Romana Exklusiv Band 376 - Penny Roberts - E-Book

Romana Exklusiv Band 376 E-Book

PENNY ROBERTS

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Beschreibung

SÜSSE ÜBERRASCHUNG IN DER BRETAGNE von PENNY ROBERTS Unter falschem Namen will Isabel auf dem Gestüt Beauregard herausfinden, ob André Marleaux den edlen Hengst ihres Vaters gestohlen hat. Doch mit jedem Tag ist sie mehr und mehr von dem sexy Besitzer der Pferdezucht fasziniert. Hat sie sich etwa in den Feind verliebt? UNTER DEM MOND DER KARIBIK von KATE HEWITT Eine heiße Woche am Strand, in der alles erlaubt ist? Das kann Millie sich nicht vorstellen! Doch mit einem frechen Lächeln überzeugt Chase sie: Eine Woche ist ja nicht für immer. Zu spät erkennt Millie, dass sieben Tage Glück mit diesem Traummann niemals reichen … BEI DIESEM KUSS ERWACHT DIE LIEBE von MARION LENNOX Abby ist hin- und hergerissen: Ihr Ex-Freund, der smarte Cop Raff Finn, macht keinen Hehl aus seiner schlechten Meinung über ihren Verlobten. Und als Raff sie unter Sternen sinnlich küsst, spürt sie plötzlich nie gekannte Gefühle … Soll sie etwa ihre Hochzeit absagen?

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Penny Roberts, Kate Hewitt, Marion Lennox

ROMANA EXKLUSIV BAND 376

IMPRESSUM

ROMANA EXKLUSIV erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg

Redaktion und Verlag: Postfach 301161, 20304 Hamburg Telefon: +49(0) 40/6 36 64 20-0 Fax: +49(0) 711/72 52-399 E-Mail: [email protected]
Geschäftsführung:Katja Berger, Jürgen WelteLeitung:Miran Bilic (v. i. S. d. P.)Produktion:Christina SeegerGrafik:Deborah Kuschel (Art Director), Birgit Tonn, Marina Grothues (Foto)

Neuauflage 2024 in der Reihe ROMANA EXKLUSIV, Band 376

© 2008 by CORA Verlag Originaltitel: „Süße Überraschung in der Bretagne“ erschienen bei: CORA Verlag Deutsche Erstausgabe 2008 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1755

© 2012 by Kate Hewitt Originaltitel: „Beneath the Veil of Paradise“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Susann Willmore Deutsche Erstausgabe 2013 by Harlequin Enterprises GmbH, Hamburg,in der Reihe ROMANA EXTRA, Band 10

© 2011 by Marion Lennox Originaltitel: „Abby and the Bachelor Cop“ erschienen bei: Mills & Boon Ltd., London Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V./S.àr.l. Übersetzung: Karin Weiss Deutsche Erstausgabe 2011 by CORA Verlag GmbH & Co. KG, Hamburg,in der Reihe ROMANA, Band 1919

Abbildungen: vorDa / iStock, alle Rechte vorbehalten

Veröffentlicht im ePub Format in 06/2024 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.

E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck

ISBN 9783751524018

Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.

Weitere Roman-Reihen im CORA Verlag:BACCARA, BIANCA, JULIA, HISTORICAL, TIFFANY

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Süße Überraschung in der Bretagne

1. KAPITEL

Was würde sie auf Château de Beauregard erwarten?

Isabel Clarkson zwang sich, tief durchzuatmen, doch das erhoffte Ergebnis blieb aus. Nervös warf sie einen Blick auf den Kilometerzähler ihres smaragdgrünen Käfers. Vorausgesetzt, dass sie sich noch immer auf dem richtigen Weg befand, würde sie ihr Ziel in weniger als einer halben Stunde erreichen. Allein bei dem Gedanken daran beschleunigte sich ihr Atem.

„Reiß dich um Himmels willen zusammen“, rief sie sich selbst zur Ordnung. „Es geht hier lediglich um einen Job. Kein Grund, in Panik zu verfallen.“

Tatsächlich befand sie sich auf dem Weg zu einem Vorstellungsgespräch. André Marleaux, Besitzer eines großen Gestüts in der Nähe von Saint-Brieuc an der bretonischen Côtes d’Armor, suchte nach einer neuen Sekretärin – und genau um diesen Posten hatte sie sich beworben.

Dennoch verhielt es sich nicht so einfach, wie sie es sich selbst einzureden bemühte. Das Gespräch mit Marleaux musste unter allen Umständen positiv verlaufen. Der Plan, den sie sich in den vergangenen Wochen zurechtgelegt hatte, stand und fiel mit der Frage, ob sie diese Stelle bekam. Falls nicht, war alles zu Ende, ehe es richtig begonnen hatte.

Noch knapp zwanzig Kilometer. Isabel hielt das Lenkrad so fest umklammert, dass ihre Fingerknöchel weiß hervortraten. Seit sie in Roscoff von der Fähre gefahren war, hatte sie sich stets nah an der Küste gehalten, und unter normalen Umständen wäre sie sicherlich in der Lage gewesen, die wildromantische Schönheit ihrer Umgebung zu genießen. Sandstrände und atemberaubende Steilküsten wechselten sich miteinander ab. Es gab einsame Buchten, wo das Meer im Sonnenlicht türkisgrün schimmerte, verträumte kleine Fischerdörfer und zum Landesinneren hin ausgedehnte Wälder und Heidelandschaften. Doch für all das hatte Isabel zurzeit kein Auge.

Stattdessen quälte sie sich einmal mehr mit dem Gedanken an André Marleaux.

Was mochte er für ein Mann sein? Natürlich hatte sie bereits Fotos von ihm in den einschlägigen Klatschmagazinen und Zeitungen gesehen. Immerhin gehörte er zu den begehrtesten Junggesellen Frankreichs, war gut aussehend, elegant und zudem steinreich. Isabel interessierte sich jedoch nicht für sein Geld und sein Aussehen. Sie wollte mehr über den Menschen Marleaux erfahren. War er der kaltherzige und strenge Despot, als den sie ihn sich vorstellte? Wie konnte es anders sein, nach allem, was er ihrem Vater angetan hatte?

Isabel spürte, wie ihr Tränen in die Augen stiegen, doch sie kämpfte sie zurück. Jetzt war eindeutig nicht der richtige Zeitpunkt für so etwas. In nicht einmal mehr zwanzig Minuten stand sie ihrem erklärten Feindbild André Marleaux von Angesicht zu Angesicht gegenüber. Und sollte sich am Ende herausstellen, dass er tatsächlich für das Leid ihres Vaters verantwortlich war …

Sie lenkte den Wagen in einen schmalen Seitenweg, der von der Küstenstraße abzweigte und sanft, aber stetig anstieg. Nach einer scharfen Kurve tauchte dann mit einem Mal das Schloss vor ihr auf. Isabel atmete scharf ein. Das war es also – das Château de Beauregard, umgeben von einem Park mit altem Baumbestand. Hier lebte André Marleaux, und hier, auf dem weitläufigem Gelände, befand sich auch das Gestüt, das sich unter der Bezeichnung Beauregard einen Namen gemacht hatte.

Das gesamte Anwesen war von einem hohen Zaun umgeben, und ihre Reise endete vorläufig vor einem wuchtigen schmiedeeisernen Tor. Isabel stieg aus ihrem Käfer und schaute sich Hilfe suchend um.

Erschrocken zuckte sie zusammen, als eine Stimme neben ihr erklang, dann entdeckte sie die Gegensprechanlage, die direkt neben der Pforte angebracht war.

„Haben Sie einen Termin mit Monsieur Marleaux?“, fragte da eine Stimme auf Französisch.

„Ja“, antwortete sie auf Französisch. „Mein Name ist Amy Isabel Winters. Monsieur Marleaux erwartet mich zum Vorstellungsgespräch.“

Ein Summen erklang, und im nächsten Moment schwangen die beiden Flügel des Tores auseinander.

Isabel setzte sich wieder hinters Lenkrad und trat die letzte Etappe ihre Reise an. Kalter Schweiß stand ihr auf der Stirn, als sie sich dem Château näherte, dabei war der Anblick alles andere als Furcht einflößend. Ganz im Gegenteil sogar.

Die imposante Fassade des zweiflügeligen Gebäudes schimmerte rosafarben im Sonnenlicht. Kunstvolle Steinreliefs zierten die Rahmen von Fenstern und Türen. Eine große, geschwungene Doppeltreppe führte von der mit weißem Kies ausgestreuten Auffahrt bis hinauf zum Eingangsportal des Schlosses, das von zu perfekten Kugeln gestutzten Buchsbäumen in riesigen Kübeln flankiert wurde.

Neben der Treppe befand sich ein kleiner Parkplatz, auf dem bereits ein schnittiger schwarzer Lexus und ein Hummer-Geländewagen standen. Isabel stellte ihren Käfer neben dem Hummer ab, atmete noch einmal tief durch und schickte ein Stoßgebet zum Himmel, ehe sie ausstieg.

Hoffentlich ging alles gut.

„Kann ich Ihnen etwas bringen? Einen Kaffee oder vielleicht einen Tee? Ich habe auch frisch gebackenen Obstkuchen, wenn Sie mögen.“

Isabel rang sich trotz ihrer Nervosität ein Lächeln für die freundliche Haushälterin, die sich ihr als Marie vorgestellt hatte, ab. „Nein, danke sehr, ich bin viel zu aufgeregt, um auch nur einen Bissen herunterzubekommen.“

Die rundliche ältere Dame lachte. „Seien Sie völlig unbesorgt, Mademoiselle. Entgegen allem, was über ihn in der Presse berichtet wird, ist unser Monsieur Marleaux ein sehr umgänglicher Mensch. Ich bin sicher, dass Sie ganz wunderbar mit ihm auskommen werden.“

Nachdem die Haushälterin Isabel mit einem letzten aufmunternden Nicken bedacht hatte, ließ sie sie allein. Wahrscheinlich handelt es sich bei diesem Raum um den zukünftigen Wirkungskreis der neuen Sekretärin, dachte sie, denn er war wie ein Bürovorzimmer eingerichtet. Es gab einen schweren Schreibtisch aus dunklem, poliertem Massivholz, auf dem sich neben den üblichen Utensilien ein moderner Flachbildmonitor und ein Laserdrucker befanden. In den Aktenschränken und Regalen hinter dem Schreibtisch herrschte ein heilloses Chaos, wie sie auf den ersten Blick erkannte. Kein Wunder, dass Marleaux dringend eine Sekretärin brauchte.

