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BLÜTENBLÄTTER AUF DEINER HAUT von PENNY ROBERTS Eine zweite Chance auf Mallorca? Glücklich tritt Melinda ihren Job als Nanny auf einer romantischen Finca an. Die kleine Lilly ist süß und ihr Vater Josh Adair ein Traummann – doch die Vergangenheit wirft ihren langen Schatten auf die Insel der blühenden Mandelbäume … NUR EINE NACHT MIT DEM GRIECHISCHEN MILLIARDÄR? von LYNNE GRAHAM Ein Sturz raubt dem griechischen Milliardär Alexei Drakos die Erinnerung an die leidenschaftliche Nacht mit Billie. Als er sich mit einer anderen verlobt, bricht es Billie das Herz. Auch weil die Nacht mit Alexei nicht ohne Folgen geblieben ist … MEINE ZÄRTLICHSTE VERSUCHUNG von NANA PRAH „Komm mit nach Italien!“ Soll Lanelle die Einladung des sexy Unternehmers Dante Sanderson wirklich annehmen? Seit ihrer ersten Begegnung ist jede seiner Berührungen eine zärtliche Versuchung. Dabei weiß Lanelle genau, dass sie ihm nicht geben kann, was er sich wünscht …
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Seitenzahl: 523
Penny Roberts, Lynne Graham, Nana Prah
ROMANA EXKLUSIV BAND 373
IMPRESSUM
ROMANA EXKLUSIV erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© Erste Neuauflage 2024 in der Reihe ROMANA EXKLUSIV, Band 373
© 2014 by CORA Verlag, Hamburg für Penny Roberts: „Blütenblätter auf deiner Haut“ Deutsche Erstausgabe 2014 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 18
© 2010 by Lynne Graham Originaltitel: „The Pregnancy Shock“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 2
© 2016 by Nana Araba Prah Originaltitel: „A Perfect Caress“ erschienen bei: Kimani Press, Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Dorothea Ghasemi Deutsche Erstausgabe 2018 by HarperCollins Germany GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 67
Abbildungen: LuckyBusiness / Getty Images, alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 04/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751523981
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY
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Die Flucht ins Paradies.
Der Satz kam Melinda Meriwether unwillkürlich in den Sinn, während die Landschaft im Eiltempo an ihr vorüberflog. Es war der Titel einer alten Kindergeschichte, die sie als Zehnjährige gelesen, aber bis heute nicht vergessen hatte. In der Geschichte war ein Mädchen, das keine Eltern mehr hatte, vor bösartigen Dämonen auf eine Insel geflüchtet und so geradewegs im Paradies gelandet.
Im Moment fühlte sich Melinda ein bisschen wie dieses kleine Mädchen. Nur dass sie sich nicht auf der Flucht vor irgendwelchen Dämonen befand, sondern vor ihrem Exmann. Obwohl das in gewisser Weise aufs Gleiche hinauslief.
Die Dämonen meiner Vergangenheit …
Melinda atmete tief durch und versuchte, sich auf das zu konzentrieren, was sich ihren Augen durch die heruntergelassene Seitenscheibe des Taxis bot, mit dem sie vor etwa einer Dreiviertelstunde vom Flughafen Palma aus losgefahren war: Palmen und Zitronenbäume säumten die kurvige Küstenstraße, auf der sie gerade fuhren, dahinter der makellos weiße Sandstrand, auf dem Touristen auf Liegen und ausgebreiteten Strandtüchern lagen und die wärmenden Strahlen der Sonne genossen, die hoch am Himmel stand. Kinder spielten im Sand, bauten Burgen, tobten und lachten. Pärchen gingen Hand in Hand am Wasser spazieren und genossen die Zweisamkeit.
Und dann das Meer … türkisblau und von einer solchen Unendlichkeit, dass es wirkte, als würde es mit dem Himmel verschmelzen.
Ja, dies hier war das Paradies. Und all diese Menschen, die Melinda flüchtig im Vorüberfahren sah, waren hier, um die kostbarste Zeit des Jahres in eben diesem Paradies zu verbringen. Melinda selbst aber …
Hastig wandte sie ihren Blick ab und schloss die Augen. Der Wind, der durch das Seitenfenster hereinwehte, brachte den Duft des Meeres mit sich und hinterließ einen salzigen Geschmack auf ihren Lippen.
Einen Augenblick lang ergab Melinda sich der Vorstellung, sie könnte ebenfalls als ganz normale Urlauberin hier sein. Eine Touristin von vielen, die einfach zwei herrliche Wochen auf dieser wundervollen Insel verbrachte. Die jeden Morgen nach einem ausgiebigen Frühstück zum Strand hinunterging, sich den ganzen Tag lang von der Sonne verwöhnen ließ, im Meer baden ging, abends die Schlemmereien vom Buffet genoss und den Tag dann beim Abendprogramm des Hotels mit leckeren Cocktails ausklingen ließ. Allein, mit Freunden oder gar … einer Familie.
Dieser Gedanke gab Melinda den Rest. Aufstöhnend schnappte sie nach Luft und blinzelte die aufsteigenden Tränen fort. Von einer Familie – einem Mann und Kindern – sollte sie nun wirklich nicht träumen. Dieser Traum hatte sich einmal fast verwirklicht, und was war daraus geworden?
„Señorita traurig?“ Die Stimme des Taxifahrers, eines kleinen rundlichen Spaniers, der vorhin mit einiger Anstrengung, aber voller Hilfsbereitschaft ihren schweren Trolley in den Kofferraum gehievt hatte, riss sie aus ihren Gedanken. „Aber warum bloß?“, fragte er in gebrochenem Englisch. „Mallorca ist Paradies! El paraíso!“
Melinda unterdrückte ein hysterisches Kichern. Dann sagte sie sich, dass der freundliche Mann der Letzte war, der etwas für ihre Misere konnte, und erwiderte höflich: „Sie haben recht, das ist es wirklich. Sagen Sie, wie lange sind wir noch unterwegs?“
Als der Mann sie fragend ansah, sagte sie: „Cuánto tiempo?“
„Ah, ya!“ Das Gesicht des Mannes erhellte sich, als er nun verstand. Er lachte und sagte auf Englisch: „Nicht lange, Señorita! Sind gleich da!“
Melinda nickte und lehnte sich in ihrem Sitz zurück. Gleich würde sie also die Frau kennenlernen, mit der sie seit ein paar Monaten übers Internet kommunizierte und von der sie auch ihre paar Brocken Spanisch gelernt hatte: Alana Brooks, ebenfalls Engländerin, die aber schon seit über zehn Jahren auf Mallorca lebte.
Die beiden Frauen hatten sich in England auf der Party einer gemeinsamen Freundin kennengelernt. Da sie sich auf Anhieb gut verstanden hatten, waren sie miteinander in Kontakt geblieben. In den folgenden Monaten hatten sie sich regelmäßig geschrieben, und als Melinda vor Kurzem die Vergangenheit einzuholen drohte und sie wusste, dass sie nicht in Bristol würde bleiben können, hatte sie sich an ihre neu gewonnene Freundin gewandt.
Weggerannt bist du. Du läufst vor deiner eigenen Courage davon. Ein einziges Mal hast du in deinem Leben eine mutige Entscheidung getroffen – und jetzt?
Alana war sozusagen Melindas Rettung in der Not gewesen, ohne allerdings selbst die wirklichen Hintergründe für deren überstürzte Flucht aus Bristol zu kennen. Alana glaubte, sie habe ihren Job bei einer Zeitarbeitsfirma verloren und sehe in Bristol keinerlei berufliche Perspektive mehr für sich.
Daher hatte sich Alana auf Mallorca für sie umgehört und war auch prompt fündig geworden: Die Immobilienfirma, für die sie selbst als Maklerin arbeitete, suchte noch eine Büroangestellte, die fließend Englisch sprach. Schon in der kommenden Woche sollte sie sich dort vorstellen, und Alana hatte ihr angeboten, in der nächsten Zeit erst einmal auf ihrer Finca in Alcudia zu wohnen, so lange, bis sie mit dem Job genug verdient hatte, um sich etwas Eigenes leisten zu können.
Das alles war natürlich ideal für Melinda. Denn ohne diesen Zufall, dass Alana sofort eine Arbeit für sie gefunden hatte, hätte sie es bestimmt nicht leicht gehabt. Sicher wären Wochen, wenn nicht Monate ins Land gegangen, bis sie einen Job gefunden hätte. Zumal sie nur wenig Spanisch sprach, woran sie natürlich dringend etwas ändern musste.
Am Wichtigsten aber war im Moment vor allem, dass sie auf Mallorca in Sicherheit war. Hier würde er sie ganz bestimmt nicht finden …
Dank Alanas Hilfe stand einer Zukunft auf Mallorca nichts mehr im Wege.
Und damit hoffentlich einer Zukunft ohne Angst.
Der Taxifahrer, der inzwischen von der Küstenstraße abgefahren war, bog in einen kleinen Privatweg ein, der vor einem großen schmiedeeisernen Tor endete, das nur angelehnt war.
„Sie können mich hier rauslassen“, sagte Melinda. „Vielen Dank.“
„Warten, Señorita, ich helfe mit Gepäck.“ Der Fahrer stieg aus, ging um den Wagen herum und öffnete den Kofferraum. Ächzend mühte er sich mit dem schweren Trolley ab, was Melinda honorierte, indem sie ihm ein besonders großzügiges Trinkgeld gab.
