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Eiskalt hat seine große Liebe ihn damals abserviert, weil Marios aus einer verarmten Familie stammt. Und jetzt fleht Chryssa ihn an, die elterliche Kaufhauskette vor dem Ruin zu retten? Für den aufstrebenden Unternehmer ist der Moment der Rache gekommen: Nur wenn sie ihn auf seine griechische Privatinsel begleitet, hilft er ihr. Aber er verschweigt der verwöhnten Schönheit, wie einfach dort alles ist, dass es keinen Luxus gibt. Doch ein mächtiger Sturm zerstört seine Rachegelüste: Er muss Chryssa das Leben retten – und verliebt sich zum zweiten Mal in sie …
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Seitenzahl: 172
IMPRESSUM
JULIA erscheint in der Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg
© 2022 by Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH, Hamburg für Penny Roberts: „Stürmisches Begehren, mächtiger als Rache“
© Deutsche Erstausgabe in der Reihe JULIA, Band 052023 03/2023
Abbildungen: Harlequin Books S. A., alle Rechte vorbehalten
Veröffentlicht im ePub Format in 03/2023 – die elektronische Ausgabe stimmt mit der Printversion überein.
E-Book-Produktion: GGP Media GmbH, Pößneck
ISBN 9783751518390
Alle Rechte, einschließlich das des vollständigen oder auszugsweisen Nachdrucks in jeglicher Form, sind vorbehalten. CORA-Romane dürfen nicht verliehen oder zum gewerbsmäßigen Umtausch verwendet werden. Sämtliche Personen dieser Ausgabe sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind rein zufällig.
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„… um unseren guten Freund Rafael zum Anlass seines heutigen Geburtstags in Erinnerung zu behalten, wie wir ihn kannten. Voller Energie und Lebensfreude, die …“
Marios blendete die eintönige Stimme des Mannes auf dem Podium aus, der sein nicht enden wollendes Loblied auf Rafael Domingo sang. Nicht, dass Rafael es nicht verdiente, dass man seinen Charakter und seine Leistungen hervorhob, nein. Es stieß Marios nur sauer auf, dass sein Freund erst spurlos verschwinden musste, damit ihm diese zweifelhafte Ehre zuteilwurde.
Wobei er ziemlich sicher war, dass Rafael dieser ganze Zirkus, den man hier um seine Person veranstaltete, nicht gefallen hätte – nicht gefallen würde. Immerhin gab es keinen Beweis dafür, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Dass er vor etwa zwei Monaten einfach von der Bildfläche verschwunden war und seitdem niemand mehr von ihm gehört hatte, musste Marios’ Meinung nach noch lange nichts heißen. Auch wenn seine Familie das anders zu sehen schien. Immerhin hatte sie zu dieser merkwürdigen Geburtstagsfeier in Abwesenheit des Ehrengastes eingeladen. Für Marios fühlte es sich eher wie eine Trauerfeier an. Wie die Gelegenheit, sich von Rafael zu verabschieden.
Etwas voreilig, wie er fand. Marios war der Einladung von Rafaels Familie trotzdem gefolgt, weil er das Gefühl hatte, es seinem alten Freund schuldig zu sein. Seit er von Rafaels Verschwinden erfahren hatte, quälte ihn das schlechte Gewissen. Sie hatten sich einmal geschworen, immer füreinander da zu sein, und sich später doch aus den Augen verloren.
Marios fragte sich, ob Rafael jetzt wohl hier bei ihnen wäre, wenn sie sich alle drei an dieses Versprechen gehalten hätten. Dieser Gedanke hatte ihn auch dazu bewogen, nach Jahren wieder den Kontakt zum Dritten in ihrem Bunde zu suchen, zu Giovanni – Gio – Giordano. Und zu seiner eigenen Überraschung hatten sie sich sofort wieder verstanden wie am ersten Tag.
Ursprünglich hatte Gio auch zur Gedenkfeier kommen wollen, doch ihm war etwas dazwischengekommen. Oder vielmehr jemand. Luna Vecchioni, die Frau, die es geschafft hatte, Gios Herz zu erobern, war schwanger, und Gio war nicht gewillt, sie länger allein zu lassen.
Marios verstand das sehr gut, auch wenn er sich nicht vorstellen konnte, jemals selbst Vater zu werden. Früher vielleicht, aber heute …
Er schüttelte den Kopf über seine eigenen absurden Gedankengänge. Er war einfach kein Familienmensch. Und ihm war nie eine Frau begegnet, mit der er es sich hätte vorstellen können, ein Kind zusammen großzuziehen. Oder auch nur länger als ein Wochenende am Stück mit ihr zu verbringen.
