Romana Exklusiv Band 297 - Liz Fielding - E-Book

Romana Exklusiv Band 297 E-Book

Liz Fielding

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Beschreibung

FÜR EINE NACHT IM PARADIES von SPENCER, CATHERINE Ein heimlicher Wunsch geht für Sophie in Erfüllung, als Robert sie zum ersten Mal zärtlich umarmt. Schon so lange schwärmt sie für ihn und träumt von seiner Liebe - jetzt endlich schenkt er sie ihr. Doch der aufregenden Nacht unter dem Sternenhimmel der Karibik folgt ein böses Erwachen … KÖSTLICH PRICKELND WIE CHAMPAGNER von FIELDING, LIZ Der sexy Weltenbummler Alexander West ist absolut nicht der Richtige für eine Karrierefrau wie sie! Das erkennt Sorrel auf den ersten Blick. Warum spürt sie dann in seiner Nähe dieses köstliche Prickeln? Liegt es wirklich nur am Champagnersorbet, von dem sie gerade genascht hat? FÜR WEN SCHLÄGT DEIN HERZ, CORRIE? von FOX, SUSAN Corrie ist hin- und hergerissen. Liebevoll wirbt Shane Merrick um sie. Schon seit Teenagerzeit ist sie mit dem berühmten Rodeoreiter befreundet und alle erwarten, dass sie ihn heiratet. Und doch sind es Johns Küsse unter dem weiten Himmel von Texas, die ihr Herz schneller schlagen lassen.

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Seitenzahl: 554

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Catherine Spencer, Liz Fielding, Susan Fox

ROMANA EXKLUSIV BAND 297

IMPRESSUM

ROMANA EXKLUSIV erscheint in der HarperCollins Germany GmbH

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Ralf MarkmeierRedaktionsleitung:Claudia Wuttke (v. i. S. d. P.)Produktion:Jennifer GalkaGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Erste Neuauflage by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg, in der Reihe: ROMANA EXKLUSIV, Band 297 – 2018

© 1996 by Kathy Garner Originaltitel: „Dominic’s Child“ erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Bettina Röhricht Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1562

© 2013 by Liz Fielding Originaltitel: „Anything but Vanilla …“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe 2014 by harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 17

© 2004 by Susan Fox Originaltitel: „The Bride Prize“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Johannes Martin Deutsche Erstausgabe 2005 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1597

Abbildungen: mauritius images / Cultura, LUNAMARINA/Getty Images, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2018 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783733744502

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, MYSTERY, TIFFANY

Für eine Nacht im Paradies

1. KAPITEL

Sophie wusste sofort, wer da an die Tür ihres Hotelzimmers klopfte. Denn erstens hatte der Polizeichef ihr mitgeteilt, Robert Winter sei auf dem Weg nach St. Julien. Und zweitens klang das Klopfen nicht diskret und höflich wie das der Inselbewohner, sondern gebieterisch und ungeduldig. Genauso gut hätte er laut „Lassen Sie mich gefälligst rein!“ rufen können.

Obwohl sie Robert Winter erwartet hatte, zuckte Sophie erschrocken zusammen und sprang auf. Das laute Klopfen war, so fand sie, der tragischen Situation überhaupt nicht angepasst. Auf dem Weg zur Tür blieb sie kurz vor dem Spiegel stehen, obwohl sie genau wusste, dass ihr Haar perfekt frisiert und ihre Kleidung so dezent wie möglich war. Vielleicht wollte sie sich auch nur vergewissern, dass ihre Miene nicht verriet, was in ihr vorging.

Natürlich war sie traurig und aufgewühlt, was angesichts der Umstände nur natürlich war. Doch was sie empfand, wenn sie mit Robert Winter zusammen war, durfte er niemals erfahren.

Kaum hatte sie die Tür geöffnet, stürmte er schon ins Zimmer und sagte kalt: „Herzlichen Glückwunsch, Miss Casson. Meine Verlobte ist tot, und ihre Eltern sind am Boden zerstört. Ich hoffe, Sie sind mit Ihrem Werk zufrieden.“

„Es war ein Unfall.“ Sophie fragte sich, warum sie ihm nicht einfach erzählte, was wirklich passiert war, anstatt sich zu verteidigen. Denn sie trug keine Schuld an Barbaras Tod. Doch sich über die Fehler und Charakterschwäche einer Frau zu äußern, die gerade ums Leben gekommen war, schien ihr in diesem Moment völlig unangebracht – vor allem gegenüber dem Mann, der die Verstorbene wenige Monate später hatte heiraten wollen. Wenn er sich ein wenig vom Schock und von der anstrengenden Reise erholt hatte, könnte sie ihm immer noch genau berichten, wie der Unfall sich ereignet hatte.

Robert Winter zeigte jedoch wesentlich weniger Sensibilität als sie. „Sie mögen es als Unfall bezeichnen“, fuhr er kühl fort, „dass man Ihnen aber keine Fahrlässigkeit vorwerfen kann, müssen Sie mir erst noch beweisen. Vielleicht wäre ‚Totschlag‘ oder ‚Mord‘ sogar die treffendere Bezeichnung.“

Sophie war eine unabhängige, selbstbewusste Frau, die sich nicht leicht einschüchtern ließ. Doch angesichts dieser Vorwürfe wurde sie aschfahl.

„Mr. Winter“, begann sie unsicher und wich einen Schritt zurück, „ich war zum Zeitpunkt von Barbaras Tod nicht einmal in ihrer Nähe. Und von ihren Plänen bezüglich letzten Mittwoch wusste ich auch nichts. Wenn Sie mir nicht glauben, sollten Sie sich mit Inspektor Montand, dem Polizeichef, in Verbindung setzen. Er leitet die Untersuchungen und wird Ihnen bestätigen, dass ich ein Alibi habe und keinerlei Schuld an dem Unfall trage.“

„Da bin ich ganz anderer Meinung. Meiner Ansicht nach sind Sie sehr wohl für Barbaras Tod verantwortlich, Miss Casson. Sie haben meine Verlobte schließlich ermutigt, mit Ihnen hierher zu kommen. Und hätten Sie das nicht getan, wäre sie jetzt noch am Leben.“

Sophie wollte etwas entgegnen. Doch alles, was ihr einfiel, würde nur nach Ausreden klingen. Sie biss sich auf die Lippe und blickte durch die geöffneten großen Glastüren des Balkons nach draußen. Dort schien das Leben in voller Blüte zu stehen. Die Calypso-Rhythmen einer Steelband und das Rauschen der Wellen, die an den goldgelben Sandstrand schlugen, waren zu hören. Sophie ließ den Blick über das Hotelgelände gleiten, auf dem Kokospalmen und Hibiskus wuchsen, dessen leuchtend rote Blüten im Sonnenlicht zu glühen schienen. Der betörend süße Duft von Jasmin erfüllte die Luft. Aras hockten auf unbesetzten Liegestühlen und zeigten ihr glänzendes Gefieder. Es war kaum zu glauben, dass sich in dieser friedlichen, paradiesisch schönen Umgebung ein so furchtbares Unglück ereignet haben sollte.

Einen Moment lang schloss Sophie die Augen und dachte nach. Was konnte sie nur tun, um Roberts Schmerz über den Tod seiner Verlobten wenigstens ein wenig zu lindern? Sicher war auch er ebenso wie Barbaras Eltern am Boden zerstört. Wäre es dir lieber gewesen, ihm würde ihr Tod nichts ausmachen? fragte Sophie sich beschämt und verdrängte sofort den Gedanken – wie so viele andere, die ihr im Zusammenhang mit diesem Mann schon durch den Kopf gegangen waren.

„Ich habe Barbara keinesfalls gezwungen, mich zu begleiten, Mr. Winter“, erwiderte sie schließlich. „Es war schließlich ihre Idee. Sie war fest davon überzeugt, einen Tapetenwechsel zu brauchen, um den Winter zu überstehen. Wenn sie sich nicht entschlossen hätte, mit mir hierher zu kommen, wäre sie garantiert woandershin gefahren.“

„Haben Sie nicht daran gedacht, einmal zu hinterfragen, warum sie das wollte?“

„Warum hätte ich das tun sollen?“, rief Sophie, empört über seinen unausgesprochenen Vorwurf. „Barbara war schließlich eine erwachsene Frau, und außerdem kannte ich sie kaum. Wenn es jemandem hätte auffallen müssen, dass sie sehr impulsiv war und oft unüberlegt handelte, dann doch wohl Ihnen! Sie waren doch mit ihr verlobt.“

Nachdem Sophie das gesagt hatte, wirkte Robert plötzlich weniger feindselig. Ihr fiel auch plötzlich auf, wie wenig Robert bisher gelächelt hatte. Selbst zu Beginn ihrer Bekanntschaft mit Barbara hatte er nie wirklich glücklich gewirkt, obwohl er eigentlich allen Grund dazu gehabt hätte.

Sophie hatte Mitte September begonnen, auf dem Anwesen der Wexlers zu arbeiten, die einen der schönsten und größten Gärten von ganz Kanada besaßen. Dort hatte sie auch Robert kennen gelernt. „Kennen gelernt“ war vielleicht nicht der richtige Ausdruck, denn er nickte ihr nur kurz zu, als sie ihm vorgestellt wurde. Zuerst hielt Sophie ihn für einen Snob, der Angestellte nicht wie seinesgleichen behandelte, obwohl Sophies Referenzen bewiesen, dass sie ein Profi mit Erfahrung war.

Sie hatte das Gefühl, dass er absichtlich auf Distanz zu ihr blieb. Robert nahm kaum Notiz von ihr und schien nicht zu registrieren, wann sie kam oder ging.