Isabel konnte ein Schmunzeln nicht unterdrücken. Sie hatte sich Marleaux als regelrechten Ordnungsmenschen vorgestellt – ein Irrtum, wie es schien. Als ihr im nächsten Augenblick aber auch schon wieder einfiel, warum sie hier war, verblasste ihr Lächeln schlagartig. Mit bang klopfendem Herzen setzte sie sich auf einen der Besucherstühle, die an der dem Schreibtisch gegenüberliegenden Wand standen.

Von ihrer Position aus blickte sie direkt auf die große Bahnhofsuhr, die zwischen zwei großen Bogenfenstern hing. Und anstatt die herrliche Aussicht über die Parkanlagen zu genießen, saugte sich ihr Blick förmlich an den Zeigern der Uhr fest. Konnte es wirklich sein, dass Zeit so langsam verstrich?

„Mademoiselle Winters?“

Isabel, die nicht bemerkt hatte, dass die Tür zum Büro geöffnet worden war, zuckte zusammen. An der Tür stand das zweifellos attraktivste männliche Wesen, das sie je gesehen hatte. In seinen verwaschenen Jeans und dem schlichten kurzärmeligen Hemd hätte sie ihn beinahe nicht erkannt. Marleaux sah so anders aus als auf den Bildern der Hochglanzmagazine. Sein dichtes schwarzes Haar erschien ihr viel länger, aber wahrscheinlich kämmte er es zu offiziellen Anlässen einfach nur streng zurück. Seine durchtrainierte Gestalt kam durch die engen Jeans und das schmal geschnittene Shirt perfekt zur Geltung. Am eindrucksvollsten aber waren seine leuchtend blauen Augen, mit denen er sie jetzt musterte.

„Ich möchte Sie ja nur ungern unterbrechen, denn es schmeichelt mir durchaus, von einer schönen Frau angestarrt zu werden“, sagte er amüsiert, „allerdings sollten wir vielleicht zunächst einmal die Formalitäten hinter uns bringen. Wenn ich Sie also in mein Büro bitten darf, Mademoiselle Winters.“

Isabel hatte in den letzten Tagen alles Mögliche versucht, um sich an den falschen Nachnamen zu gewöhnen, den sie sich – neben einigen anderen Kleinigkeiten wie Zeugnissen und Referenzen – von ihrer besten Freundin Amy ausgeliehen hatte. Verärgert stellte sie fest, dass sie noch immer den Impuls verspürte, sich suchend nach ihrer Freundin umzusehen, wenn jemand nach Miss Winters fragte.

Glücklicherweise bereitete ihr wenigstens der Vorname keine Schwierigkeiten, denn davon besaß Amy gleich zwei, und einer davon lautete ebenfalls Isabel – so wurde sie zwar von niemandem gerufen, aber das wusste André Marleaux ja nicht.

Dennoch. Es wurde Zeit, dass sie diese Sache endlich in den Griff bekam. Ihr Plan durfte keinesfalls an so einer dummen Kleinigkeit scheitern.

Marleaux ging voran in sein Büro, und Isabel folgte ihm. „Bitte, nehmen Sie doch Platz“, sagte er, und sie nahm sein Angebot dankbar an, denn sie hatte weiche Knie. Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Marleaux würde gewiss niemanden einstellen, der schon beim ersten Anzeichen von Stress beinahe zusammenbrach; und sie musste diesen Job bekommen – unbedingt.

Sie holte tief Luft und rang sich ein Lächeln ab. „Vielen Dank, dass Sie mich zu diesem Gespräch eingeladen haben, Monsieur Marleaux.“

Er erwiderte ihr Lächeln. „Ich bitte Sie, das versteht sich bei Ihren Referenzen doch ganz von selbst. Ihr Lebenslauf ist geradezu einschüchternd. Ich muss allerdings gestehen, dass ich zunächst Bedenken hatte, eine Engländerin für diese Stelle überhaupt in Betracht zu ziehen.“

„Und die haben Sie inzwischen überwunden?“

„Allerdings! Verraten Sie mir, wo Sie gelernt haben, so exzellent Französisch zu sprechen?“

Auf dieses Thema mochte Isabel nur ungern näher eingehen. Henri war nun wirklich der letzte Mensch, an den sie im Augenblick denken wollte. Abgesehen von den guten Sprachkenntnissen, die sie ihm zweifellos zu verdanken hatte, verknüpfte sie ansonsten durchweg nur schlechte Erinnerungen mit ihm. „Vielen Dank“, sagte sie daher ausweichend. „Ich nehme an, Sprachen liegen mir einfach.“

„Sie sind sehr bescheiden. Das kann man von Personen mit Qualifikationen wie den Ihren leider nur sehr selten behaupten.“

Isabel schluckte. Seine Komplimente verursachten ihr Unbehagen. Ihr war ohnehin schon nicht wohl dabei, Leistungen als ihre eigenen zu verkaufen, die sie in Wahrheit nicht vollbracht hatte. Doch was hatte sie schon für eine Wahl? Als würde ein Mann von André Marleaux’ Position jemanden wie sie zu seiner Sekretärin machen! Eine Anwältin, gerade frisch mit dem Studium fertig und mit wenig praktischer Berufserfahrung. Sie musste dem Himmel danken, dass Amy sich bereit erklärt hatte, bei dieser Sache überhaupt mitzumachen. Ohne die Hilfe ihrer Freundin säße sie jetzt nicht hier, dessen war sie sich absolut bewusst. Trotzdem gefiel es ihr nicht, sich so verstellen zu müssen, denn normalerweise verabscheute sie Unehrlichkeit in jeglicher Form.

Aber es gab Dinge, die einfach getan werden mussten – und sie musste diese Anstellung unbedingt bekommen.

„Eines wollte ich Sie schon die ganze Zeit fragen, Isabel“, sagte André, nachdem sie sich eine Weile unterhalten hatten und sie ihm mitgeteilt hatte, dass ihr Rufname nicht Amy war. „Wie kommt es, dass Sie sich ausgerechnet auf diese Stelle beworben haben? Jemand wie Sie wird doch mit Sicherheit überall mit Kusshand eingestellt.“

Isabel schluckte. Dass er ihr diese Frage stellen würde, war bereits abzusehen gewesen. Sie wurde in jedem Ratgeber für Vorstellungsgesprächen intensiv besprochen, und sie hatte sich auch schon ein passendes Sprüchlein zurechtgelegt, doch jetzt – totaler Blackout.

Ihr brach der kalte Schweiß aus. Nun galt es zu improvisieren, und zwar schnell. „Ich …“, begann sie, verzweifelt bemüht, sich ihre Verunsicherung nicht anmerken zu lassen. „Wissen Sie, ich denke, es liegt an den Pferden. Daheim in Falmouth bin ich praktisch mit ihnen aufgewachsen und …“ Sie zuckte mit den Schultern und wagte ein scheues Lächeln. „Tja, hier bin ich.“

„Ja, hier sind Sie“, wiederholte Marleaux nachdenklich.

Täuschte Isabel sich, oder flackerte da für den Bruchteil einer Sekunde tatsächlich Misstrauen in seinen blauen Augen auf? Es war so schnell vorüber, dass sie nicht sicher sein konnte. Dennoch schalt sie sich eine Närrin, ihm überhaupt von Falmouth erzählt zu haben. Er brauchte ja bloß einen Blick in ihren Lebenslauf zu werfen, um zu erkennen, dass etwas nicht stimmte. Amy war in Exeter aufgewachsen, und so stand es auch in sämtlichen Lebensläufen, die Isabel bei ihrer Bewerbung eingereicht hatte.

Das Herz klopfte ihr bis zum Hals, während Marleaux schweigend in ihren Unterlagen blätterte. Die Sekunden schienen sich zu kleinen Ewigkeiten auszudenken, bis er schließlich aufblickte und mit einem Lächeln zu ihr sagte: „Herzlichen Glückwunsch, Mademoiselle Winters, Sie haben die Stelle.“

Kopfschüttelnd trat André an das Fenster seines Arbeitszimmers und blickte hinaus auf den Park, der jetzt, zu Beginn des Sommers, in den prachtvollsten Farben erstrahlte. Er liebte den Garten zu dieser Jahreszeit. Ganz besonders am frühen Morgen, wenn Millionen winziger Tautropfen wie kleine Regenbogen im Sonnenlicht glitzerten, und am Abend kurz vor der Dämmerung, wenn über allem der rötliche Schein des schwindenden Tages lag.

Im Moment jedoch schienen seine Augen geradewegs durch die idyllische Szenerie hindurchzublicken, denn er war mit Gedanken woanders. Die ganze Zeit überlegte er nun schon, was ihm an seiner neuen Sekretärin, die er vor knapp einer Stunde eingestellt hatte, nicht gefiel.