Nicht mehr seit …
Energisch schob er die Bilder, die vor seinem geistigen Auge aufblitzten, zur Seite. Das gehört hier nun wirklich nicht hin, ermahnte er sich selbst. Doch die Erinnerungen ließen sich nicht so leicht vertreiben. Vielleicht lag es daran, dass sie untrennbar mit jenem anderen Teil seiner Vergangenheit verknüpft waren, der ihn heute hierhergebracht hatte.
Rafael. Gio. Ihre gemeinsame Zeit an der Kingsbrook Academy.
Chryssa …
Er ballte die Hände zu Fäusten, so fest, dass die Fingernägel sich in die Innenflächen bohrten. Der Schmerz half ihm dabei, ins Hier und Jetzt zurückzukehren, wo der Redner – ernsthaft, wer war der Kerl überhaupt? – immer weiter und weiter schwadronierte.
Um sich abzulenken, ließ Marios seinen Blick über die anderen Gäste schweifen, die sich im Garten von Rafaels Villa bei Marbella versammelt hatten, die meisten von ihnen in Schwarz gekleidet und mit ernsten Mienen, so als wären sie auf einer Trauerfeier.
Einmal mehr regte sich Ärger in Marios. Es gab keinerlei Beweis dafür, dass Rafael nicht in ebendiesem Augenblick auf irgendeiner karibischen Insel in einer Hängematte lag und einen viel zu süßen, bunten Drink mit Strohhalm und Schirmchen genoss. Zugegeben, es war nicht ganz das Szenario, das sich bei Marios einstellte, wenn er an seinen alten Freund dachte. Die Wahrscheinlichkeit, dass Rafael stattdessen irgendwo auf der Welt für Menschenrechte kämpfte, war wesentlich größer.
Er sah Rafaels Eltern, das Gesicht des Vaters eine stoische Maske, die Augen der Mutter gerötet und von dunklen Ringen umrahmt. Sie standen nebeneinander, doch es machte den Eindruck, als läge eine tiefe Kluft zwischen ihnen. Vielleicht war sie erst durch das Verschwinden ihres Sohnes entstanden, vielleicht hatte sie aber auch schon immer bestanden. Nicht alle Menschen heirateten aus Liebe. Und selbst bei denen, die es taten, gab es keine Garantie, dass diese Liebe für alle Zeiten halten würde.
Wieder dachte Marios an Chryssa. Daran, dass er sie geliebt und geglaubt hatte, auch von ihr geliebt zu werden. Nicht zum ersten Mal fragte er sich, ob diese ganze Sache – genannt Herzensangelegenheiten – nicht ohnehin nur eine Erfindung war. So wie der Valentinstag, der letztlich nur dazu diente, die Umsatzzahlen der Unternehmen in die Höhe zu treiben, die von den Verkäufen immenser Mengen an Blumen, Pralinen und Gratulationskarten profitierten.
Manch einer würde ihn wegen solcher Gedanken vermutlich als zynisch bezeichnen. Doch Marios sah das ein wenig anders. Er war ein Realist und beurteilte die Dinge auf seine eigene Weise. Und seiner Erfahrung nach gab es nichts, was die Existenz von so etwas Flüchtigem wie Liebe bewies. Was es aber sehr wohl gab, waren unzählige Indizien, die das Gegenteil nahelegten.
Chryssa.
Verdammt, ich muss aufhören, immerzu an sie zu denken, sonst werde ich noch … Der Gedanke erstarb, als er ein vertrautes Gesicht in der Menge bemerkte.
Ein Gesicht, das ihn für einen Moment alles um sich herum vergessen ließ.
Im ersten Moment verspürte er eine schier überwältigende Woge von Sehnsucht, die jedoch schnell verdrängt wurde von Unverständnis und Zorn.
Was, zum Teufel, hatte sie hier zu suchen?
Wie ferngesteuert setzte Marios sich in Bewegung und bahnte sich einen Weg durch die Menge. Zweifellos zog er nicht wenig fragende und missbilligende Blicke auf sich, doch das kümmerte ihn nicht.
