, erschienen im Barbaricum nördlich der römischen Grenzen nun mehrere Großverbände. Am Rhein formierten sich seit Ende des 3. Jahrhunderts die Franken und Alemannen, hinter ihnen, sozusagen in der zweiten Linie, die Sachsen und Burgunder sowie später die Thüringer.54 Im Osten und nördlich der unteren Donau wie des Schwarzen Meeres entstanden verschiedene gotische Gruppen, an der mittleren Donau vandalische. Bemerkenswert dabei ist die Formierung dieser neuen großen Völker im Verhältnis zu den römischen Provinzen: Gegenüber Niedergermanien, der Germania inferior (vgl. noch die heutigen Niederlande), entwickelten sich die Franken, die Alemannen dagegen rechtsrheinisch bei Obergermanien (Germania superior). An den »barbarischen« Ufern der Donau gegenüber den pannonischen Provinzen formierten sich die Vandalen, gegenüber den dakischen und mösischen Provinzen im Bereich der östlichen Karpaten und der unteren Donau standen die tervingischen Goten.55

Gotische Völker oder Skythen

Greuthungische Goten, Heruler und Gepiden traten in der heutigen Südukraine und auf der Krim in Erscheinung. Die uns zugänglichen antiken Autoren verwendeten für die Völker im Osten bis in die heutige Ukraine und die Gebiete nördlich des Schwarzen Meeres und des Kaukasus wie die Gegenden an der unteren Donau den Sammelbegriff der gentes Gothicae,56 die nach den Grundkategorien der griechischen Klassiker auch als Skythen verstanden wurden. Zu diesen skythisch-gotischen Völkern zählten Autoren wie Ammianus Marcellinus und später Prokop nicht nur Goten, sondern auch Sarmaten, Bastarnen, Carpen, Alanen, Hunnen, Rugier, Heruler und Gepiden. Erst die neuzeitliche Forschung fasste seit dem 18. Jahrhundert all diese Völker – aufbauend auf den Ergebnissen der entstehenden Sprachwissenschaft – als »ostgermanische« auf, was natürlich nur dadurch ermöglicht wurde, dass man den Germanenbegriff als Großkategorie erfunden hatte. Der Terminus »ostgermanisch« suggerierte von nun an die Vorstellung einer germanischen Einheit, die in unseren Quellen nicht zu finden ist, und der Spätantike auch absolut fremd gewesen wäre. Denn die iranischsprachigen Alanen und die eine germanische Sprache sprechenden Goten waren den antiken Beobachtern vielmehr ein und dasselbe: skythische Barbaren oder eben Angehörige der gentes Gothicae.57

Afrika und Arabien

An den Wüstengrenzen Nordafrikas und der arabischen Halbinsel war die Situation jener an Rhein und Donau ähnlich. Die moderne deutsche Forschung hat allerdings nur die »eigenen« Barbaren genauer untersucht. Denn für sie stand lange die Suche nach den Vorfahren der Deutschen des 19. Jahrhunderts im Vordergrund. Daher war der an sich naheliegende Vergleich der keltischen oder germanischen Vorväter mit Mauren oder Arabern, Georgiern oder Armenier kaum vorstellbar. Wie aber waren diese »germanischen« Großverbände entstanden und wie organisiert? Solche Fragen stoßen schnell an die Grenzen der Aussagemöglichkeiten, die uns die Quellen erlauben. Es steht jedoch fest, dass die Rolle Roms bei diesen Vorgängen bedeutend war. So wurde in der Forschung etwa vorgeschlagen, die Alemannen als Roman creation zu sehen, deren Aufgabe es gewesen sei, die im 3. Jahrhundert geräumten Gebiete zwischen Rhein und unterer Donau, das Dekumatenland, zu sichern ohne dabei das Leben regulärer und kostspieliger römischer Soldaten aufs Spiel zu setzen.58