An ihrem Aussehen lag es gewiss nicht: Isabel Winters gehörte zu den attraktivsten Frauen, die ihm in den vergangenen Jahren über den Weg gelaufen waren. Nicht im landläufigen Sinne schön, besaß sie das gewisse Etwas. Das lange, tizianrote Haar fiel ihr in sanften Wellen über die Schultern. Ihre Gesichtszüge waren fein geschnitten und regelmäßig, und ihre Augen schimmerten in einem außergewöhnlichen Grünton. Ihre Kleidung, schlicht, aber elegant, konnte die wohlgeformten Kurven, die sich darunter verbargen, nicht verstecken. Mademoiselle Winters war in der Tat äußerst attraktiv. Nicht, dass er auf solche Dinge achtete …

Mit einem Seufzen wandte er sich vom Fenster ab. Wem versuchte er hier eigentlich etwas vorzumachen? Er fühlte sich sehr wohl von ihr angezogen. Die Spannung, die die Luft zwischen ihnen zum Knistern brachte, war ihm von der ersten Sekunde an aufgefallen. Und ihr schien es ganz ähnlich zu ergehen. Jedenfalls schloss er das aus der schüchternen Art, die sie ihm gegenüber an den Tag gelegt hatte. Aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein, denn schließlich reagierten die meisten Menschen auf den Stress eines Vorstellungsgesprächs mit Unruhe und Nervosität.

Ihre Referenzen ließen jedoch nichts zu wünschen übrig. André hatte sich schon einige Bewerberinnen angesehen, doch keine konnte mit ihr mithalten. Isabel besaß die perfekte Qualifikation für den Job. Ganz davon abgesehen brauchte er wirklich dringend jemanden, der Ordnung in das Chaos brachte, das seine letzte Sekretärin hinterlassen, und zu dessen Vergrößerung er im Verlauf des vergangenen Jahres wahrscheinlich noch beigetragen hatte. Er benötigte Hilfe, so viel stand fest. Und Isabel stellte ganz eindeutig die beste Wahl für ihn dar. Warum zweifelte er dann immer noch, ob es richtig gewesen war, sie einzustellen?

Du fürchtest dich vor der unbestreitbaren Anziehungskraft, die diese Frau auf dich ausübt, beantwortete er sich die Frage selbst.

André begann ruhelos auf und ab zu wandern. Die Entscheidung, entweder Isabel zu kündigen oder sich seiner Vergangenheit und der unerfreulichen Angelegenheit mit Angélique zu stellen, fiel ihm weit schwerer, als er zunächst angenommen hatte. Etwa zwei Monate lang redete er sich jetzt schon ein, über alles hinweg zu sein. Nun zeigte sich, wie wenig das stimmte. Über gar nichts war er hinweg. Nicht im Geringsten.

Und trotzdem. Er hatte Zeit genug gehabt, sich seine Wunden zu lecken und sich zudem über einige Dinge klar zu werden. So lehrte ihn die Erfahrung mit Angèlique, so schmerzhaft sie auch gewesen sein mochte, wenigstens eine wertvolle Lektion – nämlich Privates und Geschäftliches stets strikt voneinander zu trennen. Wenn er es jetzt auch noch schaffte, das Erlernte anzuwenden, dann besaß Angèliques Verrat an ihm schließlich doch etwas Gutes.

Und Isabel Winters stellte geradezu die perfekte Feuerprobe für ihn dar. Wenn er es schaffte, ihr zu widerstehen, war er für alle Zeit geheilt.

Einen Punkt gab es da allerdings noch in Bezug auf Isabel Winters, der ihm einfach nicht mehr aus den Kopf ging. Vorhin beim Vorstellungsgespräch hatte sie ihre Kindheit erwähnt. Der Name eines Ortes war gefallen, der etwas in ihm zum Klingen brachte. Dummerweise konnte er sich jetzt aber weder an den Namen des Ortes erinnern, noch daran, in welchem Zusammenhang er ihn schon einmal gehört hatte. Doch das würde er schon noch herausfinden, und zwar mit Hilfe seines alten Freundes Mathieu Lejeune, der ein wahrer Spezialist darin war, Informationen jedweder Art zu beschaffen.

2. KAPITEL

„Wow!“ Isabel konnte nicht sagen, was genau sie erwartet hatte, aber diese Unterbringung übertraf alles. Sie als Zimmer zu bezeichnen stellte fast eine Beleidigung dar. Suite war da schon der angemessenere Ausdruck.

Begeistert ließ sie sich rücklings auf das breite Bett fallen. Schon als kleines Mädchen hatte sie davon geträumt, einmal in einem echten Himmelbett zu schlafen. Und jetzt wurde dieser Traum endlich Wirklichkeit!

Aber auch der Rest ihrer Unterkunft ließ, wie sie bald darauf feststellte, keine Wünsche offen. Angefangen von dem marmorverkleideten Badezimmer mit den goldenen Armaturen und der riesigen Badewanne, über den durch eine Schiebetür vom Schlafbereich abgetrennten Wohnraum, der sowohl über elegante, komfortable Sofas als auch über eine moderne Hi-Fi-Anlage verfügte, bis hin zu dem begehbaren Kleiderschrank, in dem mehr Kleidungsstücke Platz fanden, als sie je im Leben besessen hatte, war alles einfach perfekt.

Zwar begeistert über den Luxus ihrer neuen Umgebung, ermahnte sie sich schnell, nicht zu vergessen, warum sie hier war. Den ersten Schritt ihres Planes hatte sie erfolgreich in die Tat umgesetzt: Als Andrés neue Sekretärin hatte sie freien Zugang zum Château und den umliegenden Ländereien. Denn genau diese Bewegungsfreiheit brauchte sie, um ihr weiteres Vorhaben durchführen zu können.

Nachdem sie die Suite erkundet hatte, trat sie hinaus auf den großen, halbrunden Balkon, von dem aus man eine fantastische Aussicht über den gesamten Park bis hin zu den Klippen hatte, die auf einer Seite die Grenze des Anwesens bildeten. In genau entgegengesetzter Richtung befand sich das Gestüt.

Unwillkürlich spürte sie, wie ihre innere Anspannung zunahm. Der Pferde wegen nahm sie das alles hier überhaupt auf sich. Genauer gesagt wegen eines ganz bestimmten Pferdes, dem Stolz des Gestüts ihres Vaters: Diablo.

Der nachtschwarze Araberhengst war vor fast genau zwölf Wochen aus seinem Stall verschwunden. Spurlos. Zwar hatte die Polizei umgehend die Ermittlungen aufgenommen, aber keine konkreten Hinweise herausgefunden.

Für das Gestüt bedeutete der Verlust von Diablo einen großen wirtschaftlichen Schaden. Erst vor Kurzem hatte Isabel von einem guten Freund ihres Vaters erfahren, dass der Hengst sozusagen das gesamte Kapital von Dewmeadow Stables in sich vereinte. Doch es war nicht der finanzielle Schaden, der Isabel so sehr schmerzte. Derjenige, der für die Entführung Diablos verantwortlich war, hätte um ein Haar noch viel mehr zerstört.

Isabel ballte die Hände zu Fäusten und kämpfte mit den Tränen. Oh Vater …

Der Privatdetektiv, den sie mit der Suche nach Diablo beauftragt hatte, nachdem die Ermittlungen der Polizei im Sande verliefen, fand heraus, dass die vielversprechendste Spur Diablos nach Frankreich führte – genauer gesagt an die Côtes d’Armor. Seine Recherchen ließen vermuten, dass André Marleaux irgendwie in die ganze Angelegenheit verwickelt war, denn immerhin gehörte ihm das einzige Gestüt in der Region. Wo könnte man besser ein fremdes Pferd verstecken, das unentdeckt bleiben sollte, als hier?

Isabel drängte die Tränen zurück. Jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um in Sentimentalitäten zu verfallen. Sie musste sich voll und ganz auf das konzentrieren, was nun vor ihr lag. Ein letztes Mal atmete sie tief durch, dann entschloss sie sich, ihr Gepäck aus dem Wagen zu holen. Das würde sie ablenken und ihr dabei helfen, wieder einen freien Kopf zu bekommen. Wenigstens hoffte sie das.

Ein paar Minuten später war sie draußen bei ihrem Wagen und mühte sich mit ihrer großen Reisetasche ab, die sich keinen Millimeter rührte, so fest sie auch daran zog.

„Kann ich Ihnen behilflich sein?“

Als Marleaux’ Stimme hinter ihr erklang, richtete Isabel sich unwillkürlich auf und stieß sich den Kopf an der geöffneten Kofferraumklappe ihres Käfers.

„Autsch! Verdammt!“

„Ich habe Sie erschreckt. Das tut mir leid. Ich wollte Ihnen lediglich meine Hilfe anbieten.“

Isabel wurde rot, als ihr klar wurde, dass sie gerade in Gegenwart ihres Chefs laut geflucht hatte. Was war bloß in sie gefahren, sich ausgerechnet vor Marleaux so gehen zu lassen?

„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, sagte sie rasch. „Es ist ja nichts passiert, und außerdem können Sie nichts dafür, dass ich so schreckhaft bin.“

Er lächelte. Musste er das eigentlich immer tun? Sein Lächeln verursachte bei Isabel sofort weiche Knie. „Dann lassen Sie es mich wenigstens wiedergutmachen“, sagte er, hievte die schwere Reisetasche, die sich verklemmt hatte, aus dem Kofferraum und stellte sie auf dem Boden ab.

„Lieber Himmel“, stieß er überrascht hervor. „Was haben Sie denn da drin? Man könnte meinen, Sie transportieren Steine von zu Hause. Neigen Sie vielleicht zu übersteigertem Heimweh?“

Sein gequälter Gesichtsausdruck brachte sie unwillkürlich zum Lachen. Ihre innere Anspannung verflog. „Nun, ich kann Ihnen versichern, dass sich in dieser Tasche ausschließlich Garderobe befindet.“

„Garderobe?“ Er verdrehte die Augen.