Sie hatte ihn bereits bemerkt. Er musste ihr zugutehalten, dass sie nicht eingeschüchtert oder ängstlich wirkte. Stattdessen blickte sie ihm geradewegs in die Augen, das Kinn herausfordernd hervorgereckt, die Schultern gestrafft. Schmale, beinahe zierliche Schultern, über die sich eine Flut nachtschwarzer Locken ergoss.
„Marios“, sagte sie leise. „Ich hoffte, dich hier anzutreffen.“
Er runzelte die Stirn. Sie nach zwölf Jahren ausgerechnet hier und heute wiederzusehen, kam vollkommen unerwartet. Nicht so unerwartet allerdings wie die Tatsache, dass sie dieses Aufeinandertreffen offenbar geplant hatte.
„Was willst du?“, zischte er, sich der neugierigen Blicke, die auf ihnen ruhten, jetzt überdeutlich bewusst. Reiß dich zusammen, ermahnte er sich selbst. Er war wegen Rafael hier, und deshalb würde er Chryssa nicht in aller Öffentlichkeit eine Szene machen. Allerdings bezweifelte er, dass er sich lange würde zurückhalten können.
Er legte eine Hand um ihren Unterarm und zog sie mit sich in Richtung des kleinen Poolhauses, dessen strahlend weiße Fassade die Spiegelungen vom Wasser des Schwimmbeckens reflektierte. Erst als sie hinter einem Rosenspalier außer Sichtweite waren, ließ er sie los.
Sie rieb sich das Handgelenk und bedachte ihn mit einem vorwurfsvollen Blick. „Ich wäre auch mitgekommen, wenn du mich freundlich darum gebeten hättest.“
Ihre Worte ließen seinen Ärger erneut hochkochen. „Ich sehe keinen Grund, dich um irgendetwas zu bitten. Was willst du hier, Chryssa? Warum hältst du es für eine gute Idee, mir ausgerechnet hier und heute aufzulauern?“
„Aufzulauern klingt so unschön.“ Sie verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich will mit dir reden, Marios. Und ich habe bereits versucht, über dein Büro mit dir in Kontakt zu treten, aber man hat mich abgewimmelt.“
Kein Wunder. Sein Assistent hatte strikte Anweisungen, niemanden zu ihm durchzustellen oder vorzulassen, der nicht vorher ausdrücklich von ihm abgesegnet worden war. Alle übrigen Anliegen wurden entweder durch sein Büroteam aufgenommen und ihm dann zur Prüfung vorgelegt – oder abgewiesen.
Die Tatsache, dass er plante, die marode Kette von Einkaufszentren, die Chryssas Familie gehörte, aufzukaufen, machte da keinen Unterschied. Er stand keineswegs in direkten Verhandlungen mit irgendeinem Georgiou, sondern vielmehr mit deren zahlreichen Gläubigern, die um ihr Geld fürchteten – und das nicht zu Unrecht.
Nach Jahren der Misswirtschaft standen die einzelnen Kaufhäuser endgültig vor dem Bankrott. Die Bank hatte als größter Gläubiger bereits angekündigt, die Kredite aufzukündigen. Und wenn es dazu kam, würden die kleineren Gläubiger aller Wahrscheinlichkeit nach leer ausgehen.
Es war also im Interesse aller, dass sich ein solventer Käufer fand, der in der Lage war, die absolute Katastrophe zu verhindern. Jemand wie Marios.
Es war seine besondere Spezialität, dem Tode geweihte Unternehmen aufzukaufen, sie in ihre Einzelteile zu zerlegen, diese zu bewerten und dann entweder in seine eigene Unternehmensgruppe einzugliedern oder mit möglichst hohem Gewinn abzustoßen.
„Und du bist nicht auf den Gedanken gekommen, dass ich dich schlicht und einfach nicht sehen will?“
„Marios …“ Sie fuhr sich mit einer Hand durchs Haar. Es war eine Geste, die ihm so schmerzlich vertraut war, dass sich sein Herz zusammenzog.
Zum Glück hatte er sich so weit im Griff, es sich ihr gegenüber nicht anmerken zu lassen. Sie musste nicht wissen, welche Wirkung sie noch immer auf ihn hatte.
Er schüttelte den Kopf. „Du hast Nerven, heute hier aufzutauchen. Ich würde dich ja fragen, ob du überhaupt keinen Respekt vor anderen Menschen besitzt, aber bedauerlicherweise kenne ich die Antwort bereits.“
„Bitte, ich will einfach nur mit dir reden, Marios. Schenk mir ein paar Minuten deiner Zeit – nach der Feier –, und ich verspreche, dass ich dich nie wieder belästigen werde. Hör mich einfach nur kurz an.“
Marios runzelte die Stirn. Er hatte nicht den geringsten Grund, ihr auch nur den kleinsten Gefallen zu tun. Er sollte sich einfach abwenden, gehen und dieses Aufeinandertreffen vergessen. Oder besser noch vergessen, dass er ihr je begegnet war.