Überschwänglich bedankte er sich und bestand darauf, ihr den Trolley noch bis zum Tor zu bringen, ehe er sich verabschiedete und zu seinem Taxi zurückkehrte, wendete und davonfuhr.
Melinda ging zur Sprechanlange links neben dem Tor und wollte gerade auf den Klingelknopf drücken, als sie ein leises Wimmern vernahm. Erst glaubte sie, es käme von einem Tier, doch dann, als es lauter wurde, erkannte sie, dass es sich um das Weinen eines Kindes handelte.
Sie spähte durch die Stäbe des Tors – und erblickte rechts am Rand der Zufahrt ein kleines Mädchen, das zwischen zwei Oleanderbüschen auf einem Baumstumpf saß. Melinda schätzte die Kleine auf vielleicht sechs Jahre. Sie hatte langes, wunderschön glänzendes Haar und einen dunklen Teint. Wenn sie lachte, ließ sie sicher die Herzen sämtlicher Menschen um sich herum höher schlagen; jetzt aber weinte und schluchzte sie zum Steinerweichen, während sie auf einen Gegenstand in ihrer Hand starrte.
„Hallo, Kleines“, sagte Melinda, nicht allzu laut, um das Mädchen nicht zu erschrecken. „Was hast du denn? Kann ihr dir vielleicht helfen?“
Das Mädchen blickte auf. Erst jetzt fiel Melinda ein, dass sie Englisch gesprochen hatte. Sie probierte es auf Spanisch: „Puedo ayudarle?“
Die Kleine stand auf und kam auf sie zugelaufen, wobei sich ihr Gesicht kurz erhellte. „Ich kann auch Englisch sprechen“, sagte sie stolz. „Mein Daddy ist nämlich Engländer, weißt du? Ich kann beide Sprachen, Englisch und Spanisch.“
Jetzt fiel ihr Blick wieder auf den Gegenstand in ihrer Hand – Melinda erkannte, dass es sich um einen Fotoapparat handelte –, und schlagartig begann sie wieder zu weinen.
„Aber was hast du denn?“ Melinda ließ ihren Rollkoffer stehen und trat durch das halb offen stehende Tor, sodass sie sich jetzt auf dem Grundstück befand. Dann ging sie vor dem Mädchen in die Hocke und sah es an. „Warum weinst du so bitterlich, kleine Maus? Wegen dem Fotoapparat? Ist er kaputt?“
Die Kleine nickte heftig und zog die Nase hoch. „Es ist meine Schuld. Tanta Alana hat ihn mir geliehen, damit ich Fotos von den Kaninchen machen kann. Dann ist er mir heruntergefallen, und jetzt geht er nicht mehr.“
„Soll ich mir den Apparat mal anschauen?“ Melinda streckte die Hand aus und fügte, als sie das Zögern des Mädchens bemerkte, hinzu: „Ich kenne mich ein bisschen damit aus, vielleicht kann ich ihn reparieren …“
Jetzt nickte das Mädchen und hielt Melinda das Gerät hin.
„Wie heißt du denn?“, fragte Melinda und nahm die einfache Digitalkamera entgegen.
„Lilly“, antwortete das Mädchen noch ein wenig schüchtern.
„Freut mich, dich kennenzulernen, Lilly. Ich heiße Melinda.“
„Kannst du den Fotoapparat wieder ganz machen?“
„Bestimmt, Lilly.“ Melinda sah sich die Kamera näher an und entdeckte, dass das Batteriefach nicht richtig geschlossen war und einer der Akkus den Kontakt verloren hatte. Das musste passiert sein, als sie auf den Boden gefallen war. Rasch rückte Melinda den Akku zurecht und schaltete die Kamera ein.
Zufrieden nickte sie. „Ich glaube, wir haben es geschafft. Was meinst du, soll ich für deine Tante ein Foto von ihrer wunderhübschen Nichte machen?“
Lächelnd und leicht verlegen nickte Lilly. Melinda nahm die Kamera so in beide Hände, dass sie das Mädchen aufs Display bekam.
Gerade als sie den Auslöser drücken wollte, hallte eine wütende männliche Stimme auf.
„Hey, was machen Sie da? Gehen Sie von meiner Tochter weg! Sofort!“
Erschrocken blickte Melinda nach links – und hielt für einen Moment den Atem an, als sie den Mann erblickte, der von der Finca aus wütend auf sie zugestürmt kam.
Er war groß und gut gebaut, sein schwarzes Haar kurz und ungekämmt. Das eher helle Gesicht wies markante Züge auf, und seine dunklen Augen sahen sie so verärgert an, dass Melinda zusammenzuckte.
Gleichzeitig spürte sie aber auch, wie warme Wellen ihren Körper erfassten. Unwillkürlich fühlte sie sich hässlich in ihren alten Jeans und dem weiten Shirt, unter dem sie gern die berühmten „Pfunde zu viel“ verbarg, und das, obwohl auch er nur Freizeitkleidung trug.
Allerdings waren es bei ihm ein perfekt sitzendes Poloshirt und eine Kakihose. Außerdem war sie sicher, dass dieser Mann ohnehin alles tragen konnte. Keine Kleidung der Welt war imstande, seine unfassbare Ausstrahlung zu mindern, die Melinda sofort wie magisch in den Bann zog. Dazu der durchtrainierte Körper und …
Sie riss sich aus ihren Gedanken. „Ich … Entschuldigung, ich habe nur …“, stammelte sie unbeholfen, doch der Mann ließ sie gar nicht zu Wort kommen.
„Geben Sie auf der Stelle die Kamera her!“ Er streckte die Hand aus. „Was fällt Ihnen eigentlich ein, einfach dieses Grundstück zu betreten und Fotos von meiner Tochter zu machen?“
„Ich … also … ich …“ Melinda bekam weiterhin keinen zusammenhängenden Satz heraus. Sie stand nur da und starrte den Mann beinahe flehentlich an. So war es immer bei ihr. Schüchtern, ängstlich und feige waren eindeutig die Worte, die sie am besten charakterisierten. Wie sehr sie sich darüber ärgerte!
„Aber Daddy“, meldete sich da die kleine Lilly zu Wort. „Melinda hat doch nur …“
„Du gehst bitte ins Haus“, fiel ihr Vater ihr ins Wort, und Melinda fragte sich, ob er immer so streng zu seiner Tochter war.
„Aber Daddy, sie …“
„Kein Aber! Bitte geh ins Haus, Lilly. Auf der Stelle!“
Das Mädchen senkte traurig den Blick und trottete mit kleinen Schritten zur Finca hinüber.
Als Lilly außer Hörweite war, wandte der Fremde sich wieder Melinda zu. „So, und jetzt zu Ihnen“, sagte er, während er sie mit zusammengekniffenen Augen musterte. Sein Blick war so durchdringend, dass Melinda das Gefühl hatte, er könne bis auf den Grund ihrer Seele blicken. „Wie können Sie es wagen, ohne Erlaubnis dieses Grundstück zu betreten und meine kleine Tochter zu fotografieren? Das ist unerhört!“
„Aber ich … Ich habe keine Fotos von Ihrer Tochter gemacht!“
Für einen Moment schien er verblüfft zu sein. Aber nur für einen Moment … „Ach, dann haben Sie Ihre Kamera also nur so auf Lilly gerichtet?“, fragte er spöttisch.
„Nein, ich …“ Melinda seufzte. Was war das bloß mit ihrer Unfähigkeit, sich zur Wehr zu setzen? Jeder andere an ihrer Stelle hätte die Sache mit fester Stimme und ein paar einfachen Sätzen geklärt. Sie jedoch …
„Also, wie heißen sie? Und für wen arbeiten Sie?“
„Melinda. Melinda Meriwether.“ Sie blinzelte irritiert. „Wie meinen Sie das, für wen ich arbeite? Ich …“
„Aber Josh, das ist doch Melinda!“, erklang da plötzlich eine weibliche Stimme von der Straße her. Melinda drehte sich um und erblickte auf der anderen Seite des Tores eine Frau mit hellroten Locken und hellem, mit Sommersprossen übersätem Gesicht. Melinda atmete auf: Zwar war es schon eine Weile her, dass sie sich gesehen hatten, aber sie erkannte sie sofort.
„Alana!“, stieß sie erleichtert hervor. „Zum Glück bist du da, ich …“
„Du kennst diese Frau?“, fragte der Fremde – Josh –, an Alana gewandt.
Die verdrehte lachend die Augen und trat durchs Tor. „Aber ja doch, das ist Melinda aus Bristol. Ich habe dir doch erzählt, dass sie heute kommt und in der nächsten Zeit bei mir wohnen wird.“
Einen Moment lang schien es Lillys Vater die Sprache verschlagen zu haben, und sein Gesichtsausdruck entspannte sich. Aber nur kurz. „Und warum haben Sie meine Tochter fotografiert?“, wollte er dann von Melinda wissen.