Was von den römischen Barbaren blieb

»Barbarisch« und »soldatisch« zu sein, war in der Spätantike nicht voneinander zu trennen. Das hatte auch sprachliche Folgen. Die Begriffe barbarus und miles wurden häufig synonym gebraucht, was bis heute zu folgenreichen Missverständnissen führt: Wenn die Quellen über »Barbaren« klagen, sind damit keineswegs notwendig Nichtrömer oder fremde Eindringlinge gemeint. Die Bezeichnung »Barbar« erfuhr im spätantiken Latein vielmehr eine bezeichnende Bedeutungsverschiebung. Meinte barbarus zunächst »fremd«, »unrömisch« oder »ungesittet« bedeutete es wenig später »unbändig« oder »wild«, um dann den semantischen Gehalt von »tapfer« oder »wacker« wie im Französischen brave und im Italienischen und Spanischen bravo anzunehmen.59 Da die Barbaren auf Reichsboden nun sowohl sich selbst als gentil, als ethnisch, definierten als auch in der spätrömischen Welt so wahrgenommen wurden, wandelte sich der Volksbegriff hin zur Bedeutung eines »Volks in Waffen«.60 Goten, Vandalen, Burgunder, Langobarden, Gepiden, Rugier, Heruler und andere darf man getrost als Militärverbände mit einer ausgeprägten ethnischen Identität bezeichnen.61 Teils kämpften sie auf eigene Rechnung, oft aber traten sie als Söldner in römische Dienste und wurden Föderaten. Der Unterschied war der Grad des Erfolgs. So konnten die Gepiden und Rugier zunächst nur unter hunnischer und später unter awarischer bzw. gotischer Oberhoheit fortbestehen. Einige seit dem 4. und 5. Jahrhundert auf Reichsboden lebende gentes, die Westgoten in Spanien und die Franken in Gallien etwa, konnten Vorläufer mittelalterlicher europäischen Nationen werden. Und manche Identitätsentwürfe, wie der burgundische, blieben Projektionsflächen und wurden im weiteren Verlauf der europäischen Geschichte immer wieder als solche benutzt.62

Die poströmischen Regna und ihre Träger wurden mit Völkernamen bezeichnet. Es fällt auf, dass der Vandalenkönig ein König der Vandalen und Alanen, ein rex Vandalorum et Alanorum, war und nicht ein rex Africae. Wenn ein barbarischer rex kein römisches Amt ausübte, also etwa Heermeister war, finden sich Bezeichnungen wie regnum Francorum, Gothi oder gens Langobardorum. Einerseits garantierte diese ethnische Terminologie innerhalb wie außerhalb die Benennbarkeit, und vor allem gab sie der eigenen Militärelite eine politische und soziale Identifikationsmöglichkeit. Die Langobardenkönige nannten sich in ihren Gesetzen rex gentis Langobardorum, nicht aber in den Urkunden. Die Vandalenkönige bedienten sich des starken, doppelten ethnischen Titels nur in ganz bestimmten Kontexten, nämlich dann, wenn die eigenen Leute ihrer Privilegien versichert werden mussten. Dasselbe trifft auf die langobardischen Gesetze für die eigene Gemeinschaft zu, während Urkunden alle Bewohner der beherrschten Gebiete betrafen. Auch deshalb ist die Interpretation ethnischer Bezeichnungen nicht einfach. In der öffentlichen Selbstdarstellung und Repräsentation auf Inschriften, Münzen oder Urkunden bedienten sich die Barbarenherrscher der ehemaligen römischen Provinzen jedoch einer anderen Begrifflichkeit. Dort dominieren dominus noster oder ähnliche Bezeichnungen. Odoaker konnte ein Rugier- und Herulerkönig sein, gar ein rex gentium, ein Völkerkönig, und doch führte er solche Titel nicht bei offiziellen Amtshandlungen, sondern nur in militärischen Kontexten. Theoderich ließ sich als Flavius rex oder einfach rex bezeichnen. Auf den vandalischen Münzen erscheint dominus noster rex mit dem Namen des Monarchen. Diese Titel waren an die römischen Untertanen gerichtet, die sie verstanden, und die Autorität der Verwaltung in den regna akzeptierten.63