Doch ein kleiner Teil von ihm wollte hören, was sie zu sagen hatte. Wenn auch nur, um am Ende die Genugtuung zu genießen, sie zum Teufel jagen zu können.
„Also schön“, willigte er daher schließlich ein. „Aber nicht hier und jetzt. Ich fliege heute Abend noch zurück nach Athen. Es gibt da ein kleines Café in der Nähe meiner Wohnung. Ich nehme an, du weißt, wo das ist?“
Er hob eine Braue, während sie den Blick senkte.
Errötete sie etwa? Nein, das konnte er sich beim besten Willen nicht vorstellen. Sie war doch nicht so zart besaitet – oder?
„Ja“, erwiderte sie leise. „Ich … weiß, welches Café du meinst.“
„Gut.“ Er nickte knapp. „Morgen Nachmittag um vier. Entweder du bist pünktlich – oder du vergisst die ganze Sache. Ich werde jedenfalls nicht auf dich warten.“
Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging zu der Zeremonie zurück, ohne noch einmal zu ihr zurückzublicken. Doch aus den Augen hieß in diesem Fall leider nicht gleichzeitig auch aus dem Sinn.
Sobald es die Regeln von Höflichkeit und Anstand erlaubten – vielleicht ein kleines bisschen früher –, flüchtete Marios zu seinem Wagen und ignorierte die Blicke der anderen Gäste.
Rafael hätte sicher Verständnis für ihn gehabt.
„Kann ich Ihnen vielleicht jetzt etwas bringen?“ Der Kellner trat nun schon zum dritten Mal seit ihrer Ankunft vor etwas mehr als einer Stunde zu ihr an den Tisch. Er wirkte inzwischen deutlich weniger freundlich – was Chryssa sehr gut nachvollziehen konnte. Immerhin blockierte sie nun schon seit einer ganzen Weile einen Tisch und hielt sich dabei an einem Glas Wasser fest.
Dummerweise war sie so knapp bei Kasse, dass sie sich keine großen Sprünge erlauben konnte. Und wenn Marios sie versetzte – was durchaus nicht unwahrscheinlich war –, dann wollte sie das bisschen Geld, das ihr nach dem Flug nach Athen noch geblieben war, nicht für überflüssigen Luxus ausgeben. Und dazu zählte leider auch eine Tasse Kaffee, auch wenn sie nicht viel kosten mochte.
„Meine Verabredung muss jeden Moment eintreffen“, entgegnete sie ausweichend. „Er verspätet sich ein wenig …“
Der Mann runzelte missbilligend die Stirn, sagte aber nichts weiter und kehrte hinter den Tresen zurück.
Chryssa nahm einen winzigen Schluck von ihrem Wasser und blickte nervös zu der großen Wanduhr über der Tür. Viertel vor fünf. Die Wahrscheinlichkeit, dass Marios noch auftauchen würde, sank mit jeder verstreichenden Minute. Ebenso wie ihre Hoffnung.
Dabei hätte sie es sich eigentlich denken können. Was sollte Marios nach allem, was zwischen ihnen vorgefallen war, dazu veranlassen, ihr einen Gefallen zu tun? Oder vielmehr, was er glaubte, was zwischen ihnen vorgefallen war.
Um sich abzulenken, sah sie sich im Café um. Es war hübsch, aber nichts, was die gesalzenen Preise, die hier verlangt wurden, rechtfertigte.
Vermutlich war es vor allem die Lage, die man mitbezahlte. Die war nämlich durchaus gehoben, was nicht anders zu erwarten gewesen war – immerhin wohnte Marios direkt um die Ecke. Wenn jemand es sich leisten kann, in einem der teuersten Viertel Athens zu leben, dann er, dachte Chryssa nicht ganz ohne einen Anflug von Bitterkeit.
Dabei war ihr klar, dass das nicht fair Marios gegenüber war. Immerhin war ihm auf seinem Weg nach ganz oben nichts geschenkt worden. Und das obwohl seine Familie väterlicherseits zu einer der reichsten ganz Griechenlands gehörte.