„Aber genau das habe ich doch die ganze Zeit versucht, Ihnen zu erklären“, erwiderte sie, selbst überrascht darüber, mit einem Mal in ganzen Sätzen reden zu können. „Ihre Tochter hatte die Kamera bei sich. Lilly hat sie fallen gelassen und dann bitterlich geweint, weil sie Angst hatte, sie kaputt gemacht zu haben. Ich habe sie mir daraufhin angesehen und Lilly dann angeboten, ein Foto von ihr zu machen, um sie wieder etwas aufzuheitern. Das ist alles.“
„Und woher hat sie diese Kamera? Von mir jedenfalls nicht.“
„Aber von mir“, meldete sich nun Alana wieder zu Wort. „Und jetzt hör doch endlich auf, unseren Gast so auszufragen. Das grenzt ja schon an ein Verhör.“
Eine Pause entstand, in der dieser unverschämte, aber überaus attraktive Mann mehrmals zwischen Alana und ihr hin und her blickte.
„Also gut“, sagte er schließlich zu Melinda. „Dann wollen wir es dabei belassen. Aber für die Zukunft sollten Sie sich angewöhnen, nicht einfach ohne Anmeldung anderer Leute Grund und Boden zu betreten.“
Mit diesen Worten und einem stechenden Blick wandte er sich ab und ging schnellen Schrittes zurück zur Finca.
„Aber …“ Fassungslos starrte Melinda ihm nach. „So ein blöder Kerl!“, schimpfte sie – eigentlich in Gedanken, doch dann wurde ihr bewusst, dass sie die Worte laut ausgesprochen hatte, und sie hielt sich erschrocken die Hand vor den Mund. Verlegen wandte sie sich an Alana. „Oh sorry, ich wollte nicht … Also, dein Freund ist natürlich keineswegs …“
„Freund?“ Alana lachte. „Nein, nein, Josh ist nicht mein Freund, sondern mein Bruder!“, stellte sie richtig.
„Dein Bruder? Ach so, natürlich!“ Melinda schüttelte den Kopf. Sie hätte es sich denken können: Lilly hatte von ihrer Tante Alana gesprochen, und ihr Vater war Josh. Dennoch – kurz hatte Melinda geglaubt, Josh könne Alanas Freund sein. Besonders verwirrte sie nun, welch große Erleichterung sie darüber verspürte, dass dies eben nicht der Fall war. „Jedenfalls tut es mir leid“, fügte sie schnell hinzu. „Ich wollte nicht schlecht über ihn sprechen.“
„Ach was!“ Alana winkte ab. „Niemand weiß besser als ich selbst, dass Josh manchmal ziemlich ruppig sein kann. Aber jetzt sollten wir uns erst mal richtig begrüßen, was meinst du? Also: Herzlich willkommen auf Mallorca, Melinda. Ich freue mich sehr, dass du da bist!“
„Ich freue mich auch!“
Die beiden Frauen umarmten sich, dann gab Melinda Alana die Kamera und holte rasch ihren Trolley. Alana ging vor zum Haus. Melinda folgte ihrer Freundin mit gemischten Gefühlen. Sie konnte wirklich nur hoffen, dass der missglückte Start mit Josh kein schlechtes Omen für ihren Neuanfang auf Mallorca war.
Die Finca war klein, aber sehr hübsch, mit Blumen, die an der Fassade emporrankten. Der Boden war mit terrakottafarbenen Fliesen ausgelegt, die Wände mit weißem Rauputz verkleidet. Bei den Möbeln handelte es sich um eine interessante Mischung aus Antiquitäten und modernen Einrichtungsgegenständen.
In der offenen Küche setzten sie sich an einen großen Tisch, auf den Alana auch den Fotoapparat ablegte, um danach Eistee aus einer Glaskaraffe in zwei Gläser einzuschenken.
„Hör zu, Melinda“, sagte sie, „ich hoffe sehr, du nimmst es mir nicht übel, aber es könnte sein, dass ich gleich schon wieder weg muss. Ich erwarte einen Anruf, und in der Firma geht im Moment alles drunter und drüber …“
Melinda winkte ab. „Kein Problem, Arbeit geht schließlich vor, und wir werden ja noch genug Zeit zum Reden haben.“ Sie nahm einen Schluck von dem Eistee, der wunderbar erfrischend war, und sah Alana fragend an. „Sag mal, gibt es denn schon etwas Neues wegen der Stelle, die du für mich in Aussicht hast?“
„Äh, noch nicht wirklich, tut mir leid. Vielleicht kann ich dir heute Abend mehr sagen.“ Hastig nahm sie ebenfalls einen Schluck aus ihrem Glas und stellte es dann wieder auf dem Tisch ab. „Aber um noch mal auf meinen Bruder zu sprechen zu kommen – du darfst Josh sein Verhalten wirklich nicht übel nehmen. Eigentlich ist er nicht so.“
„Schon vergessen.“ Melinda lachte. „Wohnt ihr denn alle zusammen hier?“
„Josh, hier? Oh nein, Gott bewahre! Ich glaube, dann hätte ich hier überhaupt keine Ruhe mehr! Nein, Josh und Lilly wohnen in einer Finca in der Nähe von Palma. Sie sind gerade nur übers Wochenende zu Besuch und werden wohl morgen Abend auch schon wieder abreisen.“
„Ach so.“ Melinda hatte Mühe, ihre Enttäuschung zu verbergen. Doch in dem Moment, in dem sie sich dies eingestand, fragte sie sich, was eigentlich los war mit ihr. Sie würde diesen unverschämten Kerl doch wohl nicht vermissen – oder?
Aber nein, sagte sie sich sogleich. Wenn, dann die kleine Lilly, aber ganz bestimmt nicht deren Vater! Aber war das wirklich die Wahrheit? „Und Lillys Mutter? Ist sie … auch hier?“
Einen Moment schien Alana zu überlegen, was sie antworten sollte, dann sagte sie: „Josh und seine Frau …“ Sie schüttelte den Kopf. „Josh ist alleinerziehend, der Rest tut nichts zur Sache. Jedenfalls … Wie schon gesagt, er ist nicht immer so. Es ist nur … In letzter Zeit versuchen ständig irgendwelche Paparazzi, an ihn heranzukommen. Das wäre im Grunde kein Problem, schließlich arbeitet Josh gerade verbissen an seinem Comeback, und jede Form von Publicity kann ihm dabei nur recht sein – doch diese Leute schrecken auch nicht davor zurück, Lilly mit ihren Kameras zu verfolgen und …“
„Comeback? Paparazzi?“ Melinda zog die Brauen hoch. „Ich verstehe nicht …“
Verdutzt blickte Alana sie an, dann erhellte sich ihr Gesicht, und sie schlug sich mit der flachen Hand gegen die Stirn. „Ach du meine Güte, natürlich! Das weißt du ja gar nicht!“ Sie lachte. „Kam dir Josh nicht vielleicht irgendwie bekannt vor?“
„Bekannt? Ja, schon, ein bisschen vielleicht. Aber ich habe keine Ahnung, woher ich ihn kennen sollte.“
„Ist ja auch schon einige Jahre her. Früher war Josh ein ziemlich berühmter Schauspieler. Er hat einige kommerziell sehr erfolgreiche Filme gemacht. Tja, und da er nicht mein richtiger Bruder ist, sondern mein Halbbruder und wir zwei verschiedene Väter haben, ist sein Nachname auch nicht Brooks, sondern …“
„Adair!“, rief Melinda fassungslos aus. „Josh Adair!“ Sie starrte Alana mit weit aufgerissenen Augen und offenem Mund an. „Du meine Güte, soll das etwa heißen, ich bin eben dem Schwarm meiner Jugend begegnet?“ Ungläubig schüttelte sie den Kopf.
Josh Adair hatte in Streifen wie Young Love und A Girl’s Heart die Hauptrolle gespielt und war ein absoluter Teenie-Star gewesen. Irgendwann, als er älter wurde, verschwand er dann plötzlich von der Bildfläche und hatte danach allenfalls noch in kleineren Fernsehproduktionen eine Nebenrolle gespielt.
Natürlich, jetzt fügte sich alles zusammen: Als er sie vorhin dabei gesehen hatte, wie sie seine Tochter fotografieren wollte, musste er geglaubt haben, sie sei von der Presse. Nun, unter den Umständen konnte sie sein unfreundliches Verhalten sehr gut nachvollziehen.
„Jedenfalls …“, setzte Alana gerade an, als der Klingelton ihres Smartphones erklang. Rasch zog sie es aus der Hosentasche und nahm das Gespräch an.
„Sí?“ Es folgte eine kurze Pause, dann ein Schwall spanischer Sätze, von denen Melinda allerdings nichts verstand, weil Alana einfach zu schnell sprach. Schließlich beendete diese das Gespräch, stand auf und steckte ihr Telefon wieder in die Tasche. Das Gespräch schien sie mitgenommen zu haben, denn ihr Gesicht war vor Aufregung gerötet.
„Sorry, Melinda“, sagte sie. „Macht es dir etwas aus, wenn ich dir jetzt dein Zimmer zeige? Ich muss dringend weg.“
Melinda stand ebenfalls auf. „Probleme?“
„Ich … weiß es noch nicht. Lass uns später reden, okay?“
Sie nickte. „Natürlich, kein Problem, ich …“
In dem Moment stürmte Josh in die Küche. Er trug jetzt einen dunkelgrauen Anzug ohne Krawatte. Der oberste Knopf seines Hemds stand offen und gab den Blick frei auf leicht gebräunte Haut.