Robert war groß und strahlte Autorität aus. Die Farbe seiner wunderschönen Augen wechselte je nach seiner Stimmung zwischen tiefem Jade- und kühlem Smaragdgrün. Sophie fand ihn äußerst attraktiv und beunruhigend zugleich, denn sie hatte nicht die leiseste Ahnung, was in ihm vorging. Er war ihr ein Rätsel bis zu diesem furchtbaren Unglück.

„In vieler Hinsicht war Barbara wie ein Kind“, stellte er jetzt fest und ging unruhig auf dem gefliesten Boden hin und her. „Sie hatte keine Angst vor dem Tod, weil sie sich nicht vorstellen konnte, jemals zu sterben. Wenn mir ihre Reisepläne vorher bekannt gewesen wären, hätte ich natürlich versucht, sie davon abzubringen. Oder ich hätte Sie dringend gebeten, ein Auge auf Barbara zu haben. Allerdings verstehe ich eins nicht: Wenn Sie Barbara wirklich kaum kannten, warum sind Sie dann zusammen mit ihr in den Urlaub gefahren?“

„Es hat sich sehr kurzfristig ergeben“, erklärte Sophie. „Normalerweise verreise ich mit meiner Freundin Elaine. Doch sie hat drei Tage vor der Abreise Windpocken bekommen. Das habe ich zufälligerweise Barbara gegenüber erwähnt. Und als sie mir anbot, Elaine das Flugticket abzukaufen, habe ich natürlich zugegriffen. Elaine hatte nämlich keine Reiserücktrittsversicherung abgeschlossen und hätte sonst viel Geld verloren. Allerdings habe ich Barbara von Anfang an klar gemacht, dass sich nach der Ankunft unsere Wege für die meiste Zeit trennen würden.“

Plötzlich wirkte Robert wieder feindselig. „Mit anderen Worten, Barbara wurde Ihnen lästig, nachdem sie den finanziellen Verlust von Ihrer Freundin abgewendet hatte“, erwiderte er ironisch. „Ich bin wirklich zutiefst gerührt von Ihrer Großherzigkeit, Miss Casson!“

„Für mich ist das hier keine Erholungsreise, Mr. Winter. Ich bin zum Arbeiten hergekommen und nicht zu meinem Vergnügen, so wie Barbara. Dafür hatte sie auch volles Verständnis. Offenbar möchten Sie mir bei allem, was ich tue, nur schlechte Absichten unterstellen. Davon kann ich Sie leider nicht abhalten.“

„Und vermutlich ist es Ihnen auch egal.“

Das war es natürlich nicht, was Robert jedoch auf keinen Fall merken durfte.

„Ganz richtig“, erwiderte sie kühl. „Was Sie von mir denken, interessiert mich nicht im Geringsten, Mr. Winter. Denn Sie sind mir ebenso unsympathisch wie offenbar ich Ihnen. Vielleicht war Barbara am Mittwoch ja deshalb so unvorsichtig, weil ihr bewusst wurde, dass sie den Rest ihres Lebens mit Ihnen verbringen würde.“

Roberts Haut war immer leicht sonnengebräunt, sogar jetzt im Winter. Doch nun wirkte sein Gesicht aschfahl. Ganz offensichtlich litt er furchtbar unter dem Tod seiner Verlobten. Warum, um alles in der Welt, sage ich ihm nur solche Dinge? fragte Sophie sich erschrocken. Doch eigentlich war es ihr klar: Sie hatte Angst vor ihren Gefühlen.

Schon als sie Robert vorgestellt worden war, hatte sie eine heftige Sehnsucht verspürt und gleichzeitig gewusst, dass er ihr niemals gehören würde. Um sich selbst zu schützen, versuchte sie seitdem mit aller Macht, ihn unsympathisch zu finden. Und es funktionierte – zumindest bisher.

Plötzlich klingelte das Telefon. Erleichtert über die Unterbrechung, nahm Sophie den Hörer ab und legte ihn nach einem kurzen Gespräch wieder auf.

„Das war Inspektor Montand“, berichtete sie. „Er ist unten im Foyer und möchte mit uns beiden sprechen.“

„Warum mit uns beiden? Ich dachte, Sie seien bereits von jeglichem Verdacht freigesprochen!“

Sophie zuckte die Schultern und erwiderte betont gelassen: „Das müssen Sie ihn fragen.“ Unwillkürlich dachte sie an den vergangenen Mittwoch, als man das Wrack des kleinen Bootes gefunden hatte und klar geworden war, dass etwas Furchtbares passiert sein musste. Sophie war keineswegs kühl und gelassen gewesen, als sie es erfahren hatte. Sie hatte ein Beruhigungsmittel einnehmen müssen. Nicht einmal Robert hätte zu diesem Zeitpunkt daran gezweifelt, dass Barbaras Tod sie zutiefst verstörte.

Doch er war nicht dabei gewesen. Und so lächelte er nur verächtlich, öffnete die Tür und ließ Sophie mit einer übertrieben höflichen Geste den Vortritt. „Wir sollten den Inspektor nicht warten lassen, Miss Casson. Und sicher haben Sie heute Nachmittag Besseres zu tun, als sich mit den lästigen Einzelheiten von Barbaras Tod zu beschäftigen.“

Er steht unter Schock, rief Sophie sich in Erinnerung. Du darfst dich auf keinen Fall von ihm provozieren lassen und Dinge sagen, die du später bereust.

Sie hob das Kinn und verließ vor ihm das Hotelzimmer. Der dunkelblau-weiß gestreifte Rock reichte ihr bis zu den Waden, doch in dem weißen Top mit dem tiefen Rückenausschnitt kam Sophie sich fast unbekleidet vor, und sie meinte, Roberts missbilligenden Blick spüren.

Als sie bereits am Treppenabsatz angelangt war, holte Robert sie ein. Mit ihren ein Meter siebzig kam sich Sophie neben ihm wie ein Kind vor, das von seinem strengen Onkel zurechtgewiesen wurde. Aber sie war fest entschlossen, sich das nicht anmerken zu lassen. Es würde also keine verletzenden Bemerkungen mehr geben – zumindest nicht von ihrer Seite und nicht während der nächsten Tage.

Danach würde sie nichts mehr mit Robert zu tun haben und könnte ihn endlich vergessen. Wenn ich dazu überhaupt in der Lage sein werde, fügte Sophie insgeheim hinzu.

Im Foyer wartete der Polizeichef von St. Julien auf sie. Er trug weiße Bermudas, ein kurzärmeliges weißes Hemd und einen Tropenhelm unter dem Arm. „Ich bin Inspektor Montand“, stellte er sich vor und stand auf. „Monsieur“, fuhr er an Robert gewandt fort, „ich bedauere sehr, dass Sie unsere Insel unter so traurigen Umständen besuchen.“

Robert nickte nur kurz und kam dann gleich auf den Punkt. „Haben Sie meine Verlobte inzwischen gefunden, Monsieur Montand?“, fragte er unumwunden.

„Leider nein. Die starken Strömungen jenseits des Riffs – und die Haie … Sie verstehen …“ Er zuckte die Schultern. „Wir rechnen eigentlich nicht damit, sie zu finden, Monsieur.“

„Ich glaube nicht, dass ihre Eltern sich damit abfinden werden.“

„Das verstehe ich natürlich, aber …“ Er wies auf eine Sitzgruppe aus Rattan unterhalb eines Ventilators. „Setzen wir uns doch. Dort ist es kühler, und wir können uns in Ruhe unterhalten.“

Sobald sie Platz genommen hatten, fragte Robert: „Warum hat man meiner Verlobten ein hoteleigenes Segelboot überlassen, ohne sicherzustellen, dass sie überhaupt damit umgehen konnte? Meiner Meinung nach sind die Hotelangestellten mitschuldig an Barbaras Tod.“

Inspektor Montand sah Sophie Hilfe suchend an. Doch statt ihn zu unterstützen, wandte sie den Blick ab und betrachtete ein Arrangement aus tropischen Früchten auf einem Beistelltisch.

Es würde nicht einfach sein, Robert die Wahrheit beizubringen. Denn Barbara war seit ihrer Ankunft auf der Insel von verschiedenen Seiten gewarnt worden: Dieser lockere Umgang mit den Angestellten ist für eine Dame ohne Begleitung hier eher unüblich, Mademoiselle … Barbara, du kannst den Bikini nicht in der Öffentlichkeit tragen – für die Einheimischen ist das ein regelrechter Affront … Mademoiselle, es ist sehr unklug, abends ohne Begleitung in der Altstadt unterwegs zu sein …

Doch Barbara hatte sämtliche Warnungen lächelnd in den Wind geschlagen. Sie feierte ausgiebig und flirtete praktisch mit jedem Mann, der ihr über den Weg lief. Zuletzt war sie fast immer die ganze Nacht weg und kam erst zurück, wenn die Sonne bereits aufgegangen war. Ihr Verhalten war Sophie sehr unangenehm gewesen – und äußerst merkwürdig angesichts der Tatsache, dass Barbara doch angeblich so verliebt in ihren Verlobten war und ihn bald heiraten wollte.

Doch auch schon vor dem Urlaub hatte Sophie bezweifelt, dass Barbara ihren Verlobten wirklich liebte. „Robert ist wirklich ein guter Fang“, hatte Barbara ihr einmal anvertraut. „Mein Vater meint, dass er einer der wenigen Männer ist, die sich eine Frau wie mich wirklich leisten können. Robert liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Aber das bin ich ja schließlich auch gewohnt – und ich habe nicht vor, mich irgendwann umzustellen, nur weil ich verheiratet bin.“

Dann hatte sie strahlend gelächelt – jenes bezaubernde Lächeln, das auszudrücken schien: Ich weiß, ich benehme mich wie ein verwöhntes Kind, aber in Wirklichkeit bin ich eine erwachsene und äußerst charmante junge Frau.