Chryssa wusste nicht genau, was vorgefallen war – nur, dass Marios’ Vater in Ungnade gefallen war, woraufhin sein Bruder – Marios’ Onkel – die Kontrolle über die Firma an sich gerissen hatte. Marios’ Familie war mit einem Schlag praktisch mittellos gewesen, erst recht nach dem plötzlichen und überraschenden Tod seines Vaters. Sie hatten aus ihrem Haus ausziehen und all ihre Habseligkeiten zurücklassen müssen. Marios war zunächst gezwungenermaßen an eine staatliche Schule gewechselt, später aber aufgrund seiner schulischen Leistungen mit einem Stipendium an die Kingsbrook Academy gekommen. Eine Eliteschule in den Vereinigten Staaten, die auch Chryssa besuchte – ebenso wie Marios’ Cousin Stavros.
Dort hatte Chryssa Marios kennengelernt. Er war ihre erste große Liebe gewesen – und ihre einzige. Nach ihm war ihr nie wieder ein Mann begegnet, der ihm das Wasser reichen konnte. Doch das war bedeutungslos angesichts der Tatsache, dass Marios allen Grund hatte, sie zu hassen. Er würde sie niemals wieder so ansehen wie früher.
Als wäre sie etwas Besonderes.
Als würde er alles für sie tun.
Als wäre sie jedes Opfer wert.
Seufzend fuhr sie sich mit den Fingern durchs Haar, als ein Schatten über ihren Tisch fiel. Sie blickte auf – und erstarrte innerlich.
„Marios“, stieß sie atemlos hervor und machte Anstalten, sich zu erheben.
Er winkte ab. „Bleib sitzen“, sagte er und nahm ihr gegenüber Platz. „Ich habe nicht viel Zeit, also mach es kurz.“
Nicht einmal eine Entschuldigung für seine Verspätung. Aber was hatte sie erwartet? Es war offensichtlich, dass er es genoss, sie nach seiner Pfeife tanzen zu lassen. Er hatte die Oberhand. Chryssa wusste es. Und Marios wusste, dass sie es wusste.
Sie holte tief Luft. „Vielen Dank, dass du gekommen bist. Ich war mir nicht sicher, ob …“
„Lassen wir doch den Small Talk und kommen gleich zur Sache. Geht es eventuell um Georgiou Department Stores?“
Chryssa schluckte. Natürlich hatte er längst eins und eins zusammengezählt. Und er hatte recht. Es ging um Georgiou Department Stores – kurz GDS. Das Familienunternehmen, das dank der Misswirtschaft ihres Vaters kurz vor dem Bankrott stand.
Gegründet hatte es ihr Urgroßvater Ioannis Georgiou mit einem einzelnen Kaufhaus im Herzen Athens. Sein Sohn, ihr Großvater, hatte die Erfolgsgeschichte fortgesetzt, weitere Häuser eröffnet und profitabel gemacht.
Chryssa war sich der Tatsache, dass sie extrem privilegiert aufgewachsen war, durchaus bewusst. Rein materiell hatte es ihr nie an etwas gemangelt. Sie war von den besten Kindermädchen betreut worden, hatte die teuerste Kleidung getragen. Ihr Zimmer war mit den neuesten Spielsachen gefüllt gewesen. Spielsachen, von denen andere Kinder nur hatten träumen können. Doch sie hätte all das liebend gern eingetauscht, wenn ihre Eltern dafür mehr Zeit mit ihr verbracht hätten.
Ihre Mutter hatte Besseres zu tun gehabt, als sich mit ihrer Tochter zu beschäftigen. Und zwar möglichst viel Geld für sinnlose Dinge aus dem Fenster zu werfen, sich mit ihren Freundinnen zu treffen und schon am späten Vormittag die ersten Drinks hinunterzukippen. Ihr Vater hatte, solange Chryssa zurückdenken konnte, die meiste Zeit in der Firma verbracht, oder – wie sie später herausfand – bei einer seiner zahlreichen Affären.
Zusammen hatten ihre Eltern ein Vermögen für schnelle Autos, Luxusreisen, teure Kleidung und Schmuck ausgegeben. Das war kein Problem gewesen, solange die Geschäfte gut liefen. Doch die Wirtschaftskrise war auch an GDS nicht spurlos vorübergegangen. Die Leute hatten einfach weniger Geld in den Taschen, um es in den Kaufhäusern ihrer Familie auszugeben. Doch anstatt auch die eigenen Ausgaben zurückzuschrauben, hatten Antonis und Seleni Georgiou weiter ihrer Konsumsucht gefrönt. Mit dem Ergebnis, dass die privaten Konten bald leer geräumt gewesen waren.