„Trotzdem vielen Dank für Ihre Hilfe. Ich schätze, es ist nicht unbedingt selbstverständlich, dass der Chef seiner neuen Angestellten das Gepäck aufs Zimmer trägt.“

Für einen kurzen Moment hatte sie das Gefühl, etwas Falsches gesagt zu haben, denn ein Schatten legte sich auf seine Miene, der jedoch sofort wieder verschwand. „Das ist es wohl auch nicht. Wahrscheinlich bin ich einfach ein ziemlich ungewöhnlicher Chef.“

Er griff erneut nach dem Henkel der Tasche, und in derselben Sekunde bückte Isabel sich, um ihren Rucksack aufzuheben. Nur ganz kurz streiften sich ihre Arme, doch das reichte bereits aus – ein Prickeln überlief Isabel, und ihre Wangen wurden heiß. Hastig schaute sie weg, damit er ihre Verlegenheit nicht bemerkte.

Vorsicht, ermahnte sie sich selbst. Vergiss nicht, mit wem du es zu tun hast!

Sich zu André Marleaux hingezogen zu fühlen, konnte nur in einer Katastrophe enden. Immerhin bestand durchaus Grund zu der Annahme, dass er höchstpersönlich in die Entführung Diablos verwickelt war. Doch selbst wenn man davon einmal absah, war er bestimmt nicht der richtige Typ von Mann für sie. Was sie brauchte, war ein verlässlicher Mensch. Ein Fels in der Brandung, eine Schulter zum Anlehnen. Jemand, dem sie voll und ganz vertrauen konnte.

Die Erfahrung der Vergangenheit hatte sie gelehrt, dass diese Eigenschaften in Kombination mit gutem Aussehen so gut wie nie auftraten. Das Desaster mit Henri stellte den besten Beweis für ihre Theorie dar. Nach außen hin umwerfend attraktiv und charmant, kümmerten ihn die Gefühle seiner Mitmenschen nicht im Geringsten. Sie hatte eine Weile gebraucht, um zu erkennen, dass es auf der ganzen Welt nur eine einzige Person gab, die Henri wirklich von ganzem Herzen liebte – nämlich sich selbst.

Nachdenklich folgte sie André, der mit der schweren Reisetasche voranging. Er schien ihre plötzliche Schweigsamkeit nicht zu bemerken, und das war auch gut so. Isabel wusste nicht, ob sie im Moment in der Lage gewesen wäre, ihm etwas vorzuspielen. Die Erinnerung an jenen verhängnisvollen Nachmittag vor zwei Jahren, an dem ihr auf so brutale Weise die Augen über Henri geöffnet wurden, schmerzte noch immer. Und damit ihr so etwas nicht noch einmal passierte, hatte sie die ungewöhnliche Entscheidung getroffen, von überdurchschnittlich gut aussehenden Männern in Zukunft lieber die Finger zu lassen.

„So, da wären wir“, sagte André und riss sie damit aus ihren trübsinnigen Gedanken. „Soll ich Ihnen die Tasche noch in Ihr Zimmer bringen?“

Rasch schüttelte sie den Kopf. „Vielen Dank, das ist wirklich nicht nötig. Jetzt komme ich auch allein sehr gut zurecht.“

André maß sie mit einem verwunderten Blick, dann zuckte er die Schultern. „Ganz wie Sie meinen. Ich wünsche Ihnen, dass Sie sich hier schon bald wie zu Hause fühlen.“

Isabel nickte, doch sie wusste, dass es dazu keinesfalls kommen würde. In spätestens vier Wochen musste sie nach London zurückkehren, daran führte kein Weg vorbei. Vielleicht war das auch ganz gut so. Wenn sie bis dahin nämlich auf keine heiße Spur stieß, gab es wahrscheinlich auch nichts herauszufinden. Und je eher sie aus André Marleaux’ irritierender Nähe entkam, desto besser.

„Adieu“, sagte sie und rang sich ein Lächeln ab.

„Das klingt so endgültig.“ Verwundert hob er eine Braue. „Sehen wir uns nachher nicht zum Dinner?“

Sie schüttelte den Kopf. „Bitte verzeihen Sie, aber ich bin vollkommen erschöpft und habe zudem keinen großen Appetit.“

„Wie Sie meinen.“ Er hob die Schultern. „Dann bleibt mir nichts zu tun, als Ihnen ebenfalls einen angenehmen Abend zu wünschen. Wir sehen uns morgen früh in meinem Büro. Sie haben Marie, meine Haushälterin, ja bereits kennengelernt. Sie wird Sie gegen neun Uhr abholen und dann zu mir bringen, wenn es Ihnen recht ist.“

Isabel nickte, und er wandte sich ab. Sie wartete noch, bis sie seine Schritte auf der Treppe am Ende des Ganges hörte, dann schloss sie hastig auf und schleifte die schwere Reisetasche über die Schwelle. Doch selbst als sie die Tür hinter sich bereits verriegelt hatte, glaubte sie noch immer den Duft von Andrés exklusivem Aftershave zu riechen. Und wenn sie die Augen schloss, sah sie sein Gesicht vor sich, und ihr Herz begann wie verrückt zu klopfen.

Es gab keinen Zweifel: Je schneller sie ihre Aufgabe hier auf dem Château zu Ende brachte, umso besser. Ehe sie sich noch zu etwas hinreißen ließ, das sie hinterher ohnehin nur bereuen würde.

Isabel war gerade dabei, ihren Koffer auszupacken, da klingelte ihr Handy. Ihr Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, und sie ließ sofort alles stehen und liegen. Nur zwei Menschen besaßen diese Rufnummer, die sich Isabel extra für ihre Mission in Frankreich zugelegt hatte, nämlich ihre Freundin Amy – und ihr Chef, Mr. Richardson.

Sie wusste, dass Amy sich nur in Notfällen auf diesem Weg mit ihr in Verbindung setzen würde, und was ihren Boss betraf, so befand sie sich zurzeit im Urlaub. Was auch immer der Grund für diesen Anruf war, er würde sie wahrscheinlich in Schwierigkeiten bringen.

Als sie die Nummer der Anwaltskanzlei, bei der sie gerade mal seit knapp einem halben Jahr beschäftigt war, auf dem Display erblickte, seufzte sie. Richardson also. Aber was konnte so dringend sein, dass er versuchte, sie in ihrem Urlaub zu erreichen?

„Miss Clarkson, ich muss Sie leider bitten, unverzüglich nach London zurückzukehren“, sagte ihr Chef, nachdem Isabel sich gemeldet hatte. „Es haben sich Entwicklungen ergeben, die Ihre Anwesenheit hier unbedingt erforderlich machen.“

Sie atmete scharf ein. Damit hatte sie nicht gerechnet. „Um Himmels willen, was ist denn passiert?“

„Es geht um einen Klienten, den ich Ihnen übertragen habe: Arthur Connelly.“

Isabel verzog das Gesicht. Sie erinnerte sich nur zu gut an diesen Klienten, dem sie dabei geholfen hatte, die Übernahme einer Konkurrenzfirma auszuhandeln. Arthur Connelly war ihr als ein äußerst unangenehmer Mensch im Gedächtnis geblieben, der sich selbst für unwiderstehlich hielt und Frauen wie Freiwild behandelte.

„Was ist mit Mr. Connelly?“, wollte sie wissen. „Die Verhandlungen waren bei meiner Abreise bereits abgeschlossen. Die Übernahmeverträge mussten lediglich noch von beiden Parteien unterzeichnet werden.“

„Leider hat Mr. Connelly dies bislang versäumt, und nun ist ein weiterer Interessent aufgetaucht.“

Isabel unterdrückte einen Fluch. Vier Wochen Arbeit – umsonst. Doch genau genommen war das nicht ihr Problem. Es konnte sich ebenso gut einer ihrer Kollegen darum kümmern – und das sagte sie Richardson auch.

„Mr. Connelly hat ausdrücklich nach Ihnen verlangt“, erwiderte ihr Chef ungerührt. „Er will niemand anderen mit dieser Angelegenheit betrauen.“

„Wie bitte?“ Isabel konnte es nicht fassen. „Aber … Ich kann jetzt nicht einfach abreisen. Ich habe hier etwas äußerst Wichtiges zu erledigen.“

„Wichtiger als Ihre Arbeitsstelle?“, fragte Mr. Richardson, und in seiner Stimme lag etwas Lauerndes.

„Was wollen Sie damit sagen? Sie selbst haben mir diesen Urlaub doch genehmigt.“

„Dann habe ich meine Meinung eben geändert, Miss Clarkson. Sie befinden sich noch in der Probezeit, vergessen Sie das bitte nicht. Mr. Connelly ist ein sehr guter Klient unserer Kanzlei, zudem hat er Beziehungen. Wir können es uns nicht erlauben, ihn zu brüskieren.“

„Sie verstehen nicht, Mr. Richardson, ich kann jetzt nicht von hier weg!“ Verzweifelt suchte Isabel nach einem Ausweg aus diesem Dilemma. Sie konnte ihrem Arbeitgeber schlecht erklären, warum es so wichtig war, dass sie ihre Aufgabe in Frankreich zu Ende brachte. Dass sie zuerst herausfinden musste, was mit Diablo geschehen und inwieweit André Marleaux in die Entführung des Hengstes verwickelt war. Und selbst wenn, Richardson würde es ohnehin nicht verstehen. „Bitte“, sagt sie deshalb, „ich brauche noch ein wenig Zeit. Es handelt sich um eine dringende private Angelegenheit.“

Am anderen Ende der Leitung herrschte für mehrere Sekunden Schweigen. Dann sagte ihr Chef: „Also gut. Eine Woche. Ich gebe Ihnen eine Woche, Miss Clarkson, und keinen Tag länger. Sollten Sie sich bis dahin nicht in der Kanzlei zurückgemeldet haben, dürfen Sie sich als gekündigt betrachten.“

Mit diesen Worten beendete er die Verbindung.