„Du musst auf Lilly aufpassen“, sagte er hektisch zu seiner Schwester. „Meine Managerin hat angerufen, ich muss dringend weg. Es wird ungefähr …“
„Keine Chance!“, fiel Alana ihm ins Wort. „Du weißt, ich passe gern auf Lilly auf, wenn ihr zu Besuch seid, aber jetzt geht es nicht. Ich muss selbst weg. Ich habe ein wichtiges Meeting.“
Josh starrte seine Halbschwester verblüfft, beinahe fassungslos an. Offenbar hatte er nicht nur damit gerechnet, dass sie zusagen würde, sondern es vorausgesetzt. „Aber …“
„Nichts aber!“, ließ Alana ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Hör zu, Josh: Ich weiß, dass du große Probleme hast, ein Kindermädchen für deine Tochter zu finden. Und du weißt auch, dass ich immer gerne aushelfe, wenn Not am Mann ist. Aber jetzt geht es nicht, verstanden?“
„Verdammt!“, knurrte Josh grimmig und ballte die rechte Hand zur Faust. Sein Gesichtsausdruck aber war nicht etwa zornig, sondern vielmehr verzweifelt.
„Ich könnte doch …“, sagte Melinda spontan und erntete überraschte Blicke.
„Sie?“ Zweifelnd sah Josh sie an. „Nennen Sie mir einen Grund, warum ich Ihnen meine siebenjährige Tochter anvertrauen sollte.“
„Ähm, weil Sie dringend jemanden brauchen, der auf Lilly aufpasst?“ Sie hob die Hände und war selbst erstaunt über ihr selbstsicheres Auftreten. „Mir kann es egal sein, wenn Sie Ihren wichtigen Termin absagen müssen. Ich für meinen Teil halte es nur so, dass ich sehr dankbar bin für die Gastfreundschaft, die mir hier entgegengebracht wird, und daher sehe ich es als Selbstverständlichkeit an, mich nützlich zu machen. Außerdem ist Lilly ein bezauberndes kleines Mädchen“, fügte sie hinzu.
Jetzt schaltete sich auch Alana ein. „Aber Josh, das ist doch die Idee!“, sagte sie begeistert. „Sagtest du nicht, dass du sogar mal als Kindergärtnerin gearbeitet hast?“, fragte sie Melinda.
Die nickte. „Ich habe eine Ausbildung zur Erzieherin, ja. Allerdings habe ich danach nicht allzu lange in dem Bereich gearbeitet.“
Alana winkte ab. „Also, für mich klingt das geradezu perfekt. Wenn du das wirklich machen würdest, Melinda? Allerdings solltest du wissen, dass Lilly … Sagen wir mal, sie ist ziemlich scheu im Umgang mit Fremden.“
„Ach, das kriegen wir schon hin!“ Melinda lächelte. „Ich habe sie ja vorhin schon kennengelernt, und …“
„Also gut, von mir aus“, fiel Josh ihr ins Wort. „Machen Sie mal …“
„Machen Sie mal?“ Melinda sah ihn herausfordernd an. „Also, zunächst einmal, Josh: Ich brauche das keineswegs. Sie sind darauf angewiesen, dass Ihnen jemand hilft. Das sollten wir mal klarstellen. Wenn Sie also möchten, dass ich einspringe, wäre es von Vorteil, wenn Sie mich darum bitten. Und dann sollten Sie mir sagen, wo Lilly sich im Augenblick aufhält, und mir eine Handynummer für eventuelle Notfälle dalassen. Also?“
Melinda sah, dass sich Alana, trotz der Eile, in der sie war, ein Grinsen nicht verkneifen konnte, und Josh schien einen Moment lang vollkommen durcheinander zu sein.
Schnell hatte er sich aber wieder im Griff.
„In Ordnung“, sagte er und nahm eine Visitenkarte aus der Innentasche seines Jacketts. „Würden Sie bitte auf meine Tochter aufpassen, Melinda? Ich denke, es wird nicht allzu lang dauern. Zwar muss ich nach Palma, aber das Meeting wird kurz sein. In drei Stunden bin ich wahrscheinlich zurück.“ Er reichte ihr die Karte. „Hier steht meine Handynummer drauf, unter der Sie mich im Notfall erreichen können. Ach ja, und Lilly ist momentan in ihrem Zimmer. Einfach den Gang durch ganz hinten rechts.“ Er nickte Melinda zu. „Vielen Dank für Ihre Hilfe.“
Er wandte sich ab und eilte aus der Küche. Alana zwinkerte ihr noch einmal zu, dann machte auch sie sich, schnell wie ein Wirbelwind, auf den Weg.
Sobald Melinda allein war, atmete sie tief durch. Du liebe Güte, hatte sie etwa soeben einem ehemaligen Filmstar gegenüber ihren Standpunkt klargemacht? Dem Schwarm ihrer Teenagerzeit?
Sie schüttelte den Kopf. Kaum zu glauben.
Josh wusste nicht, was ihn mehr ärgerte, während er seinen Range Rover über die Küstenstraße lenkte: die Tatsache, dass er einer wildfremden Frau seine Tochter überlassen hatte – oder dass er sich von eben dieser Frau hatte herumkommandieren lassen.
Nun, um den ersten Punkt brauchte er sich vermutlich keine Gedanken zu machen. Diese Melinda war eine Bekannte seiner Schwester – und die hätte niemals jemanden ins Haus geholt, den sie nicht zumindest einigermaßen kannte. Zudem hatte auch Alana es für eine gute Idee gehalten, das Angebot anzunehmen. Vor allem aber hatte er auch gleich gespürt, dass Melinda nichts Böses im Schilde führte. Und auf seine Menschenkenntnis konnte er sich noch immer verlassen.
Ach ja, tatsächlich? Und wie konnte dann die Sache mit Isabel so fürchterlich schiefgehen? Lillys Mutter?
Er schüttelte den Kopf. Vielleicht sollte er Liebesangelegenheiten aus seiner Feststellung ausklammern. In jeder anderen Hinsicht aber hatte ihn seine Menschenkenntnis bisher noch nicht im Stich gelassen.
Und diese Melinda vermittelte ihm eben nicht den Eindruck, irgendetwas im Schilde zu führen. Als er sie fälschlicherweise für eine Reporterin gehalten hatte, die Fotos von seiner Tochter machen wollte, war er ziemlich in Rage geraten. Melinda war unter seinen wütenden Worten regelrecht zusammengezuckt, kaum fähig, einen ganzen Satz zustande zu bringen.
Später hatte es ihm sogar leidgetan, sie so grob angefasst zu haben. Mochte sein, dass sie ihn in der Küche anschließend herumkommandiert hatte, dennoch stand für Josh fest, dass sie keiner Fliege etwas zuleide tun konnte. Sonst hätte er ihr Lilly auch niemals anvertraut.
Und ist da nicht auch noch etwas anderes, mit dem sie dir den Kopf verdreht hat?
Josh atmete scharf ein, als ihr Bild plötzlich wieder vor ihrem geistigen Auge auftauchte. Zwecklos, es abzustreiten: Melinda besaß etwas, das ihn vom ersten Augenblick an in den Bann gezogen hatte, und er fragte sich, was das sein mochte. Vor allem da sie ganz eindeutig nicht zu der Sorte Frau zählte, mit der er sich für gewöhnlich umgab: blond, schlank, Modelmaße, stets schmuckbehangen, perfekt geschminkt und gestylt … All das traf auf Melinda nicht zu.
Er hielt die Luft an. In Jeans und weitem T-Shirt hatte sie vor ihm gestanden. Die ausgebeulte Kleidung hatte zwar ihre üppige Figur einigermaßen verborgen, dennoch waren Josh die wohlgerundeten Hüften und die vollen Brüste, die sich darunter abzeichneten, keineswegs entgangen.
Nicht nur das – der Anblick hatte sein Blut schlagartig in Wallung gebracht, und das trotz der Tatsache, dass er Melinda zunächst für eine Reporterin gehalten hatte und seine Wut auf sie grenzenlos gewesen war.
Ihr dezent geschminktes Gesicht wurde umrahmt von langem schwarzem Haar, das nicht ungewöhnlich gestylt war, und Schmuck schien für sie ebenso ein Fremdwort zu sein wie lackierte Fingernägel. Keine Frage – Melinda gehörte zu den Frauen, die Männer mit ihren weiblichen Formen in den Wahnsinn trieben. Unwillkürlich fragte er sich, warum so viele Frauen sich heute lieber beinahe zu Tode hungerten, nur um nicht so auszusehen.
Und vor allem fragte er sich, warum er noch nie mit einer Frau wie Melinda im Bett gewesen war. Allein ihr Anblick hatte genügt, um ihm den Schweiß auf die Stirn zu treiben. Und nicht nur das …
Früher, auf dem Höhepunkt seiner Karriere, hatte er ein ziemlich wildes Leben geführt. Das änderte sich erst, als er Isabel kennenlernte und kurz darauf Lilly auf die Welt kam. Später, nach der Scheidung, ließ er es zwar etwas ruhiger angehen, doch ein Kind von Traurigkeit war er auch heute nicht. Wenn ihm eine Frau gefiel, dann zögerte er in der Regel nicht lange. Doch auch das war bei Melinda anders.
Seufzend strich er sich durch sein dunkles kurzes Haar. Dann erkannte er, dass er beinahe zu weit gefahren war, und bog gerade noch rechtzeitig auf die Avenida Gabriel Roca ein und folgte der Straße am Port de Palma entlang. Dabei schüttelte er immer wieder den Kopf. Warum grübelte er ständig über diese Frau nach, statt sich über die wirklich wichtigen Dinge Gedanken zu machen, von denen es derzeit für ihn mehr als genug gab?