Grundlagen: Recht und Kirche

Gentile Identität war freilich nur ein Element in der Organisation spätantiker und frühmittelalterlicher Gesellschaften im westlichen, lateinischen Europa. Ein großer Teil der Bevölkerung in den nun von barbarischen Militärs beherrschten Provinzen begriff sich als christlicher, römischer populus.64 Dieser zu Beginn erläuterte Begriff für die Rechtsgemeinschaft der römischen Bürger hatte sich in einem spätestens nach 381 christlichen Reich auf das Kirchenvolk erweitert. Hier bestand nun ein Spannungsverhältnis, denn fast kein barbarischer Herrscher bzw. warlord der Spätantike war Heide, wohl aber hingen die meisten einer anderen Konfession an als die römische Zivilbevölkerung. Nun gilt es bei der Frage, warum ethnische Identität in den folgenden Jahrhunderten eine so wichtige Rolle einnehmen konnte, diesen entscheidenden Faktor zu berücksichtigen. Nachhaltige politische Herrschaft auf Basis einer zuerst ethnisch definierten Führungsgruppe gelang nur katholisch gewordenen Königen, die über lateinische Schriftlichkeit und eine zumindest teilweise vorhandene spätrömische Bürokratie verfügten. Könige und Bischöfe, militärische und kirchliche Eliten wurden die entscheidenden Kräfte in den sich verändernden Gesellschaften. Spätestens im ausgehenden 6. Jahrhundert hatte die katholische Kirche mit Goten, Franken und Langobarden ein Auskommen gefunden und war ein tragender Teil der politischen und gesellschaftlichen Organisation in den poströmischen regna geworden.65

Sachsen, Slawen und Alemannen, die außerhalb der ehemaligen Reichsgrenzen gelebt hatten, wurden erst durch die fränkischen Expansionen der merowingischen und karolingischen Zeit Teil dieses Systems. Zuvor spielten sie eine ähnliche Rolle als barbarische Peripherie, als äußere Feinde wie zuvor die Franken selbst gegenüber dem Römerreich. Ein guter christlicher, fränkischer Herrscher zog gegen die gentilen, also nicht-christlichen, Sachsen oder Slawen in den Krieg und trachtete danach, sie zum Christentum zu bekehren.66 Durch die Durchsetzung einer Gesellschaftsordnung, die auf den eng ineinander verwobenen Faktoren von Kirche und König beruhte, entstand das mittelalterliche Europa.67

Die hunnische Alternative

Hunnen, Awaren, Bulgaren und zuerst auch Ungarn versuchten einen anderen Weg zu gehen. Teil der komplexen Bezüge barbarischer Peripherie und des römischen Zentrums wurde in den letzten Jahrzehnten des 4. Jahrhunderts die hunnische Machtbasis an Donau und Theiß. Herwig Wolfram hat diese Strukturen als »hunnische Alternative« beschrieben. Sie bestand darin, durch geballtes militärisches Potenzial in der Nähe der Reichsgrenzen und dazu noch an einem neuralgischen Punkt von dem aus der Osten wie der Westen gleichermaßen schnell zu erreichen und zu bedrohen waren, Druck auszuüben und römische Zahlungen in Anspruch zu nehmen.68 In den folgenden Jahrhunderten wurden die Awaren eine Konkurrenz für das fränkische Reich und die Bulgaren, wenn man so sagen darf, die Hunnen der Byzantiner auf dem Balkan, gefährlich nahe an der Hauptstadt. Diese Steppenreiche, diese »hunnische Alternative«, funktionierten aber meist nur über einen Zeitraum von zwei oder drei Generationen. Eine europäische, mittelalterliche Identität erreichten nur Bulgaren und Ungarn, nachdem sie Christen geworden waren und ihre Khane Könige bzw. Zaren.69

2.3       Herkunftsgeschichten: Mythos oder Realität?

Der amerikanische Althistoriker Eric S. Gruen hat darauf hingewiesen, dass die Antike – und zwar die griechische, römische und jüdische – eine Vielzahl von unterschiedlichen Vorstellungen über Vorgeschichte, Abstammung und Herkommen der Völker der Welt hatte. Denn jede politische Gemeinschaft konstruierte gemeinsame, oft heroische oder mythische Vorfahren und Gründerfiguren. Beispiele sind Abraham, Moses, Herakles oder Kadmos, Aeneas und Romulus. Für ein jüdisches und christliches Sprechen über Geschichte und Herkommen war der biblische Jakob ein Ausgangspunkt, dessen Linie über David bis zu Jesus hin führte. Höchst bemerkenswert ist auch, dass die Wanderung Einzelner oder ganzer Gruppen ein wesentlicher Bestandteil der einzelnen Ursprungserzählungen war. So hatte beispielsweise das böotische Theben einen Ursprungsmythos, der auf den Phönizier Kadmos zurückgriff. Dieser Heros soll, nach seiner Schwester suchend und einem Orakelspruch aus Delphi folgend, so lange gewandert sein, bis er endlich an der Küste Böotiens landete. Nach Kämpfen mit Fabelwesen sowie aus der Erde entsprungenen Kriegern gründete er schließlich die griechische polis Theben. In ähnlicher Weise soll Argos vom Ägypter Danaos gegründet worden sein, während der mythische Vorfahre der Peloponnesier angeblich der Anatolier Pelops war. Und im karischen Aphrodisias erklärte man sich die eigenen Ursprünge mit orientalischen Legenden um Ninos und Semiramis.70