Kraftlos ließ Isabel sich auf die Couch sinken, lehnte sich zurück und schloss die Augen. Das Handy rutschte ihr aus den Fingern und landete auf dem Boden, doch das kümmerte sie nicht. Ihre Gedanken rasten. Diese Entwicklung hatte sie nicht vorausgesehen. Jetzt blieben ihr also nur noch sieben Tage, wenn sie nicht Gefahr laufen wollte, die Stelle, für die sie so hart gearbeitet hatte, gleich wieder zu verlieren.

Sie barg das Gesicht in den Händen und zwang sich zur Ruhe. Sie brauchte einen klaren Kopf, wenn sie trotz der kurzen Frist, die ihr noch blieb, etwas über Diablos Verbleib herausfinden wollte. Eine zweite Chance würde sie nicht bekommen.

„Nein, Pierre, seien Sie völlig unbesorgt. Ich versichere Ihnen, dass er auf Beauregard in den besten Händen ist. Und ich garantiere persönlich dafür, dass niemand etwas von unserem Arrangement erfahren wird … Nein, ich habe alles Nötige in die Wege geleitet. Er wird ganz sicher nicht entdeckt … Ja … Ich danke Ihnen für Ihr Vertrauen. Au revoir!“

André beendete das Telefonat und trat an das Fenster seines Arbeitszimmers. Draußen begann es bereits zu dämmern, und der Himmel erstrahlte in einem orangeroten Licht. In spätestens einer Stunde würde die Sonne am Horizont versinken und das Meer in flüssiges Feuer verwandeln, während am Firmament bereits die ersten Sterne glitzerten. Sooft es möglich war, ging er um diese Zeit zu den Klippen hinunter und schaute sich dieses wunderbare Naturschauspiel an. Heute Abend aber würde ihm dafür bedauerlicherweise keine Zeit bleiben.

Er hatte Pierre Montan ein Versprechen gegeben, und er gehörte nicht zu den Menschen, die leichtfertig jemandem ihr Wort gaben. In diesem speziellen Fall war es ganz besonders wichtig, dass alles reibungslos verlief. Die ganze Angelegenheit war, vorsichtig ausgedrückt, ein wenig delikat, und deshalb musste unter allen Umständen Geheimhaltung gewahrt werden.

Genau aus diesem Grunde würde er auch gleich noch einmal zum Gestüt gehen und sich davon überzeugen, dass die Sicherheitsvorkehrungen, die er zusammen mit seinem Stallmeister getroffen hatte, auch tatsächlich genügten. Niemand durfte erfahren, was er auf seinem Gelände verborgen hielt. Ein Sicherheitsleck konnte verhängnisvolle Auswirkungen für das Gestüt nach sich ziehen und seinen Ruf für immer vernichten. Dazu durfte es gar nicht erst kommen.

Gerade wollte er sich vom Fenster abwenden, um seine Jacke zu holen, als er plötzlich seine neue Sekretärin draußen im Park bemerkte. Sie bewegte sich in Richtung Gestüt, genauer gesagt direkt auf die Stallungen zu. Im ersten Moment wusste er selbst nicht, was ihn daran störte. Sie wohnte jetzt im Château, daher durfte sie sich natürlich auch auf dem dazugehörenden Gelände frei bewegen. Doch etwas an der Art, wie sie sich immer wieder verstohlen umschaute, machte ihn misstrauisch. Es wirkte fast ein bisschen so, als würde sie nach etwas suchen und fürchtete, dabei ertappt zu werden.

Mach dich nicht lächerlich, sagte er zu sich selbst. Wahrscheinlich unternimmt sie nur einen kurzen Spaziergang, ehe sie zu Bett geht. Kein Grund, gleich die Nerven zu verlieren.

André ärgerte sich über sein eigenes Verhalten. Seit der Geschichte mit Angélique fiel es ihm zunehmend schwer, zu fremden Menschen Vertrauen zu fassen. Das galt besonders für Frauen. Mit einem Anflug von schlechtem Gewissen dachte er daran, dass er seinen Freund Mathieu auf Isabel angesetzt hatte.

Er schüttelte den Kopf. Nein, es war besser, sicherzugehen. Immerhin hing sein Ansehen davon ab, dass sein kleines Geheimnis gehütet blieb. In dieser Sache durfte er nichts dem Zufall überlassen.

Im Vergleich zu Beauregard war Dewmeadow Stables mit seinen drei Ställen und etwas über einem Dutzend Tieren geradezu winzig. Ernüchterung machte sich in Isabel breit, als sie den Blick über das Gestüt schweifen ließ. Sie musste sich eingestehen, dass sie ihre Reise nach Frankreich mit vollkommen falschen Vorstellungen angetreten hatte. Dies hier übertraf selbst ihre kühnsten Träume.

Auf Anhieb entdeckte sie acht Ställe und auf den Koppeln überall Pferde. Wie sollte sie hier Diablo finden?

Obwohl auf einem Gestüt aufgewachsen, konnte Isabel sich nicht gerade als Pferdenärrin bezeichnen. Ganz im Gegenteil. Früher, als sie noch zur Schule ging, wurde sie von den meisten Mädchen in ihrer Klasse beneidet, weil sie tagein, tagaus mit Pferden umgehen durfte. Für sie selbst war es jedoch nur eine lästige Pflicht. Inzwischen wusste sie, dass ihr Desinteresse vor allem in ihrer Eifersucht auf die Tiere begründet lag, mit denen ihr Vater so viel Zeit verbracht hatte.

Als Kind hatte sie sich oft von ihm zugunsten seiner geliebten Pferde zurückgesetzt gefühlt. Vor allem nach dem frühen Tod ihrer Mutter kam sie nur schwer damit zurecht, dass ihr Vater sich in seine Arbeit stürzte, anstatt sich in diesen Zeiten der Trauer mit seiner Tochter zu beschäftigen. Heute war Isabel klar, dass ihr Vater sie nicht hatte verletzen wollen. Es war einfach seine Art gewesen, selbst mit dem Schmerz fertig zu werden.

Jedenfalls dürfte es für sie zu einer echten Herausforderung werden, Diablo unter all den Pferden auf Beauregard zu erkennen.

Mit einem unguten Gefühl holte sie das Foto aus der Jackentasche, das sie in den Unterlagen ihres Vaters gefunden hatte. Sie seufzte. Die charakteristische sternförmige Blesse auf der Stirn stellte für sie wohl so ziemlich die einzige Möglichkeit dar, den Araberhengst ihres Vaters zu identifizieren. Eine solche konnte sie jedoch bei keinem der Tiere, die sie auf den Koppeln sah, auf Anhieb, erkennen. Ohnehin erschien es ihr wahrscheinlicher, dass Diablo irgendwo in einem der Ställe versteckt gehalten wurde. Aber in welchem?

„Kann ich Ihnen vielleicht irgendwie helfen?“

Erschrocken wirbelte Isabel herum. Vor ihr stand einer der Pferdeknechte und musterte sie argwöhnisch. Rasch schüttelte sie den Kopf. „Nein, das ist nicht nötig. Vielen Dank.“

Um nicht noch mehr unliebsame Aufmerksamkeit zu erregen, wandte sie sich ab und ging dann eilig in Richtung Schlosspark davon. Zu ihrer Erleichterung folgte der Stallbursche ihr nicht, und Isabel beschloss, ihre Suche für heute zu beenden. Es schien ohnehin nicht viel Sinn zu machen, ohne einen vernünftigen Plan weiterzumachen. Einfach ziellos über das Gelände des Gestüts zu laufen, würde sie nicht weiterbringen.

Ohne darüber nachzudenken, wandte sie sich in Richtung der Klippen. Gebannt blieb Isabel am Rand der Steilwand stehen und beobachtete fasziniert, wie die Sonne wie ein lodernder Feuerball im rot glühenden Meer versank. Sie fröstelte, jedoch nicht vor Kälte, sondern vor Ehrfurcht. Für einen Moment waren all ihre Sorgen und Probleme vergessen.

Plötzlich spürte sie einen scharfen Schmerz an der Schulter, als sie unsanft herumgerissen wurde, und schrie vor Schreck laut auf.

„Was …?“ Isabel verstummte beim Anblick des Mannes, der ihren Arm fest umklammert hielt. Mit seinem wild abstehenden grauen Haar und den vor Wut blitzenden blassblauen Augen wirkte er furchterregend.

„Was glauben Sie, was Sie hier tun?“, fuhr er sie an und schüttelte sie dabei unsanft. „Herumschnüffeln und Ihre Nase in Angelegenheiten stecken, die Sie nichts angehen, wie? Sie … Spionin!“

3. KAPITEL

„Wenn Sie nicht augenblicklich meinen Arm loslassen, schreie ich!“

Der Mann lachte höhnisch auf. „Das wird ja immer schöner, Schätzchen. Zuerst unbefugt auf Privatgelände eindringen und herumschnüffeln, und dann auch noch frech werden, wie?“

Verzweifelt versuchte Isabel, sich aus seinem Klammergriff zu befreien, doch der große, dicke Mann war einfach zu stark für sie. „Ich bin nicht unbefugt hier eingedrungen“, protestierte sie. „Ich wohne seit heute hier! Ich bin Monsieur Marleaux’ neue Sekretärin. Prüfen Sie es doch nach, wenn Sie mir nicht glauben!“

„Nette Geschichte haben Sie sich da ausgedacht, aber da fall ich bestimmt nicht drauf rein. Der Chef hätte mir Bescheid gesagt, wenn jemand Neues anfangen würde. Und selbst wenn es wahr wäre, warum treiben Sie sich dann bei den Stallungen herum? Was haben Sie dort zu suchen?“, knurrte der Dicke.