Dinge, die sein Leben endlich wieder in die richtige Richtung lenken würden …
Er erreichte Palma und ärgerte sich wie jedes Mal, wenn er durch die breiten Straßen fuhr, über den dichten Verkehr. Da sich das Anwesen, auf dem er mit Lilly wohnte, ganz in der Nähe befand, kannte er die Umgebung wie seine Westentasche.
Seit neun Jahren lebte er nun schon auf Mallorca. Es kam ihm wie gestern vor, als er mit Isabel aus London fortgegangen war. Damals hatte er den Erfolg seiner Filme in vollen Zügen genossen. Er hatte geglaubt, ihm stünde die Welt offen. Wie glücklich er mit Isabel gewesen war! Sie hatten geheiratet, und Lilly war zur Welt gekommen.
Heute wusste er, dass er alles zu sehr als gegeben hingenommen hatte. Doch jetzt stand er kurz davor, sein Leben wieder zu ändern. Und diese Chance würde er sich nicht entgehen lassen.
Genau aus diesem Grund sollte er sich eines auch von Anfang an klarmachen: So sehr Melinda Meriwether ihm auch innerhalb kürzester Zeit den Kopf verdreht haben mochte – diese Frau war tabu für ihn.
Absolut tabu!
Er erreichte das Hotel und lenkte seinen Wagen vor dem Gebäude an den Straßenrand. Dann stieg er aus und ging auf den Eingang zu.
Im selben Moment trat seine Managerin Raquel heraus. Ihr brünettes, schulterlanges Haar war streng zurückgekämmt, das Businesskostüm so eng geschnitten, dass es beinahe wie eine zweite Haut an ihrem zierlichen Körper lag. Obwohl seine Managerin wie immer viel Make-up aufgetragen hatte, konnte man erkennen, dass ihre Wangen gerötet waren – ein untrügliches Zeichen ihrer Aufregung.
„Ist sie schon da?“, fragte Josh gelassen.
„Schon seit zwei Minuten!“ Raquel sah ihn entgeistert an. „Wo bleibst du denn? Ich hatte dich schon vor einer knappen Viertelstunde erwartet.“
„Jetzt bin ich ja da.“ Er drehte sich um und betrat, ohne sie eines weiteren Blickes zu würdigen, die Hotellobby.
„Möchtest du nicht vielleicht doch eine Kleinigkeit essen? Ich habe Nudeln im Kühlschrank gesehen. Oder wenigstens etwas trinken?“
Lilly schüttelte stumm den Kopf, während sie am Küchentisch saß und ins Leere starrte.
„Ach, Kleines …“ Melinda seufzte. Alana und Josh waren nun über eine Stunde fort, und seitdem versuchte sie, die Siebenjährige dazu zu bewegen, irgendetwas mit ihr zu unternehmen. Leider erfolglos, was Melinda aber nicht überraschte, schließlich hatte Alana ja bereits angedeutet, dass Lilly recht scheu war. Zudem war Melinda nun mal eine Fremde für das Mädchen.
Dennoch freute sie sich, eine Aufgabe zu haben. Wenn sie sich vorstellte, dass sie die ganze Zeit über allein auf ihrem Zimmer sitzen und auf Alanas Rückkehr warten würde – sie wäre wahrscheinlich verrückt geworden, weil sie immerzu an die verfahrene Situation hätte denken müssen, in der sie sich befand.
An ihren Exmann, an das, was sie vor Jahren getan hatte und das der Grund dafür war, dass sie sich nun auf der Flucht vor dem Mann befand, mit dem sie einst vor den Traualtar getreten war.
Nun bestand ihre einzige Chance darin, auf Mallorca ein neues Leben anzufangen. Entsprechend viel hing für sie von dem Job ab, den Alana ihr besorgt hatte. Natürlich, ganz sicher hatte sie ihn noch nicht in der Tasche, sie musste sich ja nächste Woche erst einmal vorstellen. Aber Alana hatte ihr gesagt, dass eigentlich nichts schiefgehen konnte, sofern die Chemie zwischen Melinda und ihrem künftigen Boss stimmte.
Melindas Blick fiel auf die Digitalkamera, die noch auf dem Küchentisch lag. Plötzlich kam ihr eine Idee.
„Weißt du was?“, fragte sie fröhlich. „Ich hab ja vorhin gar nicht das Foto von dir gemacht. Sollen wir das nachholen?“
Sofort blickte Lilly auf. „Au ja!“
Sie gingen hinaus in den Garten. Süßer Blumenduft erfüllte die Luft, Vögel zwitscherten, und die Sonne strahlte vom Himmel. Es war herrlich, weder zu warm noch zu kalt. Und Lilly schien aufzublühen, sobald sie sich an der frischen Luft befand.
Lachend lief sie einem farbenfrohen Schmetterling nach, der von Blüte zu Blüte flatterte.
„Und jetzt stell dich mal in Positur“, wies Melinda sie an.
Begeistert kam Lilly ihrer Bitte nach. Strahlend blickte sie in die Kamera, stemmte die Arme in die Seiten, schlug ein Rad und streckte die Zunge heraus. Sie kam völlig aus sich heraus, war kaum mehr wiederzuerkennen.
„Gnade“, flehte Melinda nach über einer Stunde. „Ich kann nicht mehr. Was hältst du davon, wenn ich uns einen Kakao mache?“
„Oh ja!“ Begeistert tanzte die Siebenjährige um sie herum. „Jaa!“
Etwa eine halbe Stunde später kehrte Alana zurück. Melinda merkte gleich, dass etwas nicht stimmte: Selbst als ihre Nichte freudestrahlend auf sie zulief, um ihr die Fotos zu zeigen, musste Alana sich sichtlich dazu zwingen zu lächeln.
„Das ist ganz toll, Kleines. Ich sehe mir die Bilder später an, okay? Geh doch noch mal raus und mach noch ein paar Fotos, ich komme später nach, ja? Ich muss nur rasch etwas mit Melinda besprechen.“
„Okay.“ Die Siebenjährige nickte ein wenig enttäuscht, warf Melinda noch ein Strahlen zu und lief dann aus der Küche.
„Du scheinst ja das Wunder vollbracht zu haben“, stellte Alana fest, als sie sich zu Melinda an den Tisch setzte.
Diese blinzelte. „Wunder? Welches Wunder?“
„Na ja, ich sagte ja schon, dass Lilly ziemlich scheu ist. Es gibt praktisch niemanden, den sie nicht gut kennt, der mit ihr auskommt.“
„Um ehrlich zu sein, hat es auch erst ein bisschen gedauert, aber ich glaube, jetzt mag sie mich. Und ich finde die Kleine auch wirklich süß.“ Melinda lächelte, wurde dann aber ernst. „Und jetzt zu dir: Was ist los? Probleme?“
„Und ob!“ Alana nickte, senkte den Blick und fuhr sich mit beiden Händen durch ihr rotes Haar. Als sie wieder aufschaute, atmete sie hörbar aus und schüttelte den Kopf. „Hör zu, ich weiß ehrlich gesagt gar nicht, wie ich es dir sagen soll, denn diese Probleme betreffen leider auch dich.“
„Mich.“ Erschrocken sah Melinda sie an. Eine düstere Ahnung stieg in ihr auf.
Alana legt die Hände ausgebreitet auf die Tischplatte. „Ich musste vorhin so dringend weg, weil ich heute früh schon ein Meeting mit meinem Boss hatte. Er hat mich und meine Kollegen wissen lassen, dass er die Agentur verkauft hat.“ Sie schüttelte den Kopf. „Das kam für mich und auch alle anderen Mitarbeiter vollkommen überraschend. Hintergrund ist, dass mein Boss in die USA geht und die Immobilienagentur von dort aus nicht führen kann und will. Tja, deshalb war ich auch die ganze Zeit vorhin so aufgeregt und musste so dringend weg. Während du allein hier warst, hatte ich dann zusammen mit meinen Kollegen ein Gespräch mit dem neuen Agenturinhaber.“
Melindas Mund war trocken geworden, und auch ihre Kehle fühlte sich rau an. „Und …“ Sie schluckte schwer. „Heißt das etwa, dass du keinen Job mehr …“
„Nein, nein.“ Alana winkte ab. „Gott sei Dank werden alle Angestellten mindestens zwei Jahre lang ihre Jobs behalten. Allerdings …“ Sie sah Melinda mit einer Mischung aus Mitleid und Schuldbewusstsein an. „Es tut mir wirklich leid, aber es sieht nicht danach aus, dass in der nächsten Zeit neue Mitarbeiter eingestellt werden.“
„Also heißt das …“ Melinda versagte die Stimme.