Das alles wusste Chryssa nur, weil sie eine Ahnung gehabt hatte, der sie nachgegangen war. Und ihre Nachforschungen hatten ihre Befürchtungen bestätigt – die Firma war so gut wie pleite, die Mahnungen stapelten sich, und einige Gläubiger bereiteten sich bereits darauf vor, ihre Forderungen einzuklagen. Doch für all das übernahm ihr Vater natürlich niemals die Verantwortung. Nein, die Schuld trugen immer nur die anderen. Dass er selbst entschieden hatte, sich an den Konten der Firma zu bedienen, um weiterhin seinen ausschweifenden Lebensstil finanzieren zu können, übersah er dabei geflissentlich.
Seufzend fuhr sie sich durchs Haar. „Du hast natürlich recht, es geht um die Firma. In der Branche geht das Gerücht um, dass du eine Übernahme planst.“
„Es wäre nur dann ein Gerücht, wenn es nicht der Wahrheit entspräche.“ Das Lächeln, das er ihr schenkte, erreichte seine Augen nicht. „Aber dem ist nicht so. Ich habe tatsächlich vor, eure Bank davon zu überzeugen, eure Verbindlichkeiten an mich abzutreten. Und dir ist sicher klar, dass es danach nur noch eine Frage der Zeit ist, bis euch gar keine andere Wahl bleibt, als an mich zu verkaufen“
Der Kellner trat mit den Getränken an den Tisch, und für einen Moment herrschte angespanntes Schweigen.
„Und jetzt? Hast du vor, mich anzuflehen, deine Familie in Frieden zu lassen?“, fragte Marios, als sie wieder allein waren.
„Nein.“ Chryssa schüttelte den Kopf. „Und darauf, dass ich dich um irgendetwas anflehe, kannst du lange warten. Ich bin hier, um ein vernünftiges Gespräch mit dir zu führen. Es muss doch eine Lösung geben, mit der beide Parteien leben können.“
„Vergiss es“, erwiderte Marios und nippte an seinem Kaffee. „Ich wüsste nicht, warum ich mich deiner Familie gegenüber großzügig zeigen sollte. Als was hat dein Vater mich noch gleich bezeichnet, als er von uns erfuhr? Ach ja, ich erinnere mich: Gossenjunge.“
Chryssa verzog das Gesicht. Sie erinnerte sich nur allzu gut daran.
Sie hatte Marios an der Kingsbrook kennengelernt, die sie als reguläre Schülerin und er als Stipendiat besuchten. Es war nicht gerade Liebe auf den ersten Blick gewesen. Sogar im Gegenteil. Sie war damals mit ein paar Jungs rund um Marios’ Cousin Stavros befreundet gewesen, und die hatten sich auf die Gruppe der Stipendiaten eingeschossen.
Erst nach einer ganzen Weile waren sie sich nähergekommen. Und auch dann anfangs nur heimlich, denn Chryssa war klar gewesen, was ihr Vater von der Verbindung halten würde. Und genau so war es am Ende auch gekommen.
Nur dass die Konsequenzen für Chryssa noch weitaus schlimmer gewesen waren, als sie je für möglich gehalten hätte …
„Du weißt genau, dass mein Vater und ich in vielen Dingen nicht unbedingt einer Meinung sind“, hob sie an, wurde aber sogleich von Marios unterbrochen.
„Als du dich damals entschieden hast, lieber zurück in den Schoß der Familie zu kriechen, ist mir das nicht aufgefallen. Ich würde sogar sagen, dass ihr euch ziemlich ähnlich seid. Wenn es darum geht, euren gewohnten Lebensstil beizubehalten, ist euch jedes Mittel recht.“
„Das ist unfair“, protestierte Chryssa. „Du kennst die Zusammenhänge nicht.“
Er schlug mit der flachen Hand auf die Tischplatte. Der Knall war im ganzen Café zu hören und zog alle Aufmerksamkeit auf sie. „Dann solltest du wohl besser ganz schnell damit anfangen, sie mir zu erklären“, zischte er.
Chryssa hämmerte das Herz bis zum Hals. Sie versuchte, ruhig und gleichmäßig zu atmen und sich nichts anmerken zu lassen, war aber ziemlich sicher, dass es ihr nicht gelang.