„Ich wusste nicht, dass es verboten ist, sich die Pferde anzusehen. Monsieur Marleaux hat mir erlaubt, mich frei auf dem Gelände des Châteaus zu bewegen.“

Für einen Moment zögerte der Mann, dann schüttelte er den Kopf. „Ich glaub Ihnen kein Wort! Sie kommen jetzt mit mir, verstanden? Ich rufe die Polizei an. Die Flics wissen schon, was zu tun ist.“

Panik stieg in Isabel auf. Dieser schreckliche Kerl war wirklich nicht zu bremsen. Und das Schlimmste war, dass er sie ja durchaus zu Recht verdächtigte. Genau genommen war sie tatsächlich eine Spionin – aber wie war er ihr bloß so schnell auf die Schliche gekommen?

„So nehmen Sie doch Vernunft an“, bat sie. „Warum fragen Sie nicht bei Monsieur Marleaux nach, ehe Sie die Polizei in diese Sache einbeziehen?“

„Hast wohl Angst vor den Flics, wie?“, fragte er spöttisch.

Leider stimmte das tatsächlich. Sie durfte gar nicht daran denken, was wäre, wenn die Polizei ihre Identität überprüfen und entdecken würde, dass sie nicht die war, die sie vorgab zu sein. Dazu durfte es auf gar keinen Fall kommen.

„Monsieur, Sie machen einen Fehler!“ Isabel holte tief Luft, um sich zu beruhigen. „Warum hören Sie mich nicht wenigstens an?“

Er reagierte nicht einmal. So unsanft zerrte er an ihrem Arm, dass Isabel, die sich mit der Kraft der Verzweiflung dagegenstemmte, stolperte und beinahe zu Boden fiel. Vor Schreck schrie sie auf.

„Was geht hier vor?“, verlangte André zu wissen. „Carriére, ich hoffe, Sie haben eine gute Erklärung für mich!“

Erleichtert atmete Isabel auf. Monsieur Marleaux war gerade noch rechtzeitig eingetroffen.

„Ich hab diese Frau dabei erwischt, wie sie bei den Stallungen herumgeschnüffelt hat, Chef!“ Anklagend deutete Carriére auf Isabel. „Sie spioniert hier rum, ganz sicher! Ich wollte sie gerade zur Polizei bringen, damit …“

„Lassen Sie die Frau auf der Stelle los!“, fiel André ihm ins Wort, und Isabel stöhnte erleichtert auf, als sie spürte, wie der Griff um ihren Arm sich endlich löste. André kam zu ihr und sah sie besorgt an. „Alles in Ordnung? Geht es Ihnen gut?“

Sie nickte. „Ja, ich bin okay.“

„Sie kennen die Schnüfflerin, Chef?“

„Diese Frau ist keine Schnüfflerin, sondern meine neue Sekretärin – sofern Ihr Auftritt sie nicht dermaßen erschreckt hat, dass sie gleich wieder abreisen möchte.“

Für einen Moment wirkte Carriére verblüfft, doch er hatte sich schnell wieder im Griff. Trotzig verschränkte er die Arme vor der Brust. „Sie könnte trotzdem eine Spionin sein. Vorhin auf dem Gestüt schien sie jedenfalls nach irgendetwas Ausschau zu halten und …“

„Genug, Carriére. Halten Sie jetzt lieber den Mund, ehe Sie die Sache noch schlimmer machen. Zu Ihrer Information: Ihre ‚Spionin‘, wie Sie meine Sekretärin nennen, wird für die Dauer ihrer Anstellung auf dem Château wohnen. Entsprechend darf sie sich selbstverständlich frei auf dem gesamten Gelände bewegen, verstanden? Und jetzt wäre meiner Ansicht nach eine Entschuldigung fällig!“

Doch Carriére dachte offenbar gar nicht daran. „Ich behalte Sie im Auge“, knurrte er stattdessen an Isabel gewandt. Dann warf er ihr noch einen vernichtenden Blick zu und stapfte schließlich in Richtung der Stallungen davon.

„Es tut mir leid, dass mein Stallmeister sich Ihnen gegenüber so schlecht benommen hat“, sagte André, nachdem Carriére in dem kleinen Gebäude verschwunden war, in dem sich wahrscheinlich sein Büro befand. „In seinem Job ist er wirklich der Beste, aber was seine Umgangsformen angeht …“

Isabel, die noch immer leicht zitterte, rang sich ein Lächeln ab. „Es ist nicht Ihre Schuld. Ich bin nur froh, dass Sie gekommen sind, ehe die Sache noch mehr außer Kontrolle geraten konnte.“

„Trotzdem, Gaston Carriére ist mein Angestellter, und deshalb fühle ich mich für sein Handeln mitverantwortlich. Bitte erlauben Sie mir, Sie für den Schreck zu entschädigen und Sie zum Abendessen einzuladen. Marie hat ihren berühmten Pot-au-feu aux cailles zubereitet. Das ist ein Wachteleintopf, und wie üblich könnte sie eine ganze Kompanie damit versorgen.“ André lachte. Als Isabel zögerte, fügte er hinzu: „Ich weiß, Sie sagten vorhin, dass Sie keinen großen Appetit hätten und sehr erschöpft seien, aber tun Sie mir doch den Gefallen. Ich möchte wirklich nicht, dass Ihnen Ihr erster Tag hier im Château de Beauregard in schlechter Erinnerung bleibt.“

Isabel unterdrückte ein Seufzen. Wie sollte sie unter diesen Umständen ablehnen? Sie nickte. „Also gut. Aber ich muss mich zuvor noch ein wenig frisch machen.“

Knapp eine halbe Stunde später stand Isabel im Badezimmer vor dem riesigen Spiegel und betrachtete sich kritisch. Als junges Mädchen hatte sie ihr feuerrotes, widerspenstiges Haar mit voller Inbrunst gehasst, beinahe ebenso wie ihre Sommersprossen und die blasse Haut, die beim Sonnenbad allerhöchstens krebsrot, jedoch nie auch nur zartbraun wurde. Inzwischen wusste sie mit diesen kleinen „Schönheitsfehlern“ umzugehen, auch wenn sie sich manchmal fragte, wie einige Menschen auf den Gedanken kommen konnten, sie als attraktiv zu bezeichnen.

Dennoch, sie war nicht unzufrieden mit sich selbst. Der rostrote Lippenstift, den sie aufgelegt hatte, harmonierte perfekt mit ihrer Haarfarbe, und ein Hauch von Mascara ließ ihre Wimpern länger und ihren Blick irgendwie geheimnisvoll wirken. Für das Dinner mit ihrem Chef hatte sie ein smaragdgrün schimmerndes Etuikleid und Ballerinas gewählt.

Blieb nur die Frage, warum sie sich eigentlich so viel Mühe damit gab, sich für ihn chic zu machen. André hatte sie lediglich eingeladen, um sie für die Unverschämtheit seines Stallmeisters zu entschädigen. Es handelte sich um ein zwangloses Abendessen zwischen Chef und Mitarbeiterin, nichts weiter.

Als es klopfte, schrak Isabel zusammen. Sie atmete tief durch und zwang sich zur Ruhe. Dann verließ sie das Bad und öffnete.

Vor ihr stand André – und er sah einfach umwerfend aus.

Anscheinend hatte auch er die ihm zur Verfügung stehende Zeit genutzt. Der perfekt sitzende dunkle Anzug unterstrich seine maskuline Ausstrahlung. Das Haar trug er jetzt streng zurückgekämmt, wie sie es schon mehrmals auf Fotos in Zeitschriften gesehen hatte. Er lächelte, und Isabels Herz schlug einen Purzelbaum.

„Sie sehen bezaubernd aus.“ Er ergriff ihre Hand, und Isabel wurden die Knie weich, als er ihr einen zarten Kuss auf den Handrücken hauchte. „Darf ich bitten?“

Isabel räusperte sich. Ihre Kehle war auf einmal wie ausgetrocknet. „Sehr gern.“

Es erschreckte sie, wie stark sie auf André reagierte, als sie kurz darauf Arm in Arm die Treppe hinunterstiegen. Das Blut schien schneller durch ihre Adern zu pulsieren. Wenigstens habe ich es gleich geschafft, dachte sie. Denn das Esszimmer lag, wie sie von Marie erfahren hatte, direkt neben der Eingangshalle. Doch André führte sie in eine andere Richtung.

„Wohin gehen wir?“, fragte sie irritiert.

André lachte. „Lassen Sie sich überraschen.“

Schließlich blieb er vor einer Tür stehen, öffnete sie und trat hindurch. Isabel folgte ihm und blieb dann staunend stehen. Sie befanden sich in einem wunderschönen Wintergarten, komplett mit Glas verkleidet. Rot blühende Rosen rankten sich an einer Pergola empor und verströmten einen betörenden Duft. Die Äste eines Zitronenbaums bogen sich unter der Last seiner Früchte. Sie entdeckte eine Vielzahl anderer Gewächse aus südlichen Gefilden, die dem Raum eine südliche Note verliehen.

Zwei große Flügeltüren im hinteren Bereich des Wintergarten standen offen, sodass kühle Abendluft hineinströmte und das sanfte Rauschen der Brandung zu hören war. Und genau hier, mit direktem Blick auf die Klippen und den Golf von Saint-Malo, umgeben von tropischen Pflanzen, stand ein Tisch, gedeckt für zwei Personen. Neben einem Kerzenleuchter stand eine einzelne Rose in einer schlanken Glasvase auf dem makellos weißen Tischtuch.

Isabel war überwältigt. „Das … wäre doch nicht nötig gewesen …“

Lächelnd rückte André ihr einen Stuhl zurecht. „Ach was, das hat überhaupt nichts mit Ihnen zu tun. Ich hatte Marie ohnehin gebeten, hier für mich zu decken. Aber bitte, nehmen Sie doch Platz. Möchten Sie ein Glas Wein?“

Obwohl Isabel nur sehr selten alkoholische Getränke zu sich nahm, nickte sie nun. Vielleicht würde der Wein ihr helfen, mit diesen irritierenden Gefühlen zurechtzukommen, die Andrés Gegenwart in ihr auslöste.