Migration als Gründungsmythos

Aber nicht nur Heroen, sondern auch ganze Gemeinschaften oder Völker, die aus fremden Gebieten zugewandert waren, konnten am Anfang der eigenen Geschichte stehen. Bekannt sind die Versionen des römischen Ursprungs aus Troja, die Livius und Vergil bieten. Weniger bekannt ist eine komplexere Variante der römischen Frühgeschichte, die von Dionysios von Halikarnassos entwickelt wurde. In dessen umfangreicher und vergleichsweise gut überlieferter historischer Konstruktion aus augusteischer Zeit treffen Griechen und Proto-Griechen, Barbaren und Kulturträger, Einwanderer und Autochthone aufeinander. Demnach seien die Sikelier die Ureinwohner Italiens gewesen, denen dann die Aborigines und die Pelasger folgten. Letztere aber seien bereits keine Barbaren mehr gewesen, sondern griechische Einwanderer aus Arkadien und Argos. Lange vor dem Trojanischen Krieg also sollen diese Siedler Völkern, Städten und Gegenden Italiens ihre Namen gegeben bzw. diese begründet haben. Damit entwirft Dionysos ein komplexes Bild der Vorgeschichte, in dem zahlreiche Einwanderer aus Städten und Gemeinschaften aus ganz Italien, aber auch anderen Regionen der Mittelmeerwelt die römische Identität formten. Sicher, der gelehrte Dionysos verfolgte sozusagen eine Internationalisierung der römischen Vorgeschichte, auch um den Weltherrschaftsanspruch des zeitgenössischen augusteischen Regimes zu unterstreichen.71

Als der Philosoph Seneca (ca. 1–65 n. Chr.) von Kaiser Claudius (41–54 n. Chr.) nach Korsika verbannt worden war, verfasste er kürzere Texte auch in Form von Trostbriefen an seine Mutter Helvia. Der Wandel im eigenen Leben und in jenem der Völker beschäftigte ihn, und er stellte fest, dass Wanderungen und Migrationen zu allen Zeiten die Entstehung von Staaten und Völkern bedingten. »Du wirst sehen, dass alle Völker ihre Sitze verändert haben«;72 daher gab es in der Vergangenheit zahlreiche Völkerwanderungen und wird es auch in Zukunft geben. Weitere Belege aus der Geschichte folgen. Seneca geht auf die Kimbern und Teutonen und ihren Zug durch Gallien und nach Spanien ein. Er bietet einen regelrechten Katalog von Gründen für das Verlassen der Heimat, der an die in der rezenten Literatur aufgelisteten erinnert. Genannt werden Bevölkerungswachstum und daraus resultierender Nahrungsmangel, Naturkatastrophen, Krankheiten und Erschöpfung des Bodens, der ja im Barbarenland nie üppig war. Aber auch die wirtschaftlichen und kulturellen Unterschiede zwischen dem mitteleuropäischen Barbaricum und der Mittelmeerwelt nennt Seneca als Motiv für die Menschen aus dem Norden, in das römische Reich zu kommen. Gentes, fremde Völker, sind niemals stabil und gleichbleibend, sondern unterliegen einem ständigen Wandel. Völkernamen ändern sich ständig, Wanderungen führen zu einer großen Dynamik. Der Verbannungsort Korsika wird schließlich als Beispiel genannt. Auf der Insel seien nach einer ungreifbaren Vorzeit hintereinander Griechen, Lugurier, Spanier und zuletzt Römer erschienen. Man finde »kaum ein Land, das die Ureinwohner, indigenae, auch jetzt noch besiedeln. Alles ist durcheinandergewürfelt und aufgepfropft.«73 Diese Position Senecas ist keine Ausnahme, im Gegenteil, in der antiken Historiographie und Ethnographie war die Frage nach einer Urbevölkerung und einer Einwanderung bzw. einer gemischten Bevölkerung ein häufig diskutierter Punkt. Es bleibt festzustellen, dass mit dem Motiv der (Ein-)Wanderung literarisch weitreichend Identitäten und Geschichte begründet wurden.