Und charmant konnte Barbara wirklich sein. Wie sonst hätte sie Sophie überreden können, mit ihr Urlaub auf St. Julien zu machen, einer winzigen Insel einige hundert Meilen vor der Küste Venezuelas?

Robert trommelte mit den Fingern ungeduldig auf der Glasplatte des Tisches und riss Sophie so aus ihren Gedanken. „Also, Inspektor, stimmen Sie mir nicht zu? Meine Verlobte war völlig unerfahren im Umgang mit Booten. Sie konnte nicht einmal ein Segel hissen. Man hätte ihr niemals erlauben dürfen …“

„Mademoiselle Wexler war nicht allein auf dem Boot, Monsieur Winter. Nach Aussage der Hotelangestellten wurde sie von einem jungen Mann begleitet, der ebenfalls zum Personal gehörte und sich mit Booten sehr gut auskannte.“

„Warum, zum Teufel, ist er dann nicht hier, um mir Rede und Antwort zu stehen?“

„Er wird leider ebenfalls vermisst.“

„Dann scheint es mit seinen Kenntnissen ja auch nicht sehr weit her gewesen zu sein“, stellte Robert kühl fest.

Der Inspektor zuckte entschuldigend die Schultern. „Aus unerfindlichen Gründen sind die beiden mit dem Boot hinter das Riff gefahren, auf die Luvseite der Insel. Mit einem so kleinen Boot sollte man sich jedoch auf gar keinen Fall in die starken Strömungen wagen, die vom Atlantik kommen. Außerdem ist es vom Strand aus nicht zu sehen, wenn das Boot in Seenot gerät. Es tut mir leid, das sagen zu müssen, aber sowohl Ihre Verlobte als auch der junge Hotelangestellte haben sich äußerst unvorsichtig verhalten, indem sie sämtliche Warnschilder entlang der Küste ignorierten.“

Zuerst schien es, als wollte Robert widersprechen. Doch dann wandte er den Blick ab. Sophie seufzte erleichtert. Sie hätte nur ungern bestätigt, was der Inspektor Robert durch die Blume mitteilen wollte: dass Barbara ihr Schicksal geradezu herausgefordert hatte und vielleicht sogar für den Tod eines anderen Menschen verantwortlich war.

Nach einer Weile blickte Robert Sophie an und fragte: „Und wo waren Sie, als es passierte?“

„Im Stadtzentrum. Ich habe die Wassergärten bei der alten Gouverneursresidenz fotografiert.“ Sophie versuchte mit aller Macht, sich nicht von Robert provozieren zu lassen. Sie legte ihm die Hand auf den Arm und sagte mitfühlend: „Mr. Winter – Robert. Ich verstehe, dass Sie einen Schuldigen finden wollen. Aber Barbaras Tod war wirklich ein Unfall. Und je eher Sie das einsehen, umso schneller werden Sie über diesen furchtbaren Verlust hinwegkommen.“

Robert schüttelte ihre Hand ab, als wäre sie ein lästiges Insekt. „Der Unfall hätte vermieden werden können und müssen. Was, um alles in der Welt, hat sich der Hotelangestellte dabei gedacht, als er um das Riff gesegelt ist?“

Sophie vergaß ihre Zurückhaltung und erwiderte ein wenig heftig: „Vermutlich hat Barbara darauf bestanden. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, konnte sie sehr eigensinnig sein. Das wissen Sie doch genauso gut wie ich.“

Robert zuckte nur ungeduldig die Schultern und wandte sich wieder an Inspektor Montand. „Haben Sie die Suche inzwischen eingestellt?“

„Oui, monsieur. Es hat keinen Sinn, weiter nach den Vermissten zu forschen. Die Strömung an der Küste ist einfach zu tückisch.“

„Darüber werde ich mir selbst ein Urteil bilden, wenn ich es mir heute Nachmittag ansehe.“

Der Inspektor nickte ehrerbietig. „Ich werde veranlassen, dass man Sie dorthin bringt und …“

„Das ist nicht nötig“, schnitt ihm Robert das Wort ab und blickte Sophie feindselig an. „Ich nehme an, Sie kennen sich hier auf der Insel aus?“

„Mehr oder weniger. Ich …“

„Gut. Dann werden Sie mich begleiten.“

Offenbar hielt Robert es nicht für nötig, sie um diesen Gefallen zu bitten. Stattdessen erteilte er Anweisungen und erwartete, dass diese befolgt wurden. Die Vorstellung, allein mit ihm zum Riff zu fahren, behagte Sophie aus einem ganz bestimmten Grund gar nicht. Doch zum Glück konnte er ihre Gedanken nicht lesen. Um das unangenehme Gespräch möglichst schnell zu beenden, erwiderte sie deshalb nur: „Natürlich.“

„Wo können wir einen Mietwagen mit Klimaanlage bekommen?“

„Wahrscheinlich nirgends, denn auf der Insel sind Autos grundsätzlich verboten, mit Ausnahme der wenigen Fahrzeuge, die der Regierung gehören.“

„Sie meinen diese merkwürdigen blumengeschmückten Gefährte? Mit einem bin ich vom Flughafen hierher gefahren worden.“

„Man nennt diese Kleinbusse ‚Jitneys‘. Davon gibt es leider nur zwei auf der gesamten Insel.“

„Du meine Güte!“, sagte Robert resigniert. „Und was sollen wir nun tun? Auf Eseln reiten und dabei mit einem Strohhut winken?“

Inspektor Montand zuckte bei dieser bissigen Frage merklich zusammen. Sophie warf ihm einen mitfühlenden Blick zu und erwiderte ruhig: „Sie brauchen nicht beleidigend zu werden, Mr. Winter. St. Julien ist in manchen Bereichen sicher nicht so weit entwickelt, wie Sie es von Ihrer Heimat gewohnt sind. Aber dafür wird man durch die Schönheit der Insel doch mehr als entschädigt. Ich schlage vor, wir fahren mit einem der hoteleigenen Mini-Mokes. Sie sind völlig ausreichend, denn die Insel ist ja nicht sehr groß.“

Abgesehen vom Stadtzentrum und der Strecke zum Flughafen gab es nur eine befestigte Straße auf St. Julien. Sie führte an der Küste entlang – manchmal hinunter zu kleinen versteckten Buchten, manchmal weit hinauf, sodass man über das türkisfarbene Meer und grün bewaldete Berge blicken konnte. Weil die Straße so schmal war, bewegte sich der Verkehr grundsätzlich im Uhrzeigersinn – so dass eine fünf Meilen weite Fahrt eine Rückfahrt von fünfundzwanzig Meilen nach sich ziehen konnte.

Die Fransen am gestreiften Verdeck des Mini-Mokes, den Robert wenig später mit finsterer Miene steuerte, flatterten im Fahrtwind. „Da hätten wir ja gleich einen Golfbuggy nehmen können“, meinte er, während das kleine Fahrzeug über die unebene Straße rumpelte.

„Möchten Sie lieber zu Fuß gehen?“, fragte Sophie ironisch.

„Ich wäre am liebsten gar nicht hier“, erwiderte er sofort. „Dass ich es bin, habe ich allein Ihnen zu verdanken – und Ihren merkwürdigen Vorstellungen von einem Urlaubsparadies.“

„Niemand hat behauptet, dass St. Julien Rio de Janeiro oder Monte Carlo ist, Mr. Winter. Und wäre es so, würde ich niemals hergekommen sein. Menschen, die solche mondänen Reiseziele aufsuchen, sind mir nämlich nicht sonderlich sympathisch.“

Ein leichtes Lächeln umspielte plötzlich seine Lippen. „Menschen wie ich, wollen Sie damit sagen, oder?“

Sophie nahm die Sonnenbrille ab und sah ihn aufmerksam an. Würde es ihr angesichts der besonderen Situation gelingen, diesen faszinierenden Mann, dessen Äußeres atemberaubend war, näher kennen zu lernen? Sie betrachtete seine markanten Gesichtszüge, die grünen Augen mit den dichten Wimpern und seinen muskulösen, aber schlanken Körper. Sicher hatte Roberts männliche Ausstrahlung schon während seiner Jugend Frauen in seinen Bann gezogen. Doch sosehr Sophie es auch versuchte, sie konnte nicht ergründen, was in ihm vorging.

„Warum starren Sie mich so an?“, fragte Robert ungeduldig und warf ihr einen flüchtigen Blick zu.

„Ich frage mich, ob Sie immer so reizbar sind oder das nur an Ihrer Trauer liegt. Vermutlich Letzteres, denn Barbara schien mir keine Frau zu sein, die ihr Leben mit einem Griesgram verbracht hätte.“

Wieder blickte er sie wütend an und fragte: „Wie weit müssen wir noch fahren?“

„Etwa sieben Meilen. Wenn wir die Landzunge umrundet haben, kommen wir zur Wetterseite der Insel. Sie werden bemerken, dass die See dort sofort sehr wild ist.“

Je weiter sie fuhren, umso wortkarger wurde Robert. „Du meine Güte“, murmelte er einmal, als die Gischt vom aufgewühlten Meer bis zur Straße spritzte und sie nur noch einen Meter weit sehen konnten. „Ist das hier immer so?“

„Mehr oder weniger. Bei Wirbelstürmen ist es allerdings noch um einiges schlimmer.“

„Das glaube ich Ihnen aufs Wort“, erwiderte Robert. „Was hat Barbara sich nur dabei gedacht, unter solchen Bedingungen aufs offene Meer hinauszusegeln?“

Sie erreichten die windgepeitschte südöstliche Spitze von St. Julien, wo die Insel der wilden Atlantikbrandung am meisten Widerstand bot. Der Sand war übersät mit Strandgut: mit bizarr geformten Holzstücken und Tausenden von Muscheln in den unterschiedlichsten Farbtönen von kräftigem Lila bis Zartrosa.