Er füllte ein Glas und reichte es ihr. Um ihre Nervosität zu überspielen, trank sie gleich einen Schluck.

„Da Sie ja bereits Gelegenheit hatten, sich ein wenig umzuschauen – wie gefällt es Ihnen bei uns auf dem Château?“

Fast hätte Isabel sich an ihrem Wein verschluckt, ehe ihr klar wurde, dass André diese Frage wahrscheinlich nur aus höflichem Interesse heraus stellte und nicht etwa, weil er in irgendeiner Form argwöhnisch wegen ihres Streifzugs über das Gelände war. Sie zwang sich zu einem Lächeln. „Es ist wunderschön. Ein richtiges Märchenschloss. Übrigens möchte ich mich für die luxuriöse Unterbringung bedanken.“

André hob die Schultern. „Das Château ist so groß, dass die meisten Räumlichkeiten ohnehin das ganze Jahr über leer stehen. Warum sollte ich meine Angestellten in winzigen Dienstbotenquartieren wohnen lassen, wo doch genug Platz für alle zur Verfügung steht?“

„Trotzdem ist sicherlich nicht jeder Arbeitgeber so großzügig.“

„Das hat mit Großzügigkeit nichts zu tun. Wenn ich von meinen Mitarbeitern exzellente Leistungen erwarte, muss ich sie auch entsprechend behandeln. Das war schon immer meine Philosophie, und bislang hat sie sich gut bewährt.“

„Monsieur Carriére wohnt demnach auch im Château?“, fragte Isabel und konnte ein Schaudern nicht unterdrücken, als sie an ihre Auseinandersetzung mit dem Stallmeister von Beauregard dachte.

André runzelte die Stirn. „Gaston hat Ihnen wirklich einen großen Schreck eingejagt, nicht wahr?“ Er seufzte. „Er ist der beste Stallmeister, den ich je hatte. Sie sollten einmal sehen, wie er mit den Pferden umgeht. Leider legt er Menschen gegenüber weitaus weniger Feingefühl an den Tag. Aber ich werde dafür sorgen, dass er sich noch bei Ihnen entschuldigt.“

„Das ist wirklich nicht nötig“, versuchte sie abzuwiegeln, doch André schüttelte den Kopf.

„Nein, ich kann ihm das nicht einfach so durchgehen lassen“, sagte er. „Aber ganz davon abgesehen: Gaston zieht es vor, in einem kleinen Nebengebäude bei den Stallungen zu wohnen. Dort nimmt er auch seine Mahlzeiten ein, Sie werden ihm also wahrscheinlich nur selten über den Weg laufen.“

Isabel bezweifelte, dass dies tatsächlich eine gute Nachricht war. Dass Carriére auf dem Gelände des Gestüts wohnte, erschwerte ihre Suche nach Diablo beträchtlich. Dennoch war sie froh über die Aussicht, dem ungehobelten Stallmeister nicht ständig über den Weg laufen zu müssen.

„Verzeihen Sie“, riss André sie aus ihren Gedanken. „Ich weiß nicht, ob es mir zusteht, Ihnen diese Frage zu stellen, immerhin kennen wir uns kaum. Aber Sie wirken sehr angespannt und nachdenklich. Liegt es an den Strapazen der Anreise, oder belastet Sie etwas?“

Er maß sie mit einem forschenden Blick, und für einen Augenblick stieg in Isabel die irrationale Furcht auf, er könne bis auf den Grund ihrer Seele schauen und dort die ganze unbeschönigte Wahrheit über sie erkennen. Sie war froh, als Marie in eben diesem Moment mit einem voll beladenen Tablett den Wintergarten betrat. Eilig sprang Isabel von ihrem Platz auf – vorgeblich, um der freundlichen Haushälterin zur Hand zu gehen, eigentlich aber nur, um kurz aus Andrés verstörender Nähe zu entkommen.

„Das sieht wirklich hervorragend aus, Marie“, sagte sie, obwohl sie nicht den geringsten Appetit verspürte. „Sie müssen mir bei Gelegenheit unbedingt das Rezept verraten.“

Die rundliche Haushälterin strahlte. „Natürlich, sehr gern. Aber jetzt lasse ich Sie lieber allein, damit Sie essen können, ehe es kalt wird. Guten Appetit.“

Am liebsten hätte Isabel ihr widersprochen und sie gebeten zu bleiben. Sie wusste nicht, wie sie es auch nur eine Sekunde länger allein mit André aushalten sollte. Ihr Puls raste. Und warum? Nur weil er Interesse an ihren Sorgen und Problemen gezeigt hatte.

„Schmeckt es Ihnen nicht?“

Vor Schreck ließ Isabel die Gabel fallen, die mit einem lauten Klirren auf dem Teller landete. Die Spannung, die zwischen André und ihr in der Luft hing, war beinahe körperlich zu spüren. Was war bloß mit ihr los? Solche Gefühle kannte sie überhaupt nicht von sich. Und dabei flirtete André ja nicht einmal mit ihr, sondern zeigte sich lediglich besorgt und mitfühlend. War sie nach der Sache mit Henri tatsächlich dermaßen ausgehungert nach Zuneigung, dass sie so heftig auf ein wenig Anteilnahme reagierte?

„Entschuldigen Sie bitte“, stieß sie atemlos hervor und erhob sich von ihrem Platz. „Ich bin sicher, der Wachteleintopf ist wirklich köstlich, aber ich fühle mich nicht besonders wohl.“

„Soll ich Sie zu Ihrem Zimmer bringen?“

Hastig schüttelte sie den Kopf. „Nein, ich finde mich schon allein zurecht. Lassen Sie sich von mir bitte den Abend nicht verderben.“

Isabel war sich durchaus darüber im Klaren, dass ihr überstürzter Abgang wie eine Flucht aussehen musste, doch sie wollte André keine Gelegenheit geben, zu versuchen, sie zurückzuhalten. Zweimal verlief sie sich auf dem Weg zu ihrem Zimmer, dann endlich erreichte sie es. Mit einem erstickten Aufstöhnen ließ sie sich auf ihr Bett fallen und vergrub das Gesicht im Kopfkissen.

Sie musste den Verstand verloren haben, sich in Andrés Gegenwart derart gehen zu lassen. Doch etwas an der Art und Weise, wie er sie anschaute, löste ein regelrechtes Gefühlschaos in ihrem Innersten aus.

Noch nie zuvor hatte sie so bei einem Mann empfunden – nicht einmal bei Henri, den sie lange Zeit zu lieben geglaubt hatte.

Reiß dich zusammen, ermahnte sie sich. Schließlich war André absolut tabu für sie. Ganz davon abgesehen, dass er viel zu gut aussah, um ernsthaft für sie infrage zu kommen, war er außerdem der Mann, von dem sie glaubte, dass er für Diablos Entführung verantwortlich sein könnte. Sie durfte sich also auf keinen Fall in ihn verlieben.

Sie erhob sich und trat hinaus auf den Balkon. Am nachtschwarzen Firmament glitzerten die Sterne, und der fast volle Mond tauchte die Landschaft zu ihren Füßen in silbriges Licht. Isabel hob den Blick zum Himmel, während ihr Tränen über die Wangen strömten.

„Keine Angst, Dad, ich werde dich nicht enttäuschen“, flüsterte sie. „Ich werde dir Diablo zurückbringen.“

Ihre Gedanken wanderten zurück zu jenem letzten Mal, als sie ihren Vater gesehen hatte, bleich und reglos in seinem Krankenbett. Im Verlauf der vergangenen Wochen hatte er sich zwar wieder ein wenig erholt, doch was Prognosen für die Zukunft anging, hielten die Ärzte sich nach wie vor sehr bedeckt. Und Schuld an seiner Niedergeschlagenheit und schlechten Genesung trug in ihren Augen ausschließlich derjenige, der ihm seinen wertvollsten Besitz genommen hatte: Diablo.

Den Schock über den Verlust seines geliebten Hengstes hatte sein Herz einfach nicht verkraftet. Und an seinem Krankenbett hatte Isabel sich geschworen, denjenigen zur Verantwortung zu ziehen, der – wenigstens indirekt – für das Leid ihres Vaters verantwortlich war. Und was noch viel wichtiger war: Sie würde ihrem Vater Diablo, und damit hoffentlich auch seinen Lebenswillen, wieder zurückbringen. Davon würde sie sich von nichts und niemandem abhalten lassen.

„Mademoiselle Winters hat das Essen ja kaum angerührt. Hat es ihr nicht geschmeckt?“

„Seien Sie unbesorgt, Marie, an Ihren Kochkünsten hat es gewiss nicht gelegen. Mademoiselle Winters fühlte sich ganz einfach nicht wohl. Wahrscheinlich ist sie noch erschöpft von den Anstrengungen der Anreise.“

Nachdem seine Haushälterin den Tisch abgeräumt hatte, trat André durch die breiten Flügeltüren hinaus in den Park. Ein schmaler, gewundener Weg führte hinunter zu den Klippen. Da es keinen Schutzzaun gab, war es nicht ungefährlich, sich dort aufzuhalten – besonders in der Dunkelheit. Doch der Mond schien hell, und obwohl das Gelände des Châteaus gewaltige Ausmaße besaß, kannte André jedes Fleckchen so gut wie seine eigene Westentasche.

Er folgte dem Pfad, erreichte einen schmalen Vorsprung, der über die Abbruchkante ragte, und schaute hinunter. Mehr als zwanzig Meter unter ihm warf sich die Brandung schäumend gegen den Fels. Das beeindruckende Naturschauspiel war jedoch nicht der Grund, weshalb er hierhergekommen war. Dies war der Ort auf dem Gelände des Châteaus, an den er sich zurückzog, wenn er in Ruhe nachdenken wollte. Und er musste nachdenken.