Die Völker aus dem kalten Norden

Wie aber erklärte sich die griechische und römische Welt die Herkunft der Fremden, der gentes und Barbaren? Aus dem kalten Norden kamen in der Vorstellung der antiken Ethnographen unüberschaubar viele Völker, und die Vorstellungen der klassischen Autoren wurden nie ganz abgelegt, wie sehr auch beobachtete Ereignisse dagegensprechen mochten. Die Bilder von den faszinierend gefährlichen Kämpfern aus dem Norden hatten eine Grundlage im römischen historischen Bewusstsein: die Cimbri, griechisch Kimbroi (Κίμβροι), die ja auch Seneca als Paradebeispiel für wandernde Barbaren vorgestellt hatte. Geschichtsschreiber stilisierten diese Barbaren zu einer immensen Bedrohung. Hier ging es darum, die römischen Niederlagen des späten 2. Jahrhunderts v. Chr. zu erklären. Als Caesar aus politischen und taktischen Erwägungen zwischen Kelten und Skythen die Germanen als dritte Großgruppe konstruierte, musste er diese Cimbri zur gerade postulierten Gruppe der Germanen rechnen, um diese besonders gefährlich erscheinen zu lassen. Dabei stützte er sich auf die erst kurz zuvor erschienenen Schriften des Poseidonios von Apameia (etwa 135–51 v. Chr.), der sich bei der Klassifizierung der Cimbri allerdings nicht sicher gewesen war. In augusteischer Zeit war es dann Teil der staatlichen Propaganda, eine Gesandtschaft der Cimbri am Hof des göttlichen Augustus erscheinen zu lassen. Die Barbaren baten um Verzeihung für die von ihren Vorfahren vor Jahrhunderten verübten Gräueltaten. Die Macht des neuen Systems konnte somit nicht nur in geographischer, sondern auch in historischer Hinsicht weitreichend dargestellt werden. Römische Niederlagen der Vergangenheit ließen sich durch die neue politische Ordnung aufheben. Zur gleichen Zeit, also im ersten Jahrhundert n. Chr., weiß Strabon von römischen Marineaktivitäten bis ins Heimatgebiet der Kimbroi zu berichten. Mit dem Gebiet der Kimbern wurde der hohe Norden bezeichnet, wo diese gefährlichen Barbaren wohnten.74

Eine besondere Rolle gab Publius Cornelius Tacitus am Ende des 1. Jahrhunderts den Germanen. Er zeichnete die Bewohner Germaniens als unvermischt und mit den Ureinwohnern identisch. Seit Caesar und Poseidonios hatte man den Bewohnern der Gebiete rechts des Rheins besondere Eigenschaften zugeschrieben, und lange nahm die Forschung diese Barbarentopik für bare Münze, ohne die Einbettung in die antiken Vorstellungen genügend zu bedenken. Tacitus schrieb:

»Ich selbst schließe mich der Meinung derjenigen an, die glauben, Germaniens Völkerschaften, Germaniae populi, seien nicht durch Heiraten mit anderen Völkern, nationes, zum Schlechten hin beeinflusst und seien deshalb ein eigener, reiner und nur sich selbst ähnlicher Menschenschlag, gens, geworden.«75

Das zeige sich dann an der körperlichen Erscheinung und der Zähigkeit der Bewohner. Es handelt sich um ein seit Herodot) bekanntes Motiv. Alte und besonders natürliche Völker sind etwa Skythen und Ägypter. Die Barbaren im Norden sind aggressiv und kampfeslustig, kaum aufzuhalten, wenn sie wütend werden. Und auch wenn Tacitus im speziellen Fall seiner Germania mit ihrer Motivation, den Römern einen Spiegel vorzuhalten, auch positive Worte finden mag, Hintergrund dieser Klassifizierung ist ein Bild fremder und wilder Menschen, die eben nach anderen Regeln leben, als man es in der Kulturwelt gewohnt ist. Am Beginn des zweiten Kapitels ist Tacitus dahingehend klar: Die Germanen seien deshalb Ureinwohner, indigenae, weil Wanderung und Wechsel des Wohnsitzes in der Vorzeit durch den Schiffsverkehr auf dem Mittelmeer möglich waren. Da das auf der anderen Seite liegende Weltenmeer, der Oceanus, aber selten angefahren wurde, kam es kaum zu Einwanderungen nach Germanien aus den für Tacitus zivilisierten Gebieten, ab orbe nostro.76 Tacitus idealisierte traditionelle Sitten und Tugenden, den mos maiorum. Sein Geschichtsbild hat nun die Tendenz, diese Altehrwürdigkeit in Spuren bei den ursprünglichen und eigentlich primitiven barbarischen Gesellschaften noch finden zu können.77