„Wenn Sie da drüben an den Straßenrand fahren, können wir über die Dünen gehen. Dann sehen Sie das Riff, wo …“ Sophie unterbrach sich und blickte Robert an.

Er nickte und parkte den Mini-Moke. Dann gingen sie hinunter zum Strand und durch den feinen, weichen Sand.

Man konnte gut erkennen, wo sich das Riff befand. Zum Strand hin waren die Wellen kleiner und trugen Schaumkronen, doch jenseits des Riffs türmten sie sich drohend auf. Du meine Güte, dachte Sophie schaudernd. Barbara musste wahnsinnig gewesen sein, dort segeln zu gehen. Wie hatte sie nur annehmen können, das zu überleben? Sophie wandte den Blick ab. Es war nicht erstaunlich, dass man Barbara bisher nicht gefunden hatte. Dagegen grenzte es an ein Wunder, wie gut das kleine Segelboot erhalten gewesen war, als man es gefunden hatte.

Robert blickte so lange reglos aufs Meer, dass Sophie schon den Eindruck hatte, er hätte ihre Anwesenheit völlig vergessen. Doch plötzlich wandte er sich zu ihr um. Sein Gesicht drückte tiefen Schmerz aus, als er ihr leise drohte: „Verschwinden Sie schnell, bevor ich die Beherrschung verliere.“

Robert sah, wie Sophie zusammenzuckte, und mit aller Macht versuchte er, sich zu beruhigen. Doch am liebsten hätte er laut aufgeschrien vor Wut und Schmerz über Barbaras sinnlosen Tod, den er nicht hatte vereiteln können. Wie sehr würde Sophie wohl erschrecken, wenn er wirklich die Beherrschung verlieren und seinen Gefühlen freien Lauf lassen würde?

„Robert“, begann Sophie so leise, dass das Rauschen der Wellen sie fast übertönte, „kann ich Ihnen irgendwie helfen?“

Offenbar meinte sie zu wissen, was in ihm vorging. Das machte Robert so wütend, dass ihm plötzlich ein Gedanke kam. Sollte er es einfach sagen? Und würde Sophie seinem Wunsch nachkommen oder ihn entsetzt mit ihren grauen Augen ansehen und dann so schnell wie möglich wegrennen?

Er strich sich mit zittrigen Fingern durchs Haar. Mit aller Macht verdrängte er den Gedanken und versuchte, sich nicht anmerken zu lassen, was in ihm vorging. „Ich würde jetzt gern zum Hotel zurückfahren und mich betrinken“, erwiderte er betont gelassen. „Möchten Sie mir dabei vielleicht Gesellschaft leisten?“

Wahrscheinlich wird sie jetzt missbilligend die Stirn runzeln und mich belehren, dass Alkohol meine Probleme nur noch verschlimmern würde, dachte er. Doch stattdessen umfasste Sophie seinen Arm und sagte mitfühlend: „Natürlich, wenn es Ihnen dann besser geht.“

Dann legte sie ihm den Arm um die Taille und führte ihn langsam und vorsichtig zum Mini-Moke zurück, als wäre er ein gebrechlicher alter Mann. Robert spürte, wie erneut heftige Gefühle in ihm wach wurden, die er nur mit Mühe unterdrücken konnte.

„Soll ich lieber fahren?“, bot Sophie an.

„Nein, danke“, entgegnete Robert kurz angebunden. Es würde das Beste sein, wenn er sich aufs Fahren konzentrieren musste und nicht an andere Dinge denken konnte.

Als sie beim Hotel ausstiegen, stand die Sonne wie ein riesiger Feuerball knapp über dem Horizont. Es waren bereits Fackeln in den Bäumen entzündet worden, denn in den Tropen brach die Dunkelheit immer sehr schnell herein. Gelächter und Musik übertönten fast das Krächzen der Aras. Alle Menschen waren in Partystimmung, bis auf Robert und Sophie.

Es ist für uns beide besser, wenn wir den heutigen Abend getrennt verbringen, dachte Robert. Er wollte sich lieber allein betrinken. Vielleicht könnte er so wenigstens seine Schuldgefühle ertränken.

„Ich fürchte, ich bin heute keine sehr angenehme Gesellschaft“, sagte er. „Ist es Ihnen recht, wenn wir ein anderes Mal gemeinsam etwas trinken?“

„Natürlich“, erwiderte Sophie. „Ich werde noch schnell vor dem Abendessen duschen und mich umziehen. Die Luft ist sehr feucht und salzig vom Meerwasser und …“

„Wie Sie meinen“, unterbrach er sie brüsk, wandte sich unvermittelt um und ging in die Bar, wo er sich einen doppelten Whisky bestellte.

Soll sie mich doch für einen Säufer halten, dachte Robert. Ich muss mir ganz einfach ein wenig Mut antrinken, bevor ich die Wexlers anrufe. Er konnte ihnen zwar nichts Tröstliches erzählen, wollte jedoch sein Versprechen halten, sich bei ihnen zu melden. Denn Robert hatte nicht vor, die Wexlers zu enttäuschen. Wenn er noch einen einzigen positiven Charakterzug besaß, so war das die tiefe Zuneigung zu Barbaras Eltern.

Robert stützte die Ellenbogen auf den Tresen und blickte starr in sein Glas. Was für eine furchtbare und komplizierte Situation! Wie er es auch drehte und wendete, es war aussichtslos. Und am meisten litten zwei Menschen darunter, die auf ihre alten Tage eigentlich Besseres verdient hätten, als ihr einziges Kind, ihre geliebte Tochter zu verlieren. Robert leerte sein Glas in einem Zug und bestellte noch einen Whisky.

Verzweifelt wünschte er sich, sich mit Alkohol betäuben zu können.

2. KAPITEL

Als Sophie sich geduscht und umgezogen hatte, war bereits die dritte Nacht seit Barbaras Tod hereingebrochen. Draußen hatte sich eine Gruppe fröhlicher Menschen an der Bar unter dem Sternenhimmel eingefunden und trank Cocktails. Sophie hörte Lachen und das Klirren der Eiswürfel in den Gläsern. Im Hintergrund ertönte der hämmernde Rhythmus einer Steeldrum. Ob Robert Winter wohl seinen Schmerz mit einigen Drinks betäubt und sich unter die feiernde Menge gemischt hatte? Oder saß er allein in seinem Hotelzimmer und betrank sich?

Das geht dich gar nichts an, ermahnte Sophie sich, während sie ihre Amethystohrringe anlegte. Lass ihn allein mit dem Geschehenen fertig werden. Es ist besser so.

Doch sobald sie ihr Zimmer verlassen hatte, sah sie sich unwillkürlich nach Robert um. Er war weder im Speisesaal noch draußen auf dem großen gefliesten Innenhof. Trotzdem war der Tisch, an dem sie immer aß, an diesem Abend für zwei Personen gedeckt.

Sophie hatte sich bereits die eisgekühlte Gurkensuppe schmecken lassen und sich dem Meeresfrüchtesalat zugewandt, als Robert auftauchte. Er trug noch immer das weiße Hemd und die naturfarbene Leinenhose, die er schon am Nachmittag angehabt hatte. Sein Haar war leicht zerzaust und wirkte, als hätte er es vergeblich zu ordnen versucht. Dunkle Bartstoppeln bedeckten sein Kinn. Robert sah eindeutig aus, als hätte er zu viel getrunken und wollte sich mit der ganzen Welt anlegen.

Er hat vor kurzem die Frau verloren, die er geliebt hat, mahnte Sophie sich. Robert verdiente also in erster Linie Mitleid. Deshalb verkniff sie sich die Bemerkung, dass ein Kater am nächsten Tag nicht dazu beitragen würde, seine Stimmung zu heben. Stattdessen lächelte sie ihn nur freundlich an.

„Die Hotelangestellten sind wohl fest entschlossen, uns zur Zweisamkeit zu zwingen, wann immer sie können“, stellte er ironisch fest und setzte sich zu ihr. Seine Bewegungen waren viel sicherer und geschmeidiger, als man es von einem Betrunkenen erwartet hätte. „Oder sind Sie mit Ihrem Mutter-Teresa-Komplex dafür verantwortlich, dass wir zusammen an einem Tisch sitzen? Haben Sie Angst, dass ich mir vor Verzweiflung etwas antun könnte? Falls das der Fall ist, kann ich Ihnen nur raten, sich um Ihre eigenen Angelegenheiten zu kümmern“, fügte er kühl hinzu und begann zu essen.

Sophie wurde klar, dass Robert gar nicht betrunken war. Denn er hatte nicht gelallt und ging sehr geschickt mit seinem Besteck um. Sie blickte ihm in die Augen und wusste, dass sein Schmerz viel zu groß war, um ihn mit Alkohol zu betäuben.

