Rose, Linde und Silberner Stern (Ein Kinderklassiker) - Josephine Siebe - E-Book
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Rose, Linde und Silberner Stern (Ein Kinderklassiker) E-Book

Josephine Siebe

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Beschreibung

Dieses eBook: "Rose, Linde und Silberner Stern (Ein Kinderklassiker)" ist mit einem detaillierten und dynamischen Inhaltsverzeichnis versehen und wurde sorgfältig korrekturgelesen. Josephine Siebe (1870 - 1941) war eine deutsche Redakteurin und Kinderbuchautorin. Sie verfasste zwischen 1900 und 1940 fast 70 Bücher für Kinder und heranwachsende Mädchen, daneben eine Vielzahl von Beiträgen in Jahres- und Sammelbänden. Aus dem Buch: "Drei Augenpaare hatten lange den Grills und Alette Amhag nachgesehen, als die durch die Löwengasse schritten, um spazierenzugehen. Neidisch und sehnsüchtig waren die Blicke gewesen, wie solche sind von Kindern, die gern auch dabei wären. Am Ende der Löwengasse, halb schon am Untermarkt, lag das Gasthaus zum Silbernen Stern, das Heimathaus der schlimmen Sternbuben. Es war ein uralter, wohlangesehener Gasthof. Der Silberne Stern prangte schon zweihundert Jahre im Torschild, und viele, auch vornehme und reiche Gäste waren im Laufe der Zeit darin eingekehrt. Zwei Täfelchen an derMauer, dicht neben dem Tor, verkündeten, daß einstmals ein König und später ein sehr berühmter Mann im Silbernen Stern gewohnt hatten. Das Haus hatte innen weite Flure und große Zimmer, viele Kammern und Bodengelasse, und wenn die Sternbuben darin Versteckens spielten, fanden sie sich beinahe selbst nicht zurecht..."

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Josephine Siebe

Rose, Linde und Silberner Stern (Ein Kinderklassiker)

Kinder- und Jugendroman
e-artnow, 2016 Kontakt: [email protected]
ISBN 978-80-268-5294-0

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel. Einzug
Zweites Kapitel. Die Auguste streiten sich
Drittes Kapitel. Neue Freundschaft
Viertes Kapitel. Im Silbernen Stern
Fünftes Kapitel. Spektakel auf der Löwengasse
Sechstes Kapitel. In der Linde
Siebentes Kapitel. Gundels Kummer
Achtes Kapitel. Eine seltsame Entdeckung
Neuntes Kapitel. April, April!
Zehntes Kapitel. Frühlingsregen
Elftes Kapitel. Schwere Tage
Zwölftes Kapitel. Eine schwierige Versöhnung
Dreizehntes Kapitel. Was aus Frau Tippelmann wird
Vierzehntes Kapitel. Der Zöpflesstreit
Fünfzehntes Kapitel. Hoher Besuch
Sechzehntes Kapitel. Eine schauerliche Geschichte
Siebzehntes Kapitel. Die Überraschung

Erstes Kapitel. Einzug.

Inhaltsverzeichnis

Frau Tippelmann putzt den Türknauf und seufzt dabei. Herr Häferlein will Kaffee trinken, er wird aber darin gestört, und die ganze Löwengasse verwundert sich. Frau von Bachhoven nennt das Haus zur Rose einen Ziegenstall, aber Alette Amhag geht froh hinein.

»Schön guten Morgen, Frau Tippelmann, auch schon fleißig? Heute kommen wohl Ihre neuen Hausbewohner an?«

Der Kaufmann Häferlein in der Löwengasse von Breitenwert, der soeben seinen Laden aufgeschlossen hatte, nickte freundlich zu seiner Nachbarin hinüber, und da diese keine Antwort gab, redete er weiter: »Ein schöner Morgen heute, nur etwas kühl!«

»Hm,« knurrte Frau Tippelmann, mehr sagte sie nicht, aber ihren Nachbar verdroß das auch nicht weiter; der war an diese Schweigsamkeit schon gewöhnt. Er zog den Rolladen seines kleinen Schaufensters hoch, wischte mit einem großen Tuch die Scheiben ab und sprach dabei vergnügt, als wäre es für ihn eine besondere Freude: »Sie werden recht froh sein, Frau Nachbarin, daß Sie nun nicht mehr den lieben langen Tag allein in dem großen Hause sitzen müssen; gelt, gut ist das Alleinsein nicht?«

»Hm, hm.« Frau Tippelmann putzte den dicken Messingknauf an der schön geschnitzten alten Haustüre blanker als blank, dabei tat sie einen kellertiefen Seufzer, der gar nicht nach Freude klang.