Noch 300 Jahre später widmete der Militärschriftsteller Publius Flavius Vegetius Renatus in seiner militärischen Lehrschrift ein Kapitel der Rekrutierung von Soldaten. Dabei geht er auch auf geographische und klimatische Implikationen ein und argumentiert ähnlich wie vor ihm schon Plinius und Vitruv.78Vor dem Hintergrund einer zu seiner Lebenszeit schon mehr als ein Jahrtausend alten ethnographischen Literatur empfiehlt Vegetius die Rekrutierung von Menschen aus dem Norden. Alle Völker, die der Sonne ausgesetzt seien, seien zwar intelligent, hätten aber weniger Blut und daher auch größere Angst vor Wunden (Omnes nationes, quae vicinae sunt soli […] amplius quidem sapere, sed minus habere sanguinis dicunt). Die Völker des Nordens, septentrionales populi, dagegen seien weniger klug, hätten aber einen Überschuss an Blut und seien daher sehr kriegstüchtig (sunt ad bella promptissimi). Rekruten, tirones, sollte man daher im Idealfall aus den gemäßigten nördlichen Klimazonen holen, denn diese Leute seien bereit, ihr Blut zu vergießen, weil sie genug davon in ihren Adern hätten. Gleichzeitig seien sie nicht gänzlich dumm, was ja von Vorteil für die Disziplin im Militär war und ist.79

Rezeption antiker Darstellungen im Frühmittelalter

Solche Bilder waren offensichtlich von der klassischen Zeit bis in die Spätantike Allgemeingut der Ethnographie, und auf ihnen aufbauend konstruierten im 6. Jahrhundert und bis in karolingische Zeit Autoren wie Jordanes, Cassiodor, Prokop oder Paulus Diaconus. Diese schrieben aber auch über für meist schon auf Reichsboden lebende Kriegereliten außerrömischer Provenienz, die skandinavische, also nördliche, Herkunft der Goten, Heruler, Gepiden oder Langobarden. Denn gute, erfolgreiche Kämpfer mussten zwangsläufig aus dem Norden kommen. Dabei erfüllten die Wanderungsgeschichten, wenn sie etwa die Goten, Heruler und Gepiden aus Skandinavien kommen ließen, zusammen mit der Anbindung an alte und aus der römischen Tradition bekannte Völkernamen den Zweck, eine neue Elite mit einer benennbaren Herkunft und langer Tradition auszustatten. Die literarische Qualität dieser Bilder war freilich groß, weshalb sie bis in die jüngste Vergangenheit von der Forschung durchaus ernst genommen wurden.80 Dies geschah ungeachtet der Tatsache, dass die spätantiken römischen Autoren den grundlegenden Einfluss, den die Römer über Jahrhunderte auf die Gebiete außerhalb ihrer Grenzen ausübten, sowie die Existenz von ebenfalls seit Jahrhunderten bestehenden Kontaktzonen zwischen römischer Staatlichkeit (und hier vor allem dem Militärapparat) und barbarischen Gruppen praktisch ausgeblendet haben.

Herkunftsgeschichten konnten auch auf skythischen, trojanischen oder pannonischen Ursprüngen beruhen. Und auch viele in späterer Zeit entstandene europäische Identitätsentwürfe beginnen mit einfallenden oder einwandernden Barbarenverbänden. Das gilt für die Goten in Italien und Spanien und später für die Langobarden. Paulus Diaconus verortet im 8. Jahrhundert den Ursprung der Langobarden ebenfalls in Skandinavien: Es gibt eine Insel in den nördlichen Teilen der Welt, die Skandinavien heißt, wo viele Völker leben (Est insula qui dicitur Scadanan […] in partibus aquilonis, ubi multae gentes habitant