„Den Job, den ich dir praktisch schon zugesichert habe, kannst du nicht bekommen. Es tut mir wirklich leid. Irgendwie sehe ich das auch als meine Schuld an. Ich hätte dir nicht versprechen sollen, dass das auf jeden Fall klappt, aber ich war mir einfach so sicher. Und bis gestern hätte ich auch nicht im Traum damit gerechnet, dass …“ Sie schlug mit der Faust auf den Tisch. „Wie soll man denn auch so etwas ahnen?“
Melinda schüttelte den Kopf und räusperte sich. „Es … ist nicht deine Schuld“, stammelte sie. „Ich … würde jetzt nur gern ein wenig allein sein. Ist es in Ordnung, wenn ich ein bisschen rausgehe?“
„Natürlich.“ Besorgt sah Alana sie an. „Aber wenn du etwas brauchst …“
Den Rest bekam Melinda schon nicht mehr mit, denn da war sie bereits aufgestanden und losgestürmt. Sie wollte einfach schnell weg von Alana, damit die Freundin die Tränen nicht sah, die sie nicht länger zurückhalten konnte.
Im Garten setzte sie sich auf eine Holzbank, die in einer abgeschiedenen Ecke unter einer großen Steineiche stand, stützte die Ellbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.
Und während sie ihren Tränen freien Lauf ließ, wanderten ihre Gedanken zurück zu dem Tag, an dem ihr Leben zum wiederholten Male auf den Kopf gestellt worden war …
Einige Wochen zuvor
„Und? Wie war dein Tag?“
„Ach, das willst du gar nicht wissen.“ Melinda winkte genervt ab und setzte sich zu ihrer Mitbewohnerin Jennifer Forther auf die Couch. „Ich hab langsam echt das Gefühl, die haben mich nur zum Kaffeekochen und für Botengänge eingestellt. Was für ein Job!“
„Zeitarbeit eben“, kommentierte Jennifer trocken. „Davon kann ich dir ein Lied singen.“
„Ich weiß ja, dir geht’s nicht anders.“ Melinda nickte. Die beiden Frauen hatten sich vor einem Jahr kennengelernt, als sie über die Zeitarbeitsfirma, bei der sie angestellt waren, für dasselbe Unternehmen tätig gewesen waren. Und da sie beide kaum genug verdienten, um die Miete für eine anständige Wohnung in Bristol aufzubringen, hatten sie sich einfach zusammengetan. Auf diese Weise waren aus Kolleginnen Freundinnen geworden.
Inzwischen arbeitete Melinda zwar nicht mehr in derselben Firma wie Jennifer, dennoch wohnten sie weiterhin zusammen und verstanden sich gut. „Es ist nur so …“ Sie machte erneute eine abwinkende Handbewegung. „Ach weißt du, ich frag mich einfach, wie es so weit kommen konnte. Ich hatte mal ganz andere Pläne. Und ich hatte ja auch schon einiges erreicht im Leben. Aber jetzt …“
Tatsächlich hätte Melinda nie gedacht, dass ihr einmal nichts anderes übrig bleiben würde, als für eine Zeitarbeitsfirma verschiedene Bürojobs zu übernehmen. Aber was sollte sie sagen? Es war einfach alles zusammengebrochen, was sie sich im Leben aufgebaut hatte. Und im Grunde war das der Dank dafür, dass sie ein einziges Mal in ihrem Leben mutig gewesen war.
Und dass ihr dann die Courage gefehlt hatte, zu ihrer Entscheidung zu stehen.
Noch vor gut fünf Jahren war ihr Leben nahezu perfekt gewesen. Verheiratet mit einem Mann, den sie zu lieben und vor allem zu kennen glaubte, und angestellt als Zeitungsredakteurin bei einer großen englischen Boulevardzeitschrift, hätte ihr Alltag ausgefüllter nicht sein können. Sie kam viel herum, lernte Stars und Sternchen persönlich kennen, und zu Hause wartete stets Frank auf sie.
Frank, der Mann, mit dem sie drei Jahre zuvor vor den Traualter getreten war.
Frank, ihr Fels in der Brandung.
Frank, der Mann, mit dem sie alt werden wollte.
Doch dann geschah das Ungeheuerliche. Melinda machte eine Entdeckung, die von einer Sekunde zur anderen alles umkrempelte.
Die Entdeckung, dass Frank kriminell war.
Er hatte ein Doppelleben geführt. Einerseits der treu sorgende Ehemann, auf der anderen Seite ein skrupelloser Verbrecher, der in seiner Funktion als Zollbeamter dafür sorgte, dass Schmugglerbanden ungehindert Drogen ins Land schleusen konnten. Dafür hatte er eine Menge Geld kassiert.
Melinda konfrontierte ihn damit. Zu diesem Zeitpunkt hatte sie noch die Hoffnung gehegt, sich getäuscht zu haben. Dass alles ein schrecklicher Irrtum war, den Frank aufklären konnte.
Doch stattdessen räumte er alles unumwunden und ohne Reue ein. Und von da an lernte sie Franks zweites Gesicht kennen. Ein Gesicht, das dem Mann, den sie geheiratet hatte, gar nicht mehr ähnlich sah.
Er drohte ihr. Sie sollte den Mund halten, über sein kriminelles Doppelleben schweigen.
Doch das brachte sie nicht fertig. Sie ging zur Polizei und machte eine Aussage, die Frank ins Gefängnis brachte.
Noch im Gerichtssaal schwor er ihr, sich eines Tages an ihr zu rächen. Und sie konnte in seinen Augen lesen, wie ernst es ihm damit war.
Dieser Moment, in dem sie zur Polizei gegangen war, um ihren eigenen Ehemann anzuzeigen, war wohl das einzige Mal in ihrem Leben gewesen, dass sie wirklich Mut bewiesen und eigenständig eine folgenschwere Entscheidung gefällt hatte. Denn sowohl privat als auch beruflich hatte sie sich vorher immer nur führen lassen.
Frank hatte ihr durch Beziehungen dabei geholfen, den gut bezahlten Job bei dem Boulevardmagazin zu bekommen. Selbst hätte sie sich eine solche Position vermutlich gar nicht zugetraut. Und sie hätte auch nie in diese Richtung gedacht, denn eigentlich hatte sie immer vorgehabt, weiter als Kindergärtnerin zu arbeiten.
Leider hatte es nach ihrer Ausbildung nicht genug freie Stellen für Kindergärtnerinnen gegeben, sodass sie einige Zeit arbeitslos gewesen war. Daher hatte sie nicht gezögert, den Job bei der Zeitschrift anzunehmen. Und als sie erst mal dort arbeitete, stellte sie fest, dass ihr die Arbeit viel Freude machte und dass sie wirklich gut darin war.
Dennoch hatte sie nach der Geschichte mit Frank gekündigt. Zum einen weil sie nicht damit leben konnte, diese Stelle nur durch ihn bekommen zu haben, zum anderen aber um zu verhindern, dass das alles öffentlich wurde. Immerhin kam sie in diesem Job immer wieder mit Promis in Kontakt.
Nein, mit all dem wollte sie nichts mehr zu tun haben.
Sie hatte also den Mädchennamen ihrer Mutter angenommen und London Richtung Bristol verlassen, wo sie den Job bei der Zeitarbeitsfirma fand.
Von da an war ihr Leben ohne Höhen und Tiefen und vollkommen unspektakulär verlaufen – bis heute …
„Hey, Süße, ist was?“ Jennifers Stimme riss sie aus ihren Gedanken, und Melinda wurde klar, dass sie offenbar eine ganze Weile vor sich hingestarrt hatte.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, nein, alles in Ordnung.“
„Übrigens, da ist Post für dich gekommen. Von irgendeinem Anwalt, Peter Soundso.“ Jennifer stand auf und holte einen Umschlag aus der Diele, den sie Melinda überreichte. „Hier, vielleicht machst du ihn besser gleich auf – könnte ja wichtig sein.“
Melinda erkannte den Namen des Anwalts sofort. Es war der Verteidiger, der Frank damals vor Gericht vertreten hatte. Was er wohl von ihr wollte?
Sie riss das Kuvert auf und zog den Brief daraus hervor. Mit zittrigen Fingern faltete sie ihn auseinander und las.
Als sie den Text überflogen hatte, riss sie entsetzt die Augen auf. Nein, dachte sie, das darf nicht wahr sein!
In dem Schreiben teilte Franks Anwalt ihr mit, dass ihr Exmann vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen werden sollte und sich mit ihr treffen wollte. Aber wie konnte das sein? Er hatte doch noch etwas mehr als zwei Jahre abzusitzen!
Sofort rief sie das Büro des damals zuständigen Staatsanwalts in London an, davon überzeugt, dass es sich um ein Missverständnis handeln musste. Doch dort teilte man ihr mit, dass Frank wirklich vorzeitig entlassen werden solle – wegen guter Führung …
Melinda stöhnte laut auf, als sie an diesen Schreckensmoment zurückdachte.
Einige Augenblicke lang wusste sie gar nicht, wo sie sich befand, so tief war sie in Gedanken versunken gewesen. Dann realisierte sie, dass sie nicht mehr daheim in Bristol war, sondern auf Mallorca.
Nachdem sie vor einigen Wochen die Hiobsbotschaft erhalten hatte von Franks vorzeitiger Entlassung, hatte sie keine ruhige Minute mehr gehabt. Angst hatte ihren Alltag fortan bestimmt, und sie konnte immerzu nur daran denken, wie Frank ihr gedroht hatte, damals vor Gericht.
In all der Zeit war Alana ihr eine große Stütze gewesen. Und das, obwohl sie weder etwas von Frank noch von Melindas Vergangenheit wusste. Die Tatsache, dass sie persönliche Probleme hatte, reichte ihrer Freundin aus, sie zu sich nach Mallorca einzuladen.