»O du lieber Himmel,« rief Herr Häferlein mitleidig, »Frau Tippelmann, Sie freuen sich wohl nicht einmal? Dabei sind's doch Verwandte von Ihnen!«

»Von Adam und Eva her, freilich!« Die große, stattliche Frau sah so griesgrämig drein, als sie dies sagte, daß der freundliche Herr Häferlein, der mit jedem Pfennigkunden sich etwas erzählte, die Lust zu weiterer Unterhaltung verlor. »Ich muß nun hineingehen,« erklärte er, »es ist arg kalt, und warmer Kaffee wird mir gut tun. Sie sollten auch eine Tasse trinken, Frau Nachbarin, frieren Sie nicht?«

»Bewahre, aber Märzenluft und Aprilenwind schaden manchem Mutterkind!«

Der Kaufmann ärgerte sich über das Spottwort; er klappte laut seine Ladentüre zu, und Frau Tippelmann stand allein auf der Gasse. Die Frau ließ ihren Putzlappen sinken. Der Knauf war wirklich blank genug, und nachdenklich sah sie das Sträßlein entlang. Das verband den Ober- und Untermarkt miteinander und hatte kaum ein Dutzend Häuser. Die standen schon alle hundert Jahre und mehr an ihrem Platz, aber nicht in Reih und Glied wie Soldaten; eins stand bescheiden zurück, eins hatte sich vorgedrängt, eins hatte einen hohen, spitzen Giebel, das andere wieder ein breites Dach mit lustigen Dachaugen, kurz jedes Haus sah anders aus. Das schönste aber war das, an dem Frau Tippelmann soeben den Türknauf geputzt hatte. Die Rose wurde es genannt. Steinerne Rosen zierten die Fenstersimse; davon trug das Haus seit etlichen hundert Jahren seinen Namen. Frau Tippelmann war in dem Hause geboren, sie hatte immer darin gewohnt, ihr Mann war mit hineingezogen, er war darin gestorben, und nun lebte sie schon zwölf Jahre mutterseelenallein in dem alten Hause. Einst hatte es ihren Urgroßeltern gehört, doch die waren arm geworden in der Franzosenzeit, ihre Kinder hatten das Familienhaus der Amhags verkaufen müssen, und sie waren allmählich von Breitenwert weggezogen in die weite Welt hinaus, eins hierhin, das andere dahin. Nur Frau Tippelmanns Großvater war in der Heimat geblieben. Im alten Familienhaus hatte er zuletzt im Erdgeschoß als Mieter gewohnt, ein stiller, fleißiger Mann, freilich nur ein Schreiber, und sein Sohn war auch nur ein Schreiber gewesen, und dessen einzige Tochter hatte wieder einen Schreiber geheiratet, und so war aus Rose Amhag Frau Rosalie Tippelmann geworden.

Im Laufe der Zeit hatte das alte Haus zur Rose mehrfach die Besitzer gewechselt. Zuletzt, vor etwa zehn Jahren, hatte es wieder ein Amhag gekauft, einer, der im fernen Indien zu großem Reichtum gelangt war. Die Leute in Breitenwert meinten, wenn einer ein Haus kauft, dann muß er auch kommen und darin wohnen, aber der neue Rosenbesitzer tat das nicht. Der ließ durch ein hauptstädtisches Geschäft ein paar Zimmer mit schönem Hausrat füllen. Frau Tippelmann übernahm die Sorge dafür, und dann warteten sie und Breitenwert von Jahr zu Jahr auf Herrn Amhag, bis sie ihn fast vergaßen.

Jetzt auf einmal hatte er geschrieben, seine Schwägerin und seine Tochter würden kommen und einen Sommer lang in der Rose wohnen. Obgleich nirgends ein Stäubchen lag, hatte Frau Tippelmann geschwind das Haus von oben bis unten gefegt und gescheuert, und an diesem Märzmorgen hatte sie zum allerletzten Male den Türknauf geputzt. Heute sollten die neuen Bewohner kommen.

An das alles dachte Frau Tippelmann, als sie so auf der Löwengasse stand, und sie merkte es wirklich nicht, daß es trotz des blauen Himmels recht kalt war. Ja, sie hätte wohl noch eine Weile so vor sich hingeträumt, wenn nicht im gegenüberliegenden Hause die Türe jäh aufgerissen worden wäre. Krach, ging es, bums, und drei Kinder, zwei Buben und ein Mädel, stürzten, sprangen, hopsten und purzelten auf die Gasse; sie taten das eigentlich alles auf einmal, und ein paar Augenblicke gab es ein solches Durcheinander von Armen und Beinen, daß selbst Frau Tippelmann, die den Auszug der Nachbarkinder schon oft gesehen hatte, erschrak.