„Ich habe keinesfalls die Absicht, mich in Ihre Angelegenheiten zu mischen“, erwiderte Sophie ruhig. „Ich möchte Ihnen nur helfen, so gut ich kann.“

Robert nahm die Pergamentrolle zur Hand, auf der die Speisenliste aufgedruckt war. Er streifte das silberne Quastenband ab und sagte: „Es wäre außerordentlich hilfreich, wenn Sie einfach weiteressen und nicht versuchen würden, mich in ein Gespräch zu verwickeln. Am meisten würden Sie mir damit helfen, wenn Sie das schnell tun und dann aus meinem Blickfeld verschwinden.“

Unter anderen Umständen hätte Sophie sich geweigert, diesem Wunsch nachzukommen, obwohl Robert ihr mit seiner Unhöflichkeit den Appetit gründlich verdorben hatte. Doch angesichts seiner Stimmung war die Vorstellung, Zeit mit ihm zu verbringen, nicht gerade verlockend. Zögernd stand sie auf.

Robert blickte sie an. „Ich lege keinen Wert auf Ihre Gesellschaft, Miss Casson“, stellte er unverblümt fest.

Sophie errötete und ließ ihre Serviette auf den Tisch fallen. Dann wandte sie sich um und ging hinaus. Erst am folgenden Abend sollte sie Robert wiedersehen.

„Der Monsieur ist aufs Polizeirevier gefahren, um mit Inspektor Montand die Formalitäten zu erledigen“, teilte der Rezeptionist ihr mit, als sie dort am nächsten Tag nach dem Frühstück vorbeikam. „Dieser furchtbare Verlust ist für uns alle schwer zu verkraften.“

Sophie verstand, was der Mann damit meinte. Einige Gäste, mit denen sie sich vor dem Unglück immer nett unterhalten hatte, schienen ihr jetzt aus dem Weg zu gehen, und am liebsten wäre sie abgereist. Doch auf St. Julien landeten immer nur dienstags und freitags Flugzeuge. Sie war also gezwungen, noch vier Tage zu bleiben.

Sophie verbrachte den Nachmittag auf einer Orchideenfarm und kehrte erst spät zum Hotel zurück. Eilig duschte sie, um nicht das Abendessen zu verpassen. Zu ihrer Überraschung saß Robert wieder an ihrem Tisch, als sie den Speisesaal betrat.

„Guten Abend, Miss Casson.“ Er stand auf und schob ihr höflich den Stuhl hin. „Ich hatte gehofft, dass Sie mich heute wieder mit Ihrer Gesellschaft beehren würden.“

In der hellgrauen Hose und dem dazu passenden Hemd sah Robert einfach atemberaubend aus.

Seine freundliche Begrüßung machte Sophie misstrauisch. „Tatsächlich?“, erwiderte sie. „Falls Sie jedoch hoffen, mich wie gestern durch Beleidigungen vertreiben zu können, muss ich Sie enttäuschen, Mr. Winter. Ich habe viel zu großen Hunger, um mich in die Flucht schlagen zu lassen.“

Obwohl er sich noch nicht lange auf der Insel befand, war Roberts Haut sonnengebräunt. Deshalb war Sophie nicht sicher, ob er wirklich rot geworden war oder sie es sich nur einbildete.

„Ich möchte Sie für mein gestriges Verhalten um Verzeihung bitten“, begann er reumütig. „Ich habe mich wirklich nicht von meiner besten Seite gezeigt.“

Das tun Sie doch nie, hätte Sophie am liebsten geantwortet, denn schon früher hatte sie oft gedacht, dass Robert viel zu schade für Barbara sei. Sie hatte sich sogar gewünscht …

Schuldbewusst verdrängte sie den Gedanken und tat, als würde sie die Speisekarte studieren. Als Sophie bemerkte, dass Robert sie anblickte, sah sie auf. Robert wirkte anders als am Vortag. Seine Augen funkelten nicht mehr wütend, sondern waren ausdruckslos. Offenbar hatte er endgültig begriffen, dass Barbara tot war – und sie durch nichts zurückzubringen war.

Fast wünschte Sophie, Robert wäre wieder so wütend und beleidigend wie vorher. Seine verletzenden Bemerkungen hatten sie getroffen und empört. Doch jetzt empfand sie tiefes Mitleid mit ihm, und das war sehr gefährlich.

„Es tut mir wirklich leid“, sagte er.

„Also gut, ich nehme Ihre Entschuldigung an.“ Sie zuckte die Schultern und versuchte, den Blick von seinen breiten Schultern abzuwenden. Robert war wirklich ein auffallend großer und kräftiger, wenngleich schlanker Mann.

„Was möchten Sie essen?“

Sie berieten eine Weile. Dann wählte Robert T-Bone-Steak und Sophie Fisch, der am selben Morgen gefangen worden war.

Außerdem bestellte Robert Wein. Mit einem leichten Lächeln beruhigte er sie: „Keine Angst, ich werde mich zurückhalten. Es ist nicht meine Art, Sorgen im Alkohol zu ertränken.“

Sophie wünschte, er würde damit aufhören, seinen Charme spielen zu lassen, und war sehr erleichtert, als das Essen gebracht wurde. Es lenkte sie von dem Wunsch ab, Roberts lange, schlanke Finger zu berühren, ihm sanft über die Wange zu streichen oder seinen Kopf an ihrer Brust zu bergen …

Wahrscheinlich würde er mich einfach wegstoßen, dachte Sophie. Schließlich war Robert mit der glamourösen Barbara Wexler verlobt gewesen. Was sollte ihn an ihr, der unscheinbaren Sophie Casson, schon reizen?

„Was haben Sie heute gemacht?“, erkundigte er sich unvermittelt und riss sie damit aus ihren Gedanken.

Sie erzählte es ihm.

„Finden Sie auf Ihren Auslandsreisen viele Anregungen für Ihre Arbeit?“ wollte er dann wissen.

Sophie hatte nicht das Gefühl, dass es ihn wirklich interessierte. Trotzdem beantwortete sie seine Frage ausführlich. Denn belangloser Small Talk war ihr immer noch lieber, als über Barbara zu sprechen.

„Ich erinnere mich noch daran, wie wir uns das erste Mal begegneten“, fuhr Robert nach einer Weile fort und blickte gedankenverloren in sein Weinglas. „Sie trugen eine mit Erde verschmierte Latzhose, eine Kamera um den Hals und kletterten gerade auf einen der Bäume auf dem Anwesen der Wexlers.“

„Stimmt, und Sie dachten, ich sei ein Eindringling“, ergänzte Sophie, „und hätten mich um ein Haar vom Grundstück verjagt.“

Er nickte. „Ich wusste zwar, dass die Wexlers einen Landschaftsarchitekten engagiert hatten, der einen kleinen Wasserfall und einen Seerosenteich entwerfen sollte. Aber ich habe Sie gar nicht damit in Verbindung gebracht, weil …“

„Weil Sie mit einem Mann gerechnet hatten?“, fragte sie aufgebracht.

„Nicht unbedingt. Ich hatte nur jemanden erwartet, der etwas … etwas professioneller aussieht.“

„Mr. Winter“, erwiderte Sophie kühl, „als Sie angefangen haben, im Baugewerbe zu arbeiten, sind Sie da am ersten Tag in einem Anzug erschienen?“

„Ja, das bin ich tatsächlich“, erklärte Robert, und sein Lächeln raubte ihr den Atem, weil sie es so selten zu sehen bekam. „Ich hatte gerade beschlossen, fünf aneinander grenzende Grundstücke zu kaufen, die alle ein wenig heruntergekommen waren. Ich brauchte einen Kredit und wollte deshalb bei meiner Bank einen seriösen Eindruck machen. Übrigens finde ich, wir sollten aufhören, uns mit Nachnamen anzureden“, fügte er hinzu. „Mir gefällt diese distanzierte Art, miteinander umzugehen, nicht.“

„Das liegt allein an Ihnen“, erwiderte Sophie.

Zu ihrer Überraschung bestritt Robert das nicht. „Da haben Sie vermutlich recht“, meinte er und zuckte die Schultern. „Aber lassen Sie uns das doch bitte jetzt vergessen.“

Er wirkte wieder so ernst und beherrscht wie eh und je. Sophie konnte sich nur schwer vorstellen, wie er dem Charme der flatterhaften Barbara erlegen war oder mit ihr geschlafen hatte.

„Ich frage mich, ob die Wexlers überhaupt möchten, dass ich weiterhin für sie arbeite. Haben Sie schon mit ihnen gesprochen, seit …?“

„Ja, ich habe die beiden gestern Abend angerufen. Sie sind natürlich am Boden zerstört.“

Seufzend dachte Sophie an das ältere Paar, dessen ganzes Leben sich um Barbara gedreht hatte. Die Wexlers hatten sehr spät eine Tochter bekommen, die ihr einziges Kind geblieben war.

„Ja, es muss furchtbar sein, wenn die eigenen Kinder vor einem sterben“, sagte Sophie leise. „Sicher ist das alles sehr schwer für sie.“

„Sie können sich nicht vorstellen, was die beiden durchmachen“, erwiderte Robert. „Ich bezweifle, dass sie schon wirklich verstanden haben, was passiert ist.“ Plötzlich war seine Feindseligkeit wieder da. „Ich glaube nicht, dass die Wexlers Sie noch in Ihrer Nähe haben möchten. Sie würden die beiden immer nur an ihren schrecklichen Verlust erinnern. Sie halten sich von ihnen besser fern, bis Sie von ihnen oder mir hören. Am Besten beauftragen Sie einen Kollegen, Ihre Arbeit auf dem Anwesen fertig zu stellen.“

Sophie blickte ihn an. „Offenbar trauen Sie mir keinerlei Einfühlungsvermögen zu. Ich würde vermutlich nur meine Zeit verschwenden, wenn ich Sie vom Gegenteil überzeugen wollte.“ Sie versuchte, sich ihren Schmerz nicht anmerken zu lassen. „Ich kann damit leben, dass Sie mich nicht mögen. Aber ich lasse mir Ihre Andeutungen, dass ich etwas mit Barbaras Tod zu tun hätte, nicht länger gefallen. Und in die Flucht werden Sie mich auch nicht noch einmal schlagen. Ich wurde von den Wexlers engagiert, nicht von Ihnen. Und wenn diese möchten, dass ich meine Arbeit zu Ende bringe, werde ich das selbstverständlich tun.“

„Es wäre für uns alle besser, wenn Sie sich fern hielten“, beharrte Robert.