Melindas Entschluss, aus Bristol fortzugehen, hatte sehr schnell festgestanden. Zum Glück hatte Jennifer kein Problem damit, fortan allein zu wohnen, und mehr noch: Melinda konnte in den ersten Monaten alles in ihrem Zimmer so lassen, wie es war, sodass sie für den Fall, dass sie doch zurückkehren sollte, ein Zuhause hatte.
Aber jetzt war sie erst mal hier auf Mallorca. Um zur Ruhe zu kommen und womöglich in der Fremde noch einmal ganz von vorn anzufangen. Mit einem neuen Job und neuen Freunden. Und nun, an ihrem ersten Tag auf der Insel, musste sie erfahren, dass sie die Stelle, in die sie all ihre Hoffnungen gesetzt hatte und derer sie sich schon so sicher gewesen war, nicht bekommen würde.
Sie schloss die Augen. Was jetzt? Wie sollte es nun weitergehen? Sicher, sie würde bestimmt noch eine Weile bei Alana wohnen können. Aber was würde das bringen? Wenn sie hier auf Jobsuche ging, konnte es Monate dauern, bis sie etwas fand. Sie war hier doch vollkommen fremd und konnte nicht einmal richtig Spanisch. Deshalb wäre der Job in dem Immobilienunternehmen ja so ideal gewesen.
Eines stand jedenfalls fest: Auf keinen Fall würde sie nach England zurückgehen. Ganz gleich, was die Zukunft auf Mallorca auch immer bringen mochte – zumindest war sie hier sicher vor Frank. Allein der Gedanke, dass sie ihm immer und überall über den Weg laufen konnte …
Ein Schauer durchrieselte Melinda. Die letzten Tage in Bristol waren für sie ein regelrechter Spießrutenlauf gewesen. Ständig hatte sie über ihre Schulter zurückgeblickt, getrieben von der Angst, dass Frank ihr auflauern könnte. Keine Nacht hatte sie mehr durchschlafen können. Ihr Leben war ein einziger Albtraum gewesen.
Hier in Spanien konnte sie zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig durchatmen.
Sie horchte auf, als sie Geräusche vernahm. Im ersten Moment dachte sie, dass es sicher die kleine Lilly war, die ja hier draußen irgendwo spielte. Doch dann hörte sie auch eine Stimme. Und zwar nicht irgendeine, sondern die von Josh Adair.
„Und ich sage dir, dass ich dringend eine Lösung für das Problem mit Lilly brauche! Sonst kann ich nicht weiter planen.“
Eine zweite Stimme erklang, dieses Mal eine weibliche. „Nun zerbrich dir darüber mal nicht den Kopf, Josh. Bis die ersten größeren Termine kommen, wird es noch drei oder vier Wochen dauern, es ist also keine Eile geboten und …“
„Und genau das sehe ich anders!“ Josh klang jetzt ganz eindeutig wütend. „Drei Wochen lang geht Lilly noch zur Schule, danach hat sie Ferien und wird ständig zu Hause sein. Also genau zu der Zeit, in der alles richtig losgeht, wie du gerade selbst gesagt hast. Wenn ich bis dahin kein Kindermädchen für sie gefunden habe, stehen wir vor einem ernsten Problem.“ Er machte eine kurze Pause. „Du weißt ja, dass es für mich nichts Wichtigeres gibt als das Wohlergehen meiner Tochter.“
„Aber …“
„Nichts aber!“, fiel er seiner Gesprächspartnerin aufgebracht ins Wort. „Ich …“
Mehr bekam Melinda von der Unterhaltung nicht mit, denn da trat Alana zu ihr und setzte sich neben sie auf die Bank, wobei sie sich so drehte, dass sich die beiden Frauen ansehen konnten. „Na, geht’s wieder einigermaßen?“, fragte sie und legte ihr mitfühlend eine Hand auf die Schulter. „Hör zu, Melinda, es tut mir wirklich leid. Ich wünschte, ich hätte bessere Nachrichten für dich gehabt, aber …“
„Bitte, Alana, du musst dich doch nicht entschuldigen“, sagte Melinda sofort, und sie meinte es ehrlich. „Du hast so viel für mich getan und bietest mir an, hier bei dir zu wohnen, und das alles, obwohl wir uns kaum kennen … Das ist viel mehr, als ich hätte erwarten können.“ Sie senkte den Blick. „Um ehrlich zu sein, bin ich das Ganze wohl auch ziemlich falsch angegangen. Ich hätte …“
In dem Moment erschienen Josh und seine Begleiterin, eine attraktive Brünette.
Melinda hielt inne.
Einen Augenblick lang herrschte Schweigen, dann fragte Alana: „Und, Bruderherz, wie war dein ach so wichtiger Termin?“
Geistesabwesend schüttelte er den Kopf. „Alles in Ordnung soweit, ich weiß nur nicht …“
„Ihr Bruder macht sich Sorgen wegen seiner Tochter“, fiel die Frau ihm ins Wort. „Das altbekannte Problem …“
Alana nickte. An Melinda gewandt, sagte sie: „Das ist übrigens Raquel Gonzales, Joshs Managerin.“
Die beiden Frauen nickten sich knapp zu.
„Und … was ist das für ein Problem mit Lilly?“, fragte Melinda vorsichtig.
Sofort zog Josh die Brauen zusammen. „Nichts, was Außenstehende etwas angeht“, erwiderte er kurz angebunden.
„Du meine Güte, Josh!“ Alana seufzte laut und wandte sich dann wieder Melinda zu. „Mein Bruder findet kein Kindermädchen, mit dem Lilly zurechtkommt. Ich habe dir ja schon gesagt, dass Lilly sehr scheu ist, und …“
„Also, ich komme gut mit ihr klar“, warf Melinda ein, und als Josh sie fragend ansah, sprach sie weiter: „Während Sie und Alana weg waren, habe ich mich die ganze Zeit im Garten mit ihr beschäftigt. Wir haben gespielt und Fotos gemacht …“
„Stimmt“, bestätigte Alana. „Als ich zurückkam, war Lilly ganz begeistert.“
Joshs Blick verriet, dass er kaum glauben konnte, was er da hörte. „Meine Tochter hat mit Ihnen gespielt?“ Er schüttelte den Kopf. „Sie mag keine Fremden.“
„Nun, mich offenbar schon.“
„Das ist wirklich erstaunlich. Bisher hat sie jedes Kindermädchen, das ich engagiert habe, regelrecht in die Flucht geschlagen.“
„Dann probieren Sie es doch mit mir.“ Die Worte waren einfach über ihre Lippen gekommen, ohne dass sie darüber nachgedacht hatte. Und kaum dass sie ausgesprochen waren, bereute Melinda ihre Vorschnelligkeit auch schon. Immerhin kannte sie Lilly kaum.
Und vor allem kannte sie Josh nicht.
Dennoch – sie brauchte einen Job. Und zwar dringend. Und sie mochte Lilly. Zudem … die Aussicht, Josh von nun an öfter zu begegnen, reizte sie, und das, obwohl er sich ihr gegenüber eigentlich bislang nur unfreundlich verhalten hatte.
„Moment mal, was haben Sie da gerade gesagt?“ Josh schien einen Moment gebraucht zu haben, um zu begreifen, was sie ihm soeben vorgeschlagen hatte. Jetzt sah er sie teils verblüfft und teils belustigt an.
„Verstehe ich das richtig? Sie wollen sich um eine Anstellung als Kindermädchen für meine Tochter bewerben?“
„Ich …“ Melinda schluckte. Der Moment der Selbstsicherheit war vorbei, und sie wusste nicht mehr, was sie sagen sollte.
„Aber natürlich!“, rief Alana da. Begeisterung schwang in ihrer Stimme mit. „Das ist überhaupt die Idee! Ich meine, denk doch mal nach, Josh: Lilly scheint Melinda tatsächlich zu mögen, und außerdem ist Melinda sogar ausgebildete Kindergärtnerin. Und nicht zuletzt sucht sie einen Job auf Mallorca!“
„Ich weiß nicht recht …“ Josh zog die Brauen zusammen und sah Melinda prüfend an.
„Ich halte das auch für keine gute Idee, Josh“, meldete sich da seine Managerin zu Wort. „Immerhin weißt du rein gar nichts über diese Frau, und gerade jetzt, wo wir so wichtige Pläne haben …“
„Also bitte!“, empörte Alana sich. „Die Damen, die er bisher hatte einstellen wollen und die ihm über Agenturen vermittelt wurden, kennt er doch ebenso wenig. Das ist doch Unfug.“
An der Art, wie sie sprach, erkannte Melinda, dass Alana die Managerin offenbar nicht gerade mochte, und Melinda selbst erging es ähnlich. Irgendwie wirkte diese Frau zu kühl und geschäftsmäßig auf sie.
„Über wie viele Jahre Berufserfahrung als Kindergärtnerin verfügen Sie denn?“, wollte Josh wissen.
Melinda bemühte sich, seinen Blick fest zu erwidern, was ihr jedoch angesichts der Dominanz, die er ausstrahlte, alles andere als leicht fiel. „Wie schon gesagt, habe ich nur eine Ausbildung zur Erzieherin gemacht“, antwortete sie zögerlich. „Also drei Jahre. Anschließend habe ich den Job gewechselt und …“
„Das genügt nicht“, entschied Josh.