»Die Grillschen,« brummte sie. »Weiß der Himmel, die gehen auch am Nimmermehrstag einmal ordentlich zur Schule!«

»Hallo, hallo!« kreischten die drei drüben. In dem Haus öffnete sich schon ein Fenster, und eine sanfte Stimme rief: »Buben, Gundele, seid net so laut, ihr treibt's auch gar so arg!«

»Hallo, hallo!« schrie es plötzlich am unteren Gassenende.

»Die Sternbuben!«

»Die Lindenaffen!«

»Hallo, hallo!«

Zwei Büblein kamen die Gasse herauf, die Grillschen stürzten ihnen entgegen, und, klitsch, klatsch, ritsch, ratsch, lagen sich alle fünf in den Haaren. Die Gasse widerhallte von Lärm und Geschrei.

Da und dort guckte jemand zum Fenster heraus. Frau Tippelmann schalt, der freundliche Herr Häferlein trat mit seiner Kaffeetasse in der Hand erschrocken vor seinen Laden, und aus der Lindenapotheke, nach der das Grillsche Haus den Namen »Zur Linde« führte, stürzte ein kleiner Herr heraus. Der nahm geschwind zwei Buben bei den Kragen, und auf einmal waren die feindlichen Parteien getrennt. »Wollt ihr wohl Ruhe halten, marsch in die Schule miteinander, marsch, marsch!«

»Die Sternbuben haben angefangen!«

»Die Lindenaffen …«

»Hoho, so frech!«

»Tutututut!«

Ein Auto! Aller Streit verstummte jäh, und im höchsten Erstaunen starrten alle miteinander dem seltenen Gefährt entgegen, denn das war um diese Morgenstunde in der Löwengasse von Breitenwert ein so ungewöhnliches Ding, wie es ein Papagei im Sperlingsnest ist.

Stopp, hielt das Gefährt an.

»Heda, Jungens, in der Gasse hier soll ein Haus zur Rose stehen, wo ist das denn?« rief der Wagenlenker den Kindern zu.

Die Buben, die sich soeben noch wütend gestritten hatten, lachten hell auf, denn daß einer nach einem Hause fragt, vor dem er steht, erschien ihnen höchst sonderbar. Nur der höfliche Herr Häferlein zeigte, daß gute Lebensart auch in der Löwengasse zu finden war; er verneigte sich tief, trat an den Wagen und sagte lächelnd: »Mit Verlaub, da steht Ihnen die Rose vor der Nase, und vor der Rose steht Frau Tippelmann, und gewiß sind die Herrschaften die neuen Bewohner. Ich hoffe auf die allerwerteste Kundschaft, habe gerade frische Heringe bekommen, und mein Kaffee ist ausgezeichnet und …«

»Quatschkopf!« schrie von innen eine rauhe Stimme.

»O du lieber Himmel!« Der höfliche Kaufmann prallte entsetzt zurück. »Frau Tippelmann,« stöhnte er, »da drinnen sitzt 'ne Schwarze!«

»Wer sitzt da drinnen, wie nennt man mich?« Die Wagentür flog auf, und heraus stieg eine sehr stattlich angetane, sehr dicke Dame. In ihren Ohren, an ihrer Brust und ihren Händen funkelten und blitzten große Diamanten, ein von Federn umwallter Hut saß ihr auf dem Kopf, und bei jeder Bewegung knisterte und rauschte die Seide ihrer Gewänder.

»Fein,« sagte eine Magd, die eigentlich zu Herrn Häferlein wollte, aber nun auf der Gasse stehen geblieben war, »fein, aber schwarz ist sie wirklich!«

»Eine Schwarze!« brüllten die Sternbuben, »wirklich, eine Schwarze!«

Das schien die Dame sehr übel zu nehmen, sie fauchte die arme Frau Tippelmann, die noch kein Wort gesagt hatte, zornig an: »Was ist das für ein Empfang, und was will dieser Mann da?« Sie deutete mit einem Schirm auf Herrn Häferlein, der sich vor Schreck gleich dreimal verbeugte. Die Fremde achtete nicht darauf, sie musterte das Haus von oben bis unten und sagte verächtlich: »Dieser alte Ziegenstall da soll doch nicht etwa Herrn Amhags Villa sein?«

Ein Ziegenstall, das schöne alte Rosenhaus!

Herr Häferlein, der schon manchem Fremden über das schöne Haus Auskunft gegeben hatte, blickte entsetzt zu der schwärzlichen Dame empor. »Das wird ja eine angenehme Nachbarin werden!« murmelte er.