Sein vorwurfsvoller Ton verletzte Sophie. Doch was immer sie sagen würde, es änderte nichts an der Abneigung, die er von Anfang ihr gegenüber gehegt hatte. Und offenbar machte er sie nach wie vor für Barbaras Tod verantwortlich.

Am liebsten wäre sie aufgestanden und gegangen. Doch Sophie war zu stolz, um sich ein zweites Mal vertreiben zu lassen. Betont kühl erwiderte sie deshalb: „Wenn das so ist, warum lassen Sie sich dann nicht künftig einen anderen Tisch zuweisen? Ich würde es mir nie verzeihen, wenn ich Ihnen zu allem Übel durch meine Anwesenheit auch noch Magenbeschwerden verursachte.“

Ob Robert sie beim Wort genommen hatte, entzog sich Sophies Kenntnis, denn sie machte am nächsten Morgen einen Spaziergang ins Stadtzentrum und frühstückte dort. Den restlichen Vormittag verbrachte sie im botanischen Garten und kaufte sich zum Mittagessen bei einem Straßenverkäufer ein Sandwich und einen frisch gepressten Fruchtsaft.

Kurz nach zwei Uhr kehrte sie zum Hotel zurück. An diesem Tag wehte keine leichte Brise wie sonst immer, und es war unerträglich heiß. Am liebsten hätte Sophie in der einsamen kleinen Lagune jenseits des Palmenstrands gebadet, doch nach Barbaras Tod erschien ihr das unpassend. Außerdem war sie müde, denn sie hatte nicht gut geschlafen. Also zog sie sich einen Bikini an und legte sich auf ihrem Balkon in den Schatten. Dass sie Robert absichtlich aus dem Weg ging, wollte Sophie sich nicht eingestehen.

Das Rauschen der Wellen und das Plätschern der Springbrunnen im Hotelgarten wirkten so beruhigend, dass Sophie, erschöpft von den Ereignissen der vergangenen Tage, bald einschlief. Doch nach einer Weile schreckte sie hoch, weil offenbar jemand in ihrem Zimmer war.

Überall im Hotel gab es Warnungen, in denen die Gäste aufgefordert wurden, ihre Zimmertüren immer abzuschließen und Wertgegenstände an der Rezeption zur Aufbewahrung im Safe abzugeben. Ohne lange zu überlegen, stand Sophie auf, ging ins Zimmer – und blieb wie erstarrt stehen, als sie Robert sah.

Er wirkte so verzweifelt, dass es Sophie einen Stich ins Herz gab. Nur mit Shorts bekleidet, stand er vor der Kommode, in der sich noch immer Barbaras Sachen befanden. In der Hand hielt Robert einen diamantbesetzten Ring, den er seiner Verlobten geschenkt hatte.

Sophie hielt den Atem an. Trotzdem bemerkte er sie und wandte sich um. Seine grünen Augen drückten so viel Schmerz aus, dass ihr beinah die Tränen kamen.

Mit einem Mal waren alle Kränkungen vergessen. „Robert“, flüsterte Sophie voller Mitleid.

„Mir wurde gesagt, Sie seien heute den ganzen Tag nicht da“, begann er leise. „Ich hielt das für eine gute Gelegenheit, mich um … um das hier zu kümmern.“

Er schloss die Finger um den Ring und wies mit der anderen Hand auf die Kommode. In den offenen Schubladen lag spitzenbesetzte Seidenunterwäsche wild durcheinander, wie Barbara sie hinterlassen hatte. Ihr Koffer lag geöffnet auf Sophies Bett und war bereits halb gefüllt mit Kleidung, die im Schrank gehangen hatte.

Sophie nickte verständnisvoll. „Ich hätte das auch erledigt, aber ich hatte das Gefühl, es sei nicht meine Aufgabe.“

„Das finde ich auch.“ Ungeduldig warf Robert den Ring in eine Schublade. Als er mit beiden Händen hineingriff, um den gesamten Inhalt in den Koffer zu packen, fiel etwas auf den Boden. Es war ein zweiteiliger, in Leder gefasster Bilderrahmen, der während der ersten Urlaubstage auf Barbaras Nachttisch gestanden hatte. Darin befanden sich ein Foto von Barbara und eins von Robert.

Sophie hob den Rahmen auf und reichte ihn Robert. Er ließ sich auf Barbaras Bett sinken und blickte starr und mit undurchdringlicher Miene auf das Foto seiner Verlobten. Die Stimmung war so angespannt, dass Sophie wünschte, sie hätte sich trotz ihrer Skrupel selbst um Barbaras Sachen gekümmert.

Schließlich klappte Robert den Rahmen zusammen, als wäre es ein Buch, das er zu seinem großen Bedauern zu Ende gelesen hatte. Doch statt sich weiter Barbaras Sachen zu widmen, blieb er unbewegt auf dem Bett sitzen.

Mitfühlend blickte Sophie ihn an. Dann nahm sie neben Robert Platz und nahm ihm sanft den Bilderrahmen aus der Hand. Nur sehr widerstrebend hob er den Kopf und sah sie an.

Er will seinen Schmerz vor mir verbergen, dachte Sophie. Ihr Bruder Paul reagierte in solchen Situationen sehr ähnlich. Warum nur betrachteten viele Männer Dinge bei sich selbst als Zeichen von Schwäche, die sie bei Frauen ganz normal fanden? Wussten sie nicht, dass Wunden viel langsamer verheilten, wenn man sich den Schmerz nicht eingestand?

Offensichtlich nicht, überlegte sie und sah Robert an. Plötzlich verspürte Sophie den starken Wunsch, ihn zu trösten – so wie sie es bei jedem Menschen in dieser Lage getan hätte, ob Mann, Frau oder Kind. Sie zog Roberts Kopf an sich und barg ihn an ihrer Schulter. Gleichzeitig führte sie seine Finger an ihren Mund und küsste sie sanft.

Einen Moment lang schien er sich wehren zu wollen. Doch dann spürte sie, wie Robert tief einatmete und seine Anspannung nachließ. Er ließ sich gegen Sophie sinken, sodass sie rückwärts aufs Bett fiel und er neben sie. Robert schmiegte das Gesicht an ihren Hals und strich ihr durchs Haar. Sie spürte seine Haut an ihrer und sog seinen Duft ein, der sie an blauen Sommerhimmel, das Meer und an Zitronenblüten erinnerte.

Sie wusste selbst nicht, wie es hatte passieren können. Noch eben hatten sie so unbeteiligt nebeneinander gesessen wie in der Kirche, und plötzlich hielten sie einander in den Armen wie ein Liebespaar.

Robert presste den Mund auf ihren, und Sophie erwiderte seinen Kuss. Ihr war klar, dass es falsch war, was sie taten. Doch sie war völlig überwältigt von den Gefühlen, die seine Liebkosungen in ihr wachriefen. Plötzlich hatte sich der kühle, distanzierte Mann in einen leidenschaftlichen Liebhaber verwandelt.

Robert wusste vermutlich vor Schmerz nicht, was er tat. Für sein Verhalten gab es also eine Entschuldigung. Aber was war mit ihr, Sophie? Warum legte sie ihm die Arme um den Nacken und schmiegte sich an ihn, als wollte sie ihn nie wieder loslassen? Warum ließ sie zu, dass er sie überall berührte?

Als Robert ihr den Träger des Bikinioberteils von der Schulter schob und an ihren Brustspitzen saugte, erschauerte Sophie und presste sich noch enger an ihn. Ihr Verlangen kam keineswegs unerwartet und hatte sich über einen langen Zeitraum gesteigert. Begonnen hatte alles an dem Tag, als sie Robert auf dem Anwesen der Wexlers zum ersten Mal begegnet war. Trotz seiner missbilligenden Blicke hatte sie sich sofort unwiderstehlich zu ihm hingezogen gefühlt.

Seither hatte Sophie versucht, ihre Gefühle zu verdrängen, denn Roberts Abneigung ihr gegenüber war allzu deutlich gewesen, und außerdem hatte er bald heiraten wollen. Warum hätte er sich auch für sie, die unscheinbare Sophie Casson, interessieren sollen, wenn er eine glamouröse Frau wie Barbara Wexler haben konnte?

Doch jetzt lagen die Dinge anders: Barbara war tot. Und aus irgendeinem Grund hatte Robert sich ihr, Sophie, zugewandt, und ihr war bewusst, dass er lediglich für eine kleine Weile seinen Schmerz vergessen wollte. Und sie war entschlossen, ihm dabei zu helfen.

Er streifte ihr das Bikinihöschen ab, öffnete seinen Gürtel und zog seine Shorts aus. Dann legte er sich auf Sophie und drang in sie ein. Sie versuchte, mit zärtlichen Liebkosungen seinen Schmerz zu stillen und ihn so den schrecklichen Verlust für einen Moment vergessen zu lassen. Sie hätte sogar Barbara ins Leben zurückgeholt, wenn es in ihrer Macht gestanden hätte.

Über ihre Beweggründe wollte Sophie nicht nachdenken. Sie konzentrierte sich stattdessen ganz auf Robert. Als er in einen schnellen, leidenschaftlichen Rhythmus verfiel, wurde ihr Verlangen übermächtig. Die Welt um sie her schien zu versinken, bis sie gemeinsam den Höhepunkt erreichten – und alles war so plötzlich vorbei, wie es begonnen hatte.