Über Isabel.

Es erschien ihm seltsam und vollkommen absurd, da er sie ja gerade einmal einen halben Tag lang kannte, aber seit sie vorhin durch die Tür des Wintergartens verschwunden war, vermisste er sie. Und jedes Mal, wenn er auch nur kurz die Augen schloss, sah er sie vor sich. Ihre sexy feuerroten Locken, die das herzförmige Gesicht umrahmten. Diese unglaublich grünen Augen und der sinnlich geschwungene Mund. Die …

Hör endlich auf, ermahnte er sich selbst und zwang sich, tief durchzuatmen. Sie ist eine bildschöne Frau, kein Wunder also, dass du dich von ihr angezogen fühlst.

Ihre mitunter schüchterne und schreckhafte Art ließ sie nur noch bezaubernder auf ihn wirken. Zugleich spürte er deutlich, dass sie irgendein Geheimnis mit sich herumschleppte. Etwas, das sie vor ihm und der Welt verbergen wollte. Allein das sollte Grund genug für ihn sein, sich bei ihr auf nichts einzulassen.

Du kennst sie nicht einmal. Du weißt nichts über sie oder ihre Vergangenheit. Außerdem wird sie für dich arbeiten. Hast du schon vergessen, was passieren kann, wenn man Privates und Geschäftliches nicht strikt voneinander trennt?

Seine Miene verdüsterte sich, wie jedes Mal, wenn er an Angélique zurückdachte. Selbstverständlich würde er niemals vergessen. Wie sollte er? Immerhin hatte sie es fast geschafft, seine gesamte Existenz zu zerstören. Und das nur, weil er naiv genug gewesen war zu glauben, sie würde seine Gefühle erwidern. Doch Angélique war es von Anfang an nicht um ihn gegangen, und so hatte die Katastrophe ihren Lauf genommen. Am Ende war es ihm zwar gelungen, das Schlimmste zu verhindern, aber der Verrat der Frau, die er geliebt zu haben glaubte, hatte ihm das Herz gebrochen. Er würde nicht zulassen, dass ihm das ein zweites Mal passierte.

Die sicherste Methode, dies zu verhindern, wäre, Isabel so weit wie möglich aus dem Weg zu gehen. Bloß war dies nicht machbar.

Seufzend rieb André sich den Nacken. Der Vorfall mit Carriére vor wenigen Stunden hatte ihm die Augen geöffnet. Zwar teilte er den Verdacht seines Stallmeisters, der Isabel nach wie vor für eine Spionin hielt, keinesfalls. Das änderte jedoch nichts an der Tatsache, dass durchaus die Gefahr bestand, dass sie bei ihren Streifzügen über das Gelände des Châteaus zufällig sein streng gehütetes Geheimnis entdeckte. Und dazu durfte es auf gar keinen Fall kommen.

Es half nichts, er musste sie im Auge behalten, ob es ihm gefiel oder nicht. Der beste Weg, sie von unliebsamen Entdeckungen abzuhalten, bestand darin, sich ständig in ihrer Nähe aufzuhalten. Und zu seinem Entsetzen musste er feststellen, dass ihn die Vorstellung daran mindestens ebenso faszinierte wie erschreckte.

Es war bereits kurz nach zwei Uhr am folgenden Nachmittag, als Isabel endlich erste Fortschritte erkennen konnte. Zufrieden schaute sie auf die verschieden hohen Stapel Papier, die sie in den letzten fünf Stunden auf ihrem Schreibtisch errichtet hatte. Es handelte sich hierbei um die Eingangspost der vergangenen drei Monate, die bislang ohne erkennbares System in einem der Aktenschränke gelagert und inzwischen von ihr in drei Kategorien – „bereits erledigt“, „noch zu erledigen“ und „noch zu klären“ – sortiert worden war.

Darauf würde sie aufbauen können, und das alles verdankte sie nur ihrer Freundin Amy. Als André sie am Morgen mit ihrem neuen Aufgabenfeld vertraut machte, hatte sie sich noch nicht vorstellen können, wie sie das jemals schaffen sollte. Das Chaos ließ sich kaum beschreiben. Auf eine solche Herausforderung war sie durch ihr Jurastudium nicht vorbereitet worden.

Der Verzweiflung nahe rief sie ihre Freundin in London im Büro an und bat sie um Hilfe. Unter Amys Anleitung war ihr das scheinbar Unmögliche dann auch tatsächlich gelungen. Mittlerweile schämte Isabel sich regelrecht dafür, Amy bislang immer ein wenig für ihren Job belächelt zu haben. Die Arbeit einer Sekretärin war weit vielschichtiger und fordernder, als sie es jemals für möglich gehalten hatte.

„Zeit für eine Pause“, sagte sie zu sich selbst, während sie nicht ohne Stolz noch einmal ihr Werk betrachtete. Dann rief sie sich ins Gedächtnis, dass sie die Stelle bei André nur aus einem einzigen Grund angenommen hatte – und der bestand nicht darin, sein Vorzimmer vom Chaos zu befreien.

Mit einem Seufzen nahm sie die dünne Strickjacke, die sie am Morgen über die Rückenlehne ihres Stuhls gehängt hatte, und streifte sie sich über. Obwohl ihr Magen sie bereits geräuschvoll daran erinnerte, dass sie seit dem Frühstück nichts mehr zu sich genommen hatte, beschloss sie, ihre Mittagspause lieber für eine weitere Erkundungstour zu verwenden. Ihr blieben nur noch sechs Tage, um etwas über Diablo herauszufinden. Sie sollte die Zeit besser nutzen.

Draußen war es herrlich warm, sodass sie ihre Strickjacke bald wieder ablegen konnte und sie sich stattdessen um die Hüften band. Strahlend stand die Sonne am makellos blauen Himmel, und vom Meer her wehte ein leichter Wind, der verhinderte, dass die Hitze drückend wurde. Die Blumen in den gepflegten Beeten blühten in farbenfroher Pracht, und Isabel konnte der Versuchung nicht widerstehen, hier und da kurz zu verweilen und in der Schönheit der Parkanlage zu schwelgen.

Gut die Hälfte ihrer Pause war bereits vorüber, als sie das Gestüt erreichte. Darum bemüht, möglichst keine Aufmerksamkeit zu erregen, blickte sie sich um. Weder von Gaston Carriére noch von dem Pferdeknecht, der sie am Vorabend angesprochen hatte, war etwas zu sehen. Trotzdem war sie auf der Hut, als sie weiterging.

Sie zwang sich ein Lächeln auf die Lippen, blieb im Schatten der Stallungen stehen und versuchte, nach außen hin gelassen zu erscheinen, so, als wäre ihre Anwesenheit auf dem Gestüt ganz selbstverständlich. Genau genommen hatte André ihr ja auch explizit die Erlaubnis erteilt, sich frei auf dem gesamten Gelände des Châteaus zu bewegen. Allerdings bezweifelte sie, dass sein Stallmeister genauso darüber dachte. Doch Carriére war nirgends zu sehen, und ein paar der Pferdeknechte nickten ihr im Vorübergehen sogar freundlich zu, und so begann Isabel allmählich, sich zu entspannen.

Die zweite halbe Stunde ihrer Mittagspause war so gut wie vorüber, als sie eine interessante Entdeckung machte: Vor einem der Ställe, der am weitesten vom Château entfernt stand, saß ein bullig wirkender Mann auf einer Holzbank. Obwohl er dieselbe Kleidung trug wie die übrigen Pferdeknechte, machte er nicht gerade den Eindruck eines Mannes, der besonders gut mit Tieren umgehen konnte. Außerdem fand Isabel es merkwürdig, dass er einfach nur herumsaß. Möglich, dass er gerade ebenfalls eine Pause machte, aber irgendwie glaubte sie nicht so recht daran.

Und dann fiel es ihr plötzlich wie Schuppen von den Augen. Jetzt wusste sie wieder, woran dieser Typ sie erinnerte: Er wirkte genauso wie die Männer, die in London vor den Türen der Diskotheken standen und darüber entschieden, wer in die geheiligten Hallen vorgelassen wurde und wer nicht. Ganz klar, der Mann war so etwas wie ein Türsteher. Nur, dass er in diesem Fall einen Pferdestall bewachte.

Ihr Puls beschleunigte sich. Diablo. Hier also wurde er versteckt gehalten. Und der Bewacher sorgte dafür, dass niemand den fremden Hengst zufällig entdeckte.

Isabel zwang sich, weiterzugehen. Sie durfte sich nicht anmerken lassen, dass sie Bescheid wusste. Als sie die Rückseite des Stalls erreichte, war ihr vor Aufregung ganz flau im Magen.

Verstohlen sah sie sich um. Es befand sich niemand in ihrer unmittelbaren Nähe, die Gelegenheit war also günstig. Vielleicht bekam sie niemals wieder die Chance, so einfach einen Blick in den Stall zu werfen. Sie atmete tief durch, dann trat sie an das Fenster heran, das in die rückwärtige Stallwand eingelassen war, und unterdrückte einen Fluch. Das Fenster war gut zwanzig Zentimeter zu hoch für sie. Sie konnte nicht hindurchsehen, selbst wenn sie sich auf die Zehenspitzen stellte.

Doch so einfach würde sie nicht aufgeben! Bestimmt gab es irgendwo eine Trittleiter oder etwas Ähnliches. Sie blickte sich um und entdeckte ein paar Meter entfernt einen alten Zinkeimer. Sie holte ihn und stellte ihn umgekehrt auf den Boden, sodass sie dessen Unterseite als Trittfläche nutzen konnte. Es war eine wacklige Angelegenheit, doch es funktionierte.