»Starren Sie mich nicht so an, Sie da!« rief diese. »Ich bin nicht schwarz, ich bin weiß, weiß!«

»Alle Wetter, wenn sie weiß ist, dann ist mein Kakao gewiß Weizenmehl!« flüsterte der Kaufmann. Er wollte gerade die Flucht ergreifen, denn die Dame wurde ihm ungemütlich, als ihm ziemlich unsanft eine Hutschachtel an den Magen sauste. »Sie da, guter Mann, helfen Sie mir mal!« rief aus dem Wagen heraus eine hohe, dünne Stimme. »Ich steig jetzt aus. Das Haus wird es schon sein, wenn es auch eine alte Rumpelbude ist.«

Schwuppdiwupp! kam eine zweite Hutschachtel aus dem Wagen, eine Schirmrolle folgte, ein Handkoffer rasselte nach, und Herr Häferlein wußte nicht, wo er zuerst anfassen sollte. Zuletzt hüpfte ein sehr zierlich gekleidetes Fräulein aus dem Wagen, das nun wirklich weiß und, wie Herr Häferlein fand, sehr hübsch war. Ihr nach sprang ein kleines schwarzbraunes Tier, das von der Löwengasse, soweit sie nämlich zweibeinig den Kraftwagen umstand, mit dem lauten Zuruf begrüßt wurde: »Ein Affe, ein Affe!«

»Narren und Affen alles begaffen,« brummte Frau Tippelmann, der zur rechten Zeit eins ihrer geliebten Sprichwörter einfiel. Damit hatte sie sogleich ihre Verwirrung über die unerwartete Ankunft der seltsamen Gäste überwunden. Sie knickste höflich vor der schwärzlichen Dame und sagte: »Das ist wirklich Herrn Amhags Haus, und die gnädige Frau ist gewiß Herrn Amhags Schwägerin mit Fräulein Tochter.«

»Das bin ich gewiß nicht! Ich bin Frau van Bachhoven, und wenn hier in dem jämmerlichen Nest jemand ein Fünkchen Verstand hätte, dann wüßte er, was das bedeutet. Bachhoven, Kaffeegroßhandlung; den Kaffee von Bachhoven kennt die ganze Welt.«

»Herrjemine, die Schwarze heißt Backofen!« brüllte eine sehr, sehr unnütz klingende Bubenstimme, und »Backofen, Backofen!« schrie eine zweite.

»Die Sternbuben sind frech,« sagten die Grillschen Kinder, aber sie lachten doch, und in das Lachen stimmten noch etliche Zuschauer ein, und von irgendwoher lachte ein harfenzartes Stimmchen mit.

Da stand die reiche Frau Juana van Bachhoven auf der Löwengasse und wurde ausgelacht, sie, die man sonst wie eine Fürstin behandelte um des goldenen Reichtums willen. Unerhört, ganz unerhört!

»Steig aus, Alette!« rief sie böse in den Wagen hinein. »Wenn du aber nicht hierbleiben willst, nehme ich dich gleich wieder mit. So ein abscheuliches Nest!«

»Ich bleibe hier,« klang es zurück. Und hurtig, flink und zierlich kletterte ein Mädelchen aus dem Wagen, ein schlankes, feines Dinglein, das sich halb froh, halb scheu umsah. Sie blickte zu dem Hause hinauf, sah Frau Tippelmann an und streckte ihr zutraulich das Händchen hin. »Ich heiße Alette Amhag, und mein Papa hat gesagt, ich soll hierbleiben, bis er zu mir kommt. Und Laura bleibt auch und August – – ach, wo ist denn August?«

»Zu dienen, hier bin ich!« Herzlich verdutzt über die vertrauliche Anrede verbeugte sich Herr August Häferlein; er glaubte, der Ruf hätte ihm gegolten.

»Sie meint den Affen,« rief der Fahrer grinsend.

»Der Affe heißt August? Das ist eine Beleidigung!« schrie Herr Häferlein entrüstet.

Jubelndes Lachen brauste ringsum auf, und selbst Frau Juana van Bachhoven lächelte ein ganz, ganz klein wenig. Alette Amhag aber lachte; wie hundert Schellenglöckchen zusammen klang es.

Turm- und Schuluhren sind manchmal entschieden boshaft, das ist schon wahr. Sie erheben ihre Stimmen oft zu sehr unpassender Zeit, und die Breitenwerter Uhren waren nicht besser als ihre Schwestern rings im Lande.