Erst jetzt merkte Sophie, dass es regnete. Sie hörte dicke Tropfen auf die Blätter der Sträucher im Hotelgarten fallen. Es kam ihr vor, als wollte der Regen ihre Schuld wegwaschen.

Ohne sie anzublicken, stand Robert auf und zog sich an. Er ging zur offenen Balkontür und blickte hinaus. Als sie das Schweigen nicht mehr ertragen konnte, forderte Sophie ihn leise auf: „Bitte sag doch etwas.“ Erst später fiel ihr auf, dass sie in diesem Moment unbewusst zur vertraulichen Anrede übergegangen war.

Er seufzte schwer. „Was, um alles in der Welt, soll ich denn sagen?“

Sophie begann zu beben. Ihr wurde klar, dass alles begonnen hatte, als sie die Arme nach Robert ausgestreckt hatte. Es ist meine Schuld, dachte sie verzweifelt.

„Sag mir, dass du mich nicht hasst, obwohl ich zugelassen habe, dass so etwas passiert“, flüsterte sie, „und dass du nicht denkst, ich hätte das alles geplant. Ich fühle mich ohnehin schon schuldig.“

Robert blickte sie ausdruckslos an. „Im Moment ist es mir völlig egal, wie es dir geht“, erwiderte er. „Ich bin viel zu sehr damit beschäftigt, mich selbst zu verachten.“

Seine Worte versetzten Sophie einen Stich, und sie wurde aschfahl. Doch Robert bemerkte es nicht einmal, als er zum Bett ging und Barbaras Koffer zuschlug. Dann ging er hinaus.

Als wollte die Natur sie in ihrem Schmerz verhöhnen, hörte der Regen auf, und die Sonne kam wieder heraus.

An diesem Abend ging Sophie nicht zum Essen in den Speisesaal. Sie nahm ein langes, heißes Bad und versuchte vergeblich, den Schmerz und die Schuldgefühle abzuwaschen. Während draußen im Hof Menschen lachten und tanzten, lag sie wach im Dunkeln und versuchte, das andere Bett im Zimmer zu ignorieren.

Doch obwohl der Mond nicht schien, konnte sie es nur allzu deutlich erkennen: Die Kissen waren zerdrückt, und der Bettüberwurf war verrutscht.

Gegen ihren Willen musste Sophie daran denken, was wenige Stunden zuvor im Bett passiert war, und vor Scham wurde ihr ganz heiß. Wie hatte sie nur zulassen können, dass Robert sie am ganzen Körper gestreichelt hatte und …?

Hätte Elaine doch nur keine Windpocken bekommen! dachte sie verzweifelt. Und warum, um alles in der Welt, habe ich mich darauf eingelassen, Barbara mit hierher zu nehmen?

Weil ich wollte, dass sie mir von ihrem Verlobten erzählt – auch wenn es mir wehtat, gab Sophie sich selbst die Antwort. Denn ich habe ihn von Anfang an begehrt.

Jetzt war ihre Sehnsucht erfüllt worden – allerdings nur für einen kurzen Moment. Ich bin der verachtenswerteste Mensch auf der ganzen Welt, dachte sie verzweifelt.

3. KAPITEL

In dieser Nacht lernte Sophie, dass man nicht schlafen musste, um einen Albtraum zu durchleben. Immer wieder quälten sie dieselben Fragen: War Robert überhaupt bewusst gewesen, mit wem er geschlafen hatte? Hatte wirklich sie seine Leidenschaft geweckt, oder war er in Gedanken bei Barbara gewesen?

Erst kurz vor Sonnenaufgang sank Sophie erschöpft in den Schlaf. Kurze Zeit später erwachte sie jedoch schon wieder vom strahlenden Sonnenschein und dem ganz besonderen Licht der Karibik. Sie wollte gerade den Kopf unter das Kissen stecken und weiterschlafen, als jemand klopfte.

Es ist bestimmt das Zimmermädchen, dachte sie und öffnete die Tür. Doch es war Robert – der letzte Mensch, den sie in diesem Augenblick sehen wollte, denn ihre Augen waren vom Weinen gerötet und ihre Haare zerzaust.

Unaufgefordert trat er ein und stieß die Tür hinter sich zu. Sophie wich einen Schritt zurück und zog an ihrem Nachthemd, das ihr nur bis zu den Oberschenkeln reichte.

„Ich hatte eigentlich gedacht, du wärst schon wach.“

„Das bin ich jetzt ja auch.“

Robert blickte sie so missbilligend an, als würde er alle Menschen verachten, die um diese Zeit noch nicht aufgestanden waren. „Ich habe gerade mit Inspektor Montand gesprochen. Sämtliche Formalitäten sind jetzt erledigt, sodass ich abreisen kann. In wenigen Stunden werde ich deshalb wegfliegen.“

„Das nächste Flugzeug geht doch erst morgen Nachmittag“, entgegnete Sophie.

„Ich will nicht unnötig Zeit verschwenden, deswegen habe ich einen Privatjet gechartert. Wenn du möchtest, kannst du mitkommen. Sicher bist du jetzt auch nicht mehr in der Stimmung, um Urlaub zu machen – nach allem, was passiert ist.“

Er hatte recht. Sophie wünschte sich sehnlichst, die Insel verlassen und all die schmerzlichen Erinnerungen vergessen zu können, die sich mit dem Aufenthalt auf St. Julien verbanden. Aber sie wollte nicht zehn Stunden auf engstem Raum mit einem Mann verbringen, der sie verachtete und ihr seine Abneigung deutlich zeigte. „Vielen Dank. Ich werde meine ursprünglichen Pläne beibehalten.“

Robert warf einen flüchtigen Blick auf Barbaras Bett. „Ja, wahrscheinlich ist es besser so“, stimmte er dann zu.

Die Art, wie er sich umwandte und hinausging, rief Sophie etwas in Erinnerung, das im vergangenen Herbst passiert war. Damals hatte sie schon um neun Uhr mit ihrer Arbeit auf dem Anwesen der Wexlers begonnen. Es war ein besonders kalter und feuchter Tag, und Mrs. Wexler bestand darauf, dass Sophie mittags ins Warme kam und gemeinsam mit der Familie aß.

Die Stimmung am Tisch war alles andere als entspannt. Mr. und Mrs. Wexler waren sehr freundlich und sprachen sie mit „Sophie“ und „meine Liebe“ an. Barbara, die jeden Namen abkürzte, nannte sie „Soph“. Nur Robert blieb bei den wenigen Malen, die er überhaupt mit ihr sprach, beharrlich bei „Miss Casson“.

„Sie sind ja noch da, Miss Casson“, stellte er fest, als sie spätnachmittags noch immer bei der Arbeit war. „Heißt das, Sie werden uns auch zum Abendessen Gesellschaft leisten?“

Sophie verstand sofort, was er damit meinte: dass sie sich selbst zum Essen einladen wollte.

„Nein, natürlich nicht“, entgegnete sie. „Ich bin ja nicht mit den Wexlers befreundet, sondern arbeite für sie.“

„Und das sollte keiner von uns vergessen.“ Robert hatte sich daraufhin umgewandt und war gegangen, ohne sich zu verabschieden – so, wie er es eben wieder getan hatte.

Sophie sah ihn nicht wieder, denn er hatte bereits ausgecheckt, als sie die Treppe herunterkam. Am nächsten Nachmittag verließ sie ebenfalls St. Julien und lag abends nach einer langen und anstrengenden Reise wieder in ihrem eigenen Bett. Morgen schicke ich den Wexlers Blumen und eine Beileidskarte, und dann kann ich endlich mit allem abschließen, dachte sie.

Aber sie irrte sich, denn in der folgenden Woche rief Barbaras Mutter an. „Sophie, meine Liebe, könnten Sie nicht vorbeikommen und uns erzählen, was Sie wissen?“, bat Gail Wexler sie leise schluchzend. „Sie waren eine der letzten Personen, die unsere Tochter lebend gesehen haben. Mit Ihnen zu sprechen würde uns vielleicht helfen, das Geschehene zu akzeptieren.“

Sophie brachte es nicht übers Herz, Mrs. Wexler die Bitte auszuschlagen. „Natürlich komme ich“, erwiderte sie sanft. „Wann würde es Ihnen denn passen?“

Sie einigten sich auf den folgenden Abend um acht Uhr. Als Sophie ihr Auto auf der Auffahrt parkte, stand dort ein schwarzer Jaguar. Sie hatte schon damit gerechnet, Robert hier zu begegnen. Schließlich war er fast wie ein Sohn für die Wexlers. Doch als er die Tür der Villa öffnete, zog sich Sophie der Magen zusammen. Ich habe mit ihm geschlafen, dachte sie immer wieder, obwohl ich wusste, dass er eine andere Frau liebt.

Offenbar sah man ihr die Verzweiflung an. Denn sobald sie die Wexlers im Salon begrüßt hatte, nahm Robert Sophie beim Arm und führte sie in eine Ecke des Zimmers, wo auf einem Beistelltisch ein silbernes Kaffeeservice stand.

Er gab vor, ihr nur Kaffee einschenken zu wollen, sagte dabei jedoch leise: „Lass dir bitte nicht so anmerken, wie ungern du hergekommen bist. Das alles ist für die Wexlers ohnehin schon schwer genug.“

„Ich bin mir dessen bewusst“, erwiderte Sophie betont ruhig. Insgeheim war sie jedoch verärgert, weil Robert ihr Verhalten wieder einmal so negativ deutete. Denn in Wirklichkeit war sie einfach erschrocken, wie stark die Wexlers in den vergangenen Wochen gealtert zu sein schienen.