„Ach, komm schon“, entgegnete Alana. „Was hast du denn von einem Kindermädchen mit zehnjähriger Berufserfahrung, wenn deine Tochter sie nicht mag? Mit Melinda aber kommt sie offenbar gut zurecht, und …“
Sie verstummte, als Lilly auftauchte, die offenbar die ganze Zeit hinter einem Busch gestanden und gelauscht hatte. „Oh bitte, Daddy, kann Melinda nicht bleiben? Sie ist echt nett, und ich mag sie!“
Josh hob eine Braue und schwieg. Offenbar war er mehr als überrascht von dem, was seine Tochter da gesagt hatte. Einen Augenblick dachte er noch nach. Dann schließlich seufzte er, wandte sich Melinda zu und fragte: „Wann könnten Sie denn anfangen?“
Melindas Herz machte einen aufgeregten Hüpfer. Sie hob die Schultern. „Nun, ich könnte praktisch gleich heute …“
„Josh, ich bitte dich!“, fuhr seine Managerin dazwischen und zog ihn ein Stück zur Seite, was aber nichts daran änderte, dass weiterhin zu hören war, was gesprochen wurde. „Du solltest dich wirklich auf professionelle Fachkräfte verlassen, die von Agenturen vermittelt werden. Es geht hier schließlich um deine Tochter.“
Melinda verzog das Gesicht. Diese Raquel wurde ihr immer unsympathischer. Aber natürlich sagte sie nichts, denn zum einen stand es ihr nicht zu, zum anderen war es ohnehin allein Joshs Entscheidung.
„Eben“, erwiderte der auch prompt. „Du hast recht, Raquel. Es geht hier einzig und allein um meine Tochter.“
Enttäuscht senkte Melinda den Blick. Bis jetzt hatte sie durchaus Hoffnung gehabt, dass Josh tatsächlich auf ihren Vorschlag eingehen würde. Und was für eine Chance das für sie gewesen wäre! Nicht nur, dass sie dann tatsächlich sofort Arbeit auf Mallorca gefunden hätte – nein: Sie wäre auch gewissermaßen in ihren alten Beruf zurückgekehrt. Zurück zu den Ursprüngen. Und vorhin, als sie Zeit mit der kleinen Lilly verbracht hatte, war ihr klar geworden, dass sie genau das all die Jahre über vermisst hatte: den Umgang mit Kindern.
„Und genau aus diesem Grund“, sprach Josh langsam weiter, wobei er jedes Wort betonte, „denke ich, dass es tatsächlich das Beste wäre, wenn ich Melindas Angebot annehme.“
„Jaaaa!“, schrie die kleine Lilly und stürmte begeistert auf ihren Vater zu, der sie hochhob. „Oh danke, Daddy! Du bist der Größte!“
Ungläubig stand Melinda da und starrte Josh an. Hatte sie das richtig verstanden? Sie war vollkommen durcheinander und räusperte sich angestrengt. „Heißt das … ich bekomme den Job?“
Josh setzte seine Tochter wieder auf den Boden ab und sah Melinda an. „Genau das heißt es. Wenn Sie wirklich wollen, fahren Sie morgen Abend mit Lilly und mir zu meinem Anwesen in Palma. Dort werden Sie in den nächsten vier Wochen wohnen und arbeiten. Das ist praktisch die Probezeit. Wenn alles zu Lillys und meiner Zufriedenheit läuft, kann das Anstellungsverhältnis im Anschluss unbefristet fortgeführt werden. Sie werden nach Tarif bezahlt, und meine Anwälte werden umgehend die Verträge aufsetzen. Also – sind Sie einverstanden?“
„Ob ich einverstanden bin?“, fragte Melinda noch immer ungläubig. Hastig nickte sie. „Oh ja, das bin ich!“
War dies ihre Chance, doch noch Fuß zu fassen auf Mallorca und die Vergangenheit hinter sich zu lassen? Die nächsten vier Wochen würden es zeigen …
Josh liebte Champagner, schöne Frauen – und Mallorca.
Seit er vor neun Jahren hierhergezogen war, war er jeden Morgen nach dem Aufstehen erneut davon überzeugt, sich im Paradies zu befinden. Diese Insel war für ihn mit keinem anderen Ort auf der Welt vergleichbar. Sie zog sie alle an: Könige, Lebemänner, Künstler wie ihn, Auswanderer und Touristen. Einst eine Bauern- und Fischerinsel, entwickelte sich Mallorca zu einer eigenen Welt. Modern, voller Möglichkeiten und Herausforderungen, Ruhepol für die einen, Partymetropole für die anderen.
Vor allem aber liebte Josh die Natur auf der Insel. Wundervolle Sandstrände, türkisfarbenes Meer und verschwiegene Badebuchten hatte sie ebenso zu bieten wie gewaltige Berge und immergrüne Gärten. Irgendwann, das hatte er sich vor neun Jahren gesagt, würde er einmal seinen Ruhestand hier in vollen Zügen genießen. Den ganzen Tag nichts tun und die Abende mit seiner Familie bei gutem Champagner auf der Veranda seiner Finca ausklingen lassen.
Das Problem war nur, dass er nun schon seit Jahren das Gefühl hatte, sich im Ruhestand zu befinden. Keine Aufträge, nicht einmal mehr kleinere Nebenrollen, kein Blitzlichtgewitter, keine Partys und Empfänge. Und dazu ein immer kleiner werdendes Vermögen aus früheren Tagen. Und das mit Mitte dreißig!
So konnte es auf Dauer nicht weitergehen, das wusste er. Er musste seine Karriere wieder vorantreiben, wieder in die Erfolgsspur kommen. Und das nicht nur aus egoistischen Gründen. Schließlich hatte er eine Tochter zu ernähren. Und für ihre Zukunft zu sorgen.
Darum hatte er zusammen mit seiner Managerin die Weichen für einen Neuanfang bereits gestellt.
Sein großes Comeback. Mit einem Film, der vollkommen anders war als die Streifen, die er früher gedreht hatte.
Und der nicht nur aus diesem Grund sein Herzensprojekt war.
Denn für ihn ging es um mehr.
Um viel mehr.
Genau deshalb war er bereit, alles zu tun, was nötig war, um den Film und sich ins Rampenlicht zu bringen.
Leider waren dazu Mittel nötig, die ihm nicht so recht gefallen wollten …
„Niedlich, wie sie schläft, nicht wahr?“
Da war sie wieder, die Stimme, die ihn nun aus seinen Gedanken riss.
Ihre Stimme.
Josh seufzte. Vor etwa vierzig Minuten war er zusammen mit Lilly und Melinda vom Anwesen seiner Halbschwester in Alcudia losgefahren. Nicht wie geplant am Abend, sondern schon nach dem Lunch. Anfangs hatte Lilly auf der Rückbank noch mit einer Puppe gespielt, viel geredet und gelacht, doch inzwischen war sie eingeschlafen.
Melinda, die neben ihm auf dem Beifahrersitz saß, hatte bislang keine großartigen Anstalten gemacht, eine Unterhaltung in Gang zu bringen. Eigentlich war Josh ganz froh darüber gewesen. Nicht dass er grundsätzlich abgeneigt gewesen wäre, sich mit ihr zu unterhalten, im Gegenteil: Am liebsten hätte er stundenlang mit ihr gesprochen, sie ausgefragt, alles über sie erfahren. Das Problem war nur, dass er sich gleichzeitig auch davor fürchtete, ihr zu nahe zu kommen.
Allein der Klang ihrer Stimme reichte schon aus, um heiße Wellen durch seinen Körper zu jagen und eine unbeschreibliche Sehnsucht in ihm zu entfachen.
Er räusperte sich. „Ja, da haben Sie recht“, erwiderte er etwas steif, weil er nicht wusste, was er sonst sagen sollte. Es war seltsam: Aus irgendeinem Grund fühlte er sich in ihrer Gegenwart gehemmt. Schüchtern und zurückhaltend, fast wie früher, zu Schulzeiten.
Kaum merklich schüttelte er den Kopf. Heute kam es ihm vollkommen unwirklich vor, wie er früher gewesen war, und nicht selten fragte er sich, ob seine Erinnerung ihn nicht trog. Aber es stimmte tatsächlich, und geändert hatte es sich erst auf der Schauspielschule. Dort hatte er Selbstbewusstsein gewonnen, und nach seinem ersten Filmerfolg hatte sich das noch gesteigert. Heute erinnerte nichts mehr an den braven, langweiligen Teenager von damals.
Normalerweise.
Doch jetzt, in Melindas Gegenwart, fühlte er sich tatsächlich wieder ein wenig so wie in alten Zeiten. Er war aufgeregt, weil sie so dicht neben ihm saß. Ihr dunkles Haar, das nach wilden Rosen duftete, betörte ihn, schüchterte ihn aber auch ein. Und – die wichtigste Ähnlichkeit zu früher – es kostete ihn Mühe, sinnvolle, zusammenhängende Sätze herauszubekommen.
„Sie mögen mich nicht sonderlich, oder?“, fragte sie jetzt, den Blick nach vorn gerichtet und leicht gesenkt.
Die Frage überraschte ihn. „Hätte ich Sie dann eingestellt? Von jetzt auf gleich und ohne irgendwelche Referenzen?“
Sie schien einen Augenblick über seine Worte nachzudenken. „Dann liegt es sicher nur an meinem Aussehen, dass Sie so unfreundlich zu mir sind.“