Bimbam! schlugen sie los, und alle Kinderherzen auf der Löwengasse erschraken, in alle Kinderbeine fuhr die Eile. Sogar die Schulranzen fingen an zu zittern und zu zappeln. Himmel, schon acht Uhr! Die Schule begann, und sie standen noch hier auf der Gasse! Zum Überfluß schalten auch noch die Erwachsenen: »Schulzeit! Geschwinde, geschwinde, heute kommt ihr aber zu spät!«

Die drei Grillschen rasten jetzt davon. Die Sternbuben zögerten noch einen Augenblick; sie hätten zu gern gesehen, was nun weiter wurde mit dem Affen und der schwarzen Dame. Aber das Bimbam dröhnte ihnen zu hart in die Ohren, sie rannten auch davon. Klippklapp, klippklapp! Ihre Schultaschen flogen, ihre Beine schlugen beinahe am eigenen Rücken an, und den Eiligen nach tönte wieder das Glöckchenlachen. Alette Amhag fand in diesem Augenblick die Löwengasse wunderhübsch.

Sonderbar, sehr sonderbar! Frau Juana van Bachhoven schüttelte erstaunt den Kopf. »Verrückt, so eine kleine deutsche Stadt!« sagte sie. »Alette, willst du wirklich hierbleiben? Komm mit mir nach Paris, ich schreibe es deinem Vater; hier gefällt es dir doch nicht!«

»Doch, hier gefällt es mir!« Das kleine Mädchen sah ernsthaft zu dem alten Rosenhaus empor, in dem schon so viele Amhags gewohnt hatten. Der Großvater hatte ihr davon erzählt, der immer so viel Sehnsucht nach der deutschen Heimat gehabt hatte, die er nur als Knabe gesehen. »Ich will hierbleiben,« sagte sie noch einmal und legte ihre kleine Hand zutraulich in Frau Tippelmanns rauhe Rechte. Der war dies ungewohnt, aber sie hielt doch die kleine Hand ganz fest, und ihre Stimme klang seltsam milde, als sie sagte, so leise freilich, daß nur Alette es hörte: »Gott segne deinen Eingang in deiner Vorfahren Haus!«

Sie traten ein, und hinter ihnen her trug Laura, die Zofe, ein paar Schachteln ins Haus. »Gibt's denn hier keinen Diener, der hilft?« stöhnte sie. »Reisten wir nur erst wieder ab, in Paris war's viel, viel besser!«

Von der Abreise sprach auch Frau van Bachhoven. Sie unterhandelte mit dem Fahrer, er solle sie in einer Stunde abholen, länger bliebe sie nicht. Sie sah mit bösen Augen die Gasse entlang, und den allerbösesten Blick bekam der arme Herr Häferlein, der doch nur vor seinem Laden stand. »Schrecklich ist das hier,« murrte die schwärzliche Dame, und innen im Haus sagte sie erst recht: »Schrecklich!« Der weißgetünchte gewölbte Flur, von dem aus eine gewundene Treppe in die oberen Stockwerke führte, mißfiel ihr gründlich, ebenso mißfielen ihr die Zimmer, und am allermeisten schien ihr Frau Tippelmann zu mißfallen, obgleich die kaum ein Wort redete. Sie herrschte die an: »Ist denn kein Diener, kein Mädchen da?«

»Ich bin da!« Frau Tippelmann sah grenzenlos erstaunt drein. »Für die Kleine genügt es doch, wenn ich da bin und das Mädchen!«

»Schnippschnapp, ich bin kein Mädchen, ich bin ein Fräulein!« unterbrach sie Fräulein Laura. »Für ein paar Tage mag es gehen, aber sonst – ein Fräulein Amhag braucht Dienerschaft.«

»Ein Fräulein Amhag kann überhaupt nicht lange in diesem Hause wohnen,« erklärte Frau van Bachhoven. »Unmöglich, ganz unmöglich ist's!«

»Ich bleibe, ich bleibe, ich bleibe,« sang Alette Amhag leise vor sich hin und lief froh die Treppe empor.

Zweites Kapitel. Die Auguste streiten sich.

Inhaltsverzeichnis

Warum Trinle Grill auf dem Kirchentrepple gesessen hat und Herr Baldan sich ärgert. Kasperle denkt, er bekommt einen Zuckerstengel, aber Herr Häferlein wird auch böse. Fräulein Laura sieht sich die Löwengasse an.

Die Löwengäßler, wie die Kinder der Löwengasse nach Breitenwerter Sprachgebrauch genannt wurden, erlebten an diesem Vormittag wenig Freude in der Schule. Aber freilich, ihre Lehrer erlebten auch keine Freude an ihnen. Schon das Zuspätkommen! Mit einem Tadel fängt es sich nicht gut an, und einen Tadel erhielten sie alle. Den Fleißigen wie den Faulen entwischten immerzu die Gedanken; die Fremden in der Löwengasse, die schwärzliche Dame, der Affe August und nicht zuletzt Alette Amhag drängten sich in alle Stunden hinein. Ob sie noch da waren, wenn sie heimkamen, oder wirklich wieder abreisten?

Wenn sie nur August daließen! dachte Mathes Hinz, der älteste der Sternbuben, und gerade da sollte er eine Antwort geben und wußte sie nicht.