Doch er war noch nicht fertig. „Ich habe von Inspektor Montand erfahren, dass du seine Meinung teilst, was Barbaras angeblich so unangemessenes Verhalten auf St. Julien angeht. Aber das müssen ihre Eltern ja nicht unbedingt erfahren.“

„Was denkst du eigentlich von mir?“, fragte Sophie empört.

„Das sage ich dir lieber nicht.“

In diesem Moment klopfte Mrs. Wexler neben sich auf das Sofa. „Bitte setzen Sie sich zu mir, Sophie. John und ich sind Ihnen so dankbar, dass Sie heute Abend zu uns gekommen sind. Bestimmt werden wir uns besser fühlen, wenn wir mit Ihnen gesprochen haben, oder, John?“

Barbaras Vater wirkte noch verzweifelter als seine Frau und schien nur mit Mühe die Fassung zu wahren. „Warum musste Barbara nur so jung sterben?“, fragte er ausdruckslos. „Sie war doch erst vierundzwanzig und so voller Lebensfreude!“

„Ja, das stimmt“, bestätigte Sophie freundlich, bemüht, möglichst aufrichtig zu sein.

„Aber sie hatte doch sicher viel Spaß, bis …?“, fragte Mrs. Wexler hoffnungsvoll.

Sophie bestätigte das und war sehr erleichtert, dass Barbaras Eltern nicht genauer nachfragten.

Schließlich brachte Robert sie zur Tür. „Nächste Woche findet in der Palmerstown Memorial Chapel ein kleiner Gottesdienst statt“, begann er. „Die Wexlers würden sich freuen, wenn du auch kommen würdest.“

„Natürlich.“ Sophie nickte seufzend. Sie würde zum Gottesdienst gehen und den Wexlers so ihr Mitgefühl zeigen. Danach könnte sie sich endgültig wieder ihrem eigenen Leben zuwenden. Nichts würde sie mehr an die Tragödie erinnern, die sich auf einer winzigen Insel vor der Küste Südamerikas ereignet hatte.

Doch es gelang Sophie nicht, Robert Winter zu vergessen. Immer wieder dachte sie voller Sehnsucht daran, wie er sie geküsst und gestreichelt hatte. An einem Februartag zwei Monate nach ihrer Rückkehr hatte Sophie dann die Gewissheit, dass sie ihn ihr Leben lang nicht vergessen würde – denn sie erwartete ein Kind von ihm.

Weihnachten war für die Wexlers besonders schmerzlich, denn sie hatten das Fest immer gemeinsam mit ihrer Tochter gefeiert. Robert stand ihnen während dieser schweren Zeit bei. Danach konzentrierte er sich auf seine Arbeit. Doch es gab etwas, das er noch erledigen musste und nicht ewig vor sich herschieben konnte – obwohl er am liebsten so getan hätte, als wäre nichts passiert. Aber Robert plagten zu sehr Selbstvorwürfe, als dass er die Erinnerung an jenen kurzen Moment der Schwäche zu verdrängen vermochte. Denn bis dahin hatte er sich immer als treuen, loyalen und glaubwürdigen Mann gesehen.

Während seiner steilen Karriere war Robert nicht selten anderen in die Quere gekommen. „Skrupelloser Halsabschneider“ war noch einer der harmlosesten Ausdrücke, mit denen seine Gegner ihn bezeichneten. Doch mit Geschick und Risikofreudigkeit hatte er sich ein ansehnliches Vermögen erarbeitet. Jetzt gehörte ihm die Hälfte allen Grundbesitzes in Palmerstown.

Robert hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was andere Menschen von ihm dachten, solange er Respekt vor sich selbst hatte. Er spendete für wohltätige Zwecke und verhielt sich immer verantwortungsvoll. Die Angestellten der Winter Development Corporation wurden angemessen bezahlt, erhielten ein großzügiges Weihnachtsgeld und mussten auch bei längerer Krankheit nicht um ihren Arbeitsplatz fürchten. Doch wenn Robert morgens in den Spiegel sah, blickte ihm seit einiger Zeit ein zwar attraktiver fünfunddreißigjähriger Mann entgegen, dem er jedoch nicht so richtig in die Augen schauen konnte. Er wusste, dass sich das nicht ändern würde, bis er sein Vorhaben in die Tat umgesetzt hätte.

An einem Sonntagabend endlich, knapp zwei Monate nach dem Trauergottesdienst, fuhr er zum Stadtrand, wo Sophie wohnte.

Es war ein bitterkalter Abend, doch zumindest schneite es nicht mehr. Der Mond schien hell auf das windschiefe kleine Haus und den Jewel Lake, der dahinter lag. Eine ausgezeichnete Grundstückslage, wie Robert unwillkürlich feststellte. Doch er war nicht hergekommen, um mit Sophie über Immobilien zu sprechen. Er wollte sich bei ihr entschuldigen und außerdem sicherstellen, dass sein unüberlegtes Handeln keine unangenehme Überraschung zur Folge gehabt hatte.

Es dauerte eine Weile, bis Sophie auf sein Klingeln hin zur Tür kam und dann langsam öffnete. Wie erstarrt stand sie auf der Schwelle. Offenbar war sie gerade erst vom Einkaufen nach Hause gekommen, denn sie hielt eine kleine Plastiktüte mit dem Werbeaufdruck einer Drogerie in der Hand. Ihren Mantel hatte sie über das Treppengeländer gehängt.

Ohne etwas zu sagen, blickte Sophie ihn an und presste die Plastiktüte an sich.

„Sophie …“ Robert strich sich nervös durchs Haar. „Ich … ich bin hergekommen, weil ich mir Sorgen mache.“

„Warum?“, fragte sie mit bebender Stimme. „Mir geht es ausgezeichnet.“

Sie wirkte so anders, als er sie auf St. Julien erlebt hatte. Damals war Sophie ruhig und beherrscht gewesen. Doch jetzt schien sie am Rande eines Nervenzusammenbruchs zu sein.

„Ich wollte mich davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist“, erwiderte er. „Außerdem möchte ich mich bei dir entschuldigen, obwohl ich dir noch immer keine Erklärung für das geben kann, was auf St. Julien passiert ist.“

„Es ist nichts passiert.“ Sie errötete. „Und du schuldest mir gar nichts.“

Aus irgendeinem Grund gefiel Robert ihre Antwort nicht. „Können wir uns nicht zusammen hinsetzen und uns ganz normal unterhalten?“

Seine Worte machten Sophie klar, dass sie sich merkwürdig benahm. Sie riss sich merklich zusammen und erwiderte: „Natürlich. Bitte geh schon vor ins Wohnzimmer, ich komme gleich nach.“ Sie öffnete die Tür etwas weiter, ließ ihn eintreten und zeigte ihm, wohin er gehen sollte.

Das um neunzehnhundertzwanzig erbaute Haus war sehr klein und entsprach überhaupt nicht modernen Erfordernissen. Im Wohnzimmer war es unangenehm kalt, denn im Kamin brannte kein Feuer. Außerdem zog es, weil die Fenster undicht waren.

Robert kniete sich vor den Kamin und schichtete geschickt Holzscheite auf. Dann tastete er im Innern des Schornsteins nach der Lüftungsklappe, die geschlossen war. Herunterfallender Ruß beschmutzte dabei seine Hand und seinen Ärmel.

„Oh nein!“, rief Sophie, die im Türrahmen stand. „Ich hätte dich warnen sollen!“

„Allerdings“, bestätigte Robert. „Wie, um alles in der Welt, kriegst du in diesem Kamin ein Feuer in Gang?“

Sie runzelte die Stirn. „Ehrlich gesagt, benutze ich die Feuerstelle nur sehr selten.“

„Das wundert mich nicht. Widerspricht es deinem Verständnis von Emanzipation, wenn ich mich darum kümmere?“ Er betrachtete seine schwarze Hand und fügte dann ironisch hinzu: „Wenn ich schon aussehe wie ein Schornsteinfeger, soll es sich wenigstens lohnen.“

„Nein, im Gegenteil, ich wäre dir sogar sehr dankbar. An so kalten Tagen wie heute muss ich nämlich immer mein elektrisches Heizgerät mit ins Zimmer nehmen, damit ich es dort aushalten kann.“

„Wenn du hier zur Miete wohnst, ist es die Aufgabe deines Vermieters …“

„Nein, das Haus gehört mir – wenn man von der Hypothek, die darauf lastet, absieht.“

„Hast du schon einmal darüber nachgedacht, es zu verkaufen?“ Robert rüttelte energisch am Griff der Lüftungsklappe, und erneut rieselte Ruß aus dem Schornstein.

„Nein. Das Haus ist nicht gerade im besten Zustand, aber der Garten …“ Sophie verschränkte seufzend die Arme vor der Brust. „Er ist wunderschön und entschädigt mich für alles andere.“

„Das hätte ich mir denken können. Ich weiß noch, wie du dich für die alten Bäume auf dem Anwesen der Wexlers begeistert hast.“

Überrascht, dass ihm so etwas aufgefallen war, sah Sophie ihn an. Was sollte sie dazu sagen?

Schließlich gelang es Robert, die Lüftungsklappe zu öffnen und den Griff zu befestigen. „Mehr kann ich momentan nicht für dich tun, aber wenn du möchtest, schicke ich dir Handwerker vorbei, die den Kamin instand setzen. Wo kann ich mir die Hände waschen?“

„Im Badezimmer: die Treppe rauf und dann die erste Tür rechts.“