Die Sternbuben – sie wurden so nach dem Wirtshaus ihrer Mutter, dem Silbernen Stern, genannt – grämten sich nicht viel um den schlechten Schultag; sie waren ausgemachte Faulpelze. Aber den drei Grills, Veit, Trinle und Steffen, denen tat es leid, denn sie waren drei Fleißlinge, und ihre Wildheit, ihre Lust an Lärm und dummen Streichen, die ließen sie meist zu Hause, wenn sie in die Schule gingen.

An diesem Vormittag aber traf die Grillschen und die Sternbuben fast alle das gleiche Schicksal: sie mußten nachsitzen.

Die Sternbuben nahmen das gelassen hin; sie waren daran gewöhnt, und zu Hause merkte es kaum jemand. Die Grillschen aber grämten sich, und alle drei kamen sie wie die begossenen Pudelchen heim. Am heftigsten bekümmerte sich Trinle um das Nachsitzen, und sie war es auch, die unter bitterlichem Schluchzen der Mutter das schlimme Geschehen beichtete.

In der Wohnstube geschah es. Das war ein großes, helles Zimmer mit einem weit vorspringenden Erker, von dem aus man die ganze Löwengasse hinauf- und hinabsehen konnte. In dem Zimmer stand noch viel Hausrat aus Großmutterszeiten, denn die Grills, die nun schon über hundert Jahre in dem Hause wohnten, wußten das Alte wohl zu schätzen.

Frau Grill war eine sehr sanfte, stille Frau, sie schalt nie viel, aber ihre Kinder folgten ihr gut. Wenn die Mutter sie traurig, vorwurfsvoll ansah, dann bekümmerte sie das sehr, und als in dieser Beichtstunde die Mutter betrübt fragte: »Nachsitzen mußtet ihr, aber warum?« wären sie alle drei am liebsten in ein Mauseloch geschlüpft vor Scham.

Trinle heulte herzzerreißend. »Sei nicht böse, sei nicht böse,« flehte sie.

Veit und Steffen standen mit gesenkten Köpfen da, und der Jüngste im Hause, Kasperle, zog auch schon einen bedenklich schiefen Mund, obgleich er mit dem Nachsitzen noch nichts zu tun hatte; er war erst fünf Jahre alt.

»Nun erzählt mal; wie war es?«

»Ja, das möchte ich auch hören!«

In der Türe stand Herr Apotheker Grill, der unvermutet eingetreten war. Er sah aus, als wäre er bitterböse, in seinen blauen Augen lag aber doch so ein lustiges Blinken, daß Trinle ein wenig aufatmete und stockend berichtete: »Es sind alle so spät gekommen, weil – weil …«

»Sie drüben eingezogen sind,« vollendete Veit.

»Ja, so war's! Und dann hat Veitle im Latein nichts gewußt und – und …«

»Aus Versehen in der Geschichte das Tintengläsle umgeschmissen,« sagte der Bruder dumpf.

»Ja, so war's!« schluchzte Trinle schmerzlich. »Und Steffle hat in der Geographie bloß – Asien – Asien …«

»Mit Amerika verwechselt,« murmelte Steffen. »Und dann – sag's weiter, Trinle.«

»An der Wandtafel drei – vier Rechnungen falsch gerechnet. Darum!!«

»Na und du?« fragte der Vater.

Trinle heulte laut, schier verzweifelt klang's: »Ich – ich hab draußen gesessen auf dem Kirchtrepple, bis sie rausgekommen sind.«

»Ja, hast du denn nicht nachgesessen, Trinle?«

»Nein,« jammerte Trinle, »ich – ich bin auch net zu spät gekommen, bei uns – hat's später angefangen!«

Über Trinles blonden Wuschelkopf hinweg sahen sich die Eltern an; ein liebes Lächeln blühte im Gesicht der Mutter auf, des Vaters Augen blitzten lustig. Er sagte heiter: »Weil sich Trinle so grämt und doch selbst nicht nachgesessen hat, sei euch die Strafe erlassen. Aber, Buben, ich bitte mir's aus, daß das Nachsitzen und Zuspätkommen nicht Mode wird!«

»Und das Streiten mit den Sternbuben hört endlich einmal auf!« fügte die Mutter mit sanftem Vorwurf hinzu.

»Sie fangen immer an; arg schlimm sind sie!« riefen alle vier Geschwister klagend, denn auch Kasperle stritt schon mit den Sternbuben herum.

»So sagt ihr!« Die Mutter seufzte, aber sie sprach nicht weiter vom Morgenstreit; sie mahnte: »Nun lauft geschwinde und wascht euch, es ist gleich Essenszeit!«

Essenszeit, ein gutes Wort! Die Geschwister vergaßen darüber allen Schulkummer, und als ein paar Minuten später die Glocke die Hausgenossen in das im Erdgeschoß gelegene Speisezimmer rief, da glänzte selbst Trinles verweintes Gesicht wie eitel Sonnenschein.

Die Fenster des Speisezimmers gingen nach dem Garten hinaus, in dem im Sommer uralte Bäume schatteten und viele schöne Blumen blühten. Jetzt trugen erst ein paar Büsche feine grüne Schleier, und Schneeglöckchen und Krokusse hatten den Blütenreigen des Jahres begonnen. Von ihnen stand eine Schale voll auf dem Tisch; von ihr aus ging es wie Frühlingswehen durch den Raum, und Trinle schnupperte und sagte: »Es riecht schrecklich schön nach Frühling!«

Dies konnte freilich nur ein Apothekerkind sagen, denn jeder Fremde, der ins Haus kam, fand, es röche nach Apotheke; andere Gerüche nahm er darüber nicht wahr. Und wirklich durchdrang der Duft all der Salben, Tränklein, Kräuter und Mixturen beinahe das ganze Haus. Den Grills war es Heimatduft, und wenn jemand von ihnen nach einer Reise heimkehrte, sagte er sicher: »Wie gut es riecht, man merkt, daß man wieder zu Hause ist!«

Der Familientisch war groß, denn die Gehilfen aus der Apotheke saßen mit daran, obenan, neben dem Vater, Herr Baldan, der langjährige Provisor. Der war ein etwas sonderbarer Mann; er hatte allerlei wunderliche Grillen und Gewohnheiten, und zu Zeiten konnten ihn die Mücken, die in der Sonne tanzten, um all seine gute Laune bringen. Er war butterweich und herzensgut und den Kindern ein treuer Freund, aber Katzen und Hunde und mancherlei Getier konnte er nicht leiden. Lief ihm eine schwarze Katze über den Weg, wurde er mißmutig, und bellte ein Hund irgendwo, klagte er, der Lärm sei nicht auszuhalten. An diesem Morgen hatte er sich schwer über den Affen August geärgert, und er saß am Tisch mit einem Gesicht wie vierzehn Tage Regenwetter und drei Meilen schlechter Weg. Und Kasperle, das kleine Dummerchen, fragte zum Überfluß auch noch höchst vergnügt: »Gelt, Herr Baldan, du freust dich arg?«

»Warum denn, Kasperle?«

»Weil das Äffle drüben auch August heißt wie du.«

Ganz verdutzt sahen alle auf; daran hatten sie nicht gedacht, daß auch Herr Baldan diesen Namen führte. Der nahm die Frage auch gewaltig übel; er fuhr Kasperle scharf an: »Dumme Frage! Wirst wohl auch noch so naseweis werden wie die Sternbuben!«

Mit den Sternbuben mochten die Grillschen Kinder nun aber nicht verglichen werden, und Kasperle zog seinen Mund bedenklich schief. Trinle, die allzeit für die Brüder eintrat, sagte darum entschuldigend: »Er meint's doch net böse, und der Herr Häferlein heißt auch August!«

»Meinetwegen, für den mag's passen, mit dem Affen einen Namen zu haben, ich lasse mir so etwas nicht gefallen!«

In seinem Ärger vergaß Herr Baldan ganz und gar, daß Herr Häferlein doch sein guter Freund war. Er vergaß aber auch, daß Kasperle ein kleines Plappermaul hatte. Als es just in der Apotheke klingelte, stand er rasch auf und sagte zu dem zweiten Gehilfen: »Ich gehe selbst, es wird wohl die Frau Mayer sein; der will ich ihre Tropfen selbst geben.«

Damit war das Gespräch über die neuen Nachbarn und August, den Affen, zu Ende, denn Herr Grill sagte, als die Kinder noch einmal davon anfangen wollten: »Seid jetzt still davon. Ich gehe heute spazieren, wer geht mit?«

»Ich!« Vierfach tönte der Ruf, und Veit, Steffen und Trinle versicherten eifrig, sie würden gleich und geschwinde, aber auch ordentlich, wie sich's gehört, die Schularbeiten machen, und sie würden ganz bestimmt zur rechten Zeit fertig sein. Sie zogen sich auch gleich nach dem Mittagessen in das gemeinsame Arbeitszimmer zurück. Kasperles Vorschlag, ihn mitzunehmen, lehnten sie schnöde ab.

Den kränkte das. Er fand nämlich, er störe gar nicht, er erzählte immer die wunderschönen Geschichten, sang ellenlange Lieder und warf nur manchmal ein Buch oder einen Bleistift herab oder einen Stuhl um, er fuhr auch gar nicht oft mit den Fingern in das Tintenfaß. Ein Weilchen versuchte der kleine Schelm sich den Einlaß zu ertrotzen, er klopfte und schrie an der Türe, aber da kam die Mutter, schalt und sagte, er müsse Ruhe halten. So zog Kasperle tief betrübt auf die Gasse; die war den Kindern allen der liebste Spielplatz. Kasperle dachte an den Affen August; er hatte am Morgen den Einzug nicht gesehen, nur davon erzählen hören, und er war sehr neugierig auf die neue Nachbarschaft. Als er vor die Türe trat, war auf und ab niemand zu erblicken, nur drüben stand Herr Häferlein vor seinem Laden, und mit einem Jubelruf schoß Kasperle auf den zu. Herr Häferlein war sehr nett; er verschenkte manchmal rote, grüne oder gelbe Zuckerstengel, auch Rosinen oder Mandeln, und wenn niemand im Laden war, unterhielt er sich auch gern mit Kasperle.

»Herr Häferlein,« schrie der Kleine schon von jenseits, »guten Tag! Gelt du freust dich aber arg, daß das Äffle Augustle heißt?«

»Fällt mir gar nicht ein!« brummte Herr Häferlein. »Das ist sehr dumm, einem unvernünftigen Tier so einen schönen Namen zu geben.«

»Aber Herr Baldan hat doch gesagt, für dich tät's passen!« rief Kasperle, erstaunt über das verdrießliche Gesicht des Kaufmanns.

»Was tät passen?« fragte er schnell.

»Daß du mit dem Äffle einen Namen hast.« Kasperle stellte sich breitbeinig und vergnügt vor Herrn Häferlein hin; er meinte, der müßte sich ganz ungemein freuen.

Statt zu lachen, rief Herr Häferlein aber wütend: »Wer sagt das? Herr Baldan?«

Kasperle nickte froh. »Ja, der meint, für dich tät's passen; er ist aber arg bös!«

»So, so, für mich ist der Name recht! Ei, sieh einer an!« Herr Häferlein war ein sehr höflicher, freundlicher Mann; wenn er sich aber ärgerte, dann ging es bei ihm leicht obenhinaus. Er vergaß, daß Kasperle doch noch ein Dummerchen war, und er ließ seinen Laden im Stich, sprang mit ein paar eiligen Sätzen über die Straße, riß in der Apotheke die Türe auf und schrie: »Wo ist Herr Baldrian?«

Nun konnte sich der Provisor über nichts mehr kränken, als wenn man seinen Namen verdrehte. Herr Häferlein tat dies auch ganz ohne Absicht im hitzigen Eifer, aber gesagt war gesagt.

Herr Baldan fuhr ihn an: »Was fällt Ihnen ein, mich so zu nennen? Sie haben wohl noch nicht ausgeschlafen?«

Herr Häferlein blieb die Antwort nicht schuldig. Eins, zwei, drei ging es herüber und hinüber. Bitterböse Worte wurden gesagt, keiner wollte zugeben, er habe unrecht, keiner lenkte ein. Sie schrieen sich beide zornwütig an, und erst als Herr Grill kam und nach dem Grund des Streites fragte, verließ Herr Häferlein fuchswild die Apotheke.

Drüben stand Kasperle am Laden Wache. Das hatte er schon manchmal getan, und er war dann immer für seine Bravheit mit einem Zuckerstengel belohnt worden. Den erwartete er auch diesmal, aber Zuckerstengel sind unzuverlässige Gesellen; wenn man denkt, man hat sie, laufen sie davon. Das arme Kasperle bekam statt des süßen Lohnes Schelte. Herr Häferlein schrie ihn an, er solle nur marsch, marsch nach Hause gehen, und klapp! schlug er ihm die Türe vor der Nase zu.

Der kleine Schelm stand ganz verwirrt auf der Gasse; er fand, sein guter Freund behandele ihn recht schlecht, und weil er gar nicht wußte, was er tun sollte, brach er in ein jämmerliches Weinen aus. Er schluchzte herzbrechend und trottete tiefbetrübt die Gasse entlang an der Rose vorbei. Drinnen hörte es Fräulein Laura, die zum Fenster hinaussah und eben dachte: Das ist doch eine recht schrumpelige, schnurrige kleine Gasse; sie gefiele mir schon, wenn ich nicht drin wohnen müßte. Fräulein Laura war sehr gutmütig, und Kasperles Schluchzen tat ihr leid; sie lief also flugs zum Hause hinaus, hielt den Kleinen draußen fest und fragte ihn nach seinem Leid. Der erzählte treuherzig alles; freilich etwas kunterbunt ging es schon durcheinander. Die freundliche Trösterin hörte aber doch heraus, Herr Häferlein sei böse.